Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 1: Worte der Verzweiflung ---------------------------------   Worte der Verzweiflung       Ein gedämpftes Klopfen drang durch die Tür in das große Zimmer. „Junges Fräulein?“, fragte eine klare und trotzdem kräftige Stimme. Ohne überhaupt auf eine Antwort zu warten, trat die Besitzerin dieser Stimme ein. Schlaftrunken rieb sich Laura die Augen. „Guten Morgen, Rebecca.“ Rebecca seufzte. „Wie könnt Ihr nur immer so lange schlafen? Na los, aufstehen!“ Mit einem schwungvollen Wusch zog sie die schweren, dunkelroten Samtvorhänge zur Seite. Grelles, ungemütliches Licht fiel ins Zimmer und brannte sich in Lauras Augen. Stöhnend zog sie ein Kissen über ihr Gesicht. Das Licht blendete sie und aufstehen wollte sie auch nicht. „Na los.“, drängte Rebecca Laura und nahm ihr das Kissen weg. „Selbst am letzten Ferientag schlaft Ihr bis um zehn durch und fertig gepackt habt Ihr auch noch nicht. Um zwei müssen Sie bereits im Flieger sitzen, Hime-Sama. Oder wollt Ihr etwa zu Fuß gehen?“ „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du diese blöde Höflichkeitssprache bitte lassen sollst?“, grummelte Laura, während sie sich nun doch etwas im Bett aufrichtete, um sich zu strecken. „Und wie oft habe ich Euch erwidert, dass Ihr verehrter Vater mich hochkant rauswerfen würde, wenn er mitbekäme, wie ‚respektlos‘ ich seine verehrte Tochter behandele, die Prinzessin der Yami-Region und Erbin des Vorsitzes des Siebenerrates.“ Laura war sich nicht sicher, ob Rebecca mehr Sarkasmus in das Wort ‚respektlos‘ oder in ihren Titel gelegt hatte. Sie warf ihr einen mürrischen Blick zu, wissend, dass Rebecca genauso gut wie Laura selbst wusste, wie fehl am Platz sie sich in dieser erhabenen, adeligen Rolle fühlte. Und sich niemals zutrauen würde den Erwartungen ihrer Familie gerecht werden zu können. Rebecca erwiderte ihren Blick mit einem schwachen und doch liebevollen Lächeln. „Jetzt komm, steh auf.“  Seufzend mühte sich Laura aus ihrem Himmelbett mit den gleichen Samtvorhängen, die auch die Balkontür zierten. Ihr Körper fand diese Idee trotzdem nicht so prickelnd und machte ihr das mit einem leicht aufkommenden Schwindel klar. Mit einem Mix aus Grummeln und Gähnen streckte sich Laura erneut in alle erdenklichen Richtungen, während Rebecca ihre Dehnübungen amüsiert beobachtete. „Du bist definitiv kein Morgen-Mensch. Wie lange hast du gestern Abend denn noch gelesen?“ Laura warf einen Blick hinter sich auf das Bett, was eine nach wie vor viel zu kuschelige Ausstrahlung hatte, um dieser widerstehen zu können. An dessen Rand stapelten sich mehrere Bände einer Manga-Reihe, die Laura momentan las. „Es war halt spannend…“ Sie schaute auf. Erneut blendete sie das durch die Balkontür einfallende Licht, sodass Laura die Augen zusammenkniff und rüber ging, um einen Blick auf den Garten werfen zu können. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten und sie erkannte, dass die gesamte Landschaft aus frischem, weiß glitzerndem Schnee bestand. Die Kälte hatte das Wasser des Springbrunnens eingefroren, kleine Eiszapfen hingen an den Rändern der Mauer, deren schwungvolles Dach ebenso wie die angrenzenden Büsche mit einer weißen Puderschicht überzogen war. Laura seufzte. „Wie schön…“ „Das stimmt. Dieser Winter war bisher viel zu warm und trocken gewesen, noch nicht einmal eine weiße Weihnacht war uns vergönnt worden.“ „Der wievielte ist heute eigentlich?“, fragte sie Rebecca. Diese strich sich ihre kurzen dunkelbraunen Haare zurück und zupfte an ihrer Zofenschürze herum. „Der vierzehnte Januar. Das ist übrigens ein Sonntag und dein letzter Ferientag.