Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 99: Schuld ------------------ Schuld       Nach und nach bildete sich eine Masche nach der anderen, doch so schnell wie sonst war Janine nicht. Eigentlich hatte sie gehofft durch das Stricken wie sonst auch den Kopf frei zu bekommen. Doch sie war viel zu sehr darauf bedacht das metallische Geräusch aufeinandertreffender Nadeln zu vermeiden, um ganz in ihrer Arbeit aufgehen zu können. Bedrückt ließ sie die Hände sinken und schaute auf, doch Jack lag nach wie vor im Bett und war seelenruhig am Schlafen. Beschämt wandte sie den Blick ab. Nach einiger Zeit im Café und unendlich vielen irritierten Blicken der indigonischen Ärzte hatte sie es dort nicht länger ausgehalten und sich stattdessen in Jacks Zimmer geflüchtet. Dort blieb sie zwar ungesehen, kam sich dafür jedoch selbst wie ein unheimlicher Stalker vor. Verunsichert schaute Janine zur Tür und zog es in Erwägung, ihn lieber in Ruhe zu lassen. Doch wo sie dann hinsollte, wusste sie noch weniger. Zumindest, wenn sie in der Nähe bleiben wollte… Mit einem bedrückten Seufzen wandte sich Janine wieder ihrer Handarbeit zu. Ohne es zu merken begann sie die Melodie jenes Liedes zu summen, welche sie seit ihrem Gespräch mit Carsten nicht mehr aus dem Kopf bekam.   Als sie sich auf dem Rückweg zum Krankenhaus befanden, konnte sich Janine das Lachen nicht verkneifen. „Du machst es schon wieder!“ Carsten betrachtete sie verwirrt. „Was?“ „Das Lied summen!“ „… Echt?“ Janine kicherte. „Wenn ich jetzt einen Ohrwurm bekomme, bist du daran schuld.“ „Hey, ich kann nichts dafür!“, empörte er sich, musste aber selbst lachen. Seufzend verstärkte Janine ihren Griff um die Kekse etwas. Sie spürte Carstens mitfühlenden Blick auf sich ruhen. „Aufgeregt?“ „Na ja…“ Bedrückt schaute sie auf den Weg, den sie entlanggingen. „Wie würdest du dich fühlen, wenn du… nach allem…“ Es dauerte eine Weile, bis Carsten schließlich meinte: „Ich finde das eine schöne Geste. Was du vorhast. Und Jack wird sie ganz sicher auch zu schätzen wissen.“ „Trotzdem…“ „Was hat dich eigentlich dazu bewogen?“, fragte er. „Das war nicht erst durch Herr Bôss‘ Erzählung, oder?“ „Nein…“ Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in ihrem Magen aus, als sie sich daran erinnerte, was der Direktor ihnen anvertraut hatte. Und an die anderen vergangenen Geschehnisse… „Ich… Es… ist schwer zu beschreiben.“ Weitere Nachfragen stellte Carsten nicht mehr. Insgesamt war Janine überrascht und zugleich auch beeindruckt, wie er ihr einfach so seine Hilfe zugesagt hatte, ohne überhaupt zu wissen, was sie von ihm wollte. Er hatte ihr einfach vertraut. Was keine Selbstverständlichkeit war, besonders in Anbetracht der jüngsten Ereignisse. Genaugenommen seit… Ein Schaudern fuhr durch Janine, als sie sich an Jacks Schmerzensschreie erinnerte. Sie schüttelte sich. Doch den Schock, das Entsetzen über sich selbst, zu was sie fähig war, wurde sie nicht so einfach los. „Alles okay?“, erkundigte sich Carsten besorgt. Sie blickte hoch, in seine magischen lila Augen, die dieses für Carsten typische Leuchten hatten. Diese Freundlichkeit, um nicht zu sagen Nächstenliebe. Und auch dieses Mitgefühl. Sein Blick war so anders im Vergleich zu dem kalten, damals auf der Lichtung des Westwaldes. Diese unerbittliche Strenge, in der auch ein Hauch Enttäuschung gelegen hatte. Alleine die Erinnerung an diesen Blick sorgte für ein Unwohlsein. Schnell wandte sie sich ab, damit Carsten die Tränen nicht sehen konnte, die sich in ihren Augen sammelten. Doch selbstverständlich bemerkte er es trotzdem. „… Janine?“ „Ich… es… es tut mir leid…“, brachte sie schwach hervor. Womit sie ihn natürlich verwirrte. „Es gibt keinen Grund, sich bei mir zu entschuldigen.“ „Doch, den gibt es… Denkst du wirklich, es ist mir nicht aufgefallen? Dass du seitdem versucht hast zu vermeiden, auch nur ein Wort mit mir zu reden?“ Genau genommen hatte es nur eine einzige Situation gegeben, in der Carsten Janine von sich aus angesprochen hatte. Und da blieb ihm keine andere Wahl, schließlich hing in dem Moment nichts Geringeres als Arianes Leben davon ab. Dieses Mal war es Carsten, der den Blick abwandte. Vermutlich war er ihr unbewusst all die Zeit so gut wie möglich aus dem Weg gegangen, doch abstreiten konnte er es trotzdem nicht. „Entschuldige…“ „Nein Carsten, nicht du musst dich entschuldigen, sondern ich mich bei dir.