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Demon Girls & Boys

von

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Ein Traum von Gerechtigkeit

Ein Traum von Gerechtigkeit

 

 

 

Ariane hatte keine Ahnung, was sie erwarten würde. Noch während das bunte Licht von Carstens Teleportzauber erlosch, wappnete sie sich innerlich, einem Ort von Chaos und Zerstörung gegenüber zu stehen.

Sie hatte sich gewappnet. Aber nicht genug.

Das erste was ihr auffiel war nicht das Durcheinander aufeinandertreffender Krieger. Das Chaos, der dunkle Dunst über dieser Menschenmenge, bei der man nur spärlich unterscheiden konnte, wer Freund und wer Feind war. Es war auch nicht der ohrenbetäubende Lärm. Die Schüsse während ein Magazin nach dem nächsten geleert wurde, das Aufeinandertreffen von Metall auf Metall, die Kampf- und Schmerzensschreie, … Selbst ihren vor Aufregung und Angst pochenden Herzschlag bemerkte sie nicht als erstes.

Nein. Das erste, was ihr auffiel, war der Geruch. Ein beißender Gestank, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Eine ekelerregende Mischung aus Schweiß, Blut und Tod gepaart mit Schießpulver, Erbrochenem und anderen Ausscheidungen. Es war schwer all diese Eindrücke zu verarbeiten. Und noch schwerer konnte sie es in Worte fassen, das grausame Niedermetzeln von Menschenleben.

Ariane würgte und hielt sich die Hand vor Nase und Mund. Versuchte irgendwie zu atmen. Luft, sie brauchte Luft. Doch alles was sie bekam war die Essenz des Krieges, verstärkt durch ihren ohnehin schon übermenschlichen Geruchsinn.

„Nane?“, hörte sie Carstens besorgte Stimme neben sich, konnte aber nicht darauf antworten. Ihr war übel. Speiübel.

Sie spürte, wie jemand zögernd eine Hand auf ihren Rücken legte. Als sie merkte, wie Carstens Körpergeruch dem widerwärtigen Gestank tatsächlich entgegenwirken konnte, vergrub sie ihr Gesicht in seiner Brust. Sog die Mischung aus Desinfektionsmittel und Lavendel in sich ein, dankbar, wieder atmen zu können.

„Was… was geht hier vor sich?“, hörte sie Laura befangen fragen.

Ariane wagte einen Blick zur Seite und beobachtete, wie Konrad zerknirscht eine Hand auf ihre zitternde Schulter legte. „Das ist der Krieg. Das, was wir euch eigentlich versucht hatten zu ersparen.“

„Aber warum?!“, rief Laura verzweifelt, kurz davor in Tränen auszubrechen. „Warum machen Menschen so etwas?!“

Anne zischte. „Eine Antwort auf diese Frage wird uns jetzt auch nicht weiterhelfen.“

Dennoch zögerte auch sie, einen Schritt auf diesen Pulk bestehend aus Tod und Gewalt zuzugehen. Ohne sich von Carsten zu entfernen, schaute sich Ariane um. Zivilisten schienen keine mehr anwesend. Die Indigoner hatten den Angriff wohl rechtzeitig genug bemerkt, sodass das Militär aus Terra noch nicht einmal den Stadtrand von Tahi erreicht hatte, der so wirkte, als würde er sich hinter ihrer kleinen Gruppe verstecken wollen.

Erschrocken wich Jannik zurück, als einige Schüsse in ihre Richtung abgefeuert wurde. Ein paar Soldaten hatten sie wohl bemerkt, doch bevor Konrad und Florian sich darum kümmern konnten, wurden die Angreifer von einem metallenen Glänzen in zwei Teile geteilt.

Ariane würgte erneut, konnte den Blick aber nicht schnell genug abwenden, um dem Anblick von Blut zu entfliehen.

„Was macht ihr hier?!“, hörte sie eine tiefe Stimme über den Kampflärm hinweg rufen, die ganz eindeutig zu Eagle gehörte.

