Aventüre von alpharize (Sanada & Yukimura) ================================================================================ Kapitel 1: Gala I ----------------- Kapitel Eins - G a l a - 18. Oktober 2010 – 21:00 Uhr Langsam durch die Schar hindurch watend, besah sich der dunkelhaarige Mann die Menschen im Raum. Einige der vom Schein des Kronleuchters in goldenen Schimmer getauchten Gesichter, die den Raum ausfüllten, kannte er. Der junge Mann hatte sie bereits bei anderen Veranstaltungen oder Interviews kennengelernt. Seit er in seinem Beruf erfolgreich war, bewegte er sich oft auf Festlichkeiten wie dieser, um dem Drängen seiner Managerin nachzugeben. Er wusste sogar, dass sie Recht hatte mit dem was sie sagte und dass er ihrem Eifer seinen Erfolg zu verdanken hatte, denn ohne sie wären seine Bücher niemals so berühmt geworden. Dennoch lag ihm nicht viel an dieser Art von Gesellschaft, deren Beiwohnen in den Augen aller anderen ein Privileg war. Sanada war ein Mensch, der zurückgezogen lebte, und die meisten Leute, welche ihm begegnet waren, hatten das bereits gut genug erkannt, um es schon jetzt mit seinem Image zu verflechten. Es war ein tadelloses Image. Er galt als bescheiden, höflich und konservativ. Ein talentierter junger Mann, der eher ruhig und zurückhaltend war, sich weder auf seinem Erfolg ausruhte, noch hochmütig wurde und beständig weiter gute Arbeit leistete. Der einzige Schandfleck auf seiner weißen Weste war, dass er mit seinen 28 Jahren noch immer nicht verheiratet war. Aber es war ein allzu süßer Schandfleck, den niemand ihm übel nahm. Viel mehr umgab ihn das mit einer süßen Versuchung, deren romantischer Interpretation die Damenwelt nicht widerstehen konnte. Selbst er realisierte wie die Frauen ihn umschwirrten, obwohl Sanada eigentlich völlig resistent gegen solche Bemühungen war. Dafür war er viel zu nüchtern, viel zu wenig Frauenheld – und viel zu schlecht im sozialen Umgang; selbst wenn den Frauen sogar seine stoische Schroffheit zu gefallen schien anstatt das sie davon abgestoßen wurden. Bis jetzt hatten ihm die Gäste dieser Benefizveranstaltung noch nicht allzu sehr zugesetzt, aber er wusste, dass das nicht mehr besonders lange so bleiben würde. Seine Managerin war vor kurzem eingetroffen und auf der Toilette verschwunden, sobald sie jedoch dort fertig war und befunden hatte, dass sie für ihren öffentlichen Auftritt perfekt aussah, würde er den Kontakt alleine deswegen schon nicht mehr meiden können, weil sie ihn zu verschiedenen Gästen für ein höfliches Vorstellen ziehen würde. Sie hatte ihm unzählige Male erklärt wie wichtig es für ihn war Kontakte zu knüpfen, um ein gutes Ansehen zu halten und auszubauen. Wenn er seine gerade begonnene Karriere halten wollte, war das unumgänglich. Dennoch war es der unliebsamste Teil für den jungen Autor und da die engagierte Frau genau wusste, wie schwer sich ihr Schützling mit diesen Dingen tat, hatte sie kurzerhand selbst das Kontakteknüpfen übernommen. Er schob sich höflich grüßend an zwei Frauen vorbei - unter denen ihn eine erkannte - noch ehe sie ihn in ein längeres Gespräch verwickeln konnten und suchte einen Punkt im Raum an dem Suzuki ihn nicht zu schnell finden würde, wenn sie von der Toilette wieder kam. Sie würde schon dafür sorgen, dass er an diesem Abend mehr als genug Bekanntschaften machte und so stahl er sich gerne noch ein paar Minuten Ruhe. Leider gelang ihm das nicht wirklich, denn in seiner Flucht vor den Damen übersah er einen Mann seines Alters mit auffallend blauem Haar, dessen Spitzen sich in schmeichelnden Wellen um dessen Gesicht legten. „Guten Abend“, sprach dieser ruhig, mit einer samtweichen Stimme, deren Ruhe jedoch eine unterschwellige Autorität nicht zu verbergen wusste. Er lehnte an der Wand, gekleidet in einen schlichten schwarzen Anzug, der aber ohne Frage ein kleines Vermögen gekostet haben mochte, und musterte seinen ‚Besucher‘ aus blauen Augen, die zwar zu seinem Haar passten, seinem Aussehen aber ansonsten etwas Exotisches gaben. Sanada drehte sich etwas überrascht und ertappt um. „Auch auf der Flucht?“, fragte der Blauhaarige nun und legte leicht amüsiert den Kopf schief. Jetzt fühlte sich der Autor erst recht ertappt und er strich eine Falte an seinem Jackett grade, registrierte aber den kameradschaftlichen Tonfall und die Formulierung, die sie eher als Gleichgesinnte auswies. Ehe er jedoch antworten konnte, hatte der Mann sich vorgestellt und streckte ihm eine zierliche Hand entgegen. „Ich freue mich einen Gleichgesinnten kennenzulernen, der scheinbar auch kein übermäßiges Interesse daran hat, in den Lobeshymnen besonders der weiblichen Besucher zu baden. Mein Name ist Yukimura Seiichi – wir sind uns schon mal begegnet.“ Sanada ergriff die Hand, welche einen erstaunlich angenehmen, festen Griff hatte und durchforstete sein Gedächtnis. Er hatte diesen Mann schon einmal gesehen? Eine so auffallende Erscheinung hätte er sicherlich nicht vergessen, dennoch erinnerte er sich an diese Person nicht und wurde sich unangenehm der verstreichenden Zeit bewusst, die seine Unkenntnis verriet. Gerade als er sich entschuldigen wollte, begann der Blauhaarige bereits wieder zu reden und winkte beschwichtigend ab. „Nur keine falsche Scheu, man kann sich nicht jeden merken, auch wenn ich ehrlich gesagt ein bisschen in meinem Stolz verletzt bin, dass Sie mich vergessen haben“, sprach Seiichi nun mit deutlich neckendem Tonfall, der verriet, dass er dem Autor diese Gedächtnislücke absolut nicht übel nahm. Dann setzte er nach: „Es war nur flüchtig auf einer Ihrer Signierstunden. Bei den vielen Gesichtern die Sie dort sehen wundert es mich nicht, dass Sie sich nicht an meines erinnern können.