“, sagte sie, bestimmt und bedrückt zugleich. „All die Zeit hast du dich in Jack hineinversetzen können und hast im Prinzip immer mit ihm mitgefühlt. Alles Negative, was wir über ihn gesagt haben… Jeder Hass, der gegen ihn gerichtet war… Das alles hast du indirekt mit abbekommen.“ Als Carsten nichts darauf erwiderte, meinte Janine noch: „Wirklich Carsten, es tut mir so leid…“ „Ich weiß doch.“ Seufzend überwand er sich endlich dazu, ihr in die Augen zu schauen, mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen. „Wieder Freunde?“ Janine wusste nicht, ob es die Frage oder sein liebevoller Blick war, was dafür sorgte, dass sie in Tränen ausbrach. Schluchzend warf sie sich in seine Arme.   Janines Summen wurde jäh unterbrochen, als sie ein schwaches Geräusch hörte. Erschrocken schaute sie auf und merkte, wie Jack sich etwas im Bett herumdrehte. Panik stieg in ihr hoch, sie warf einen Blick auf die Tür. Sie hätte doch im Café warten sollen! Was würde er nur von ihr denken?! Vielleicht konnte sie ja noch schnell- „… Janine?“ Die verschlafene Stimme ließ sie zusammenzucken. Zu spät. „Guten Morgen…“ Sie wagte sich zu einem Lächeln, während Jack gähnte und immer noch am Aufwachen war. Er wollte sich aufrichten, stützte sich dabei auf seinem linken Arm ab. Plötzlich zuckte er zusammen. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Janine und legte das Strickzeug zur Seite. Immer noch schlaftrunken doch zugleich auch verwirrt, setzte Jack sich auf und bewegte probehalber die linke Schulter. Aber der erwartete Schmerz blieb aus. Auch von der tiefen Schnittwunde des Werwolfs war keine Spur mehr zu sehen und es musste wohl nicht erwähnt werden, dass ebenso die restlichen Verletzungen komplett verschwunden waren. Die Überraschung zeichnete sich auf seinen Gesichtszügen ab, als auch er dies realisierte. Erschrocken schaute er Janine an, mit einem Schlag hellwach. „Wie lange hab‘ ich…?“ „Alles ist gut, du hast vielleicht so sechs Stunden geschlafen.“, antwortete sie beruhigend. Erleichtert atmete Jack auf. Anscheinend hatte er eher mit mehreren Tagen gerechnet, vielleicht sogar einigen Wochen. Und doch schien ihn ihre Aussage nicht gänzlich zufrieden zu stellen. Wieder bewegte Jack die linke Schulter. „Dämonenverbundene haben doch nicht ernsthaft so gute Regenerationsfähigkeiten, oder?“ „Nein, also…“, setzte Janine an, wusste aber nicht, wie sie es ihm am besten erklären sollte. „Das… war Heil-Energie.“ „Was?“ Der Ton von Jacks Stimme klang so ungläubig, als wäre es das letzte, was er erwartet hätte. Nervös zwirbelte Janine eine Haarsträhne. „Na ja… Susi war der Meinung, dass du schon genug gelitten hast.“ Er hob eine Augenbraue, nach wie vor kritisch. „Also… unter den Verletzungen, meine ich.“, ergänzte sie. „Immerhin haben sie dich sogar schon mehrmals in Lebensgefahr gebracht und- und da meinte Susanne, es wäre besser, wenn du für das Kommende auf deine volle Stärke zurückgreifen kannst. Daher hat sie beschlossen dich zu heilen.“ Geräuschvoll atmete Jack aus. „Janine, verarsch mich nicht. Ich weiß, wie Susannes Heil-Energie funktioniert.“ „Ist das so abwegig für dich?“ Sie strich sich die Strähne hinters Ohr, an der sie zuvor nervös herumgespielt hatte. Er erwiderte nichts darauf. Stattdessen tastete er seinen rechten Unterarm ab, als müsste er den Knochenbruch suchen, der sich zuvor irgendwo dort befunden hatte. Nachdem er feststellen musste, dass dies ohne Erfolg blieb, schlug Jack die Decke zur Seite und stand auf. Doch entgegen seiner Erwartungen war das Belasten der Beine nicht schmerzhaft. Schließlich erwiderte er Janines Blick, immer noch lag Unglauben in seinen Augen. Traurig lächelte sie. „Ist es wirklich so schwer vorstellbar, dass wir dir helfen möchten?“ Jack schien nichts darauf antworten zu können und doch war dies zugleich Antwort genug. Er sah sich nicht als jemand, dem man helfen wollte. Und noch weniger sah er sich als Teil ihrer Gruppe. Irgendwie war das traurig… Seufzend setzte er sich auf die Bettkante, die Arme auf den Oberschenkeln abgestützt. „Jack…“ Zögernd richtete Janine sich auf und ging einen Schritt auf ihn zu. Doch Jack reagierte nicht auf sie. Eher schien er in seiner Gedankenwelt verloren, so wie er geistlos mit dem Portalring an seiner rechten Hand spielte. „Nur Susanne?