Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 37: Glauben -------------------    Glauben       Seufzend stützte Laura ihr Kinn auf den Händen ab und überflog noch einmal die Zeilen, die sie am Schulcomputer im sonst mittelalterlich wirkenden Bücherturm geschrieben hatte.   Hi Rebecca, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, mir geht’s zurzeit ganz gut. Wirklich! Auch wenn ich das selbst nicht so wirklich glauben kann…  Vermutlich habe ich das alles Benni zu verdanken. In letzter Zeit ist er so… gar nicht mehr abweisend! Oder so ähnlich, keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. XD Bevor du fragst: Nein, wir hatten noch kein Date! Jedenfalls nicht so was wie Essen oder ins Kino gehen. Aber wir gehen öfter mal spazieren, falls das irgendwie auch unter ‚eine Verabredung haben‘ fällt. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, ich verkrieche mich nicht jeden Tag heulend im Bett! :) Liebe Grüße Laura   Mit einem weiteren Seufzen klickte sie auf ‚Senden‘ und loggte sich wieder aus. Rebecca hatte ihr nun schon mehrere besorgte E-Mails geschickt, ob mit ihr alles in Ordnung wäre und Laura konnte es ihr noch nicht einmal übelnehmen. Immerhin dürfte mit ihr gerade eigentlich gar nichts in Ordnung sein! Aber sie hatte Rebecca in ihrer Antwort nicht angelogen, es ging ihr wirklich ganz gut. Relativ gut, jedenfalls. Jede Sekunde, die sie mit Benni verbrachte, war wie als würde sie sich im Himmel befinden und auch, wenn sie bei Carsten, Ariane oder den anderen Mädchen war, fühlte sie sich eigentlich ganz wohl. Doch trotzdem überfiel sie jede Nacht aufs Neue die schmerzhafte Wahrheit. In nicht mal mehr zwei Wochen würde sie sterben. Auch wenn Laura immer wieder mit aller Kraft versuchte, diese Tatsache zu ignorieren, oder jedenfalls nicht losweinen zu müssen, war es doch so, dass sie ihr tränenüberströmtes Gesicht ins Kissen drückte, damit Ariane ihr Schluchzen nicht hören konnte. Sie waren alle so froh, Laura glücklich zu sehen, dass Laura ihnen die Wahrheit einfach nicht antun wollte. Obwohl Benni und Carsten die Mädchen seit gerade mal einer Woche Nachhilfe im Kämpfen gaben, hatten diese sich schon so enorm gebessert, dass selbst ihre Lehrer Herr Nunjitsu und Herr Zar von ihren Fortschritten beeindruckt waren. Nur Laura hing natürlich total zurück. Benni hatte sie bisher immer noch nicht darauf angesprochen, welche Waffe sie am besten benutzen sollte und dank ihrer lausigen Ausdauer und Carstens ausdrücklicher Bitte, sich nicht wieder zu überanstrengen, war sie kaum besser geworden. Betrübt verließ Laura den Bücherturm. Nicht nur nachts, auch wenn sie tagsüber mal alleine war, gab es Momente, in denen die Angst und Verzweiflung sie übermannten. Momente, wie dieser. Statt zum Mädchengebäude zurückzukehren, ging Laura tiefer in den Wald, bis sie weit genug von den Gebäuden entfernt war, dass kein Schüler oder Lehrer ihr über den Weg laufen würde. Irgendwann lehnte sie sich kraftlos gegen einen Baumstamm, ließ sich auf den Boden sinken und vergrub ihr Gesicht in ihren Armen, um ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Sie hatte Angst, das war die Wahrheit. Sie hatte Angst davor, zu sterben! „Ich will nicht sterben!!!“, schrie Laura heiser. Sie wollte weiterhin bei Benni, Carsten, Ariane, den Zwillingen, Öznur, Anne und Janine bleiben! Und bei ihren Eltern… Selbst bei Eagle! Und bei Chip, mit seinem flauschigen Fell, Konrad und Rina, Florian, die kleine Nervensäge Johannes, der Direktor, die Direktorin, Herr und Frau Yoru… Einfach bei allen! Lieber würde sie gegen Mars kämpfen, als zu sterben! Sie war bereit, trotz ihrer Unfähigkeit zu versuchen die Welt zu retten. Zählte das denn nicht?!? Schluchzend schüttelte Laura den Kopf. Nein, das ist nicht von Bedeutung. Es speilt keine Rolle, nichts spielt eine Rolle!, dachte sie hoffnungslos.   ~*~   Gedankenversunken starrte Susanne das kleine Holzeichhörnchen an, das Naoki ihr vor etwa einem Monat geschenkt hatte. Ohne es überhaupt zu realisieren, wanderte ihr Blick weiter zu Benni, der wenige Meter von ihr entfernt mit vor der Brust verschränkten Armen am geöffneten Fenster lehnte und ausdruckslos in den Wald schaute. Äußerlich hatte er zwar kaum Ähnlichkeiten mit dem kleinen Jungen, den Susanne während ihrer Dämonenprüfung kennengelernt und schließlich umgebracht hatte, aber der eigentlich neutrale und doch tief im Inneren sehnsüchtige Blick erinnerte sie trotzdem sofort an ihn. Jeder einzelne Charakterzug von Benni erinnerte sie an Naoki! Nur das strahlende Lächeln fehlte… Benni lächelte nicht. Er hat noch nie gelächelt, entsann sich Susanne, als sie an jeden Moment mit dem ‚eiskalten Engel‘ zurückdachte. „Hallo, Leute? Hört ihr mir überhaupt zu?!?“ Verärgert klopfte Ariane auf die Lehne des Ledersofas. Sie befanden sich alle im Büro der Schülervertretung, weil Ariane irgendetwas mit ihnen zu besprechen hatte. Anscheinend irgendetwas, in das sie Laura nicht einweihen sollten. Denn kaum war diese zum Bücherturm gegangen, um eine E-Mail zu schreiben, hatte Ariane diese Versammlung hier einberufen. „Ja, ja, wir hören dir zu: Leute, wir müssen Laura unbedingt helfen! Ich mach mir riesige Sorgen um sie!!!“, erwiderte Anne genervt und zitierte gekonnt Arianes Worte. „Das ist nicht lustig, Anne!“ Empört funkelte Ariane sie an. „Ich bin letztens nachts aufgewacht und hab gehört, dass sie weinte!“ Janine seufzte bedrückt. „Sie wird bald sterben, Nane, was erwartest du?“ „Das steht doch noch nicht einmal hundertprozentig fest!“, widersprach Ariane verzweifelt. „Für Laura schon…“, bemerkte Susanne betroffen. „Und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind… Wir wünschen uns zwar, dass sie überlebt, aber erwarten auch das Gegenteil.“ „Und das verletzt sie nur noch mehr!“ Ariane ballte die zitternden Hände zu Fäusten und warf Benni und Carsten einen flehentlichen Blick zu. „Sagt doch auch mal was! Ihr kennt Laura viel länger als wir alle zusammen!“ Carsten schüttelte seufzend den Kopf. „Ich will ihr doch auch helfen… Aber wir tun doch schon alles in unserer Macht stehende. Ich meine… Selbst Benni unternimmt etwas!“ Eine Weile betrachteten alle Lauras nun offiziellen Freund, der immer noch unbeteiligt aus dem Fenster schaute. Susanne wusste, warum er so abwesend wirkte. Sie und einige weitere Mädchen, deren Gehör seit ihrer Dämonenprüfung schärfer geworden war, konnten es auch hören: Lauras Schluchzen, das von der anderen Seite des Campus kam. „Nein, wir haben noch nicht alles in unserer Macht stehende getan!“, widersprach Ariane energisch. „Falls du eine Idee hast, was wir noch machen könnten, nur raus damit.