“ Jetzt erinnerte Sanada sich tatsächlich. Es war bei einer der Signierstunden im letzten Monat gewesen und er erkannte in ihm einen der interessantesten und angenehmsten Leute an diesem Abend, der ihn schon dort mit einem angenehmen Gesprächswechsel erfreut hatte. Er lächelte leicht – und registrierte nicht die Reaktion der Frauen in seiner Umgebung. Seiichi dagegen nahm sie durchaus wahr – was wohl mit der Tatsache einherging, dass er selten etwas in seiner Nähe außer Acht ließ, selbst wenn es ihn nicht betraf. Und er konnte sich das spöttische Heben einer elegant geschwungenen Augenbraue nicht verkneifen. „Jetzt erinnere ich mich“, sagte Sanada endlich. „Sie hatten eine der wenigen Ausgaben meines ersten Buches zur Signierstunde in Tokio mitgebracht. Entschuldigen Sie bitte, dass es einen Moment gedauert hat.“ Der Mann erwiderte nun das Lächeln, welches Sanada ihm schenkte und der Spott über die Frauen wich aus seinem Gesicht, als er erneut abwinkte. „Freut mich, dass ich doch noch Eindruck schinden konnte - hoffentlich nur Guten.“ Ein Lächeln begleitete die Worte des Mannes, welches ihn weniger schelmisch, als vielmehr raubtierhaft wirken ließ, selbst wenn es nur ein sehr verschleierter Eindruck war, den wohl nur jemand haben konnte, der genau hinsah und beobachtete. Ein feiner Hauch unterschwelliger Gefahr und Sanada fragte sich einen kurzen Moment, ob noch mehr hinter diesen Worten steckte. Obwohl er seine Worte ernst zu meinen schien, war der Ältere sich nicht sicher ob es Yukimura überhaupt stören würde, negativ aufzufallen. Und angesichts des Auftretens des Blauhaarigen konnte Sanada die Frage im Prinzip bereits jetzt recht sicher mit einem Nein beantworten. „Selbstverständlich“, antwortete er dennoch. Tatsächlich war der Autor froh, dass es dieser Mann war, der ihn angesprochen hatte, denn er erinnerte sich an ihn als einen zwar sehr direkten, aber nicht aufdringlichen Gesprächspartner und die Tatsache, dass er sich bereits in einem Gespräch befand würde ihn vor anderen, unliebsameren Gesellschaftern, schützen. „Sie sind erstaunlich talentiert darin durch die Menge zu wandern und überall aufzufallen, ohne auch nur in ein Gespräch verwickelt zu werden“, kam sein Gegenüber nun wieder auf das Ursprungsthema zurück, als ob er Sanadas Gedanken gelesen hätte. Der Ältere zögerte, doch Seiichi sprach bereits weiter. „Ich kann Ihre Unbehaglichkeit durchaus nachvollziehen. Durch die Menge zu wandeln – zumindest bei solchen Veranstaltungen – kann bei der Anwesenheit all dieser heiratswütigen Frauen für jemanden wie Sie natürlich ähnlich einem Spießrutenlauf sein. Auch wenn das Interesse, welches Sie erregen, ja durchaus für Sie spricht.“ Die blauen Augen musterten Sanada nun auf diese eigentümliche Art und Weise, die selbst einem Menschen das merkwürdige Gefühl gab, sich einem Raubtier gegenüber zu sehen, bei dem es nur darauf ankam, falsch zu reagieren, um dessen Wut auf sich zu ziehen. Nun stieß Seiichi sich von der Wand ab und trat einen Schritt auf Sanada zu, befand sich ihm nun genau gegenüber und es wurde deutlich, dass der Blauhaarige nicht nur zierlicher sondern auch etwa einen halben Kopf kleiner war als der Autor. „Haben Sie vielleicht Interesse daran, dieser Meute für eine kurze Weile zu entgehen?“ Sanada sah auf diese imposante Gestalt hinunter, ein wenig überrascht über dieses Angebot. Er hätte nicht gedacht, dass es eine solche Möglichkeit gab und es reizte ihn herauszufinden wie sie aussah. Dennoch wusste er, dass es seiner Managerin gegenüber eigentlich etwas unfair wäre und sie würde sicherlich einiges zu meckern haben, wenn sie ihn letztlich wiederfand. Zögernd hob der Autor den Blick und besah sich die Menge im Raum, welche ihn in die Akustik stetigen Gemurmels tauchte. Mit einem Stirnrunzeln nahm er einige besorgte und verwunderte Gesichter wahr – Ausdrücke mit denen man ihn normalerweise nicht musterte. Als er einer Bewegung in der Menge folgte, erkannte er Suzuki, welche energisch auf ihn zuschritt und er fragte sich bei ihrem Gesichtsausdruck, ob sie überhaupt etwas anderes als ein „Nein“ zulassen würde. „Sanada-san, schön dass ich Sie finde“, sagte sie, kaum dass sie ihn erreichte. „Wie ich sehe, haben Sie sich auch gut ohne mich zurecht gefunden. Es tut mir leid Ihre Unterhaltung zu unterbrechen, aber wir müssen dringend über ein paar geschäftliche Dinge reden. Sie würden uns doch sicherlich entschuldigen, nicht wahr?“ Bei den letzten Worten wandte sie sich zwar flüchtig Seiichi zu, ließ ihm nicht wirklich Zeit zum Antworten. Seiichis Gesichtsausdruck spiegelte jedoch deutlich wider, dass er die Frau nur gewähren ließ, um weiteren Ärger für Sanada zu vermeiden – nicht etwa, weil ihm selbst etwas daran gelegen war. Schon zog sie den jungen Autor bei Seite und redete weiter. „Es ist wirklich wichtig, kommen Sie.“ Langsam ließ Sanada sich mitziehen und fragte sich, was passiert sein mochte. Normalerweise benahm Suzuki sich so nicht und er machte sich nun ernsthafte Sorgen. Dennoch schwieg er und wartete, bis sie ihn zu einer Sitzgruppe mit reichlich Abstand zu dem jungen Blauhaarigen gezogen hatte. „Setz dich“, lautete ihr unverhohlener Befehl der jegliche Höflichkeit zur Seite schob. Sanada tat wie geheißen und sie kam ihm nach. „Hast du eigentlich eine Ahnung mit wem du dich da gerade unterhalten hast?“ Offensichtlich hatte Suzuki nicht vor um den heißen Brei zu reden. „Willst du dir deine gesamte Karriere direkt an ihrem Beginn versauen?“ Sanada verstand nicht. „Ich dachte ich sollte Kontakte knüpf-“ „Aber doch nicht mit ihm!“, fiel die junge Frau ihm ins Wort. Er blinzelte etwas irritiert, aber ansonsten völlig ruhig und stoisch - wie immer. Suzuki fuhr sich nach einem Moment mit der Hand übers Gesicht. „Ich glaub‘s nicht, du hast tatsächlich keine Ahnung, nicht wahr?“ Sie hob den Blick wieder und sah ihn an. „Du hast keine Ahnung wer das ist.