“, fragte er schließlich. Nach einigem Zögern schüttelte Janine den Kopf. Obwohl er diese Geste nicht gesehen hatte, hatte er sie irgendwie mitbekommen. Zumindest merkte sie direkt, wie sich seine Hände anspannten. Durch die Aufregung beschleunigte sich Janines Herzschlag. Dennoch überwand sie sich dazu, die paar Meter zwischen ihnen zu überbrücken und setzte sich vorsichtig neben ihn aufs Bett. Er reagierte wieder nicht darauf, doch auch Janine wusste nicht, was sie sagen sollte. Irgendwie schienen jegliche Worte überflüssig. Weiterhin in Schweigen gehüllt betrachtete sie Jack. Lissi hatte schon recht, seine grünen Augen waren wirklich wunderschön. Und erst aus der Nähe sah man die schwachen Sommersprossen, die seine Nase zierten. Man konnte Jack mit dem hübschen Gesicht und dem athletischen Körper durchaus als attraktiv bezeichnen und doch war er irgendwie zur selben Zeit auch süß, was man bei der Frisur und den Piercings eigentlich nicht erwarten würde. Dennoch war sein Blick getrübt, mit den Gedanken woanders. Vermutlich in der Vergangenheit. Vermutlich an jenem Ort, den er vor wenigen Stunden erst zunichte gemacht hatte. Janine wurde das Herz schwer. Sie wollte ihn nicht so sehen, mit diesem traurigen, hoffnungslosen Blick. Sie wollte ihn irgendwie da rausholen. Zögernd streckte sie die Hand nach ihm aus, hielt aber in der Bewegung inne. Nach alldem, was man ihm angetan hatte… Wollte er da überhaupt, dass man ihn berührte? Oder würde es die Sache gar noch schlimmer machen? Immerhin hatte es auch Lissi vermieden, ihm bei seiner Panikattacke zu nahe zu kommen… ‚Weil er ziemlich viel Wert auf seinen persönlichen Freiraum legt.‘ Betreten zog Janine ihre Hand zurück. „Er hat es euch erzählt, nicht wahr?“, fragte Jack mit tiefer und doch tonloser Stimme in das Schweigen hinein. Ohne es zu wollen erinnerte sich Janine an das, was Herr Bôss ihnen berichtet hatte. Daran, wie Jack dort behandelt worden ist, so viele lange Jahre… Sie erinnerte sich an den kleinen Jungen mit den grünen leblosen Augen, den sie in dieser Art Illusion gesehen hatte… Janine presste die Lippen zusammen und zwang sich zu einem Nicken. „Als Dämonenverbundene fallen wir in Terra im Prinzip immer noch in eine Grauzone, weshalb das Schweigegelübde…“ „Stimmt. Gar nicht mal so blöd.“, stellte Jack fest. Bedrückt senkte Janine den Blick. „Tut mir leid… Es wäre dir vermutlich lieber, wenn wir nichts davon wüssten…“ „Ließ sich wohl kaum vermeiden.“ „Aber…“ Sie wusste nichts darauf zu erwidern. Das Bild dieses unheimlichen Mannes tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Groß, mächtig, bedrohlich. Ihr Puls beschleunigte sich, ihr Atem wurde flacher. Und doch war dieses Grauen was sich in ihrem Inneren ausbreitete nur ein Bruchteil dessen, was Jack damals gespürt haben müsste. Ihre Panik nichts im Vergleich zu der, die ihn nach wie vor zu quälen vermochte. Als sie merkte wie Jack ihren Blick erwiderte, wollte sich Janine eigentlich abwenden. Es war ihr unangenehm, ihm in die Augen zu schauen. Diesen Widersprüchen begegnen zu müssen. Ruhig und ebenso verloren. Gebrochen aber trotzdem stark. Der Wunsch nach Nähe und zugleich die Angst davor. Und noch während dieses strahlende Grün Janine gefangen hielt, während sich nach wie vor sämtliche Gefühle in ihr bekämpften, wurde ihr bewusst, warum sie eigentlich hier war. Warum sie all die Zeit nicht wusste, wie sie ihm gegenübertreten sollte und es bei jeder Konfrontation dadurch nur noch schlimmer gemacht hatte. „Lissi hat’s doch ohnehin gewusst.“, meinte Jack plötzlich und befreite sie aus seinem Blick. „Was? Ähm… ja.“, stammelte Janine, als sie sich wieder gefasst hatte. „Sie… sie hatte trotzdem gehofft, dass ihre Vermutungen falsch sind…“ Seufzend lehnte sich Jack zurück und schaute zur Decke hoch. „Ich sollte mich wohl bei Herr Bôss bedanken, dass er mir diese komische Situation erspart hat.“ Bedrückt betrachtete sie den Boden vor ihren Füßen. „Hättest… du uns das überhaupt erzählt?“ „Was? Dass es jemanden gab, dessen größte Freude es war seine perversen Fantasien an mir auszuleben?“ Betroffen zuckte Janine zusammen. Mit so einer direkten Antwort hatte sie nicht gerechnet. „Wie kannst du so einfach darüber reden?“ Jack lachte auf. „Einfach?“ Kopfschüttelnd richtete er sich auf, ging zum Fenster und lehnte sich gegen die Wand, während er mit vor der Brust verschränkten Armen in die Ferne schaute. Doch als sie genauer hinsah fiel Janine auf, dass er seine linke Hand auf die Innenseite des rechten Unterarms gelegt hatte. Die Stelle, wo… „Weil es ein Teil von mir ist.