“ Ruckartig drehte sich Laura um. „Schon?!“ Belustigt klopfte Rebecca ihr auf den Rücken. „Ja. Und jetzt ziehst du dich besser an. Deine neue Schuluniform ist letzte Woche bereits gekommen und liegt da hinten.“, meinte sie und verließ anschließend das Zimmer. „Oh, äh, danke Rebecca!“, rief Laura ihr hinterher und vernahm nur noch ein amüsiertes Kichern. Allmählich wachte auch Lauras Gehirn auf. Ab diesem Jahr ging sie auf die Coeur-Academy, einem Eliteinternat für Menschen mit einer speziellen Begabung für Magie oder Kampfkünste. Es gab nur sehr wenige Menschen mit dieser Art ‚Talent‘ und daher war die Coeur-Academy sowohl sozial als auch politisch und militärisch sehr angesehen und es war eine große Ehre dort aufgenommen zu werden. Bei dem Gedanken, dass Laura zur Elite gehören würde, lachte sie in sich hinein. Nicht weil sie stolz darauf war. Sondern eher, weil es ihr so unrealistisch vorkam zu den mächtigen Kämpfern zu gehören, die bei einer gewöhnlichen Kneipenschlägerei mit derselben Belustigung zuschauen würden, wie wenn ein Löwe zwei um einen Käse zankende Mäuse beobachtete.  Aber im Ernst: Wer hätte denn bitte schön Angst vor einem kleinen, schüchternen Mädchen? Viele. Zumindest Laura wurde von vielen so gut es geht gemieden. Sie wusste noch nicht einmal, wieso. Ja okay, sie war eine Prinzessin. Aber das spielte doch keine Rolle! Sie war ein Mensch, wie jeder andere auch! … Oder auch nicht. Sie war nun mal nicht ein Mensch, wie jeder andere auch. Und selbst unter den Kampfkünstlern war sie nicht normal. Oh nein, ganz und gar nicht. Eigentlich war es ein Geheimnis. Ein Geheimnis, in das nur ganz wenige eingeweiht waren. Ein Geheimnis, in das nur ganz wenige eingeweiht sein durften. Nur diejenigen, die ihr am nächsten standen und denen sie vertrauen konnte. Und dieses Geheimnis war schuld daran, dass es ihr so schwer fiel Anschluss zu finden. Dieses Geheimnis war die Ursache, warum sie so anders war. Warum sie eben nicht normal war. Das Geheimnis hieß der ‚Schwarze Löwe‘. Ein göttlicher Dämon, auch Herrscher der Finsternis genannt, der aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen ausgerechnet sie als seine Dämonenbesitzerin auserwählt hatte und ihr somit einen Teil seiner Kräfte gegeben hatte, um sich wie ein Parasit in ihren Körper einnisten zu können. Laura schnaubte spöttisch. Mancher würde das vielleicht sogar als große Ehre sehen aber Tatsache war, dass ihr der Schwarze Löwe fast zwölf Jahre lang nun schon mehr Ärger und Schmerz bereitet als dass er sich irgendwie als nützlich erwiesen hatte. Und dabei war diese ganze Geheimniskrämerei noch das geringste Übel. Sie ging in das Bad nebenan, welches sie ganz für sich alleine hatte, und stieg unter die Dusche. Das warme Wasser, das auf sie herabprasselte und über in kleinen Perlen an ihrem Körper hinunterlief, tat unglaublich gut. Es war wie als wäre es dazu in der Lage all die Sorgen wegzuwaschen, all die unliebsamen Gedanken der letzten Minuten. Es befreite ihren Körper von ihrem Schweiß des Albtraums, als würde es sie nicht nur von außen sondern auch in ihrem Inneren reinigen können. Entsprechend verbrachte Laura viel zu viel Zeit im Bad, und es kostete sie viel Überwindung, in die kalte Außenwelt zurückzukehren und ihre Schuluniform anzuziehen. Kritisch betrachtete sie sich in dem Silber umrahmten Spiegel in ihrem Zimmer. Sie sah eigentlich so aus wie immer. Ihre schokoladenbraunen Augen wirkten im Vergleich zu ihrem blassen Gesicht besonders dunkel. Beobachter würden sie mit der geraden, schmalen