Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 13: Familienprobleme ----------------------------  Familienprobleme        Gähnend stieg Carsten aus seinem nachtblauen Himmelbett in der Coeur-Academy und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Heute stand der Besuch bei seiner Familie auf dem Tagesplan und er konnte dafür einfach keine Begeisterung aufbringen. Wie denn auch? Er war so etwas wie das schwarze Schaf der Familie und hatte immer und immer wieder das Gefühl, er würde nicht dazu gehören. Erst letztens hatte er daheim angerufen, um seinem Vater den Besuch anzukündigen. Und als wären die desinteressierten ‚mhms’ seines Vaters nicht genug gewesen, hatte sich dieser weder nach seinem Wohl erkundigt, noch ihm irgendeine andere Frage gestellt. Das Telefonat war noch schlimmer als Benni klarmachen zu wollen, dass er ruhig mal etwas Farbigeres tragen könnte. Nachdem er sich fertig gemacht hatte, verließ er sein Zimmer, um nicht auch noch seine beiden Zimmergenossen Adrian und Jan mit seinem nervösen Herumgelaufe zu wecken. Es war für sechs Uhr morgens noch so dunkel wie mitten in der Nacht und eine aufgehende Sonne war erst in ein bis zwei Stunden zu erwarten. Und mit der Sonne würde auch der größte Teil der Schule aufwachen und sich die nächsten zwei Tage auf zu ihren Familien machen oder die Zeit in der Coeur-Academy totschlagen. Denn die nächsten beiden Tage waren frei und genau das war auch die perfekte Zeitspanne für ihre Suche nach den übrigen Dämonenbesitzern. Jedenfalls wenn Carsten ihnen den Flug abnahm. Das bereitete ihm immer noch Sorgen. Laura hielt schon keine zwei Teleportationen an einem Tag aus, geschweige denn noch mehr Herumgebeame. Fröstelnd murmelte Carsten einen Zauber in seine Fäuste, die sich sofort auf eine angenehmere Körpertemperatur erwärmten. Dafür, dass er bis etwa Mitternacht auf dieser komischen Feier war, war er hellwach. Er konnte immer noch länger und deutlich besser schlafen als es ihm im FESJ jemals möglich gewesen ist. Unbewusst beschleunigten sich Carstens Schritte zu dem Hauptgebäude. Panik kam in ihm auf. Ein unangenehmes Gefühl als würde sich wie in einem Albtraum die Welt hinter ihm auflösen und er würde kurz darauf doch wieder in seiner Zelle im Militärinternat aufwachen. Nein. Er wollte nicht an diesen Ort zurück. Nein! Als er in das riesige Gebäude hastete, wäre er wohl mit Anne zusammengestoßen, hätte diese nicht ihre schlangenartigen Reflexe. „Entschuldige, ich hab nicht…“, setzte Carsten beschämt an. Sein Herz pochte immer noch. Anne zischte genervt. „Hätte von einem Jungen auch nichts anderes erwartet.“ Carsten hatte das Gefühl, sie würde ihn mit ihrem bloßen Blick erdrosseln wollen, aber glücklicher Weise kam nun auch Susanne dazu. „Hey, was ist denn hier los? Anne, jetzt zeige doch nicht immer gleich die Zähne. Carsten hat das nicht böse gemeint, es war ein Versehen.“, redete sie beschwichtigend auf ihre Freundin ein, die davon nicht gerade beeindruckt schien. „Halt die Klappe, Susanne. Was machst du Bubi eigentlich hier?“ Es hätte zickig klingen können, doch in Kombination mit ihrer Mimik wirkte es eher einschüchternd und bedrohlich. Zu Carstens Vorteil kannte dieser schon die herablassenden Beleidigungen dank seines Bruders. Deshalb konnte er so ruhig wie immer antworten. „Essen… Hatte ich jedenfalls vor…“ „Na, dann sollten wir ihn nicht aufhalten. Man sollte niemanden beim Essen stören… Oder beim Schlafen…“ Carsten drehte sich überrascht um. Ariane wurde zusammen mit Janine von einer recht motiviert wirkenden Öznur mitgeschleppt. „Gute Idee, ich bin am Verhungern.“ Anne musterte die kleine Gruppe kritisch. „Und der Rest?“ Öznur zählte an drei Fingern ab. „Also, Laura macht sich gerade fertig, jedenfalls nachdem wir sie mit Pauken und Trompeten wach bekommen haben. Lissi auch, hoffe ich jedenfalls, wobei bei ihr Pauken und Trompeten nicht ausgereicht hatten. Und vom eiskalten Engel hab ich nix gehört…“ Anne schnaubte. „Klar, immer machen die Jungs Ärger.“ „Jetzt werd‘ mal nicht verallgemeinernd. Nur weil du irgendwas gegen Jungs hast.“ In Öznurs Worten war der drohende Unterton kaum zu überhören. Anne verdrehte die Augen. „Sei du mal nicht so naiv. Glaub mir, diese Deppen wollen alle nur das eine, egal wer das Opfer ist.“ „Warum Opfer, Anni-Banani? Dein ‚eines’ ist doch was ganz Tolles, Süße.“ Dafür hätte sich Carsten noch nicht einmal umsehen müssen. Lissis recht hohe, schwer überhörbare Stimme kam direkt auf sie zu geträllert. Das Mädchen hätte er nicht so leicht einem Alter zuordnen können. Einerseits wirkte sie noch wie eine zwölfjährige, die gerade erst begann erwachsen zu werden, andererseits hatte sie schon irgendwie etwas Feminines, genauer gesagt Erfahrenes, an sich. Doch Annes Kommentar hatte eher seine Neugier geweckt. Wie hatte sie das mit Opfer gemeint? Aber sowohl Anne, als auch der Rest der Anwesenden schwieg und dachte gar nicht daran, irgendein Gespräch anzufangen. So wie niemand wohl den seltsamen Hintergrund ihrer Meinung zu hinterfragen schien. „Na los, wenn ich schon so früh raus musste, dann lasst uns jedenfalls endlich frühstücken.“, drängte Ariane ungeduldig. Am Tisch gesellte sich Laura zu der Gruppe und setzte sich wie es in letzter Zeit schon Gewohnheit war neben Carsten. Er wunderte sich, dass sie so erstaunlich munter und überhaupt nicht so schlecht gelaunt war, wie sie sich sonst immer verhielt, wenn sie früh aufstehen musste. Carsten senkte seine Stimme. „Was ist denn mit dir los? Du siehst so aus, als hättest du den Weihnachtsmann getroffen.“ Laura grinste. „Du meinst abgesehen von der Tatsache, dass Herr Weihe so wie der Weihnachtsmann aussieht?“ Carsten erinnerte sich an den freundlichen älteren Herrn. Auch er hatte ihn als Kind öfter zu Gesicht bekommen, wenn er bei Bennis und seiner Lehrmeisterin war. Schließlich nickte er. „Abgesehen davon.