„Dasselbe könnten wir dich fragen!“, erwiderte Anne verärgert. „Taktisches Vorgehen ist wohl ein Fremdwort für dich, was?!“

Florian seufzte. „Streiten bringt uns jetzt auch nicht weiter. Wir sollten-“

„Liebling!“, erklang auf einmal Öznurs Stimme, die direkt auf Eagle zu rannte.

Offensichtlich war nun auch die zweite Gruppe angekommen.

Grob schüttelte Eagle sie ab, als sie sanft seinen Arm berührte. „Mir nicht im Weg rumstehen. Das solltet ihr.“, meinte er gereizt und wandte sich wieder der Schlacht zu. Erst jetzt fiel Ariane das gewaltige Großschwert auf, welches Eagle in der Hand hielt. Ein Schaudern fuhr durch ihren Körper, als ihr bewusst wurde, was die rötlichen Flecken und Striemen darauf zu bedeuten hatten.

Bedrückt atmete Florian aus. „Jetzt wo wir hier sind, können wir auch helfen. Wie ist die Lage?“

„Na wie wohl?“, erwiderte Eagle bissig. „Wir haben uns auf Unterweltler vorbereitet, nicht auf Verräter.“ Mit diesen Worten warf er einen hasserfüllten Blick in Jacks Richtung. Doch vermutlich hatte dieser Eagles Anschuldigung gar nicht erst mitbekommen, so wie er mit teilnahmslosem Blick das Schlachtfeld betrachtete.

Eine gewaltige Explosion ließ Ariane zusammenschrecken. Etwa zeitgleich stieg der Geruch von Rauch und verbrannten Körpern in ihre Nase. Wieder kam die Übelkeit in ihr hoch. Wieder vergrub sie ihr Gesicht in Carstens Brust, versuchte zitternd zu atmen. Sie spürte, wie er seinen Griff um sie verstärkte und meinte, seinen rasenden Herzschlag zu fühlen.

Eagle stieß einen indigonischen Fluch aus. „Wenn du unbedingt Pläne machen willst nur zu, Hauptmann. Aber ich hab nicht vor mit anzusehen, wie derweil mein Volk niedergemetzelt wird!“

Und schon war er wieder auf und davon, mitten im Blutbad.

„Uns bleibt wohl keine andere Wahl.“, meinte Anne zerknirscht und während Florian und Konrad bereits beschlossen hatten Eagle zu helfen, überwand auch sie ihr Zögern.

Anderen fiel dies weniger leicht.

„Ich kann das nicht…“, meinte Laura schwach, wobei der Kampflärm ihre zitternde Stimme und das leichte Schluchzen verschlang.

Janine seufzte bedrückt, jedoch deutlich weniger eingeschüchtert. „Trotzdem, Eagle hat recht. Wir können nicht rumsitzen, während grundlos andere sterben müssen.“

„Aber…“, setzte Susanne an, wusste jedoch nichts darauf zu erwidern.

In Arianes Kopf war das reinste Durcheinander. Ihr wurde schwindelig von diesen ganzen Eindrücken. So vieles passierte gleichzeitig.

Während sie sich versuchte aus Carstens festem Griff zu befreien, der schon fast schmerzhaft war, meinte Lissi kritisch: „Da stimmt was nicht.“

Und während Jannik sie irritiert fragte „Wie meinst du das?“, stieß Jack einen Fluch zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er packte Ninie am Arm, die sich gerade dazu überwunden hatte Eagle und die anderen zu unterstützen.

„Was soll das?! Lass mich los!“, rief sie verärgert und versuchte sich loszureißen. Zeitgleich ließ eine weitere Explosion die Erde erschüttern. Instinktiv vergrub Ariane ihr Gesicht erneut in Carstens Brust, die Angst vor dem Gestank ließ sie kaum mehr klar denken. Wieder fiel ihr auf, wie sehr sein Herz raste. Anscheinend hatte auch er Angst… Auch ihn belasteten diese ganzen Eindrücke.

Plötzlich hörte sie Öznur schreien. „Ray!“

Ariane blickte auf. Ihr Herz setzte aus. Ein junger Indigoner, blutüberströmt, versuchte sich in Sicherheit zu bringen. Weg, einfach nur weg vom sicheren Tod.