Nase, den geschwungenen Lippen und feinen Proportionen ihres Gesichts vermutlich am ehesten als ‚süß‘ beschreiben. Und sogar Laura selbst musste sich eingestehen, dass sie mit ihrem honigblonden bis rötlichen Haar, welches wie ein langer Schleier bis zu ihrer Taille fiel, eigentlich ganz hübsch aussah. Laura strich über die bordeauxrot glänzenden Nähte ihrer weißen, langärmligen Bluse, die für ihren zierlichen Körperbau wie maßgeschneidert schien. Schön figurbetont und weder zu lang, noch zu kurz. Auch der etwas kürzere, schwarze Faltenrock, unter dem sie eine schwarze, warmhaltende Strumpfhose trug, hatte genau ihre Größe. Nur die dunkelbraunen Lederschuhe drückten etwas. Laura knöpfte sich die silbernen Knöpfe ihrer Bluse zu, auf denen das Schulwappen abgebildet war, ein Zauberstab und ein Schwert die sich überkreuzten. Als nächstes zog sie sich das schwarze Samtjackett über, das zwar sehr schön, mit den wieder bordeauxroten Nähten war, aber leider auch sehr dünn und weshalb es nicht wirklich warmhielt. Deshalb war zum Überziehen noch ein brauner Mantel mitgeliefert worden. Die mal wieder bordeauxrote Schleife würde sich Laura am liebsten erst später umbinden, aber dann würde sie sie unter Garantie hier vergessen. Also beugte sie sich ihrem Schicksal. Nachdem sie nun endlich fertig war, ging sie in den Speisesaal. Inzwischen war es schon Zeit zum Mittagessen. Wie sollte das nur in der Coeur-Academy werden? Hoffentlich würde ihre Zimmergenossin sie noch rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn wecken.  „Guten Morgen, mein Schatz. Oh, ist das die neue Schuluniform? Sie steht dir wundervoll, du siehst bezaubernd aus!“, begrüßte Lauras Mutter sie und musterte ihre Tochter begeistert. „Nur die Schleife… die sitzt nicht ganz richtig. Komm her meine Liebe, ich binde sie dir.“ Lauras Mutter Yuki war eine typische Bewohnerin der Yami Region. Sie sah für ihr Alter recht jung aus und hatte schwarze Haare und dunkle Augen, die einen starken Kontrast zu der Blässe ihrer Haut bildete, welche in Yami als fein und elegant galt. Und genau das war ihre Rolle, fein und elegant zu sein. Das Vorzeigebild einer guten Ehefrau, bei der alles perfekt aussah. „Ohayô, O-Kaa-sama.“, grüßte Laura zurück und leistete zwar wenig begeistert aber ohne Widerworte der Aufforderung ihrer Mutter folge und ließ sich von ihr erneut die Schleife binden. Es war ja nicht so, dass Laura selbst mindestens sechs Versuche damit verbracht hatte dafür zu sorgen, dass die Schleife möglichst hübsch fiel und die Enden auf gleicher Höhe waren. Aber scheinbar war es doch nicht gut genug gewesen. Mal wieder… „Guten Morgen ist wohl unpassend. Eher guten Tag. Du weißt schon, dass Du morgen um punkt sechs Uhr wach sein musst?“, fragte Lauras Vater, aber man erkannte sofort, dass es eine rhetorische Frage war. „Ja, O-Too-sama.“, antwortete Laura trotzdem. Lauras Vater war das Oberhaupt des Siebenerrats der Yami-Region und damit so etwas wie deren König. Er war groß, hatte dunkelblonde Haare und hatte ein sehr konservatives Weltbild. Das einzige was ihn interessierte, war die Politik und er machte sich ständig Sorgen darum, was wohl aus Yami wird, wenn Laura seinen Platz später mal einnehmen würde, die von Politik nicht den leisesten Schimmer hatte. Eigentlich hätte ja ihr zwölf Jahre älterer Bruder Luciano den Platz einnehmen sollen, doch an jenem schicksalhaften Tag vor elfeinhalb Jahren hatte er das Reich der Lebenden verlassen müssen... Genauso wie Lucia, ihre ältere Zwillingsschwester... Und an allem war dieses verfluchte Monster schuld, das angeblich die Welt von allen schlimmen Sündern befreit. Einfacher Unsinn, um die kleinen Kinder zu trösten, dachte Laura wütend. „Schatz, hast du keinen Hunger? Spaghetti magst du doch so gerne.