“ Carsten warf ihr einen traurigen Blick zu und Susanne bemerkte die gemischten Gefühle, mit denen er Ariane betrachtete. In ihnen lag nicht nur Freundschaft… Doch Ariane schien diese Gefühle nicht zu bemerken. Stattdessen nickte sie. „Ich habe noch eine Idee. Wir organisieren eine Geburtstagsfeier für Laura.“ „Was?“ Kritisch runzelte Anne die Stirn. „Wieso sollten wir eine Geburtstagsfeier für jemanden organisieren, der vielleicht an diesem Tag stirbt?“ „Genau deshalb!“, erklärte Ariane, „Wir reden alle nur davon, dass sie an ihrem Geburtstag vielleicht stirbt! Wir müssen es optimistisch betrachten: Vielleicht überlebt sie auch! Und genau deshalb die Geburtstagsfeier. Damit Laura sieht, dass wir an sie glauben! Dass wir nicht damit rechnen, dass nach diesem Tag für sie alles vorbei ist!!!“ Susanne spielte mit dem kleinen Holzeichhörnchen, während alle in diesem Raum Arianes Idee überdachten. „Ich finde das einen guten Plan.“, pflichtete ihr plötzlich der Direktor bei. „Gott, tauchen Sie immer so plötzlich auf?!?“, fuhr Öznur ihn vorwurfsvoll an. Der Direktor lachte auf. „Sonst sind hier nur Leute, die ich damit nicht -oder nicht mehr- erschrecken kann, weil sie jederzeit damit rechnen oder bereits hören, dass ich komme, wie unser Romeo.“ Einige der Mädchen lachten bei Bennis neuem Spitznamen, doch Susanne und auch einigen anderen fiel auf, dass dieser Name schon zu gut passte. Auch wenn Bennis leibliche Eltern, zu denen er aus Sicherheitsgründen jeglichen Kontakt vermied, Laura anscheinend sehr mochten, war Lauras Vater wiederum so sehr gegen Benni, dass er bereits vor den Augen aller gedroht hatte, Laura zu enterben, falls diese eine Beziehung mit ihm einginge. Susanne hoffte inständig für Laura, dass Leon Lenz von ihrer jetzigen Beziehung mit Benni nie erfahren würde. Jedenfalls nicht, solange er ihn weiterhin so verabscheute. Doch die zweite Ähnlichkeit war viel bedrückender: Wenn Benni Romeo war, war Laura folglich Julia und jeder wusste, wie das Drama endete… Anne schüttelte misstrauisch den Kopf und kehrte zum eigentlichen Gesprächsthema zurück: „Wir sollen einen Geburtstag vorbereiten, den wir vielleicht gar nicht feiern?“ Ariane schnaubte empört. „Seht ihr?!? Kein Wunder, dass Laura so fertig ist! Wir organisieren den Geburtstag, um Laura zu zeigen, dass wir daran glauben, dass sie doch überlebt! Und wenn sie wirklich überlebt, wäre es doch auch bescheuert, gar nichts zu haben. Denn dann hätten wir mehr als Grund genug, zu feiern!“ „Und wenn sie nicht überlebt war alles umsonst.“, widersprach Anne. „Sie wird überleben.“ Benni hatte diesen bestimmten Ton, bei dem sie ihm einfach glauben mussten. Wie damals, als er ihnen gesagt hatte, dass sie trotz ihrer fehlenden Kampferfahrung dennoch nicht dem Untergang geweiht wären. Und bei diesem Ton wagte es niemand, ihm zu widersprechen. Da sonst keiner mehr etwas darauf erwiderte, nickte Ariane schließlich zufrieden. „Dann ist das beschlossen. Wir organisieren die Feier für Laura.“ Anne stöhnte auf. „Na schön, dann machen wir das halt. Aber ich hoffe, dir ist bewusst, dass du unser Geld vermutlich zum Fenster rausschmeißt und ich habe nicht vor, euch das Ganze zu finanzieren, nur weil meine Mutter viel Kohle hat.“ „Geld spielt keine Rolle.“ Carsten lächelte sie beschwichtigend an. Ariane warf ihm einen hoffnungsvollen Blick zu. „Wie meinst du das?“ „Ich kann Eagle fragen, ob er so spendabel ist, uns zu helfen.“, antwortete Carsten schulterzuckend. „Hä?“ Verwirrt legte Öznur die Stirn in Falten. „Ähm Carsten… Du weißt schon, dass Eagle dich hasst, oder?“ „Wie könnte ich das vergessen…“ Carsten senkte den Kopf und Susanne wurde den Gedanken nicht los, dass er sich trotz allem, was Eagle ihm angetan hatte, immer noch nach dessen brüderlicher Zuneigung sehnte. Susanne konnte es ihm nicht verübeln, immerhin würde sie vermutlich den Verstand verlieren, wenn Lissi sie auf einmal hassen würde. Carsten schüttelte den Kopf, als wolle er seine trüben Gedanken loswerden. „Aber er soll das ja nicht für mich machen, sondern für Laura. Immerhin wünscht er sich genauso sehr wie wir alle, dass sie glücklich ist.“ „Stimmt.“, pflichtete Susanne ihm bei. Sie alle wussten, dass Eagle für Laura mehr als nur Freundschaft empfand. Doch er gehörte zu der Sorte Mensch -oder eher Indigoner-, der die Gefühle und Bedürfnisse nicht anderen aufzuzwingen versuchten. Man hatte es ihm ansehen können, wie sehr es ihm das Herz brach, dass Laura seine Gefühle nicht erwiderte. Und dennoch… Er hatte kein Wort gegen Lauras und Bennis Beziehung geäußert. Er wünschte sich so sehr, dass Laura glücklich war, dass er dafür sogar diesen Schmerz in Kauf nahm. Susanne warf einen flüchtigen Blick auf Öznur. Sie und Eagle kamen sehr gut miteinander aus und passten auch perfekt zusammen. Vielleicht würde sie ihn eines Tages von seinem Schmerz befreien können… „Also rufst du ihn an und erzählst von unserem Plan?“, vergewisserte sich Ariane. Carsten zögerte zwar, nickte aber schließlich. „Und wann kaufen wir das ganze Zeug?“, erkundigte sich Öznur. Planlos zuckte Ariane mit den Schultern. „Kommenden Samstagnachmittag? Aber Laura muss unbedingt mitkommen, sonst hat das alles keinen Sinn.“ „Aber sollte dann nicht auch Benni dabei sein? Nur falls Laura… ihn braucht.“ Fragend schaute Janine erst Ariane und dann Benni an. „Ich habe Unterricht…“, erinnerte er sie, immer noch aus dem Fenster schauend. „Dann schwänz doch.“, schlug der Direktor schulterzuckend vor. Die Mädchen und Carsten warfen ihm einen verwunderten Blick zu. Dass sie jemals so etwas aus dem Mund eines Lehrers hören würden… Gar aus dem Mund eines Direktors! Dieser hob abwehrend die Hände. „Besondere Umstände verlangen auch besondere Maßnahmen. Ich werde ein gutes Wort für dich bei deiner Lehrerin einlegen. Ich weiß ja, wie verdammt streng sie gerne ist. Aber das würde selbst sie verstehen.“ Benni nickte und schloss das Fenster.   „Nane… Ich habe immer noch keine Lust.“, hörte Susanne Laura zwei Busreihen vor sich betrübt sagen. Ariane legte ihrer besten Freundin den Arm um die Schultern. „Ach was, es wird dir mal ganz gut tun, nicht nur die Umgebung der Coeur-Academy zu sehen.“ „Was wollt ihr überhaupt in der Stadt?“, fragte Laura kritisch. „Na die Sachen für deinen Geburtstag kaufen.“, antwortete Ariane ihr erstaunlich direkt. Susanne konnte selbst von ihrem Platz aus sehen, wie Laura zusammenzuckte. „Ich will den Tag nicht feiern, an dem ich sterbe…“ Ariane schüttelte seufzend den Kopf. „Das weißt du doch noch gar nicht.“ Laura wandte den Kopf ab. „Keine Angst und selbst wenn du wirklich stirbst…“, fügte Ariane in einem aufheiternden Ton hinzu, „…Ich werde dir spätestens bei den Halbjahresprüfungen sowieso folgen.