“ Keine Frage, sondern eine Aussage, denn dass es so war, stand Sanada deutlich ins Gesicht geschrieben. Eine Weile betrachtete sie ihn nur forschend, ehe sie frustriert seufzte und sich in ihrem Stuhl zurück lehnte. „Siehst du denn wirklich niemals fern? Ich dachte du liest die Zeitung!“ „Das tue ich.“ „Aber wie kannst du dann nicht wissen wer er ist? Der Mann dort, mit dem du dich so gut unterhalten hast, ist überall bekannt. Er wird verdächtigt eine regelrechte Größe in der Unterwelt zu sein, auch wenn man ihm nie etwas nachweisen kann – nicht einmal eine Zugehörigkeit. Und das Ominöse an ihm ist, dass nicht einmal seine Gegner seine Identität preiszugeben scheinen. Die Gerüchteküche schreit schon den Verdacht hinaus, dass er der Mann ist, der die Yakuza-Clans in letzter Zeit so ruhig hält – wie auch immer er das anstellt.“ Sanadas Blick wanderte ganz automatisch zurück zu der Stelle wo sie Seiichi zurück gelassen hatten. Ein mächtiger Untergrundboss? Kaum, dass er die Stelle mit den Augen suchte, fand er den jungen Mann. Noch immer stand Seiichi dort, wo Sanada ihn eben recht überstürzt hatte stehen lassen, nur lehnte er nun wieder selbstsicher an der Wand, so als ginge ihn das alles was um ihn herum geschah nur so viel an, wie er es wollte. Auch über die Entfernung hinweg konnte der Autor den nahezu stechenden Blick spüren und doch lächelte er. Ja, Sanada konnte sich vorstellen, dass es solche Gerüchte über einen Mann wie ihn gab. Und plötzlich musste er an die Worte denken, die er ihm vorhin gesagt hatte und den Eindruck, welchen sie ihm vermittelt hatten. Jetzt wusste Sanada, was der Grund für diese Ambivalenz gewesen war: Seiichi konnte nicht mehr negativer auffallen, als er es bereits getan hatte. Das, was er gegenüber dem Braunhaarigen angesprochen hatte, war für ihn eine Lappalie – wenn er der Sache überhaupt eine tiefere Bedeutung zumaß. Und das nächste was Sanada bemerkte war, dass der Blick aus den blauen Augen zu seiner Managerin wanderte, und diese mit unverhohlener Abneigung musterte. Ganz ohne Zweifel wusste Seiichi genau, was sie Sanada just in diesem Augenblick erzählte. Seltsamerweise schien es – wenn es denn stimmte – nicht das zu sein, was den jungen Mann störte. Es schien ihm tatsächlich völlig egal zu sein. „Verstehst du jetzt – Sanada! Sieh nicht so offensichtlich hin!“ Er tat was Suzuki verlangte, aber er war sich sehr sicher, dass ihre Bemühungen weit zu spät kamen. Er glaubte sogar, dass Seiichi bereits gewusst hatte, dass er das erfuhr noch bevor er ihn überhaupt angesprochen hatte – erst recht, als Suzuki ihn fort gerissen hatte – und der Blick aus diesen außergewöhnlichen Augen bestätigte seine Vermutung. Dennoch sagte er nichts. „Und ausgerechnet dieser Mann ist der Einzige, mit dem du bisher ganz von dir ausgesprochen hast, freiwillig! Weißt du was für ein Licht das auf dich wirft? Und was noch viel schlimmer ist: Er ist gefährlich!“ Oh ja… Der Autor hatte durchaus eine Vorstellung davon was in den Köpfen der Leute vorgehen musste, selbst wenn sein Einfühlungsvermögen - und eigentlich auch das Interesse - äußerst gering waren. Schon alleine weil er es in den irritierten und neugierigen Gesichtern sah, die ihn hin und wieder musterten – und deren Bedeutung er erst jetzt zu verstehen begann. Sein Blick schweifte erneut unauffällig an Seiichi vorüber – und blieb dort hängen, als der Blauhaarige ihm fast schon absichtlich auffällig zuwinkte. Nein, Seiichi machte wirklich keinen Hehl daraus, dass ihm das, was die anderen Anwesenden hier dachten, relativ egal war. Sanada sah zu wie der Blauhaarige ihn eindringlich ansah und mit diesem Blick hinter einer Tür verschwand neben der er gelehnt hatte. Eine Einladung? Oder eine unmissverständliche Aufforderung, die keine Ablehnung duldete? Irritiert sah Sanada eine Weile auf diese Tür. Er war sich ziemlich sicher, dass der Blauhaarige wusste worüber sie gesprochen hatten und doch schien er an seiner Einladung – und Sanada glaubte trotz dem, was er gehört hatte, dass es nicht mehr war als eben das - festzuhalten. Sollte er sie annehmen? Er sah wieder zu Suzuki, die erschöpft etwas trank. Ihr gegenüber verursachte die Erwägung leichte Gewissensbisse und er wusste, dass sie recht hatte. In der jetzigen Situation mit diesem Mann zu verschwinden war absolut unpassend. Wieder sah Sanada die Tür an. Würde überhaupt jemand merken wo er war, wenn er es geschickt anstellte? Die Frage, die ihn die ganze Zeit über beschäftigte war, was ihn hinter dieser Tür erwarten würde, wenn er dem so verschrienen Fremden tatsächlich folgte. Wenn das alles stimmte, warum war dieser Mann dann auf ihn zugegangen? Was konnte er für ein Interesse an einer Person wie Sanada haben – besonders allein? Kurz blitzte ein Szenario in seinen Ideen auf, über das er beinahe gelacht hätte. Obwohl Suzukis Worte das gar nicht als so unwahrscheinlich darstellten, konnte Sanada sich nicht wirklich vorstellen, dass dieser Mann ihn in eine Falle lockte – aus dem einfachen Grund heraus, dass er kein nennenswertes Ziel darstellte. Genau das war der Punkt. Was wollte Yukimura Seiichi von einem gänzlich einflusslosen Mann wie ihm? „Wirklich, du machst es mir manchmal nicht leicht, Sanada.“ Suzuki riss ihn aus seinen Gedanken und er sah sogleich wieder sie an. „Du musst dringend lernen, dich etwas geschmeidiger in der Gesellschaft zu bewegen, versprichst du mir das?