Das Mädchen vom Meer von Coronet (Finnicks Sicht auf die 70. Hungerspiele) ================================================================================ Kapitel 4: Wir alle und die Rebellion ------------------------------------- Und, was halten sie von unseren Tributen? Dieses Jahr erwartet uns auf jeden Fall wieder eine spannende Mischung! Ganz stark stehen dieses Jahr auch ein paar Außenseiter dar… wir dürfen gespannt sein! Wer sind denn ihre persönlichen Favoriten? Nun, Distrikt 9 ist dieses Jahr auf jeden Fall sehr interessant, die dürften einige Sponsoren bekommen. Einzig von Distrikt 4 bin ich dieses Jahr enttäuscht. Wir werden sehen, wie die Eröffnungsfeier dieses Jahr aussieht! Bleiben sie auf jeden Fall dran, es wird spannend! Mit einem Klirren landet die Fernbedienung auf dem Bildschirm, ohne jedoch einen Kratzer zu hinterlassen. Mit einem Klonk fällt sie auf den Teppichboden. Die verzerrten Gesichter von Caesar Flickerman und Claudius Templesmith lachen vom Bildschirm herab, ihr Lachen kaum mehr als solches erkennbar vor lauter Operationen. Grotesk. Mit einem Schnauben starre ich den Bildschirm an. Sie sind also enttäuscht von Distrikt vier. Es ist schlimmer, als ich es mir in meinen Alpträumen ausgemalt hatte – dieses Jahr sind wir die Außenseiter! Immer noch plappern die beiden Moderatoren der Hungerspiele fröhlich weiter und ich presse mir meinen Unterarm vor das Gesicht. Verdammte Scheiße! Am liebsten würde ich lauthals fluchend den Waggon demolieren, doch ich weiß, dass ich beobachtet werde. Es reicht, dass ich eine Fernbedienung geworfen habe. Ausgerechnet, ausgerechnet in diesem Jahr! Ich kann mich nicht einmal zwischen meinen beiden Tributen entscheiden und schon bekommen wir schlechte Voraussetzungen! Müde erhebe ich mich, hebe die Fernbedienung auf, schalte mit einem wütenden Druck auf die Tasten den Fernseher ab und pfeffere die Bedienung auf den Beistelltisch. Mein Blick streift den weißen Pappkarton, der immer noch auf dem kleinen Tisch steht, auf dem ich ihn gestern abgestellt habe. Snows Worte schießen mir durch den Kopf. Wie ein kettenloser Sklave ziehe ich mir das viel zu körperbetonte Oberteil an. Ein neuer Tag als Snows Spielzeug beginnt. Ein neuer Tag als begehrtes Stück Fleisch im Kapitol. Wie ich mich in diesen Momenten selber hasse, mich frage, wieso ich das alles mit mir tun lasse. Breite, rote Lippen, zu einem Lachen geweitet. Orange Locken, wild wirbelnd in der Frühlingsluft. Grüne Augen, die schelmisch blitzen. Der Duft von Zinnien. Ein zarter Wangenkuss. Füße, die im Wasser baumeln. Ein Umriss am Horizont. Männer, die von Schiffen springen. Vorfreude. Dunkle, muskulöse Hände, die eine zarte Muschel tragen. Eine feste Umarmung. Eine glückliche Familie. Meine Knie berühren den rauen Fußboden, ich presse meine Handballen vor die Augen, als meine Sicht verschwimmt. Alles fühlt sich so viel schwerer an. Meine Brust wird von dem Gewicht fast zerdrückt. Rasselnd atme ich ein und aus, ehe ich meine Augen wieder öffnen kann. Ich starre auf die vorbei rasende Landschaft vor dem Zugfenster. Fünf Jahre. So lange ist es her, dass ich selber hier stand, um in die Hungerspiele zu ziehen. Anderthalb Wochen später war ich Sieger und er war tot. Mein Vater. Sein Blut braucht nicht an meinen Finger kleben, damit ich weiß, dass ich sein Mörder bin. Der Mörder meiner Familie! Wäre ich nicht so selbstsüchtig gewesen, dann wäre vielleicht wenigstens noch sie am Leben! Meine Mutter… Ich zwinge die Säure, die meinen Hals hochschießt wieder hinunter. Nicht jetzt! Einen Moment lang blicke ich in den Spiegel über der Kommode, ehe ich meinen Waggon verlasse. Ich versuche mir, vorzustellen, wie es wäre, nicht dieses Gesicht zu haben. Anders zu sein. Aber es bringt ja doch nichts. Ich werde auf immer hier gefangen bleiben, wenn wir als Rebellen keinen Ausweg finden. Doch ich habe die Hoffnung, auch wenn sie in Momenten wie diesen schwer aufrechtzuerhalten ist. Aber tief in meinem Herzen weiß ich es. Mit einem Seufzen streiche ich die salzigen Tränenspuren von meinem Gesicht und verlasse meinen Waggon. Amber steht bereits im Gang und scheint mich gewartet zu haben. „Du hast es auch gesehen?“, fragt sie mit verschränkten Armen, während sie sich in Bewegung setzt. Einen Moment lang gehen wir stumm durch den fahrenden Zug, ehe ich entgegne: „Ja. Dieses Jahr werden wir uns besonders anstrengen müssen.“  „Nicht nur das. Wir werden unsere Tribute wie verrückt trainieren müssen. Ich sage es nicht gerne“, sie holt tief Luft, „aber der verdammte Flickerman hatte recht. Ein Mädchen und ein kleiner Junge.