Zum Inhalt der Seite

Demon Girls & Boys

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mut zum Führen

   Mut zum Führen

 

 

 

Das Warten war todlangweilig. Zwar war Özi-dösi bisher ‚nur‘ eine dreiviertel Stunde lang weg, aber Lissi wurde trotzdem ungeduldig. Entnervt schaute sie sich um, um herauszufinden, ob die anderen auch der Meinung waren, dass Özi-dösi ne Trantüte war.

Aber die schienen alle irgendwie eine Beschäftigung gefunden zu haben.

Lauch, die zuvor noch Blut hustend zusammengebrochen war, saß mit dem knuffigen Cärstchen auf einem Felsen und führte eine bedrückte Unterhaltung mit ihm, während Cärstchen sich alle Mühe gab, sie wieder aufzuheitern, was ihn umso süßer machte.

Lissis erotischer Bennlèy saß neben den beiden auf dem Fels und las geistesabwesend ein Buch. Ihrer Meinung nach sahen seine tiefen, dunklen Augenringe gar nicht mal so übel aus, da Bennlèy dadurch nur noch mehr wie ein sexy Vampir aussah als er ohnehin schon wirkte.

Er war einfach zum Anbeißen… Oder umgekehrt. Lissi war beides Recht.

Lauch wusste gar nicht, was für ein Glück sie mit ihm hatte!

Ehe Lissi ihrem Anflug von Eifersucht nachgab, wandte sie sich an den zweiten heißen Typen im Bunde. Eagle-Beagle stand etwas abseits von der Gruppe, damit niemand seinen Zigarettenqualm einatmen musste. Der Hauptgrund war natürlich Lauch, die gesundheitlich immer noch ziemlich angeschlagen war.

Verdammt noch mal, Lauch du Glückspilz! Der süße Typ kümmert sich rührend um dich, der erotische ist dein potentieller Lover und der heiße steht auf dich!

Eingeschnappt wandte sich Lissi ab.

Sie konnte es noch nicht einmal verstehen, warum Laura bei den Typen offensichtlich so gut ankam. Na gut, sie war schon süß und hatte ein bildhübsches Gesicht, aber körperlich hatte sie bis auf ihre schmale Figur gar nichts zu bieten und auch wenn Lissi wusste, dass das fies klang, ihr Charakter war auch nicht gerade der beste. Er war halt zu pessimistisch und heulerisch.

Seufzend zwirbelte Lissi an einer schwarz gelockten Strähne. Sie wollte nicht schlecht über Lauch denken… Eigentlich war sie ja total bemitleidenswert.

Und sie müsste es inzwischen auch gewohnt sein, nicht immer das zu bekommen, was sie wollte. Es war schon immer so gewesen, dass man jemand anderen Lissi vorzog.

Schon seit ihrer Geburt, um genau zu sein. Madre und Padre hatten eigentlich nur ein Kind gewollt und dieses eine Kind sollte natürlich auch so sein, wie man sich ein perfektes Kind vorstellte.

Susi war so ein Kind, das stand von Anfang an fest. Sie war hübsch, höflich, freundlich, zuvorkommend und nicht zuletzt intelligent und fleißig.

Eben perfekt, dachte Lissi stolz über ihre Schwester.

Leider hatten ihre Eltern sie als Zweitgeborene sofort aufgegeben. Sie hatte noch nicht einmal die Möglichkeit bekommen, sich ihnen zu beweisen.

Inzwischen hatte Lissi auch keine Lust mehr darauf.

Sie war nun mal wilder und aufmüpfiger als ihre Schwester und nicht so schlau wie sie. Aber seinem Kind deswegen die Fürsorge vorzuenthalten konnten nur Lissis Eltern machen.

Sie gönnten ihr gar nichts!

Als sie von Susi erfuhren, dass sie die Besitzerin des Pinken Bärs geworden sei, platzten die förmlich vor Stolz. Doch als Lissi begeistert hinzugefügt hatte, dass der Blaue Wolf sie auserwählt habe…

Na ja, eigentlich war nicht wirklich was passiert, doch Lissi konnte sich noch genau an den Blick ihrer Eltern erinnern. Dieser verwunderte, misstrauische Blick, der so viel sagte, dass es schwer gewesen wäre, ihn zu ignorieren.

‚Was redet die denn für dummes Zeug?‘ ‚Als würde der Blaue Wolf die auserwählen, sie kann doch gar nichts.‘ Und so weiter.

„Lissi? Ist alles in Ordnung?“

Lissi schrak hoch und schaute in die grün-blau strahlenden Augen ihrer Schwester, die sich besorgt vor sie gebeugt hatte.

„Klar, wieso fragst du Susi?“

Seufzend setzte sich Susi neben sie. „Du hast so deprimiert ausgesehen.“

„Ach was.“ Lissi sprang auf und streckte sich, um ihren eingeschlafenen Körper aufzuwecken. „Mir ist nur todlangweilig. Hoffentlich braucht Özi-dösi nicht noch länger.“

Aber natürlich konnte sie Susi mit diesem Argument nicht überzeugen. Immerhin waren sie Zwillinge und obendrein war Susi auch noch superschlau. Ihr konnte es nicht entgehen, wenn Lissi mal Trübsal blies.

„Echt Susi, du machst dir zu viele Sorgen. Mir geht’s gut!“ Lissi grinste ihre Schwester an. Sie wollte nicht, dass Susi mitbekam, dass ihre Eltern Lissis Stimmung so vermiesen konnten, obwohl sie noch nicht einmal anwesend waren.

Immerhin fiel es Susi auch nicht leicht, damit klar zu kommen. Im Endeffekt musste sie darunter noch mehr leiden als Lissi selbst, die persönlich das Opfer der Abneigung ihrer Eltern war.

Susi erwiderte Lissis Grinsen mit einem schwachen Lächeln, als sich endlich das Steintor zum Schrein öffnete.

Erwartungsvoll gaffte Lissi zum Durchgang, aus dem Özi-dösi trat. Mit einem so breiten Grinsen im Gesicht, dass es ganz offensichtlich war, dass sie bestanden hatte. Zusammen mit Nane-Sahne war Lissi die erste bei Özi-dösi und betrachtete die frisch gebackene Halbdämonin ganz genau, nachdem sie ihr hyperaktiv um den Hals gefallen war.

Auch die anderen schienen inzwischen gekommen zu sein, denn Lissi hörte ganz genau, wie Eagle-Beagle pfiff und meinte: „Klingt vielleicht komisch, aber Fuchs steht dir wirklich gut.“

Özi-dösi lachte beschämt auf und Lissi überlegte für den Bruchteil einer Sekunde, ob aus ihr und Eagle-Beagle nicht vielleicht doch was werden könnte. Immerhin passten sie ziemlich gut zusammen.

„Nun, danke… Oder so.“, erwiderte Öznur sarkastisch, gefolgt von einer tiefen, männlichen Stimme, die ihre Worte ganz leise nachflüsterte.

Aber so seltsam Eagle-Beagles Aussage auch klang, er hatte Recht.

Özi-dösi hatte nun braun-rote, ins Schwarze übergehende Fuchsohren, Schnurrhaare und einen flauschigen Fuchsschwanz. Ihre Augen waren feuerrot und hatten nichts weiter als einen Schlitz als Pupille. Dennoch ließen sie Özis Blick nicht nur furchteinflößend sondern auch verführerisch wirken.

Es sah wirklich unglaublich heiß aus.

Nachdem jeder die ‚neue‘ Özi ausgiebig in Augenschein genommen hatte, außer Bennlèy und Anni-Banani natürlich, die weniger der Typ für so was waren, verbarg auch Özi-dösi ihre Gestalt, so wie es bereits Ninie und Anni-Banani getan hatten.

Eigentlich fand Lissi, dass das die reinste Verschwendung war. Als Halbdämon sah man doch total hübsch und sexy aus, also warum musste man sein wahres Ich verstecken?!?

Aber sie konnte sich die Antwort schon denken, so bescheuert sie auch war: Um nicht von den dämlichen Menschen als Halbdämon erkannt zu werden, da die sonst die Krise bekommen und sie abschlachten würden.

Wie bescheuert.

„Aaaaaalsoooooo ihr Süßen, können wir weiter?“, erkundigte sich Lissi drängend.

Immerhin war sie die nächste, die ihre Prüfung machen würde und sie wollte auch so eine heiße Dämonenform wie Öznur haben. Da ihr Dämon dem Roten Fuchs ziemlich ähnlich sah, konnte sie sich so was auch erhoffen.

