Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 20: Tragische Erkenntnis -------------------------------- Tragische Erkenntnis Eine unwohle Vorahnung riss Benni aus seinem Dämmerschlaf. Misstrauisch richtete er sich in dem für seine geringen Ansprüche viel zu distinguierten Bett auf und lauschte in die Nacht. Das Rauschen der Windböen, der Ruf einer Eule in der Ferne, … Nichts schien diesen Frieden stören zu wollen. Er ging an das kalte Fenster und ließ sein Gesicht von den zarten Strahlen des Mondes liebkosen, der in kurzen Intervallen sein Licht hinter den Wolken verbarg und wenig später wieder hervorlugte. Knappe fünf Minuten ließ er lediglich die dunkle und doch entspannende Atmosphäre auf sich wirken, bis er einen von Panik durchtränkten Schrei vernahm. Er kam aus dem oberen Stockwerk, doch die Stimme war Benni nur allzu vertraut, um sie bedenkenlos ignorieren zu können. Also schlüpfte er in seine schwarzen Schuhe und verließ in seinem Nachtanzug, eine schwarze Jogginghose und ein isochromatisches T-Shirt, den Abteil der Schülervertretung. In der sporadischen Beleuchtung des Mondes stieg er die Treppe hinauf in die Etage des ersten Jahrgangs. Carstens Zimmer annähernd am Ende des Gangs zu finden stellte keine Herausforderung dar. Immer wieder hörte Benni ihn wimmern und auf Indigonisch sprechen. Es waren Sachen wie „Lasst mich in Ruhe“, oder „Ich will das nicht“. Unbewusst beschleunigte Benni seine Schritte. Doch als er die Tür öffnete, schien es sich tatsächlich nur um einen Albtraum zu handeln. Carstens Zimmergenossen, die den silber gewundenen Lettern an der Tür nach zu urteilen Adrian und Jan genannt wurden, hatten alle Mühe damit, den sich im Schlaf umherwälzenden Carsten wach zu rütteln. „Ihr seid zu freundlich.“ Benni schob die beiden Jungs aus dem Weg und verpasste seinem besten Freund eine wörtlich schallende Ohrfeige. Ihre Wirkung zeigte sich augenblicklich, als Carsten abrupt die Augen aufschlug. Schwer atmend richtete er sich in seinem Bett auf und schaute sich um. „Alles okay?“, fragte Benni und musterte Carsten. Die längeren pechschwarzen Haare klebten an der verschwitzten Stirn und seine Hände zitterten, als er sich einige dieser Strähnen aus dem Gesicht strich. Doch eine Antwort bekam Benni nicht. ~*~ „Waaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!!!“ Weder dass jemand sie gepackt hatte, noch dass sie mehr oder weniger durch die Luft geworfen wurde hatte sie bemerkt. Erst der schmerzhafte Aufprall auf dem Boden, begleitet von einem dumpfen Knall hatte Laura geweckt. Nun erkannte sie auch sofort den Übeltäter. „Was sollte das, Anne?!?“, beschwerte sie sich. Anne zuckte schadenfroh mit den Schultern. „Na was wohl? Ich musste dich buchstäblich aus dem Bett schmeißen, um dich zu wecken. Man ey, du bist schon genauso schlimm wie der Vampir.“ Laura hob den Finger, um irgendetwas entgegnen zu können, doch ein auf sie herunterstürzender Wasserfall schnitt ihr das Wort ab. „Vielen Dank auch Lissi. Jetzt bin ich wach.“, meinte sie ironisch. „Okidoki, dann ist ja gut.“, trällerte Lissi mit ihrer naiven Mädchenstimme. Dafür, dass sie zu einer solch unchristlichen Stund‘ auf war, wirkte das Mädchen überdurchschnittlich gut gelaunt. Diese gute Laune hielt sich bei Laura allerdings arg in Grenzen, als sie einen flüchtigen Blick auf ihre schmale, schwarze Armbanduhr wagte. Es war halb drei nachts. „Ich hoffe, ihr habt einen triftigen Grund, mich zu wecken.