“ Sie schüttelt den Kopf. „Nenn mir einen Grund, warum sie siegen sollten! Die Cousine von Mason ist dabei. Die Karrieros! Der Junge aus neun…“ Energisch stelle ich mich ihr in den Weg, halte sie mit ausgestrecktem Arm auf. „Amber! Du darfst sie nicht aufgeben! Wir können ihnen noch etwas beibringen, ihnen helfen! Wir werden das tun!“ Zornig blicke ich sie an, während sie lediglich erstaunt eine Augenbraue in die Höhe zieht. „Finnick Odair – zu neuen Lebensgeistern erwacht?“, fragt sie spöttisch, während sie sich an mir vorbeidrückt. Ehe sie sich versehen hat, habe ich sie mit einem Griff an die Wand genagelt. Unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt zische ich: „Amber Followly – gebe nicht auf, habe ich gesagt!“ Ergeben senkt Amber die Augenlieder. „Finn… seit vier Jahren keinen Sieger? Wer sind wir, uns noch Karrieros zu schimpfen? Du weißt, dass fast alle von uns tot sind.“ Ein Blick in ihre dunklen Augen zeigt mir ihre zerstörte Wirklichkeit. Sie hat Recht, seit vier Jahren haben wir keinen Sieger mehr vorzuweisen. So viele von uns sind von uns gegangen. Nur wir, wir machen immer noch weiter, selbst wenn wir keinen Erfolg haben. Es ist wie mit der Rebellion. Schon so lange sind wir Teil des Plans, doch noch nie kam es zu dem entscheidenden Moment. All diese unterdrückten Gefühle. Es ist mitunter schwer, noch stillzuhalten, vor allem für jemand impulsiven wie Amber. Ich lasse sie los und wende mich ab. Ich kann mir nicht eingestehen, dass sie recht hat. Eines Tages, wird der Tag gekommen sein. Stumm machen wir uns auf in Richtung Speisewaggon, als uns Cece auf mörderisch hohen Schuhen entgegen gestöckelt kommt. Die Bewegungen des Zuges sind zwar kaum spürbar, doch wenn der Zug sich in eine Kurve legt – so wie jetzt gerade – hat Cece es doch schwer, sich auf den Beinen zu halten. Wie eine Betrunkene torkelt sie durch den Gang, eine Tasse Tee in die Hand, die sich jetzt in einem malerischen Bogen auf ihr Jackett ergießt. Fluchend stolpert sie uns so vor die Füße. „Mein lieber Finnick!“, ruft sie entrüstet, „und du auch, Amber! Wo wart ihr heute Morgen? Sagt euch der Begriff Frühstück etwas? Richtig, F-R-Ü-H! Nicht erst fast mittags! Wo bleiben nur eure Manieren? Ihr hättet ruhig pünktlich kommen können und nicht mir die Arbeit überlassen brauchen!“ Mit einer theatralischen Geste fasst Cece sich an die Stirn und verdreht die Augen. „Nichts als Sorgen hat man mit euch! Husch, husch, ab zu den Tributen!“, faucht sie energisch. Würde ich Cece noch nicht so lange kennen, wüsste ich vielleicht nicht, dass sie es nur gut meint. Doch sie mag es nicht, wenn die Tribute alleine gelassen werden. Bei meinem ersten Jahr als Betreuer zwang sie mich, mich um den weiblichen Tribut zu kümmern und tatsächlich, als ich ihr versprach, dass wir alles für sie tun würden, ging es ihr besser. Doch wie Cece ihre Anweisungen gibt… man muss es erlebt haben, um dies nachfühlen zu können, denn Amber und ich müssen beide prusten, als Cece an uns vorbeigetorkelt ist. Augenblicklich rücken die schwarzen Gedanken von uns ab. Ab jetzt ist gute Laune angesagt! Im Speisewaggon sitzen bereits unsere beiden Tribute, den Rücken uns zugewandt. Leise stehle ich mich an die schweigsamen Tribute heran, den Blick auf die Schale mit Erdbeeren gerichtet. Ein Hungergefühl breitet sich in meinem Magen aus. Mit links greife ich mir die Zuckerwürfel, die wie immer auf der Anrichte stehen. Ein diebisches Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. Urplötzlich verspüre ich große Lust, Annie ein wenig zu erschrecken. Sanft beuge ich mich zu ihrem Ohr und flüstere in meiner besten Charmeurstimme: „Probiere sie mal mit Zucker.“ Ich halte ihr die Zuckerschale hin und als ich sehe, wie sie versucht, die Röte zu unterdrücke, ziehe ich spielerisch eine Augenbraue hoch. „Vielleicht entspannt dich das etwas“, erkläre ich und stelle die Schüssel ab, befreit von jeglichen Hintergedanken, denn Erdbeeren mit Zucker sind für mich fast so etwas wie Medizin. An meinen schlimmsten Tagen kann ein Schälchen Zuckererdbeeren meinen Tag immer noch erleuchten. Amber lacht stumm und versucht krampfhaft, wieder ernst drein zu blicken. Sie findet mich albern, wie so oft. Misstrauisch beäugt Annie den Zucker und schnappt sich dann doch in einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet fühlt den Löffel und streut Zucker über die Erdbeeren. Gut gelaunt beobachte ich ihre zarten, kontrollierten Bewegungen. Ich kann nicht einmal nachvollziehen, warum es mich glücklich macht, mich so zu verhalten, doch im Moment fühlt die Atmosphäre sich warm und aufgelockert an. Die weichen Sitzpolster schmiegen sich an mich, als ich mich zurücklehne und die Landschaft genieße. Aus Erfahrung weiß ich, dass es nicht mehr weit zum Kapitol ist. Umso mehr möchte ich dieses letzte Frühstück genießen. Als die erste Erdbeere in Annies Mund verschwindet, weiten sich überrascht ihre Augen. Einen Moment lang erscheint sie mir unsicher, dann schiebt sie sich eilig die zweite Erdbeere in den Mund. Zufrieden lächle ich, als ich sehe, dass es ihr tatsächlich schmeckt. „Habe ich dir doch nicht zu viel versprochen, oder?