“ Laura kratzte sich am Hinterkopf. Auf den ersten Blick schien es eine planlose Geste, doch in ihrem Gesicht konnte man den Hauch von Verlegenheit lesen, der Carsten einen Teil schon beantwortete. „Keine Ahnung…“, antwortete sie schließlich. „Ich hab das Gefühl, vor Energie fast zu platzen…“ „Wie kann jemand der krank ist fast vor Energie platzen? Sicher, dass das Zeug nicht auch dein Hirn erwischt hat?“ Carsten hätte Anne am liebsten wegen ihrer Rücksichtslosigkeit den Hals umgedreht. Zu schade, dass er nicht der Typ für so was war… Manchmal verfluchte er sich und seine Feigheit. Laura wich auch sofort die rötliche, beinahe sogar gesund wirkende Farbe aus dem Gesicht. „Ich bin nicht krank.“, erwiderte sie mit einem erstickenden Ton. „Äh, bist du doch, Lauch. Du weißt schon, dieses Charismadings, oder so…“, widersprach die naive Lissi und erntete einen warnenden Rippenstoß von ihrer älteren Schwester. „Aber mir geht es wirklich gut-“ Mal wieder schien das Mädchen den Tränen nahe. Die, die lachen würden, kannten nicht dieses endgültige Gefühl des Todes, welches Laura tagtäglich mit sich herumschleppen musste. Carsten kannte es zwar auch nicht, doch er versuchte zumindest ihre Gefühle, ihre Verzweiflung bei dieser ausweglosen Situation zu verstehen. Jedenfalls um ihr ein bisschen helfen zu können. Er wollte so gut er konnte für sie da sein. Laura signalisieren, dass sie nicht alleine auf dieser Welt war und dass es Menschen gab, die sie liebten und die sich unglaublich darüber freuten, sie als Teil ihres Lebens zu wissen. Aber damit einher ging eben auch, Laura und ihre Sorgen und Ängste ernst zu nehmen und es nicht einfach als Drama abzutun, was Laura selbst viel zu gerne und häufig bei sich selbst machte. Carsten fand das schade. Schließlich ging es hierbei um sie selbst, es waren ihre Gefühle. „Na ja, du hast ja auch eine geballte Ladung Energie bekommen, oder so.“, versuchte Ariane sie zu beruhigen. Sie war die richtige Person, die Laura aufheitern konnte. Schon als Laura ihren ersten Anfall hatte, bei dem sie ohne Ariane alleine gewesen wäre, hatte Carsten das erkannt. Ariane war das Licht, Lauras Gegenstück. Nicht immer mussten sich diese Kräfte bekämpfen, es gab auch Zeiten, in denen lebten der Weiße Hai und der Schwarze Löwe in Harmonie und Eintracht miteinander. Aber wie hatte Ariane das mit der geballten Ladung Energie gemeint? „Was? Warum hat sie Energie bekommen?“, fragte Öznur neugierig und legte graziös den Kopf schief. „Das wollten wir noch euch beide fragen.“ Ariane wandte sich erst Susanne und dann Carsten zu. „Kann man jemandem Energie geben?“ Susanne ergriff als erste das Wort. „Ja, kann man.“ Ariane wandte sich wieder ihr zu. „Wie denn?“ „Nun ja…“, Während Susanne überlegte, legte sie ihren schlanken Zeigefinger auf die Lippen. Schließlich erklärte sie: „Energietransfusion geht eigentlich nur, wenn zwei Wesen die gleiche Energie beherrschen. So ist das auch zwischen uns und den Dämonen, wenn wir ihre Energie anwenden. Auch wenn wir das nicht merken. Wenn wir mitten in einem Kampf sind und das Gefühl haben, keine Kraft/ Energie mehr zu haben, können wir noch auf diese Möglichkeit zurückgreifen. Allerdings muss der Dämon, also der Sender, das einleiten. Wir können nur um Energie bitten.“ „Was?!? Dann könnte mich der Schwarze Löwe einfach so wieder mit Energie versorgen, wenn ich einen Anfall hatte?!? Warum hat er es dann nie gemacht?!? Was für ein egoistisches Vieh!“ Wütend war Laura aufgesprungen, sodass die Tassen und Teller klirrten und ein Teil von Carstens Kaffee überschwappte. Anschließend setzte sie sich, nun in Rage versetzt, wieder hin. „Aber der Sender muss nicht unbedingt ein Dämon sein, oder?“, vergewisserte sich Ariane, Lauras zornigen Kommentar ignorierend. „Also, erst mal zu dir Laura, ich glaube, dass der Schwarze Löwe das nicht nicht macht, weil er egoistisch ist, sondern weil es ein Hindernis ist, das du irgendwie überwinden musst. Er will wissen, wie du mit lebensbedrohlichen Sachen klarkommst. Das ist eine Art Test, da bin ich mir ganz sicher.“, erklärte Susanne ruhig. Laura seufzte. „Wow, da fall ich haushoch durch.“ „Und zu deiner Frage, ja, auch Lebewesen wie wir es sind können das, wenn wir dieselbe Energie beherrschen.“ „Warum interessierst du dich denn für so was?!?“, fragte Öznur, die nun auch neugierig geworden war. Ariane ignorierte Öznurs Frage und wandte sich nun Laura zu. „Wenn das eine Prüfung oder so ein anderer Unsinn ist, warum hat dir der eiskalte Engel dann geholfen?“ Lauras Wangen färbten sich bei Arianes Frage purpurrot. „Ich weiß nicht…“ Nun war es für Carsten mehr als eindeutig. „Benni hat dir Energie gegeben.“ Und nun war auch Lauras gesamtes Gesicht wie in diese Farbe getaucht. Öznur stieß durch ihre Zähne einen Pfiff aus. „Habt ihr nicht immer gemeint, der ‚eiskalte Engel’ wäre egoistisch? Mir kommt das nicht so vor.“ Anne gab ein Geräusch von sich, das eine Mischung aus Schnauben und Zischen war. „Der hat garantiert irgendeinen andern Grund dafür, als ‚Oh nein, Laura leidet so sehr, ich muss ihr helfen und koste es mein Leben’.“ Ariane zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Vielleicht etwas zu schnulzig ausgedrückt, aber ich finde schon, dass es möglich ist.“ Carsten seufzte. „Leider hat er einen anderen Grund gehabt.“ Ariane stöhnte auf. „Nee, oder?“ „Ha! Ich wusste es doch, er ist halt egoistisch!“ Anne lächelte selbstzufrieden. Carsten schüttelte den Kopf. „Das jetzt auch nun wieder nicht.“ Bennis Tat war so etwas, wie eine Antwort auf seine Sorge vor einigen Minuten. „Nun hat Laura genug Energie, dass sie nach einigen Teleportationen nicht gleich wieder so fertig ist. Da wird dann auch der Schwarze Löwe nichts dagegen haben, immerhin ist es Bennis Aufgabe als Dämonengesegneter die Dämonenverbundenen vor Schaden zu schützen. Auch in dieser Hinsicht.