“, schnauzte Laura und schätzte die Wahrscheinlichkeit ab, unbeschadet zurück ins Bett zu kommen. Aber so wie Anne vor ihr stand, schien sie gleich Null. „Je nachdem, wie hoch deine Ansprüche sind.“, kommentierte Ariane, noch mürrischer als Laura selbst. Susanne lächelte leicht. „Lasst uns gehen. Wenn bereits die Direktorin persönlich gekommen ist, scheint es ein wirklich triftiger Grund zu sein.“ Öznur erschauderte unter ihrem sehr figurbetonten Nachtkleid. „Was?!? Die Direktorin hat dich im Schlaf heimgesucht?!? Da kann keine Horrorgeschichte mithalten! Oh Gott, zum Glück bin ich nicht bei dir im Zimmer…“ Susannes Lächeln wurde etwas herzlicher und verlor an verräterischer Sorge. „Du übertreibst.“ „Na wer weiß.“, deutete Anne spöttisch an und zog Laura unsanft auf die Beine. Laura wagte nicht zu fragen, ob sie wirklich alle vorhatten, in ihren Schlafanzügen nach außen in die Kälte zu gehen. Der auf dem großen Platz um sie und ihren Kimono peitschende, bitterkalte Wind war schon Antwort genug. Umso erleichternder war es, endlich in das kuschelig warme Gebäude der Büros zu kommen. Laura vermutete fast, dass sie bald öfter zu den Direktoren mussten als die Schulrowdys, als sie auf einmal in einen ihr noch unbekannten Gang im Erdgeschoss einschlugen. Der Gang endete mit einer Holztür, durch die sie traten. Den Raum konnte Laura direkt auf den ersten Blick deuten, es war der Krankensaal. Doch er war nicht nur weiß, wie Laura begeistert feststellte. An den Wänden hingen einige Bilder, mit den schönsten Landschaften, die die Natur zu bieten hatte, die Wände selbst hatten einen leichten Orangeton und die Decke ein fluffiges Wolkenweiß. Beschämt stellte Laura fest, dass sie sich eigentlich hätte erschrecken müssen, was sie nun schleunigst nachholte. Ist irgendwas passiert?!?, fragte sie sich panisch und sah sich um. „Da seid ihr ja endlich.“ Die strenge Stimme der Direktorin war das Zweite, das Laura einen Schreck versetzte. Der dritte Schocker, und hoffentlich der letzte, war offensichtlich der Grund, warum sie so schnell kommen sollten. Und ja, dieser Grund war es wert gewesen, auf die hinterlistigste Art zur unnötigsten Zeit geweckt zu werden. Der Krankensaal war so gut wie leer, nur ein Bett wurde besetzt. Und das ausgerechnet von ihrem besten Freund. „W-Was ist passiert?“, fragte Laura besorgt. Carsten sah fast so übel zugerichtet aus wie an jenem Tag, als er das FESJ verlassen hatte und auf die Coeur-Academy gekommen war. Er war so blass wie der Tod, unter seinen halb geschlossenen, matten lila Augen befanden sich tiefe, dunkle Augenringe. Seine Lippen waren so blau, als hätte er Stunden reglos im kalten Wasser verbracht, entsprechend zitterte auch sein Körper. Der Direktor seufzte. „Nun, das würden wir auch gerne wissen. Er ist bereits seit über einer Stunde hier und hat noch kein Wort über die Lippen gebracht.“ „Hatte er vielleicht einen Albtraum?“, vermutete Janine, doch Susanne schüttelte den Kopf. „Das hat keinen Sinn, so übel wie er aussieht… Das muss mehr als ein Traum gewesen sein.“ „Und was?“, fragte Ariane skeptisch und starrte Benni vorwurfsvoll an. „Eine Erinnerung.