“, antwortete er schließlich. „Ob es mir gefällt oder nicht, ich muss es akzeptieren und lernen als Teil meines Lebens anzuerkennen. Andernfalls…“ Er zuckte mit den Schultern. „Einfach ist daran gar nichts.“ „Trotzdem ist es beeindruckend…“, meinte Janine nur und rief sich schweren Herzens ins Gedächtnis, dass es noch viel mehr gab, was Jack als Teil seines Lebens anerkennen musste. „Hat auch lang genug gedauert.“ „… Wie lange denn?“ „Um die drei Jahre etwa? Wobei viele der Erinnerungen ziemlich verschwommen sind.“ Nach einem kurzen Zögern fügte er hinzu: „Zumindest, bis ich aus dem Gröbsten raus war.“ Janine schluckte schwer. Ein imaginärer Windzug ließ sie frieren als sie realisierte, dass Jack eigentlich kaum die Möglichkeit hatte, das Leben welches er bisher hatte auch wirklich zu genießen. Sein Vater, das FESJ und alles, was damit zusammenhing, und schließlich wurde seine Mutter auch noch vor seinen Augen umgebracht… Er war noch keine 15 und hatte schon mehr durchmachen müssen, als andere in ihrem gesamten Leben. Hatte zu dem Zeitpunkt schon gegen die Folgen von all dem kämpfen müssen. Musste es immer noch… Eine unsichtbare Kraft quetschte ihr Herz zusammen. Tränen sammelten sich in ihren Augen, als Janine zitternd meinte: „Es tut mir leid…“ „Ich will kein Mitleid.“, erwiderte Jack kopfschüttelnd und wandte sich zu ihr um. Bedrückt lächelte sie. „Ich weiß.“ Sie wies auf den Nachttisch. Es war deutlich sichtbar, dass Jack erst jetzt die Packung bemerkte, die darauf lag. „Kekse!“ Janine unterdrückte ein Kichern, als sie die Begeisterung in seiner Stimme hörte und sah, wie seine Augen zu leuchten anfingen. Wer hätte gedacht, dass er so süß sein könnte… Mit einem Schlag deutlich besser gelaunt kam Jack zum Bett zurück und setzte sich neben sie, um die Kekspackung zu öffnen und sich einen herauszunehmen. Vorm Abbeißen hielt er jedoch inne. „Die sind aber nicht vergiftet, oder?“ Sie konnte nicht heraushören, wie ernst er das tatsächlich gemeint hatte. Doch obwohl dieser Kommentar Janine härter traf als gedacht, musste sie bei seinem kritischen Tonfall auflachen. Verschämt strich sie sich eine Strähne hinters Ohr. „Nein, sind sie nicht.“ Nach einem kurzen Zögern hielt Jack ihr plötzlich die Kekspackung hin. Verwirrt schaute sie ihn an, verstand nicht, was er mit dieser Geste meinte. Jack zuckte mit den Schultern. „Dich vorkosten zu lassen bringt eh nichts. Aber wenn du magst, nimm dir ruhig.“ Schwach lächelte Janine, holte sich schließlich einen Keks heraus und biss ab. Sie waren wirklich lecker! Auf Bennis Meinung konnte man sich einfach immer verlassen. Aus den Augenwinkeln merkte sie, wie Jack selbst den Keks in seiner Hand lediglich betrachtete. Dabei hatte sie eigentlich damit gerechnet und insgeheim auch gehofft, dass er sich sofort über die ganze Packung hermachen würde. „Warum?“, fragte er schließlich. „Na ja, weil…“ Vor Aufregung und Sorge schaffte es Janine kaum, den Bissen herunterzuschlucken. „Ich… wollte mich bei dir entschuldigen.“ Das erdrückende Gefühl in ihrem Brustkorb wurde nicht weniger. Eher das Gegenteil war der Fall, als sie Jack schließlich in die Augen schaute. Die Distanz und Zweifel sah, die darin lagen. Sie wollte das nicht… Sie wollte nicht, dass er sie so skeptisch anschaute, so kalt und unnahbar. Und doch schaffte Janine es wieder nicht den Blick abzuwenden. Irgendetwas in diesem strahlenden Grün sorgte dafür, dass sie gänzlich versteinerte. „Entschuldigen?“ Janine nickte langsam, wie gelähmt. „Ja, wegen… Wegen dem was ich getan hatte. Auf der Lichtung. Und auch… alles andere. Was ich sagte… Ich…“ Sie versuchte so gut es ging die Tränen zurück zu halten, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie wollte stark klingen. Wollte, dass er wusste, wie ernst sie es meinte. Und doch brachte sie nur ein schwaches Flüstern zustande. „Es tut mir leid…“ Seufzend wandte Jack sich ab, betrachtete wieder den Keks in seinen Händen. Mehr Reaktion bekam sie nicht. Janine krallte sich mit den Fingern in die Bettdecke, fühlte sich vollkommen hilflos. „Es… es ist okay, wenn du mir das nicht verzeihen kannst. Ich… verstehe das…“ Trotz ihrer Mühen verlor sie allmählich die Macht über ihre Gefühle. Nach und nach rannen immer mehr Tränen über die Wangen. Die Vorstellung war schon schlimm genug gewesen. Aber es auszusprechen… Die Vermutung, dass er ihr niemals würde verzeihen können in Worte zu fassen… Janine schluchzte und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. „Ich wollte zumindest, dass du weißt wie leid es mir tut…“ Jack zuckte mit den Schultern, fast so als kämen ihre Worte nicht bei ihm an. Als wären sie bedeutungslos. „Kein Grund sich zu entschuldigen. Ich hab’s schließlich verdient.