“ Er sollte ihr nicht sagen mit welchen Gedanken er spielte – noch nicht einmal von der Einladung sollte er ihr erzählen. Schweigend nickte er und tatsächlich meinte er seine Zustimmung auch so. Suzuki war einer der wenigen Menschen in seiner Umgebung die es gab und eine der besten Managerinnen. Sie tat mehr für ihn, als eigentlich in ihren Aufgabenbereich fiel. Und er war ihr sehr dankbar für all ihr Engagement, wusste, was er ihr schuldig war, einfach nur für ihre gute Arbeit. Sie hatte sich seinen Respekt verdient, obwohl in seinem Alter war – sogar jünger. „Ich werde mir Mühe geben“, bekräftigte er seine Worte noch. Als er ihr erleichtertes Lächeln sah, fühlte er sich fast wie ein räudiger Lügner. „Ich weiß ja, dass es dir nicht leicht fällt und das muss es auch gar nicht. Aber sowas“, und sie ließ keinen Zweifel was genau damit gemeint war, oder besser, wer, „kann wirklich zu großen Problemen führen.“ Sie stellte ihr leeres Glas auf den Tisch zurück. „Das hier ist übrigens unser Platz für diesen Abend. Tisch 17. Ich hätte gerne Gruppentische gehabt, aber ich denke dir ist es lieber, wenn wir alleine sitzen und der Veranstalter hat dir da ausnahmsweise mal in die Hände gespielt“, erklärte Suzuki, bevor sie auf ein kleines dreieckiges Schild deutete. „Die Nummer steht hier auf den Tischkarten, sodass du unseren Tisch jederzeit wiederfinden kannst. Merk sie dir also gut.“ Der Autor hörte ihr schweigend zu und folgte ihrem Fingerzeig. Mit einem Nicken bestätigte er ihre Worte ab und zu, bis sie zufrieden lächelte. „Also gut. Dann bist du vorerst versorgt. Ich muss mit dem Personal noch ein paar Dinge besprechen für die Präsentation um elf. Ich lass dich also nochmal für eine Stunde alleine, aber stell mir bitte nichts an, ja?“ Der Autor blinzelte mit einem Schweigen, unschlüssig was er darauf erwidern sollte. Sie wusste ja gar nicht wie sehr sie ihm gerade in die Hände spielte und einen Entschluss besiegelte, den er zwar schon vorher gefasst hatte, jetzt aber nicht mehr zurück nehmen würde. Sanada wusste, dass es falsch war was er tat und dennoch hielt ihn das nicht ab. Zu seinem Glück störte Suzuki sich nicht an seiner fehlenden Antwort, da er auch sonst eher wortkarg war und stand auf. „Wir treffen uns in einer Stunde, wenn die Präsentationsreihe startet, hier am Tisch. Dann geb ich dir die letzten Instruktionen bevor dein Teil an der Reihe ist. Versuch den Abend ein bisschen zu genießen. Ich hab gehört, das Buffet soll sehr lecker sein.“ Sanada nickte und sie verabschiedeten sich vorerst. Fast wie von selbst fiel sein Blick nun wieder auf die Tür, kaum dass er wieder allein war. Zehn Minuten schlängelte der Braunhaarige sich durch den Raum. Er sprach sogar hier und da mit ein paar Leuten, auch wenn er kurz angebunden blieb und immer schnell weiter zog. Vielleicht weil er insgeheim wieder gut machen wollte, was er im Begriff war zu tun und wenigstens die Tatsache aus der Welt schaffen wollte, dass dieser Mann bisher der Einzige war, mit dem er freiwillig gesprochen hatte. Zwar hatte er ihn eigentlich gar nicht angesprochen, doch ihm war klar, dass Suzukis Schilderung der Dinge eher der öffentlichen Ansicht entsprach. Das Buffet ließ er stehen, obwohl er durchaus Hunger hatte, aber ihn drängte sein Weg in Richtung der Tür, welche sich seit Seiichis Verschwinden nicht mehr bewegt hatte. Der Braunhaarige wusste nicht was sich dahinter befand. Möglich, dass der Mann durch irgendein Treppenhaus verschwunden und schon gar nicht mehr da war - dann würde das seine Rettung sein. Es waren bereits fünfzehn Minuten vergangen, seit Yukimura Seiichi dort verschwunden war. Inzwischen war Sanada nur wenige Schritte von der Stelle entfernt an der Yukimura eben noch gestanden hatte. Sein Weg war sorgsam gewählt, sodass niemand sagen konnte, er wäre geradewegs hierher gegangen und noch hoffte er, dass man vielleicht auch nicht bemerken würde, wie er durch diese Tür schreiten würde. Nachdem der Autor ein letztes Gespräch beendet hatte und nun direkt vor seinem Ziel stand, sah er sich ruhig in seiner Umgebung um. Er war alleine, gerade schenkte ihm keiner Aufmerksamkeit und die vorherigen Blicke hatten sich allmählich etwas beruhigt, sodass er sogar recht unbeobachtet war. Es war seine Chance und wieder fragte er sich, ob er das tun sollte. Nein, er wusste genau, dass dem nicht so war, dennoch verschränkte er die Hände unauffällig hinter seinem Rücken, sodass er in der Lage war jederzeit unbemerkt die Türklinke zu erreichen. Einen Moment später tastete er danach, bis er sie in der Hand hielt. Wenn er ehrlich war, wusste er trotz seines Zögerns, dass er es tun würde. Dass er im Grunde seine Entscheidung bereits unmittelbar nach der Einladung getroffen hatte. Die Klinke gab leicht unter seinem Druck nach und er verschwand durch den Spalt ins Ungewisse. Das Ungewisse entpuppte sich in diesem Fall nicht als Treppenhaus oder Fluchtmöglichkeit, sondern als kleiner, angenehm beleuchteter Raum mit durchaus anspruchsvoller Einrichtung in hellen und dunklen Brauntönen. In der Mitte des Zimmers stand eine Sitzgruppe mit einem davor befindlichen Glastisch auf dem sich zwei Platten mit Sushi und anderen Kleinigkeiten befanden. Zwei Gläser und eine Flasche Wein konnte Sanada ebenfalls erblicken. Das Licht war etwas gedimmt, was dem Raum eine gemütliche Atmosphäre gab und aus einer Stereoanlage, die auf einem Regal an der Wand angebracht war, klang leise Klaviermusik. „Du bist gekommen“, stellte eine Stimme fest, deren Eigentümer er nicht gleich erblickte. Seiichi saß ruhig auf einem der Sessel, schaute Sanada an, als dieser durch die Tür schritt. Der Wechsel der Anrede geschah ganz automatisch und wirkte absolut natürlich. In der Stimme lag keine Bedrohung – aber auch keine Überraschung. Er hatte sein Jackett ausgezogen und es locker über die Lehne gehängt, den obersten Knopf des weißen Hemdes hatte er geöffnet und wirkte entspannt. „Setz dich“, sprach er nun wieder Sanada an und zeigte auf das gemütlich anmutende Sofa. „Ich weiß es zu schätzen, dass du dich trotz des unglaublich gut funktionierenden Buschfunks in meine Gegenwart traust. Ich gebe zu, dass ich neugierig bin. Was hat sie dir wohl erzählt?