“ Auch wenn es ein ziemlich schwarzer Humor war, hörte Susanne Laura leise auflachen. Die Gruppe verließ den Bus und schlenderte über die Einkaufsmeile. Es war wirklich jeder dabei. Selbst Benni, der tatsächlich den Unterricht schwänzte. Nur Eagle hatte abgelehnt zu kommen, hatte ihnen aber trotzdem 100 Geld auf Carstens Konto überwiesen, das er ihnen zur freien Verfügung stellte. Was schon eine beträchtliche Summe war und ihm einen gewissen Respekt der Mädchen entgegenbrachte. Immerhin schien er wirklich helfen zu wollen, egal wie. Den ersten Halt machten sie in einem kleinen, japanisch aussehenden Laden, dessen leicht beleibter, älterer Besitzer lachend aus dem Hinterzimmer kam. „Das ist ja ein regelrechter Überfall!“, bemerkte er belustigt. Die eisblauen und zugleich warm und freundlich wirkenden Augen kamen Susanne sofort bekannt vor. Als der freundliche Senior Benni ohne irgendwelche Schamgefühle in die Arme schloss, war sie sich auch hundertprozentig sicher, um wen es sich hier handelte. „Schön, dich mal wiederzusehen, Enkel.“ Zwinkernd verwuschelte Samiras Vater Bennis Haare. „Hallo… Nicolaus.“, grüßte Benni nach einem kurzen Zögern zurück. „Warum nicht ‚Opa‘?“, fragte Laura ihn vorwurfsvoll. Nicolaus schüttelte lachend den Kopf. „Lass ihm doch erst einmal Zeit, sich daran zu gewöhnen.“ Er drückte auch Laura und Carsten kurz an sich, ehe er sich dem Rest der Gruppe vorstellte. „Ich bin Nicolaus Weihe. Schön zu sehen, dass sich Bennis Freundeskreis endlich mal vergrößert hat.“ Die Mädchen lachten und stellten sich ihm ebenfalls kurz vor. Während sie Laura gekonnt mit Mangas ablenken konnten, kümmerten sich die anderen darum, die ersten notwendigen Sachen für ihren Geburtstag zusammen zu suchen. Immerhin mochte Laura ja offensichtlich japanische Sachen. Was nicht verwunderlich war, da sie immerhin aus Yami kam. So nahmen sie für die Dekoration japanische Lampions und was es sonst noch gab und Ariane stöberte begeistert beim Tee herum. Auf Lissis Frage, sie wolle doch nicht ernsthaft mit Tee auf Lauras Geburtstag anstoßen, antwortete Ariane mit einem: „Doch, natürlich!“ Susanne bemerkte, wie Benni kurz mit seinem Großvater sprach, dieser nickte, etwas erwiderte und beide daraufhin in den hinteren Teil des Ladens gingen. Doch was Benni dort wollte erfuhr sie trotzdem nicht. Nachdem sie bezahlt und sich von Herrn Weihe verabschiedet hatten, steuerten sie das nächste Geschäft an: Einen Supermarkt. Laura seufzte. „Ich verstehe das immer noch nicht… Warum tut ihr das, wenn ich sowieso sterben werde?“ „Ob du wirklich sterben wirst weißt du doch gar nicht!“, widersprach Ariane ihr erneut entrüstet. Susanne seufzte. Das Klischee, die Finsternis-Energie-Beherrscher seien die Vorzeigepessimisten schlechthin, stimmte in diesem Fall tatsächlich. Auch Ariane schien das nun einzusehen. „Na schön, ich geb’s zu, du bist ein hoffnungsloser Fall.“ Sie überlegte für einen Moment und stieß Laura in Richtung Benni. „Wenn wir dich schon nicht überzeugen können, bleibt uns halt nur noch der eiskalte Engel. Auf ihn hörst du ja noch am ehesten.“ Carsten konnte sich ein Auflachen nicht verkneifen. Er klopfte Benni auf die Schulter. „Viel Glück…“ Gemeinsam gingen sie in den Supermarkt und ließen Benni und Laura alleine zurück. Susanne zweifelte nicht daran, dass Arianes Idee gut war. Auch sie ging davon aus, dass Benni Laura würde überzeugen können. Wenn nicht er… dann wäre sowieso alles vergebens. Seufzend beobachtete sie, wie Lissi in ihrem Eifer einen Einkaufswagen hinter sich herzog und ihn mit allen möglichen alkoholischen Getränken füllte. Hinter ihr trottete Ariane mit genervtem Gesicht, die nach und nach die Flaschen wieder zurückstellte, während eine Verkäuferin die beiden verwirrt beobachtete. Susanne kicherte und gesellte sich zu Ariane, um ihr zu helfen. Diese warf ihr einen dankbaren Blick zu und tippte Lissi auf die Schulter. „Kannst du mal kurz mitkommen und mir helfen?“ „Klärchen, Nane-Sahne.“, trällerte Lissi und drückte Susanne den Einkaufswagen in die Hand. Nachdem Ariane für eine erfolgreiche Ablenkung sorgte, konnte Susanne nun ungestört die restlichen Flaschen wieder zurückstellen. Kritisch musterte sie die Wodka-Flasche in ihrer Hand und betrachtete das obere Regal, in der ihre Gleichgesinnten standen. Wie ist Lissi da dran gekommen? Susanne stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte sich, doch sie kam immer noch nicht hoch genug, obwohl sie eigentlich genauso groß wie ihre Zwillingsschwester war. Jemand nahm ihr die Flasche aus der Hand und stellte sie für sie nach oben. „Danke…“ Erleichtert lächelte sie Carsten an. Dieser erwiderte ihr Lächeln freundlich, doch es wandelte sich kurz darauf in einen besorgten Ausdruck. „Wie geht es dir?“ Seufzend wich sie seinem mitfühlenden Blick aus. Natürlich hatte Carsten bemerkt, dass es ihr wegen der Sache mit Naoki immer noch nicht besser ging. Vor den meisten anderen konnte sie es verbergen, aber nicht vor ihm. „Wie soll es mir schon gehen? Ich habe ein Kind umgebracht, Carsten!“ Verzweifelt schaute sie ihn wieder an. „Ein unschuldiges Kind, das noch sein ganzes Leben vor sich hatte… Und als wäre das nicht schon schlimm genug, war es auch noch in gewisser Weise Benni!!!“ Beruhigend legte Carsten ihr die Hände auf die Schultern. „Dir blieb keine andere Wahl.“ „Doch!“, widersprach sie ihm. „Ich hätte ihn am Leben lassen können.“ „Und dafür hättest du deine Prüfung nicht bestanden.“, erinnerte er sie. „Du brauchst diese Kraft aber, wie jeder andere von euch auch. Wer weiß, wie viele Menschenleben darunter leiden würden, wenn du sie nun nicht hättest.“ „Hättest du ihn denn auch getötet, wenn du an meiner Stelle gewesen wärst?“, fragte Susanne. Benni hatte mal gemeint, sie und Carsten seien sich sehr ähnlich… Wäre das auch in dieser Situation der Fall gewesen? Carsten lächelte sie traurig an und wollte antworten, als Ariane plötzlich rief: „Carsten, kannst du mal kommen und mir helfen?!“ „Ähm… Klar!“, rief er zurück. Er seufzte. „Tut mir leid…“ Susanne kicherte. „Kein Problem… Ich würde nur gerne wissen, warum du sie nicht einfach darauf ansprichst.“ Carsten hatte ihre Andeutung offensichtlich richtig verstanden, denn sein Gesicht bekam eine leichte Rotfärbung. Dennoch schüttelte er den Kopf. „Ich kann das nicht…“ Er wandte sich ab und ging zu Ariane, die ihn irgendetwas wegen des Essens zu fragen schien. Seufzend lächelte Susanne. Carsten verstand es, ohne groß etwas zu unternehmen jemandem zu helfen. Nur sich selbst schien er nicht helfen zu können…   ~*~   Betrübt trottete Laura neben Benni her, doch als sie den Park von Jatusa betraten, hielt sie das Schweigen schließlich nicht mehr aus. „Warum tut ihr das alles für mich?