“, nahm er schulterzuckend an. „So ein Unsinn, so was geht doch nicht.“, murrte Anne, doch Laura ergriff Partei für Benni. „Klar geht das! Ich selbst hatte schon zwei Mal von Vergangenem geträumt, woran ich mich zuvor nicht erinnern konnte. Und zwar-“ Sie verstummte. Es war anzunehmen, dass es Benni missfallen würde, wenn er erfuhr, ein Teil ihrer beiden Träume gewesen zu sein. Dennoch warf er ihr einen wissenden Blick zu, bevor er seinen Platz an Carstens Bett verließ und zum nächstgelegenen Fenster ging. Als er es öffnete, saß ein Chip auf der Fensterbank, der seinem dreckigen, durchnässten Fell nach zu urteilen, mal wieder in den Schneematsch gefallen war. Unbeachtet, dass auf er auf Bennis T-Shirt nasse Pfotenabdrücke hinterließ, kletterte Chip auf seine Schulter, damit Benni das Fenster wieder schließen und dem frostigen Zugwind Einhalt gebieten konnte. Nachdem er zu seinem ursprünglichen Standort zurückgekehrt war, dieses Mal mit Chip auf seiner Schulter, überwand sich Susanne dazu die Meinung kundzutun, die sich wohl inzwischen in jedermanns Kopf breit gemacht hatte: „Es geht nicht anders, wir müssen wissen, was Carsten geträumt hat.“ Wieder wurde Carsten der Magnet aller Blicke. Doch der hatte immer noch seinen leeren Blick gesenkt und schien geistig überhaupt nicht anwesend. Chip machte einen Eichhörnchensprung von Bennis Schulter auf Carstens Knie, von dem er zuerst runterrutschte und dann wieder hinaufkraxelte, um Carsten mit seinem flauschigen Pfötchen auf die Nase zu schlagen. Carsten blinzelte. Langsam schien er in die Realität zurück zu kehren, bis er verwirrt seine Umgebung musterte. „Was…?“ „Alles okay?“, fragte Laura ihren besten Freund und setzte sich auf die Bettkante, wie Carsten es bereits so oft bei ihr getan hatte, wenn es ihr nicht gut ging. Doch dieses Mal war er es, der betrübt den Kopf senkte. „Ihr wollt, dass ich euch erzähle, was los ist. Ist es nicht so?“ Susanne nickte. „Das ist leider unvermeidbar, wenn wir dir helfen wollen.“ „Entweder du korrigierst das ‚wollen‘, oder das ‚wir‘.“, gab Anne in Begleitung eines fiesen Schnaubens von sich. „Vergiss es, hier wird gar nichts korrigiert.“, erwiderte Öznur trotzig. Carsten seufzte und schlang die Arme um die Knie, als würde er sich tatsächlich vor etwas fürchten. Gezwungenermaßen rollte Chip wieder runter und hopste zurück zu Benni, ehe Carsten meinte: „So oder so werde ich es euch wohl erzählen müssen…“ Jeder Muskel in seinem Körper schien sich anzuspannen, während er sprach: „Wie ihr inzwischen wisst, habe ich Valentin… ähm, Jack Masiur durch meinen Aufenthalt im… in der Schule damals kennengelernt-“ „Ha! Siehst du Anne! Doch eine Erinnerung!“, folgerte Laura schadenfroh und unterbrach damit Carstens ohnehin schon gequälte Erzählung. Ein zurechtweisender Stoß von Ariane sorgte dafür, dass Laura ein „Tut mir leid…“ murmelte und nichts weiteres mehr sagte, sodass Carsten seinen Bericht fortführen konnte. Oder eher musste. „Ich glaube, ihr braucht erst einmal etwas Hintergrundwissen, bevor ich euch… davon erzählen kann. Also, als ich damals an diese Schule kam war ich… mir der Gefahr, die von meinen Mitschülern ausging nicht… sagen wir vollständig bewusst. Dennoch… Ich tat so gut wie alles, um einen Streit zu