“ … Was hatte er da gesagt? „… Verdient?“ Entsetzt schaute Janine ihn an. „Jack, niemand verdient so etwas! Und… Und du erst recht nicht.“ Kopfschüttelnd richtete er sich auf und ging wieder zum Fenster. Janine schaute ihm hinterher, konnte immer noch nicht fassen, was sie da gehört hatte. Und dennoch… So langsam dämmerte es ihr. Allmählich verstand sie, was in ihm vor sich ging. Wo das Problem lag und wie tief verwurzelt es bereits war. Seine Ansichten, seine Gefühle, … Es war schon immer so gewesen, sein ganzes Leben lang. Immer hatte er nach diesem Prinzip leben müssen. Bis es ein Teil von ihm geworden ist… „Du bist nicht schuld, Jack.“ „Was?“, fragte er verwirrt, als hätte er sie nicht verstanden. „Du bist nicht schuld.“, wiederholte sie sich. Plötzlich lachte er los, fast so als hätte sie ihm irgendeinen Witz erzählt. Und doch war der verbitterte Tonfall deutlich herauszuhören als er ihren Blick erwiderte und sagte: „Muss ich dich daran erinnern, wer die ersten drei Tage nicht bei Bewusstsein war? Und wer der Hauptgrund ist, warum dieses Gesetz beinahe nicht unterzeichnet wurde? Und wer für den Zwietracht in eurer Gruppe verantwortlich ist?“ Janines Lippe begann zu beben, als sie die Worte wiedererkannte. „Jack, das war nicht… Ich meinte nicht…“ Sie merkte, wie er den Griff um seinen rechten Unterarm verstärkte. „Nicht? Ich dachte es macht keinen Unterschied, ob ich es war oder nur zugeschaut habe.“ „Doch! Doch, es macht einen Unterschied. Du bist nicht schuld.“, widersprach sie ihm verzweifelt und traf trotzdem nur auf eine Wand. „Selbst wenn, es rechtfertigt nicht meine Taten bei Mars. Es erklärt nicht, warum ich anderen genau das antue, was ich angeblich selbst hatte erleiden müssen.“, meinte er kühl. Seine Stimme war hart wie Stein und genauso unnachgiebig. Doch Janine entging nicht wie sich seine Fingernägel neben den ganzen anderen Narben ins Fleisch schnitten. „Jack, nein! Du bist nicht schuld!“, schrie Janine unter Tränen. „Bitte… Ich will dir doch nur helfen…“ Er biss die Zähne zusammen. „Wie kannst du mir nach all dem noch helfen wollen? Wenn ich doch nichts anderes kann, außer Leuten zu schaden oder sie direkt umzubringen!“ „Jack, du bist nicht schuld!“ Janine stand auf und ging zum Fenster. Doch bevor sie überhaupt dazu kam ihn zu berühren, wich er instinktiv vor ihr zurück. Stieß dabei mit dem Rücken gegen die Wand. Die Panik ließ ihn nach Luft schnappen. Traurig lächelte sie ihm zu. „Du bist nicht schuld. Hör auf, dir so etwas einzureden.“ „Sei still…“ Jack wich ihrem Blick aus, schaute stur zur Seite. Versuchte mit aller Kraft die Mauer aufrechtzuerhalten, die er um sich herum errichtet hatte. „Nein Jack, ich werde es immer und immer wieder sagen, bis es auch in deinem Dickschädel angekommen ist. Du bist nicht schuld.“ „Sei still!“ Eine schwache Erschütterung ging durch den Raum. Und doch konnte Janine aus der Nähe das Zittern umso deutlicher sehen. Das Beben seines Körpers, den angespannten Kiefer, das wässrige Glänzen an den Augenrändern… Sie konnte sehen, wie die Fassade Risse bekam. Wie sie zu bröckeln anfing. „Du bist nicht schuld. Weder an dem was mit Annalena passiert ist, noch an dem, was deiner Mutter widerfahren ist. Und erst recht nicht daran, was diese Leute dir damals alles angetan hatten.“ Sanft legte sie ihre Hand auf diejenige, mit der Jack nach wie vor das Blut in seinem Unterarm abdrückte. „Sieh‘ mich an.“ Fast schon trotzig wandte Jack den Blick noch weiter ab. Bis die Zähne zusammen, als eine der Tränen seiner Kontrolle entwich. „Jack, sieh mich an.“, wiederholte sie sich bestimmter. Als er wieder nicht hörte, legte Janine ihre andere Hand auf seine Wange und drehte seinen Kopf so, dass ihm keine andere Wahl mehr blieb als ihr in die Augen zu schauen. Janine musste sich selbst mit aller Kraft zusammenreißen als sie bemerkte, wie sehr er eigentlich gegen seine Gefühle ankämpfte. Wie tief ausgerechnet die Narben waren, die niemand sehen konnte. Und doch fiel ihr das Lächeln leicht, während sie in seine grünen Augen blickte. „Du bist nicht schuld.“ Die Fassade brach. „Warum?!“, schrie er. „Warum will mir jeder ständig helfen, obwohl ich nur Leid und Zerstörung verursache?!“ „Weil du das nicht tust.