“, fragte sie ihn und musterte ihn aus den Augenwinkeln. „Ist das nicht offensichtlich?“ Kam er mit seiner Gegenfrage. „…Nein.“, antwortete Laura zögernd. Benni erwiderte für einen kurzen Moment ihren Blick, sagte aber nichts mehr dazu. Stattdessen nahm er ihre Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. Benni hatte noch nie einfach so ihre Hand genommen! Mit wild pochendem Herzen schaute Laura auf die blühende Blumenwiese, an der sie vorbei gingen. Sie betete, dass ihre Hand durch die Aufregung nicht zu verschwitzt war… Gott wäre ihr das unangenehm! Schließlich kamen sie an einem großen Teich an. Laura erkannte diesen Ort sofort wieder. Gedankenversunken spielte sie mit dem Kreuzanhänger, den sie seit dem Valentinstag noch nie abgelegt hatte, während sie das ruhige, klare Blau des Teiches betrachtete. „Hier hast du mir die Kette geschenkt…“ „Nachdem du mich geschlagen hast.“, ergänzte Benni sarkastisch. Zwar schien er das nicht böse gemeint zu haben aber Laura senkte trotzdem betroffen den Blick, während ihre Hand, die er hielt, nun tatsächlich schweißnass wurde. „D-das… Das wollte ich nicht!“ Sie hatte diese Sache sofort danach schon bereut und Laura fragte sich, ob sie Bennis Gegenwart oder gar seine Zuneigung überhaupt noch verdiente. Verzweifelt suchte sie nach einer Erklärung, die gut genug war, um diese grauenvolle Tat rechtfertigen zu können. Doch das war etwas Unverzeihliches… „Es tut mir so leid…“, schluchzte sie. Benni seufzte. „Du musst deswegen doch nicht gleich weinen…“ Laura riss ihre Hand aus seiner. Sie verdiente es erst recht nicht, dass Benni sie überhaupt noch berührte! „Natürlich muss ich das! Du weißt doch selbst, was für eine Heulsuse ich bin!“, gestand Laura verzweifelt und drehte ihm den Rücken zu. „Ich reagiere ständig über. Kein Wunder, dass der Schwarze Löwe die Schnauze voll von mir hat! Ich könnte es nie übers Herz bringen, dir weh zu tun und trotzdem hab ich dich geschlagen, als ich wütend war! Ich verdiene dich überhaupt nicht!!!“ Benni nahm sie an den Schultern und drehte sie wieder zu sich um. Zwar wollte Laura vor ihm zurückweichen, doch er war viel zu schnell. Er packte ihre beiden Hände mit einem eisernen Griff, der zwar nicht schmerzhaft war, aus dem sie sich aber trotzdem nicht befreien konnte, selbst wenn sie ihre gesamte Kraft dafür einsetzte. „Das ist das Dümmste, was ich je von dir gehört habe.“, erwiderte Benni ruhig. Entgeistert starrte Laura ihn an, doch er ließ sie mal wieder im Unklaren. Stattdessen hörte sie hinter sich jemanden: „Onkel!!!“ rufen. Da Benni immer noch beide Hände von Laura hielt, konnte sie nur einen Blick über die Schulter werfen, um zu sehen, wer da auf sie zu gerannt kam. Doch Laura hätte eigentlich gar nicht nachsehen müssen. In wenigen Sekunden hatte Johannes sie erreicht. „Hallo, Onkel!“, grüßte er Benni begeistert. Johannes scheint Benni ja ganz schön zu mögen… Laura kicherte bei diesem Gedanken und erntete dafür einen kritischen Blick von Benni, der wohl wirklich einen sechsten Sinn für ihre Gedanken hatte. Mit großen Augen schaute Johannes von Benni zu Laura und fragte seinen ‚Onkel‘ schließlich: „Sag mal Onkel… Bist du jetzt mit Tantchen verheiratet?“ Während Laura bei dieser Frage sofort knallrot wurde, antwortete Benni schlicht: „Nein.“ „Seid ihr jetzt verlobt?“, fragte der Kleine weiter. „Nein.“, entgegnete er wieder. Johannes Blick fiel auf Lauras Hände, die Benni immer noch nicht losgelassen hatte. „Aber ihr haltet Händchen, das heißt, ihr seid zusammen!!!“, folgerte er. Da Benni darauf nichts mehr erwiderte, kicherte Johannes und hüpfte um Laura und Benni herum, während er immer wieder sang: „Ooonkel und Taaantchen, Ooonkel und Taaantchen, …“ Beschämt senkte Laura den Blick und war erleichtert und enttäuscht zugleich, als Benni ihre Hände wieder losließ. „Warum bist du alleine hier?“, fragte Benni den immer noch im Kreis hüpfenden Johannes, der bei dieser Frage endlich stehen blieb. „Ich bin nicht alleine.“, antwortete er. „Meine Mama, mein Papa und meine Schwester sind einkaufen und ich habe mich gelangweilt und dann hab ich gesagt ich geh in den Park spielen und dann war da dieser blöde Onkel, der mit mir Verstecken gespielt hat und dann habe ich dich und Tantchen gesehen und bin zu euch gegangen!“ Verwirrt legte Laura den Kopf schief. „Blöder Onkel?“ Benni schaute zu einem blühenden Kirschbaum, einige Meter von ihnen entfernt. „Also hat er dich doch bemerkt.“ Hinter dem Baum war ein Lachen zu hören und ein Mann in einem schwarzen Kapuzenpullover trat hervor, dessen Gesicht teils vom Schatten der Kapuze verdeckt wurde. „Ich weiß. Nicht schlecht der Kleine, was?“ Laura schauderte, als sie das leichte Echo bemerkte, das in abgewandelter Version inzwischen auch bei ihren Freundinnen zu hören war. „Ich bin übrigens Jack.“ Der Mann schob die Kapuze zurück und gab sich damit endlich zu erkennen. Laura schluckte. Das ist Jack?!? Der Jack, den sie vergeblich in Terra gesucht hatten und der als vermisst galt? Der Jack, der damals mit Carsten im FESJ war und diesen fast umgebracht hatte?!? Doch er sah tatsächlich so aus wie auf dem Foto, das ihnen der seltsame Büromensch gezeigt hatte als sie in Terra waren. Nur ein bisschen älter. Die rotbraunen Haare waren auf seiner linken Seite sehr kurz und ein Piercing zierte die Augenbraue. Auf seiner rechten waren die Haare leicht verstrubbelt und fielen etwas in die Augen, deren strahlendes Grün jeden Blick gefangen halten konnte. Jack war durchaus sehr attraktiv, wie sich Laura eingestehen musste. Doch er hatte eine ähnlich angsteinflößende Ausstrahlung wie Benni. Nur bei Benni wusste Laura, dass dieser ihr nie etwas antun würde… bei diesem Mann war sie sich da nicht so sicher… Verängstigt klammerte Laura sich an Bennis Arm, während sich Johannes hinter ihnen versteckte. Jack hob lachend die Hände, als wolle er sich ergeben. „Keine Angst, ich habe nicht vor, euch anzugreifen.“ Er wies auf Benni. „Ich bin doch nicht lebensmüde.“ „Arbeitest du wirklich für Mars?“, fragte Laura schüchtern, immer noch an Bennis Arm geklammert. Jack legte den Kopf leicht schief. „Arbeiten? Na ja, sagen wir mal ich schulde ihm etwas.“ „Was denn?“, hörte sie Johannes hinter sich fragen, doch Jack winkte ab. „Das geht euch nichts an.“ „Na ja… Eigentlich schon. Immerhin greifst du uns an, weil du für Mars arbeitest.“, entgegnete Laura zögernd. Jack seufzte. „Man bist du langsam. Ich sagte doch schon, dass ich euch nicht angreifen werde. Wenn doch würde mich unser ‚stärkster Kämpfer Damons‘ garantiert zu Brei verarbeiten und darauf verzichte ich dankend.