“ Ariane stöhnte auf. „Stimmt, dieses Problem gibt’s ja auch noch. Und Laura hat aber jetzt genug Energie?“ Carsten schüttelte den Kopf. „Jeder hat sein Maximum. Man kann nur eine bestimmte Menge an Energie haben, aber so ist Lauras Vorrat komplett voll und jedenfalls die nächste Teleportation übersteht sie ohne Probleme.“ „Praktisch.“, war Annes einziger Kommentar. Ohne ein weiteres Wort gab sie ihr Geschirr einer Elfe, die vorbei flatterte. Auch Ariane wollte ihres abgeben, doch die Elfe streckte ihr die Zunge raus und stellte den Teller und die Tasse auf ihrem Kopf ab. Die Mädchen brachen in schallendes Gelächter aus, wie sonst auch, wenn Ariane von einem magischen Wesen getriezt wurde. Ariane schnaubte und nahm ihr Geschirr von ihrem Kopf herunter. „Dann bringe ich es halt selbst weg.“ Beim Weggehen murmelte sie noch etwas von ‚verdammten Viechern, warum immer ich?’. Janine rückte zögernd ihren blauen Haarreif zurecht, den sie eigentlich nur trug, weil sie ihn zu mögen schien, da ihr dichtes Pony immer noch über ihre Augenbrauen fiel. „Arme Nane, warum sind die immer so gemein zu ihr?“ Anne zuckte mit den Schultern. „Ist doch eigentlich egal, solange es was zum Lachen gibt.“ Öznur seufzte. „Okay, das nenn ich mal egoistisch…“ Wieder gab Anne ihr schlangenartiges Zischen von sich. Öznur verdrehte die Augen und wandte sich Carsten zu. „Noch eine Frage: Schaffen wir das alles überhaupt in zwei Tagen?“ Carsten nickte. „Das dürfte kein Problem werden. Benni kennt neben meinem Bruder und diesem Jungen hier in Cor noch zwei weitere Dämonenbesitzer persönlich. Nur bei dem in Terra wird es schwer…“ „Das heißt also einfach nur den Leuten einen Besuch abstatten.“, bemerkte sie. Anne schnaubte. „Wenn der eiskalte Engel schon zu etwas nützlich ist, könnte er die, die er kennt doch einfach anrufen und die Sache hat sich geklärt. Warum also der ganze Aufstand?“ „Damit wir sie persönlich kennenlernen. Es nützt nichts, wenn du mit jemandem kämpfst, wenn du davor noch nie ein Wort mit ihm gewechselt hast.“, antwortete Susanne an Carstens Stelle. Anne erhob sich. „Na dann lasst uns das schnell hinter uns bringen.“   Wie vor einigen Tagen traf sich die Gruppe im Südwald, außerhalb der Coeur-Academy. „Warum gehen wir eigentlich hier hin?“, fragte Janine zögernd. An Carstens Stelle erklärte Susanne es. „Weil über dem Campus der Coeur-Academy ein Schutzzauber ist, damit keine Magie rein oder raus kommt. Bezweckt ist eigentlich das Zurückhalten böser Mächte. Und hier im Wald fällt ein Teleport nicht so sehr auf, wie mitten auf einer Straße. Ist es so richtig?“ Abwesend nickte Carsten. Bei dem Gedanken daran, dass er nach sechs Jahren wieder nach ‚Hause’ kam, sträubten sich ihm die Nackenhaare. Ihm war nicht wohl dabei. Natürlich gab es auch in Indigo Leute, die Carsten viel bedeuteten und die er sehr vermisst hatte. Aber dort waren eben auch… Carsten ergriff mit schwacher Stimme das Wort. „Na gut, dann stellt euch wieder in einem Kreis auf.“ Die Kreisbildung ging mittlerweile recht flott und sogar Chip saß auf Bennis Schulter, wie Carsten noch bemerkte, bevor er mit zitternder Stimme den Zauber sprach, der sie nach Indigo brachte. Er sah weder den hellen Lichtkreis noch sonst was von der Teleportation, bis er schließlich die Augen öffnete und vor Karibera, der ‚Hauptstadt’ Indigos stand. „Das ist doch ein Witz, oder? So sieht doch keine Stadt aus.“, meinte Öznur kritisch. „Indigo besteht auch nur aus kleinen Indigonerstämmen, die die Größe von Dörfern haben. Karibera ist zwar nicht das größte Dorf, aber dennoch das bedeutendste.“, erklärte Susanne. „Schwesterherz: Du liest zu viel.“ Lissi warf sich die schwarzen, gelockten Haare zurück und stolzierte als Erste in das Dorf, gefolgt von Öznur, Ariane und Janine. Laura musterte Carsten kritisch. „Willst du dir das wirklich antun? Du siehst nicht gerade motiviert aus.“ Carsten setzte ein gequältes Lächeln auf. „Das sagt die Richtige. Geht es dir auch wirklich gut?“ „Alles in Butter.“, meinte sie, zwar selbst nicht sonderlich motiviert aber immerhin klang sie noch lebendig und stand auf ihren eigenen Beinen. Das war schon mal etwas. Susanne lächelte ihn aufmunternd an. „Wenn dein Bruder tatsächlich gegen dich vorgeht, muss er mit uns allen fertig werden.“ „Und das soll mich jetzt aufheitern?“, fragte Carsten und würde am liebsten auf der Stelle Reißaus nehmen. Susanne lächelte seufzend und schüttelte den Kopf. „Lasst uns gehen…“ Karibera erinnerte eigentlich eher an ein mittelalterliches Dörfchen, nur mit bunten Tipis anstelle von Häusern, die aber trotz der kalten Jahreszeit wärmer waren, als man eigentlich erwarten würde. Sie kamen an Koppeln vorbei und sahen hin und wieder einige Indigoner in der verschneiten Traumlandschaft arbeiten oder sich um ein Feuer versammeln, um gemeinsam zu frühstücken. Das Dorf hatte keinen geordneten Aufbau, nur in der Mitte war ein freier Platz, in dessen Mitte wiederum der Marterpfahl mit einem stolzen Adler als krönenden Abschluss stand. Die Indigoner, denen sie begegneten, würdigten der Gruppe nicht eines Blickes, einige schauten sogar so eindeutig weg, dass es schon auffallend unfreundlich wirkte. „Sollten sie dich nicht normalerweise etwas herzlicher empfangen, wenn du ein Sohn des Häuptlings bist?“, fragte die schüchterne Janine mit gesengter Stimme. Carsten seufzte. „Das ist eine komplizierte Geschichte. Ein anderes Mal, okay?“ Sie waren inzwischen an einem großen Haus am Ortsrand angekommen. Es bestand zwar nur aus Holz, doch es hatte trotzdem irgendwie etwas Herrschaftliches an sich, das man nicht definieren konnte. Die Tür des Hauses wurde aufgerissen und ein junges Mädchen, etwa dreizehn Jahre alt, kam herausgestürmt. „Da bist du ja!!!“, rief sie begeistert und rannte direkt an Carsten vorbei und wollte Benni um den Hals fallen, der sie allerdings unsanft von sich fern hielt. „Sag mal, was machst du da?!? Geh weg von ihm!