Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 107: Kleine Helden -------------------------- Kleine Helden       Schwer atmend versuchte Laura irgendwie mit Ariane und Benni mitzuhalten. Sie waren einfach nur durch die Gänge gewandert, einige Etagen weiter nach unten, als Benni irgendwas zu hören schien. Soweit so gut, aber als er plötzlich ganz untypisch für seinen Charakter einen Fluch ausstieß und meinte sie müssten sich beeilen, hatte mit einem Schlag die Angst in Laura übernommen. Also war wirklich jemand in Gefahr. Bennis Verhalten nach zu urteilen sogar in großer Gefahr! „Moment… Desinfektionsmittel? Carsten?!“, fragte Ariane besorgt, die durch ihren verbesserten Geruchsinn wohl eine Fährte aufgenommen hatte. „Er scheint in Schwierigkeiten zu stecken.“, bestätigte Benni verbissen. „Was?!“, entfuhr es Laura geschockt. Keuchend folgte sie den beiden um die nächste Ecke. Ob ihr Herz wegen des Rennens oder wegen der Panik und Sorge so raste, konnte sie nicht sagen. Hoffentlich geht es ihm gut! Bitte, es muss ihm gut gehen!, flehte Laura lautlos, rannte so schnell sie konnte. Und doch war sie nicht schnell genug, bremste die anderen eher aus. Die nächste Ecke. Und noch eine. Benni wies auf die Tür am Ende des langen Ganges. „Dort hinten in der Trainingshalle.“ Ariane nickte nur und preschte vor. Sie war schneller als Benni und mit Abstand schneller als Laura. So hatte sie den Trainingsraum bereits erreicht, als die beiden noch nicht mal die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatten. Ariane stieß beide Türflügel auf. Eine weibliche Stimme hallte über ihre Köpfe hinweg, dunkle Rauchschwaden drangen nach außen. Laura erschauderte bei der bösartigen, bedrohlichen Atmosphäre. Was geht da vor sich?! Noch während diese Frage durch ihren Kopf schoss, hatte Ariane ihren Dolch gezogen und schleuderte ihn mit kraftvoller Präzision auf die Besitzerin dieser Stimme. Ein stechender Schmerzensschrei ließ Laura zusammenzucken. „Ihr verdammten-“, kreischte die Magierin und entfesselte einen Zauber. Inzwischen war auch Laura bei der Tür angekommen. Sie zog ihren Fächer und leitete Finsternis-Energie hinein, bevor sie die Flut an schwarzer Magie mit einem großen Schwung abfing. Dieses Mal genug, um auch alles absorbieren zu können. Benni nutzte den Schutz des Zaubers und griff aus der Deckung an. Die Frau gab einen keuchenden Laut von sich, als er seine Faust in ihren Solarplexus rammte und sie mit einem weiteren kraftvollen Schlag wegstieß. Erstmal weg, einfach nur weg von seinem besten Freund. Für einen Moment setzte den beiden Mädchen der Atem aus, während ihre Köpfe verarbeiten mussten, was ihre Augen zu sehen glaubten. Es wirkte wie ein okkultes Ritual mit den ganzen im Kreis angeordneten Kerzen und eigenartigen Runen auf dem Boden. Fast schon satanistisch, so wie Carsten da auf einer Art Steinaltar lag. Violette Magieblitze zuckten um seinen gesamten Körper und machten ihn vollkommen bewegungslos. Eilig rannten sie zu ihm, während Benni dafür sorgte, dass die Magierin ihnen nicht zu nahe kam. „Carsten, ist alles okay?!“, fragte Laura panisch und löste so schnell sie konnte diese unheimlichen Magiefesseln mit ihrer Finsternis-Energie. Dabei fiel ihr auf, dass auch eine über seinen Mund lief, als solle er so am Sprechen gehindert werden. Was gar nicht so unwahrscheinlich war, schließlich könnte er sonst auf Zaubersprüche zurückgreifen. Verbissen entfernte sie auch diese Fessel. „… Laura?“, fragte Carsten benommen, während sie und Ariane ihm halfen sich aufzusetzen. Besorgt betrachtete Laura ihren besten Freund. Er war kreidebleich und neben Schweiß und Tränen rannen auch Bluttropfen über sein Gesicht. Vermutlich von diesem schaurigen Ritual. Er wirkte noch ganz neben der Spur und wäre beim Aufstehen wohl zusammengebrochen, wenn sie ihn nicht sofort gestützt hätten. Laura biss sich auf die Unterlippe, schaute erst in Bennis Richtung und dann zu Ariane. „Bring ihn weg, wir kümmern uns um das hier.“ Nane nickte bloß und während sie Carsten half aus der Gefahrenzone zu kommen, rannte Laura zu Benni, welcher gerade einem weiteren Angriff auswich. „Das ist dieser gestaltwandelnde Schwarzmagier?“, vergewisserte er sich. „Ähm…“ Irritiert hielt Laura inne. War er das wirklich? Oder eher… sie? „Ich… ich hab sein wahres Gesicht noch nie gesehen.“ Aber doch. Diese violetten Augen… „Wie könnt ihr es wagen?! Wie könnt ihr wagen das Ritual zu unterbrechen?!“, schrie sie, die violette Aura loderte um ihren Körper als koche sie förmlich vor Wut. Grob riss die Magierin Arianes Dolch heraus, der ihre Hand durchbohrt hatte. Sie sprach einen Zauber, die Klinge färbte sich dunkelrot als sie ihn auf Laura und Benni schleuderte. Wie ein Pfeil schoss er auf sie zu, begleitet von einer schneidenden Druckwelle. Schnell schwang Laura ihren Fächer, als wolle sie den Angriff wie eine Kerze auspusten. Finsternis breitete sich wie ein Luftzug aus, verschlang die Energie des Dolches. Dieses Mal rannten sie und Benni gleichzeitig los, griffen die Magierin von beiden Seiten an. Dieses Mal war sie darauf vorbereitet. Eine finstere Barriere blockierte sie. Gerade so wich Laura zurück, um den plötzlich herausfahrenden Stacheln zu entkommen. Einer streifte sie knapp am Oberschenkel und dem Stechen in der rechten Seite nach zu urteilen, hatte sie noch einem nicht rechtzeitig ausweichen können. Laura biss sich auf die Unterlippe und versuchte das unangenehme Ziehen zu ignorieren. Stattdessen gewann einen Moment lang die Sorge um Carsten überhand. Laura schaute hinter sich, sah zum Teil, wie Carsten hinter einer Ecke an der Wand lehnte und Ariane ihn zu beruhigen versuchte. Als sie zu Boden geworfen wurde, bevor messerscharfe Federn die Luft zerschnitten, wo sich zuvor noch ihr Kopf befunden hatte. Erschrocken schnappte Laura nach Luft. „Du lässt dich immer noch zu leicht ablenken.“, kommentierte Benni lediglich, absorbierte einen weiteren Angriff und zog sie wieder auf die Beine. Weg von dieser Stelle, bevor sie beide von diesen Federn durchlöchert werden konnten. … Falls man einen Geist wirklich durchlöchern konnte. Aber Laura konnte sich gut vorstellen, dass Benni das gar nicht erst ausprobieren wollte. Noch einen Angriff blockte er selbst mit seiner Finsternis-Energie und streckte die Hand aus, um mit aus dem Boden schießenden Erdstacheln zu kontern. Doch die Schwarzmagierin wurde mit einem Schlag zu einem schwarz-weißen Vogel, versuchte über ihre Köpfe hinweg zu ihrem eigentlichen Ziel zu gelangen. „Hey!