Carsten warf einen besorgten Blick auf Lauch, der ihn mal wieder total süß wirken ließ.

„Am besten, wir teleportieren uns nur bis zur Küste und fahren mit dem Schiff zu deinem Schrein.“, überlegte er.

Lissi warf ihrem schnuckeligen Indigoner einen Luftkuss zu. „Kein Problem, Darling. Ich hab sowieso keinen Plan, wo sich dieses Häuschen befindet.“

Anni-Banani schnaubte entnervt. „Hast du eigentlich je von irgendwas ‘nen Plan?“

„Aber sichi, Banani.“, erwiderte Lissi in ihrem Sing-Sang-Ton.

Sie nahm Anni-Bananis Kommentare nie ernst. Klar, eigentlich müssten sie verletzend sein, aber es war Anni-Banani! Sie war immer so mies drauf, also konnte Lissi das einfach nicht ernst nehmen.

„Es gibt da ein Kreuzfahrtschiff am Hafen von Ares, das in einer Stunde über die Schrein-Insel nach Kara fährt. Falls wir Glück haben, erreichen wir es noch beizeiten.“, erklärte Cärstchen.

„In Ares war ich schon mal. Sogar am Hafen.“, meinte Özi-dösi erfreulicher Weise.

„Aber hätten wir dann nicht rechtzeitig reservieren sollen? Und außerdem… Ist ein Kreuzfahrtschiff nicht ziemlich teuer? …“ So zögernd Ninies Bemerkung auch war, so knuffig war sie.

Ninie erinnerte Lissi an ihr Schwesterherz. Beide waren zwar schüchtern, aber trotzdem freundlich und süß.

„Lass das mal meine Sorge sein.“, schaltete sich Eagle-Beagle plötzlich ein, nahm Cärstchens Hand und drückte auf ihr seine Zigarette aus.

Dieser wich erschrocken zurück und kühlte die verbrannte Stelle mit seiner Magie.

„Verdammt noch mal Eagle, was soll das?!?“, beschwerte sich das arme Cärstchen bei seinem sexy, großen Bruder.

Özi-dösi stöhnte genervt auf. „Und ich habe gedacht, dass ihr euch inzwischen etwas besser leiden könnt…“

„Ich möchte gar nicht erst wissen, wovon du erst nachts träumst.“, kommentierte Eagle-Beagle ihre Hoffnungen.

„Oke Leute, Spaß beiseite.“, schritt Nane-Sahne schließlich schlichtend ein, „Wenn dieses Schiff tatsächlich in einer Stunde davondampft, wie Carsten es sagt und Eagle davor auch noch ein Hühnchen mit der Crew rupfen muss, damit die uns mitfahren lassen, sollten wir uns vielleicht so langsam auf den Weg machen. Findet ihr nicht auch?“

„Ja, das wäre von Vorteil.“, gab Anni-Banani ihr mit ihrem sarkastischen Tonfall Recht. „Also los, Carsten.“

Özi-dösi hob überrascht eine Augenbraue. „Wow. Carsten? Nicht Depp, Idiot, Schwächling oder Indigonerbubi? Einfach nur Carsten? Ist das dein Ernst?!“

Anni-Banani schnaubte genervt. „Ja. Los jetzt.“

Lissi begab sich auf ihren gewohnten Platz im Kreis zwischen Susi und Özi-dösi und ärgerte sich darüber, mal wieder nicht an der Seite einer der süßen Typen zu stehen, obwohl diese dieses Mal sogar zu dritt waren.

 

Das Erste, das Lissi nach der Teleportation wahrnahm, war der wohlige und vertraute Duft des Meeres, der sie an die Küsten und Strände von Kara erinnerte. Auch der Wind war nicht eisig kalt, sondern genauso lauwarm, wie der Wind in den Bergen, wo Öznurs Schrein stand.

Lissi liebte das Meer, auch wenn sie nicht wusste, wieso eigentlich. Sie mochte es einfach und fertig.

Im Hafen tummelten sich haufenweise Menschen herum. Menschen, die Familienmitglieder verabschiedeten, Hafenarbeiter und hin und wieder erhaschte Lissi einen Blick auf Matrosen in ihren süßen weißblauen Matrosenanzügen.

Es war laut und voll, doch Lissi machten große Menschenmengen nichts aus. Im Gegenteil, sie fühlte sich sogar wohl in ihnen.

Im Gegensatz zu Bennlèy, der still und unbemerkt sein Leid ertrug.

Er tat Lissi leid, doch was sollte sie machen? Ihn um den Hals fallen würde ihr zwar Freude bereiten, aber seine Situation nicht gerade bessern.

„Gebt mir fünfzehn Minuten.“, meinte Eagle-Beagle mit seiner sexy tiefen Stimme und verließ die Gruppe, um weiß Gott wen aufzusuchen, der sie aufs Schiff bringen könnte.

Anni-Banani verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich würde nur zu gerne wissen, wie er den Kapitän umstimmen möchte.“

„Ich schwanke zwischen Autorität und Stärke.“, sinnierte Susi und klang dabei ungewohnt sarkastisch.

Derweil hatte Cärstchen endlich entdeckt, dass Bennlèy nicht ganz fit war. „Geht’s noch?“, erkundigte er sich besorgt.

Bennlèy schüttelte ausdruckslos den Kopf und erwiderte irgendetwas auf einer Sprache, die Lissi unbekannt war.

Nach tatsächlich höchstens einer viertel Stunde kam Eagle-Beagle wieder.

„Alles geregelt.“, meinte er nur, war mit dem Ergebnis aber sichtlich zufrieden.

„Hast du ihn erpresst oder vermöbelt?“, erkundigte sich Anni-Banani kritisch.

Eagle-Beagle verschränkte die Arme vor der muskulösen Brust. „Nichts von beidem. Der Kapitän war mir noch einen Gefallen schuldig.“

„Also erpresst.“

Eagle-Beagle ignorierte Anni-Bananis schnippischen Kommentar und erklärte, an die Gruppe gewandt: „Er hat gemeint, es sei kein Problem uns für diese kurze Strecke mitzunehmen, aber leider sind alle Zimmer belegt. Auch die erste Klasse…“

„Wow, bist du verwöhnt.“, murmelte Cärstchen vor sich hin und verdrehte die magischen, lila Augen.

„Halt einfach die Klappe, wenn du nach den Ferien wieder die Coeur-Academy besuchen möchtest.“ Um zu zeigen, dass die Drohung ernst gemeint war, stieß Eagle-Beagle Cärstchen mit solcher Wuchte gegen einen Container, dass er sich garantiert den Kopf aufgeschlagen hätte, wenn Bennlèy den Aufprall nicht in letzter Sekunde verhindert hätte.

Im Bruchteil eines Herzschlags waren die Rollen vertauscht und es war Bennlèy, der Eagle-Beagle gegen den Container drückte und mit seinem Unterarm dessen Kehle zupresste.

„Ich bin müde und folglich gereizt, also mäßige dich lieber.“ Die unheimliche Kälte in Bennlèys Stimme jagte Lissi einen Schauder über ihren Rücken und sie rechnete damit, dass er jeden Moment Eagle-Beagles Herz rausreißen oder ihn sonst wie töten würde.

Da war es umso erleichternder, als Bennlèy von ihm abließ und Eagle-Beagle keuchend in die Knie sackte.

„Geht’s?“, erkundigte sich Susi besorgt.

Lissi fand es beeindruckend, dass sich ihre Schwester um jemanden sorgte, der kurz davor drauf und dran war, sein eigenes Brüderchen zu verprügeln. Sie war halt eine gute Seele, die keinem etwas Schlechtes wünschte.

Doch Eagle-Beagle schlug ihr gütiges Angebot, ihm zu helfen, grob aus. „Lass mich.“ Nicht gerade sanft schlug er ihre Hand weg.

„Hey! Wenn du schon eingeschnappt sein musst, lass das nicht an meiner Schwester aus! Sie wollte nur helfen!“

Eagle-Beagle warf mit einigen der anderen einen verwirrten Blick auf Lissi.

Verstimmt schüttelte sie den Kopf. So heiß er auch war, er war das reinste Arschloch.

Nachdem er sich wieder gefasst hatte, richtete sich Eagle-Beagle auf.

„Sorry…“, murmelte er nur in Susis Richtung, doch sie war bekanntlich die Gutmütigkeit in Person. „Kein Problem, es ist ja nichts passiert.“

„Du solltest dich lieber bei Carsten entschuldigen!“, wies Lauch ihn verärgert zurecht.