“, drohte Laura ihr erschrocken und verärgert zugleich. Carsten hätte am liebsten laut losgelacht. Zwar war Laura fast so schüchtern wie er selbst, doch kaum kam jemand Benni zu nahe, fuhr sie die Krallen aus. Als könnte sich dieser nicht selbst gut genug verteidigen… Das Mädchen streckte ihr die Zunge raus. „Als würde mein Benni auf Rothaarige mit so wenig Sexappeal wie dich stehen.“ Ein weiteres Mal lief Laura purpurrot an, brachte aber kein Wort hervor. „Es reicht, Sakura.“ Carsten wollte seiner kleinen Schwester ihr dreistes Verhalten klarmachen, doch sie winkte nur mit einer Handbewegung ab. „Du hast hier gar nichts zu melden.“ Frustriert biss sich Carsten auf die Unterlippe. In den sechs Jahren hatte sie sich zu einem kleinen Biest entwickelt. Als wäre Eagle alleine nicht schon schlimm genug… „Sakura, es reicht. Komm wieder ins Haus und lass deinen Bruder und seine Freunde in Ruhe!“ Aus dem Holzhaus trat eine Frau, etwa Ende dreißig, und blickte das Halbindigonermädchen mit einem befehlenden Mutterblick an. „Na toll, das ist mal wieder typisch. Kaum ist der da wieder da, bekomme ich wieder Ärger!“, rief sie entrüstet und rannte an ihrer Mutter vorbei, zurück in das Haus. Diese seufzte kopfschüttelnd. „Entschuldigt, manchmal ist sie halt so. Die Pubertät hat sie momentan leider voll im Griff.“ Carsten schnaubte. „Merkt man. So verrückt nach Benni war sie noch nie.“ Hinter ihm brachen einige der Mädchen in nicht enden wollendes Gelächter aus, auch seine Mutter grinste verstohlen. „Na was soll’s. Es ist schön, zu sehen, dass es dir gut geht. Mein Name ist übrigens Saya, freut mich, euch kennen zu lernen.“ Neben ihm funkelte Laura Saya vorwurfsvoll an. „Sie finden es schön?!? Ich glaube, es würde Carsten noch besser gehen, wäre er nicht im FESJ gewesen!“ Ariane stemmte die Hände in die Hüften und stellte sich neben Laura. „Genau! Was sind Sie eigentlich für eine Mutter, die ihr Kind nicht in Schutz nimmt?!?“ Betroffen wich Saya den erzürnten Blicken der Mädchen aus, wusste allerdings nichts auf diese Anschuldigungen zu erwidern. Beruhigend legte Carsten seine Hand auf Lauras Schulter. Er wollte nicht, dass Saya in eine so unangenehme Situation gebracht wurde. Schließlich hatte sie viel für ihm getan und ihm so viel Schönes ermöglicht. Sie war die einzige in seiner Familie, die ihm wahrhaftige, bedingungslose Liebe entgegengebracht hatte. Die immer versucht hatte für ihn da zu sein, selbst wenn es häufig nicht gerade einfach war. „Bitte, Laura. Du weißt, dass Saya nichts dafür kann, was geschehen ist. Und abgesehen davon hat das alles auch etwas Gutes. Wäre ich nicht dort gewesen, wäre ich möglicher Weise nie zu euch auf die Coeur-Academy gekommen.“ Ein schwaches Lächeln erschien auf Sayas Lippen. „Du musst mich nicht in Schutz nehmen, Carsten. Auch wenn ich es wirklich sehr zu schätzen weiß…“ „Wie meinst du das mit: ‚Nicht auf die Coeur-Academy gekommen’?“, platzte Öznur dazwischen. „Indigo ist eine sehr unabhängige Region. Auch was die Schulausbildung betrifft, kümmern sie sich selbst darum.“, erklärte Saya. „Das heißt hier gibt es noch mehr Magier und Kampfkünstler?“ Anne musterte die Frau, die da auf dem Ende der Treppe stand kritisch. Saya nickte. „Sehr viele sogar. Nahezu jede Familie in Indigo hat mindestens ein Mitglied, das Kampfkünstler ist. Magier hingegen sind hier sehr, sehr selten. In Karibera gibt es beispielsweise nur zwei Magier und einer davon ist Carsten selbst.“ Janine zwirbelte an einer Strähne. „Aber wenn Magier hier so selten sind, dann ist doch Carsten etwas ganz Besonderes.“ Saya lächelte Carsten an. „Ja, das ist er. Aber die Anderen sehen das nicht.“ Laura schnaubte. „Dann sollten die mal die Augen aufmachen.“ Nun lachte Saya. „Kommt doch erst einmal rein und legt eure Sachen ab.“ Dankbar dafür, der Kälte endlich zu entkommen, folgten sie Saya in das große Haus. Carsten merkte sofort, wie Benni sich begann unwohl zu fühlen, obwohl er kaum über die Türschwelle getreten war. Als sie Kinder waren, war er sehr oft zu Besuch gewesen. Doch das Haus hatte er nie betreten wollen. Der Grund war die ganzen Tierfelle, die als Teppich dienten, die ausgestopften Tierköpfe, die zur Zierde an den Wänden hingen und so weiter. Carsten hatte sich immer vor ihnen gefürchtet, aber Benni trauerte eher darüber, dass manche Wesen ihr Leben lassen mussten, um Dekoration zu sein. „Krass…“, meinte Öznur, als sie einen ausgestopften Rehkopf musterte. Chip, der mal wieder auf Bennis Schulter saß, gab einen Laut von sich, der einem Weinen ähnelte. „Ich weiß… barbarisch.“, gab Benni ihm Recht. Anne stöhnte. „Sieh einer an, der Eiskalte Engel hat also ein Herz für Tiere.“ Benni ignorierte ihren Kommentar. Betroffen wandte sich Janine an Saya. „Ich dachte Indigoner würden mit den Tieren zusammenleben und sie nicht als Dekoartikel benutzen…“ Saya seufzte. „Das ist eigentlich auch so, aber leider haben Eagle und sein Vater eine Vorliebe für die Jagd und da kommt so einiges zusammen.“ Dieses Mal klang Chips Quietschen empört und verärgert. Saya führte sie im Haus herum und die Gruppe stellte ihre Rucksäcke, beziehungsweise Lissis Koffer in Carstens Zimmer im ersten Stockwerk ab. „Ich muss schon sagen, du hast es schön hier.“, meinte Öznur. „Du meinst wohl, abgesehen davon, dass ich sechs Jahre lang nicht mehr hier war. Wo sind meine Bücher?!?“ Leicht verärgert wandte sich Carsten an Saya. Er hatte sehr viel gelesen, doch nun war sein Zimmer bis auf die Möbel plötzlich komplett leer geräumt. Außer der Schreibtischlampe und dem Computer war nichts geblieben. Sayas Mimik wurde entschuldigend. „Auf dem Dachboden... Für die sechs Jahre wurde dein Zimmer als Gästezimmer für Eagles und Sakuras Freunde benutzt.“ Ariane schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Als Gästezimmer?! Das kann doch nicht wahr sein. Was für eine Familie…“ „Na super.