“ Die blauen Augen folgten Sanada, wie dieser abwägend langsam auf das Sofa zuging und sich hinsetzte. Sanada registrierte es zwar, doch in seinem Kopf war gar kein Platz, sich darüber zu echauffieren, dass der Blauhaarige direkt zum Du übergegangen war. „Lass mich raten“, war es nun wieder Seiichi, der weitersprach. „Du... weißt nun, dass ich unglaublich gefährlich bin. Der Wolf im Schafspelz, wenn man so möchte. Und dass ich ein Killer bin, der nicht vor schlimmen Taten zurückschreckt, hm?“ Mit einem süffisanten Lächeln ahmte er eine Krallenhand nach und tat so, als würde er nach Sanada schnappen, während ein imitiertes Raubtiergeräusch seinen Mund verließ. „Öde“, stellte er dann fest und lehnte sich mehr in den Sessel, ohne Sanada dabei aus den Augen zu lassen. Das war nicht ganz das was der Braunhaarige erwartet hatte. Hier unter vier Augen stellte sich der Mann durchaus ein wenig anders dar, als er es vorher in der Öffentlichkeit getan hatte – provokanter, beinahe aggressiver. Allerdings wusste er auch nicht was er denn tatsächlich erwartet hatte. Keine Bedrohung, wie er sich eingestand und die hatte er auch nicht bekommen. Obwohl die Situation etwas seltsam anmutete, fühlte er sich von dem Fremden nicht unter Druck gesetzt – in keinster Weise. Selbst die Süffisanz konnte Sanada nachvollziehen. Eine innere Stimme riet ihm dennoch sich nicht auf ein Gespräch über Suzuki einzulassen, zumal Sanada ein ganz anderes Interesse überhaupt hergeführt hatte. Er beschloss dem direkten Beispiel seines Gegenübers zu folgen und sprach seine Gedanken direkt aus: „Sie haben mich eingeladen. Ich frage mich was Sie sich davon versprochen haben.“ Sanada spürte den stechenden Blick, der nicht von ihm abließ, dennoch störte er ihn nicht wirklich. Er warf für den Autor keine Bedrohung, sondern nur Fragen auf. Nun erschien ein leichtes Lächeln, dessen genaue Bedeutung nicht gänzlich zu erkennen war, auf Seiichis Gesicht. „Ich habe dich sofort wieder erkannt, als du mit deiner liebreizenden Begleitung den Raum betreten hast. Und dabei habe ich mich auch direkt an unser Gespräch erinnert, bei der Buchbesprechung.“ Nachdenklich beugte Seiichi sich nun wieder vor und goss sowohl Sanada als auch sich Wein ein. „Ich habe mir erlaubt einen guten Tropfen hierher bringen zu lassen. Oh, und bitte nimm dir etwas zu essen. Du hast sicherlich Hunger.“ Weiterhin lächelnd zeigte Seiichi auf das Essen, reichte Sanada dann sein Glas. „Aber nun ehrlich... du weißt also jetzt wer ich bin? Oder... Nein anders. Was hat man dir gesagt? Und keine Sorge, du kannst ehrlich sein. Ich werde dir höchstens sagen, was davon stimmt und was nicht.“ Die Medien taten eh schon ihr übriges, wieso sollte er dann vor Sanada mit Lügen aufwarten. Nachdenklich trank er einen Schluck Wein und betrachtete den Autor nun wieder über den Rand des Glases hinweg. Der Mann hatte in Seiichis Augen etwas Besonderes an sich – schon allein, weil ihn das, was er von seiner Managerin ohne Frage gehört hatte, nicht abschreckte. Und dieses Verhalten rechnete Seiichi ihm sehr hoch an. Der Braunhaarige betrachtete das Weinglas. Er fragte sich wie viel er wohl kostete. Auch dieses Zimmer musste sicherlich ein kleines Vermögen gekostet haben - jedenfalls die Ausstattung. Zumindest musste Seiichi über ausreichend Geld verfügen, was auch immer von den Dingen, die man über ihn sagte, nun letztlich der Wahrheit entsprach. Sein Blick wanderte wieder hinauf in das Gesicht des Kleineren, musterte die blauen Augen und widmete sich dessen Frage. Egal was er nun sagte… würde er wirklich die Wahrheit hören? „Nun ja, es war dem was Sie vermutet haben nicht sehr unähnlich“, antwortete der Braunhaarige schließlich. „Es gibt Gerüchte über die Zugehörigkeit zur Unterwelt.“ Den Teil über die Negativauswirkung seiner Gesellschaft ließ der Autor bewusst aus und folgte dabei erneut einem inneren Gefühl. Sein Blick fiel nun wieder auf das Weinglas und er nippte daran, bevor er Seiichi wieder ansah – jeden Winkel seines Gesichtes genau musternd. Der Wein war wirklich sehr gut und er kam so willkommen wie das Essen, auch wenn Sanada noch immer nichts zu sich genommen hatte. Seinem Gegenüber war das nicht entgangen, doch er kommentierte dieses Verhalten nicht, stattdessen erhob er sich, das Glas weiter in der Hand und ging um das Sofa herum, sodass er hinter Sanada stand. Im Prinzip hatte er rein gar nichts zu verlieren – hätte der Autor Intentionen ihn zu verraten, so würde er nicht lange genug leben, um mit den neugewonnen Informationen etwas nützliches anzufangen. „Nun“, fing die sanfte Stimme fast direkt neben Sanadas Ohr an; augenscheinlich hatte der junge Blauhaarige sich ein bisschen hinunter gebeugt. „Es ist ganz simpel. Alles was du hören musst ist ein: Ja, es ist wahr. Und doch ist es weitaus komplexer. Halten wir doch zuerst fest: Ja, ich bin eine Größe der Unterwelt. Gemeinhin gibt es dafür auch eine Bezeichnung und du als Autor solltest sie kennen. Ich bin ein Yakuza. Wahrscheinlich wäre das noch gar keine so große Überraschung, aber tatsächlich habe ich wohl, ungeachtet meines Alters, sehr große Macht erlangt. Ich beherrsche einen großen Teil der japanischen Unterwelt und viele Dinge sind nur deswegen bislang nicht ausgeartet, weil ich meine schützende Hand darüber gehalten habe.