“, schrie Laura. Mit ihrem Fächer zerschnitt sie die Luft und sandte eine Finsternis-Front aus. Die Elster konnte nicht rechtzeitig ausweichen, verlor an Energie und Höhe. Genug, dass Benni sie mit einem Sprung und einem gezielten Schlag in die entgegengesetzte Richtung beförderte, dorthin zurück wo sie hergekommen war. Als der Vogel gegen die Wand prallte und zu Boden stürzte, nahm er wieder die Gestalt der Indigonerin an. Diese grinste, als habe sie gerade den Spaß ihres Lebens, und schnitt sich mit einer Klinge die wie eine Feder aussah in die Handfläche. Hinter sich spürte Laura Energie. Kurz darauf trafen weiße Eiskristalle auf schwarze Feuerkugeln. Ein explosionsartiger Rauch breitete sich aus, an dem sich Laura verschluckte. Irritiert versuchte sie sich in der gräulichen Wolke umzuschauen, doch ohne Erfolg. Ein Kichern ließ sie ruckartig umdrehen, doch da war nichts. Stattdessen kam die Stimme aus der anderen Richtung. „Ein netter Versuch, sich durch eingeschränkte Sicht einen Vorteil verschaffen zu wollen.“ Wieder eine andere Richtung. „Aber dieser Vorteil ist nicht für euch.“ Lauras Atem beschleunigte sich. Wo war sie?! In den Rauchschwaden meinte sie einen Schatten zu erkennen, die Statur schien jedoch nicht weiblich. Benni? Hastig rannte Laura zu ihm, während er sich zu ihr umdrehte. Als sie das violette Leuchten sah war es schon zu spät. Vor Schreck blieb Laura der Schrei in der Kehle stecken, sie glaubte die Federklinge bereits im Auge zu spüren. „Runter!“ Laura bekam gar nicht mit, wie sie diese Anweisung befolgte. Aber der alles durchdringende Schrei verriet ihr, das Richtige getan zu haben. Keuchend richtete sie sich wieder auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trotzdem gelangte ein Teil in den blutenden Kratzer an ihrer Schläfe, der unangenehm zu brennen begann. Und doch war sie deutlich besser davongekommen als ihre Gegnerin. Diese wich zurück, hielt sich wimmernd den Unterarm dessen Ende nur noch ein blutiger Stumpf war. Im Gegensatz zu Jack und Ariane, die im Nachhinein doch ziemlich freundlich waren als sie ihre Hände nur durchlöchert hatten, war Benni wohl weniger nachsichtig und hatte direkt die gesamte Hand mit einer Eisklinge abgeschlagen. Doch bevor Laura ein Schauder überkommen konnte, spürte sie eine Hand auf ihrem Rücken. Sie schaute zur Seite, der Blick den sie und Benni austauschten war nur kurz. Eine bessere Gelegenheit bekamen sie wohl nicht so schnell. Schwach nickte Laura und rannte auf die immer noch vor Schmerz schluchzende Magierin zu, die ihre Verkleidung nicht länger hatte aufrechterhalten können. Ein hysterisches Kreischen drang aus der Kehle der Indigonerin, als sie ihr Blut nutzte und es als schneidende rote Federn auf Laura feuerte. Laura wich zurück, einige Federn streiften ihre Oberarme und Beine, bevor sie es schaffte sich mit der Finsternis-Energie zu schützen. Benni nutzte den Moment der Ablenkung und startete einen Angriff, sodass sich die Aufmerksamkeit der Schwarzmagierin nun auf ihn richtete. Dunkelrote Vögel formten sich aus der leicht dickflüssigen Substanz und griffen ihn an, als sei er der bedrohlichere Gegner von ihnen beiden. War er ja auch. Und genau deshalb war es am Ende Laura, die ihre in Finsternis gehüllte Handfläche in die ungeschützte Seite schlug. Die Schwarzmagierin schrie lautlos auf, als ihr die Kraft mit einem Schlag entwich und sie bewusstlos zu Boden fiel. Schwer atmend hielt sich Laura die schmerzende Seite. Sie taumelte etwas zurück, benommen von der Erschöpfung und dem ganzen roten Blut, was sich vor ihren Augen ausbreitete. Doch bevor sie in die Knie sackte, spürte sie einen stützenden Griff. „Geht’s?“, fragte Benni. Bei seiner sanften Stimme vergaß Laura glatt wieder, dass es sein Angriff war, der dafür sorgte, dass diese Indigonerin gerade eigentlich zu verbluten drohte. Immer noch wie betäubt nickte sie, ihr gesamter Körper zitterte als wäre die Kälte jener Tiefkühlkammer nach wie vor in ihren Knochen. Benni schenkte dieser Antwort wenig Beachtung und entfernte ihre Hand vorsichtig von der schmerzenden Stelle. „Tief ist die Wunde nicht, aber Carsten oder Susanne sollten sie sich trotzdem mal anschauen.“ Ihr Nicken war mehr automatisiert, als dass sie diesen Rat tatsächlich als solchen wahrgenommen hätte. Benommen betrachtete Laura das Blut auf ihrer Handfläche, immer noch schien sich ihre Umgebung etwas zu drehen. Wie Benni nach den restlichen Kratzern schaute, bekam sie kaum mit. Erst, als er vorsichtig etwas Blut von ihrer Schläfe wischte, ohne die Wunde selbst zu berühren, blickte sie auf. „Ist wirklich alles in Ordnung?“, vergewisserte er sich erneut. Für einen kurzen Moment blieb Laura der Atem weg, als sie den besorgten Blick im schwarzen und roten Auge bemerkte, sodass ihr schon wieder die Tränen kamen. Hastig nickte sie und wandte sich ab, absolut überfordert von dieser Gefühlsflut. „J-ja, ja, alles okay.“ Bedrückt biss sich Laura auf die Unterlippe, als sie sah wie die Blutlache unter dem Körper der jungen Indigonerin immer größer wurde. „I-ich- ich weiß, sie ist unser Feind aber… wir können sie doch nicht einfach sterben lassen…“ Benni warf einen Blick in Richtung jener Ecke, wo Ariane und Carsten sich gedämpft unterhielten. „Sie schuldet uns ohnehin einige Antworten.“ Laura wollte ihn schon erschrocken fragen, was er vorhatte, als er sich neben den bewusstlosen Körper der Gestaltwandlerin kniete und ihren demolierten Arm hob. Sie erwartete automatisch, dass er die Blutung mit Feuer-Energie stoppen würde. Alleine bei der Vorstellung des Gestankes musste sie bereits würgen. Schaudernd wandte sich Laura ab und hielt sich die Nase zu, doch es war Pflanzen-Energie, welche sie letztlich spürte. Als sie zögernd einen Blick über die Schulter wagte, kam Benni schon zu ihr rüber und schob sie in Richtung Ariane und Carsten. Bei den beiden angekommen, kniete sie sich neben ihren besten Freund und berührte vorsichtig seine Schulter. „Wie geht’s dir?“ „Wie hast du… Ist sie…“, setzte Carsten benommen an, ein Hauch Sorge lag in seiner Stimme. Bedrückt lächelte Laura. Und dabei sollte er doch gerade viel mehr an sich selbst denken als ausgerechnet an die Frau, die ihn für irgendein zwielichtiges Ritual missbrauchen wollte. „Sie ist nicht tot.“, antwortete sie nur. Verwirrt wandte sich Carsten ihr zu. „Aber wie konntest du… Das… das war schwarze Magie, wie… Ganz alleine?“ „Ähm nein, ich-“ Laura stockte. Irritiert schaute sie zu Benni, der zwischen ihr und Ariane kniete und bisher noch kein Wort gesagt hatte. Sein Blick verriet, dass er denselben Gedanken hatte. Irgendetwas stimmte nicht. Benni war bei ihnen! Er saß seinem besten Freund direkt gegenüber und Carsten reagierte nicht darauf?! All die Zeit hatte er so sehr darunter gelitten, hatte fast nichts gegessen deswegen! Und nun, jetzt, da Benni endlich wieder da war… Was… „… Carsten?“, fragte Laura zitternd. Eine eisige Kälte breitete sich in ihr aus, als sie realisierte, dass seine Pupillen irgendwie blasser wirkten als sonst. „W-was… was war das für ein Zauber?“ Carsten senkte den Blick, antwortete nicht. Was Lauras Panik umso größer werden ließ. Hatten sie es etwa doch nicht rechtzeitig geschafft?!? „Das war wohl irgendein komisches Ritual, um besondere Kräfte freizusetzen.