“ „…Und was willst du dann?“, löcherte Laura weiter, dankbarer denn je, dass Benni hier war. Hinter sich hörte sie Johannes verängstigt fragen: „Will mich dieser blöde Onkel jetzt entführen, so wie der dumme Onkel damals?“ „Sag noch einmal ‚blöder Onkel‘ und ich nehm‘ dich wirklich mit.“, drohte Jack und schaute Benni an als er weiter sprach, als wüsste er, dass man sich mit ihm noch am ehesten normal unterhalten könne. „Ich hatte nicht vor, euer Date zu ruinieren.“, erklärte er nüchtern, „Ich wollte nur mal schauen, ob die Kleine wirklich noch nicht abgekratzt ist.“ Entsetzt hielt Laura die Luft an. Sie war die Kleine… Jack hielt inne und schien erst jetzt zu bemerken, was er gesagt hatte. „Ups, jetzt hab ich’s wohl ruiniert.“ „Du bist total böse!!!“, schrie Johannes ihm zu, wohlwissend, dass Jack das mit Absicht gesagt hatte. „Natürlich!“, erwiderte dieser lachend. Mit einer knappen Geste erschuf er ein orange-schwarz loderndes Portal, das vermutlich in die Unterwelt führte. „Viel Glück im Prinzesschen-beruhigen.“ Er winkte Benni noch kurz zu, ehe er im Portal verschwand. Laura bekam es gar nicht wirklich mit, als Johannes meinte, er gehe lieber schnell zu seiner Familie zurück und auch nicht, wie er sich gut gelaunt von ihnen verabschiedete, als wäre gar nichts passiert. Sie hörte noch nicht einmal, wie er beim Gehen fröhlich sein ‚Onkel und Tantchen‘-Lied weitersang. Wie ferngesteuert bewegten sich Lauras Beine. Sie wollte nur noch fort von hier, zurück in ihr Zimmer und in ihr Bett, wo sie ihre Ruhe hatte. Denn nun, da sogar ein Außenstehender sie mit dieser grausamen Wahrheit konfrontiert hatte, würde sie nicht mal mehr bei Benni glücklich sein können… „Laura…“ Benni nahm sie am Arm, doch Laura schüttelte ihn grob ab. „Lass mich!“, schrie sie und rannte weiter, während die Tränen ihr über das Gesicht rannen. Was wollte er denn jetzt noch machen?! Laura war dem Tode geweiht und selbst Benni konnte sie nicht vor dem Schwarzen Löwen beschützen! „Laura, warte.“ In wenigen Schritten hatte Benni sie eingeholt und hielt ihren Arm dieses Mal so fest, dass Laura ihn nicht mehr einfach so von sich stoßen konnte. „Was denn?!“ Aufgebracht fuhr sie herum. Jetzt konnte es ihr auch egal sein, wenn sie vor Bennis Augen weinte. In einer Woche war sowieso alles vorbei. „Es ist nun mal so, ich werde halt bald sterben!!!“ Benni schien etwas erwidern zu wollen, doch Laura ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Ja, ich weiß, du hast keine Ahnung, warum ich so durchdrehe! Du weißt halt nicht, wie es ist Angst zu haben!!! Wie es ist, wenn irgendjemand anderes die Macht über dein Leben hat!!! Ich halt das nicht mehr aus!!!!!“ Schluchzend sackte Laura in die Knie. Benni seufzte. „…Ich weiß-“ „Nein, tust du nicht!“ „Doch.“ Bennis eindringlicher Ton sorgte dafür, dass Lauras Schluchzen kurz unterbrach. „Wie meinst du das?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Benni kniete sich vor sie, sodass Laura direkt in sein schwarzes Auge sehen konnte. Bennis Blick war warm und sanft, aber auch irgendwie traurig… Laura wusste nur nicht, woran sie das alles erkennen konnte. „Ich weiß wie sich Angst anfühlt.“, antwortete so ruhig, langsam und deutlich, als würde er es nicht nur Laura, sondern auch sich selbst erklären. Ungläubig schüttelte Laura den Kopf. Benni hatte keine Ahnung von Gefühlen! Er wusste ja noch nicht einmal, was er für sie empfand!!! „Ich hatte Angst, als die Flammen in der Form des Purpurnen Phönix mich angegriffen hatten.“, gestand er resigniert und senkte den Blick, „Ich hatte solche Angst, dass ich gar nicht mehr in der Lage war, mich zu bewegen.“ Immer noch schniefend und zitternd berührte Laura seine Wange. Er wirkte auf einmal so zerbrechlich… Für diesen kurzen Moment schien er sie tatsächlich ein einziges Mal durch seine Fassade blicken lassen. Kaum waren Lauras Tränen getrocknet, liefen ihr erneut welche über die Wange. Solche Momente würde es bald nie mehr geben… Wortlos nahm Benni sie in die Arme und Laura lehnte sich schluchzend gegen seine Brust. Bald würde er sie auch nie mehr in den Arm nehmen können… „Ich will nicht sterben…“, wimmerte sie. „Wirst du nicht.“, erwiderte Benni leise und strich ihr übers Haar. „Doch.“ Benni stand auf und zog sie auf die Beine. „Nein.“ Laura wollte ihm wiedersprechen, doch ihr Schluchzen hinderte sie daran. „Vor etwa drei Monaten habe ich dir hier gesagt, ich denke nicht, dass dich der Schwarze Löwe verlassen wird…“ Benni seufzte. „Nun glaub mir doch endlich.“ Bevor Laura seine Worte anfechten konnte, strich er ihr sanft die zerzausten Haare aus dem Gesicht und küsste sie auf die Wange. Da Laura nicht darauf vertraute, dass ihre Stimme ihr wirklich gehorchen würde, schaute sie nur mit rasendem Herzen zu Benni hoch, versuchte ihre Schluchzer runterzuschlucken und nickte. Benni führte sie zu einer nahe gelegenen Bank, auf die sich Laura setzte. Die Passanten schauten sie zwar verwirrt und manchmal auch besorgt an, doch Laura war froh, dass sie einfach nur weitergingen. Wortlos setzte sich Benni neben sie und reichte ihr ein Taschentuch. Verlegen lachte Laura auf, trocknete sich die Tränen und putzte sich die Nase. Sie hatte das mulmige Gefühl, dass Benni dieses Taschentuch garantiert sicherheitshalber wegen ihr mitgenommen hatte… Immerhin wusste er ja, was für eine Heulsuse sie war. Mit einem Schlag war Laura das alles total peinlich, doch Benni schien das nicht weiter zu stören. Er ließ zu, dass sie sich gegen ihn lehnte und wartete geduldig, bis sich Laura wieder soweit beruhigt hatte, dass sie gemeinsam zurück zu den anderen gehen konnten.   „Sag mal… Hast du geweint?!?“ Natürlich bemerkte Ariane es trotzdem. Kritisch funkelte sie Benni an, da sie wie immer ihn für den Schuldigen hielt. „Nane, mir geht’s gut.“, versuchte Laura sie zu beruhigen. Ariane schien ihr zwar nur widerwillig zu glauben, doch sie verschonte Benni immerhin mit ihren Blicken, die fast in der Lage wären zu töten. Öznur lachte auf. „Musstest du dich einfach mal an der Schulter deines Freundes ausweinen?“ Laura wurde knallrot. Im Prinzip hatte sie ja genau das gemacht… Carsten kicherte, tat Laura aber immerhin den Gefallen, nicht weiter darin herumzustochern. Stattdessen meinte er: „Ein Glück, dass es dir besser geht. Benni schien dich ja tatsächlich überzeugen zu können.“ Natürlich konnte Benni sie überzeugen! Wie hätte es auch je anders sein können? Mit rasendem Herzen dachte Laura an den Moment zurück, an dem er sie auf die Backe geküsst hatte. Benni brauchte noch nicht einmal gute Argumente, um sie zu überzeugen… Eine einfache Geste reichte schon völlig aus. Anne stöhnte auf. „Na schön, gehen wir jetzt endlich?