Eagle-Beagle warf seinem Brüderchen einen sehr unfreundlichen Blick zu, der alles andere als eine Entschuldigung war.

Um die angespannte Situation zu retten, machte Nane-Sahne einen demonstrativen Schritt zu den Schiffen. „Soooo, ihr Lieben. Wie wär’s, wenn wir uns statt die Köpfe einzuschlagen endlich an Board begeben und die gemütliche, von der Sonne begleitete Fahrt zur Schrein-Insel genießen?“

Özi-dösi nickte. „Das klingt sehr überzeugend. Und am besten sorgen wir für etwas Abstand zwischen Carsten und Eagle. Euer Bruderhass versaut uns noch alles!“

„Gute Idee!“, stimmte Nane-Sahne begeistert zu und schob sich prompt zwischen die Brüder und ihre mangelnde Geschwisterliebe. Während Eagle-Beagle trotzig, nahezu kindisch, murmelte: „Das ist nicht mein Bruder.“

Auch ohne Worte einigten sich alle darauf, das einfach so stehen zu lassen. Allerdings war es Lissi nicht entgangen, dass Cärstchen bei Eagle-Beagles Kommentar einen seeeeehr traurigen Gesichtsausdruck gehabt hatte.

 

Trotz der ausgebuchten Zimmer war das Schiff, auf dem sie reisten, so groß, dass problemlos doppelt so viele Leute untergekommen wären. Und es war alles vorhanden! Swimmingpool, Bowlingbahn, ein Wellnessbereich und nicht zuletzt heiße Typen und sexy Mädels, die leicht bekleidet an der Bar chillten, obwohl es noch kein Sommer war.

Lissis Paradies.

Die Fahrt war tatsächlich sehr erholsam. Nicht zuletzt aus dem Grund, weil das Schiff groß genug war, dass sich gewisse Leute ohne Probleme aus dem Weg gehen konnten und es so endlich mal zu keinen Reibereien zwischen Eagle-Beagle und Anni-Banani, Cärstchen oder Bennlèy kam.

Auch wenn Lissi sich überwiegend mit heißen Kerlen und Mädels an der Bar unterhielt, entgingen ihr die Tätigkeiten der anderen nicht.

Anni-Banani und Nane-Sahne hatten prompt zwei ganze Bahnen des Pools erobert und lieferten sich nun extreme Schwimmwettbewerbe, während Ninie und Susi ihre teils sehr seltsamen Aufgaben amüsiert beobachteten.

Özi-dösi ergatterte einen Sonnenstuhl und tat das, was sie am besten konnte: Mit ihrer lockeren und zugleich temperamentvollen Art der Magnet aller Jungenblicke werden. Die sich jedoch nicht trauten, sie anzusprechen, da Eagle-Beagle neben Özi-dösi chillte und die beiden so eindeutig flirteten, dass Lissi schon vermutet hätte, Eagle-Beagle würde auf Özi-dösi und nicht auf Lauch stehen.

Lauch störte das allerdings überhaupt nicht. Sie hatte sich in den Schatten verkrümelt und zeichnete seelenruhig vor sich hin. Neben ihr saß Cärstchen, der in irgendeinem unnötig dicken Wälzer las.

Nur wo Bennlèy war, konnte Lissi nicht herausfinden.

So ein Mist.

Aber sie konnte die Gelegenheit riechen, die sich ihr bot. Lauch war immerhin viel zu sehr mit ihren Manga-Zeichnungen beschäftigt, um eifersüchtig werden zu können.

Also entfernte sie sich kurzerhand von der Bar und machte sich auf die Suche nach ihrem Lieblings-Bad-Boy.

Aufgrund der Größe des Schiffes wurde ihre Suche ziemlich erschwert, aber dennoch fand sie ihn in verhältnismäßig kurzer Zeit.

Bennlèy lehnte an der Reling des Schiffes und schaute ausdruckslos hinaus aufs Meer. Lissi gesellte sich neben ihn und lächelte ihn flirtend an, doch erwartungsgemäß reagierte er nicht darauf, sondern blickte weiterhin Richtung Horizont.

„Komm schon Bennlèy, du musst dich auch mal etwas amüsieren!“, forderte sie ihn auf.

Bennlèy schüttelte den Kopf. „Ich würde Schlaf bevorzugen.“

„Und warum schläfst du dann nicht?“, hakte Lissi nach.

„Weil ich dann wieder träume…“

Lissi warf dem heißen Typ neben ihr noch einen kurzen, mitleidigen Blick zu, ehe sie es ihm gleich tat und hinaus aufs Meer starrte. Sie wusste zwar nicht, was es dort Interessantes gab, aber es hatte eine beruhigende Wirkung, von weitem die sanften Wellen zu beobachten.

Nach längerer Pause war es schließlich Bennlèy, der ihr eine Frage stellte.

„Was möchtest du eigentlich?“, fragte er sie auf ihrer Geburtssprache Spanisch.

Lissi zuckte mit den Schultern. „Ich wollte einfach mal schauen, wie es dir geht.“

Sie dachte, ein leichtes Stirnrunzeln zu erkennen. „Sonst nichts?“

„Huch? Du denkst ernsthaft, ich wäre nicht nur wegen dir hier?“

„Nicht aus so einem banalen Grund.“, erwiderte Bennlèy ruhig.

Lissi lachte verlegen auf. „Du bist wirklich der Meinung, man könnte sich mit mir normal unterhalten?“

„Sí.“, meinte Bennlèy tonlos.

Lissi spürte, wie das Blut in ihrem Kopf pulsierte. „Wow… Danke. Das höre ich zum ersten Mal.“

„Wieso?“

„Weil ich doch so dumm und naiv bin.“, antwortete Lissi grinsend.

„Das nehme ich dir nicht ab.“

Sie musterte Bennlèy verwirrt. „Glaubst du wirklich, ich würde nur die Dumme spielen?“

Endlich erwiderte Bennlèy ihren Blick. „Lo sé.“

„Hast du einen Beweis?“, fragte sie ihn herausfordernd.

„Du hast eine Frage, die man auch Doppeldeutig verstehen könnte, recht ernst beantwortet.“, lautete seine Antwort.

„Uuuuh, war sie denn doppeldeutig gemeint?“ Lissi klang ziemlich begeistert, obwohl sie sich die Antwort denken konnte.

„No.“

Lissi seufzte betrübt. „Und was wäre, wenn es tatsächlich so mehr oder weniger stimmen würde?“

„Dann wäre ich am Grund interessiert.“

„Ich habe einfach keine Lust, mich anzustrengen, damit man mich mag.“, meinte sie.

Für gewöhnlich wollte Lissi nicht darüber reden. Es war keine schöne Geschichte, die man nebenbei beim Smalltalk oder in einem Gespräch generell zur Schau stellen wollte. Aber jetzt, wo sie Bennlèys ruhigen und weder drängenden noch neugierigen Blick auf sich spürte, bekam sie den Wunsch, ihm einfach alles anzuvertrauen.

Sie wusste nicht wieso.

Sie wusste nur, dass Bennlèy genau der richtige Gesprächspartner für sie war.

„Das Problem ist einfach, dass meine Eltern Susi schon immer viel lieber hatten als mich. Sie ist halt perfekt… und ich nicht. Ich nehm’s ihr nicht übel, sie kann ja nichts dafür, dass Madre und Padre so denken. Aber ich auch nicht!“

Bedrückt wandte sich Lissi ab und beobachtete die Wellen, die gegen das Schiff bretterten. „Eine Zeit lang habe ich wirklich versucht, mich anzustrengen. Ich wollte, dass sie stolz auf mich sein konnten. Aber das hat sie gar nicht interessiert. Egal wie viel Mühe ich mir gab, oder je geben würde, ich werde Susi nie das Wasser reichen können. Wenn es nach meinen Eltern geht, bin ich nutzlos und werde nichts dran ändern können… Dann muss ich mir auch keine Mühe mehr geben, noch irgendwie eine Bestätigung von ihnen zu bekommen.“ Lissi spürte, dass sich in ihren Augen Tränen sammelten. „Ich kann nichts dafür… Ich habe mir nicht ausgesucht, ich zu sein!“

„Hatte man je eine Wahl?“

Sie musterte Bennlèy verwirrt. „Was?“

Dieser erwiderte, wieder ausdruckslos das Meer beobachtend: „Es wird immer welche geben, die dich für irgendetwas verurteilen, obwohl du nichts dafür kannst. Ob du nun mit ihnen verwandt bist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Man hat einfach keine Wahl. Nur, ob man es akzeptiert damit zu leben, oder nicht.“

Seufzend musste sich Lissi eingestehen, dass er Recht hatte… „Aber es ist trotzdem unfair.“

„Wenn Fairness eine Rolle spielen würde, gäbe es kein Leid.“

„Sag mal… Redest du aus eigener Erfahrung?“

Sie bekam keine Antwort, was bereits Antwort genug war. Doch ehe Lissi dazu kam, ihn irgendwie zu diesem Thema auszufragen, hörte sie Cärstchens Stimme hinter sich: „Hey Leute, wir sind gleich da.“

Er schien nicht wirklich verwundert, dass sich Lissi gerade mit Bennlèy unterhalten hatte, obwohl jeder normale Mensch vermutlich erwartet hätte, dass das überhaupt nicht möglich wäre.