“, erklärte stattdessen Ariane, blinzelte, als müsse sie gegen Tränen ankämpfen. „Ich bin mir ziemlich sicher, es unterbrochen zu haben, aber…“ Lauras Herzschlag setzte aus. „… Aber?“ Dieses Mal schaffte es Carsten, von sich aus zu antworten. Seine Stimme war schwach, als er meinte: „Ich sehe kaum was…“ „W-was?!“ Was hatte er da gesagt?! Er…  „Ich… ich sehe alles nur verschwommen und… und irgendwie… es ist schwer zu beschreiben…“ Carsten senkte den Blick, schaute auf seine zitternden Hände. Falls er sie überhaupt betrachten konnte… Tränen kamen in Laura hoch. Hatten sie ihm doch nicht rechtzeitig genug helfen können? Oder hatten sie vielleicht alles nur noch schlimmer gemacht?! „Aber wieso?!“, fragte sie schluchzend. „Wir- Es könnte ja auch nur ein vorübergehender Effekt sein.“, warf Ariane ein, als suche sie nach einer Erklärung. Einer besseren. Eine, die ihnen irgendwie noch Hoffnung versprach. „Vielleicht hast du etwas Blut in die Augen bekommen und die sind jetzt total gereizt. Oder dieses unheimliche Licht hat dich geblendet, wie wenn man etwas zu lange in die Sonne geschaut hat. Wir sollten auf jeden Fall Susi finden und sie bitten, das mal genauer zu untersuchen. Selbst wenn diese eigenartigen Kräfte irgendeinen Preis fordern, das Ritual war definitiv noch nicht fertig. Konnte Mars den Bann nicht unter anderem aus dem Grund brechen, da Leonhard es damals nicht geschafft hatte, den Zauber zu Ende zu bringen? Sollte es bei dir so ähnlich sein heißt das auch, dass es für dich ebenso ein Schlupfloch geben muss.“ Bei Arianes Wortschwall konnte sich Laura trotz der Tränen ein schwaches Lächeln nicht verkneifen und selbst Carstens Panik schien etwas nachzulassen. Optimistisch sein war eine Sache. Aber wie zum Teufel schaffte sie es das auch noch mit logischen Argumenten zu verbinden?! „Wir sollten uns auf jeden Fall auf die Suche nach den anderen machen.“, ergänzte Ariane. „Findest du nicht auch, Benni?“  „… Benni?“ Überrascht blickte Carsten auf. Obwohl er seine Umgebung nur schwach erkennen konnte, traten ihm Tränen in die Augen als könne er doch irgendwie sehen, dass sein bester Freund ihm gegenüber kniete. Dieser richtete sich auf und hielt ihm die Hand entgegen. „Kannst du aufstehen?“ Laura hätte fast losgeweint, während sie beobachtete, wie Carsten einfach nur zu ihm hochschaute. Nicht in der Lage zu glauben, dass er tatsächlich da war. Fast schon, als hätte er Angst. Als befürchtete er doch nur ins Leere zu greifen, sobald er die Hand berühren würde. Die ersten Tränen rannen über seine Wangen, sein Körper zitterte, wirkte so schwach. So, als würde er niemals aus eigener Kraft aufstehen können. Als wäre es schon eine Zumutung, den Arm überhaupt auszustrecken. Doch schließlich ergriff er Bennis Hand und ließ sich aufhelfen. Ehe sich Benni versah, hatte Carsten auch schon schluchzend die Arme um ihn geschlossen. Und endlich, endlich, zeigte er, wie viel Schmerz und Verzweiflung sich tatsächlich all die Zeit in sein Herz gefressen hatte. Endlich ließ er all das raus, was er vor ihnen allen und sich selbst versucht hatte zu verbergen. Mit einem traurigen Lächeln wischte sich Laura über die Wangen. Sie beobachtete, wie Benni nach einem Zögern die Umarmung erwiderte, während Carstens herzzerreißendes Schluchzen wie ein Stechen durch ihre Brust fuhr. Sie hatte es schon immer gehasst, ihn weinen zu sehen. Laura wusste nicht wieso, doch gerade, wenn Carsten in Tränen ausbrach, tat ihr das immer besonders weh. Selbst noch am ganzen Körper zitternd, konnte Laura nur dank Arianes Hilfe aufstehen. Die beiden Mädchen tauschten ein bedrücktes und doch erleichtertes Lächeln aus. Auch, wenn sie sich eigentlich beeilen sollten, diese Zeit brauchten sie. Diese Zeit brauchte Carsten.   ~*~   Mit gesenktem Blick ging Janine die letzten Stufen der Treppe hoch und folgte gemeinsam mit dem Rest Jack, welcher sie in den nächsten Gang führte. Die Stimmung war gedrückt, niemandem war zum Reden zumute. Obwohl Jack den Geheimgang direkt wieder verschlossen hatte, trugen sie die Geschehnisse dieses Ortes alle noch in ihren Herzen. Tatjana versuchte sich so gut wie möglich zusammenzureißen. Sollte es zu einem Kampf kommen, waren Tränen in den Augen eher von Nachteil, um gut zielen zu können. Und doch litt sie unter diesem Verlust. Kein Wunder, schließlich hatte sie mehrere Jahre Seite an Seite mit Amarth gekämpft. So etwas schweißte zusammen. Auch wenn man sich dessen bewusst war, wie instabil solche Freundschaften waren. Wie schnell der Tod einen solchen Freund entreißen konnte… Susanne hatte sich inzwischen zwar etwas beruhigen können, war aber immer noch leise am Schluchzen, während sie sich beim Laufen gegen Lissi lehnte, die tröstend einen Arm um ihre Schultern gelegt hatte. Anne war bisher leider nicht aufgewacht, weshalb sie immer noch von Jack getragen werden musste. Wehmütig betrachtete Janine ihn, seinen Rücken, den schlanken und doch athletischen Körper, während sie sich schmerzhaft daran erinnerte, wie viele Narben sich unter diesem schwarzen T-Shirt befanden. Und wie viele in seinem Herzen… Und dennoch hatte er ein so schönes Lachen. Oder gerade deswegen? Plötzlich schossen ihr Lissis Worte von vorhin durch den Kopf und ohne es zu wollen fiel Janines Blick auf seinen Hintern, der in der schwarzen Jeans ziemlich gut aussah. Also… nicht nur ziemlich… Mit glühenden Wangen schaute sie schnell zurück auf den Boden. „Er ist echt süß. Seid ihr zusammen?“, fragte Tatjana gedämpft und ließ sich etwas zu Janine zurückfallen. Sie schüttelte den Kopf. Das Glühen wurde stärker. Tatjana kicherte. „Ah, dann steht ihr noch in den Startlöchern?“ Verlegen spielte Janine mit einer ihrer Strähnen und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Konnte man das wirklich so sagen? Na ja, als Wiedergutmachung hatte er sich ja gewünscht, mit ihr auszugehen. Und das obwohl sie… Tatjana lachte schwach auf und schob sich eine ihrer kurzen blau gefärbten Strähnen hinters Ohr. „Entschuldige, das sollte kein Verhör werden. Ich… ich habe einfach etwas Zerstreuung gesucht.“ „Ist schon in Ordnung…“ Weiterhin wich Janine ihrem Blick aus. Sie wurde den Gedanken nicht los, dass sich Tatjana mit diesen Fragen nicht nur von ihrer Trauer ablenken wollte. Es war eher… Zögernd schaute Janine wieder auf, in ihre hellblauen Augen. Konnte das wirklich sein? War sie es tatsächlich? Aber laut Schwester Vitoria sind doch alle ihre Familienmitglieder hingerichtet worden, also wie… Bevor sie um die nächste Ecke gingen rief Jack plötzlich: „Hey Mettigelchen, bitte nicht töten, wir sind’s nur.“ Das genervte Stöhnen war nicht zu verkennen. „Ich sollte dich genau deswegen töten.