vermeiden. Machte ihre Hausaufgaben, sonstige Arbeiten für sie und… und so weiter. Valentin, also Jack, nur dass er damals noch Valentin hieß, gehörte zu den wenigen, denen das alles eher egal war. Eigentlich mied man ihn so gut es ging, denn er fing zwar keinen Streit an, aber wenn ihn jemand provozierte, bekam er das bitter zu Bereuen. Nachdem ich mich einige Monate so irgendwie über Wasser halten konnte, gab es eine Art… Zwischenfall. In der Kurzfassung… Also im Prinzip… Ähm, irgendwie habe ich halt einige meiner Mitschüler gegen mich aufgebracht. Zur Rache arrangierten sie es so, dass es aussah als habe ich die Nobelzigarren des Direktors gestohlen.“ Carsten stieß einen bedrückten Seufzer von sich. „Natürlich hat er meiner Aussage keinen Glauben geschenkt. Für ihn war der Fall direkt klar.“ „Das ist mal wieder typisch für den verehrten Herr Adenauer. Er hatte wohl schon immer einen Narren an dir gefressen.“, kommentierte Herr Bôss und machte mit seinem Tonfall die nicht vorhandene Sympathie deutlich, die er für Carstens ehemaligen Direktor empfand. „Wieso denn das? Die Lehrer lieben Carsten allesamt.“, fragte Öznur verwundert. Der Direktor grinste. „Verständlich, bei seinem IQ und dem Charakter. Ich würde sagen, Herr Adenauer glaubt nur das, das seine Augen ihm sagen und Scharfsinn besaß er noch nie. Hinzu kommt Carstens Talent, sich ständig in solche Situationen zu bringen, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und schon steht er dauernd als Sündenbock da.“ Die Direktorin räusperte sich und schaute ihren Mann mit ihren vorwurfsvollen blauen Augen warnend an. „Keine Unterbrechungen mehr. Entschuldige Claus, ich meine Carsten, fahre bitte fort.“ Carsten schien kurz seine Gedanken zu sammeln, ehe er der Bitte der Direktorin widerwillig Folge leistete: „Nun ja… Jedenfalls wurde ich dafür dann auch bestraft. Aus irgendeinem Grund sprach sich das schnell herum und kaum hatte ich die Folterkammer- ähm, ich meine den Strafraum verlassen, wusste jeder Schüler davon. Also auch Valentin/Jack.“ „Und er spielte den lieben Freund und tröstete den armen, verheulten, kleinen Bubi, um dir dann noch mehr Arbeit aufzudrücken.“, bemerkte Anne spöttisch. „Nein, nicht wirklich.“, erwiderte Carsten und bemühte sich, so ruhig wie sonst zu klingen, wenn er auf Annes Kommentar antwortete. Doch dieses Mal gelang es ihm nicht. „Es schien ihn zu ärgern, dass ich einfach so mit mir machen ließ, was andere wollten. Vielleicht hat er auch seine Meinung über mich geändert, weil er herausgefunden hat, dass ich ein Dämonengezeichneter bin… Wer weiß, woran genau es lag, dass er mich plötzlich verteidigte.“ Carsten seufzte wieder. „Das war das erste und einzige Mal, dass tatsächlich die wahren Täter zu Rechenschaft gezogen wurde.“ „Aber du hast bei deiner ‚Bestrafung‘ geheult.“, mischte sich Anne wieder ein. „Das spielt doch keine Rolle!“, wich Carsten mit gerötetem Gesicht aus. „Valentin, Jack oder wie er sich sonst nennt, verbrachte seitdem jedenfalls recht viel Zeit mit mir und nahm mich so ein bisschen vor den anderen Schülern in Schutz. Wobei ich nicht glaube, dass es Freundschaft war, eher… eine gute Bekanntschaft…“ Tatsächlich huschten leichte Andeutungen eines Lächelns über Carstens Gesicht. „Irgendwie hat er mich an Benni erinnert… Aber so wie Benni war er oft auch ziemlich verschwiegen und hat mir nur das Nötigste erzählt. Eines Tages wurde er ins Sekretariat gerufen. Auf mein Fragen hin meinte er nur, dass dies vermutlich ein Bekannter von ihm sei, aber natürlich wusste ich nichts von einem Bekannten. Ich wurde neugierig und folgte ihm… Na ja… und dieser Bekannte war… Lukas Lenz.