Lissi seufzte. Nun, da sie so kurz vor ihrer Prüfung stand, war sie doch etwas nervös. Für gewöhnlich waren ihr ja Prüfungen im Allgemeinen total egal, aber diese war etwas anderes.

Man könnte tatsächlich sagen, ihr Leben hinge von dem Ergebnis ab.

Die vor kurzem noch auf dem Schiff verstreute Gruppe kam nun wieder zusammen und beobachtete den grünen Fleck, der am Horizont erschien und nach und nach größer wurde.

Die Insel schien sehr klein und große Bäume schützten den Schrein vor neugierigen Blicken.

„Na dann wollen wir mal.“, meinte Eagle-Beagle und wies auf eins der Rettungsboote.

„Ähm… Müssen wirklich alle mit?“, erkundigte sich Lauch zögernd.

Anni-Banani stöhnte auf. „Komm mir jetzt nicht schon wieder mit dieser Knie-Ausrede.“

Lauchs Wangen bekamen einen leichten Rot-Stich. „Das nicht aber ich…“

Cärstchen lächelte sie mit diesem süßen Cärstchen-Lächeln an. „Keine Sorge, du musst nicht mit.“

Lauch atmete erleichtert auf. „Danke.“

Lissi merkte, wie sich kurz Bennlèys und Cärstchens Blicke tauschten, bevor Bennlèy einfach nur zu ihr meinte „Buena suerte.“ und ging.

Eagle-Beagle verschränkte die Arme vor der Brust und grinste hämisch. „Kaum zu glauben. Euer eiskalter Engel kneift.“

„Er hat schon seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen. Da ist es nicht verwunderlich, dass er keine Lust hat.“, erwiderte Cärstchen genervt.

Doch Eagle-Beagle ignorierte seinen kleinen Bruder einfach. „Gibt’s sonst noch jemanden, der Schiss bekommen hat? Jetzt oder nie. Wenn wir im Boot sind, gibt’s kein Zurück mehr.“

Ninie errötete zwar leicht, aber sie sagte trotzdem nicht, dass sie lieber hier bleiben würde.

Eagle-Beagle zuckte nur mit den Schultern. „Dann los.“

 

Alle in einem Rettungsboot sitzend erreichten sie schließlich die Insel.

„Wir haben maximal eineinhalb Stunden. Wenn wir bis dahin nicht wieder an Board sind fährt das Schiff ohne uns weiter.“, meinte Eagle-Beagle, als sie den Strand der Schrein-Insel betraten.

Anni-Banani stöhnte genervt auf. „Na toll. Wir haben doch keinen Schimmer, wie lange wir auf Lissi werden warten müssen.“ Drohend hielt sie ihren Zeigefinger vor Lissis Gesicht. „Also lass dir eins gesagt sein: Wenn du in diesen eineinhalb Stunden nicht fertig mit deiner Prüfung bist, lassen wir dich alleine auf dieser gottverlassenen Insel zurück. Haben wir uns verstanden?“

„Nein, haben wir nicht.“ Susi zog Lissi am Arm weg von der aggressiven Prinzessin. „Wenn du zurück willst, bitte. Ich werde dich nicht daran hindern. Aber denk dran: Wir sind ein Team und folglich halten wir auch zusammen, egal was passiert!“

Nane-Sahne zeigte mit dem Daumen zurück zum Schiff. „Ich find’s ja echt süß, was du da gesagt hast und unterstütze das auch. Ehrlich. Aber… Irgendwie passen unsere beiden Zurückgebliebenen dann nicht wirklich in deine Vorstellung, oder?“

Susi seufzte. „Wir müssen Rücksicht auf Bennis Situation nehmen. Ich denke, ihr seht alle ein, dass wir ihn besser schonen sollten, bis wir wissen, warum er immer so schlimm zu träumen scheint und wie wir ihm helfen können.“

„Und Laura ist bei einer Prüfung des Herrschers über das Wasser gefährlich falsch aufgehoben.“, ergänzte Cärstchen.

Nane-Sahne schaute ihn verwirrt an. „Wieso?“

„Sie kann nicht schwimmen.“, lautete seine Antwort.

Anni-Banani lachte zwar kurz auf, behielt ihre gemeinen Gedanken aber glücklicherweise für sich.

Um nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln, machten sie sich endlich auf den Weg zum Mittelpunkt der Insel, wo der Schrein lag. Zwar gab es einen Pfad, der sie dorthin führte, doch der war so verwildert und kaum begehbar, dass man ihn nicht mehr Pfad nennen konnte. Lissi wollte gar nicht wissen, wie viel Zeit sie schon verplempert hatten, als sie das Gestrüpp endlich durchquert hatten und vor dem Schrein standen.

Der Tempel bestand aus leuchtend blauen Steinen, sah aber sonst wie ein gewöhnlicher Tempel aus. Wie langweilig…

Lissi musterte das riesige Steintor, das sich zum Glück magisch von alleine öffnete und ihr damit die Mühe ersparte, es aufzudrücken.

Trotz ihrer Nervosität ging sie schnellen Schrittes in das Innere des Tempels. Die übrigen der Gruppe wurden noch nicht mal ausgesperrt. Sie konnten ihr problemlos folgen.

Was Lissi direkt kritisch stimmte.

Kaum war auch der letzte im Tempel, fiel die Tür laut krachend in die Angeln.

Erschrocken drehten sich einige der Mädchen um und musterten die Dunkelheit, in die das Tor nun getaucht war.

„Das gefällt mir ganz und gar nicht.“, hörte Lissi Anni-Banani reserviert murmeln.

Nach kurzem Schweigen meinte Özi-dösi: „Ähm… Mir auch nicht. Leute, ich kann hier kein Feuer machen.“

„Meine Licht-Energie funktioniert auch nicht!“, stellte Nane-Sahne erschrocken fest.

Cärstchen murmelte irgendeinen seltsam klingenden Zauberspruch und kurz darauf leuchtete über seiner Handfläche ein in allen erdenklichen Farben schillerndes Licht. „Magie schon, wenn auch bedenklich schwach.“

Lissi sah, wie Eagle-Beagle im fahlen Licht leicht die Stirn runzelte. „Das ist kein gutes Zeichen…“

Kaum war sein letztes Wort gesprochen, hörten sie ein dunkles Grollen. Unter ihren Füßen begann die Erde zu beben.

Lissi suchte Halt am Arm ihrer Schwester, die selbst fast das Gleichgewicht verlor.

Ein Blick nach unten, verriet ihr, dass sich durch das Beben Risse im Gestein des Tempels bildeten, die sich mit einem ohrenbetäubenden Krach spalteten und den Abgrund der Insel entblößten.

Aus diesem Abgrund kamen gewaltige Wassermassen hochgeschossen.

„Iiiiih, Carsten, mach was!“, hörte Lissi Öznur auf der anderen Seite der Kluft rufen, doch von Cärstchen kam keine Antwort.

„Carsten?!“, rief nun auch Susi durch die Strahlen aus Wasser, die inzwischen wie ein starker Regen auf sie nieder schütteten.

Immer noch an den Arm ihrer Schwester gekrallt und patschnass, folgte Lissi Susi durch den Wasserstrom, der ihnen inzwischen bis zu den Knien reichte, bis sich Susi plötzlich von ihr los riss.

„Carsten, ist alles okay?“, fragte sie besorgt und half Cärstchen auf die Beine.

„Na ja…“, antwortete er lediglich matt und hielt sich den Kopf, als habe er starke Kopfschmerzen.

Auch Özi-dösi und der Rest der Gruppe hatte nun zu ihnen gefunden.