“ Alleine dieser Kommentar sorgte dafür, dass sich die Stimmung aufheiterte. Also ging es Eagle gut! Janine beschleunigte ihren Schritt, erleichtert und voller Erwartung, wer sich sonst noch bei ihm befand. Doch dieses Hochgefühl hielt nur so lange an, bis sie um die Ecke kamen und realisierten, dass er Öznur auf dem Arm trug. Sie schien zwar wach zu sein, aber so wie sie mit halb geschlossenen Augenlidern den Kopf gegen seine Schulter gelehnt hatte… „Was ist passiert?!“, entfuhr es Susanne besorgt. Hastig gingen sie auf die beiden zu. Bei ihnen waren auch Jannik, Konrad und Florian, sowie andere Leute, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Sogar ein Vampir und ein Zombie waren dabei, die beide zwar nicht tot, aber auch nicht bei Bewusstsein schienen. Und Ria, die mit einem Blick auf Anne erwiderte: „Dasselbe könnten wir euch fragen.“ Bedrückt atmete Tatjana aus. „Nachtmare…“ „Was?!“, entfuhr es Konrad geschockt. Wieder musste Tatjana gegen ihre Gefühle ankämpfen. „Sie ist außer Gefahr, keine Sorge. Amarth hat…“ „Verstehe…“ Ria seufzte, zwang sich zur Ruhe. Im Gegensatz zu Tatjana, die dabei eindeutig alle Mühe hatte, bis sie von ihrer Freundin in den Arm genommen wurde. Mit einem immer noch unwohlen Gefühl wandte Janine den Blick ab, als Tatjana die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Zerknirscht schüttelte Florian den Kopf. „Das sind erdenklich schlechte Bedingungen, um Mars gegenüberzutreten.“ „Das musst du uns nicht auch noch unter die Nase reiben.“, erwiderte Eagle bissig. „Beruhigt euch.“, schritt Konrad schlichtend dazwischen, bevor es in einem Streit ausarten konnte. „Wir sollten uns erst einmal auf die Suche nach den anderen machen.“ Eagle schnaubte. „Besonders nach Carsten, bevor dieser Schwarzmagier ihn zuerst findet.“ „Keine Sorge, darum hat sich Karma schon gekümmert.“, warf Jack ein. Irritiert schaute der Rest ihn an. Kritisch, aber auch hoffnungsvoll. „Wie meinst du das?“ Eagles Frage ignorierend warf Jack einen Blick auf die unbekannten Begleiter, während er Anne auf dem Boden absetzte. „Ihr gehört zu den Stimmen, kann das sein? Krass, ich kann euch durch die Erde überhaupt nicht wahrnehmen.“ „Weil wir Geister sind.“, antwortete eine der unbekannten Personen. Jack hob eine Augenbraue. „Oh cool. Gibt es irgendeinen Eid, den ihr nicht eingehalten habt?“ Verwirrt betrachtete Janine die anderen aus ihrer Gruppe, die bei seinem Kommentar loslachen mussten. „Ein Eid?“ „Herr der Ringe.“, erklärte Jannik gedämpft aber immer noch leicht belustigt. „Ach so!“ Als Janine sich an das Schattenheer erinnerte, musste auch sie auflachen. Zum Glück hatten sie einige Filmeabende in der Coeur-Academy gehabt, ansonsten hätte sie nie etwas von den Existenzen einiger Meisterwerke erfahren. „Und du bist der Junge, der vor kurzem noch dem Purpurnen Phönix jeden Wunsch von den Lippen gelesen hat.“, stellte eine Indigonerin fest, deren Körper wie bei den anderen Geistern leicht durchscheinend wirkte. Und die Janine seltsam bekannt vorkam. „So mehr oder weniger.“ Schulterzuckend richtete sich Jack wieder auf, hielt aber genauso inne als er sie schließlich erkannte. „Shit, ihr seht euch echt ähnlich.“ „Oh wie süß, du hast tatsächlich noch einmal deine Mama treffen können, Eagle-Beagle!“, rief Lissi begeistert aus. Doch statt darauf zu reagieren kam Eagles Mutter zu ihnen rüber, genauer zu Jack. Janine schauderte bei ihrem ernsten Blick. „Du warst es, nicht wahr? Du warst es, der…“ Die Atmosphäre, die sich zwischen den beiden bildete, war unheimlich, unangenehm. Der Ausdruck in Jacks Augen war schwer zu deuten. Er schien nicht teilnahmslos, aber auch nicht geplagt von Gewissensbissen. Er wirkte irgendwie stark und standhaft und zeigte doch auch Mitgefühl. Verstand, warum sich Sisikas Augen mit Tränen füllten und weshalb der Zorn in ihr hochkochte, als er ihre Frage mit einem Nicken beantwortete. Bei dem schallenden Geräusch zuckte Janine unverzüglich zusammen. Jack selbst reagierte überhaupt nicht auf die Ohrfeige. Eine ungemütliche Stille breitete sich aus, niemand wusste wirklich, wie er sich verhalten sollte. Janine senkte den Blick, hoffte einfach nur, dass es bald vorbei wäre, dass irgendjemand dieses Schweigen brechen würde. Bis es schließlich Sisika selbst war, die mit gezwungen ruhiger Stimme sagte: „Ich werde dich nicht fragen, warum. Es interessiert mich nicht. Nichts rechtfertigt eine solche Tat. Ich hoffe nur, dass du dir inzwischen zumindest dessen bewusst bist.“ Nervös spielte Janine an einer Haarsträhne, fühlte sich immer unwohler in ihrer Haut. Natürlich verstand sie Sisikas Worte. Und auch wenn Jack darauf nichts erwiderte, seit ihrem Gespräch im Krankenhaus, seit sie wusste wie tief Schuldgefühle in seinem Herzen verankert sein konnten, wusste Janine, dass auch er sie verstand. Aber dennoch… sie wurde den Gedanken nicht los, dass man diese Worte auch genauso gut gegen Chief richten könnte. Nichts, noch nicht einmal der Schmerz des Verlustes seiner Frau konnte rechtfertigen, warum er seinem Sohn so etwas angetan hatte. Selbst das konnte es nicht wiedergutmachen, dass Carsten all die Zeit schon stumm unter den Folgen dieser Anstalt gelitten hatte. Mit diesem Wissen fiel es Janine leicht, Jacks Taten zumindest nachvollziehen zu können. Besonders seit sie wusste, was er selbst dort hatte ertragen müssen. Dass seine Aussage vor zehn Jahren ausschlaggebend war, warum Carsten zumindest diese Erfahrungen nicht hatte machen müssen. Lissis angespanntem Blick nach zu urteilen dachte sie auch etwas in diese Richtung. Ärgerte sich über Sisikas Unwissenheit und die damit einhergehende Ungerechtigkeit. Doch bevor sie etwas sagen konnte, wandte sich Jack ab und kniete sich zu Susanne, die Anne stützte. „Wir sollten weiter.“ Sisika ballte die Hände zu Fäusten. „Willst du nicht zumindest etwas dazu sagen?!“ „Wieso? Es gibt Dinge, die nicht verziehen werden können.“ Jack hob Anne wieder hoch und deutete in die Richtung, in welche sie nun gehen würden. „Umso beeindruckender ist es, wenn manche Leute trotzdem diese Stärke besitzen.“ Während sie ihm folgten, verlor sich Janine in dem Gedanken wie traurig es eigentlich war, dass Sisika noch nicht einmal wusste wen Jack mit dieser Aussage gemeint hatte. „Denkst du nicht, sie sollte erfahren, warum du das gemacht hast?“, fragte Lissi ihn zerknirscht, aber leise. Er schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass er das nicht wollen würde.“ Wenig überzeugt schaute sie nach hinten. Janine tat es ihr gleich und konnte sehen, wie Sisika schweigend neben Eagle lief und eine Hand auf seiner Schulter liegen hatte. „Trotzdem ist es unfair.“, hörte sie Lissi sagen. Jack lachte schwach auf. „Wann ist jemals etwas fair?“ Bedrückt betrachtete Janine den Boden vor ihren Füßen. So schön es auch war, dass sie Carsten zuliebe Sisika in Unwissenheit lassen wollten… „… Ist das euer Ernst?“ Überrascht blieb Janine stehen und drehte sich um, als sie diese schwache Stimme hörte. Der Rest tat es ihr gleich, beobachtete, wie sich Öznur irgendwie aus Eagles Griff wandte und vorwurfsvoll fragte: „Nach allem was passiert ist, wollt ihr das wirklich einfach so unkommentiert stehen lassen?!