Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 105: Ein Wettlauf gegen die Zeit ---------------------------------------- Ein Wettlauf gegen die Zeit       Reiß dich zusammen. So etwas war leichter gesagt als getan. Auch, wenn man diese Worte gegen sich selbst richtete. Sich zusammenreißen. Wenn man so darüber nachdachte… Was für eine widersprüchliche Formulierung das doch eigentlich war. Zusammen und reißen. Und doch musste er genau das tun. Dieses Mal vermutlich mehr als all die Male zuvor. Sich zusammenreißen. Jacks Körper bebte. Eine unsichtbare Macht wrang seinen Magen aus und Luft bekam er sowieso kaum. Ohne es zu bemerken legte er seine zitternde Hand auf die Lederarmschiene, die die Narben auf dem rechten Unterarm verdeckte. All die Jahre hatte er so viele Wege ausprobiert, um mit solchen Gefühlen fertig zu werden. Den Schmerz herausbluten zu lassen, die Trauer in Alkohol zu ertränken, der Realität mit Drogen zu entfliehen… Es hatte sogar geholfen, er hatte sich besser gefühlt. Zumindest in diesen Momenten. Aber eigentlich… Jack vertrieb die verschwommenen Erinnerungen an diese Zeit aus seinem Kopf und warf einen frustrierten Blick zum Schrank. Warum zum Henker hatte er auch beide Kekspackungen leer essen müssen? „Fuck, das kann doch nicht wahr sein.“, stieß Eagle verbissen aus. Er hatte mit Überraschen feststellen dürfen, dass es hier Handyempfang gab. Aber viel brachte das nicht. Zumindest schlugen die Versuche Öznur oder Carsten zu erreichen fehl, und auch Laura hatte ihr Handy allem Anschein nach ausgeschaltet oder nicht dabei. Jack biss die Zähne zusammen und richtete sich auf. Er musste sich zusammenreißen. Doch sein Körper zitterte immer noch zu stark. Er schaffte es noch nicht einmal zu stehen, ohne sich auf dem Tisch abzustützen. Verzweifelt ballte er die bebenden Hände zu Fäusten. Zwang sich erfolglos dazu, ruhig zu atmen. Langsam ein, noch langsamer aus. Zeitgleich konzentrierte er sich auf seinen Tastsinn. Spürte den Boden und alles, was damit zusammenhing. Er war nicht an diesem Ort. Er war hier, in seiner Küche des Unterweltschlosses. Niemand hatte die Absicht, ihm etwas anzutun. … Okay, so mehr oder weniger. Einer würde ihn vermutlich schon ganz gerne tot sehen. Aber das war was Anderes. Das war nicht- „Geht‘s?“, hörte er Eagle plötzlich fragen, der seinen inneren Kampf mitbekam. Jack war davon so irritiert, dass er nicht mehr als einen verwirrten Blick zu erwidern wusste. Geräuschvoll atmete der Häuptling aus und fuhr sich durch den kurzen schwarzen Haaransatz. „Ich… hab mal gehört, Händewaschen kann bei sowas hilfreich sein.“, meinte er und wies mit einer knappen Kopfbewegung auf den Wasserhahn der Spüle. Was Jack noch mehr verwirrte. Eine Verwirrung, die diesen lähmenden Panikzustand zumindest weit genug überlagern konnte, dass er es schaffte sich in Bewegung zu setzen. Als das klare, kalte Wasser über seine Hände lief, glaubte Jack tatsächlich zu merken, wie sich dieser Nebel in seinem Kopf langsam lichtete. Als könnte das Wasser einfach fortwaschen, was ihn da überwältigen wollte. Er bildete sich sogar ein, den sanften Ton von Lissis Stimme zu hören. ‚Valentin.‘ Einen Moment lang glaubte er tatsächlich, dass sie hier bei ihnen in der Küche war. Doch Jacks Tastsinn belehrte ihn eines Besseren. Stattdessen fiel sein verwirrter Blick wieder auf Eagle. Ihm war klar, dass auch der Indigoner eine fürsorgliche Seite hatte. Aber nicht gegenüber Jack. Und den Grund dafür konnte er ihm wohl kaum verübeln. Ein Hauch schlechten Gewissens kroch in ihm hoch. „Hör mal… Das mit dem Batman-Witz vorhin…“, setzte er an, „Das war echt unter aller Sau, sorry. War mir einfach so rausgerutscht.“ „Ist das dein Ernst?“ Eagle klang nicht so als würde er die Entschuldigung annehmen wollen. „Es gibt ganz andere Dinge wegen denen du dich entschuldigen solltest und du kommst ausgerechnet damit an?! Was ist mit deinem Angriff auf Carsten?! Was mit meinem Vater?!“ Jack senkte den Blick, betrachtete das nach wie vor über seine Hände fließende Wasser. ‚Denkst du sie würden dir verzeihen, wenn du dir noch nicht einmal selbst verzeihen kannst?‘ Schließlich seufzte er und drehte den Hahn zu. „Bei sowas… Als würde ein ‚Tut mir leid‘ oder ‚Ich bitte um Entschuldigung‘ dem gerecht werden können.“ Eagle schnaubte. „Es wäre zumindest mal ein Anfang.“ Dennoch schien die Aussage ihn nachdenklich zu stimmen. „Bereust du es überhaupt, meinen Vater umgebracht zu haben?“ „Ob ich es bereue?“ Gedankenverloren ließ er die Metallklauen aus der Armschiene kommen und betrachtete das silberfarbene Glänzen. Meinte, das frische Blut zu sehen, das sich vor einem Monat erst dort befunden hatte. „Schon ironisch. Dieselbe Antwort auf im Prinzip die gleiche Frage. Eigentlich müsstest du mir jetzt dein Großschwert zwischen die Rippen rammen.“ Verbissen steckte Eagle das Smartphone weg und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand. Nach einer Weile meinte er: „Ob sich seine Antwort nun ändern würde? Wenn er wüsste, was das eigentlich für ein Ort war?“ „Wer weiß das schon?“, entgegnete Jack und betrachtete den jungen Häuptling mit mehr Empathie, als er für möglich gehalten hätte. „Tu dir selbst einen Gefallen und befass dich nicht zu oft mit so ‚Was wäre, wenn‘-Spielchen. Glaub mir, sie machen einen mehr kaputt als dass sie helfen würden.“ Eagle knirschte mit den Zähnen. „Trotzdem, nach allem… Und gerade, wenn sogar Gerüchte im Umlauf waren. Ich hätte zu gerne gewusst, warum. Warum war er überhaupt damit einverstanden gewesen, ihn dorthin zu schicken?“ „Warum?“ Jack lächelte traurig, driftete mit den Erinnerungen automatisch zu seiner Mutter ab. „Diese Frage stellt man sich selbst dann noch, wenn man die Antwort eigentlich kennt.“ Eagle blickte überrascht auf. „Wenn du nicht gerade ein Arschloch bist, kannst du echt weise sein.“ Jack konnte sich das Lachen auf diesen Kommentar kaum verkneifen. Zeitgleich stellte er fest, dass das Zittern seines Körpers tatsächlich nachgelassen hatte. Er gab sich einen Ruck. „Dann hoffen wir mal, dass ich zumindest ein nützliches Arschloch bin.“ Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Umgebung. Weitete sein Wahrnehmungsumfeld so weit aus wie nur möglich. Und stieß einen Fluch aus. „Was ist?“, fragte Amarth, der bisher nur schweigend danebengestanden hatte. Jack schaute in die Runde. „Okay, Pest oder Cholera?“ „Solange es nicht Karystma ist…“, erwiderte Eagle, konnte das Unbehagen jedoch nicht ganz übertönen. „Das hätten wir auch im Angebot.“ Nun stieß auch Eagle einen Fluch aus. Jack spielte mit dem Piercing an seinem Ohr und überlegte, wie sie diese beschissene Situation am besten lösen und so vielen wie möglich helfen könnten. Sein Blick fiel auf den jungen Magier mit den schwarzen Haaren und braunen Augen, der nur wenige Jahre älter als er selbst aussah. „Sag mal Amarth… Kann es sein, dass du Metal magst?“ „Was hat das damit zu tun?!“, erzürnte sich Eagle direkt. Trotz der gegenwärtigen Situation lächelte der Angesprochene schwach und erwiderte auf Jacks Frage ein Nicken. Bedrückt atmete Jack aus. „Okay, dann wirst du vermutlich mit mir mitkommen wollen.“ „Was? Warum?!