“ Die ganze Zeit über hatte er ruhig, fast schon einfühlsam, gesprochen. Diese Art wirkte beinahe wie ein bisschen Hohn und doch war deutlich, dass es sich nicht gegen Sanada richtete. In allem was Seiichi im Augenblick tat stand die Aussage, dass der Autor nichts zu befürchten hatte. Dennoch konnte dieser den Schauer nicht verdrängen, der sich langsam seinen Rücken hinunter und dann wieder hinauf arbeitete. Es war keine Angst, obwohl er durchaus verstand, wie prekär und gefährlich seine Lage war. Es handelte sich um eine rein körperliche Reaktion, die seinen Verstand nicht erreichte – sein Körper versuchte ihn instinktiv zu warnen. Eine eigenartige Spannung lag in der Luft und Sanada antwortete eine ganze Weile gar nicht, saß einfach nur still und reglos da, das Kitzeln von Seiichis Atem direkt an seinem Ohr. „Warum verrätst du mir das wenn es stimmt?“, fragte er schließlich ohne sich entschlossen zu haben, ob er es glauben sollte oder nicht. „Deine Identität ist bisher unerkannt, nicht mal deine Feinde – sofern das alles der Wahrheit entspricht – verraten dich. Warum solltest du dieses Risiko eingehen? Ich könnte dieses Geheimnis schneller verraten, als du mich töten kannst.“ Erst jetzt wurde sich der Autor seines plötzlichen Wechsels zum viel persönlicheren Du bewusst. In dieser Situation, und besonders mit Seiichi, war es einfach natürlicher, auch wenn es nie seine Absicht gewesen war. Doch er scherte sich nicht darum. Viel mehr fragte er sich, wie klug diese waghalsige Aussage gewesen war. Sanada wollte den Mann nicht provozieren und derartiges schwang in seiner Stimme auch nicht mit. Es war schlicht eine Frage, eine Aussage über dessen Wahrheitsgehalt er sich sicher war – es sei denn, Seiichi würde ihn genau hier und jetzt umbringen. Abermals rannte ein Schauer auf seinem Rücken hin und her, konnte sich nicht entscheiden. Entsprach alles der Wahrheit und dieser Fremde stand nun hinter seinem Rücken und hielt in Wirklichkeit eine Waffe? Oder würde er eher versuchen ihn zu erwürgen? Vergiften? Sanada hatte keine Ahnung welche Methoden die Yakuza hatten und er wollte es eigentlich auch nicht wirklich wissen. Er hatte sich nicht einmal umgedreht. Hinter seinem Rücken konnte alles lauern. Dennoch saß er immer noch hier. Er glaubte nicht daran. Denn immer noch gab es für ihn keinen Grund. Er glaubte nicht, dass ein Mann in Seiichis Position Skrupel hatte zu töten, aber er schaffte sich auch nicht absichtlich Situationen in denen er dazu gezwungen war – nichts anderes wäre das jetzige Geschehen. Es machte nur dann nichts, wenn das Ziel ohnehin getötet werden sollte und Sanada hatte in seinem ganzen Leben nichts, das ihn für einen Yakuza oder irgendjemanden sonst in der Unterwelt interessant machte. Er hatte nicht mal Reichtum, auch wenn er sich inzwischen ein bequemes Leben leisten konnte und sich keine Sorgen zu machen brauchte. Er wusste nichts – bis jetzt. „Ich finde es nicht plausibel“, bekräftigte er seine Worte und Gedanken schließlich. Die ganze Zeit während Sanadas Gedanken Kreise gezogen hatte, war Seiichi still hinter ihm stehen geblieben. Fast hätte man annehmen können, er wäre gar nicht mehr da, wäre da nicht in regelmäßigen Abständen der ruhige, warme Atem der leicht an Sanadas Hals kitzelte. Als der Autor nun geendet hatte, erklang ein leises, fast schon angenehm amüsiertes Lachen. „Ich wusste, dass ich mich in dir nicht getäuscht habe. Du bist ein Mensch der hinterfragt, der nicht einfach nur Dinge als gegeben akzeptiert, weil sie ihm vor die Füße geworfen werden.“ Kurz machte der junge Mann eine Pause. „Deine Frage ist berechtigt, aber versuch es doch einmal von meinem Standpunkt aus zu sehen. In der Presse erzählt man ständig Dinge über mich – dort ist unter anderem auch ziemlich deutlich gemacht worden, wer ich bin und in welchem Milieu ich mich bewege; der Artikel war übrigens ziemlich schlecht – ich denke du hättest so etwas wesentlich bodenständiger schreiben können.“ Der Autor zuckte nicht einmal bei dem Lob, obwohl ihm die erneute Schmeichelei auffiel, ohne dass er weiteres damit hätte anfangen können; hätte festlegen können, warum ihm das auffiel und ihn wunderte. „Ich habe die Aussagen der Presse weder bestätigt noch habe ich sie je negiert, oder? Wenn mir also derartig viel an meiner Anonymität gelegen wäre, dann hätte ich doch in meiner – vermeintlichen – Position leichtes Spiel gehabt, solche Aussagen in der Presse zu unterbinden. Das wiederum hätte allerdings zur Folge, dass man es als Geständnis auffassen würde. Du weißt ja wie die Menschen heute denken, wenn sie es überhaupt tun.“ Sanada schwieg während der Kleinere sprach. Die sanften Klavierklänge aus den hochwertigen Lautsprechern in dieser angespannten Atmosphäre waren seltsam, doch Sanada hörte ihnen nicht wirklich zu. Er lauschte dem Mann hinter ihm, nahm die Worte auf und verwertete sie. Soweit stimmte das was der Blauhaarige sagte zwar, aber es erklärte trotzdem nichts. Es sparte die 'Wenns' und 'Abers' aus, die er hätte einwenden können. „Du kannst mit dem was ich dir gesagt habe rein gar nichts anfangen – ganz abgesehen davon, dass es dir nichts bringen würde. Das Geständnis allein, dass ich ein Yakuza Boss bin, bringt dich nicht weiter, weil es damit immer noch nicht all die Dinge bestätigt, mit denen man mich in den letzten Jahren in Verbindung gebracht hat – unter uns war kaum die Hälfte davon wirklich mir zuzuschreiben. Aber ich lasse die Leute einfach gerne glauben was sie wollen.“ Nun richtete Seiichi sich wieder auf, ging um das Sofa herum und nahm erneut Platz – dieses Mal jedoch genau neben Sanada auf der Couch. Dieser folgte ihm mit den Augen und sah ihn einfach nur an. Sein Körper vergaß, in seiner Konzentration auf die Worte Erleichterung zu signalisieren, als die Gefahr aus seinem Rücken verschwand. Er analysierte jedes Wort, das der Fremde ihm gab. „Du könntest zur Presse gehen und ihnen berichten, was ich gesagt habe – aber zum einen ist fraglich ob man dir glauben würde und zum anderen wärest du schneller tot als du denkst, wenn du nur die Intention hättest. Ich bin nicht dumm, das kann ich mir in meiner Position nicht erlauben. Und falls du dich nun immer noch konkret fragst, wieso ich es dir gesagt habe: Weil deine Managerin es dir bereits untergejubelt hat. Und ich schätze zwischen mir und meinem Gesprächspartner Klarheit. Ich habe kein Interesse daran, dass mich mein Gegenüber anschaut und in dessen Kopf immer die gleiche Frage kreist: Tötet er Menschen? Ist er wirklich so gefährlich?