“ „Özi…“, setzte Eagle an. Sie war noch viel zu wackelig auf den eigenen Beinen, dennoch taumelte sie abwehrend nach hinten, als er Anstalten machte sie zu stützen. „Nix da. Dass du nicht genug Eier in der Hose hast, um deiner Mutter zu sagen was Sache ist, hatte ich mir ja denken können.“ Verärgert wandte sie sich an den Rest. „Aber dass ihr kein Klartext redet…!“ „Was für Klartext?“, fragte Sisika verwirrt. Geräuschvoll atmete Jack aus. „Öznur, komm wieder runter. Du kennst Carsten, er-“ „Er frisst alles in sich rein und ist derjenige, der unter unserer Unwissenheit die ganze Zeit schon am meisten gelitten hatte!“, rief sie aufgebracht. „Es reicht! Ich kann diese ganze Geheimnistuerei nicht mehr sehen!“ Überrascht fragte sich Janine, woher Öznur plötzlich diese Energie hernahm. Denn sie war noch lange nicht fertig. Wutentbrannt wandte sie sich Sisika zu. „Weil dein Mann es nicht auf die Reihe gekriegt hat mit seinen Gefühlen umzugehen, musste Carsten darunter leiden! Er hatte ihn behandelt als würde er nicht existieren! Er hatte ihn auf eine Anstalt geschickt, wo die Leute Kinder wie Dreck behandeln! In der sie zur Strafe gefoltert werden!“ Jack biss die Zähne zusammen. „Öznur.“ Gefangen in ihrer Rage zeigte sie auf ihn. „Wirf einen Blick auf seinen Oberkörper! Und dann wollen wir mal sehen, ob es dich immer noch nicht interessiert, warum er das gemacht hat!“ „Öznur!“ „Es ist doch so!“, schrie sie. „Was habt ihr Schüler da nochmal gesagt?! Es gibt nur zwei Wege, um aus dieser Anstalt rauszukommen?! Entweder man endet als Verbrecher oder man bringt sich um?!“ Jack schien noch irgendetwas erwidern zu wollen, doch letztlich kam nichts über seine Lippen. Schwer atmend wandte sich Öznur wieder Sisika zu. Sie war nach wie vor noch viel zu erschöpft, aber dennoch schien sie sich mit dieser Ungerechtigkeit nicht zufriedengeben zu wollen. Eine Ungerechtigkeit, bei der ihr sogar die Tränen in den Augen standen. „Jack sagte eben es gibt Dinge, die nicht verziehen werden können. Weißt du jetzt, was er damit eigentlich gemeint hat?“ Entgeistert erwiderte Sisika ihren Blick, als könnte sie nicht verstehen, wovon Öznur da sprach. Oder vielleicht eher, als würde ihr Unterbewusstsein sich dagegen wehren es zu verstehen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Janine aus, nervös spielte sie an einer ihrer Strähnen. Das Schweigen was nun entstand war sogar noch unerträglicher als das zuvor. Und während sie Sisikas Gefühlskampf, den Unglauben und das gleichzeitige Entsetzen, nicht länger mit ansehen konnte, wurde ihr schmerzhaft bewusst, warum Jack nichts gesagt hatte. Warum er genau diese Situation hatte vermeiden wollen. War es das wirklich wert? Hatte sie wirklich erfahren müssen, was ihrem Sohn angetan worden ist? Nur der Gerechtigkeit wegen? Die Unterlippe von Carstens leiblicher Mutter begann zu beben. „Willst du mir etwa sagen, dass… Aber wie- wieso…?“ „Es ist meine Schuld.“, warf zur Überraschung aller plötzlich Eagle selbst ein. Was Sisikas Entsetzen nicht gerade minderte. „Ich… ich war ein Arschloch und wollte Carsten… Ich wollte ihn loswerden. Vater kann nichts dafür, er-“ „Nein Eagle. Auch wenn du ohne Zweifel ein Arsch warst, dein Vater war was Carsten betrifft ein genauso egoistischer Mistkerl.“, widersprach Öznur ihm fest und richtete erneut das Wort an Sisika. „Solltest du deinen Mann im Reich der Toten treffen frag ihn mal, ob er von den Gerüchten über die Anstalt gehört hatte, auf die er seinen Sohn geschickt hat. Und ob er sich bewusst ist, was für ein Trauma Carsten davon nun hat. Und dann hoffe ich, dass du ihm mindestens genauso eine Ohrfeige verpasst wie bei Jack vorhin.“ Sprachlos schaute der Rest sie an, während Öznur auf dem Absatz kehrt machte und an ihnen vorbeiging. Jannik fing sich als erster, fragte gedämpft ob es ihr gut ginge und sie schon alleine gehen könne. Etwas überfordert verharrte Janine noch eine Weile an ihrem Platz und wandte betreten den Blick ab, als sie sah wie Sisika die Tränen des Schocks nicht länger zurückhalten konnte. Eben noch hatte sie gedacht, wie ungerecht es war, dass Jack Sisikas Wut und Unwissenheit abbekommen hatte. Aber jetzt… Das ist nicht fair…   ~*~   Bedrückt beobachtete Laura, wie Carstens Schluchzen allmählich nachließ und er sich so langsam wieder beruhigte. Endlich hatten sie Benni wieder getroffen, endlich war er wieder bei ihnen! Und genau jetzt hatte irgendeine verrückte Schwarzmagierin dafür gesorgt, dass Carsten durch ein seltsames Ritual den Großteil seines Augenlichtes verloren hatte. Genau jetzt, bei ihrem Wiedersehen, war er nicht dazu in der Lage zu sehen. Das war so unfair! Laura biss sich auf die Unterlippe, versuchte ihre Tränen zurückzuhalten. Ariane merkte das und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. Mit einem schwachen Lächeln erwiderte Laura ihren Blick. Ehe sie erschrocken aufquietschte, als Ariane sie nach vorne zu Benni und Carsten schubste. Carsten lachte auf, als Laura gegen die beiden Jungs fiel. Und noch bevor sie Ariane verärgert anschauen konnte, spürte sie, wie er einen Arm um sie legte und Benni es ihm kurz darauf gleichtat. Nun musste auch Laura lachen. Eine angenehme Leichtigkeit breitete sich in ihrem Herzen aus, die Tränen kamen nun nicht mehr aus Frust sondern Freude. Sie kuschelte sich an die beiden, genoss einfach nur diesen Moment. Atmete tief ein, gönnte auch sich selbst eine Pause. Zumindest kurz, ehe sie einen verschmitzten Blick auf Carsten warf und sich etwas aus der Umarmung schälte, um auch noch Ariane dazu zu zerren. Die einen genauso erschrockenen Laut von sich gab wie Laura zuvor. Und auch sie musste schließlich lachen und packte Laura und Carsten mit dem für Ariane so typischen festen Griff. Benni schien leicht amüsiert. „Ich habe einiges verpasst, kann das sein?“ Das deutlich verlegene Lächeln und der schüchterne Blick, den Ariane und Carsten austauschten, brachte Laura zum Stutzen. „Ich glaube ich auch…“, murmelte sie, eher zu sich selbst. Eigentlich hatte sich nichts an der Art wie sie miteinander interagierten verändert und doch wirkten sie irgendwie vertrauter als sonst. … Na endlich! Bei dieser Erkenntnis wollte Laura am aller liebsten auf und ab hüpfen. Und auch Benni schien sich darüber zu freuen… Woran auch immer sie das bei ihm zu erkennen meinte. Irritiert blickte Laura auf, als sie Schritte im Gang bemerkte. „Wer…“ „Carsten?!“, hörten sie eine bekannte, tiefe Stimme rufen. Ariane klopfte Carsten grinsend auf die Schulter. „Jemand, der sich ziemlich viele Sorgen zu machen scheint.“ Wenig später betrat ein Haufen vertrauter und liebgewonnener Gesichter den Raum. Erleichtert lachte Laura auf, wurde kurz darauf auch schon von Lissis überschwänglicher Freude begrüßt. „Ein Glück, es geht euch gut.