„Hol uns hier raus, Carsten!“, schrie sie.

„Das geht nicht!“, stieß Cärstchen zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor.

„Wie, ‚das geht nicht‘? Verdammt noch mal, ich hab keine Lust, hier zu ersaufen.“, herrschte Eagle-Beagle sein kleines Brüderchen an.

Susi, die Cärstchen immer noch stützen musste, weil dieser seltsamer Weise völlig kraftlos war, warf Lissi einen wissenden Blick zu. „Lissi, das ist deine Prüfung. Der Dämon setzt Carsten absichtlich außer Kraft, damit er als erfahrener Magier nicht in der Lage ist, uns zu helfen.“

„Das heißt… Lissi ist diejenige, die uns hier raus schaffen muss?“, bemerkte Nane-Sahne leicht geschockt.

Anni-Banani schnaubte genervt. „Na prima, können wir uns ja gleich jetzt umbringen.“

„Anne!“ Vorwurfsvoll schaute Susi sie durch die strömenden Wassermassen an, die den Wasserspiegel bereits auf Hüfthöhe stiegen ließen.

Anni-Banani zuckte lediglich mit den Schultern. „Was denn? Ist doch so. Als wäre die in der Lage, uns hier lebend rauszuschaffen.“

„Das ist aber auch nicht gerade hilfreich, Anne.“, nahm Özi-dösi Lissi in Schutz und warf ihr einen aufmunternden Blick zu.

Doch Lissi wich diesem beschämt aus.

Zum ersten Mal wusste sie, dass Anne Recht hatte. Sie würde es nie und nimmer schaffen, diese ganze Gruppe irgendwie aus dem Tempel zu bekommen.

Was könnte sie denn ausrichten?

Für gute Ideen und Pläne waren Cärstchen und Susi am besten geeignet und für Stärke und Kampf Anni-Banani und Eagle-Beagle.

Lissi war weder für das eine, noch für das andere zu gebrauchen.

Sie war doch nichts weiter als das Girlie schlechthin, das jedem hübschen Jungen schöne Augen machte und noch nicht einmal in der Lage war, mit ihrem absoluten Traumtyp zusammenzukommen.

Wie sollte sie also hier irgendwie von Nutzen sein können?

Das Wasser stand inzwischen schon so hoch, dass die nicht so großen Gruppenmitglieder wie Lissi, Susi und Ninie es nicht mehr so leicht hatten, sich mit bloßem Herumstehen über Wasser zu halten.

„Na ja… Immerhin hast du Recht, Carsten. Laura wäre hier wirklich falsch aufgehoben, wenn sie tatsächlich nicht schwimmen kann…“, erkannte Nane-Sahne das wohl einzig Positive an dieser Situation.

 

~*~

 

Betrübt starrte Laura auf ein leeres Blatt in ihrem Skizzenblock, nicht wissend, was sie nun zeichnen sollte. Sie konnte Stunden in dieser Position verharren und es würde trotzdem zu keinem produktiven Ergebnis kommen…

Bisher war es zum Glück nur eine halbe Stunde.

Laura schämte sich, die anderen nicht begleitet zu haben. Inzwischen würden die auch garantiert vom Grund wissen, weshalb sie lieber auf dem Schiff bleiben wollte.

Laura konnte nicht schwimmen. Sie wusste nicht wieso, aber irgendwie bekam sie immer sofort Panik und war somit nicht in der Lage, sich über Wasser zu halten.

Das lag garantiert an ihrer beschissenen Ausdauer!

Also am Karystma!!!

So. Und deswegen saß sie nun hier, körperlich nicht in der Lage, die anderen zu unterstützen und vollkommen unkreativ, um sich zumindest mit einer Zeichnung ablenken zu können.

Und an all dem war nur das Karystma schuld!

Seufzend gab sie den Versuch auf, noch irgendetwas auf Papier zu bringen und verstaute den Zeichenblock wieder in ihrem Koffer, als ein unheimliches, tiefes Grollen sie hochschrecken ließ.

Ein Blick in die Richtung, aus der das Geräusch kam, zeigte ihr den Verursacher.

Riesige Wellen brachen am Strand der Schrein Insel und vergruben nicht nur den Sand sondern auch höher gewachsene Pflanzen unter sich und rissen sie samt Wurzel hinaus aufs Meer, um noch größeren Wellen den Platz frei zu machen, die vereinzelt bereits einige Palmen entwurzelten.

Noch ehe Laura einen klaren Gedanken fassen konnte, rannte sie bereits das Schiffsdeck entlang, um Benni zu finden.

Er wusste sicher, was sie machen mussten!

Außer Atem erreichte sie ihn schließlich.

Wie erwartet, hatte Benni das Geschehen auch mitbekommen und beobachtete mit seiner ausdruckslosen Miene, wie die Wellen über die Insel herfielen, auf der sich ihre Freunde befanden.

Etwa zeitgleich mit Laura, kam auch ein älterer Mann in hochrangiger Dienstkleidung auf Benni zu.

„Sie sind doch mit Herrn Eagle Bialek und den anderen jungen Leuten auf der Insel bekannt, oder?“, fragte er.

Benni nickte als Antwort nur.

Der Mann räusperte sich und klang dabei leicht verlegen. „Ich bin Bruno Weser, der Kapitän dieses Schiffes, sehr erfreut.“

Er reichte Benni die Hand.

„Ryū no chi, Benedict.“, erwiderte er trocken.

Die Hand des Kapitäns wanderte zu Laura weiter.

„Ähm… Lenz, Laura.“, stellte sie sich hastig vor, überrascht, dass sie offensichtlich auch als Mitglied der Gruppe anerkannt wurde.

Erneut räusperte sich der Kapitän. „Nun, ich bin froh, jedenfalls Sie hier antreffen zu können. Aufgrund der aktuellen Vorkommnisse muss ich das Schiff weiter von dieser Insel entfernen, um möglichen Gefahren zu entgehen. Da jedenfalls Sie noch hier sind, würde ich Sie gerne um Ihr Einverständnis bitten. Wir würden natürlich Ausschau nach Ihren Freunden halten und sie bei ihrer Rückkehr wieder auf’s Schiff bringen. Doch ich kann die Passagiere nicht solch einer Gefahr aussetzen.“

„Nie im Leben!“, platzte es Laura heraus. „Wir können sie nicht so einfach im Stich lassen!“

Flehend schaute sie Benni an.

Dieser erwiderte kurz ihren Blick und meinte dann nur zum Kapitän: „Erfüllen Sie Ihre Pflichten.“

Während Laura die Kinnlade herunterfiel, stieß der Kapitän einen erleichterten Seufzer aus. „Ich danke Ihnen.“

„Unter der Bedingung, dass Sie eine maximale Entfernung von vier Meilen einhalten.“, ergänzte Benni mit seiner unheimlichen, autoritären Stimme, auf die der Kapitän nur noch ein „Natürlich.“, zu antworten wusste.

Während er sich wieder aus dem Staub machte, überlegte Laura, ob sie Benni nur böse angucken, oder ihm gleich gegens Schienbein treten sollte.

Sie entschied sich aber dann doch für die erste Möglichkeit.

Als Benni mal wieder gekonnt ihren Blick ignorierte, meinte sie wütend: „Warum hast du dem Kerl das erlaubt? Wie hätten auf die Insel gemusst, nicht weg von ihr!“

„Das würde ihnen auch nicht helfen.“, meinte er trocken und betrachtete weiterhin die wachsenden Wellen, die die Insel bald auf den Grund des Meeres schicken würden.

Laura schaute ihn entgeistert an. „Woher willst du das wissen?!?“

Doch Benni schwieg mal wieder nur.

Empört schnaubte sie. „Du bist doch nur zu müde und hast eigentlich überhaupt keine Lust, um irgendetwas zu machen, stimmt’s? Na schön, mir soll’s Recht sein.“

Sie machte auf dem Absatz kehrt und stapfte energisch davon.

Schließlich fand sie sich bei den Rettungsbooten wieder.

Planlos überlegte Laura, wie man die Dinger wohl auf’s Wasser bekam und versuchte sich daran zu erinnern, wie Eagle das angestellt hatte.

Tatsächlich schaffte sie es, so zu improvisieren, dass das Boot schließlich auf den Wellen schaukelte, auch wenn sie bei dem Aufprall pitschnass geworden war.