“, widersprach Janine ihm ruhig. Vorsichtig legte sie die Arme um ihn und drückte ihn an sich. „Weil du nicht schuld bist.“ Ob Jack ihre Worte noch wahrnahm wusste sie nicht. Viel zu sehr hatten die Gefühle ihn in ihrer Gewalt. Der gesamte Schmerz, all die Verzweiflung, die er glaubte besiegt zu haben und die sich doch all die Zeit nur in seinem Herzen angestaut hatte. In einem steinernen Gefängnis, welches er nicht mit seiner Erd-Energie hatte zum Einsturz bringen können. Ein schmerzhaftes Stechen zuckte durch Janines linke Schulter, als Jack sein Gesicht in ihrer Halsbeuge vergrub und sich an sie klammerte als wäre sie die einzige Stütze, mit der er sich noch auf den Beinen halten konnte. Ohne die er auf dem Boden zusammenbrechen würde. Doch sein herzzerreißendes Schluchzen ließ den Anflug von Schmerz vergessen. „Ich wollte das nicht!“, schrie er heiser. „Ich wollte ihnen helfen! Annalena und… Max und… und Benni…“ „Ich weiß.“ Sanft strich Janine ihm über die längere, verwuschelte Seite der Haare. „Du bist nicht schuld.“ Jack brach endgültig zusammen. Janine konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Person so aufgelöst erlebt zu haben. Nicht einmal in ihren Träumen hätte sie geahnt, dass jemand so viele Dinge in sich tragen konnte, die mit einem Mal hochkochten. Wie viel in dem Herzen eines einzigen Menschen brodeln konnte. Wie viel so plötzlich aus ihm heraussprudelte. Die Liste war lang. Manches verstand Janine noch nicht einmal, weil Jack so durcheinander war, dass er kaum ein richtiges Wort herausbrachte. An viele Dinge würde sie sich in Zukunft gar nicht mehr erinnern können, da es einfach viel zu viel war. Andere Sachen wiederum wollte sie eigentlich gar nicht verstehen, würde sie lieber vergessen. Wie sein Vater ihn wegen irgendwelchen Kleinigkeiten anschrie und zusammenschlug… Für was man alles im FESJ bestraft wurde… Und noch so vieles mehr. Sogar die Geschehnisse auf der Abendgesellschaft nahm sich Jack nach wie vor noch stark zu Herzen. So stark, dass er direkt wieder die Selbstbeherrschung verlor, kaum nachdem er sich zumindest ein bisschen gefasst hatte. Janine hielt ihn einfach nur im Arm und drückte ihn so fest sie konnte an sich. Als wäre das, wovor sich Jack am meisten fürchtete eigentlich das, was er insgeheim all die Zeit gebraucht hatte. Nähe. Das und dieser eine Satz, den Janine beinahe wie ein Mantra wiederholte. „Du bist nicht schuld.“ Irgendwann saßen sie auf dem Boden, da Janine kaum mehr die Kraft hatte sein Gewicht zu halten. Jack klammerte sich weiterhin an sie, zitterte am ganzen Körper. Doch zumindest das Schluchzen ließ allmählich nach… Sanft strich sie ihm wieder über die Haare, als sie schließlich fragte: „Geht’s wieder?“ Das Gesicht immer noch in ihrer Halsbeuge vergraben schüttelte er den Kopf und nuschelte kaum verständlich: „… Erst wenn ich nen Keks bekomme.“ Erleichtert lachte Janine auf als sie merkte, wie er langsam wieder zu sich zurückfand. „Kriegst du.“ Sie wollte aufstehen, doch dieses Mal ließ sich der stechende Schmerz in ihrer Schulter nicht so einfach ausblenden. Unbeabsichtigt drang ein schwaches ‚au‘ aus ihrer Kehle. „Sorry…“ Direkt ließ Jack sie los. Bedrückt lächelte Janine, als sie die vom Weinen geröteten Augen sah. „Schon gut, es ist nicht so schlimm.“ Doch natürlich konnte sie ihn damit nicht überzeugen. Immerhin wusste er selbst, wie sich diese Wunde anfühlte. Dass die Schmerzen verursacht durch eine Kugel jener Pistole deutlich qualvoller sind als sie im Normalfall ohnehin schon wären. Vorsichtig, um nicht zu sagen sanft, berührte Jack Janines linke Schulter. So leicht, dass sie es kaum spürte und er ihr somit auch keine Schmerzen bereitete. „Du hättest das nicht machen müssen…“ Janines Lächeln wurde überzeugter. „Doch.“ Verbissen wich er ihrem Blick aus. „Nein, wirklich. Ich-“ „Du bist nicht schuld.“, unterbrach sie ihn direkt. Jack kniff die Augen zusammen. Seiner Reaktion nach zu urteilen hatte er es tatsächlich gerade gedacht. Er hatte sich schon wieder die Schuld für etwas geben wollen. Dabei konnte er doch gar nichts dafür… Dabei… „Es war meine Entscheidung, Jack. Und du hättest mich nicht davon abbringen können, egal was du dir jetzt schon wieder einreden willst. Du bist nicht schuld.“ Mit einem genervten Stöhnen lehnte er sich nach hinten gegen die Wand. „Und ich dachte schon Lissi kann ätzend sein.“ Janine lachte auf. „Steter Tropfen höhlt den Stein, nicht wahr?