“, brachte Susanne erleichtert hervor und drückte sie ebenfalls an sich, genauso wie Janine. Froh und doch auch besorgt erwiderten sie auch Öznurs Umarmung, die extrem erschöpft wirkte und sogar von Jannik gestützt werden musste, während Eagle seinen kleinen Bruder in die Arme schloss. Was wohl ziemlich fest war, so wie sich Carsten dagegenzustemmen versuchte. „Eagle, du erdrückst mich…“, brachte er halb erwürgt hervor, was sie alle zum Lachen brachte. Besonders, da Eagle nicht gerade die Absicht zu haben schien seinen Griff zu lockern. „Was sollte das für eine geisteskranke Aktion?! Was hast du dir dabei gedacht?!“, rief er aufgebracht und Laura war sich ziemlich sicher, dass er alle Mühe hatte die Tränen zurückzuhalten. Mitfühlend beobachtete sie, wie Carstens eigentlich lustige Gegenwehr nachließ und er schließlich die Umarmung seines Bruders erwiderte. „Tut mir leid, ich…“ „Nichts ‚tut mir leid‘! Du hast uns bis in die hintersten Ecken dieses Schlosses verteilt! Wegen dir mussten einige ums nackte Überleben kämpfen! Und jetzt beschwerst du dich, dass ich dich erdrücke?!“ „Eagle, beruhige dich!“, rief Laura schockiert. Sie war sich ziemlich sicher, dass Eagle nur so reagierte, weil er sich unsagbare Sorgen gemacht hatte. Aber das hieß noch lange nicht, dass er Carsten deshalb so anschreien durfte! „Halt dich da raus!“ Erschrocken zuckte Laura bei seinem schroffen Ton zusammen, während Eagle diesen wieder gegen seinen kleinen Bruder richtete. „Weißt du eigentlich, was wegen dir alles fast passiert wäre?! Wer alles kurz davor war, diese Aktion von dir mit dem Leben bezahlen zu müssen?! Oder sogar mit dem Leben bezahlt hat?!?“ Auch Carsten wirkte leicht eingeschüchtert. „Ich… Ihr… Dieser Zauber… Sie hätte euch umgebracht! Ihr wärt gestorben!“ „Das wären andere auch wegen deinem scheiß Schwarzmagier-Teleport!“ „Ihr wärt gestorben!!!“, brachte Carsten schluchzend hervor. „Ihr alle!“ Betreten senkte Laura den Blick, spürte wieder dieses Stechen in ihrem Herzen als Carsten schon wieder in Tränen ausbrach. „Ich weiß, dass es leichtsinnig war!“, schrie er, die Stimme heiser von dem ganzen Weinen. „Aber… aber in dem Moment…“ Sie merkte, wie Eagle den Griff nun eher um ihn verstärken musste, weil Carsten ansonsten komplett zusammengebrochen wäre. Seine Kraft reichte nur noch für ein schwaches Schluchzen. „Es tut mir leid… Es tut mir so leid…“ Bedrückt atmete Laura durch und wandte sich ab, bevor auch sie selbst die Kontrolle über ihre Tränen verlor. Sie konnte das nicht noch länger mitansehen. Schon wieder krallte er sich mit zitternden Händen an jemandem fest. Schon wieder wurde es zu viel, schon wieder… Und dabei hatte er sie doch nur vor dem sicheren Tod bewahren wollen. Er versuchte doch nur, das Beste für sie alle zu tun. Und das für gewöhnlich sogar auf seine eigenen Kosten. Er litt doch schon genug! Wieso musste er dann auch noch vom großen Bruder deshalb angeschrien werden?! „Was ist denn passiert?“, erkundigte sich Ariane derweil gedämpft bei Jack, der Anne gegen die nächstliegende Wand lehnte. „Ich sagte euch ja, dass wir die Geheimgänge meiden sollten.“, antwortete er tonlos und warf einen Blick auf Benni, welcher wie Laura zu ihm gekommen war. „Könntest du?“ Benni nickte bloß und kniete sich dazu, um seine Hand auf Annes Schulter zu legen. Ein grünes Leuchten umgab ihre Körper und ein imaginärer Windzug fuhr ihnen durch die Haare, in dem kleine Sandkörner tanzten. Kaum war das Strahlen verblasst, verzog Anne mit einem Schmerzenslaut das Gesicht. Erleichtert atmeten sie auf und fast schon automatisch machte Jack Susi platz, die im Hintergrund verunsichert das Geschehen beobachtet hatte. „Was…“, setzte Anne schwach an, war aber nach wie vor zu kraftlos, um sich umzuschauen. „Wie geht es dir?“, fragte Susanne zögernd. Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie sich vorsichtig vor Anne kniete und eine Hand auf ihre Wange legte. „… Susanne? Wo…“ Behutsam aber doch fest schloss sie Anne in die Arme, konnte ihr Schluchzen nicht unterdrücken. „Es ist alles gut, es ist vorbei. Wir sind in Sicherheit.“ Es war nicht zu übersehen, wie sich Anne entspannte und die Augen wieder schloss, während sie den Kopf gegen Susannes Schulter lehnte. Irritiert blinzelte Laura. Moment mal… Könnte es sein, dass… „Du schuldest mir noch so einige Erklärungen.“, meinte Jack an Benni gewandt, nachdem die beiden sich wieder aufgerichtet hatten, um Anne und Susanne etwas mehr Freiraum zu lassen. „Inwiefern?“ Überraschend beleidigt verschränkte Jack die Arme vor der Brust. „Das fragst du ernsthaft?! Heute Morgen. Warum hast du Laura beschützt aber nicht mich, obwohl Mars mir fast die Kehle aufgeschlitzt hätte?!“ Er warf ihm einen traurigen aber irgendwie auch absolut süßen Blick zu, der aussah als habe man einen Welpen im strömenden Regen vor die Tür gesetzt. „Bin ich dir etwa nicht wichtig genug?“ „Retour dafür, dass du meine Kekse gegessen hast.“, erwiderte Benni nur. „Oh.“ Bei dem seltsamen Schlagabtausch der beiden mussten Laura und Ariane loslachen, sowie einige andere von ihnen, die das mitbekommen hatten. Auch Jack selbst konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. „Ich bin echt froh, dass du wieder da bist.“ Seine Erleichterung war fast schon spürbar. Besonders, als er Benni unerwartet in die Arme schloss. Zumindest für einen kurzen Moment, in welchem Benni leicht verwirrt war und Lissi ein gerührtes Seufzen von sich gab. Mitfühlend lächelte Laura, zuckte bei Arianes frustriertem Aufschrei jedoch erschrocken zusammen. „Rrrragh, das kann doch nicht wahr sein!“ Auf die irritierten Blicke hin fragte sie empört: „Wie macht ihr das alle?!“ Jack legte den Kopf schief. „Hä?“ „Na das!“ Demonstrativ ging Ariane zu Benni rüber und schaffte es mal wieder nicht, ihm auf die Schulter zu schlagen. „Bei Laura und Carsten okay. Kann ich verstehen. Aber du auch?!“ „Ach, das ist doch nicht schwer!“, rief Lissi und schlang die Arme um Benni. „Siehst du?“ Grummelnd verschränkte Ariane die Arme vor der Brust. Amüsiert klopfte Jack ihr auf die Schulter. „Du denkst zu viel nach.“ „Und du ganz offensichtlich zu wenig.“, konterte Ariane, immer noch eingeschnappt. Jack hob eine Augenbraue und schaute zu Benni. „Irgendwo hab ich das schon mal gehört.“ „Bennlèy und BaNane sind sich nun mal ähnlicher, als man auf den ersten Blick vermuten würde.“, merkte Lissi belustigt an, immer noch an Benni geklammert, der bei seinem Befreiungsversuch jedoch innehielt. „… BaNane?“ Janine kicherte. „Stimmt, das hast du vermutlich gar nicht mehr mitbekommen. Nach jenem Vorfall hat Lissi irgendwann beschlossen den Spitznamen anzupassen. Nur dadurch kommt es häufiger mal zu Missverständnissen mit Anne, besonders, wenn es irgendwie um Carsten geht.“ Laura konnte ihren Augen und Ohren kaum trauen, als Benni die Faust vor den Mund hielt und damit wohl instinktiv ein Lächeln und das glucksende Geräusch zu verbergen versuchte. Hatte er da gerade etwa fast… „Ist das dein Ernst?! Du ziehst die ganze Zeit ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter und ausgerechnet das findest du lustig?!