“ Sie schüttelt mit einem zaghaften Grinsen den Kopf, den Mund voller Erdbeeren. Gerade, als ich versucht bin, ihr zu erzählen, dass der Geschmack von Zuckererdbeeren pure Magie für mich ist, unterbricht ein Schrei von Pon uns. Aufgeregt deutet er auf die Silhouette des Kapitols, dem wir uns nun mit rasender Geschwindigkeit nähern. Es ist immer wieder faszinierend, wie gleich Tribute auf das Kapitol reagieren. Selbst wenn sie Angst haben und das Kapitol eigentlich verabscheuen, so sind sie am Ende doch immer fasziniert. Staunend kleben auch Annie und Pon an dem Zugfenster, über jeden neuen Glasturm staunend, für den ich längst nichts mehr über habe, denn für meinen Geschmack habe ich diese Türme und Häuser schon viel zu oft gesehen. Stattdessen lehne ich mich schnell vor, als wie in eine Unterführung einfahren und schnappe mir eine Erdbeere, die ich ungesehen in meinen Mund verschwinden lasse, denn bis jetzt hatte ich noch keinerlei Frühstück. Schließlich rollen wir auch schon langsam in den Bahnhof ein und die lauten Rufe der Masse werden laut. Unangenehm berührt presse ich mich in die hinterste Ecke meines Sitzes, damit man mich nicht sieht. Pinke Hüte, übergroße Perücken und Haarschleifen wippen draußen aufgeregt vor den Fenstern auf und ab. Alle wollen sie nur uns sehen. Ich lehne mich zurück, schließe meine Augen kurz und atme meditativ ein und aus. Mit einer schnellen Bewegung schnappe ich mir die letzte Erdbeere aus Annies Schüssel, was ich bei dem Anblick ihres enttäuschten Gesichtes fast bereue, dennoch genieße ich sie. Auf ins Getümmel! Kaum ist der Zug gestoppt, erscheint auch schon Cece mit Trexler, Floogs und Mags im Schlepptau und fängt an, wilde Anweisungen zu rufen. Artig reihen wir uns am Ausgang auf, Cece an der Spitze. „Vergesst das Winken nicht!“, zischt sie, dann beginnt die Show, die Türen öffnen sich langsam und der schwere Atem des Kapitols schlägt uns entgegen. Direkt hinter Annie betrete ich die Schaubühne. Sofort erschallt ohrenbetäubender Jubel von allen Seiten her, einige Verrückte versuchen verzweifelt, die Reihen der Friedenswächter zu durchbrechen, die uns von der Menge abschirmen. Wie immer lächle ich breit, strecke meine Arme in die Luft und winke wie ein Blöder. Die ganze Zeit über versuche ich, an Erdbeeren mit Zucker zu denken, das einzig wirklich Positive am Kapitol. Schon freue ich mich gleich mehr, hier zu sein. Während Pon bereits nach wenigen Schritten zu einer gewissen Routine gefunden hat, tut Annie sich noch schwer. Zaghaft winkt sie, doch sie wirkt äußerlich mehr wie ein verschrecktes Reh. Beruhigend lege ich ihr meine Hand auf die Schulter. „Stell dir vor, diese Leute wären alles bloß Familienangehörige und Freunde von dir. Tu so, als würdest du dich freuen, sie zu sehen. Und wenn das nicht funktioniert, dann stell dir vor du bist in einem Zoo mit vielen exotischen Tieren, die alle nur darauf warten, von dir gestreichelt zu werden.“, flüstere ich ihr meinen Trick ins Ohr, der mich damals über meine erste Runde gebracht hat. Es ist im Kapitol immer wieder unterhaltsam, wenn man sich die Masse als riesige Vogelschar vorstellt. Erleichtert kann ich beobachten, wie Annie der Menge nun beherzter der Menge zuwinkt und ein ehrliches Lächeln zur Schau trägt. Wenigstens eine Mentoren Sache habe ich schon mal richtig gemacht. Dennoch bin ich unendlich glücklich, als wir das wartende Auto erreichten und lasse mich erleichtert in die Polster fallen. Kaum, dass die Autotüren sich schließen, wird der ohrenbetäubende Lärm von draußen abgeschnitten. Nur noch gedämpfter Jubel ist zu hören. Eilig fahren wir an und kurven durch die breiten Straßen des Kapitols. Die Sicht durch die getönten Scheiben ist jedoch schlecht und wir fahren zu schnell, als dass man etwas sehen könnte. Die Fahrt verläuft schweigsam, bis wir am Vorbereitungscenter ankommen. Eine aufgeregte junge Frau im zitronengelben Kostüm wartet bereits auf uns, ein digitales Pad im Arm. „Distrikt vier?