Öznur rannte ihm entgegen, erschuf mit ihrer Energie eine Feuerfront, die ihn vor Verfolgern beschützen sollte. Doch Metall ließ sich nicht so einfach aufhalten. Eine Kugelsalve drang durch die lodernde Wand und zwang den Indigoner in die Knie. Öznur wurde knapp am Arm gestreift, der plötzliche Schmerz riss ihre Aufmerksamkeit weg vom Feuer. Die Wand war verschwunden.

Wenige Meter dahinter stand ein nicht sonderlich hochgewachsener Soldat in grauer Uniform, das Sturmgewehr am Anschlag. Er zielte erneut.

„Özi, pass auf!“, hörte sie Anne von irgendwoher schreien.

Janine setzte zu einem Angriffszauber an, doch Jack hatte sie immer noch gepackt und hielt ihr den Mund zu, bevor sie den Zauber vollenden konnte. Ein schwaches Beben brachte den Soldaten ins Wanken, wenig später wurde sein Gewehr von einem Sandpfeil durchbohrt.

„Verdammt, was soll das?!“, herrschte Janine Jack an, welcher sie endlich losließ.

„Wenn du auch nur einen davon umbringst, wirst du dir das nie verzeihen können.“, meinte er nur, nicht den leisesten Hauch Sarkasmus in seiner Stimme. Während nun auch er zum Schlachtfeld eilte, rief er zu Lissi: „Pass auf, dass sie nichts Dummes machen!“

Verwirrt schaute Ariane zwischen Lissi und Jack hin und her, was ihr kaum möglich war, so erdrückend Carsten sie immer noch im Arm hielt.

„Was ist denn los?“, fragte Laura verunsichert.

Lissi biss die Zähne zusammen. Zeitgleich war Anne zu Öznur gerannt, um ihr und dem schwerverletzten Indigoner Rückendeckung geben zu können. Ebenso rannte Susanne plötzlich los.

Auch Eagle hatte den Ernst der Lage erkannt. Eine Aura aus Energie umgab seinen Körper und für den Bruchteil einer Sekunde leuchteten seine bernsteinbraunen Augen auf. Ein graues Lodern tauchte die Klinge seines Großschwertes in ein unheimliches Licht.

„Eagle, nicht!“, schrie Susanne zu ihm rüber. „Ich kann-“

Eagle schlug zu. Ein Schlag, der die Luft zerschnitt. Ebenso wie den zierlichen Körper des Soldaten.

Das Entsetzen presste Ariane die Luft aus den Lungen. Oder war es Carsten, der seinen zitternden Griff noch mehr verstärkte?

„Verdammt, kannst du nicht einmal mitdenken?!“, rief Anne wütend. Sie packte den nächstbesten Soldaten in grauer Uniform mit einer Sand-Energie-Hand und zog ihn zu sich. Es wirkte fast schon wie einstudiert. Kaum hatte Susanne den röchelnden, nach Luft ringenden Indigoner erreicht, hielt Anne den Soldaten in einem erwürgenden Griff gefangen. Sofort wurde der dunkle Dunst der Schlacht durch ein rosa Strahlen vertrieben, als Susanne die Hände über die Herzen der beiden Kämpfer legte.

„Das muss aufhören! Sofort!“, rief Lissi plötzlich. Ihre Stimme klang ungewohnt verzweifelt, was Ariane noch panischer werden ließ.

Fast gleichzeitig hörte sie Jack rufen. „Es reicht!“

Trotz des rosa Leuchtens konnten sie beobachten, wie eine Steinmauer aus dem Boden schoss, die unter lautem Krachen eine weitere Windsichel von Eagles Großschwert blockte und die Soldaten vor dem sicheren Untergang bewahrte.

„Aus dem Weg!“, brüllte Eagle.

Gerade so wich Jack einem Schwerthieb aus. Noch eine Steinmauer stoppte den Kugelhagel, der auf ihn und Eagle regnete.

Verwirrt betrachtete Ariane das Bild, was sich ihr bot. Jack stand buchstäblich zwischen den Fronten. Aber warum?

Sie wusste es nicht. Sie wusste gar nichts. Diese ganze Situation überforderte sie viel zu sehr. Es war fast schon spürbar, wie ihr Gehirn überlastet wurde.