“ Ihre Mutter musterte sie besorgt. Sie war immer sehr lieb und rücksichtsvoll mit ihr umgegangen. Besonders wegen dieser Krankheit, an der Laura eigentlich in jungen Jahren bereits hätte sterben müssen. Doch seit dem Tod von Lauras älteren Geschwistern litt sie unter Depressionen, welche sie aber vor Laura und dem Rest der Welt mit ihrer fröhlichen, perfekten Fassade zu verbergen versuchte. Doch ihrer Tochter konnte sie nur schwer etwas vormachen. Und der Tod der beiden war bald zwölf Jahre her... Laura ließ ihre Gabel sinken. „Deswegen...“, murmelte sie. „Was hast du gesagt, Schatz?“, fragte ihre Mutter mit dem gespielt fröhlichen Ton, welchen Laura längst durchschaut hatte. „Nichts, O-Kaa-sama.“, antwortete Laura. Sie wollte ihr nicht noch mehr Sorgen bereiten. „Entweder Du sagst was, oder Du bleibst still. Stell Dir vor, jemand aus dem Siebenerrat hätte Dich eben gefragt. Denke an den guten Ruf der Familie.“, predigte ihr Vater ihr. Laura seufzte. „Ja, O-Too-sama.” Genau. Das Ansehen der Familie war das zweitwichtigste für ihn. „Und jetzt setze Dich gerade hin und esse Deine Nudeln. In einer viertel Stunde musst Du los.“, drängte er sie. Laura gehorchte. Was blieb ihr auch anderes übrig? Egal, in einer viertel Stunde war sie die beiden endlich los. Nicht, dass sie ihre Eltern nicht mochte, aber hielt all das hier nicht mehr aus. All diese erdrückenden Erwartungen und eine Form der Einsamkeit, die selbst dann noch vorhanden war, wenn man sich eigentlich bereits in der Gesellschaft von Menschen befand. Sie wollte weg von hier. An einen neuen Ort, neue Menschen kennenlernen. Sie brauchte Abstand von alldem. Und diese neue Schule würde ihr das endlich ermöglichen. Laura schlang ihre Spaghetti regelrecht runter, unter den Protesten ihres Vaters, sie solle doch an ihre Tischmanieren denken. Nachdem sie ihren Koffer mit allen möglichen Habseligkeiten, Kleidungen und sonstigem Zeug zum Überleben geholt hatte, fuhr die ‚kleine Sonntagslimousine‘ vor. „Tschüss, O-Kaa-sama. Tschüss, O-Too-sama.“, verabschiedete sich Laura und umarmte ihre Eltern kurz. „Pass auf dich auf, Schatz.“, sagte ihre Mutter besorgt und ihr Vater fügte hinzu: „Also dann, lern schön, sei fleißig, denke an deine Manieren und mach uns stolz. Du weißt: Du übernimmst die Position Deines Bruders und repräsentierst Deine Familie.“ Bla, bla, bla, ... Laura kannte die ganze Moralpredigt ihres Vaters schon nahezu auswendig. Aber sie würde sich trotzdem bemühen. Nicht für den Ruf ihrer Familie, sondern für ihre Geschwister. Schnell stieg sie in die Limousine ein, wo Rebecca bereits auf sie wartete. Ihr Kindermädchen begleitete Laura seit sie denken konnte schon überall hin und war mehr eine große Schwester, mit der sie so gut wie über alles reden konnte. Daher war das Wissen nun ohne sie auskommen zu müssen umso schmerzhafter. Und ja, bei dieser Erkenntnis kroch ein unangenehm flaues Gefühl der Angst in Laura empor. Würde sie das wirklich alleine schaffen? Oder würde sie sogar in der neuen Schule wieder nur in der Rolle der Außenseiterin landen? Von allen gemieden, niemand der sich mit ihr abgeben wollte, weil sie eine so anstrengende, emotionale Person sein konnte. Vielleicht war ja sogar ihre Zimmergenossin genervt von ihr! „Ist alles okay?“, erkundigte sich Rebecca besorgt. Scheinbar war ihr die Teufelsspirale in Lauras Kopf nicht entgangen. „Ja, ja.