“ Eagle war absolut verwirrt und schien auch nicht sonderlich glücklich darüber zu sein, dass er ganz offensichtlich der Einzige war, der nicht wusste, was damit gemeint war. Ihn ignorierend schloss Jack erneut die Augen. Er hatte vorhin ohnehin schon Erd-Energie verwendet, also musste er sich jetzt auch keine Mühe mehr geben vorsichtig zu sein. In seinen Gedanken formten sich Bilder, fast so wie ein großer Lageplan. Ein großer Lageplan von einem noch größeren Schloss, wie ein riesiges Labyrinth. Als Jack die Augen wieder öffnete, befand er sich an der Wand wie ein dreidimensionales Bild. Erhebungen für die Wände, kleine Treppen die mit einem Pfeil zum nächsten Bild in die nächste Etage führten, … Und schließlich ein großes Kreuz, vier Etagen über ihnen. „Was ist das?“, fragte Eagle argwöhnisch. „Eine Wegbeschreibung.“, antwortete Jack und wies auf die gestrichelte Linie, die von der Küche bis zum Kreuz reichte. „Merks dir oder fotografiere es dir ab. Aber beeil dich lieber, ich wette die Unterweltler finden sie ziemlich lecker.“ Das Schaudern, welches Eagle durchfuhr, war nicht zu übersehen. Entsprechend stellte er auch keine weiteren Nachfragen. Jack war derweil zur Tür gegangen und winkte Amarth zu sich. „Dann sehen wir uns hoffentlich nachher.“ Mit diesen Worten verließen sie die Küche und rannten los, begleitet von einem stillen Gedanken. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.   ~*~   Als sie das entfernte Grollen hörte, verstärkte Anne ihren Griff um Susannes Schultern, die nach wie vor an sie geklammert war und leise schluchzte. Nachdem sie mit ihrer Heil-Energie hatte feststellen müssen, dass der Kratzer eine ähnliche Wirkung wie Karystma hatte, war Susanne mit ihren Nerven nun komplett am Ende. Das erdrückende Gefühl in Annes Herz verstärkte sich, als sie daran erinnert wurde wie aussichtslos ihre Situation eigentlich war. Neben der Kälte kroch Panik in ihr hoch, verstärkt durch das unangenehm kribbelnde Gefühl in ihrer linken Schulter. So gut es ging versuchte Anne es zu verdrängen und möglichst normal zu klingen, als sie sagte: „Susanne, beruhige dich. Du musst dich sofort hier raus teleportieren.“ Schwach schüttelte sie den Kopf und vergrub ihr Gesicht noch mehr in Annes Sweatshirt. Anne biss die Zähne zusammen. Nach einem kurzen Zögern riss sie Susanne schließlich von sich los. „Susi, da sind noch mehr von diesen Dingern. Du musst hier weg und Hilfe holen, bevor es zu spät ist.“ „Nein! Nein!!!“, schrie sie panisch. „Ich kann nicht weg! Ich kann dich doch hier nicht alleine lassen!“ „Susi…“, setzte Anne an, wusste aber nicht, wie sie überhaupt noch mit logischen Argumenten punkten konnte. Als sie Susannes verweintes Gesicht sah, als sie die Tränen beobachten konnte die ihr über die Wangen liefen, fielen Anne auch keine weiteren Begründungen mehr ein. Aus einem einfachen Grund. Sie wollte das gar nicht. Sie wollte überhaupt nicht, dass Susanne ging. Selbst wenn es der sinnvollere Weg war… Dieses Mal konnte Anne die Angst nicht mehr so gut zurückhalten. War es das nun für sie? War das wirklich ihr Ende? Susanne erwiderte ihren Blick, machte sich gar nicht erst die Mühe ihre aufgebrachten Gefühle zu verbergen. Sie wirkte so traurig, so furchtbar traurig. Seltsamer weise machte Anne ausgerechnet das noch mehr zu schaffen als die Befürchtung, nie wieder lebend aus dieser Höhle herauszukommen. Sie wollte Susanne nicht so sehen müssen… Abrupt wandte sie sich ab, als sie den Eindruck hatte die Kontrolle über ihre eigenen Gefühle zu verlieren. Sie ging zur Höhlenwand und ließ sich auf den erdigen Boden sinken. „Im Endeffekt bin anscheinend ich der Klotz am Bein…“, meinte Anne eher zu sich selbst, während sie in das leicht rosa strahlende Licht schaute. Jetzt so im Nachhinein konnte sie es Laura gar nicht mehr verübeln, dauernd rumgeheult zu haben als sie täglich mit dem Gedanken leben musste an ihrem Geburtstag zu sterben. Anne ballte die zitternden Hände zu Fäusten und schluckte schwer. Versuchte sich irgendwie zusammenzureißen. Sie merke, wie sich Susanne neben sie setzte und sanft eine Hand auf ihre legte. „Anne…“ Anne biss die Zähne zusammen. Reiß dich zusammen. Und dennoch begannen ihre Augen zu brennen. Das Grollen wurde lauter. Dieses Mal klang es nicht nur nach einem dieser Viecher. Wie sollten sie hier überhaupt noch lebend rauskommen?! Reiß dich zusammen! „Hast du versucht jemanden mit dem Handy anzurufen?“, fragte Anne, suchte irgendwie nach einer Lösung. „Du warst doch dabei, als ich es vorhin versucht hatte… Hier haben wir keinen Empfang.“ „Ach so…“ Bei einem Brüllen zuckte Susanne erschrocken zusammen. Auch ihr Körper begann vor Angst zu zittern. Anne hätte sie gerne ermutigt, wollte ihr irgendwie Hoffnung machen. Doch sie selbst hatte noch weniger davon übrig. „Sag mal Susi… Wenn du noch einen letzten Wunsch hättest, was wäre das?“ „Was?!“ Entsetzt wich Susanne zurück, hinterließ dadurch eine eisige Kälte auf Annes linker Seite. „Was ist das für eine Frage?!“ „Na ja…“ Anne hob ihren Arm. Ein ekelhaftes Taubheitsgefühl breitete sich bereits darin aus, sodass sie die linke Hand nur noch schwach zur Faust ballen konnte. War es so auch Carsten nach Jacks Angriff ergangen? Hatte auch er kaum mehr atmen können, als er realisieren musste wie die Kraft nach und nach seinen Körper verließ? Anne lächelte traurig. „Wenn man es so sieht macht es keinen Unterschied, ob du fliehst oder nicht. Wenn auch nur einer von uns stirbt hat Mars gewonnen.“ Wieder versuchte sie die Hand zur Faust zu ballen. So fest wie möglich. Es wirkte so schwach. „Selbst wenn wir es irgendwie hier raus schaffen… Ich glaube nicht, dass meine Kraft dann noch für das Ritual reicht.“ „Hör auf so etwas zu sagen!“, rief Susanne weinend. „Wir haben noch nicht verloren, also warum gibst du jetzt schon auf?!“ „Weil es kein Heilmittel gibt.“, erwiderte Anne. Ihre Stimme brach, sie verlor die Kontrolle über ihre Gefühle. Konnte sich nicht mehr zusammenreißen. Verbissen musste sie spüren, wie sich die Tränen aus ihren Augen stahlen. „Es gibt hier keine Zauberquelle, die wie bei Carsten alles ungeschehen macht. Ich habe keinen Dämon, der mit Finsternis-Energie sowas aufhalten kann! Das ist kein Gift, was sich neutralisieren lässt! Verdammt, selbst deine Heil-Energie heilt mich nicht!!!“ Es war nicht zu übersehen, wie Susanne mehr und mehr zu weinen begann, je lauter Annes Stimme wurde. Direkt bereute sie ihren Gefühlsausbruch. Susanne konnte schließlich nichts dafür, im Gegenteil. Sie weigerte sich sogar stur Annes Seite zu verlassen und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Nur, um bei ihr zu sein… „Entschuldige…“, brachte Anne zitternd hervor. „Es ist nur… ich weiß nicht…“ Ein Brüllen ließ die Erde vibrieren. Doch noch mehr bebte ihr eigener Körper. Diese Angst, diese unfassbare Angst. Anne biss die Zähne zusammen, versuchte zumindest das Schluchzen zu unterdrücken, wenn sie schon die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Sie spürte, wie Susanne die Arme um sie legte. Noch ein Brüllen ertönte. „Du solltest wirklich gehen…“, meinte Anne schwach. Doch Susanne schüttelte den Kopf. „Ich will bei dir bleiben. Und sollte das tatsächlich mein letzter Wunsch sein, dann ist es ein guter.“ Ihre Worte ließen Annes Herz umso schwerer werden. Warum wollte sie bei ihr bleiben? Warum ausgerechnet bei ihr?! „Warum nicht bei Lissi? Oder… deinem Freund?“ Sie merkte, wie sich Susanne anspannte. „Mein… Freund? Miguel und ich sind nicht zusammen, falls du das denkst… Wir waren es nie.“ Verwirrt schaute Anne auf. „Nicht?“ Susanne schüttelte den Kopf. „Ich… Als Lissi und ich gestern Ninie nach Mur begleitet haben da… Danach bin ich noch einmal nach Eau. Damit… Um ihm zu sagen, dass… Dass es sich falsch anfühlt. Ich wollte zumindest ein reines Gewissen haben wenn… Falls so etwas passiert wie… wie gerade.