“ Fast schon entspannt lehnte Seiichi sich zurück und warf einen Blick aus dem Augenwinkel zu Sanada. „Und gerade du als Autor, aber in erster Linie als intellektueller Mensch, hättest dich genau diese Dinge gefragt. Nun weißt du es und bist noch nicht schreiend davon gerannt, was ein sehr gutes Licht auf dich wirft – zumindest aus meiner Sicht.“ Innerlich schüttelte Sanada den Kopf. Obwohl Seiichis Worte einer gewissen Logik entsprangen, hatte er seine Einwände. In diesem ganzen Monolog gab es mehrere Stellen an denen er seinen Widerspruch hätte einfügen können und alle sammelten sich nun ungeduldig auf seiner Liste. Der Eifer der Diskussion, das verbale Kräftemessen, die Suche nach der Wahrheit, ließ die Vorsicht weiter in Vergessenheit raten. Er wollte gerade ansetzen, als Seiichi, der innegehalten und nachgedacht hatte, wieder sprach: „Und.. meine Gegner tun ein Gutes daran mich nicht zu verraten – zum einen bringen die Deals mit mir ihnen gutes Geld und zum anderen ist nicht jeder Yakuza versessen darauf, den schnellsten Weg unter die Erde zu nehmen. Sie sind einfach schlau…. Zumindest viele von ihnen.“ Einen Moment ließ der Autor diese Worte nun doch auf sich wirken. Dieser Mann sprach davon äußerst vertraut. Wenn er darüber nachdachte, hatte er von allem sehr vertraut gesprochen und das war das Einzige was möglicherweise wirklich die Kraft hatte Sanada zu überzeugen. Vielleicht. Wenn der Blauhaarige seine Argumente zerschlagen konnte. „Wenn ich tatsächlich vor hätte diese Information zu nutzen – es ist simpel“, startete er also. „Ich muss nicht einmal zur Presse gehen. Ich kann sie als Autor ganz anders verwerten. Ich verstehe den Einwand, dass mir nicht jeder glauben wird, aber es wäre mir definitiv möglich bevor mich jemand umbringen könnte und dann ist die Information schon öffentlich.“ Diese Worte schmeckten fahl auf seiner Zunge. Er redete über seinen Tod wie übers Geschäft. Die gesamte Situation erschien ihm unwirklich. „Ob ich mit dem Gedanken spiele, kannst du nicht sicher überprüfen, genauso wenig, ob ich es mir später anders überlege, selbst wenn ich den Plan jetzt nicht habe. Du könntest mich natürlich beschatten lassen, aber wie gesagt: Ich muss nicht mal zur Presse gehen. Ich muss nicht mal dieses Gebäude verlassen und hier ist es bei all der Öffentlichkeit und den Fernsehkameras tatsächlich nicht so einfach zu agieren - selbst für einen Yakuza.“ Eine Stimme in seinem Innern fragte sich, warum er das hier überhaupt tat, aber sie blieb im Hintergrund seiner Worte, ohne dass die Warnung Gehör fand. „Wenn ich während der Veranstaltung panisch raus renne und dein Geständnis hinaus schreie wirkt es direkt glaubwürdiger und gibt der Polizei sogar Grund für eine Verhaftung. Versuchst du mich abzuhalten, spielst du mir in die Hände.“ Er redete sich in den Tod, wurde Sanada bewusst und jetzt fand auch endlich die Warnung Gehör. Einen Moment schwieg er nur, den Blauhaarigen musternd. Er suchte den Ausdruck der in den Augen seines Gegenübers lag. Er spielte mit dem Feuer. Wenn dieser Mann tatsächlich ein Yakuza war, warum versuchte er ihn zu überzeugen, dass er ihn töten sollte? Weil Sanada nicht daran glaubte. Wenn er ehrlich war – realisierte er – glaubte er nicht ganz daran und deshalb hinterfragte er es so. Wenn der Braunhaarige die Gerüchte in vollem Ausmaß glauben sollte, dann musste man ihm einen Grund dazu geben; musste den Dingen einen Sinn geben. „Und warum du nicht abstreiten kannst was die Presse schreibt, hast du bereits selbst erläutert“, fuhr er letztlich fort. „Die Medien unterdrücken ist in der heutigen Zeit auch nicht vollständig möglich – nicht einmal für die Yakuza.“ Er machte eine kurze Pause und suchte seine Worte zu formulieren. „Was ich sagen will ist: Deine Worte beinhalten eine gewisse Logik und alles könnte sich genauso verhalten wie du es sagst. Aber es könnte auch anders sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine wirkliche Yakuzagröße sehr lange überleben würde, wenn sie so viele Eventualitäten einfach hinnimmt. Wenn auch nur annähernd stimmt was die Mundpropaganda und die Medien berichten, könntest du dir das – ist dein Geständnis wahr – gar nicht leisten. Ich frage mich also warum das Risiko eingegangen wird, wo bisher offensichtlich nicht gewünscht war, dass die Öffentlichkeit informiert ist, denn egal wie sehr du auch versucht hast es herunterzuspielen: sonst gäbe es wie bei anderen Yakuza-Bossen auch eine Bekenntnis. Stattdessen wurde die Ungewissheit dankend angenommen – sie ist schließlich auch vorteilhaft. Alleine auf dieser Gala könntest du dich nach einem offenen Bekenntnis nicht aufhalten, nirgendwo spenden. Von allen Menschen dieses Geheimnis ausgerechnet einem Autor, der der Presse so nahe ist, anzuvertrauen, ergibt keinen Sinn.“ Sanada war dumm. Er redete sich ins Grab, wenn Seiichi doch ein Yakuza war und das sah ihm nicht ähnlich. Was genau stimmte hier nicht, dass er sich so sonderbar verhielt ohne es auch nur selbst zu verstehen? Er listete diesem Mann auf was für eine Gefahr er war und bekräftigte es, indem er ihm seinen gut funktionierenden Verstand vorführte. Selbst wenn er nicht an die Wahrheit dieser Information glaubte, so war sie dennoch möglich und er war ebenfalls kein Mensch der Eventualitäten außer Acht ließ. Was also wollte er erreichen? „Was mag der Grund sein das jetzt zu gefährden? Machst du dir bloß einen Spaß aus den Gerüchten um dich oder gibt es – sofern es die Wahrheit wäre - einen speziellen Grund mir diese Information mitzuteilen – obwohl ich nicht sehe was dieser Grund sein könnte.