Eine einzelne, verzweifelte Frage, mehr konnte sie sich nicht stellen. Was sollen wir tun?

„Alleine schafft er das nicht.“, meinte Lissi nur zerknirscht. „Laura, ich brauche deine Hilfe!“

„Hä?“ Zumindest war Laura mindestens genauso verwirrt wie Ariane selbst.

Doch Lissi ließ ihr nicht die Zeit zum Nachdenken, sondern schnappte ihre Hand und zog sie mit sich. „Janine, pass auf Kito, Johannes und Jannik auf!“, rief sie über die Schulter, woraufhin Janine nur leicht perplex nickte. Zum Abschluss trafen Lissis blau-grüne Augen die von Ariane. „Kümmere dich um Carsten!“

Kümmern?

Irritiert schaute Ariane nach oben, soweit das bei Carstens erdrückendem Griff möglich war. Es fiel ihr schwer, seine Reaktionen zu deuten. Den wie zu Stein erstarrten Blick, mit dem er das Schlachtfeld betrachtete, der beschleunigte Atem, …

Ihre Fähigkeit zu denken war wie benebelt. Wie als hätte sich der gräulich-schwarze Rauch der Schlacht auch in ihrem Gehirn ausgebreitet. Die Panik.

„Eagle, lass den Scheiß!“, hörte sie Jack rufen. „Du wirst das noch bereuen!“

„Sag mir nicht was ich zu tun hab, Verräter!“, brüllte Eagle zurück.

Ariane blinzelte. Panik.

Der rasende Herzschlag, der flache Atem, …

„Carsten, sieh mich an.“, wies sie ihn an, so ruhig sie konnte. Doch Carsten hörte nicht. Er war ganz und gar gefangen in einer Panikattacke.

„Carsten!“ Nur durch ihre Kampfkünstlerstärke schaffte es Ariane schließlich, sich aus seinem Griff zu befreien.

Am Rande bekam sie mit, wie Jack alle Mühe hatte, Eagle davon abzuhalten sich an dieser Schlacht zu beteiligen. Was der Rest machte, wusste sie überhaupt nicht. Viel zu sehr gewannen Gewissheit und Sorge die Oberhand, verdrängten die anderen Wahrnehmungen. Den Gestank hatte Ariane schon längst vergessen.

„Carsten, komm zu dir!“, rief sie seinen Namen erneut. Berührte vorsichtig seine Wange, in der Hoffnung, dass er irgendwie darauf reagierte.

Das war die Schwarzmagie. Zweifellos. Aber was sollte sie tun?! Sie kannte ja noch nicht einmal die Ursache von-

Carsten biss die Zähne zusammen. Sein zuvor noch versteinertes Gesicht war verzerrt von Schmerz.

„Was hast du?!“, fragte Ariane verzweifelt. Was soll ich tun?! Wieder beschleunigte sich ihr Herzschlag vor Angst. Suchend schaute sie sich um, in der Hoffnung, die Antworten würden sich irgendwo auf diesem Schlachtfeld finden.

Inzwischen hatten Laura und Lissi Jack und Eagle fast erreicht. Durch seine Verletzungen konnte Jack sowieso nur einen Bruchteil seiner Kräfte nutzen und dann auch noch gegen Eagle und die Soldaten aus Terra…

„Eagle, hör auf!“, schrie Laura aus vollem Halse und zog ihren Fächer.

Eagle war so gefangen in seiner Wut, dass er Jack inzwischen ebenfalls als Gegner betrachtete. Es schien ihm gänzlich egal, dass er eigentlich auf ihrer Seite war. Er wollte ihn töten. Er wollte ihn einfach nur noch töten.

Mit seinem Großschwert holte Eagle zum Schlag aus. Ariane stockte der Atem, als es mit einem schneidenden Geräusch auf Jack herab zischte.

Und plötzlich, eine schwarze Welle. Ein Energie-Impuls.

Die gewaltige silberne Klinge, gestoppt durch einen kleinen, metallisch glänzenden Fächer.

„Hör auf…“, wiederholte sich Laura schwer atmend.