“ Susanne senkte den Blick. „Ich hatte Angst ihn damit zu verletzen, aber er war sehr verständnisvoll. Miguel meinte, dass er es so wie ich einfach mal probieren wollte, ich aber eigentlich auch nicht sein Typ bin.“ Schwach lachte sie auf. „Er steht anscheinend eher auf so lebendige Mädchen wie Lissi und hatte wohl nicht damit gerechnet, dass unsere Persönlichkeiten so verschieden sind. Daher…“ „Aber… wieso? Ich dachte…“ Anne war absolut verwirrt, bekam sogar noch nicht einmal mit, wie nah das Brüllen inzwischen war. „Na ja… Er… war nun mal nicht der Richtige.“ Susanne warf ihr ein schwaches Lächeln zu. „Es gibt da jemand anderes… Jemand, von den anderen 50%. Ich habe nur länger gebraucht, um es zu realisieren.“ Annes Herz setzte aus. Was… Wie hatte sie… Die Luft erhitzte sich. Als die beiden Mädchen aufblickten sahen sie mehrere von diesen Maulwurfspinnen-Monstern, die mit lautem Brüllen und Schnauben bekanntmachten, dass sie sie erreicht hatten. Sie waren kleiner als das Ungetüm, was nach wie vor einige Meter entfernt von ihnen lag. Doch das machte sie nicht minder gefährlich. „Bitte Anne, gib nicht auf.“ Susanne richtete sich auf, ging einige Schritte vor. Als die ersten der Viecher zum Angriff ansetzten sprach sie einen Zauber, der sie gegen eine rosa schillernde Magiewand prallen ließ. Weitere versuchten ihr Glück, doch die Mauer hielt auch ihnen stand. „Es tut mir leid, dass du so lange warten musstest.“ Susanne schaute über die Schulter zu ihr nach hinten. Dieses liebevolle Lächeln, der verlegene Blick in ihren blaugrünen Augen als sie sich eine Strähne der gewellten schwarzen Haare aus dem Gesicht strich, umrahmt von dem leicht rosa schimmernden Licht… Anne kam nicht drum herum zu denken, dass sie wie ein Engel aussah, als Susanne schließlich meinte: „Ich liebe dich.“   ~*~   Zitternd klammerte sich Laura an Ariane, während diese ihre Umarmung verstärkte. Ein verzweifelter Versuch sich gegenseitig Mut zu machen in einer Situation, die so aussichtslos erschien. Selbst wenn Laura es vermied in diese Richtung zu schauen, hatte sie dennoch die ganzen menschlichen Körper vor Augen, die mit Ketten an der Decke befestigt waren. Splitterfasernackt, übersäht mit Blutergüssen und an der Kehle aufgeschlitzt, leere Augen die überall und nirgends hinschauten. Dabei konnte sie noch nicht mal im Fernsehen hinsehen, wenn tote Schweine in Schlachthöfen gezeigt wurden… Lauras Atem wurde wieder panischer, erneut schossen ihr Tränen in die Augen. „Laura, wir müssen irgendwie hier raus…“, meinte Ariane schwach, genauso gelähmt von der Angst. „Ansonsten erfrieren wir hier noch und…“ Sie merkte, wie Ariane sich versuchte zusammenzureißen und das Schluchzen zu unterdrücken. Ihr selbst ging es nicht anders. Es war eiskalt, ihre Körper fühlten sich bereits taub an, obwohl sie versuchten sich zumindest gegenseitig etwas Wärme zu spenden. „Aber wie?“, fragte Laura hoffnungslos eher sich selbst. Ariane seufzte. „Wir wissen nicht, wie viele Unterweltler sich gerade in der Kantine befinden und sollte es zu einem Kampf kommen…“ Sie spürte Ariane schaudern, übermannt von einer Kälte die viel stechender war als jene um sie herum. Kein Wunder. Selbst wenn gerade sie mit ihrer Licht-Energie die Macht hätte, die Unterweltler innerhalb kürzester Zeit auszulöschen… Gerade diese Macht war es, die ihr so eine Angst bereitete. Wie schon damals, als sie nach dem Angriff in Spirit länger gebraucht hatte als sie es sich anmerken ließ, um das Geschehene zu verarbeiten. Und es vermutlich immer noch nicht hatte verarbeiten können. Bedrückt stellte Laura fest, wie ähnlich sie und Carsten sich in manchen Punkten doch waren. Kopfschüttelnd versuchte sie die Bilder vor ihrem inneren Auge zu vertreiben. Irgendwie auch nach einer Lösung zu suchen. Eine Lösung, die einen Kampf vermeiden würde. Krampfhaft zerbrach sich Laura den Kopf darüber. Sie wog alle erdenklichen Möglichkeiten ab, während die Kälte ihr Gehirn einfror und das Denken nur träge lief. „Mit der Finsternis-Energie könnten wir uns gut in Schatten verbergen, sie kann wahrscheinlich auch unseren Geruch und vielleicht sogar die Geräusche absorbieren, aber…“ „Weit kommen wir damit vermutlich trotzdem nicht…“, bestätigte Ariane betrübt. Dennoch half Lauras versuchter Lösungsansatz, dass auch sie sich etwas beruhigen und nachdenken konnte. „Wir müssten schon ganz unsichtbar werden können, um da unbemerkt rauszukommen.“ Laura blinzelte. „Ganz… unsichtbar? Vielleicht… vielleicht können wir das wirklich.“ Ihre Gedanken rasten. Licht und Finsternis, Absorption und Reflexion, Yin und Yang, Gut und Böse, … Das alles… Diese Gegensätze… „… Was?“ Verwirrt erwiderte Ariane ihren Blick. Je mehr Laura darüber nachdachte, desto überzeugter wurde sie. „Nane, das könnte wirklich klappen! Überleg mal, Licht und Finsternis waren schon immer die absoluten Gegensätze. Ohne das eine, kann das andere nicht existieren!“, erklärte sie erregt. „Was würde also passieren, wenn sie aufeinandertreffen und sich überlagern? Was würde übrigbleiben?!“ Auch Ariane begann zu verstehen. „Nichts… Sie müssten sich eigentlich im Nichts auflösen.“ „Das ist es!“ Aufgeregt packte Laura Ariane an den Schultern. „Wenn wir Licht und Finsternis in der gleichen Menge um uns herum freisetzen, müssten wir einfach verschwinden können! Wir wären unsichtbar, niemand würde uns bemerken! Vermutlich noch nicht einmal Mars!“ Sie merkte, wie auch in Arianes Augen die Hoffnung aufkeimte. Dennoch ließen sich die Zweifel nicht besiegen. „Aber dafür müssten wir uns perfekt abstimmen. Niemand kann seine Energie so gut kontrollieren… Oder hat so ein genaues Gespür dafür.“ „Nane… Benni hat sowas doch damals täglich mit mir trainiert. Und Leo hatte mir im Prinzip nie eine Pause gegönnt.“ Es war ein eigenartiges Gefühl, was in Laura hochkam. Sie fühlte sich noch nicht einmal beschwingt, sondern eher ruhig, als diese Sicherheit und Zuversicht sich ausbreiteten. Eine Überzeugung, die sie nie für möglich gehalten hätte. „Ich kann das.“ Es schien dieses für Laura so untypische Selbstvertrauen, was auch Arianes Optimismus wiedererweckte. „Wenn wir es nicht ausprobieren und noch länger auf Hilfe hoffen, wird es vermutlich sowieso zu spät sein.“ Laura nickte und warf einen Blick auf einen der Tische. „Okay, dann sollten wir vielleicht ein bisschen auf uns aufmerksam machen.“ Die Aufregung nahm zu. Als Laura sich aufrichtete und zu einem Tisch rüberging, versuchte sie dabei so gut wie möglich nicht nach rechts zu schauen. Sie warf einen prüfenden Blick zurück, sah, wie sich Ariane neben der Tür bereit machte. Laura atmete tief durch, trotz der Kälte waren ihre Hände schweißnass, als sie den Tisch packte. Und ihn mit ohrenbetäubendem Lärm umwarf. „Was war das?!“, konnten sie eine Stimme von außen hören. Schnell eilte Laura zurück zu Ariane und nahm ihre Hand, die sie direkt in Licht-Energie hüllte. Kaum spürte Laura dies, setzte sie auch ihre Finsternis-Energie frei. Da ging die Tür auf. Der Atem der Mädchen beschleunigte sich, als ein Werwolf den Tiefkühlraum betrat und sich umschaute. Erfolglos versuchten sie ihre Angst zu unterdrücken, irgendwie leise zu sein. Doch anscheinend hörte er sie gar nicht. „Komisch.“, grollte der Werwolf, ließ seinen Blick erneut durch den Raum schweifen. Aber es waren nicht die beiden Mädchen, die direkt neben ihm kauerten und beteten. Es war der Tisch, der ihm letztlich ins Auge fiel. Irritiert ging der Werwolf zu dem umgestürzten Tisch rüber. Lauras und Arianes Händedruck verstärkte sich. Und sie huschten nach außen. Den Mädchen blieb die Luft weg, ein schauriges Entsetzen fuhr durch ihre Körper, als sie sich in der Küche wiederfanden. Gerade rechtzeitig zog Ariane Laura aus ihrer Starre, weg von der Tür, als der Werwolf hinter ihnen den Raum wieder verließ. „Erst dieser Kampflärm einige Stockwerke weiter unten und jetzt das. So langsam wird’s mir mulmig.