“, erwiderte Laura bloß, wissend, dass Rebecca wusste, dass eben nicht alles okay war. Aber wann war bei ihr jemals ‚alles okay‘ gewesen? Schließlich seufzte Laura und startete doch ein Gespräch. „Ich habe wieder von Lucia und Luciano geträumt…“ Rebecca hob eine ihrer fein gezupften Augenbrauen. Da Laura jetzt wegging, hatte sie nun eine Art Pause und nutzte diese Gelegenheit, um ihre Familie in der Monde-Region zu besuchen. Deshalb hatte auch sie ihre Koffer im Kofferraum gelagert. „Schon wieder? Laura, so geht das nicht weiter. Die beiden sind seit fast zwölf Jahren tot. Ja, jeder braucht seine Zeit zum Trauern. Aber wenn es dich nach wie vor so sehr zu belasten scheint, dass du sogar Albträume bekommst… Meinst du nicht, dass es dann vielleicht doch besser wäre, sich Hilfe zu holen, um das aktiv zu verarbeiten?“, meinte sie besorgt. „Lucia war meine Zwillingsschwester, Rebecca. Überall wird Zwillingen doch eine Art magische Verbundenheit nachgesagt. Mit ihr hat der Schwarze Löwe auch einen Teil von mir getötet.“ Rebecca seufzte. „Laura, du bist du. Niemand kann dir das wegnehmen und du bist nicht weniger du selbst, weil die Person, mit der du gleichzeitig auf die Welt gekommen bist, nun nicht mehr an deiner Seite sein kann. Ich will nicht sagen, dass du aufhören sollst deine Schwester oder deinen großen Bruder zu vermissen. Aber ich habe den Eindruck, dass du viel zu sehr versuchst das Leben von drei Personen zu leben anstatt das von dem Menschen, der für dich am wichtigsten sein sollte. Es ist dein Leben. Nicht das von Lucia und genauso wenig das von Luciano.“ Seufzend wandte sich Laura ab und nickte bloß. Eine Zustimmung, die mehr der Höflichkeit als wahrer Überzeugung diente. Da fiel ihr wieder die Sache mit den zwölf Jahren ein, welche sie schon beim Mittagessen bemerkt hatte. “Ich hatte übrigens auch von ihm geträumt.“ „Wem? Meinst du vielleicht diesen süßen Jungen, der immer auf dich aufgepasst hatte? Wie hieß der noch mal? Ben oder so.“ Rebecca grinste und die Verlegenheit jagte die Hitze in Lauras Wangen. „Fast, er heißt Benni. Und ich hab nicht von ihm geträumt!“, erwiderte sie mit hochrotem Gesicht, wurde bei dem Gedanken an Benni aber auch etwas traurig. Rebecca lachte. „Da scheint wohl jemand verliebt zu sein. Was ist eigentlich mit dem? Ich habe seit einem Jahr nichts mehr von ihm gehört. Lebt der überhaupt noch?“ Laura lächelte beschämt. „Glaub mir, so leicht lässt der sich nicht umbringen. Aber ich habe seit seinem Schulwechsel auch nichts mehr mitbekommen…“ Benni war ein Jahr und ungefähr vier Monate älter als Laura und war daher auch ein Jahr früher als sie von der Mittelschule abgegangen. Nach ihrem Abschluss gingen die meisten Schüler auf eine Oberschule oder in Lauras Fall auf die Coeur-Academy. Nur wenige aus den höheren Schulzweigen machten eine Ausbildung oder ähnliches. Was Benni nach seinem Abschluss gemacht hatte, wusste Laura nicht so genau. Leider war wenige Monate davor vom einen auf den anderen Tag der Kontakt abgebrochen… Rebecca seufzte: „Echt schade, dass ihr euch gestritten habt. Was war da eigentlich passiert?“ „Keine Ahnung.“, meinte Laura. Sie hatte schon öfter versucht sich an den Streit zu erinnern, hatte aber alles was damit zusammenhing komplett vergessen, wie als hätte jemand auf die Löschtaste gedrückt. Trauriger Weise. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie diesen Streit angefangen hatte und das machte es umso schlimmer. Wie würde sie Benni je wieder unter die Augen treten können? Falls sie ihn überhaupt jemals wieder zu Gesicht bekäme… „Aber, wenn du nicht von Benni geträumt hast, wen meinst du dann?