“ „… Weiß nicht, ob mir das gefällt.“ Amüsiert teleportierte sie die Kekspackung in ihre Hand und hielt sie ihm entgegen. Tatsächlich nahm sich Jack ohne weitere Aufforderung einen Keks heraus und begann ihn zu essen. Ansonsten wurde es still. Doch Janine wagte es nicht, das Schweigen zu brechen. Sie hatte den Eindruck, dass Jack noch Zeit brauchte um alles zu verarbeiten. Um mit dieser Flut an Emotionen fertig zu werden. Und noch wichtiger, um ihre Worte auch wirklich aufnehmen zu können. Doch Janine bezweifelte, dass dies vom einen auf den anderen Tag möglich war. Eine über Jahre gefestigte Einstellung ließ sich nicht so einfach durch ein paar Worte und Gefühlsausbrüche aus dem Weg räumen. Er würde es immer und immer wieder denken. ‚Es ist meine Schuld.‘ Und sie würde ihn immer und immer wieder daran erinnern müssen, dass dies nicht stimmte. Doch irgendwie war diese Erkenntnis nicht abschreckend. Im Gegenteil, Janine wollte ihn immer wieder daran erinnern. Sie wollte immer für ihn da sein und zur Stütze werden, wenn er eine brauchte. Janine schluckte schwer. „Jack…“ Fragend schaute er auf. Er sah immer noch so fertig aus und sein verunsicherter Blick brachte sie aus dem Konzept. Wie konnte sie ihm so etwas überhaupt sagen? An sich, was dachte er eigentlich von ihr? Heute Vormittag noch hatte sie ihm jeglichen Hass entgegen geschleudert und jetzt… Als Janine nicht weitersprach, oder eher nicht weitersprechen konnte, wandte sich Jack wieder ab. Betrachtete stattdessen den Keks, den er eigentlich essen wollte. „Sag mal… Warum ausgerechnet jetzt? Fandest du mich mit einem Schlag so bemitleidenswert, nachdem Herr Bôss euch das alles erzählt hat?“ Betreten spielte Janine mit einer Strähne. Sie hatte schon befürchtet, dass Jack das vermuten würde. Aber wie sollte sie… „Nein… Also… versteh mich nicht falsch, natürlich finde ich es schlimm, was alles passiert ist. Natürlich habe ich Mitleid mit dir. Aber… aber das war nicht der Grund, weshalb ich…“ Fragend legte er den Kopf schief. „Nicht?“ „Nein, wirklich nicht. Ich… es…“ Sie seufzte. „Es ist schwer zu erklären.“ Unsagbar schwer. Wie sollte sie das in Worte fassen, was sie fühlte? Wie sollte sie etwas erklären können, was sie selbst nicht wirklich verstand? Janine atmete tief durch und schaute ihm in die grünen Augen, deren Ränder nach wie vor leicht gerötet waren. Nach allem, was geschehen war, brauchte Jack eine Antwort. Und sie wollte, dass er es wusste. „Ich hasse dich nicht, Jack.“ „Hä?“ Traurig lächelte sie bei dem irritierten Ton. „Ich habe dich nie gehasst, es ist nur… Ich war… Verwirrt.“ Jack stöhnte auf. „Toll, danke. Das bin ich jetzt auch.“ „Bitte Jack, ich… ich will ja versuchen es zu erklären.“, brachte Janine mühsam über die Lippen. Nun war sie es, die gegen ihre Gefühle ankämpfen musste. „Ich… im ersten Moment hatte ich wirklich geglaubt du wärst es gewesen. Du hättest geschossen. Deshalb… Ja, ich habe dir die Schuld gegeben, die ganze Zeit über. Obwohl Benni mir mehrmals versichert hat, dass du es nicht warst. Ich habe ihm das auch geglaubt! Aber… aber…“ Janine wischte sich mit der Hand über die Augen. „Es war leichter wütend auf dich zu sein, als…“ Jack seufzte. „Ist schon gut, ich glaube ich verstehe, was du meinst.“ „W-wirklich?“, fragte Janine verunsichert. „Wirklich.“ Aufmunternd lächelte er sie an. „Hey, ich bin wohl der letzte der nachtragend sein sollte, wenn die Gefühle mit einem durchgehen und man vollkommen austickt.“ Bedrückt lachte Janine auf. „Trotzdem… Ich… ich wollte das nicht. Aber irgendwie… Egal was war… Ich habe immer nur alles noch schlimmer gemacht. Deshalb…“ Sie unterdrückte ein Schluchzen und schob ihm die Kekspackung etwas entgegen. „Deshalb wollte ich mich bei dir entschuldigen. Zumindest das. Irgendwie…“ Jack schien zu merken, dass es noch mehr gab, was sie auf dem Herzen hatte. „… Aber?“ Janine wischte sich noch eine Träne aus den Augen. „Aber… Irgendwie reicht mir das nicht. Ich… ich würde es so gerne wiedergutmachen.“ Lachend schüttelte Jack den Kopf. „Du brauchst nichts wiedergutzumachen, Janine.“ „Aber…“ „Ehrlich.“ Jack legte seine Hand auf ihre unverwundete Schulter. Janine hatte noch nie jemand mit so einem schönen Lächeln gesehen wie in diesem Moment, als Jack sagte: „Ich verzeihe dir.“ Irgendetwas an dieser Reaktion löste einen Kurzschluss in ihr aus. Dieses Mal war sie es, die in Tränen ausbrach. „Es tut mir so leid…“ Er seufzte. „Hey, ich sagte doch schon, dass ich dir verzeihe. Kannst es auch gerne schriftlich bekommen.