“, fragt sie atemlos, wobei sie mich die ganze Zeit anstarrt. Völlig ruhig entgegnet Mags: „Korrekt. Annie Cresta und Pon Amberson.“ Ein paar Tastendrücke auf der digitalen Oberfläche später und unsere Tribute werden von Friedenswächtern in den großen Glas- und Betonkomplex geführt. Hier werden sie von ihrem Vorbereitungsteam bis auf das letzte Härchen überprüft und gerupft werden. Feinschliff nennt man das hier im Kapitol. Auf uns Mentoren dagegen wartet das große Mentorentreffen, wie jedes Jahr. Ein gläserner Fahrstuhl fährt uns in die oberste Etage des Centers, zu einem prächtigen Saal, ausgestattet mit weichen Samtsofas, großen Lüstern und einem großen Buffet zum Mittagessen. Gedämpfte Gespräche klingen aus dem Saal und das scharfe Klackern von Absätzen ist mitunter zu vernehmen. Kurz bevor wir den Saal betreten wirft Mags mir einen warnenden Blick zu. „Kein Wort über die Erneuerungen. Es soll schließlich eine Überraschung werden!“ Erneuerung – unser Codewort für die Rebellion. Seufzend deute ich ein Nicken an. Wenn es doch nur endlich so weit wäre. Doch die wenigen Personen, die sich erst im Saal befinden, sollen nichts von unserem Plan ahnen. Kaum, dass wir eingetreten sind, drehen sich die Köpfe der anderen Mentoren zu uns um. „Ah, wie schön, das Team aus Distrikt vier!“ Glam, die Siegerin der 52. Hungerspiele lächelt künstlich, als sie uns sieht. Längst sieht sie aus, wie eine Bewohnerin des Kapitols, mit ihren goldenen Gesichtstattoos und den zarten Flügeln, die an ihrem Kleid befestigt sind. Sie ist die perfekte Siegerin: Auf Seiten des Kapitols, absolut stolz auf ihre Spiele und ohne Reue, stattdessen genießt sie das Leben im Kapitol. Typisch Distrikt eins. Neben ihr thronen Gloss und Cashmere, das berühmte Zwillingspaar aus Distrikt eins. Ebenso blond, wie die Ältere Siegerin, im Bestreben, eines Tages in ihre Fußstapfen zu treten. Ausdruckslos blicken sie uns an, ohne Freude oder Abneigung. Noch weitere Sieger aus Distrikt eins sind anwesend, fast alle blond und ordentlich zu recht gemacht, in Mode aus dem Kapitol, aber natürlich nicht alle, dafür sind es einfach zu viele. Ich kann mir nicht einmal all ihre Namen merken, so viele sind es und so ähnlich sehen sie aus. Lediglich die einzig braunhaarige Vertreterin, eine schmale, groß gewachsene Frau mit blasser Haut kann ich mir noch als Victorie einprägen. Sie ist gleichzeitig die Einzige aus Distrikt eins, die etwas von der Rebellion ahnt, unsere Verbindung zu diesem Distrikt. Anerkennend nickt sie uns zu und vertieft sich kurz darauf mit Amber in ein Gespräch. Sie sind ein ungleiches Gespann und doch besteht Amber darauf, sich persönlich um Distrikt eins zu kümmern. Ähnlich verhält es sich mit Distrikt zwei,  wobei die Tribute hier eher kämpferisch ausgelegt sind, wie Enobaria, deren Zähne zu spitzen kleinen Pfeilen gefeilt wurden. Wann immer sie grinst, so wie jetzt gerade, erhält man den Eindruck, in ein Raubtiermaul zu blicken. Ein schweigsamer Hüne neben ihr, dessen Gesicht von einer breiten Narbe entstellt ist und der Hände so groß wie Bärenpranken hat, der auf den Spitznamen Rock hört, ist in diesem Distrikt unser Verbündeter. Er nickt uns lediglich unmerklich zu, als wolle er sich nicht verraten. Insgeheim scheint er sehr viel Angst zu haben, dass er ertappt wird, denn unser Bündnis mit Distrikt zwei ist das wackeligste. Auch die Sieger aus Distrikt drei, sind bereits anwesend, doch sie gehen in der breiten Masse der schrillen und gefährlichen Sieger aus eins und zwei gänzlich unter. Ganz am Rande, unscheinbar mit ihren mausbraunen Haaren und der schlichten Leinenkleidung, sitzen sie stumm da und warten ab. Annabeth ist die Älteste von ihnen und trägt ihre bereits ergrauten Haare in einem strengen Knoten. Was für uns Mags ist, ist für die beiden einzigen anderen Sieger aus Distrikt drei Annabeth, auch wenn Annabeth noch nicht ganz so alt ist. Ihre Spiele waren die 25. Hungerspiele, das erste Jubeljubiläum. Zu ihren Seiten sitzen Wiress und Beetee, die ebenfalls Teil unserer Rebellion sind. Ganz Distrikt drei ist es. Verständlich, haben ihre Tribute doch immer schlechte Chancen. Sie kennen die Ungerechtigkeit, denn dort gibt es keine Freiwilligen, nie. Irgendwie, ich weiß nicht wann, haben wir uns mit diesen drei kläglichen Gestalten angefreundet. Vielleicht, weil wir alle einfach nur ausbrechen wollen. Wir lächeln höflich, schütteln Hände und beglückwünschen einander zu den Tributen, auch wenn wir genau wissen, dass bald erneut der Kampf auf Leben und Tot ausbricht. Manche versuchen, sich davon zu distanzieren, doch das schaffen nicht alle. Ich will es auch gar nicht. Denn das Vergessen würde bedeuten, ihm weniger Bedeutung beizumessen. Froh, das höfliche Geplänkel endlich hinter mir gelassen zu haben, geselle ich mich zu Beetee, unserem Wissenschaftler aus Distrikt drei, besser bekannt als Plus. Wiress, die wie eine Schwester für ihn ist, wird Minus genannt. Eigentlich gemeine Spitznamen, doch sie machen ihnen nichts aus und mittlerweile benutzen auch wir sie als Spitznamen. „Nette Tribute habt ihr dieses Jahr“, bemerkt er nüchtern. „Ich hoffe, ihr habt eine Strategie.