“ Sanada hielt inne, als ihm ein ganz neuer Gedanke kam. Als er den Grund plötzlich fand. Das Einzige was ihn für die Yakuza eventuell interessant machen könnte. Er hatte es bisher nur als Bedrohung gesehen, aber die Yakuza nutzten die Presse selbst gezielt – zumindest glaubte Sanada das. Wenn es also genau das war? Wenn Seiichi ihm das erzählte, weil er wollte das er das Geheimnis preisgab? Entweder als Bekenntnis oder aber subtil diese Information nutzte? Wenn, dann würde die Aufgabe sein gezielt Einfluss zu nehmen. Seiichi hatte öfter seine Schreibfähigkeit gelobt. Hatte er nicht grade erst erwähnt, dass er den letzten Artikel viel besser hätte schreiben können? Aber das konnte doch nicht sein… Der Blick des Autors, welcher bei dieser Erkenntnis abgeschweift war, wanderte wieder zu dem Blauhaarigen und mitten in dessen stechende Augen. Wenn das der Wahrheit entsprach, würde tatsächlich alles einen Sinn ergeben. Und gleichzeitig wusste er, dass es bedeuten würde der Yakuza zu helfen. Er war ein anständiger Bürger, das würde er nicht tun. Aber würde er die Wahl überhaupt haben? Nun erklang wieder dieses Lachen und dieses Mal erreichte es sogar die blauen Augen, gab Seiichi damit einen wesentlich weniger bedrohlichen, als vielmehr durchaus anziehenden Anblick. Er wirkte ehrlich amüsiert, ohne dabei ablehnend oder gar degradierend zu wirken. „Ich bin beeindruckt. In diesen wenigen Minuten tischst du mir etliche Möglichkeiten auf, die mich davon überzeugen sollen, dass du eine potenzielle Gefahr darstellst, wenn du mir glaubst und die Informationen für dich nutzt.“ Sanadas Miene blieb unbewegt, obwohl in seinen Augen ablesbar war was er dachte: Schön, dass Seiichi meine Dummheit auch bemerkt hat. „Aber in keinem Augenblick kommt dir in den Sinn, dass ich das zum einen sehr wohl weiß – grundsätzlich ist jeder für mich eine Gefahr“, - als der Blauhaarige das sagte, wirkten die Augen für einen unglaublich kurzen Augenblick distanziert, traurig, fast schon verletzlich, doch der Moment verging so schnell wie er gekommen war, sodass Sanada ihn kaum einfangen konnte bevor der Ausdruck verschwand - ,“jedoch bin ich in der Lage auch zu erkennen, wann die Informationen meinem Gegenüber von Nutzen sind. Ich habe dich bewusst gewählt, auch wenn das ein bisschen übernatürlich klingt. Als ich dich hier auf der Gala sah war ich überrascht, aber auch froh. Du hattest dich in meinen Kopf gebrannt, weil du einen guten Eindruck bei mir hinterlassen hast. Nicht nur als Autor, sondern auch als Mensch. Und ich wusste genau, dass du nie so etwas, egal wie gewichtig die Information sein würde, verkaufen würdest, um deinen Namen besser dastehen zu lassen. Entschuldige meine Direktheit, aber so bist du nicht. Du verkaufst nicht deine Überzeugung für etwas mehr Ruhm und vor allem einen darauf folgenden Tod.“ Sanada sah bei den Worten direkt in die blauen Augen, die seinen Blick ganz direkt erwiderten. Im Hintergrund endete das fast schon romantische Klavierstück, welches die Szene unfreiwillig noch bizarrer erscheinen ließ und wurde von einem neuen, nicht passenderen abgelöst, während Seiichi weiter über die Kriminalität redete, die er darzustellen behauptete. „Natürlich kannst du rausgehen, die Informationen verkaufen – wobei da immer noch der Wahrheitsgehalt zu beweisen wäre und ich glaube kaum, dass du dieses Gespräch aufzeichnest. Genauso könntest du rauslaufen und sagen, ich hätte dich bedroht, aber auch das könntest du nicht beweisen und glaub mir, ich kenne auch genug Leute bei der Polizei, um dich wie einen Idioten dastehen zu lassen. Die Yakuza agieren doch nicht nur im Untergrund. Menschen wie ich sind überall, bekleiden einflussreiche Positionen und bewegen sich ganz normal zwischen all den anderen armen Seelen, die keine Ahnung davon haben, wer möglicherweise im Fahrstuhl neben ihnen steht. Verstehst du nicht? Wir sind nicht unsichtbar – aber niemand sieht wirklich hin. Du hast Recht wenn du sagst, dass man die Presse nicht gänzlich kaufen kann, aber wir haben genug Leute die es schaffen ungünstige Artikel so darzustellen, als seien sie einfach nur einem kranken Hirn entsprungen.“ Seiichi war immer noch recht entspannt zurückgelehnt, lachte aber mittlerweile nicht mehr, sondern musterte Sanada angestrengt, so als würde er abwägen, ob er weiterreden sollte. „Nein, ich habe dich nicht hierher geholt, um dich dafür zu nutzen, mein Leben in einem Sonderband erscheinen zu lassen. Daran habe ich noch kein Interesse. Und ich bezweifle, dass ich solange überlebe, um in das Alter zu kommen, in dem sich so etwas als adäquat ansehen ließe.“ Leicht zuckte der Blauhaarige die Schultern. „Ich bin nicht dumm, aber statistisch gesehen sieht es für mich schlecht aus. Die wenigsten Yakuza sterben einen friedlichen Tod im Alter.“ Nun wurde er endgültig ernst. „Du fragst dich immer noch warum ich hier mit dir rede und ehe du fragst – nein, das war alles nicht geplant. Ich wusste auch nicht, dass du hier sein würdest, denn die Einladung habe ich kurzfristig erhalten und ich habe mir nicht die Mühe gemacht die Gästeliste zu checken. Aber seien wir ehrlich: so wie die meisten hier mich angesehen haben, wissen auch sie alle von den Gerüchten und mit großer Sicherheit kennt sie sogar der Gastgeber. Trotzdem bekomme ich eine Einladung. Ich würde annehmen das Geld einfach nicht stinkt – egal wo es herkommt. Im Endeffekt war meine einzige Intention dich hierherzuholen die, das ich einmal mit dir reden wollte, in Ruhe. Eigentlich nicht einmal über das Thema, aber deine Managerin hat mir ja die Tour vermasselt. Sehr deprimierend.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)