“ „Ja, ja. Du musst aber trotzdem nicht gleich losmeckern.“, wies Öznur sie zurecht. Die Prinzessin grummelte etwas und ging voraus zu der Bushaltestelle. Laura bekam nur mit halbem Ohr mit, wie Benni zu Carsten meinte, sie hätten Jack getroffen. Sie war mal wieder viel zu sehr mit ihrem klopfenden Herz beschäftigt, das sich einfach nicht beruhigen wollte. Der Grund war: Benni hielt wieder einfach so ihre Hand! Dass aber die meisten der anderen besorgt reagierten, entging Laura trotzdem nicht. Benni versicherte ihnen zwar, dass es zu keinem Kampf kam und Jack sie anscheinend nur ‚observieren‘ wollte, doch nun war es auch eindeutig, auf wessen Seite er stand. Carsten seufzte. „Das ist alles meine Schuld… Ich hätte ihn damals aufhalten sollen.“ „So ein Unsinn.“, widersprach Susanne ihm beruhigend. „Du konntest genauso wenig ausrichten, wie sonst jemand.“ „Aber was meinte er damit, dass er Mars etwas schulden würde?“, fragte Laura verwirrt. „Na ja… Lukas hatte ihn doch anscheinend damals aus dem FESJ geholt.“, erinnerte sich Susanne. „Es ist gut möglich, dass der Purpurne Phönix für seine Freilassung die Fäden gezogen hat.“ Ariane runzelte die Stirn. „Aber dafür gleich die Seiten zu wechseln und zu einem richtigen Verbrecher zu werden…“ „Glaub mir… Die meisten würden alles für ihre Freiheit tun.“, meinte Carsten betrübt. „Auch die Seiten wechseln.“ „…Hättest du das… auch getan?“, fragte Janine schüchtern. Carsten schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht. Aber ich hatte auch noch außerhalb der Schule Freunde, auf die ich zählen konnte.“ Er warf einen dankbaren Seitenblick auf Benni und Laura. „Jack hatte bestimmt niemanden…“, vermutete er betrübt. „Na prima.“, kommentierte Anne sarkastisch. „Eine Runde Mitleid für den Bösewicht, der nur böse geworden ist, weil er keine Freunde hatte!“ „Das ist nicht lustig, Anne!“, verteidigte Janine diesen Bösewicht. „Ich habe auch nicht gesagt, dass das lustig ist.“, erwiderte Anne zischend. „Mich kotzt es nur an, dass ihr auf einmal Mitleid mit ihm habt! Er ist der Feind, denkt dran!“ „Ja aber vielleicht-“ „Nichts aber!“, unterbrach Anne Öznur. „Genau in dem Moment, in dem man solchen Leuten vertraut, rammen sie einem ein Messer ins Herz.“ „Du kennst ihn doch gar nicht!“, widersprach Janine. Anne warf ihr einen gebrochenen Blick zu. „Ihn vielleicht nicht… Ich möchte nur nicht, dass jemand verletzt wird, weil er der falschen Person vertraut.“ Mitfühlend legte Carsten ihr eine Hand auf die Schulter. Laura warf Benni einen verwirrten Blick zu, da auch er Annes Andeutung vermutlich verstanden hatte. Weil Anne ihn würde hören können, antwortete Benni nicht direkt, sondern nahm Lauras Hand und schrieb mit seinem Finger das japanische Schriftzeichen für ‚Vater‘. Nun verstand auch Laura, was Anne gemeint hatte. Sie hatte ihrem Vater vertraut und dann… Schweigend stiegen sie in den Bus, der sie zurück zur Coeur-Academy brachte. Ariane schaute Laura von ihrem Sitzplatz gegenüber von ihr kritisch an. „Aber dir geht es wirklich besser, oder?“ Laura nickte nur und schaute von der Seite zu Benni, der gedankenverloren aus dem Fenster sah und sich vermutlich darauf konzentrierte, nicht reisekrank zu werden. Bei diesem Gedanken konnte sie sich ein Kichern nicht verkneifen. Benni war super stark, super schlau, super talentiert aber er wurde leicht reisekrank. Mal wieder hatte sie das Gefühl, er könne ihre Gedanken lesen, denn er warf ihr einen warnenden Blick zu, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf die außen vorbeirauschende Landschaft richtete. Doch dann meinte er zum Erstaunen aller Anwesenden: „Schön, dass du jedenfalls wieder lachst.“ Genauso abrupt, wie Lauras Gesicht mal wieder eine rötliche Färbung annahm, wusste sie auch, warum die anderen das alles für sie taten. Und Benni hatte Recht, es war wirklich offensichtlich. Selbst Laura hätte eigentlich früher darauf kommen müssen. Sie wollten sie aufheitern; ihr ein Gefühl der Geborgenheit geben… Sie wollten ihr zeigen, dass sie immer für sie da wären. Laura wurde ganz warm ums Herz und zum ersten Mal in dieser schrecklichen Zeit, kamen ihr die Tränen aus Rührung und Freude. Ariane wollte schon besorgt fragen, warum sie weinte, doch in dem Moment hielt der Bus an der Coeur-Academy und sie alle stiegen aus. Vor dem Eingangstor nutzte Laura die Gelegenheit, sich an die gesamte Gruppe zu wenden. „Danke für alles…“, murmelte sie beschämt und glücklich zugleich und schaute dabei jedem in die Augen. Carsten und die anderen Mädchen erwiderten ihr Lächeln erleichtert. „Für dich doch immer, Süße.“, meinte Lissi und zwinkerte Laura zu. „Aber eigentlich war das alles Arianes Idee.“, ergänzte Susanne bescheiden. Dankbar nahm Laura Ariane in die Arme, um sich noch einmal extra bei ihr zu bedanken. Diese kicherte. „Und ich muss hinzufügen, dass wir das ohne Benni nie geschafft hätten. Er kann nicht nur dich gut überzeugen, musst du wissen.“ Verwirrt schaute Laura sie an, doch Ariane grinste nur. Unschlüssig, was Ariane mit dieser Aussage bezweckt hatte und wie Laura darauf nun reagieren sollte, drehte sie sich zu Benni um. Der wie gewöhnlich sein Pokerface aufgesetzt hatte, was es Laura unmöglich machte, herauszufinden, was in diesem Moment in ihm vorging. Doch sie wusste, wenn Ariane das schon extra erwähnt hatte, musste Laura auch nun irgendwie darauf eingehen… Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, von dem sie leider so wenig hatte, und ging zu Benni rüber. Da er fast einen Kopf größer war als sie, musste sich Laura auf die Zehenspitzen stellen und ihn trotzdem noch ein bisschen zu sich runterziehen. Wie er vorhin bei ihr, strich nun sie ihm die nach vorne fallenden Haare aus dem Gesicht und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Lauras Herz schien fast aus ihrer Brust zu springen. Bennis Haut fühlte sich irgendwie sanft und weich an und Laura kam dieser Moment grauenvoll kurz vor. Am liebsten hätte sie die Arme um seinen Hals gelegt und sich weiter an ihn gekuschelt. Doch ihre Mut-Vorräte waren nun endgültig aufgebraucht. Sie reichten nur noch für ein leises „Danke“. Benni erwiderte nichts darauf und Laura bekam auf einmal riesige Angst, etwas falsch gemacht zu haben. Vorsichtig schaute sie zu ihm hoch, doch Benni wich ihrem Blick aus und Laura meinte, eine leichte Röte über seine Wangen huschen zu sehen. Hinter ihr hörte sie die anderen plötzlich loslachen. „Du bist ja wirklich schüchtern!