“ „Was?!?!? Nie und nimmer!“ Laura konnte nicht anders, als ihrem Ärger Luft zu machen. Verdammt, verdammt, verdammt, verdammt! Wenn Lukas dabei ist hat das nie was Gutes zu bedeuten! Verdammt! „Ist das nicht der Neffe von Leon Lenz? Der jüngste und erfolgreichste Politiker Damons?“, vergewisserte sich die Direktorin. Er ist ein Mörder! Ein verdammter Mörder!, schrie es in Laura. Sie verstand nicht, warum die Direktorin so ruhig blieb. Ach so, stimmt ja. Wir hatten Lukas bei dem Bericht von Johannes‘ Entführung extra weggelassen. Warum erwähnt Carsten ihn jetzt also? Oder hat er das schon vergessen? Laura verwarf diesen Gedanken sofort. Carsten besaß ein fotografisches Gedächtnis und mitgenommen hin oder her, er würde nie etwas sagen, das einen Freund in Schwierigkeiten bringen würde. Während Laura noch ihre Gedanken sortierte, fuhr Carsten bereits fort: „Ja, genau der. Ich bin kein Meister im Belauschen, daher war den beiden meine Überraschung wohl nicht entgangen. Lukas meinte, Jack solle mich zum Schweigen bringen, sonst entkäme er dieser Besserungsanstalt nie. Ich habe Panik bekommen und sofort Reißaus genommen, aber natürlich war es Jack ein Leichtes, mich einzuholen…“ Schweigen. „Was ist denn passiert?!?“, drängte Laura Carsten dazu, weiterzuerzählen. „… Ich bin die Treppen hoch, in den zweiten Stock und in den nächstbesten Raum hinein. Dass ich die Tür abgeschlossen hatte, störte Jack überhaupt nicht. Er riss sie einfach aus den Angeln… An den Rest kann ich mich nicht mehr so gut erinnern… Es ging alles so schnell… Jack sagte etwas in der Art wie ‚Sorry, Kleiner.‘, oder so, während ich von irgendetwas getroffen wurde und Glas hinter mir zersplitterte… Dann fiel ich…“ „Aus dem zweiten Stock? Autsch.“ Mitfühlend rieb sich Öznur den Kopf, aber Carsten hatte seinen Blick schon wieder gesenkt. „Immerhin schien er dich nicht töten zu wollen. Kein antiker Begabter stirbt bei so einem Sturz. Ein Dämonenverbundener erst recht nicht.“, bemerkte Susanne das vermutlich einzig Gute an der Situation. „Aber er hat es geschafft, mich zum Schweigen zu bringen.“, erwiderte Carsten betrübt. „Ja schon, aber Hauptsache ist doch, dass es dir gut geh-“ „Das ist nicht das Problem!“, unterbrach Carsten Laura schroff. Erschrocken von diesem scharfen Ton, den er für gewöhnlich nie ansetzte, zuckte Laura zusammen.
„Entschuldige… Ich…“ Seine Schultern bebten, als hätte er immer noch Angst davor, obwohl das Ereignis bereits sechs bis sieben Jahre zurücklag. Besorgt legte Laura einen Arm um die Schultern ihres besten Freundes und tatsächlich lehnte sich Carsten gegen sie, als würde er den Trost wirklich brauchen. Anne musste ihren Beruhigungsversuch natürlich sofort wieder versauen. „Heile, heile Gänschen zu machen bringt jetzt nichts. Hey du Baby, wir wollen jetzt wissen, was dein Problem ist.“ „Anne! Klappe oder raus!