“, grummelte er, an einen der Zombies gewandt. Vorsichtig schlichen die beiden Mädchen an der Wand entlang. Obwohl sie sich immer sicherer waren, dass sie tatsächlich unentdeckt blieben, nahm das Grauen in ihrer Brust zu. Die Gewissheit, was das für eine Küche war, die sie da durchquerten. Dass sie genauso enden könnten wie diese Menschen im benachbarten Raum, wenn man sie bemerkte… Laura schluckte schwer, versuchte sich ganz darauf zu konzentrieren Arianes Licht-Energie perfekt zu kompensieren, während Nane sie den Weg entlang lotste, darauf bedacht, nicht versehentlich gegen irgendetwas oder -jemanden zu stoßen. Selbst wenn sie tatsächlich unsichtbar waren… Dieses Risiko wagten sie nicht einzugehen. „Hör auf zu maulen und geh zurück an die Arbeit.“, krächzte der Zombie genervt. „Der Boss hat alles unter Kontrolle, wirst schon sehen.“ Der Werwolf knurrte. „Wie könnt ihr das behaupten, wenn Phil noch nicht mal beim Küchendienst auftaucht, genau nachdem er Wachdienst hatte?“ „Wagst du es gerade, Mars infrage zu stellen?“ Bei der erbarmungslosen Stimme des Vampirs zuckten Laura und Ariane zusammen. Die Anspannung war kaum auszuhalten. Sie gingen weiter zur offenen Tür. Nur noch wenige Meter. Fast, sie hatten es fast geschafft. „Ich denke. Mehr nicht.“, erwiderte der Werwolf verärgert. Der Vampir kam bedrohlich direkt auf die beiden zu. Wie angewurzelt blieben Laura und Ariane stehen. Als er die Tür vor ihrer Nase zuschlug. Gefangen in ihrer Panik schaffte es Laura für einen kurzen Moment nicht, Arianes Licht-Energie komplett auszugleichen. Es war nur ganz kurz, Laura hatte sich direkt wieder fangen können. Und doch schaute der Vampir genau in ihre Richtung. Nicht nur das, er schaute sie an! Als könnte er sehen, was sich hinter dem Vorhang an Energie verbarg. Laura und Ariane hielten die Luft an. Doch so laut wie ihre Herzen pochten, machte das keinen Unterschied. Sie wagten es nicht zu blinzeln. Sie konnten sich nur mit vor Angst und Entsetzen geweiteten Augen darauf konzentrieren, ihre Energie aufrecht zu erhalten, während sie wie erstarrt den Blick des Vampirs erwiderten. Bis er sich wieder abwandte und zurückging. Die beiden Mädchen atmeten auf, merkten erst jetzt, wie sehr ihre Körper zitterten. Vermutlich hatte er nur ein schwaches Schimmern gesehen. Ein kurzer, leuchtender Schein zweier Mädchen, durchsichtig, mehr Fata Morgana als Realität. Der Vampir trat zum Werwolf, seine Stimme klang unnachgiebig hart, als er meinte: „Du weißt was mit dir passiert, wenn Mars erfährt, dass du Zweifel geäußert hast.“ Der Werwolf erwiderte ein Knurren, die Blicke die sie austauschten luden sich immer weiter auf. Und plötzlich schlug der Vampir ihm den Kopf ab. Laura versuchte das Kreischen mit ihrer Hand einzudämmen. Beim Zurückweichen stießen die Mädchen mit dem Rücken gegen die Wand, als der Kopf zu ihnen rüber rollte und der Werwolf sie mit leblosen Augen anschaute als könne er sie sehen. Und man konnte sie sehen. „Wer seid ihr?!“, rief ein Zombie krächzend. Ein Ruck fuhr durch Laura, als Ariane sie zur Tür zog und diese öffnete. „Schnell!“ „Bleibt stehen!“, schrie jemand hinter ihnen. Sofort setzte Laura auch ihre Finsternis-Energie frei, als sie Arianes Licht bemerkte. „Hier geblieben!“ Die Unterweltler eilten ihnen hinterher aus der Küche. Laura traute sich gar nicht zurück zu schauen, wollte gar nicht wissen, ob sie wirklich verfolgt wurden. Sie konzentrierte sich angestrengt auf ihre Energie, musste die Augen zusammenkneifen, um sich von ihrer Umgebung nicht zu sehr abzulenken. Sie machte sich keine Gedanken darüber, worauf und auf welche Hindernisse Ariane achten musste, während sie sie durch den großen Speisesaal des Unterweltschlosses zerrte. Sie ließ sich einfach blind von ihr leiten. Bloß nicht ablenken lassen. Plötzlich stieß Laura gegen etwas Großes, Weiches, was einen überraschten Laut von sich gab. „Was war das?“ Dieses Mal konnte sie den Schleier aufrechterhalten. Als Laura es endlich wieder wagte die Augen zu öffnen, hatten sie gerade erst den Ausgang des riesigen Raumes erreicht. „Leute, wir brauchen eure Hilfe!!! Da sind-“ Gerade als Laura und Ariane um die Ecke nach außen preschen wollten, stießen sie mit voller Wucht gegen einen Zombie. Ein Schmerzenslaut drang aus Lauras Kehle, als sie zu Boden stürzte und dabei den Griff um Arianes Hand verlor. „Da sind sie! Schnappt sie euch!!!“, hallte die Stimme des Vampirs durch den Raum. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Stolpernd mühte sich Laura auf die Beine, wurde teils von Ariane hochgezerrt. „Lasst sie nicht entkommen!“ Sofort wurde eine Flut an Magieangriffen auf sie losgelassen, die Laura mit einer Barriere aus Finsternis absorbierte. Die zweite Welle traf auf eine weiße Wand, welche alle Angriffe zurückschleuderte. Aus dem ganzen Durcheinander konnten nur Schmerzensschreie und Jaulen herausgehört werden, als Laura und Ariane ihnen bereits den Rücken zukehrten und den Gang runter rannten. Wieder nahmen sie sich an den Händen und setzten sie ihre Energien frei, um unsichtbar zu werden. Die Angst entdeckt zu werden war zu groß. Und wuchs ins erneut ins Unermessliche, als sich nach einer geraumen Weile vor ihnen Kampfgeräusche breitmachten. Verunsichert blieb Laura stehen, der Schock der letzten Minuten saß immer noch tief in ihren Knochen. Doch Ariane zog sie weiter. „Komm, wenn es einen Kampf gibt heißt das, dass eine Seite auf unserer sein muss!“ Als auch Laura dies verstand, beschleunigte sie ebenfalls ihre Schritte. Wagte sich, einen Funken Hoffnung zu erlauben. Vielleicht waren das ja Carsten und Eagle, oder Ninie und- Erschrocken warfen sich die Mädchen zu Boden, als ein Angriffszauber sie fast erwischt hätte. Vermutlich ein Querschläger. Schnell ließen sie ihre Energien verschwinden, bevor jemand aus ihrer Gruppe sie versehentlich verletzte. Schwer atmend blickte Laura auf, suchte zwischen den ganzen Unterweltlern nach irgendeinem vertrauten Gesicht. Doch was sie bekam, war eine vertraute Stimme. „Laura?“ Erschrocken wandte sich um, stieß beim Zurückweichen gegen die Wand. Er kam zu ihnen rüber, blockte fast schon nebensächlich einen Angriff und brachte den Vampir zu Fall, der glaubte das Überraschungsmoment nutzen zu können. Sowohl im blutroten als auch im nachtschwarzen Auge konnte sie deutliche Verwunderung sehen als Benni fragte: „Was macht ihr hier?“ Weder von Laura noch von Ariane bekam er eine Antwort, sie beide konnten ihn nur entgeistert anstarren. Irgendetwas an ihm wirkte anders, doch Laura vermochte nicht zu sagen, was es war. Denn es war Benni. Viel zu sehr ergriff diese Gewissheit von ihr besitz. Das war Benni! Nicht Mars, der seinen Körper kontrollierte. Nicht ein Gestaltwandler, der ihn nachzuahmen versuchte. Nein, das war ihr Benni, den sie so lange nicht mehr gesehen und so sehnlichst vermisst hatte. Den sie so sehr liebte. Tränen schossen in Lauras Augen, als sie sich mehr und mehr dessen bewusst wurde. Als sie stärker und stärker realisierte, dass sie ihn wiederhatte. Dass er endlich wieder bei ihr war. Endlich wieder. Benni rief irgendjemandem in dem Chaos des Kampfes etwas auf Japanisch zu, was Laura noch nicht einmal wahrnahm. Dann wandte er sich wieder an die beiden. „Los kommt, hier ist es zu gefährlich.