“, bemerkte Ariane belustigt. Selbst Laura musste kichern, obwohl eigentlich sie diejenige war, die Benni in Verlegenheit gebracht hatte. Aber schon alleine die Tatsache, dass sie ihn in Verlegenheit hatte bringen können war schon lustig. Carsten schüttelte lachend den Kopf. „Ach kommt schon, müsst ihr euch ausgerechnet jetzt über Benni lustig machen? Immerhin zeigt er endlich mal eine gewisse Form der Zuneigung.“ „Aber er ist schüchtern!“, erwiderte Ariane immer noch lachend. „Du kommst damit durch, weil du so einen knuffigen Hundeblick drauf hast, aber nicht der eiskalte Engel.“ Nun war es Carsten, der rot wurde und den Lachkrampf der Mädchen dadurch auch noch verstärkte. „Stimmt, du hast Recht, Nane-Sahne! Das ist echt voll der Hündchenblick!!!!“, quietschte Lissi begeistert, was Carstens Lage nicht gerade rettete. Dieser schnaubte entrüstet. „Mir war es lieber, als Benni noch euer Opfer war.“ „Ach was, ist er immer noch.“, meinte Ariane belustigt. „Nur jetzt seid ihr beide unsere Opfer.“, ergänzte Anne. Carsten warf Benni einen hilfesuchenden Blick zu, doch dieser erwiderte darauf nur ein gleichgültiges Schulterzucken. „Ach komm schon Benni, es macht keinen Spaß dich auszulachen, wenn es dir scheiß egal ist!“, empörte sich Ariane, klang aber trotzdem amüsiert. Carsten seufzte. „Beneidenswert praktisch.“ „Stimmt, dir ist das nicht scheiß egal.“, bemerkte Anne zufrieden. „Wollen wir nicht endlich rein gehen?“, wechselte er das Thema genervt, bevor die Mädchen seinen Kommentar ausnutzen konnten. Sie zeigten sich gnädig und ließen ihn vorerst in Ruhe, aber Laura wusste genau, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich wieder so eine Situation ergeben würde. Ein bisschen Mitleid hatte sie schon mit Carsten und sie hoffte, dass er das alles nicht allzu ernst nahm. Aber er war Carsten! Garantiert nahm er das mit Humor.   Seufzend lehnte sich Laura gegen den Baumstamm, schloss die Augen und ließ ihr Gesicht von den Strahlen der untergehenden Sonne bescheinen. Es war Montagabend und eigentlich sollte sie für die Matheklausur morgen lernen, doch es machte ja sowieso keinen Unterschied mehr, ob sie jetzt noch eine gute Note schreiben würde oder nicht. Vermutlich würde sie das Ergebnis sowieso nie erfahren. Stattdessen war sie direkt nach dem Reitunterricht an den nahegelegenen Waldrand gegangen, um einen Manga zu lesen und Musik zu hören. Laura hatte keine Ahnung, wie sie es auf den ersten Ast des Baumes geschafft hatte, doch nun hatte sie den Manga durch und kam nicht mehr hinunter. Also entschied sie, dieses Problem so weit hinauszuschieben, bis vielleicht irgendeine Hilfe kam. Laura wusste nicht wieso, aber irgendwie störte sie die Tatsache nicht wirklich, dass sie verloren auf einem Baum saß. Genauso wenig wie die zweite Tatsache, dass sie heute in sieben Tagen sterben würde. Ja klar, sie hatte Angst davor, wenn sie daran dachte. Genauso, wie sie Angst davor hatte, irgendwann irgendwie von diesem Baum runterkommen zu müssen. Doch wenn sie nicht daran dachte, schien alles in Ordnung… „Was machst du hier?“ Von der einen auf die andere Sekunde stand Benni neben ihr. Erschrocken schrie Laura auf, ließ den Manga los und verlor das Gleichgewicht. Doch bevor sie vom Baum fallen konnte, packte Benni ihren Oberarm mit der einen Hand und fing den Manga mit der anderen auf. Laura legte die Hand auf ihr Herz und spürte, wie es immer noch vor Schreck raste. Vor Schreck und aus einem weiteren allseits bekannten Grund, an den sie sich inzwischen eigentlich gewöhnen sollte. Als sie sich wieder halbwegs gefangen hatte, antwortete sie schließlich: „Ich hab überlegt, wie ich hier wieder runter komme und fast hättest du mir zu einer Möglichkeit verholfen.“ „Entschuldige.“ „Dass ich fast vom Baum gefallen bin, weil du mich erschreckt hast oder dass du die Möglichkeit, endlich runterzukommen, verhindert hast?“, fragte Laura kritisch. „Zweites.“, antwortete Benni überraschend sarkastisch. „Warum hast du so gute Laune?!“ Laura konnte sich seinen gemeinen Sarkasmus nicht anders erklären, als dass er sie einfach nur etwas necken wollte. Na gut, eine andere Erklärung wäre, dass er sie ärgern wollte, weil er sie nicht leiden konnte, aber Laura hoffte, dass dem nicht so war. Benni zuckte mit den Schultern. Anscheinend schien er noch nicht einmal zu wissen, ob er wirklich gute Laune hatte, was Laura ein bisschen traurig machte. Zwar war es vermutlich ganz praktisch, die negativen Emotionen nicht zu kennen, doch folglich hatte Benni auch keine Ahnung, wie es ist, mal glücklich zu sein… Er ließ ihren Arm los und reichte ihr den Manga, der ebenso fast vom Baum gefallen wäre. „Und warum hast du gute Laune?“ „Weil ich nicht für die Matheklausur lernen muss.“, meinte Laura zufrieden. Bennis Blick wirkte leicht kritisch. „Sonst machst du dich vor Klausuren doch immer ganz verrückt.“ Laura zuckte mit den Schultern. „Ja, stimmt schon… Aber jetzt sind meine Noten ja sowieso egal.“ Benni seufzte. „Du glaubst mir immer noch nicht.“ „Doch! Ähm… Na ja- nicht wirklich, aber… irgendwie…“ Während sich Laura irgendwie zu rechtfertigen versuchte, spürte sie, wie sie mal wieder vor Scham knallrot wurde. Sie überlegte, doch einen Schritt nach hinten zu machen und sich vom Baum fallen zu lassen. Benni verdrehte die Augen. „Und Carsten behauptet immer, ich sei ein Pessimist.“ Mit einem Satz stand er schon wieder sicher unten auf dem grünen Waldboden. „Hey! Willst du mich alleine hier oben lassen?!?“, bemerkte Laura verängstigt. Natürlich hatte sie insgeheim gehofft -und auch erwartet- dass Benni ihr runterhelfen würde. „Nicht, wenn du mir endlich glaubst.“ Mit den Händen in den Hosentaschen schaute er zu ihr hoch und schien sich irgendwie über ihre Lage zu amüsieren. Laura seufzte und wandte verlegen den Blick ab. „Das- das kann ich nicht…“ „Warum nicht?“ „Keine Ahnung! Weil ich ein Pessimist bin?!“ Doch sie merkte, dass das nicht der Grund war, warum sie sich so sicher war, dass der Schwarze Löwe sie verlassen würde. Laura überlegte. „Woran entscheidet der Schwarze Löwe eigentlich, ob er mich nun verlassen will oder nicht? Ist es Mut?“ Doch Benni schüttelte den Kopf. „Güte?“, riet Laura weiter, aber auch diese Vermutung verneinte er. „Stärke? Geschwindigkeit?! Ausdauer?!? Kampftalent?!?!? Von all dem besitze ich nämlich rein gar nichts!“ Wieder schüttelte Benni den Kopf. Verwirrt schaute Laura ihn an und versuchte, aus der Entfernung irgendwelche Gefühlsregungen in seinen Augen zu erkennen. Doch wenn da wirklich welche wären, konnte sie sie nicht sehen. „…Weißt du es?“, fragte sie zögernd. „Ich habe eine Vermutung.“, war Bennis ziemlich ungenaue Antwort. „Und die wäre?