Lissi ließ derweil eine Welle auf die Front des Schlachtfeldes los. Eine Flut, die alles überschwemmte und sowohl Terras Soldaten als auch indigonische Krieger von den Füßen riss.

Ein schwacher Schmerzenslaut richtete Arianes Aufmerksamkeit unverzüglich wieder auf Carsten, der kraftlos auf die Knie sackte. Verzweifelt beugte sie sich zu ihm runter und strich ihm über das verschwitzte Gesicht. „Carsten bitte, komm zu dir!“

„Was ist mit ihm?“, hörte sie Janine besorgt neben sich fragen.

„Ich- ich weiß es nicht!“, rief Ariane aus und schaute Carsten an, als hoffte sie er selbst könne ihnen diese Antwort liefern. Doch natürlich konnte er das nicht. Er kniete einfach nur da, gekrümmt, als würde irgendetwas ihm tatsächlich physische Schmerzen bereiten. Sein ganzer Körper zitterte, die Finger bohrten sich wie Klauen durch den Stoff in seine Oberarme.

Auch Kito war zu ihnen gekommen. „Eine Illusion?“, vermutete sie.

Ariane hielt die Luft an. Das war es! Ganz sicher, es war genauso wie damals bei dem Sturm! Aber wovon?! Woher?! Was war die Ursache?!? Und noch wichtiger: Welche Illusion?! Was war es, was Carsten gefangen hielt? Welche Erinnerung? Wie konnten sie ihn da rausholen?!

Ihre Gedanken überschlugen sich. Es musste irgendetwas mit diesem Schlachtfeld zu tun haben, so viel stand fest. Aber was?! Warum?!?

„Warum nehmt ihr ihn in Schutz?!“, hörte sie Eagle von weiter entfernt rufen.

Ariane blickte auf. Sie wusste, wer die Antworten kannte.

Ein frischer, eisenhaltiger Geruch stieg in ihre Nase, doch sie hatte nicht die Kraft, dem auch noch Beachtung schenken zu können.

„Eagle, du begehst einen großen Fehler!“, erwiderte Lissi, während Laura sich inzwischen auch den Soldaten zugewandt hatte und mit ihrer Finsternis-Energie weitere Angriffe abschirmte.

„Der einzige Fehler ist, dieses Arschloch bisher am Leben gelassen zu haben!“, brüllte Eagle, außer sich vor Zorn.

Jack biss die Zähne zusammen. „Könnt ihr mir nicht zumindest einmal im Leben vertrauen?“

Er wusste es. Zweifellos.

„Jack!“, schrie Ariane seinen Namen. Er musste ihr helfen, irgendwie!

Jack hörte sie. Und verstand direkt.

„Du bist der letzte, dem man vertrauen kann!“, brüllte Eagle, packte ihn an der Kehle und drückte ihm die Luft ab.

Grob riss sich Jack los und stolperte schwer atmend einige Schritte zurück, bis Lissi ihn am Rücken stützte. Die beiden tauschten einen kurzen Blick aus, ehe Jack verbissen zu Eagle schaute. „Du hast wirklich keine Ahnung, oder? Bist du so blind, dass du nicht einmal die Uniform erkennst, die dein kleiner Bruder selbst sechs Jahre lang tragen musste?!“

Ariane verlor den Atem. Uniform?

Sie blickte in das Chaos. Da waren die Indigoner, hochgewachsen, mit langen schwarzen Haaren und dunkler Hautfarbe. Ihre Gegner wirkten insgesamt kleiner. Manche nur ein bisschen, aber andere… andere hatten eher einen zierlichen Körperbau, genauso wie Laura oder Janine. Und sie alle trugen eine graue Uniform.

Wieder erregte der seltsame Eisengeruch ihre Aufmerksamkeit. Es roch nach… Blut.

Hastig drehte sich Ariane um. „Carsten, ist alles-“

Sie stockte. Ein schwaches Lodern umgab seine zitternden Hände in dunklem lila, fast schon schwarz. Ariane konnte nicht sagen ob es nur die Fingernägel waren, oder die Magie. Irgendetwas hatte sich so tief in Stoff und Haut der Oberarme geschnitten, dass die Ärmel eine dunkle Rotfärbung hatten. Eine rote Lache breitete sich auf der einst braunen Erde aus.