Aber das Schaukeln des Bootes glich eher einer Achterbahnfahrt, wie Laura nun feststellen musste. Zwar hatte sie Glück gehabt, sich etwas von dem monströsen Schiff zu entfernen, um nicht zerquetscht zu werden, doch dafür trieb die stürmische Strömung sie jetzt immer weiter auf das Meer hinaus, zwischen das Schiff und die Insel.

Verängstigt bemerkte Laura, dass ihr Vorhaben wohl doch keine so gute Idee war…

 

~*~

 

So langsam bekam es Lissi tatsächlich mit der Panik zu tun.

Den Boden unter den Füßen hatten sie schon längst verloren und das Wasser stieg immer weiter an, der Decke des Tempels entgegen.

„Durch’s Tor können wir nicht verschwinden… Es lässt sich nicht öffnen.“, meinte Eagle-Beagle, der eben gerade wieder aufgetaucht war.

„Egal was wir machen, es wird keine Wirkung zeigen.“, sinnierte Susi, die von allen noch am zuversichtlichsten schien. „Nur Lissi ist in der Lage, uns hier raus zu bekommen.“

Anni-Banani schnaubte. „Dann sollte die endlich mal die schon längst eingerosteten Rädchen in ihrem Hirn anwerfen.“

„Gemein sein hilft uns hier auch nicht weiter.“, meinte Nane-Sahne seufzend.

Gleichgültig zuckte Anni-Banani mit den Schultern. „Auf gut Freund machen auch nicht.“

Özi-dösi warf Lissi einen flehenden Blick zu. „Lissi, bitte, lass dir was einfallen! Ich hab keine Lust kurz nach meiner bestandenen Prüfung gleich zu ertrinken!“

Inzwischen hatten sie bereits die Decke erreicht und damit den letzten Ort, an dem es noch Luft zum Atmen gab.

Verzweifelt musterte Lissi die mit wellenartigen Schnörkeln verzierte Decke des Wassertempels.

„Ich hab keine Ahnung!“, gestand sie schließlich. Sie warf ihrer Schwester und dem Rest der Gruppe einen entschuldigenden Blick zu. „Ich kann es einfach nicht… Es tut mir Leid…“

Cärstchen und Susanne wandten betrübt den Blick ab, Ninie schluchzte sogar etwas vor Angst.

Eagle-Beagle seufzte. „Scheiße war’s…“

Ein weiteres Beben erschütterte den Tempel und die Wassermassen sosehr, dass sich Lissi den Kopf an der Tempeldecke anstieß.

Sie hörte noch, wie Susanne verzweifelt ihren Namen rief, ehe sich das tosende Wasser zwischen sie drängte. Das letzte, an das Lissi sich erinnern konnte, war, wie das sonst so strahlende, blaue Wasser, was sie so sehr mochte, zu einem dunklen Abgrund wurde.

 

~*~

 

Keuchend und hustend schüttelte Laura sich von der kalten Welle, die ihr entgegenschwappte und verschluckte sich am salzigen Wasser. Hustend hielt sie sich am Rand fest, als eine weitere Welle von der anderen Seite über ihr brach. Das Boot drohte bereits zu kentern, als aus dem Wasser zwei Hände auftauchten und es sicher festhielten. Laura wollte schon erleichtert aufatmen, als sie bemerkte, dass diese Hände leicht schuppig waren und Schwimmhäute hatten.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte eine sanfte und glasklare Stimme.

Befreit atmete Laura durch. Warum auch immer, diese Stimme hatte eine so beruhigende Wirkung, dass Laura beinahe vergaß, dass sie sich eben gerade noch in Lebensgefahr befunden hatte.

„J-Ja, ich denke schon.“, antwortete sie.

Die Besitzerin dieser wunderschönen Stimme tauchte auf. „Dann ist ja gut.“

Sie hatte ein feines, blass-grünes Gesicht, dessen blutrote Lippen Laura freundlich anlächelten. Neben ihr sah Laura eine golden glänzende Schwanzflosse aus dem Wasser ragen.

Die Meerjungfrau warf ihr einen forschenden Blick aus ihren glitzernden, meeresblauen Augen zu. „Was treibt dich so allein hier raus?“

„Meine Freunde sind auf dieser Insel, die gerade unter geht!“, erklärte Laura aufgebracht und deutete zu der Insel.

Doch diese war… verschwunden.

Zitternd ließ sie ihren Arm sinken.

Es war zu spät.

Laura spürte, wie sich in ihren Augen Tränen sammelten. Sie konnte nicht glauben, dass sie tot waren. Aber die Insel war verschwunden!

Sie befand sich nun auf dem Meeresgrund und mit ihr Carsten, Ariane, Janine, Susanne, Lissi, Öznur, Anne und Eagle. Es machte keinen Unterschied, mit wem sie nun gut und mit wem sie schlecht befreundet war… Sie würde keinen von ihnen mehr wiedersehen können.

Die Meerjungfrau schien Lauras Gefühle aus ihrem Gesicht gelesen zu haben. „Es tut mir Leid… Kann ich dir irgendwie helfen?“

Schluchzend schüttelte Laura den Kopf. „Wie denn?“

Die Meerjungfrau streckte ihr die leicht schuppige Hand mit den Schwimmhäuten entgegen. „Komm mit, ich kann dich zu ihnen bringen. Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren!“

Die Worte der Meerjungfrau klangen vielversprechend und Laura wusste, dass noch ein kleiner Funken Hoffnung bestand.

Vielleicht waren sie noch am Leben…

Inzwischen hatte sich das Meer wieder völlig beruhigt und das Boot schaukelte so gemütlich auf dem Wasser, dass es nach diesem Sturm den Anschein hatte als würde es sich gar nicht mehr bewegen.

Zögernd ergriff Laura die Hand der Meerjungfrau.

„Aber ich- ich kann nicht schwimmen!“, fiel ihr peinlicher Weise wieder ein.

Die Meerjungfrau warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu. „Du musst nicht schwimmen können, dafür hast du ja mich.“

Stimmt.

Laura nickte zuversichtlich und holte tief Luft.

Nahezu schmerzhaft zog die Meerjungfrau sie aus dem Boot in das dunkle, eiskalte Wasser.

Als sie sich schließlich von diesem Kälteschock erholt hatte, öffnete Laura ihre Augen, die durch das Salzwasser zu brennen anfingen.

Als ihre Sicht klarer wurde, erkannte sie die Meerjungfrau, die sie immer tiefer in den schwarzen Ozean zog. Als diese einen Blick über ihre ebenso schuppige Schulter warf, lächelte sie Laura an. Doch dieses Lächeln wirkte Unterwasser auf einmal nicht mehr so tröstend und beruhigend.

Es war eher angsteinflößend…

„Keine Angst, du bist gleich bei deinen Freunden.“

… Etwas stimmte nicht.

Instinktiv versuchte Laura, sich loszureißen. Doch die Hände der Meerjungfrau hielten ihren Arm so fest, dass sich ihre Klauen in Lauras Fleisch schnitten. Warmes rotes Blut sickerte hinaus in eiskaltes Wasser.

Ihr Schmerzensschrei erstickte im Wasser und füllte ihre Lungen mit der grausamen Flüssigkeit.

Die Meerjungfrau zog Laura zu sich und legte ihre zweite Klaue um ihren Hals. Laura klammerte sich an diese Klaue, versuchte sie kraftlos von sich zu reißen.

Sie konnte nicht atmen. Sie bekam keine Luft!

„Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du dich nicht wehrst, tut es auch nicht so weh.“

Die Meerjungfrau riss ihr gewaltiges Maul auf. Laura konnte mehrere Reihen spitzer Fangzähne erkennen, die sich auf ihr Gesicht zubewegten.

Hilfe!!!, schrie es in Laura, doch jegliche Befreiungsversuche waren vergebens. Noch während sie sich verzweifelt versuchte zu wehren, kniff sie die Augen zusammen und wartete auf den tödlichen Schmerz.

Das war es. Sie würde noch nicht einmal ertrinken. Genauso wenig würde sie ersticken, sondern-

Auf einmal lockerten sich die Griffe der Meerjungfrau. Automatisch versuchte Laura einzuatmen, füllte ihre Lungen damit allerdings nur mit noch mehr Wasser. Doch da spürte sie einen Arm, der sie fest unter der Schulter packte und wieder nach oben zog.

An der Oberfläche angekommen schnappte Laura verzweifelt nach Luft, doch das Wasser in ihren Lungen sorgte für einen quälenden Husten.

Während sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen, spürte Laura, wie sie auf einen zwar schaukelnden, aber verhältnismäßig festen Boden kam.