“, kam Rebecca zurück zum eigentlichen Thema. Laura schluckte einen Kloß im Hals herunter. Ein schmerzhaft schweres Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. „Ich meinte den Schwarzen Löwen...“, antwortete sie schließlich. „Ach so...“ Mehr sagte Rebecca nicht dazu. Sie wusste ganz genau, dass es sich hierbei um einen wunden, nein, blutenden Punkt handelte. Laura fragte sich, warum sie überhaupt dieses Gespräch gestartet hatte. Schließlich wusste sie, dass dieses Thema immer in bedrücktem Schweigen endete. Aber irgendwie hatte sie doch das Bedürfnis, sich all das von der Seele zu reden. Sich jemandem anzuvertrauen, vor dem sie keine Geheimnisse haben musste. Der einfach nur zuhören und für sie da sein würde. Rebecca war eine wunderbare Gesprächspartnerin, keine Frage. Aber trotzdem hatte Laura nicht das Gefühl, wirklich verstanden zu werden. Aber wer würde schon verstehen wie es war, mit der gesamten Existenz an einen Dämon gebunden zu sein und das vor aller Welt geheim halten zu müssen? Wer könnte nachvollziehen wie fehl am Platz und anders sich Laura fühlte, als habe man sie auf dem falschen Planeten abgesetzt? Die Limousine hielt an und Laura und Rebecca stiegen aus. Der Chauffeur reichte den beiden jeweils ihr Gepäck und verabschiedete sich mit einer japanischen Verneigung. Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte Laura, während sie dem davonfahrenden Auto hinterherschaute, nun doch etwas wehmütig. Die Abenteuerlust war inzwischen gänzlich verflogen und machte der Angst vor dem Unbekannten die Bühne frei. Glücklicherweise waren die Hallen der beiden Flüge nebeneinander, sodass Laura noch nicht ganz alleine war und Rebecca ihr noch etwas versuchen konnte gut zuzureden. Aber leider hielt das Glück nicht lange an, denn Rebeccas Flug kam eine Stunde früher, als Lauras. „Viel Glück und Spaß. Und keine Sorge, alles wird gut. Glaub mir, du bist viel stärker als du dir jemals zutrauen würdest. Und ich bin der festen Überzeugung, dass du das früher oder später auch noch herausfinden wirst.“ Bedrückt lachte Laura auf. „So wie ich mich kenne klingt das eher nach ‚später‘.“ Auch Rebecca musste darauf hin schmunzeln und zog sie zum Abschied in eine Umarmung. „Du schaffst das.“ Ein schmerzhaftes Stechen quälte sich durch Lauras Herz, als sie von ihrem Kindermädchen ein letztes Mal fest an sich gedrückt wurde. Zitternd atmete sie aus, erwiderte die Umarmung und krallte ihre Finger in Rebeccas Pulli. „Danke für alles.“ „Hey, das ist kein Abschied für die Ewigkeit. Aber trotzdem: Immer gerne.“ Die nächste Stunde war für Laura sehr unangenehm und sie versuchte ihre Umgebung so gut wie möglich mit Musik und Mangas auszublenden. Sie fühlte sich beobachtete. Keine Ahnung ob das der Wahrheit entsprach oder nicht, doch irgendwie hatte sie immer den Eindruck angestarrt zu werden. Von irgendetwas oder jemandem. Waren es die Menschen im Flughafen, die eventuell die Uniform der Coeur-Academy an diesem zierlichen Mädchen erkannten? Waren es Agenten, die vielleicht aus Sicherheitsgründen die Prinzessin der Yami-Region beobachteten? Spione die ihr böses wollten? Oder war es irgendetwas Übernatürliches, allgegenwärtig, was sie bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug begleitete, seit bald zwölf Jahren schon? Endlich war das Flugzeug startbereit und immerhin hatte Laura in der ersten Klasse sogar einen ganzen Sitzbereich für sich, sodass sie gespannt die Landschaft beobachten konnte, während das Flugzeug sich in die Lüfte erhob. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)