Carsten atmete schwer, gepresst, als bekäme er keine Luft.

Eine eisige Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen aus, während sie beobachtete, wie sich das Blut in schlangenartigen Linien immer weiter auf dem Boden ausbreitete. Als hätte es einen eigenen Willen, als würde es irgendwelche tückischen Absichten verfolgen.

„… Carsten?“ Vorsichtig streckte Ariane die Hand nach ihm aus, traute sich aber nicht ihn zu berühren. Sie hatte Angst. Angst vor dem, was passieren könnte. Und dann auch noch dieses Blut…

Es kostete Ariane alle Kraft, nicht zurück zu weichen. Diese Ausstrahlung, diese Macht. Unheimlich. Bedrohlich. Arianes Instinkte schrien sie an. Sie musste verschwinden, sie musste wegrennen. Weg von hier, weg von dieser erdrückenden Kraft.

Aber… Aber was war mit…

Carsten schrie. Heiser, markerschütternd. Ein Schmerzensschrei und doch auch gleichzeitig ein Hilferuf. Ein Schrei, der sich über das gesamte Schlachtfeld legte. Und mit ihm das Blut.

Ohne nachzudenken hatte Ariane die Arme um ihn gelegt. Als könnte sie ihn so vor dem beschützen, was ihn von innen her auffraß. Sie kniff die Augen zusammen. Ihre Lunge schien zu explodieren, als sie die finstere Macht einatmete. Das Blut. Fast so als würde sie ertrinken.

 

Hustend und zitternd klammerte sich Ariane noch fester an Carsten, bis ihr die Grabesstille auffiel. Die Schreie, der Kampflärm, … Alles war verschwunden. Sogar der ekelerregende Gestank. Stattdessen nahm Ariane eine Mischung aus Stein, Erde und Regen wahr.

Blinzelnd öffnete sie die Augen und blickte in den grauen, wolkenverhangenen Himmel, der sich kaum von der dunklen, steinigen Landschaft abhob. Alles wirkte grau, leer und trostlos. Und kalt.

Ariane blinzelte erneut. Das schien nicht mehr Indigo zu sein, aber was…

Schaudernd wich Kito einen Schritt zurück, die Augen weit aufgerissen vor Staunen und Entsetzen. „Ist… ist das… das Steingefängnis?“

„Was?“ Irritiert schaute sich Ariane um, immer noch an Carsten geklammert.

Automatisch verstärkte sich ihr Griff.

Mehrere Meter entfernt ragte eine gewaltige Mauer in die Höhe. Der Stacheldraht an der Spitze schien alles von der Außenwelt absperren zu wollen. Ein schweres, eisernes Tor war der einzige Ein- und Ausgang. Ansonsten gab es nichts. Keine Freude. Keine Hoffnung. Keine Gerechtigkeit. Nur Gewalt. Leid. Verzweiflung.

Janine zitterte. „Du meinst, das ist…“

Am Rande bekam Ariane mit, wie Stimmen laut wurden. Verzweifelte Rufe. Schreie. Verwirrt blickte sie hinter sich. Es waren nicht nur sie, die dieser Anblick gefangen hielt. Auch Susanne war da, ebenso Öznur, Anne und der inzwischen geheilte Indigoner, die allesamt ungläubig die steinerne Fassade betrachteten. Mindestens genauso erstarrt schienen Eagle, Laura und Lissi und selbst Florian und Konrad meinte Ariane unter den ganzen Indigonern und Soldaten erkennen zu können. Alle Indigoner und Soldaten.

Ungläubig schaute Ariane zu Carsten, der immer noch schwer atmete. Hatte er etwa sie alle…

Die Panik unter den Soldaten wuchs, schien sie blind zu machen. Die Schreie wurden lauter, verzweifelter. Viele griffen plötzlich wahllos irgendwelche anderen an, vollkommen gleich ob Freund oder Feind. Als wäre Mord der einzige Ausweg… Oder der Tod.