“ Susannes Stimme hatte alle Heilungsabsicht verloren. Mit starkem Blick auf Anne deutete sie auf die Tür, doch Anne erwiderte ihren Blick mit ihren Schlangenaugen und blieb an ihrer Stelle stehen. „Konrad, Laura, Eagle oder Johannes zu erlangen, ist Lukas misslungen. Allerdings den Orangenen Skorpion.“ Lauras Bedürfnis, Anne eine reinzuhauen musste schlagartig der Überraschung weichen, die sie fast aus dem Bett fallen ließ, als Benni eintönig die Situation erläuterte. So ähnlich ging es wohl auch Anne, die in weiser Voraussicht den Blicke-Kampf mit Susanne beendete und zwar nicht rausging, aber still blieb. „So ist das also… Valentin ist durch Lukas Lenz aus dem FESJ rausgekommen…“, murmelte der Direktor, eher zu sich selbst. „Worauf genau wollt ihr hinaus?“, fragte die Direktorin den schweigsamen Schulsprecher und angeschlagenen Musterschüler kritisch. Laura ballte zornig die Hand zur Faust. „Mein Cousin ist das Letzte! Er ist Schuld an dem Tod von Luciano, Lucia, Konrads Eltern und weiß Gott, wer sonst noch unter ihm zu leiden hatte! Er war auch derjenige, der Johannes in die Unterwelt entführt hatte, hatte Benni vergiften lassen und hetzte in Spirit eine Horde Zombies auf uns!“ Einige Minuten herrschte Totenstille, als Laura bewusst wurde, wie schwer ihnen Lukas das Leben bisher bereits gemacht hatte. „Warum habt ihr uns das nicht sofort gesagt? Wir müssen eine Anzeige erstatten!“, meinte die Direktorin vorwurfsvoll und richtete sich auf. Susanne seufzte. „Wenn Sie wüssten, wie gerne wir das gemacht hätten und wie viel Stress uns das erspart hätte und uns in Zukunft wahrscheinlich ersparen würde. Aber zu unser aller Bedauern sind Benni und Carsten strikt dagegen…“ Anne schnaubte nun doch wieder. „Ich hoffe allen Ernstes für euch, dass ihr dafür einen verdammt guten Grund habt.“ Carsten seufzte. „Lauras Vater steht immer hinter Lukas. Was dieser alles verbricht, merkt er überhaupt nicht. Er geht sogar so weit, zu behaupten, er würde den Vorsitz des Siebenerrates lieber ihm geben, als seiner eigenen Tochter.“ Auch, wenn er immer noch bedrückt klang, kamen diese Worte nun leichter über seine Lippen. Dafür zuckte Laura betroffen zusammen. „W-Woher weißt du das? …“ Kam das Gerücht oder was auch immer das war bis hinter die Gitterfenster des FESJ und nur nicht zu ihr, die davon sogar betroffen war?!? „Als wir in Indigo waren, hat mich Eagle, nachdem ihr alle wieder zurück wart, zur Seite gezogen.“ Beschämt lachte Carsten auf und wirkte plötzlich wieder nahezu normal, würde er nicht immer noch so erschöpft aussehen. „Um ehrlich zu sein hatte ich gedacht, er würde mir schon wieder ein blaues Auge verpassen wollen. Na ja, jedenfalls hatte er es mir dann erzählt. Er klang wirklich verärgert und besorgt. Ich bezweifle, dass er sich einen Spaß erlaubt hatte. Nicht bei solchen Themen.“ „Wir reden hier von Eagle! Bestimmt wollte er dich nur reinlegen!“, stritt Laura Carstens Aussage verzweifelt ab. Öznur schüttelte den Kopf. „Ich muss Carsten Recht geben, Eagle macht bei solchen Themen keine Scherze.