“ Ohne es weiter zu hinterfragen, folgte Laura ihm um die nächstbeste Ecke, weg vom Kampf. Ebenso Ariane, wenn auch begleitet von deutlichem Zögern und Misstrauen. Als sie in Deckung waren, wandte sich Benni wieder ihnen zu. „Wieso seid ihr hier, ihr solltet-“ Laura konnte die Tränen nicht länger unterdrücken. Sie überraschte Benni wohl so sehr mit ihrer Umarmung, dass er etwas zurückstolperte, während Laura schluchzend irgendwelche unverständlichen Dinge von sich gab, nur weil sie ihm irgendwie mitteilen wollte wie sehr er ihr gefehlt hatte. Benni schien zu realisieren, dass er vorerst wohl keine Antworten bekommen würde. Laura merkte, wie er kurz zögerte. Und dann endlich, endlich, erwiderte er die Umarmung. Ihr Griff wurde fester, das Schluchzen stärker, als sich all die vergangenen Monate ohne ihn in Luft auflösten. Als sie plötzlich gar nicht mehr so lang erschienen, wie es Laura all die Zeit vorgekommen war. Fast so, wie als wäre Benni nur wenige Tage, höchstens ein paar Wochen weg gewesen. Und jetzt war er wieder da. Jetzt war er endlich wieder bei ihr, hielt sie endlich wieder seinen Armen. „Laura…“, setzte Benni an. Er hatte so eine schöne, sanfte Stimme. Die Freude darüber sie endlich wieder hören zu können sorgte nur dafür, dass noch weitere Tränen aus ihr heraussprudelten. „Du bist eiskalt, was ist passiert?“, fragte er ruhig. Laura schaffte es nicht zu antworten. Bei der Erinnerung an diesen unheimlichen Ort fröstelte es sie umso mehr, und doch wirkte es halb so schlimm. Schließlich war Benni wieder da. Da sie selbst bei der ganzen Flut an Emotionen es nicht schaffte zu antworten, übernahm schließlich Ariane das Wort. „Wir… wir sind im Tiefkühlraum der Kantine gewesen…“ Man merkte, wie Benni die beiden im Stillen fragte wie sie da bitteschön landen konnten. Doch statt diese Frage auszusprechen, spürte Laura wie er ihr durch die Haare strich und Feuer-Energie freisetzte. Sofort wurde ihr deutlich wärmer und auch in ihrem Inneren schwand die Kälte und ein wohliges Gefühl der Geborgenheit breitete sich aus. So angenehm, dass alle Anspannung von ihr abfiel und sie hier und jetzt in Bennis Armen einschlafen könnte. Sie merkte, wie Benni auch Ariane mit der Feuer-Energie aufwärmte, die ebenso am ganzen Leib geschlottert hatte. Hinter ihnen zischte ein Angriff vorbei, sodass Laura erschrocken zusammenzuckte. Benni führte sie noch mehr Meter vom Kampf weg um die nächste Ecke, wobei Laura seine Fähigkeit zu Laufen etwas behinderte, weil sie ihn einfach nicht loslassen konnte und wollte. Als er sie in Sicherheit wog, setzte sich Benni auf den Boden und lehnte sich gegen die Wand, wo er die Arme um Laura legte. Während diese sich nach wie vor an ihn klammerte und einfach nur seine Anwesenheit in sich aufsog. Immer noch am Verarbeiten, dass er endlich wieder bei ihr war. Benni wandte sich an Ariane. „Was ist vorgefallen?“ „Woher wissen wir, dass es wirklich du bist?“ Zwar konnte Laura Arianes kritischen Ton deutlich heraushören, doch sie war immer noch viel zu sehr damit beschäftigt, sich an Benni zu kuscheln, um sich darüber jetzt aufregen zu wollen. Benni seufzte. „Soll ich jetzt alle Kindheitshelden durchgehen?“ Ariane lachte auf und setzte sich ihm gegenüber. „Nicht nötig.“ Während Laura weiterhin ihr Gesicht in Bennis Brust vergrub und sich ganz langsam wieder beruhigen konnte, erklärte Ariane ihm die gesamte Situation. Der Kampflärm war weiterhin im Hintergrund zu hören, bis Ariane schloss mit: „Aber wir hätten nicht gedacht, ausgerechnet dich hier zu treffen.“ „Als Jack meinte ihr wollt zu Mars, haben wir hier oben versucht die Aufmerksamkeit auf uns zu richten und für eine Ablenkung zu sorgen, damit euer Weg frei ist.“ Bennis Griff um Lauras Schultern verstärkte sich. „Aber mit diesem Gestaltwandler hatte offensichtlich keiner gerechnet.“ „Ich hoffe, die anderen sind okay…“ Ariane seufzte, doch als sie aufblickte, lächelte sie Benni an. „Aber ich bin froh, dass es immerhin dir gut geht.“ Sie wollte ihm auf die Schulter klopfen, musste aber mit Schreck feststellen, dass ihre Hand durch seinen Körper hindurchglitt wie durch Luft. „Was zum-!“ Schockiert wich Ariane zurück. Auch Laura blickte verwirrt auf. Hä? Sie konnte Benni doch berühren also was… „Weil es nicht mein Körper ist.“, erklärte er, was die Verwirrung der Mädchen nicht minderte. „Im Prinzip musste ich mich davon lösen, um euch helfen zu können.“ Das half ihnen auch nicht, die Sache besser zu verstehen. Da sagte eine weibliche Stimme plötzlich: „Ihr müsst seinen Geist, also die Seele berühren wollen. Nicht den Körper.“ Umso irritierter blickten sie auf, in die grauen Augen einer jungen Frau, deren Lippen sich zu einem Lächeln formten als sie ergänzte: „Deshalb ist es Laura direkt gelungen, dir aber nicht, Ariane.“ „M-moment…“ Die Rädchen in Lauras Kopf drehten sich, als sie die langen silbernen Haare und den roten Kimono sah. „Eufelia-Sensei?!“ Bennis und Carstens frühere Lehrmeisterin lächelte lediglich, während Laura komplett verwirrt herumdruckste. „Aber was… Wie… Wieso… Sie müssten… Und warum sehen Sie so… ähm…“ „So jung aus?“, erklang eine lachende männliche Stimme. Noch verwirrter bemerkte Laura den jungen Mann mit den weinroten, längeren Haaren, der sich ebenfalls zu ihnen gesellte. Der Kampflärm schien inzwischen verklungen. „Wir können unser Aussehen, also das Alter, zwar mit unserer Willenskraft beeinflussen aber für gewöhnlich nehmen Geister jene Gestalt an, in welcher sie am meisten geprägt wurden. An unseren Kampf gegen Mars kommt da natürlich nichts so leicht heran, weshalb wir deutlich jünger aussehen als zum Zeitpunkt unseres Todes.“, erklärte er. Lauras Gedanken überschlugen sich noch mehr. Könnte es sein, dass… War das vielleicht… Leonhard? Der Leonhard? Erneut lachte er auf und schaute Benni an. „Das ist deine Freundin? Was für eine Süße! Eufelia hat recht, ihr passt wirklich gut zusammen.“ Lauras Kopf nahm direkt einen tiefen Tomatenton an und als auch noch Eufelia mit einem verstohlenen Lächeln die Augen verdrehte, vergrub sie ihr kochendes Gesicht schnell wieder in Bennis T-Shirt. „Moment… Geister?“, fragte Ariane irritiert, die sich gedanklich noch mit anderen Dingen außer Benni beschäftigen konnte. „Wart ihr diese Stimmen, von denen Jack erzählt hatte?“ „Denkst du, wir sitzen die ganze Zeit da rum und schweigen uns an?“, hörte Laura eine weitere Person sagen. Es war seltsam, wie vertraut ihr diese Stimme erschien. Als sie irritiert wieder hochschaute, konnte sie ihren Augen kaum trauen. Laura meinte in einen Spiegel zu blicken, nur, dass ihr Gegenüber in einem eleganten grünen Kimono gekleidet war und die Haare leichte Wellen hatten. Ihr Herz zog sich zusammen. Kaum erst hatte sie die Flut an Gefühlen vom Wiedersehen mit Benni verarbeitet, schossen ihr erneut die Tränen in die Augen, als sie mit schwacher Stimme fragte: „Lu… cia?“ Lauras Zwillingsschwester lächelte lediglich traurig, als sie sich zu ihr kniete und ihr zögernd eine Hand auf die Wange legte, in der Angst Laura doch nicht berühren zu können. Doch Laura spürte diese Wärme. Eine lang vergessene Wärme, bei der sie sofort wieder in Tränen ausbrach, während Lucia sie vorsichtig in die Arme nahm. Als sie sogar noch eine Hand auf ihrer Schulter spürte, musste Laura gar nicht erst aufblicken, um zu wissen zu wem sie gehörte. Diese geballte Ladung an Gefühlen überforderte Laura vollkommen. Sie konnte nicht sagen, ob es nun absolute Glückseligkeit oder grenzenlose Trauer war, die ihr Herz schmerzen und gleichzeitig schwerelos erscheinen ließ. Ob sie nun lachen oder weinen sollte. Deshalb tat Laura beides, ließ irgendwie alle Emotionen gleichzeitig raus, während sie sich an ihre Geschwister klammerte und nach wie vor auch noch Bennis Hand auf ihrem Rücken hatte.   ~*~   Mit einem lang gezogenen Stöhnen richtete sich Lissi von diesem schäbigen Holzbett auf und streckte sich. „Ach Maaann! Wenn man sich verliert lautet die goldene Regel zwar warten bevor man dauernd aneinander vorbeirennt, aber ich will nicht mehr!“ Sie ging zu Ninie rüber, die bei der nach wie vor bewusstlosen Tatjana kniete. Die süße Blondine seufzte. „Sie wacht einfach nicht auf…“ „Nicht überraschend, schließlich hat sie uns vor dem letzten Zauber beschützt.“, entgegnete Lissi und setzte sich dazu. Janine senkte den Blick. „Ich wünschte, ich wäre besser in der defensiven Magie.“ „Man wünscht sich viel, wenn der Tag lang ist.“ „Stimmt wohl…“ Ninie seufzte. „Was denkst du, wer war sie früher?“ „Wer weiß.“, antwortete Lissi lediglich und betrachtete Tatjana. Vermutlich hatte Janine sogar insgeheim diese Vermutung. Wahrscheinlich hoffte sie, dass Lissi es bestätigen würde. Da gab Tatjana einen schwachen Laut von sich und öffnete träge die Augen. „Wo…“ „Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Janine und half ihr vorsichtig beim Aufrichten. Die Schützin betrachtete ihre Umgebung und strich sich dabei eine der blau gefärbten Strähnen hinters Ohr. „Schick hier, nicht wahr?“, kommentierte Lissi, als plötzlich ihr Handy zu vibrieren begann. Also gab es doch Empfang! Ihr Versuch Susi anzurufen war zuvor kläglich gescheitert, doch dafür hob Lissi umso begeisterter ab, als sie erkannte, dass die Nummer unterdrückt war. „Jackie-Chaaaaan! Wie geht’s dir?“ „Deutlich besser als manch‘ anderen zumindest.“, antwortete er. Seinem beschleunigten Atem nach zu urteilen war er am Rennen. „Ich beschreib dir jetzt ‘nen Weg zu dem Ort, an dem wir uns treffen werden, okay?“ „Okay.“ Schweigend lauschte Lissi seiner Wegbeschreibung, prägte sich alles so gut ein wie sie konnte. Jacks ernste aber gehetzte Stimme gefiel ihr ganz und gar nicht. Und noch weniger, dass er ausgerechnet sie anrief, um ihr einen Weg in die unteren Etagen des Schlosses zu beschreiben, wo sich die meisten jener Geheimgänge befanden. Bei seinem „Bis gleich“ hatte sich Lissi bereits aufgerichtet und Tatjana auf die Beine geholfen. „Los, wir sollten keine Zeit verlieren.“ Ohne weitere Nachfragen zu stellen folgten die beiden ihr, raus aus dem Kerker, in den mit Kerzen bestickten Gang nach links. Während Lissi sie um eine Abzweigung nach der nächsten führte, bis sie bei der ersten Treppe angekommen waren und diese heruntereilten, kam ihr der Gedanke wie gut es war, dass sie bis zu Jacks Anruf gewartet hatten. Denn Lissi hätte eher den Weg zurück gesucht, welcher vermutlich nach oben geführt hätte. „Hat er genaueres gesagt?“, erkundigte sich Tatjana. „Nein, aber ich hoffe, dass ihr wirklich so gut darin seid diese Monster zu bekämpfen, wie Florian behauptet hat.“ „Du meinst…“, setzte Janine atemlos an, als einzige Magierin kaum dazu in der Lage mit ihnen Schritt zu halten, sodass sie sie eher ausbremste. Lissi nickte. Sie und Tatjana tauschten einen kurzen Blick aus, dann blieben sie stehen. Tatjana streckte die Arme nach hinten. „Komm, ansonsten wirst du nachher viel zu erschöpft für den Kampf sein.“ Es war nicht übersehbar, wie unangenehm es Janine war, dieses Angebot anzunehmen. Als wäre es nicht genug, dass sie ohnehin schon so furchtbar schüchtern war. Dann auch noch…   „Schwester Vitoria, wie meinst du das, dass sie…“ Mit vor Entsetzen geweiteten Augen schaute Janine die Leiterin ihres ehemaligen Waisenhauses an. Die ältere Frau mit der schwarzen Kutte senkte bedrückt den Blick. „Es tut mir leid, meine Liebe. Ich weiß, all die Zeit im Glauben gelebt zu haben es wäre das Karystma gewesen und nun so etwas zu erfahren…“ Sanft legte Susi eine Hand auf die von Ninie, als sie zu zittern begann. Der Schock von der Erzählung der Schwester war ihr deutlich anzusehen, beinahe sogar spürbar. Kein Wunder, dass Jackie-Chan direkt das Waisenhaus vorgeschlagen hatte, als es darum ging Kontakt zu den Rebellen aufzunehmen. Wenn er wusste, dass sowohl ihre leibliche als auch die Ziehfamilie Rebellen gewesen sind… Aber dass diese liebe, unschuldig scheinende Nonne die Anführerin der Rebellen war, damit hätte wohl selbst er nicht gerechnet. So unter dem Deckmantel der Kirche zu agieren… Nicht schlecht Omi, nicht schlecht. „Und sie wurden wirklich alle… hingerichtet?“ Janines Frage war kaum mehr als ein Flüstern. Ihre Stimme zitterte, sie schien kurz davor in Tränen auszubrechen. „Nach unserem Kenntnisstand, leider ja.“ Sanft nahm Susi Ninie in die Arme, als sie zu schluchzen anfing.   Lissi vermied den Seitenblick zu Tatjana und lotste sie die nächste Treppe hinunter. Eigentlich war sie sich seit dem Moment sicher gewesen, als Tatjana gemeinsam mit Ria und Amarth das Zimmer betreten hatte. Das Aussehen, Gestik und Mimik und auch der Altersunterschied, alles passte perfekt. Offensichtlich hatte es neben Janine also eine weitere geschafft, das System auszutricksen und ihm zu entkommen. Kurz nach den dreien kamen auch Jackie-Chan und Amarth am vereinbarten Zielort an. Als Jack sofort und ohne Worte die Wand zum Einsturz brachte und einen dunklen, steinigen Gang freigab, wurde auch dem Rest bewusst, wie ernst die Situation tatsächlich war. So schnell wie möglich folgten sie ihm in die dunkle Höhle, welche kurz darauf nur von einem gelblichen Licht durch Janine erhellt wurde. Lissi betrachtete die unebenen steinernen Wände, die Unruhe nahm zu. Besonders, als sie meinte einen unangenehmen Geruch wahrzunehmen, der stärker und stärker wurde, je tiefer sie vordrangen. Die Angst und Sorge schnürte ihr die Kehle zu. „Jack, wer…“ Jack sagte nichts dazu, erwiderte ihren Blick nur kurz. Mehr Antwort bekam sie nicht und mehr brauchte sie auch nicht. Lissi biss die Zähne zusammen. Als sie das schwache rosa Leuchten hinter einer Ecke sah, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „SUSI!!!“, schrie sie aus voller Kehle, bekam aber nur schauerliches Gebrüll und Gekreische als Antwort, was alles andere als menschlich klang. Auch Jack fletschte die Zähne, doch bevor er etwas machen konnte hielt Amarth ihn zurück. „Spart euch eure Kräfte.“ Mit diesen Worten schickte er zuckende Magieblitze in einem dunklen blau los, die kurz darauf für Explosionen und noch mehr Gebrüll sorgten. Die Wesen hatten sie wohl nun endlich bemerkt und wenig später tauchten einige von ihnen in ihrem Sichtfeld auf. Ein Schauder überkam Lissi als sie diese eigenartigen Kreaturen erblickte, die eine Mischung aus Maulwurf und Spinne zu sein schienen. Tatjana stellte sich vor die beiden Mädchen und schoss auf die ersten, die allesamt zu Boden gingen. „Seid wachsam! Wo die sind kann das Muttertier nicht weit sein!“ „Das scheint schon besiegt.“, erwiderte Jack. „Besiegt?!“, fragte Amarth ungläubig und sprengte weitere dieser Dinger mit einer ohrenbetäubenden Magieexplosion. Auch in Tatjana und dem Rest stieg Unbehagen auf. „Ist… jemand verletzt?