“, kommentierte sogar Anne wenig begeistert. „Und jetzt müssen wir also zu deinem Erzfeind.“ Saya wusste natürlich sofort, wer damit gemeint war. „Eagle müsste auf dem Sportplatz sein.“ Wo denn sonst? Fragte sich Carsten. Er wollte dort nicht hin. Es war schön Saya nach all dieser Zeit wiederzusehen, aber bitte nicht Eagle. Bitte! Carsten bezweifelte, dass sich sein großer Bruder in den letzten sechs Jahren sonderlich verändert hatte. Zumindest was sein Verhalten ihm gegenüber anging. Gepresst atmete Carsten aus. Erst jetzt bemerkte er, wie angespannt sein Körper eigentlich war, seit sie in Indigo angekommen waren. Das war nicht einfach nur Nervosität. Das war Angst. Eine Angst, die sich in all der Zeit schon so unterschwellig in ihm festgesetzt hatte, dass sie zu einem steten Begleiter für Carsten geworden ist. Und jetzt trat sie langsam an die Oberfläche. So langsam und schleichend wie ein Raubtier, das sich an seine Beute pirschte, mit dem Ziel diese zu verschlingen. „Na dann auf geht’s!“, rief Öznur viel zu motiviert für seinen Geschmack aus. Carsten schluckte schwer, versuchte das erdrückende Gefühl irgendwie weg zu atmen. Er wollte nicht… Er konnte das nicht. Da ergriff plötzlich jemand seine rechte Hand. Überrascht bemerkte er, wie Laura mit einem liebevollen und doch entschlossenen Blick zu ihm aufschaute. „Wir passen auf dich auf.“ Die restlichen Mädchen schienen es noch nicht einmal bemerkt zu haben, da sie bereits das Zimmer verlassen hatten. Dafür legte sich für einen kurzen Augenblick eine weitere Hand auf seine Schulter. Carsten wandte sich um und sah, wie Benni seinen Blick beim Vorbeigehen kurz mit einem schwachen Nicken erwiderte, als wolle er Lauras Worte unterstreichen. Und tatsächlich, als er sich der Nähe der beiden bewusst wurde, löste sich dieses erdrückende Gefühl um seine Brust wieder etwas. Wenn Benni und Laura bei ihm waren gab es keinen Grund, Angst zu haben. Denn er war nicht allein.   Der Sportplatz war der einzige nicht schneebedeckte Ort weit und breit und zerstörte damit die winterliche Atmosphäre. Egal wo man hinsah, man konnte Indigoner und Indigonerinnen beim Trainieren beobachten. Sein Bruder war nicht schwer zu finden, er kam bereits auf sie zu. Carsten musste sich eingestehen, Eagle sah schon gut aus und hatte auch noch einen sehr hohen Stand. Da war es kein Wunder, dass sich die Mädchen auf dem Platz zu ihm umdrehten. Doch im Gegensatz zu Benni lächelte er ihnen freundlich zu wenn sie ihn riefen und erwiderte ihren Gruß. Er war immerhin so etwas wie ein ‚Traumtyp’ oder wie die Mädchen das nannten. Groß, breitschultrig und muskulös. Seine fast so langen Haare wie Lauras waren pechschwarz und zu einem straffen Pferdeschwanz zusammengebunden. In seinen bernsteinbraunen Augen erkannte man, dass er aus gutem Hause war, und dennoch wirkte er trotzdem wie ein typischer Indigoner wirken sollte. Nicht so wie Carsten, sondern unbezwingbar und wild. „Na sieh einer an, da kommt ja unser Schlachtlamm.“, sagte er mit seiner tiefen, provozierenden Stimme, der immer eine zweite Stimme wie ein kaum hörbares Echo folgte. Sofort umgab die beiden Brüder eine unbeschreibliche Aura des Hasses und der Feindschaft. „Ha, ha. Sehr witzig. Lass Carsten in Ruhe.“, fauchte Laura in die an sich schon geladene Atmosphäre. Doch als Eagle ihren Blick erwiderte, lächelte er sie ungezwungen an. „Schön, dass jedenfalls du da bist. Hast du mich vermisst?“ Laura schnaubte. „Garantiert nicht.“ „Hey du, wir wollten dir eigentlich den Weltuntergang prophezeien.“ Öznur drängte sich regelrecht zwischen ihn und Laura, um verhindern zu können, dass Laura Eagle mit ihren Blicken tötete. Oh ja, bei Eagle konnte selbst Laura so etwas. Eagle hob eine Augenbraue und musterte Öznur von Kopf bis Fuß. Schließlich sagte er: „Klingt interessant. Dann prophezeit mal schön.“ Nun musste sich Carsten eingestehen, dass der Junge, der da vor ihm stand doch irgendwie schon erwachsen geworden war. Mit einer knappen Geste bedeutete er ihnen, ihm zu folgen und auf einem der Tierfelle Platz zu nehmen. Wie schon erwartet hielt Benni seinen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter ein und blieb auf der Wiese stehen. Doch auch Janine setzte sich nur widerwillig auf das Fell und streichelte es, als würde sie auf einem lebenden Tier sitzen. „So, da bin ich mal gespannt.“ Fragend sah Eagle einen nach dem anderen an, mal freundlich, mal weniger freundlich. Schließlich begann Susanne. „Wir sind der Annahme, dass sich etwas Großes, Böses zusammenbraut. Vor etwa einer Woche wurde in Jatusa ein junger Dämonenbesitzer entführt. Zwar konnte Benni ihn aus den Fängen von Lauras Cousin retten, aber scheinbar war im Hintergrund eine noch viel stärkere Macht am Werk, die sogar Energie verwendet. Also haben wir Eufelia-Sensei um Rat gefragt. Sie meinte, wir müssen die Verbindung zu unseren Dämonen und den anderen Dämonenbesitzern stärken, um es mit dieser Macht aufnehmen zu können.“ Eagle hatte ihrer kurzen Zusammenfassung ruhig zugehört, lediglich bei Benni hatte er einmal spöttisch das Gesicht verzogen und dafür einen vorwurfsvollen Blick von Laura geerntet. „Das heißt also, ihr braucht meine Hilfe.“ Anne gab ihr typisches Zischen von sich. „Leider Gottes sollten wir diese Macht halt nicht unterschätzen.“ Wieder hob Eagle eine Augenbraue und musterte Anne. „Dich kenn ich doch, du bist doch die Tochter von Sultana, der Herrscherin von Dessert. … Weißt du eigentlich, was für einen komischen Namen eure Region hat?“ „Halt die Fresse.“, fuhr Anne ihn an. Erstaunlich ruhig für seinen eigentlich stürmischen Charakter zuckte Eagle mit den Schultern. „Wollte es nur endlich sagen. Vielleicht streicht ihr mal das eine ‚s’.“ Ariane begann zu lachen. „Wieso denn? Mir ist der Name sympathisch.