“ „Aber… aber…“, schluchzte sie. „… Ich werde dieses Psycho-Spielchen nicht bei dir wiederholen, das kannst du vergessen.“, konterte er stumpf. Sein trockener Kommentar sorgte dafür, dass sich unter das Schluchzen irgendwie auch ein Lachen mischte, sodass Janine plötzlich auch noch Schluckauf bekam. Das wiederum sorgte dafür, dass Jack das Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Janine hatte keine Chance mehr, ihre Gefühle irgendwie noch einzuordnen. Obwohl ihr die Tränen in Strömen über das Gesicht liefen, konnte sie nicht wirklich traurig sein. Obwohl die Gewissensbisse weiterhin an ihr nagten, fühlte es sich auf einmal nicht mehr so schlimm an. Jacks Lachen hatte irgendetwas Ansteckendes. Es wirkte so heiter und sorglos. Sie konnte einfach nicht anders. Sie musste in dieses Lachen miteinstimmen. Als sie sich irgendwann so halbwegs wieder beruhigt hatten, strich Jack ihr belustigt eine Strähne aus dem Gesicht. „Geht’s wieder?“ „J-ja, es geht schon. Ich-“ Ein Hicks unterbrach Janines Worte, woraufhin Jack wieder fast losprustete. Doch er hielt sich gerade noch so zurück. Janine wischte sich mit der Handfläche über die Wangen, versuchte irgendwie die Tränen wegzubekommen. „Tut mir leid…“ Jack zuckte mit den Schultern. „Auge um Auge.“ „… Und die ganze Welt wird blind.“, erinnerte sie sich mit einem bedrückten Lächeln an Carstens Worte vor einer Woche. „Okay, das wird mir jetzt echt zu symbolisch.“ Schwach lachte Janine auf, wurde jedoch erneut von ihrem Schluckauf unterbrochen. „Trotzdem… Ich würde das irgendwie gerne wiedergutmachen.“ Er seufzte. „Du wirst eh nicht lockerlassen, oder?“ Janines Antwort war, wenn auch unbeabsichtigt, ein weiteres Hicksen, was es Jack umso schwerer machte ernst zu bleiben. Bedrückt schaute sie ihn an. „Wirklich Jack, ich will es irgendwie wiedergutmachen. Egal wie.“ Jack hob eine Augenbraue, seine Lippen formten sich zu einem schiefen Lächeln als er fragte: „Egal wie?“ Erst als er dieses Wort hervorhob, wurde Janine bewusst, was für einen Spielraum sie ihm damit eigentlich bot. Er könnte weiß-Gott-was von ihr verlangen, von Geld bis hin zu anderen Dingen, wie er damals auch schon nach der Abendgesellschaft verlangt hatte. Auch wenn das nicht ernst gemeint war. Tatsächlich entstand für einen Moment ein flaues Gefühl in ihrem Magen. Doch Janine schluckte es herunter. „Egal was.“ „Hehe, na dann…“ Jack hob den Zeigefinger, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen. „Ein Date.“ „W-was?“ Entgeistert starrte sie ihn an. Ihre Verwirrung brachte Jack wieder zum Lachen, dennoch wirkte er leicht verlegen, als er sich durch die längeren Haare auf der rechten Seite wuschelte. „Wenn wir es tatsächlich schaffen lebend aus diesem ganzen Mist rauszukommen… Dann würde ich zumindest einmal gerne mit dir ausgehen. Danach lass ich dich auch in Ruhe, versprochen.“ Janine konnte immer noch nicht glauben, was sie da hörte. Das war die Wiedergutmachung, die Jack von ihr verlangen würde? Er wollte mit ihr… ausgehen?! Trotz allem, was sie ihm angetan hatte?! Nach wie vor regierte Unglauben Janines Gedankenwelt. „Ist das wirklich… dein Ernst?“ „Absolut.“, antwortete er. Noch nicht einmal der ansonsten so typische sarkastische Tonfall war zu hören. Ein ungewohntes Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Sie fühlte sich mit einem Schlag so beschwingt und gleichzeitig doch so verunsichert, dass ihre Stimme unter Garantie einen ganz seltsamen Klang hatte, als sie schließlich antwortete: „… Okay.“ Jack betrachtete sie verwirrt. „Wie jetzt? Okay? Du katapultierst mich nicht aus dem Fenster?“ Es war unmöglich, dabei nicht zu lachen. Sein Ton ließ vermuten, dass er so etwas in der Art tatsächlich erwartet hatte. „Ich bin doch nicht Anne!“ Seine verlegene Reaktion sorgte dafür, dass sich Janines Lachen nur noch mehr verstärkte. Er war einfach zu süß! Dennoch merkte sie auch den Funken Unsicherheit in seinem Blick, weshalb sich Janine so gut es ging zusammenriss und meinte: „Es ist wirklich okay.“ „… Echt?“ Immer noch war der Unglaube in seiner Stimme deutlich zu hören, sodass Janine erneut lachen musste. Irgendwie war es süß, dass Jack nicht so überzeugt von sich selbst war, wie er auf den ersten Anblick wirkte. Aber gleichzeitig auch traurig, wenn man sich dessen bewusst war, woher das kam… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)