“ Jack biss die Zähne zusammen. Und nickte. Der Schock dieser Erkenntnis ließ ausnahmslos jeden für einen Moment erstarren. Diese ekelerregenden Monster schienen sich vielleicht sogar schon ihres Sieges sicher gewesen zu sein. Doch dann fanden sie sich in der reinsten Hölle wieder. Sowohl Amarth als auch Janine machten diesen Wesen klar, was die wahre Bedeutung von Kampfmagie war. Und die, die den Zaubern durch Glück entkamen, hatten kurz darauf schon eine Kugel im Leib. Lissis gesamter Körper war angespannt, sie ballte die zitternde Hand zur Faust, Tränen machten ihre Sicht undeutlich. Doch bevor sie in Angst und Zorn dazu kam all dies in einer Welle zu entladen, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Kaum merklich schüttelte Jack den Kopf. Obwohl das Lissi eigentlich beruhigen müsste, zog sich ihr Magen immer weiter zusammen. Selbst wenn es nicht Susi war… Es waren viele dieser Kreaturen. Extrem viele. Doch die meisten fielen den beiden Magiern zum Opfer, sodass es für Lissi und Jack unnötig war sich in Gefahr zu begeben, um sie zu unterstützen. Die Grabesstille die danach einkehrte war umso schauriger. Und als sie an den ganzen toten Körpern vorbeiliefen, die Amarth mit einem Zauber an den Rand geschoben hatte, begann Lissi automatisch zu zittern. Besonders, als ihr die glänzenden Klingen an den acht Innenbeinen dieser Biester ins Auge fielen. Als sie endlich die rosa Lichtquelle ausmachen konnten, beschleunigten sich ihre Schritte und Lissi rannte schon fast, sodass sich die schimmernde Magiewand genau dann auflöste, als sie sie erreicht hatte. „Susi!“ Ihr entwich der Atem als sie ihre Schwester sah, wie sie gekrümmt und tränenüberströmt dasaß. „Bitte nicht…“, brachte Janine schwach hervor. Innerhalb eines Wimpernschlags waren sie bei ihr. „Ich… ich habe alles versucht, wirklich!“, brachte Susanne schluchzend hervor und strich Anne einige hellbraune Strähnen aus der verschwitzten Stirn. Ihr Gesicht war gerade unter diesen Lichtverhältnissen beängstigend blass und der rasselnde Atem klang überhaupt nicht beruhigend. „Ich hatte sogar versucht, die Verletzung mit meiner Heil-Energie zu übernehmen, aber… aber irgendwie geht es nicht und…“ Bei Susannes heftigem Schluchzen brach Lissi das Herz. Vorsichtig kniete sie sich hinter ihre Zwillingsschwester und umarmte sie, während sie Annes vor Schmerz verzerrtes Gesicht wütend und unter Tränen anschaute. Du dumme Kuh, da siehst du, was du angestellt hast! Wenn dir meine Schwester schon ihr Herz schenkt, dann mach sie gefälligst auch glücklich!!! Auch Janine hatte sich zu ihnen gekniet, doch bei ihrem verzweifelten Blick stand fest, dass es tatsächlich kein Gift war, was sie neutralisieren könnte. „Das ist wie Karystma…“, erklärte Tatjana bedrückt. „Nur, dass es nach und nach den gesamten Körper zu zerstören droht und nicht nur ein spezielles Organ.“ „Aber…“, setzte Susanne schluchzend an. Ihr Körper bebte und es besserte sich auch nicht, als Janine eine Hand auf ihre Schulter legte. Auch ihr rannen die Tränen übers Gesicht. Amarth kniete sich neben Ninie. „Vielleicht verhindert der Dämon, dass du die Verletzung übernehmen kannst.“ Entgeistert schaute Susanne ihn an. „Aber wie- wieso?!“ „Sich solche Fragen bei einem Dämon zu stellen bringt dich nicht weiter.“, meinte Jack lediglich. „Antworten wird er dir eh nie.“ Vorsichtig berührte Amarth die Stelle an Annes linkem Schulterbereich, an der das Sweatshirt einen kleinen Riss hatte. Es wirkte so harmlos und doch… „Versuche es mal.“, forderte er Susanne auf, die ihm einen entgeisterten Blick zuwarf. „Was? Aber…“ „Hier ist eine Magiebarriere. Wenn wir jetzt erst versuchen einen von Mars‘ Unterweltlern zu bekommen, ist es sehr wahrscheinlich schon zu spät.“, erklärte er so ruhig, sodass man kaum glauben konnte, dass er gerade begründete, warum er sich selbst opfern sollte. „Amarth, du…“, setzte Tatjana an, wusste ihm aber auch nicht zu widersprechen. Lissi wurde das Herz schwer, als sie sah mit wie viel Zuneigung, um nicht zu sagen Liebe, diese braunen Augen Anne betrachteten. Und noch mehr, als sie bei einem leisen dryadischen Satz zu einem dunklen Blau wurden. Der Körper veränderte sich, das Gesicht wurde älter. Deutlich älter. Die pechschwarzen Haare grauten aus, ebenso der Vollbart. Nur die dunkle, ledrige Haut war noch genauso wie zuvor. „Eine neue Identität anzunehmen, um einfach mit der Vergangenheit abschließen zu können… Schön wäre es, wenn es so leicht wäre. Aber wem erzähle ich das.“ Traurig lachte er auf und wandte sich an Jack. „Danke, dass du mich mitgenommen hast, Valentin. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen.“ Bedrückt wich Jack seinem Blick aus. „Du bist nicht schuld daran, was passiert ist.“ „Ich weiß. Aber dennoch trage ich die Verantwortung dafür.“ So wie Susanne die Luft einsog, hatte auch sie nun verstanden, wer Amarth in Wahrheit war. Mit einem schwachen Lächeln schaute er sie an, welches mehr an Anne erinnerte als ihnen lieb war. „Würdest du mir diesen Gefallen tun?“ Susanne senkte den Blick, doch eigentlich stand die Antwort ohnehin schon fest. Ihre Hand bebte noch stärker als zuvor, als sie noch einmal über Annes Gesicht strich und sie dann über Amarths Herz legte. Zitternd atmete Susanne durch. Ein strahlendes rosa Leuchten blendete sie alle, sodass Lissi die Augen davor verschließen musste. Obwohl es nach wie vor diese heilende Wärme verströmte, hatte es auch gleichzeitig irgendetwas Trauriges, Endgültiges. Und hinterließ eine erdrückende Leere, als es verschwand. Lissi biss sich auf die Unterlippe, kämpfte erfolglos gegen die Tränen an und doch gelang es ihr deutlich besser als Janine oder gar Susanne selbst, die ihre Hand sinken ließ und sich schluchzend über Anne beugte. „Danke…“, brachte sie schwach über die Lippen. „Ich habe zu danken.“ Amarth wuschelte ihr über den Kopf und strich Anne nach einem kurzen Zögern über die Wange. Ein letztes Mal betrachtete er seine Tochter, ehe er sich aufrichtete und an Jack wandte. „Die Unterweltportale funktionieren trotz Magiesperre, oder?“ Jack brachte lediglich ein Nicken zustande, musste selbst gegen seine Gefühle ankämpfen. Amarth seufzte. „Mars scheint uns zuvorgekommen zu sein und hat das bewölkte Wetter genutzt, um einige seiner Unterweltler-Legionen früher loszuschicken. Kannst du mich an einen Ort in der Nähe von Desserts Hauptstadt bringen? Ich möchte meinem Volk zumindest ein bisschen Beistand leisten.“ Schwach lächelte er. „Es kann ja nicht sein, dass in so einer Situation niemand aus dem Königshaus dort anwesend ist.“ Wieder nickte Jack. Der orangene Stein an seinem Ring leuchtete kurz auf, als das schwarz-orange lodernde Portal ihm den Weg öffnete. „Grüß Ria von mir.“ Amarth winkte Tatjana zu, die sich schluchzend die Tränen von der Wange wischte und nickte. Noch einmal kurz schaute er zurück zu ihnen und bei seinem dankbaren, liebevollen Blick war sich Lissi ziemlich sicher, dass es das beste war, was ihre Schwester jemals für jemanden getan hatte. Obwohl es sich wie das genaue Gegenteil anfühlte. Dann wandte er sich ab und verschwand im Portal. Eine erdrückende Stille breitete sich aus als das Rauschen verschwand. Niemand wusste, was er sagen oder denken sollte. Obwohl Lissi eigentlich gar nichts mit Amarth zu tun hatte, hinterließ dieser kurze Moment eine schmerzhafte Wunde. Als sie Revue passieren ließ, wer das eigentlich war. Wie man ihn zu Beginn noch für einen furchtbaren Menschen hielt, nur um zu erfahren, wie sehr er bis zum Ende darunter gelitten hatte, dass eine überirdische Kraft sich seines Willens bemächtigt hatte. Wie er alles in Kauf genommen hatte, um irgendwie noch Buße zu tun. Und um ein letztes Mal noch seine Tochter zu sehen… „Wir sollten Carsten suchen…“, meinte Janine leise, als traue sie sich gar nicht, diese Stille zu zerstören. „Das stimmt, Anne braucht Energie um wieder auf die Beine zu kommen.