In ihren Husten mischte sich ein Schluchzen, das nur dazu führte, dass Lauras Husten umso stärker wurde.

Sie hörte durch das Wasser in ihren Ohren nur gedämpft, wie jemand seufzte und dann eine Hand auf ihre Schulter legte. Vermutlich um sie zu beruhigen und auch zu stützen, da Laura am ganzen Körper zitterte.

Erst jetzt übermannte sie die ganze Angst und immer noch hatte Laura diese Schreckensgestalt vor Augen.

„Sie wollte mich auffressen!“, schrie sie ihre Angst heraus. „Sie wollte mir überhaupt nicht helfen, sie wollte mich auffressen!!!“

Ihr Schrei erstickte in einem weiteren Gemisch aus Husten und Schluchzen und zusammen mit Wassertropfen liefen Tränen über ihre Wangen.

Allein die Vorstellung, etwas würde einen bei lebendigem Leibe verschlingen wollen, war schon furchteinflößend. Doch dieses Etwas vor sich zu sehen, war eine ganz andere Erfahrung. Eine viel schlimmere.

Laura merkte, wie jemand sie zögernd in die Arme schloss. Zitternd krallte sie sich am T-Shirt dieser Person fest und vergrub ihr Gesicht in ihrer Brust, in der Angst, die Meerjungfrau würde zurückkommen. Die Panik verstärkte ihr Schluchzen und Husten umso mehr.

„Laura… Es ist vorbei, du brauchst keine Angst mehr zu haben.“, hörte sie Benni sagen.

Allein das erste Wort hätte genügt, um sie zu beruhigen. Langsam ebbte ihr Schluchzen ab, der Husten war zwar nach wie vor schmerzhaft, doch beruhigte sich allmählich. Zitternd atmete sie den sanften Duft von ihrem ebenso durchnässten Retter ein.

 

~*~

 

Blinzelnd öffnete Lissi ihre Augen. Sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen, noch nicht einmal ein Kater konnte es damit aufnehmen.

Doch ihre Sicht war klar, wie sie überrascht feststellte.

Forschend schaute sie sich um, soweit das bei dieser Dunkelheit überhaupt möglich war.

Sie erhaschte einen Blick auf einige, reglose Körper, die im Wasser umhertrieben. Alleine dieser Moment löste in Lissi einen gewaltigen Schrecken aus.

So schnell es ihr halb eingefrorener Körper zuließ, tauchte sie zu den anderen, bis sie bei ihrer Schwester angekommen war.

Susi, Susi wach auf!, schrie Lissi sie in ihren Gedanken an.

Schluchzend drückte sie Susis leblosen Körper an sich.

Du darfst nicht tot sein! Du bist doch meine Schwester, du kannst nicht tot sein!!!

Lissi hatte keine Ahnung, wie man einen Puls fühlen konnte. In den Filmen machten sie es immer irgendwo beim Handgelenk, aber Lissi wollte nicht verzweifelt nach einem Herzschlag suchen, wenn sie ihn vielleicht nie würde finden können.

Erneut schaute sie sich im dunklen Tempel um.

Außer ihr war offensichtlich keiner bei Bewusstsein.

Seltsam…, überlegte Lissi. Es gibt doch garantiert Leute, die viel länger die Luft anhalten können, als ich.

In diesem Moment fiel Lissi auf, dass es ihr überhaupt nicht an Sauerstoff zu fehlen schien. Im Gegenteil, sie fühlte sich eigentlich ganz okay, bis auf diese bescheuerten Kopfschmerzen.

Cool, ich kann Unterwasser atmen!, folgerte Lissi begeistert.

Hätte sie das nur früher gewusst! Dann hätte sie anstelle von Eagle-Beagle runter zur Tür schwimmen können und hätte versucht, sie zu öffnen!!!

Jetzt war es zu spät!

Sie lebte noch, weil sie Unterwasser atmen konnte und die anderen waren alle tot, weil sie das nicht konnten und weil Lissi einfach zu blöd war, sie zu retten!!!

Auch wenn man Unterwasser nicht wirklich weinen konnte, wusste Lissi, dass sie eben genau das tat.

Sie war schuld daran, dass nun alle tot waren. Sie alleine!

Anni-Bananis Zweifel waren berechtigt gewesen!

Und dabei hatte sie doch kurz davor noch regelrecht aufmunternde Worte von Bennlèy gehört…

Er lag wohl doch falsch, als er meinte, Lissi sei schlauer als sie es den anderen zeigte.

Traurig musterte sie ihre leblose Schwester, als diese leicht schmerzverzerrt den Mund öffnete, als wolle sie Luft holen oder irgendetwas sagen.

Ungläubig musterte Lissi Susi.

War sie etwa doch noch am Leben?!?

Eine leichte Hoffnungswelle überkam Lissi. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren… Vielleicht waren die anderen ja auch noch am Leben!

Sie musste sie irgendwie hier rausbekommen!!!

Hastig schaute sich Lissi in dem Tempel um, fluchend, dass sie nicht auch noch die Fähigkeit hatte, im Dunklen sehen zu können.

Sie kam zu dem Entschluss, es erst einmal wie Eagle-Beagle zu versuchen und die Tempeltür zu öffnen.

So schwer es Lissi auch fiel, sie musste ihre Schwester loslassen, um so schnell wie möglich zum Tor zu tauchen. Mit aller Kraft zog und drückte sie dran, doch das Tor ließ sich in keine der beiden Richtungen öffnen.

Da kam Lissi wie ein Gedankenblitz eine weitere Idee durch den Kopf geschossen.

Susi hatte ja gemeint, dass nur Lissi in der Lage wäre, sie hier irgendwie raus zu bekommen. Mit Kraft hätten Eagle-Beagle oder Anni-Banani das ja auch schaffen können, also musste es etwas sein, dass sie nicht besaßen.

Und überall um Lissi herum war Wasser!

Das Element, das ihr Dämon und folglich auch sie beherrschte!

Ein zuversichtliches Lächeln huschte über Lissis Lippen. Die Idee schien tatsächlich nicht so bescheuert.

Mit aller Kraft ließ sie die gewaltigen Wassermassen, die sie und ihre Freunde fast umbrachten, gegen die Decke des Tempels drücken. Laut krachend zerbarst die Decke schließlich in kleine Steinchen und das Wasser zog Lissi und die anderen in atemberaubender Geschwindigkeit zur Oberfläche.

Erleichtert atmete Lissi wieder die normale Luft ein.

Sie hatte es geschafft!!!

In nicht allzu weiter Entfernung sah sie bereits ein Rettungsboot auf dem Wasser! Sicherlich waren das Bennlèy und Lauch, die sie nun wieder zurück zum Schiff bringen würden.

Begeistert tastete sie auf ihrem Kopf herum, doch da waren nirgends süße Wolfsöhrchen und ein Blick nach hinten verriet ihr, dass sie auch kein Wolfsschwänzchen hatte.

Lissi war verwirrt. Sie hatte die Prüfung doch bestanden, oder?

Also warum sah sie dann nicht irgendwie anders aus?

Mehr wie ein Wolf und total sexy?!?

Verwundert bemerkte sie einen Schatten unter sich vorbei huschen, kurz darauf zerrte sie irgendetwas wieder nach unten.

Erschrocken schrie Lissi auf und verschluckte sich dabei.

Als sich ihre Augen und Lungen wieder an das Wasser gewöhnt hatten, schaute Lissi direkt in die zornig funkelnden Augen einer Fischfrau.

„Sag, warst du es?!?“, schrie sie Lissi an. „Warst du es, die meine Schwester umgebracht hat?!?“

„Hä?“, äußerte Lissi nur, freudig überrascht, dass sie sogar in der Lage war, Unterwasser zu reden.

Die Fischfrau packte Lissi mit ihren schuppigen Händen und schüttelte sie. „Du warst doch auf dieser untergehenden Insel! Meine Schwester hat den Krach gehört und wollte nachsehen, ob sie dort vielleicht etwas zu essen finden würde! Als sie nach einiger Zeit nicht zurückkam, bin ich mit meinen weiteren Schwestern los, um sie zu suchen und wo fanden wir sie?!?“

Auch wenn das nach einer rhetorischen Frage klang, zuckte Lissi mit den Schultern. „Keine Ahnung, wo?“

„Auf dem Meeresgrund!“, brüllte die Fischfrau sie aufgebracht an. „Ein paar Meter entfernt von ihrem Kopf!!!“

Lissi wollte irgendwas erwidern, brachte aber nur ein „Oh.“ zustande.