“ Ich nicke nur, denn ich weiß, was Beetee aussagen möchte: Dass er für uns hofft, dass sie überleben, auch wenn es vielleicht nicht den Anschein macht. Aber im Kapitol ist es schwer, sich frei unterhalten zu können, besonders, wenn man unter ständiger Beobachtung steht. „Dasselbe gilt für euch“, entgegne ich daher nur. Anspannung liegt in der Luft, es kommt kein einfaches Gespräch wie sonst zu Stande. Einen Moment lang sitzen wir da, beobachten die anderen und gewöhnen uns einfach nur daran, wieder im Kapitol zu sein. Nach und nach erscheinen auch die anderen Sieger und heutigen Mentoren, in der Reihenfolge ihrer Distrikte. Alles bekannte Gesichter, die meisten sind schon älter als ich. Gladys aus Distrikt sechs ist auch schon älter, bestimmt schon über 50 und eine von gerade mal drei weiblichen Siegerinnen aus sechs. Savannah aus Distrikt fünf dagegen hat die 64. Spiele gewonnen, die Spiele direkt vor meinen. Wir sind uns zwar kaum ähnlich, doch die Tatsache, dass wir direkt nacheinander die Spiele gewonnen haben und zur gleichen Zeit als Mentoren antraten, hat uns irgendwo zusammen geschweißt. Noch viel mehr hat uns jedoch die Tatsache, dass wir beide überzeugte Rebellen sind, zusammengeschweißt. Savannah hat die Spiele mit Hilfe von Fallen gewonnen und ist auch sonst eher eine stille Person, niemand, der gleich zum Angriff übergeht. Daher liegt auch ihr das Dasein als Mentorin nicht sonderlich. Ihre stechend grünen Augen unter den schwarzen Locken funkeln intelligent, so als hecke sie gerade eine neue Falle aus. Ihre Haut dagegen ist blass, da sie in dem von Fabriken gesäumten Distrikt nie genug Licht bekommen, so sehr verdunkeln die Rauchwolken den Himmel. Sie ist eher klein und wendig, geschickt im Anschleichen und Überfallen, anders als ich. Zugleich ist sie die Meisterin der Streiche, was sich immer in ihren Augen wiederspiegelt. Ständig dabei, etwas auszuhecken, doch jetzt ist auch sie angespannt und nervös. Sie gesellt sich ebenfalls zu uns. „Hey Ihr!“, sagt sie grinsend und lässt sich in einen Sessel fallen. „Oh man, ihr glaubt gar nicht, wie anstrengend die Fahrt war! Zwei Pannen!“, sie seufzt und lässt sich in die Polster sinken. „Was gibt es so neues bei euch?“ Eine Weile unterhalten wir uns über dieses und jenes, die diesjährige  Fischerei und wie das Leben in Distrikt fünf sich entwickelt hat. Ungeachtet der Wertevorstellungen, die im Kapitol herrschen, zieht Savannah ihre Füße, die wie immer in alten Schnürschuhen stecken, auf den Sitz und sitzt im Schneidersitz da, völlig undamenhaft und sehr zum Missfallen einiger Kapitolaufseher. Dann vertieft sich sofort in ein Gespräch über technische Belange mit Beetee, während ich bloß stumm die Menschen um mich herum betrachte. Ich spüre, dass Wiress mich stumm aus ihren gräulichen Augen mustert und lächle ihr abwesend zu. Sie redet nicht mehr viel, seit sie in der Arena war, doch sie ist immer noch sehr schlau und liest ihre Umgebung, was mir immer noch unangenehm ist. Momentan dreht sie eine dünne Drahtrolle zwischen ihren kaputten Händen, die mit Blasen übersät sind. Ihre strubbeligen, rötlichen Haare rahmen ein Gesicht, dass voller Unsicherheit und auch kindlicher Naivität ist. Fast alle sind alte Bekannte, wir sind geeint dadurch, dass wir alle die Grauen der Hungerspiele erlebt haben. Ein paar der jüngeren Sieger aus den vergangenen vier Jahren sind noch etwas unsicher und gucken mit großen Augen, teils sind sie schließlich zum ersten Mal beim Siegerbankett. Doch diesmal kann ich mich nicht auf diesen kurzen Moment, den wir ehemaligen Tribute alle zusammen erleben, konzentrieren, immer wieder schweifen meine Gedanken zu den beiden Tributen ab, die jetzt unten in den kalten und unheimlichen Räumen auf die Parade vorbereitet werden. Selbst in der aufgeheizten und doch recht gelösten Stimmung in diesem Saal kann ich spüren, wie sich mir die Härchen aufstellen, beim Gedanken an die entwürdigende Prozedur. Wie es ihnen wohl geht? Diese Frage liegt wie Blei über