“, gab Jack ihr recht und kam zögernd zu ihnen rüber. „… Darf ich?“ Stockend nickte Susanne und richtete sich etwas auf, nach wie vor am Schluchzen. Obwohl auch in Jacks Augen Tränen zu sehen waren, warf er ihr ein schiefes Lächeln zu. „Tu mir einen Gefallen und sag Bescheid, falls sie aufzuwachen scheint. Ansonsten hat sie schneller und mehr Energie zurückgewonnen als mir lieb ist.“ Schwach lachten die Mädchen bei dem Kopfkino auf, welches Jacks Kommentar auslöste. Während er Anne hochhob, half Lissi ihrer Schwester auf, damit sie gemeinsam diese grauenerregende Höhle endlich verlassen konnten. All die Zeit lag bedrücktes Schweigen über ihnen. Erst, als das warme Kerzenflackern den Ausgang ankündigte, wagten sie es sich ein bisschen zu entspannen.   ~*~   Beeindruckt schaute Jannik zu, wie Ria die Unterweltler ohne Schwierigkeiten einen nach dem anderen zu Fall brachte. Es scherte sie nicht, wenn die Kreaturen ihren Magieblitzen ausweichen konnten. Wenn sie ihr zu nahe kamen, wurden sie kurzer Hand mit einem Dolch und gezielten, kraftvollen Schlägen ausgeschaltet, während andere nebenbei mit weiteren Zaubern zu Fall gebracht wurden. Alles gleichzeitig, Magie und Kampfkunst in einem. Fast so als hätte sie die Fähigkeiten von Vater und Mutter geerbt. Als sie die Welle an Unterweltlern besiegt hatte, fuhr sich Jannik durch die rot gefärbten Haare und seufzte, beeindruckt und bedrückt zugleich. „Entschuldige, dass ich keine Hilfe sein kann…“ Ria zuckte mit den Schultern. „Alles gut, du stehst ja nicht im Weg rum.“ Jannik lachte auf bei diesem Kommentar, der irgendwie nach einem Mix aus Jack und Anne klang. Sie setzten ihren Weg durch die mit Kerzen beleuchteten Gänge fort, auf der Suche nach dem Rest. Ria warf ihm einen fragenden Seitenblick zu. „Ich habe gehört, dein Vater war der vorige Besitzer des Schwarzen Löwen. Bist du deshalb nicht auf die Coeur-Academy gegangen?“ Gedrückt nickte er. „Ich hatte ihn damals kämpfen sehen und… Nun ja, es ist schwer, nicht an ihn zu denken, wenn ich die ganze Zeit von Leuten mit solchen Fähigkeiten umgeben bin. Und seien es nur antik Begabte.“ „Verstehe… Dann muss das alles hier sicherlich auch schwer für dich sein.“ Jannik fuhr sich über den Haaransatz, versuchte sich halbwegs zusammenzureißen als die Erinnerungen an seinen Vater mehr und mehr hängenblieben. „Eigentlich geht es… Auch wenn ich es nicht gedacht hätte. Ich… irgendwie bin ich froh in gewissem Sinne in seine Fußstapfen treten zu können. Selbst einen Teil zu dem beitragen zu können, wofür auch er damals gekämpft hatte.“ Ria lächelte, erwiderte sonst aber nichts darauf. „Und du? Warum bist du hier?“, fragte Jannik, hielt aber im nächsten Moment erschrocken inne. „Entschuldige, ihr meintet ja wir sollten nicht fragen. Bitte vergiss das einfach.“ Schwach lachte Ria auf und erwiderte Janniks Blick mit ihren giftgrünen Augen. „Aus einem ähnlichen Grund wie du, schätze ich. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, in der Hoffnung, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Dass nicht noch mehr von uns darunter leiden müssen…“ Er schaffte es lediglich ein Nicken darauf zu erwidern. Jannik würde nur zu gerne wissen, warum sich Ria dazu entschlossen hatte im zerstörten Gebiet zu bleiben und warum der Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen war… Wie hatte es nur so weit kommen können? Was war der Auslöser gewesen? Gab es einen Streit? Doch Jannik hielt sich mit Fragen zurück. Wenn sie schon beschlossen hatte ihre alte Identität abzulegen… Als sie um eine weitere Ecke bogen, bot sich ihnen ein ungewöhnlicher Anblick. Einige Unterweltler, doch sie alle lagen besiegt auf dem Boden, die Kleidung war leicht angesengt. „Es schien wohl jemand von uns hier gewesen zu sein.“, stellte Jannik fest. Ria ging zu dem nächstliegenden Vampir und betrachtete ihn kritisch. „Den Verletzungen nach zu urteilen einer der Magier.“ Hastig folgten sie der Spur aus Unterweltlern, bis sie bei einer Treppe ankamen. Dort häufte sich mit einem Schlag die Anzahl und bei dem unangenehmen Geruch mussten sie gezwungener Maßen feststellen, dass die meisten wohl durch Feuermagie zu Tode gekommen waren. Das oder… „Das solltest du lieber lassen, wenn dir dein Leben lieb ist!“ Erschrocken blickte Jannik bei Rias plötzlichem Ruf auf. Und da erkannte er die Ursache. Ein eisiger Schauer überkam ihm, als er den Vampir sah, der sich zähnefletschend zu ihnen umdrehte. Die Augen leuchteten rot, dunkles Blut tropfte von seinem Kinn auf das ebenso rote Oberteil seines Opfers, als er Öznur losließ, welche bewusstlos zu Boden kippte. Während Jannik all dies überhaupt erst wahrnehmen konnte, hatte Ria bereits einen Angriffszauber gestartet und sprang mit den Fähigkeiten einer Kampfkünstlerin die gesamte Treppe runter. Der Vampir blockte die Feuermagie, war jedoch nicht darauf vorbereitet, dass seine Gegnerin direkt danach aus dem Rauch auftauchte und ihm gezielt ihren Dolch in die Brust rammte. Sofort war er besiegt. Achtlos stieß Ria ihn mehrere Meter zur Seite und beugte sich zu Öznur runter, um ihren Atem zu prüfen, während Jannik endlich dazu kam ihr zu folgen. „Sie lebt noch.“, antwortete sie, bevor er seine Frage überhaupt stellen konnte. Erleichtert atmete Jannik auf und beobachtete fasziniert, wie Ria die Hand ausstreckte. Eine rote Aura umgab ihren Körper wie loderndes Feuer und er konnte spüren, wie sich die Energie auf Öznur übertrug. „Özi!“ Bei der besorgten Stimme schauten beide auf. Im nächsten Moment kam Eagle um die Ecke gerannt. Schwer atmend blieb er stehen, brauchte aber nicht lange um zu realisieren, dass die Feuer-Energie welche er gespürt hatte nicht von seiner Freundin gekommen war. Mitfühlend beobachtete Jannik, wie diese Erkenntnis in Eagles Blick deutlich sichtbar wurde, als Entsetzen und Angst ihn überkamen. Sofort war er bei ihnen. „Was ist passiert?! Warum ist sie-“ Seine Stimme überschlug sich fast vor Sorge, als er Öznur die blutverschmierten Haare aus dem Gesicht strich und dabei auch Bissspuren am Hals freigelegt wurden. „Sie hatte wohl nicht alle ihre Gegner besiegen können.“, antwortete Ria und schaute sich um. „Oder sagen wir alle bis auf einen.“ Eagle stieß einen Fluch aus und rüttelte vorsichtig an Öznurs Schulter. Doch weder das noch seine Stimme konnte sie wecken. „Lass mich mal machen.“, wies Ria ihn an und sprach einen Zauber. Mit einem roten Leuchten verschwand das Blut, doch selbst als nur noch die Verletzungen übrigblieben, war der Anblick schauerlich. Über ihrem rechten Auge befand sich eine nach wie vor blutende Wunde, aus der Ria sogar einen Glassplitter mit Magie herausholte. Als sich Jannik umschaute, fiel ihm ein Glänzen auf. Er ging zu dem kleinen Gegenstand und hob ihn neugierig auf. Es handelte sich um eine zerbrochene Brille mit rotem Gestell. „… Packt sie es?“, fragte Eagle, das Zittern seiner Stimme war nicht zu überhören. Es gefiel Jannik gar nicht, wie Ria bei ihrer Antwort zögerte. „Sie hat ziemlich viel Blut verloren…“ Verbissen richtete sie sich auf und nahm die Brille entgegen. Mit einem einzigen Zauberspruch sammelten sich alle Splitter und setzten sich wie bei einem Puzzle zusammen. Die Brille schien wie neu, als Ria sie Jannik zur Aufbewahrung zurückgab. „Wir sollten schnell nach Konrad suchen.“ Verbissen nickte Eagle und schob die Arme unter Öznurs leblos erscheinenden Körper, um sie so behutsam und vorsichtig wie möglich hochzuheben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)