“, forderte sie ihn auf, endlich etwas präziser zu werden. Benni seufzte. „Du würdest mir sowieso nicht glauben.“ „Doch!“, widersprach Laura ihm enttäuscht. „Dann kannst du mir auch einfach vertrauen, wenn ich sage, er wird dich nicht verlassen.“ Laura blieb der Mund offen stehen. Das. War. Fies. Betrübt setzte sie sich auf den Ast. „Ich sagte doch schon, ich kann das nicht.“ Ohne ein weiteres Wort wandte Benni sich zum Gehen. „Warte!“, rief Laura ihm hinterher. „Und wie komm ich jetzt hier runter?!?“ „Warum springst du nicht?“, war Bennis Gegenfrage, ohne sich umzudrehen. Er hatte offensichtlich nicht vor, ihr zu helfen. „Was?!? Hast du sie noch alle?!?!?! Das ist doch viel zu hoch!!!“ Lauras Stimme klang vor Schreck so schrill, dass sie beinahe hysterisch wirkte. Aber Bennis Vorschlag war nun mal reinster Selbstmord! Nun drehte sich Benni doch wieder zu ihr um und selbst aus dieser Entfernung konnte Laura sehen, wie er die Augen verdrehte. Ja gut, eigentlich war es nicht viel zu hoch. Jeder Kampfkünstler sollte in der Lage sein, von dieser Höhe runterzuspringen. Laura hatte Benni sogar schon mal von der Baumspitze runterspringen sehen. Wobei er den Fall mit seiner Wind-Energie auch etwas manipulieren konnte. Der einzige Grund, mit dem er Laura damals hatte beruhigen können, die natürlich sofort gedacht hatte, er würde sich umbringen. Laura seufzte. „Ich trau mich nicht…“, gab sie beschämt zu. „Du wirst dich schon nicht verletzen.“, versicherte Benni ihr. „Aber was ist, wenn ich doch irgendwie unglücklich falle?!?“ „Katzen landen immer auf den Pfoten.“ „Hä?!“ Laura verstand nicht, in welchem Zusammenhang er das gemeint hatte und sie war sehr dankbar, dass er nichts auf ihren mangelnden Scharfsinn erwiderte. Aber in Bennis Nähe war sie sowieso noch nie wirklich in der Lage gewesen, klar zu denken. Endlich gab er die Diskussion auf. „Spring einfach, Neko.“ „Wa- aaaaaaaaaaaah!!!“ Laura wurde von dem Spitznamen so aus der Fassung gebracht, dass sie unbeabsichtigt ausrutschte und vom Baum fiel. Doch dieses Mal war kein Benni bei ihr oben, um sie aufzufangen. Es geschah alles so schnell, dass Laura erst im Nachhinein realisieren konnte, was da gerade passiert war. Eigentlich hätte sie mit dem Rücken schmerzhaft auf dem Boden aufprallen müssen, doch stattdessen drehte sie sich während des Falls automatisch so, dass ihre Füße als erstes den Boden berührten. Allerdings war sie nicht in der Lage, die Landung zu federn und knickte ein. Wie aus Reflex stützte Benni sie und fing damit die restliche Energie dieses Sturzes ab. „Ich wollte zwar, dass du vom Baum springst und dich nicht hinunterstürzt, aber dafür ist es doch relativ gut gewesen.“, bemerkte er nüchtern. Laura hielt sich an Bennis Armen fest, immer noch zu sehr mit dieser ganzen Situation überfordert. Als sie ihre Sprache dann endlich wiederfand, war das erste, was sie sagte: „Neko?! Du hast mich Katze genannt?!?“ Aber natürlich konnte sie das nicht über die Lippen bringen, ohne mal wieder knallrot zu werden. Benni hatte ihr noch nie einen Spitznamen gegeben! Er nannte selbst diejenigen, für die ein Spitzname existierte nur bei ihrem normalen Namen!!! Doch er erwiderte nichts darauf und Laura überlegte, ob das tatsächlich an seiner Schüchternheit lag, von der sie bisher noch nie etwas bemerkt hatte. Die eigentlich auch überhaupt nicht zu ihm passte! Seufzend gab sie es auf, eine Erklärung aus ihm zu quetschen. Die Hauptsache war, dass sie endlich wieder unten war. Laura hob den Manga und ihren Mp3-Player auf, die sie bei ihrem Sturz losgelassen hatte, die aber beide den Fall immerhin überlebt hatten. „Danke für die Hilfe… So mehr oder weniger.“ Auch darauf erwiderte Benni nichts. Schweigend verließen sie gemeinsam die Sportanlage der Schule und steuerten auf das riesige Hauptgebäude mit dem gigantischen Mensaturm zu. Das strahlende Barock-weiß war im Sonnenuntergang nun leuchtend orange. Eigentlich müsste das ein ganz romantischer Moment sein, doch das Schweigen hatte eine bedrückende Wirkung und so sehr sich Laura auch wünschte, dass Benni wie letzten Samstag wieder ihre Hand nahm… Er nahm sie einfach nicht. Laura hielt es nicht mehr aus. „Bist du sauer, weil ich dir nicht glauben kann?“ Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Benni den Kopf schüttelte und sie atmete erleichtert auf. „Eher… Wie nennt man das? Enttäuscht?“ Noch schlimmer. Und am schlimmsten war, dass Bennis Enttäuschung sogar berechtigt war! Sie konnte ihm halt nicht glauben, was die Sache mit dem Schwarzen Löwen betraf. Aber im Prinzip hatte sie ihm auch nicht vertraut, als er sie aufgefordert hatte vom Baum zu springen. Wäre sie nicht so tollpatschig, würde sie vermutlich immer noch da oben sitzen! Warum zum Teufel konnte sie ihm nicht einfach glauben?!? Beim Baum hatte er immerhin auch Recht behalten, sie hatte sich wirklich nicht verletzt. „Vielleicht muss ich dir ja gar nicht glauben…“, murmelte Laura vor sich hin. Als sie merkte, dass Benni ihr einen fragenden Blick zuwarf, schluckte sie ihre Scham und ihr schlechtes Gewissen herunter und erklärte: „Mir reicht es schon, wenn du daran glaubst. Das ist viel mehr, als ich mir erhoffen könnte… Oder als ich verdient hätte…“ Benni seufzte. „Du bist unmöglich.“ Doch er nahm trotzdem ihre Hand. Vor Freude machte Lauras Herz Luftsprünge, allerdings konnte sie diesen Moment nicht lange genießen. „Na ihr Turteltäubchen?!“, rief Öznur amüsiert zu ihnen rüber. Laura wollte irgendetwas Schlagfertiges erwidern, doch sie brachte nur ein total verlegenes und sicherlich bescheuert aussehendes Lächeln auf die Reihe. „Wir haben uns Sorgen gemacht, weil du nicht zum Abendessen gekommen bist, aber anscheinend ist ja alles in Ordnung.“, bemerkte Carsten lachend. „Wir wollten euch nicht stören.“ „Aber es ist bitter nötig!“, warf Ariane ein. „Laura, du hast den Brownie-Nachtisch verpasst!!!“ „Was?!?“ Verzweifelt schaute Laura Ariane an. Es gab Schokolade?! Brownies?!?!? Und sie hatte sie verpasst?!?!?!?!?!?! Laura war der totale Schoko-Freak, das konnte jeder, der sie so halbwegs kannte bestätigen. Anne lachte auf. „Vielleicht sind noch welche da. Wenn du dich beeilst…“ Das ließ sich Laura nicht zwei Mal sagen. Etwas widerwillig ließ sie Bennis Hand wieder los und wollte auf direktem Weg zur Mensa rennen, als sie plötzlich ein starker Schwindel erfasste. Genauso plötzlich wie der starke Schwindel spürte Laura einen stechenden Schmerz in ihrer Lunge, der ihr die Luft abschnitt. Sie sah nur verschwommen, wie sich alles zu drehen schien, bevor sie komplett das Bewusstsein verlor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)