„Gib’s zu! Du und deine Freunde habt sie getötet!“, zischte die Fischfrau.

Panisch schüttelte Lissi den Kopf. „Nein, haben wir nicht, bitte glaub mir! Keine Ahnung, wer das war! Wir waren bis eben noch im Tempel der Insel eingesperrt!“

Die Fischfrau stieß Lissi verärgert zurück. „Du siehst nicht so aus, als würdest du lügen… Aber das ist mir gleich. Meine Schwestern und ich sterben vor Hunger. Da kommen du und deine Freunde uns gerade recht.“

Lissi brauchte einige Sekunden, um zu verstehen, was die grünhaarige Fischfrau meinte.

Kostbare Sekunden, in denen ein ganzer Schwarm Fischfrauen vom dunklen Meeresgrund auftauchte und auf Lissi und die anderen zuschoss.

Als Lissi es endlich verstanden hatte, hatten sie sie schon fast erreicht.

„Was? Äh nein, halt, ihr könnt uns nicht essen!!!“, rief sie verzweifelt.

Zerknirscht bis Lissi die Zähne zusammen. Sie hatte ihre Schwester und ihre Freunde doch nicht vor dem Ertrinken gerettet, nur, damit sie jetzt gefressen wurden!

„Wehe ihr krümmt ihnen auch nur ein Haar!“, brüllte Lissi und ließ den Fischfrauen-Schwarm von einer so starken Strömung erfassen, dass sie gar nicht mehr vorankamen.

Lissi atmete erleichtert auf, als die Fischfrauen endlich gecheckt hatten, dass sie Lissis Wasser-Energie nicht unterschätzen sollten und die Fliege machten.

Sie wollte sich gerade wieder daran machen, aufzutauchen, als sie selbst von einer mächtigen Strömung erfasst wurde und zurück in die Tiefe gezogen wurde.

 

„Aua, aua, aua!“ Lissi rieb sich den schmerzenden Kopf. Jetzt tat er noch mehr weh als im Tempel.

Verwirrt schaute sie sich um. Sie befand sich in völliger Dunkelheit. Man könnte sagen, in einem Nichts.

„Äh… Hallo?“, rief Lissi in die Finsternis.

Hinter ihr hörte sie ein tiefes, furchteinflößendes Knurren. Erschrocken drehte sich Lissi um.

Da stand ein riesiger Wolf, mit blauem Fell, umgeben von einem strahlenden, blauen Leuchten.

„Äh… Hi! Wer bist du?“, fragte Lissi vorsichtig nach, nachdem sie ihn versucht freundlich gegrüßt hatte.

Der blaue Wolf knurrte erneut. „Das müsste man eigentlich sehen.“

Lissi zuckte mit den Schultern. „Ein blauer Wolf?“ Sie stutzte. „Moment… Der Blaue Wolf! Mein Dämon!“

„Nicht dein Dämon, aber sonst richtig.“, erwiderte der riesige Blaue Wolf und legte sich auf die Vorderpfoten, um Lissi aus seinen meerblauen Augen kritisch zu mustern.

„Ähm… Gibst du mir jetzt die Dämonenform?“, fragte Lissi freudig nach.

„Um ehrlich zu sein weiß ich es noch nicht.“

„Was!?“ Lissi schaute ihn verwirrt an. „Aber ich hab die anderen doch gerettet! Ich hab die Prüfung bestanden! Warum willst du mir dann also nicht die Dämonenform geben?!?“

Der Blaue Wolf seufzte. „Stimmt schon, du hast sie gerettet. Aber erst dann, als es eigentlich schon zu spät war. Der Sinn deiner Prüfung war nicht nur, sie zu retten. Du solltest sie aus ihrer misslichen Lage führen. Und das geht nicht, wenn sie bereits bewusstlos sind. Abgesehen davon…“, wieder knurrte der Blaue Wolf und klang ziemlich verärgert, „Abgesehen davon hättest du auch nicht gleich die ganze Decke zerstören müssen. Die Insel auftauchen zu lassen ist mir ein leichtes, aber den Herrscher des Wassers einen Tempel aus Stein reparieren zu lassen ist unsagbar kompliziert.“

Lissi stöhnte auf. Na toll, sie war durchgefallen.

Beschämt wich sie dem vorwurfsvollen Blick des Dämons aus. „Also… Wann darf ich die Prüfung wiederholen?“, fragte sie, als sei das eine gewöhnliche Klassenarbeit.

In den blauen Augen des Wolfes blitzte für den Bruchteil einer Sekunde ein Funken Mitleid auf. „Ich habe nicht gesagt, dass du versagt hast.“, erwiderte er, etwas sanfter.

Die Hoffnung kehrte zu Lissi zurück.

„Ich habe gesagt, dass du meine Erwartungen nicht erfüllt hast.“, ergänzte er, wieder strenger.

„Also heißt das, ich habe tatsächlich nicht bestanden.“, bemerkte Lissi, nun doch wieder enttäuscht. Enttäuscht von sich selbst, es mal wieder verkackt zu haben.

Dabei müsste sie das doch inzwischen eigentlich schon gewöhnt sein. Dass sie eine Enttäuschung war.

Das blaue Strahlen um den Wolf wurde stärker, sodass sich Lissi die Hand vor die Augen halten musste. Als es sich wieder normalisierte, war der Wolf zu einem Mann mit einem sehr attraktiven Körperbau geworden, dessen schulterlange, blaue Haare zu einem knappen Pferdeschwanz zusammengebunden waren.

Doch er schaute Lissi immer noch aus denselben meerblauen Augen an. „Du hast es zwar nicht geschafft, den eigentlichen Sinn der Prüfung zu erfüllen, doch durch deine Handlungen hast du gezeigt, dass du durchaus in der Lage bist, dein Rudel zu schützen. Selbst, als die eigentliche Prüfung bereits vorbei war.“

Der menschliche Blaue Wolf schien einige Zeit zu überlegen, bis er schließlich seufzend meinte: „Ich habe dich nicht grundlos als Dämonenbesitzerin auserwählt, Mädchen. In dir steckt mehr als du es den anderen oder dir selbst zeigen möchtest. Viel mehr als das, was die Menschen von dir zu wissen glauben. Lerne, dich selbst wiederzufinden. Lerne es denen zuliebe, die dir wichtig sind. Lerne es Damon zuliebe. Diese Welt braucht dich.“

Er packte Lissi an den Schultern und bei einem einzigen Kuss auf die Stirn spürte sie, wie Unmengen von Energie in ihren Körper strömten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Regina_Regenbogen
2020-08-09T13:34:46+00:00 09.08.2020 15:34
Ich mag Lissi. Irgendwie schade, dass sie nicht mal aus der bestandenen Prüfung so richtig einen Erfolgsmoment ziehen kann. Zumindest ist ihr Dämon nett.
Aber Eagle. Grr. Wenn man eine Zigarette auf der Hand von jemandem ausdrückt, bleibt eine lebenslange Narbe, das ist noch schlimmer als kochendes Wasser. Der Typ ist doch total krank!
Oje, Laura ist so vertrauensselig und macht, was ihr in den Sinn kommt. Das ist ja liebenswert, bringt aber auch Probleme mit sich. Gut, dass Benni so ein guter Beschützer ist.
Antwort von:  RukaHimenoshi
10.08.2020 21:05
Ach Lissi, selbst Benni ist nicht so kompliziert wie sie, wenn ich so drüber nachdenke. X'D Bei ihr ist es wirklich schwer diese Balance zwischen "kleines Dummerchen" und "coole, taffe Lady" zu finden.
Ich hatte ja schon indirekt angedroht, dass das mit Eagle noch ein bisschen... spaßig wird. ^^" Aber vielleicht ist es zumindest insofern eine Genugtuung, dass er sogar Benni damit auf die Nerven geht. Welcher selbst im Halbschlaf nicht aus seiner Beschützerrolle raus darf, wie Laura demonstrativ zeigt. X'D (Ein Magnet für Schwierigkeiten, dieses Mädchen. Ein Magnet für Schwierigkeiten, überhäuft von Selbstzweifel + Dickköpfigkeit. Keine gute Kombination...)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
10.08.2020 22:41
Laura ist einfach sehr menschlich. Sie hat einerseits einen Dickkopf und klare Werte, aber durch ihre Selbstzweifel steht sie sich dann wieder selbst im Weg. Man merkt, dass sie eigentlich eine große Stärke in sich hat, die nur durch ihre Zweifel zurückgehalten wird. Ich bin mal gespannt. :)


Zurück