uns, ebenso die unausgesprochene Frage, nach dem Überlebenden. Wer wird es dieses Jahr sein, den wir neu in unseren Kreis aufnehmen können? Wessen Leben opfern wir, um ein anderes zu retten? Ich werde erst von meinen Gedanken abgelenkt, als eine Frau, die wir alle als die „Hyazinthe“ kennen, mit einem energischen Ruf verkündet, dass gleich das Büffet eröffnet wird. Hyazinthe deshalb, weil sie eine abnorme Vorliebe für ebenjene Blumensorte hegt. Sie eröffnet die Siegerversammlungen schon seit Ewigkeiten, niemand weiß so genau, wann sie damit angefangen hat. Während alle anderen zu den Tellern stürmen, bleiben Beetee, Savannah und ich noch sitzen und auch Mags gesellt sich zu uns. In diesem Moment sind wir kaum noch beobachtet und durch den allgemeinen Tumult wird es schwer sein, unsere Stimmen abhören zu können. „Wir werden versuchen, die Objekte aus zwei nächstes Jahr in die Spiele zu bekommen. Des Weiteren wurde uns ein Anwärter aus zwölf gemeldet.“ Wie immer, wenn sie über die Spiele redet, wird sie fürchterlich nüchtern und es zeigt sich ihre Stärke, die ihr einst, vor so vielen Jahren, zum Sieg verholfen hat. Ihre Geburt lag in der Rebellionszeit und sie hat alle Hungerspiele, seit den allerersten, selber miterlebt. Für diese Rebellion würde sie alles geben. Sie deutet mit dem Kopf in Richtung von Haymitch Abernathy, dem ewig trunkenen Sieger aus zwölf, der ganz alleine ist. „Zwölf?“, flüstert Beetee überrascht. Wiress dagegen schweigt und nickt langsam. „Noch ist er nicht alt genug. Aber er hat viel Leid erfahren. Er ist ideal. Er steht bereits unter Beobachtung.“, klärt Mags  uns auf. Die Objekte. Sie sind unsere Hoffnung im Kampf gegen das Kapitol. Vor einigen Jahren, als die Rebellen sich zum ersten Mal richtig organisierten, wurde beschlossen, dass wir jemanden brauchen, der allen Distrikten zeigt, dass sie sich wehren müssen, ja jedem Bürger Panems. Die einzige Möglichkeit, mit dem ganzen Lande zu kommunizieren sind… die Hungerspiele. Tatsächlich haben wir alle Hoffnungen darauf gelegt, eines Tages diesen Tribut zu finden. Jedes Jahr versuchen die Sieger, die mit uns im Kontakt stehen, zu diesem Zweck einen geeigneten Kandidaten zu finden. Die meisten wissen nichts von ihrem Schicksal, denn wer würde sich schon für dieses gefährliche Vorhaben melden? Unsere derzeitigen Hoffnungen liegen bei zwei jungen Leuten aus Distrikt zwei. Ob der Junge, oder das Mädchen, ist egal. Hauptsache einer. Vielleicht klappt es ja dieses Jahr. Aber das wir einen Anwärter aus zwölf haben, das sind große Neuigkeiten. Auch Savannah scheint neugierig. „Aber zwölf… jedes Jahr stellen sie nur kleine, magere Kinder! Wir brauchen doch einen Sieger!“, gibt sie zu bedenken. Mags schüttelt mit einem weisen Lächeln den Kopf. „Die Starken sind schlau genug, sich vor dem System zu verstecken.“ „Aber wer ist es?“, frage nun auch ich, denn ich bin ebenso gespannt auf die Nachrichten. „Ein Junge. Gerade 14 Jahre alt, also noch zu jung, doch er hat seinen Vater verloren und sorgt ganz alleine für seine ganze Familie. Man glaubt in Friedenswächterkreisen, dass er rebellische Tendenzen hat.“ Sie blickt uns an. „Er hat seinen Distrikt verlassen und die Grenzen dieses Landes überquert. Wenn er nicht zu einem Symbol der Rebellen werden könnte, wer dann?“ Dann lehnt sie sich zurück und alles ist, wie vorher, als hätten wir nie darüber geredet. „Ich freue mich schon so auf den Limettenkuchen!“, ruft sie aus und blickt hungrig in Richtung des Büffets. Abwesend stimme ich ihr zu, doch ich kann sehen, dass auch Savannah und Beetee nachdenklich geworden sind. Was wird sein, wenn es wirklich so weit ist? Für wen wird es zu spät kommen und wen können wir retten? Aber am allermeisten wiegt die Frage: Werden wir siegreich sein? Das Bankett zieht sich eine Weile und ich kann einige Sieger beobachten, die Haymitch Beispiel folgen und zum Alkohol greifen, jedoch schaut keiner so tief ins Glas, wie Haymitch es tut. Es dauert nur eine halbe Stunde, bis er mit offenem Mund, sabbernder Weise am Tisch einschläft, doch keiner schenkt dem Beachtung. Wir tauschen uns aus über die Spiele, unsere Tribute und stellen Vermutungen über die Paradeoutfits an. Nachdem Haymitch jedoch erwacht ist und lallender Weise direkt in das Büffet gekracht ist, bei dem Versuch, sich abzustützen, kommt das Siegerbankett langsam seinem Ende entgegen, denn niemand mag mehr den Wackelpudding essen, in dem Haymitch seine Haare gebadet hat. Schließlich werden wir auch schon wieder von Friedenswächtern hinausgeleitet, ein klarer Beweis für das Misstrauen des