“ Widerwillig musste Laura ihnen glauben. Eagle war zwar ein Arschloch, aber ein anständiges Arschloch. Ihm würde es garantiert auch gegen den Strich gehen, wenn ausgerechnet Lukas die Herrschaft seiner Nachbarsregion übernahm. Die Herrschaft, die eigentlich sie… „Das ist nicht fair… Ich meine… Ich weiß, dass ich einfach nicht für so eine Rolle wie den Vorsitz gemacht bin, aber…“, schluchzte Laura und hielt mit aller Mühe ihre Tränen zurück. Das peinlichste, was ihr jetzt noch passieren konnte war, während der Anwesenheit der Direktoren weinen zu müssen. Die ihren Gefühlskampf natürlich bemerkten. „Hey eiskalter Engel, fass dir ans Herz und nimm das Mädchen mal in den Arm. Das würde ihr sicher gut tun.“ Der Direktor schien seine Worte tatsächlich todernst zu meinen. Noch nicht einmal die leichte Belustigung war zu hören, mit der er sonst den Spitznamen betonte, den er Benni einst gegeben hatte. Laura vergrub ihr Gesicht in Carstens T-Shirt, als hätten sie nun die Rollen des Trösters und Getrösteten getauscht. „Nein.“, murmelte sie so leise, dass außer Benni es höchstens Carsten hätte hören können. „Er hasst mich, er würde mich nie trösten wollen. Ich habe doch fast Chip-“ Carsten strich ihr über das Haar. Er hatte sie gehört. Benni auch. Doch natürlich wurde Laura nicht enttäuscht, als sie merkte, dass Benni sich trotzdem keinen Millimeter gerührt hatte. Etwas anderes hatte sie nicht erwartet. Noch bevor der Direktor zu Wort kommen konnte, kommentierte Ariane: „Das ist mal wieder typisch für dich!“ Laura war überrascht, dass die Standpauke so kurz war. Aber inzwischen schien auch Ariane verstanden zu haben, dass Zurechtweisungen bei Benni keinen Sinn hatten. Genauso wenig wie Schuldeingeständnisse. Was hatte sie sich dabei gedacht? Dass Benni vielleicht Gnade zeigen würde? Räuspernd machte Janine auf sich aufmerksam und meinte zögernd: „Aber wenn das sogar so weit geht, dass Lukas statt Laura die Führungsposition bekommen soll, sollten wir dann nicht erst recht einschreiten? Ich meine… Nicht, dass Yami genauso endet… wie Mur…“ Laura wollte erst gar nicht wissen, wie es war, unter dem Einfluss eines grausamen Diktators leben zu müssen. Dass ausgerechnet Janine dieses Schicksal widerfahren musste… „Wobei wir Lukas zwar nicht beseitigen, ihm aber immer noch Einhalt gebieten können.“, stellte Susanne fest. Anne verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum nicht gleich beseitigen, wenn wir ihn schon aufhalten können?“ „Wenn wir ihn ‚nur‘ aufhalten hat er keine Chance, sich bei Leon Lenz zu beschweren, ohne, dass seine Taten notgedrungen auffliegen werden. Wenn wir ihn allerdings beseitigen, wird sich Lauras Vater seine eigenen Gründe kreieren und das wird fatale Folgen für unseren Gruppenzusammenhalt haben.“, erklärte Carsten. „Dann erkläre mal bitte näher, was du unter ‚fatale Folgen‘ und ‚Gruppenzusammenhalt‘ verstehst.“, verlangte Anne zynisch. Trotz ihrer kritischen Andeutung erwiderte Carsten, inzwischen wieder so ruhig wie sonst: „Unter Gruppenzusammenhalt verstehe ich: Für einander da zu sein. Unter fatale Folgen: Wir werden ohne den Stärksten von uns auskommen müssen.“ Automatisch wanderten alle Blicke zu Benni, sogar Chip richtete seine glänzenden Knopfaugen auf ihn, als habe er tatsächlich verstanden, was Carsten gesagt hatte. „Verdammt ey, immer machst du uns Probleme! Langsam fang ich an zu glauben, wir wären ohne dich besser dran.“ „Anne!“, ermahnten nahezu alle Mädchen außer Anne selbst sie dazu, ihr loses Mundwerk im Zaum zu halten. „Warum eigentlich?