‚Es gibt zwei Wege hier raus zu kommen…‘

„Was geht hier vor sich?!“, fragte Janine verzweifelt, schien genauso wie Ariane nach einer Erklärung zu suchen. „Carsten, was hast du gemacht?!?“

„Das war Schwarzmagie, oder?“

Erschrocken zuckte Ariane zusammen. Als sie aufblickte sah sie einen Mann im schwarzen Mantel, mit rosaroten, langen Haaren und giftgrünen Augen.

„H-Herr Bôss?“ Verwirrt betrachtete sie den Direktor der Coeur-Academy, welcher inzwischen neben ihr kniete und vorsichtig die Hand auf Carstens immer noch vor Schmerz gekrümmten Rücken legte.

„Was machen Sie denn hier?“, fragte Janine, mindestens genauso irritiert.

Mit einem bedrückten Seufzen schaute er von der kopflos mordenden Menge zu der gewaltigen grauen Mauer. „Nachdem ihr weg wart haben wir den Angriff in einer Liveübertragung im Internet gesehen. Ich… hatte da eine Vermutung.“ Er seufzte erneut. „Diese wollte ich überprüfen und deshalb habe ich mich hier her teleportiert. Aber ein gewisser jemand war wohl schneller.“

So langsam verstand Ariane, was er meinte. Was die Ursache von all dem war. Das waren keine einfachen Soldaten. Das waren Schüler. Mitschüler, Ehemalige, … Allesamt von derselben Schule. Einer Anstalt für schwererziehbare Jugendliche. Einem Militärinternat. Dem FESJ. … Die ausgerechnet gegen Indigoner kämpften. Carstens Volk.

„Eigentlich hätten wir uns ja denken können, dass Mars‘ Einfluss bis hier hin reicht.“, meinte Herr Bôss nur zerknirscht und warf einen Blick in Richtung Janine, Kito, Johannes und Jannik. „Wir müssen sie irgendwie aufhalten.“

Die vier wirkten genauso ratlos wie Ariane. Während sie sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie das ganze grundlose Abschlachten beenden konnten, versuchte Herr Bôss mit seiner Stimme Carsten zu erreichen. Doch das blieb genauso erfolglos.

Johannes zupfte Janine am Ärmel ihres etwas zu kleinen Pullis. „Du, Tantchen, wollen die Rache? So wie du damals?“

„Nein…“ Bedrückt schüttelte Ninie den Kopf. „Ich glaube…“ Ihr Blick fiel auf Jack. Er stand abseits der Gruppen, ursprünglich auf dem Weg zu ihnen um Carsten zu helfen und nun doch gefangen von dem Anblick jenes Ortes, der für ihn die Hölle repräsentierte. „Ich glaube, sie wissen einfach nicht mehr weiter.“, meinte Janine schließlich.

„Also wollen sie das gar nicht?“, vergewisserte sich Johannes.

Erneut schüttelte sie den Kopf.

„Aber warum machen sie das dann?“

Bedrückt schaute Janine auf die triste, gräuliche Erde. „Weil sie keinen anderen Ausweg finden.“

Johannes blies die Backen auf. „Die sind ja blöd.“

Traurig lachte Janine auf, wusste aber nichts darauf zu erwidern.

„Was zum Teufel geht hier vor sich?!“, hörte sie Anne fragen. Inzwischen waren sie, Öznur, Susanne und Ray wieder bei ihnen, offensichtlich noch vollkommen ahnungslos. Ariane wollte zu einer Erklärung ansetzten. Vielleicht wussten sie ja weiter, hatten eine Idee, wie sich all dies aufhalten ließe.

Doch ein lautes, dröhnendes Quietschen hinderte sie daran. Es war so ein gellendes Geräusch, dass sich Ariane die Ohren zuhalten musste und ihr Kopf trotzdem zu schmerzen begann.

Sprachlos betrachtete sie die schwere Eisentür, die sich ganz langsam und träge öffnete, als würde sie das nur sehr selten machen. Zeitgleich verstummte der Kampflärm plötzlich.

Es war wie als hielte alle Welt die Luft an. Als wartete jeder nur gespannt darauf, was sich hinter dieser Tür verbarg. Welches Monster innerhalb dieser erdrückenden, steinigen Wände hauste.