“, empörte sich Ariane und schlug ihm auf den Hinterkopf. Und traf. Wovor besonders Ariane selbst im Nachhinein erschrak. Benni schaute sie vielsagend an. „Das war ja klar. Hauptsache du regst dich über mich auf, nicht wahr?“ Grinsend erwiderte sie seinen Sarkasmus. „Das konnte ich eben schon immer am besten.“ Während der Rest in schallendes Gelächter ausbrach, stellte Laura erleichtert fest, dass sich auch Carsten durch ihren Blödsinn wieder hatte beruhigen können. Und selbst Öznur und Anne wirkten deutlich lebendiger als zuvor.   ~*~   „Wo bleibt Elster denn? Es wird doch nicht so schwer sein, zumindest einen von denen auszuschalten.“, murmelte er vor sich hin. Johannes schaute den Dämon ganz genau an. Obwohl er auf den ersten Blick wie Onkel aussah, wirkte er wie eine ganz andere Person. Diese böse Stimme, dieser böse Blick, diese böse Ausstrahlung, … Er war das genaue Gegenteil von Onkel, der Johannes damals vor den Monstern gerettet hatte. Monstern wie das, was da wenige Meter entfernt von ihnen auf dem Boden lag. So gut wie möglich versuchte Johannes nicht auf den toten Zombie zu schauen. Er wollte gar nicht erst auf die Idee kommen, was mit ihnen passieren könnte, wenn der Bösewicht sie entdeckte. „Sie haben sich nun alle gefunden.“, sagte Kito in seinem Kopf. Mini-Hulk hatte die Augen geschlossen und beobachtete alles, was im Schloss passierte mit einem Zauber, während sie Johannes über Telepathie davon erzählte und ihr Illusionszauber sie immer noch vor dem Dämon beschützte. Der saß auf seinem roten Angeber-Sofa und schaute Fernsehen. Sachen, die Johannes‘ Mama ihm niemals erlauben würde zu gucken und die trotzdem gerade viele Kinder sehen konnten. Weil es Sachen waren, die man nicht so einfach ausschalten konnte wie einen Fernseher. Weil man sich mittendrin befand. Johannes senkte den Blick. Irgendwie war er froh, dass er sich direkt bei dem bösen Boss befand. Er hatte das Gefühl, hier konnte ihm gerade am aller wenigsten passieren. Dieser atmete verärgert aus. „Wie immer, auf niemanden ist Verlass. Alles muss man selbst machen.“ Er schaltete den Fernseher aus und stand auf, um zur Tür zu gehen. „Nein, sie brauchen noch etwas Zeit!“, rief Kito erschrocken. „Wir müssen sie warnen!“ Ich kann ihn ablenken. „Was?! Nein Johannes, das ist viel zu gefährlich!“ Ach was, verlass dich auf mich! Johannes grinste Kito siegessicher an. Bevor sie ihn festhalten konnte, hüpfte er stolpernd aus der Illusion heraus. „Huuuuuuch?! Wo bin ich denn hier gelandet?!?“ „Wer zum-“ Verwirrt drehte sich der Dämon um. Arglos winkte Johannes ihm zu. „Oh, hallo Onkel! Wie geht`s? Was machst du hier? Wie geht es Tantchen?“ „Wie bist du hier her gekommen?“, fragte er kritisch, doch Johannes schenkte ihm keine Beachtung. „Sag mal Onkel, bist du nun mit Tantchen verheiratet? Nein, ich sehe keinen Ring. Schade. Aber seid ihr verlobt? Hast du ihr endlich einen Antrag gemacht?“ Während Johannes ihn vollquasselte wanderte er im Raum herum und ignorierte den toten Zombie, an dem er vorbeikam. Stattdessen hüpfte er auf das Angeber-Sofa und ließ die Beine baumeln. „Was interessiert dich das überhaupt?“ Er schien total von der Rolle. „Ach, nur so.“ Fasziniert nahm Johannes die silbern glänzende Pistole, die auf dem Angeber-Tischchen nebenan lag. „Coooool!!! Ist das die Pistole, mit der du mich damals gerettet hast, Onkel?! Mit der du diesen dummen Onkel erschossen hast?!“ „Erschossen?“ „Also… Angeschossen. Angeschossen heißt es. Er war ja nicht tot. Leider. Hätte es aber verdient, schließlich war er voll böse und eklig und gemein zu mir. Wobei, nicht so böse und eklig und gemein wie dieser gruselige alte Direktor, der dem coolen Zocker-Onkel als Kind so weh getan hat.“ „Woher weißt du-“ Er schüttelte den Kopf, musste wohl irgendwie seine Gedanken sammeln. Das Lächeln war unheimlich, bösartig, als er schließlich meinte: „Hör mal, Knirps, das ist kein Ort für so Drecksbälger wie dich. Komm, wir bringen dich hier weg.“ Trotzig verschränkte Johannes die Arme vor der Brust, weiterhin die Pistole in der Hand. „Wieso denn? Ich will hier nicht weg, hier ist es cool! Wie in einem richtigen Schloss! Der Rest ist langweilig und gruselig aber hier gefällt es mir! Man fühlt sich wie ein König! Oder nein, ein Kaiser! Wie ein Kaiser fühlt man sich!“ Der Dämon lachte schwach auf, als würde er sich tatsächlich so ein bisschen über das freuen, was Johannes da erzählte. Er wollte irgendetwas sagen, aber Johannes ließ ihn nicht zu Wort kommen. Er redete einfach weiter, redete ihn voll über alles was ihm so in den Sinn kam. Seinen ersten Ausflug in die Unterwelt, der Abenteuer-Kerker und wie lieb sich Onkel und Zocker-Onkel immer um sie gekümmert hatten, wie lecker das Essen war, was Zocker-Onkel so gekocht hatte, … Einfach alles. Mars war es eindeutig nicht gewöhnt, mit jemandem wie ihm zu reden und Johannes machte sich einen Spaß daraus zu beobachten, wie er häufig genauso reagierte wie Onkel. Einfach überfordert. So überfordert, dass er wohl noch nicht einmal auf die Idee kam, ihn einfach mit seinen gruseligen Zerstörer-Kräften anzugreifen. Johannes saß in der Zeit einfach weiter auf dem Angeber-Sofa und wippte auf und ab. Trotzdem hatte er nicht vor, Onkels Pistole loszulassen. Schließlich war sogar jemand schon dadurch gestorben… Doch irgendwann merkte er, wie der böse Boss ungeduldig wurde. Wie er so langsam durchschaute, was Johannes mit seinem Gequassel versuchte. Dass er ihn einfach nur ablenken wollte. Eine eisige Kälte fuhr durch Johannes, als der Dämon böse lächelte. „So mein Kleiner. Jetzt ist aber genug.“ „… Onkel?“ Eingeschüchtert zog Johannes den Kopf ein, als er bedrohlich auf ihn zukam. Die Angst kroch in ihm hoch, er hatte keine Ahnung, was er jetzt machen sollte. Da hallte die magische Stimme eines Mädchens über die Köpfe von ihnen allen hinweg. „Kommt zur Erinnerung! Schnell!“ „Was- … Du.“ Der unheimliche, böse Blick richtete sich auf Kito, die den Illusionszauber aufgelöst hatte und nun vor dem kleinen Tischchen stand, unter dem sie sich zuvor versteckt hatten. „Na warte du kleines Miststück.“ Wie vorhin beim Zombie breitete sich eine rötlich wabernde Atmosphäre aus. Schoss auf das Dryaden-Mädchen zu. Kito gab einen schwachen Angstlaut von sich und wich zurück, wobei sie mit dem Rücken gegen den Tisch stieß. Johannes nutzte den Moment der Ablenkung. Er hüpfte vom Angeber-Sofa, hatte mit seiner Energie einen Schneeball in der Hand. Und warf. Er traf Mars mitten im Gesicht. Die purpurne Energie war verschwunden. Johannes und Kito mussten ein Kichern unterdrücken. „Du verdammter…“ Nun war er richtig wütend. Mit schnellen Schritten ging er auf Johannes zu, als wollte er mit bloßen Händen das Leben aus ihm herauspressen. Johannes schluckte die Angst herunter, stellte sich stattdessen eine Eisfläche auf dem glänzenden Angeber-Boden vor. Auf der Mars direkt ausrutschte und hinfiel. Dieses Mal konnte Johannes es nicht unterdrücken, er lachte den Dämon lauthals aus. Er hörte Kito einen Zauber sprechen, mit einem Schlag breitete sich eine durchsichtige Atmosphäre aus. Mitten beim Aufrichten erstarrte der Dämon. Die Augen weit aufgerissen vor Schreck. Vor einem Grauen, welches Kito ihm in den Kopf gepflanzt hatte. Diese rannte blitzschnell los, schnappte Johannes‘ Hand als sie an ihm vorbeikam. „Schnell, er ist zu stark! Ich kann den Zauber nicht lange funktionieren!