“ „Leute, das ist doch jetzt egal. Also hilfst du uns nun, die Welt zu retten, oder nicht?“, meldete sich Öznur zu Wort. Eagle zuckte mit den Schultern. „Warum denn? Ihr habt doch schließlich schon den stärksten Kämpfer Damons auf eurer Seite.“, meinte er sarkastisch und warf Benni dabei einen hasserfüllten Blick zu, den dieser mit seiner typischen ausdruckslosen Miene erwiderte. „Der alleine wird nicht reichen. Wenn nicht jeder mithilft, wird das der Untergang Damons sein.“, widersprach Ariane. „Und außerdem ist es die Pflicht eines zukünftigen… Häuptlings, sein Volk vor Unheil zu bewahren.“, fügte Laura hinzu. Eagle schien einen Moment nachzudenken und gab sich schließlich seufzend geschlagen. Jedenfalls fast. Mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung war er aufgestanden, hatte sein Schwert gezogen und es auf Benni gerichtet. Öznur war die einzige, die aufschrie, der Rest schien wie erstarrt. Carsten seufzte innerlich. Eagle hatte sich doch kein bisschen verändert. „Unter einer Bedingung.“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. „Ich will gegen dich kämpfen.“ Gleichgültig zuckte Benni mit den Schultern, aber seine Stimme klang genervt, als er antwortete: „Wenn’s sein muss.“ Kurz darauf wurde einer der Kampfplätze in atemberaubendem Tempo geleert und alle möglichen Leute versammelten sich als neugierige Zuschauer um den Kampfring. „Ich versteh das nicht. Warum fordert dein Bruder ausgerechnet den eiskalten Engel heraus? Ist der völlig von allen guten Geistern verlassen?“, fragte Ariane, die neben Carsten in der ersten Reihe stand. „Das sowieso.“, meinte Carsten. „Aber Eagle ist es gewohnt, immer der stärkste zu sein und deswegen versucht er immer gegen Benni zu gewinnen, um sich den Titel als stärkster Kämpfer Damons zu verdienen, aber ohne Erfolg. Dummer Weise geht es hierbei ums Kämpfen, das heißt, dass die Kraft der Dämonen dabei verboten ist.“ Ariane legte den Kopf schief. „Aber der eiskalte Engel darf doch dann auch nicht die Kraft des Schwarzen Löwen und andere Energien einsetzen.“ Carsten lächelte. „Das macht Benni ja auch so gut wie nie.“ Ariane hob beide Augenbrauen. „Respekt. Warum nicht? Macht er sich es extra jedenfalls ein bisschen schwerer?“ „Nein“, antwortete dieses Mal Laura. Ihre Stimme klang traurig. „Es ist, weil Benni sein Dasein als Dämonengesegneter regelrecht hasst…“ „Er hat mir sogar erzählt, dass es ihn ärgert, dass er sich die ganze Kraft noch nicht einmal selbst verdienen konnte. Deswegen ist er ja auch so ehrgeizig. Er will die Macht des Schwarzen Löwen nicht, um als stark zu gelten.“, ergänzte Carsten. Benni würde ihn dafür später sicher noch umbringen. „Das hat schon irgendwie etwas Ehrenhaftes an sich…“, überlegte Ariane, schüttelte dann aber den Kopf. „Ich kapier den einfach nicht.“ Inzwischen war Anne in der Rolle des Schiedsrichters auf den freien Platz getreten. Mit den Händen lässig in den Hosentaschen begann sie zu erklären: „Na schön, wir haben uns hierbei auf ein simples Trainingsduell geeinigt. Derjenige, der zuerst ‚handlungsunfähig’ auf dem Boden liegt hat verloren, mehr nicht.“ In gedämpfter Lautstärke, so dass es nur die, die in ihrer direkten Nähe standen verstehen konnten, murmelte Anne noch: „Ein Kampf auf Leben und Tod wär spannender gewesen…“ Dieser Ansicht schienen auch Benni und Eagle zu sein, denn niemand sah so aus, als würde es ihm was ausmachen, sein Gegenüber ins Reich der Toten zu verfrachten. Auch wenn Benni doch eher lustlos statt mordlustig wirkte. Eagle trug wie vorhin sein graues Muscleshirt und eine Jogginghose, Benni hatte lediglich seinen langen Mantel und den Kapuzenpulli ausgezogen und trug das für ihn typische schwarze T-Shirt und seine schwarze Jeans. Während Laura begann an ihren Nägeln zu kauen -Carsten fragte sich, wie man bei so einem Kampf überhaupt aufgeregt sein konnte- stellten sich die Widersacher gegenüber auf den Kampfplatz. Die höfliche Verneigung, die es normalerweise vor jedem dieser Trainingskämpfe gab, ignorierten sie höflich und Anne machte sofort die dramatische Ansage zum Kampfbeginn: „Achtung, fertig, los!“ Wie Carsten es nicht anders erwartet hatte, war der Kampf nach wenigen Sekunden bereits entschieden. Er bestand lediglich aus drei Bewegungsabläufen. Den ersten führte Eagle aus. Mit einer Blitzgeschwindigkeit hatte er sein Schwert gezogen, stürmte auf Benni los und holte zum Schlag aus. Der zweite kam von Benni, der in einer einzelnen fließenden Bewegung duckend Eagles Schlag auswich und nach einer halben Drehung diesem seine Rückhand auf die Wirbelsäule schlug. Der dritte kam wiederum von Eagle, der besiegt zu Boden stürzte. Anne griff wieder das Wort auf. „Der ach so spektakuläre Kampf ist vorbei. Der Sieger ist der eiskalte Engel.“ Die herumstehenden applaudierten zu Bennis Sieg, aber niemand ging überhaupt zu ihm, um ihm zu gratulieren. Dieser Ausgang des Kampfes stand schon die ganze Zeit fest, auch die anderen Indigoner kannten den Sieger bereits, bevor der Kampf überhaupt begonnen hatte. Trotzdem war Laura natürlich sofort -und auch als einzige- losgestürmt. „Super Benni!“, rief sie, doch sie war ihm keine fünf Schritte näher gekommen, als ein seltsamer Strahl sie vom Boden riss und problemlos zehn Meter weit weg schleuderte, in die noch gerade so ausweichende Menge hinein.  „Fass meinen Benni nicht an, du kleine Schlampe!“ Sakura kam zum Platz gestapft mit einem verschnörkelten Holzstab in der Hand. „Deinen?! Ich hab mich wohl verhört, Kleine!“, kam nun auch Lissi dazu. Carsten musste mal wieder innerlich seufzen. Das kann doch nicht wahr sein… Da fiel sein Blick auf den Stab, den Sakura umklammert hielt. „Das ist ja mein Zauberstab! Hattest du ihn etwa die ganze Zeit, während ich weg war?!?“ Sakura nickte zufrieden. Carsten fluchte in seinen Gedanken. „Kann ich ihn wiederhaben?