“, fragte Öznur daraufhin hastig nach, doch so freundlich ihre Absicht auch gemeint war, Benni hatte noch nicht einmal Notiz von Annes Aussage genommen. „Wie soll ich es beschreiben… So groß seine ‚Liebe‘ zu Lukas ist, oder wie man das bezeichnen soll, so groß ist der Hass, den Leon Lenz für Benni empfindet. Dummerweise hat er was gegen ihn in der Hinterhand und nur ein falscher Schritt, dann hättet ihr euch die Mühe in Indigo sparen können, wie Benni sagen würde.“, erklärte Carsten, den Laura unverzüglich verwirrt mustern musste. „Wie: ‚Was in der Hinterhand‘? Für den Mord an den drei Profi-Kampfkünstlern wurde Benni doch schon bestraft und das war, dachte ich, sein schlimmstes Verbrechen.“ „Mord?!“, fragte Ariane kritisch. „Hast du etwa noch mehr verbrochen?“, ergänzte die Direktorin noch kritischer. Aber von Benni konnten sie keine Antwort erwarten. „Das stärkt unseren Gruppenzusammenhalt jetzt aber auch nicht.“, witzelte Anne spöttisch. „Abgesehen davon, hast du doch so viele Bekannte und Freunde, die dir helfen würden.“, meinte Öznur ermutigend, doch Carsten konnte nur seufzend erwidern: „Das bringt leider rein gar nichts. Daher müsst ihr es auch nicht unbedingt wissen, denn diese Situation ist eine Sackgasse.“ „Ich will es trotzdem wissen!“, beschwerte sich Laura verärgert. Sie konnte ja verstehen, dass Benni seine Geheimnisse hatte, aber so viele wie er hatte sonst wohl keiner… Wobei Laura auch nichts von den Geheimnissen der anderen wusste… Ein amüsiertes Schmunzeln umspielte Carstens Lippen. „Im Prinzip müsstest du es eigentlich auch wissen.“ Ihr wie immer so intelligentes „Hä?“ konnte sich Laura nicht verkneifen, aber eine weitere Erklärung kam nicht. Der Direktor seufzte. „Also ist Valentin nun auf der Seite von Lukas, der unerwarteter Weise auf der Seite dieses Unzerstörbaren zu stehen scheint. Nur, weil Lukas es war, der ihn aus dem FESJ retten konnte…“ „Wie meinen Sie das?“, erkundigte sich Janine. Doch der Direktor schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Gähnen. „Ich bin der Meinung, den Rest können wir besprechen, wenn nicht gerade die Zeit fürs Schlafen ist.“ Die Direktorin gab ihrem Mann zum ersten Mal Recht. „In der Tat solltet ihr wieder ins Bett gehen. Dieser Vorfall befreit euch keinesfalls vom Unterricht.“ Sie wandte sich Carsten zu. „Wobei ich dich bitten möchte, über Nacht hierzubleiben und dich morgen von der Krankenschwester auf bleibende Schäden wie einer posttraumatischen Belastungsstörung untersuchen zu lassen. Sie wird dann entscheiden, ob du in der Lage bist, am Unterricht teilzunehmen, oder nicht.“ Wortlos nickend befolgte Carsten ihre Anweisung. Alle außer Carsten verließen den Krankensaal somit wieder. Wobei, fast alle. Aus den Augenwinkeln bemerkte Laura noch, wie Benni sich neben Carstens Bett auf den Boden setzte, als wolle er ein Gespräch mit ihm beginnen. Gerührt und traurig zugleich seufzte sie. Zumindest um Carsten scheint er sich noch Sorgen zu machen… Als sie wieder in ihren Zimmern waren, stellte Laura bestürzt fest, dass sie mit ihrem Einschlafproblem nur noch etwa eine Stunde Schlaf hätte. Beneidend linste sie zu Ariane rüber, die schon zufrieden vor sich hinschlummerte und wartete sehnsüchtig darauf, dass der Schlaf auch sie übermannen möge. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)