“ Sie streckte ihre freie Hand aus. Kaum berührte sie Mars, waren sie auch schon alle drei verschwunden.   ~*~   „Fuck!“ Jacks plötzlicher Ausruf ließ Laura erschrocken zusammenzucken. „Was ist denn dir über die Leber gelaufen?“, fragte Anne kritisch, während sie sich von Susanne auf die Beine helfen ließ. Erleichtert stellte Laura fest, wie sie zumindest einen kleinen Teil ihrer Kraft zurückgewann. „Ich hatte mich schon gewundert, warum ich Johannes und Kito nirgends finden konnte…“, erklärte Jack zerknirscht und schaute in eine Richtung, irgendwo durch die Wand der Trainingshalle hindurch. „Mit etwas Glück hat Kito sie beide mit einem Illusionszauber versteckt, den selbst dein Tastsinn nicht durchschauen konnte.“, vermutete Florian. „Aber deiner Reaktion nach zu urteilen…“ Benni verstand ihn. „Sie sind bei Mars.“ „WAS?!“ Vor Schock entwich ihnen der Atem. Ausgerechnet Kito und Johannes, die jüngsten aus ihrer Gruppe, waren bei Mars gelandet?! „Wir müssen schnell zu ihnen!“, rief Susanne in Sorge. Panisch schaute sich Laura um, die anderen schienen ähnliche Gedanken zu haben wie sie selbst. Anne und Öznur ging es zwar etwas besser, aber für einen Kampf waren sie trotzdem viel zu geschwächt. Und Carsten… Verzweifelt beobachtete Laura ihn, seinen mutlosen Blick. Sah, wie Ariane eine Hand auf seinen Rücken legte. Er konnte nicht kämpfen. Carsten konnte nicht kämpfen, wenn er im Prinzip halb blind war! Doch der Rest wusste bisher noch nicht einmal davon… Nur Lissi schien zu erkennen, dass sein Blick nicht so fokussiert war wie sonst. Dass er es selten schaffte die Leute direkt anschauen zu können, als würde er nur seinem Gehör und undeutlichen Schemen vertrauen. Dann fiel ihr Blick auf die immer noch bewusstlose Indigonerin. „Ria, Tatjana, könnt ihr und die Geister aufpassen, dass diese Schlampe keine dummen Sachen macht? Wir werden später noch ihre Hilfe brauchen.“ Ria wirkte verwirrt. „Klar, aber wieso?“ Lissi schaute mitfühlend zu Carsten. Stellte die Frage, die sich Laura all die Zeit nicht getraut hatte zu stellen. „Wie viel genau kannst du erkennen?“ Lauras Herz quetschte sich zusammen. Besonders, als Eagle ungläubig und doch mit grausiger Vorahnung fragte: „…Wie meinst du das?“ Carsten ballte die Hände zu Fäusten, so stark, dass die Knöchel weiß hervortraten und doch konnte er das Beben nicht unterdrücken. „Habt… ihr schon einmal etwas vom grauen Star gehört?“ „Dem was?“, fragte Öznur verwirrt, schien aber eigentlich nicht wirklich wissen zu wollen, was das war. Bedrückt senkte Susanne den Blick. „Eine Linsentrübung… Die Sicht wird unscharf und Kontraste lassen sich schwerer erkennen. Der Name kommt von der gräulichen Färbung hinter der Pupille.“ Carsten zwang sich zu einem schwachen Nicken. „Ich weiß nicht ob es wirklich sowas ist, aber… Aber die Beschreibung ist… ziemlich ähnlich…“ Laura schluckte. Also war das wirklich etwas Endgültiges? Konnten sie nichts dagegen machen?! Die Schwere dieser Worte konnte man regelrecht auf den Schultern spüren, nahm ihnen allen die Fähigkeit zu sprechen. Entsetzt schaute der Rest Carsten an, welcher schließlich mit zitternder Stimme meinte: „Ich kann so nicht gegen Mars kämpfen, ich…“ Er kniff die Augen zusammen, ein tränenersticktes Schluchzen. „Es tut mir leid…“ „Dich trifft keine Schuld, das war dieses kranke Ritual.“, versuchte Laura auf ihn einzureden, konnte sich selbst aber kaum zusammenreißen. Verbissen schaute sich Florian um. „Verdammt, wir müssen sofort los. Uns bleibt keine Zeit über einen Plan B nachzudenken. Kannst du ihn heilen?“ Susanne stand bereits bei Carsten und hatte eine Hand über seine Augen gelegt. „Ich weiß nicht…“, antwortete sie schließlich betroffen. Probehalber legte sie die andere Hand auf seine linke Schulter. „Es wirkt nicht so unheilbar wie das Mal des Schwarzmagiers, aber…“ Unsicher schaute Susanne zu den beiden bewusstlosen Unterweltlern, die Konrad und Florian wohl mit sich herumtrugen, um Benni nach dem Ritual vor dem sicheren Tod bewahren zu können. Auch Lauras Blick fiel auf die etwas Abseits stehende Gruppe. Irritiert hielt sie inne. Diese Indigonerin, die da neben Florian und Konrad stand… War das etwa… Laura schluckte schwer. Doch, das war ohne Zweifel Eagles und Carstens leibliche Mutter. Aber warum stand sie so weit entfernt? Warum war sie nicht genauso wie Eagle direkt zu Carsten gerannt?! Verwirrt schaute sie zwischen den beiden hin und her. War Sisika denn nicht froh, ihren Sohn zu sehen? Würde sich Carsten denn nicht über eine Umarmung seiner leiblichen Mutter freuen?! Gerade jetzt! Doch noch während Laura Luft holte, um irgendetwas zu sagen, bemerkte sie es. Es fühlte sich falsch an. Irgendetwas daran fühlte sich falsch an. Einen Moment lang herrschte bedrückte Stille. Dann hallte die magische Stimme eines Mädchens über die Köpfe von ihnen allen hinweg. „Kommt zur Erinnerung! Schnell!“ Laura schrak auf. Das war Kito! Jack stieß erneut einen Fluch aus. „Wir werden wohl improvisieren müssen.“ Eilig nahmen sie sich in kleineren Gruppen an die Hände. Sie wussten, jetzt kam es auf jede Sekunde an. Während sie Ariane die Hand reichte, bemerkte Laura den Blickaustausch zwischen Sisika und Eagle. Sah diesen wortlosen und doch liebevollen Abschied, der Eagle deutlich mehr belastete als er es sich anmerken lassen wollte. Laura schlug das Herz bis zum Hals, sie schaffte es vor Aufregung kaum zu atmen. Wie Sisika kurz zu ihrer eigenen Gruppe schaute, den Schmerz in ihren Augen, die Ohnmacht mitansehen zu müssen, wie ihr jüngerer Sohn sichtlich unter der gesamten Situation litt, bekam Laura durch ihre Panik gar nicht mehr mit. Lieber würde sie jetzt kurz vor den Schulabschlussprüfungen stehen als das, was sie nun erwartete. Sie konnte nicht klar denken, ihr wurde schwindelig. Erst als Benni seinen Händedruck verstärkte erinnerte sich Laura daran, was er ihr vor einigen Monaten beigebracht hatte. Langsam atmen. Herunterfahren. Noch während sie die Augen schloss und versuchte, alle seine Entspannungs- und Meditationstipps irgendwie gleichzeitig umzusetzen, hörte sie wie die Magier den Teleportzauber sprachen. Eine unsichtbare Macht zerrte an ihr, zog sie weg von dort. Hin zur alles entscheidenden Begegnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)