“ Sein Stab war spurlos verschwunden, kurz bevor er im Militärinternat gelandet war. Obwohl er damals noch viel zu klein dafür gewesen ist, war es ein Geschenk seiner Großmutter an ihn gewesen. Das besondere daran war, dass es sich um eine so genannte ‚Dämonenwaffe’ handelte. Also eine Waffe die eigentlich nur von Dämonenverbundenen benutzt werden konnte. Sie war das einzige im Familienbesitz, das Eagle nicht an sich reißen konnte, da dieser kein Magier war. Da hatte Carsten endlich mal nicht den Kürzeren gezogen. Dass Sakura nun den Stab in ihrem Besitz hatte, war eine größere Bedrohung für Damon, als diese mysteriöse Gestalt, hinter der die Dämonenbesitzer nun her waren. „Willst du etwa die schöne Glitzerkugel auf dem Stab haben? Typisch Krähen! Klauen alles was glitzert und funkelt. Stimmt’s ‚Crow’?“, alberte sie. Öznur warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Crow?“ Carsten seufzte. „Mein Zweitname…“ Laura, die sich in der Zeit wieder aufgerappelt hatte, überlegte laut. „Ich dachte, Elstern seien die Diebe…“ Carsten stöhnte auf. „Kann ich jetzt endlich meinen Stab wiederhaben?“ „Nö!“ „Sag mal…“ Carsten ging auf seine kleine Schwester zu und wollte sie packen, doch die rannte einfach vor ihm weg. Wenn ich ihr jetzt hinterherlaufe, blamiere ich mich bis auf die Socken… Verdammtes Kind! Magie konnte er auch nicht anwenden, denn die einzigen Sprüche, die ihm eben einfielen, würden Sakura töten. Und so genervt er auch von ihr war: Dafür standen viel zu viele Zeugen um ihn herum. Und er war lange genug im Gefängnis gewesen… Carsten stöhnte auf. „Sakura!“ Schließlich gab er sich dann doch geschlagen und warf Benni einen hilfesuchenden Blick zu. Wenn die Hormone dieses Mädchens durch die Pubertät schon verrückt spielten, konnte man das doch zumindest auch zu seinem Vorteil nutzen. Dessen war sich auch Benni bewusst. Und der kurze Moment, in welchem er Carstens Blick erwiderte, bezeugte dass er alles andere als begeistert davon war. Seufzend ging in die Hocke. „Sakura?“ „Jaaaaaa???“ Sakura war sofort bei Benni. „Kann ich den Stab haben?“, fragte er trocken und machte sich noch nicht einmal die Mühe, seine Stimme zumindest etwas sanfter klingen zu lassen. „Sicher!“ Voller Begeisterung drückte sie ihm den Stab in die Hand. Wortlos richtete sich Benni wieder auf und reichte ihn an Carsten weiter. Sakura beschwerte sich noch nicht einmal. Zumindest hatten die Mädchen wieder was zu lachen… Da kam Saya an. „Wenn ihr wollt, könnt ihr alle noch zum Essen bleiben. Der Häuptling würde sich sehr freuen, euch Dämonenbesitzer kennen zu lernen.“ „Au ja! Ich bin am verhungern!“, rief Ariane begeistert und folgte Saya gemeinsam mit Anne, Susanne, Lissi und Janine zurück zum Haus. „Hey, Grauer Adler-Typ“, sprach Öznur Eagle an. „Was?“, fragte dieser, schon längst wieder auf beiden Beinen stehend. „Hilfst du uns nun, oder nicht?“ Eagle seufzte. „Muss ich wohl.“ Mit diesen Worten ging auch er zurück. „Er ist irgendwie komisch…“, überlegte Öznur, nachdem Carstens Bruder außer Hörweite war. „Nicht nur irgendwie. Der ist ein richtiger Vorzeigeidiot.“, meinte Laura verärgert. Öznur zuckte mit den Schultern. „So schlimm ist er jetzt auch nun wieder nicht. Aber kann es sein, dass er dich mag?“ Trotzig verschränkte Laura die Arme vor der Brust und warf Benni einen flüchtigen Seitenblick zu, aber eindeutig zu ihrem Ärgernis hatte dieser wie immer sein Pokerface. „Kann sein, aber ich will mit dem Depp nichts zu tun haben. Es ist schon bescheuert genug, dass er uns helfen muss.“ Wieder zuckte Öznur mit den Schultern und sie und Laura gingen auch zurück zum Haus, darüber diskutierend, wie schrecklich Eagle jetzt eigentlich war. Ebenso machten sich Carsten und Benni auf den Weg, nachdem sich dieser wieder seinen Kapuzenpullover übergezogen und den Mantel vom Rasen genommen hatte. „Was sollte das vorhin?“, fragte Benni Carsten mit seinem kalten, Angst einjagenden Unterton, den er so gut draufhatte. „Was?“ Das hätte sich Carsten sparen können, er wusste was Benni meinte. Entsprechend wartete Benni bloß schweigend. Schließlich antwortete Carsten: „Die Mädchen haben ein Recht darauf, zu wissen, was mit dir los ist. Immerhin sollen wir eine Gemeinschaft sein, die sich gegenseitig vertrauen kann.“ Bennis Ton war zwar immer noch ruhig, aber Carsten hatte schon so viel Übung darin, seine Gefühle zu erkennen, dass er den Ärger in seiner Stimme hören konnte. „Kann ich dir dann vertrauen?“ „Ich hab nicht vor, ihnen alle deine Geheimnisse zu erzählen! Aber einiges müssen sie schon wissen!“, verteidigte sich Carsten, da Bennis Kommentar ein offensichtlicher Angriff gegen ihn war. Nun war Bennis Stimme wieder vollkommen beherrscht. „Es gibt nichts, was sie wissen müssen.“ Seufzend lies Carsten das Thema stehen. Es hatte sowieso keinen Sinn, Benni irgendetwas klar machen zu wollen. Er war so stur wie eh und je.   Eine Weile später saßen alle an einer riesigen, hufeisenförmigen Tafel im großen Esssaal von Carstens Familie. In der Mitte saß Chief, Carstens Vater. Rechts von ihm Eagle und links Saya. Neben Saya saß Sakura und Carsten hatte natürlich das Pech, genau neben Eagle zu landen. Neben Carsten waren Benni, dann Laura, Ariane und Janine. Auf der anderen Seite Lissi, Susanne, Öznur und Anne. Schließlich erhob sich Chief. „Ich bin hoch erfreut, heute euch sieben junge Dämonenbesitzerinnen empfangen zu dürfen. Ich habe euch nicht grundlos eingeladen. Es ist mir wichtig euch zu versichern, dass ihr immer auf die Unterstützung Indigos zählen könnt. Solltet ihr Zuflucht brauchen, gewähren wir euch Schutz. Solltet ihr kämpfen, stehen wir mit Indigos Kriegern an eurer Seite. Unsere Region hat sich sehr lange von dem Rest Damons abgeschottet und euresgleichen hat darunter am meisten gelitten. Der heutige Tag soll eine Kehrtwende einleiten. Niemals mehr soll sich Vergangenes wiederholen. Seht dies nicht einfach nur als eine Ansammlung von Worten, sondern als ein Versprechen von mir an euch, im Namen ganz Indigos.