Kapitols in seine „Schäfchen“. Mit dem Fahrstuhl begeben wir uns wieder hinab, in die Grundebene des Vorbereitungscenters. Aufgereiht an der Wand stehen bereits die Wagen, jeder mit dem Symbol seines Distriktes versehen. Vor jedem Wagen angeschirrt sind Pferde verschiedener Farben. Die aus Distrikt vier sind dieses Jahr schneeweiß. Unsere Tribute stehen bereits hinter dem Wagen, umringt von dem Vorbereitungsteam. Ich erkenne Roan und Rosetta, auch Vivette und Alexis sind wieder dabei. Aber vor allem bemühe ich mich, einen Blick auf unsere Tribute, auf Annie, zu erhaschen. Und dann sehe ich sie. Rote Haare rahmen ihr Gesicht ein, grüne Schuppen an den Beinen verwandeln sie in eine Meerjungfrau, ebenso wie die schlichte hautfarbene Korsage. Ein Fischernetz aus silbrigem Stoff ziert ihre Hüfte. In diesem Aufzug erscheint sie mir wie ein anderer Mensch. Riesig und stark… einfach beeindruckend! Dennoch bitte ich Mags und den Rest, schon einmal vorzugehen, denn jetzt ist der letzte Teil unserer sorgsam ausgearbeiteten Informationsreihe dran. Möglichst unauffällig schlendere ich durch die Halle, bis ich an einer Schale mit Zucker angelangt bin. Er ist für die Pferde gedacht, zur Beruhigung. Ich nehme mir eine Handvoll, schiebe mir unauffällig ein Stückchen in den Mund und gehe dann betont ruhig und gefasst zu dem Wagen aus Distrikt sechs, als wolle ich mit Gladys noch kurz plaudern, doch diese ist grade damit beschäftigt, ihrem jungen, weiblichen Tribut Mut zuzureden. Doch Cora, mein Ziel, hat mich bereits erspäht. Ein Ausdruck von Begeisterung stiehlt sich auf ihr Gesicht und sie kommt auf mich zu. Während sie mich begrüßt und wir einen Moment lang höfliche Floskeln austauschen, streichelt sie die Pferde. Schließlich lehne ich mich, nur für einen kurzen Moment, etwas weiter zu ihr und flüstere eilig: „Zwei bald fertig. Neues Objekt in zwölf. Start in zwei, drei Jahren. Wir bereiten uns vor.“ Sie lächelt nur, schnappt sich einen Zuckerwürfel und blickt mich einen Augenblick lang undurchdringlich an. „Alles klar, Mr. Odair. Wir hoffen, dass alles zu ihren Wünschen laufen wird.“ Einen Moment lang blicke ich Cora hinterher. Eines Tages tauchte sie bei Mags auf der Türschwelle auf und gestand, sich von einer Zugfahrt davongestohlen zu haben, da sie sich der Rebellion anschließen wolle. Mags hat nie darüber geredet, was jemandem wie Cora, die einen gut bezahlten Job bei der alljährlichen Parade innehat, sich uns anschließen wollte, doch sie hat beschlossen, ihr zu vertrauen, also tue ich es auch, denn ich vertraue Mags Urteil. Zufrieden kehre ich zu unserem Wagen zurück, an dem gerade die letzten Vorbereitungen getroffen werden. Roan trägt zwei übergroße, goldene Dreizacke in der Hand, oder besser gesagt: Attrappen, denn die Dreizacke sind natürlich nicht echt. Er drückt Pon und Annie jeweils einen in die Hand und mustert einen Moment lang selbstzufrieden sein Werk. Einzelne Haarsträhnen werden mühsam gerichtet, dann verzieht er sich endlich. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht geselle ich mich zu unseren Tributen. Zeit, ihnen Mut zu machen. „Was hast du mit Annie gemacht?“, frage ich belustigt, während ich die Pferde mit dem restlichen Zucker füttere. Diesmal bleibt sie gefasst und entgegnet angestrengt: „Sie wurde in eine kitschige Meerjungfrau verwandelt.“ Ich lächle, doch ich weiß auch, unter welchem Druck sie steht, gleich dort hinauszumüssen, wo alle Blicke auf sie gerichtet sein werden. Ja, ich empfinde Mitleid, mit ihnen beiden. „Fühlt euch so, als ob ihr bereits die Sieger wärt. Stellt euch vor, das wären alles Leute aus Distrikt 4. Zeigt Freude, selbst wenn ihr keine fühlt.“ Dies ist mein einziger, wahrer Tipp. Ich kann ihnen nicht helfen, denn letzten Endes müssen sie diesen Auftritt selber schaffen. Dennoch will ich ihr etwas mitgeben, einen Funken Hoffnung. Einer spontanen Idee folgend ergreife ich ihre Hand und drücke sie kurz, wobei ich ihr fest in die Augen gucke, doch ihre meergrünen Augen scheinen schon längst auf die Parade gerichtet zu sein. „Sei schön und stark“, wispere ich, in der Hoffnung, zu ihr durchzudringen. Die Wagen setzen sich in Bewegung und auch unsere schneeweißen Pferde traben an. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend blicke ich ihnen nach, doch ich habe gar nicht erst lange Zeit, zu überlegen, denn sofort erscheinen wieder die Friedenswächter, um uns zu unseren Sonderplätzen auf der Tribüne zu geleiten. Mit einem Speeder, einem besonders schnellen Auto fahren sie uns in Gruppen zu dem letzten Abschnitt der Tribüne, direkt unter Snows Haus. Die Plätze der Sieger befinden sich direkt unter dem Sternenhimmel. Als ich mich zwischen Trexler und Mags eingeklemmt auf die Tribüne setzte, merke ich, wie meine Aufregung zurückkehrt. All das hier erinnert mich so sehr an mich selbst, als ich auf diesem Wagen stand, eingekleidet in Fischerhosen und Hemd. So viele Gesichter und Eindrücke, die auf einen einstürmen… besonders um den kleinen Pon mache ich mir Gedanken, schließlich ist er doch erst zwölf! Es dauert eine Weile, bis die ersten Wagen in unsere Sicht kommen, doch die Leute jubeln schon, bevor sie die Tribute überhaupt erst richtig zu Gesicht bekommen haben. Distrikt eins ist erwartungsgemäß luxuriös gestaltet, in diamantene Kleider, mit affigen Krönchen. Das Mädchen schafft es sogar, ihren Partner zu überstrahlen. Sie hat eine wahrlich einnehmende Art. Ich sollte sie im Auge behalten. Auch Distrikt zwei hat eine starke Präsenz, auch wenn die Tribute hier in spartanische Rüstungen gekleidet sind, die jedoch die brutalere Aura der Beiden hervorragend unterstützt. Distrikt zwei, der Kämpferdistrikt. Hier habe ich immer ein Auge drauf, denn nicht umsonst stellt Distrikt zwei den größten Anteil an Siegern in der Gesamtstatistik. Die armen Tribute von Wiress und Beetee sind deutlich jünger und unsicherer, zudem stecken sie in den wohl hässlichsten Metallgebilden seit Menschengedenken. Ich höre Mags seufzen und Verwünschungen auf die Stylisten aussprechen. Und dann kommen sie. Strahlend schön aus der Dunkelheit, lächeln und tatsächlich winkend. Mysteriöser Weise trägt Annie einen Blumenkranz auf dem Kopf, den sie vorher nicht trug. Ich glaube kaum, dass einer der blumenwerfenden Zuschauer so gut zielen kann… Auf eine unbestimmte Art nimmt mich ihr Anblick gefangen. Wie stolz sie auf dem Wagen stehen, schaffen sie es tatsächlich, das Publikum in ihren Bann zu ziehen, obwohl Caesar und Claudius sich anfangs so abfällig geäußert hatten. Wir dürfen nur nicht die Hoffnung aufgeben! Doch ehe ich mich versehe ziehen sie an uns vorbei, auf den Hauptplatz, und Distrikt fünf erscheint in meinem Sichtfeld. Elektrisierende, blaue Blitze zucken über die schwarzen Overalls der Tribute. Strom. Ein wirklich ausgezeichneter Einfall für fünf! Vor allem aber die Tribute sind eine Überraschung. Ein 18-jähriges Mädchen und ein 14-jähriger Junge, aber beide sind herzlich und winken, ohne ein Anzeichen von Schwäche. Die nachfolgenden Wagen enthalten immer öfter junge, ausgemergelte Gesichter, die angstvoll unter ihren gräulichen Outfits hervorlugen. Kaum einer von ihnen scheint glücklich und der Jubel des Publikums verblasst, doch wir klatschen immer noch und pfeifen, aus Solidarität mit den anderen Distrikten. Schließlich stehen sie alle in Reih und Glied vor Snows Residenz. Erste Blicke werden zur Seite geworfen, die Karrieros scannen bereits ihre Gegner, während die Musik mit einem Tusch verklingt. Annie und Pon dagegen umklammern den Wagen, als befürchteten sie, herunter zu fallen, wenn sie sich nicht fest genug festhalten würden. 24 Gesichter, 24 Geschichten. Nur ein Sieger. Ich schließe für einen Moment die Augen und spüre, wie müde ich bin. Diese Geschichte muss ein Ende finden! „Wir bewundern alle ihren Mut und ihre Tapferkeit, sich in den 70. Alljährlichen Hungerspielen zu messen!“, eröffnet Präsident Snow seine Rede, „Hier sind sie, die Tribute!“ Ein letztes Mal ohrenbetäubender Jubel, ehe Snows ewige Tirade über die Fehler der Distrikte beginnt. Doch anstelle dieser Rede, die ich irgendwann auswendig gelernt habe, zu verfolgen, beobachte ich lieber weiter unsere Tribute. Annie mustert interessiert ihre zukünftigen Gegner, doch ohne Bosheit im Blick zu haben, wie die Tribute aus eins und zwei. Einen Moment lang hält sie den Blickkontakt zu dem Jungen aus neun. Mit dem Ellenbogen stupse ich Mags an. „Was hältst du von dem aus neun?“ Überrascht zieht Mags eine Augenbraue hoch. „Er wird alles für seinen Sieg tun. Ich glaube nicht, dass wir uns mit ihnen verbünden sollten.“ Ich nicke bloß, während Snow endlich zum Ende seiner Rede kommt. „Wir sollten die Sache im Auge behalten. Merke dir neun auf jeden Fall vor. Nur der Junge. Oh, und fünf.“, weise ich Mags an, deren Augen leicht belustigt funkeln. „Seit wann hast du denn hier die Regie übernommen, Finnick?“, fragt sie. Ich blinzle. „Ein Team, Mags. Ein Team sind wir.“, erwidere ich. Sie lächelt. „Siegreich werden wir sein“, ergänzt sie und wendet den Blick wieder auf die Tribute, die jetzt in die Trainingshalle einfahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)