“ Chief setzte sich wieder und hinterließ die Mädchen in einem unbehaglichem Schweigen. Sollten sie klatschen? Oder irgendwie sonst reagieren? „Ähm… danke schön, Herr Häuptling.“, brachte Öznur etwas planlos hervor. Chief nickte ihr ruhig und professionell zu, während Eagle ihre Reaktionen amüsiert beobachtete. „Was meint er mit Vergangenem?“, fragte Laura Carsten leise an Benni vorbei. „Die Dämonenverfolgung vor zwölf Jahren.“, erklärte er gedämpft, „Indigo ist eine sehr naturverbundene Region und hatte die Dämonen schon immer angebetet. Doch da wir aufgrund unserer eigenen Vorgeschichte durch den magischen Krieg so abgeschottet vom Rest von Damon sind, kam den Dämonenbesitzern damals keine Hilfe von Indigo entgegen. Und die Direktoren hatten es ja erzählt, kaum jemand hatte die Konfrontation mit den Dämonenjägern überlebt.“ Laura schluckte schwer. „Dann wäre es echt schön, wenn diese zugesicherte Unterstützung nicht einfach nur die leeren Worte eines Politikers sind…“ Aufmunternd lächelte Carsten sie an. „Keine Sorge, das sind sie nicht. Vertrau mir.“ Tatsächlich entlockte er Laura damit ebenfalls ein Lächeln. Währenddessen wurde bereits das Essen gebracht und außerdem Wein und andere Getränke. Carsten bemerkte, wie eine Diskussion zwischen Lissi und einer Frau begann, weil sie nicht gerade begeistert von dem Orangensaft war und lieber dieses Glas Wein hätte. Doch Alkohol bekam man in ganz Damon eigentlich erst ab sechzehn. Auch Benni beobachtete schweigend die Diskussion, wobei er eher misstrauischen Blickes auf die Angestellte schaute. „Was ist?“, fragte Carsten neugierig. „Sie kommt mir bekannt vor…“, antwortete Benni auf Indigonisch, ohne wegzuschauen. Nun warf auch Carsten besagter Frau einen Blick zu. „Stimmt, mir auch. Aber ich glaube nicht, dass ich sie vor sechs Jahren hier schon gesehen habe. Sie muss neu sein.“ Seufzend wandte sich Carsten wieder ab. „Was soll’s, du machst dir zu viele Gedanken. Jetzt guck endlich woanders hin, Laura scheint darüber nicht gerade begeistert zu sein.“ Laura konnte Carsten bei dessen Flüsterton und der anderen Sprache nicht verstehen, aber ihr Blick wanderte hin und wieder verunsichert zu Benni, bis dieser sich schulterzuckend auch endlich abwandte. Kurz darauf stellte die Frau ihm einen dieser altertümlichen Kelche mit Wein hin, da er so was schon trinken durfte, obwohl Benni noch nie etwas mit Alkohol anzufangen wusste. „Eagle, jetzt hör doch endlich mal auf zu rauchen!“, beschwerte sich Carsten, als sich sein Bruder schon die X-te Zigarette anzündete. Und das, obwohl seine Stiefmutter Ärztin war! Eagle zuckte gleichgültig mit den Schultern und ignorierte Carsten. „Ich mein’s ernst, das ist ungesund und stört! Besonders beim Essen!“, schimpfte Carsten weiter. „Eigentlich müsstest gerade du damit aufhören, als zukünftiger Häuptling!“ Nun gab Eagle doch ein gereiztes Schnauben von sich und drückte die Zigarette auf Carstens Handrücken aus. Erschrocken schrie Carsten auf und rieb sich die leicht verbrannte Stelle. „Sag mir nicht, was ich tun soll.“, drohte Eagle ihm mit seiner tiefen Stimme verärgert. Verbissen kühlte Carsten die Verbrennung auf seiner Hand mit Magie und spürte ein unliebsames Gefühl von Frust und Verzweiflung in ihm hochkommen. Er wusste ja, dass sich nichts geändert hatte. Er hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass Eagle ihm nach sechs Jahren doch irgendwie freundschaftlich oder gar brüderlich zugetan wäre. … Aber irgendwie war unterschwellig doch diese Hoffnung da gewesen. Irgendwie hatte er dennoch diesen Wunsch gehabt, dass nun, nach sechs Jahren, endlich alles anders werden würde und er zu einem richtigen Mitglied dieser Familie werden könnte. Aber selbst wenn die Hoffnung zuletzt starb… Irgendwann starb sie. Während Carsten versuchte zumindest zu verhindern, dass sich aus Verzweiflung auch noch Tränen in seinen Augen sammelten - denn damit würde er seinem Bruder eine nur noch größere Angriffsfläche ermöglichen - zündete sich Eagle schon die nächste Zigarette an. Geraucht hatte er schon, bevor Carsten im FESJ war. Aber so viele nacheinander? Nein, so krass war er nicht. „Hoffentlich erstickst du an deinem Qualm.“, meinte Benni nüchtern. Eagle wollte schon zurückschlagen, doch da sprach Chief auch schon einen kurzen Toast aus. So wie es sich gehörte, erwiderten alle Anwesenden und tranken dann genau drei Schlucke aus ihrem Kelch. Carsten hielt das schon immer für einen komischen Brauch. Nur Benni zögerte, bevor er die Höflichkeitsregeln doch noch beachtete. Wie kann man nur so misstrauisch sein? Seufzend wandte sich Carsten seinem Essen zu. Nur wenige Minuten vergingen, bis Benni neben ihm plötzlich zu Husten begann. Er räusperte sich, doch dieser Versuch war wohl nicht erfolgreich, denn der Husten wurde immer schlimmer. Besorgt klopfte Carsten seinem besten Freund auf die Schulter. „Hast du dich verschluckt?“ Doch Benni schüttelte schwach den Kopf, während sein erstickter Husten bereits an einen von Lauras Anfällen erinnerte. Das Atmen schien ihm mit einem Mal auch ganz schwer zu fallen. „Benni?! Benni, was hast du?!?“, rief Laura panisch. Scheinbar unbewusst griff sie nach seiner Hand, die so weiß wie frisch gefallener Schnee schien. Verängstigt schaute Laura zu Carsten auf und strich mit dem Daumen über Bennis Handrücken. „Er ist eiskalt…“ Zähneknirschend betrachtete Carsten, wie sein bester Freund zitterte als wäre er zuvor in eisiges Wasser gefallen. Diese Reaktion war viel zu plötzlich und intensiv. Niemand wurde von der einen auf die andere Sekunde so schlimm krank. Die Ursache musste somit irgendeine andere sein. Automatisch fiel Carstens Blick auf Bennis Kelch. Mit einem Schlag war ihm alles klar. „Benni wurde vergiftet…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)