Entsprechend fehl am Platz wirkten die Männer, die nach außen traten.

Es fiel Ariane schwer, ihre Verwirrung und zu einem gewissen Grad auch die Enttäuschung zu verbergen. Sie hatte mit einem grauenerregenden Ungeheuer gerechnet, irgendeine Kreatur aus der Unterwelt. Oder ein Dämon. Aber das… das war nur eine Hand voll Menschen!

Und doch hatten sie auf viele eine ganz andere Wirkung.

Ariane erschrak, als Carstens sich plötzlich an sie klammerte. Er zitterte immer noch am ganzen Leib. Doch nun war nicht mehr klar, ob es die Vergangenheit oder die Gegenwart war, die all dies auslöste.

Die Soldaten in den grauen Uniformen reagierten ähnlich. Viele setzen sich gar nicht mehr zu Wehr, andere wichen verängstigt zurück. Niemand war in der Lage sich zu verteidigen. Niemand schien dem entkommen zu können, dem Grauen, was sich in ihrem Inneren ausbreitete.

Einer der Männer trat vor. Kaum erklang seine Stimme, zuckte Carsten zusammen. „Dürfte ich erfahren, was das zu bedeuten hat?!“

„Dasselbe könnte ich Sie fragen!“, erwiderte Herr Bôss darauf hin. An Ariane gewandt flüsterte er: „Pass auf, dass er nicht schon wieder sowas macht.“ Dann entfernte er seine Hand von Carstens Rücken und richtete sich auf.

Ariane hatte sich schon häufig gedacht, wie riesig der Direktor eigentlich war. Aber jetzt, jetzt kam er ihr noch größer vor als sonst. Er stand aufrechter, war mental bereits darauf vorbereitet, dass es zu einer blutigen Konfrontation kommen könnte.

„Herr Bôss, was machen Sie denn hier?“, fragte der Mann irritiert. Nun erkannte Ariane ihn. Sie hatte ihn nur kurz zu Gesicht bekommen, damals auf der Abendgesellschaft. Der Direktor des FESJ. Kein Wunder, dass Carsten alleine beim Klang der Stimme so reagierte. So panisch nach Luft rang, dass er eigentlich schon längst hätte hyperventilieren müssen.

Herr Bôss ging einige Schritte auf das geöffnete Tor und die Männer zu. „Ich hatte gehofft, dass Sie mir diese Antwort geben könnten. Wie kommt es, dass Schüler und Ehemalige des FESJ plötzlich Indigo angreifen?“

„Was?!“, rief Öznur schockiert aus.

„Ich wüsste nicht, was Sie das zu interessieren hat.“, meinte der Direktor ebendieser Anstalt und lachte auf. Instinktiv drückte Ariane Carsten stärker an sich.

Herr Bôss bis die Zähne zusammen, doch bevor er etwas erwidern konnte, erklang ein weiteres Lachen.

Noch ein Mann trat hervor. Obwohl er in die Jahre gekommen war und der grau-melierte Vollbart sowie die dunklen, fettigen Haare das hagere Gesicht zum Großteil verbargen, bekam Ariane eine Gänsehaut. Trotz einiger Meter Entfernung hatte sie das Gefühl, der stechende Blick alleine reichte schon aus, Leuten ein qualvolles Ende zu bereiten.

Wer war das?

Herr Bôss war jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. „Was haben Sie hier zu suchen? Sie sollten…“

Wer auch immer dieser Mann war, er war grausam. Er hatte eine so einschüchternde Ausstrahlung, dass sich Ariane automatisch fragte ob er es ihr überhaupt gestattete zu atmen.

Doch er lächelte einfach nur sardonisch, vollkommen zufrieden mit der momentanen Situation. „Was sollte ich?“

Herr Bôss‘ Blick verfinsterte sich. „Im Gefängnis sein.“

Ariane schauderte. Es war nicht so, dass sie diese Aussage nicht nachvollziehen konnte. Im Gegenteil, alleine beim Anblick dieses Mannes würde sie dem sofort zustimmen. Aber… warum war er dann hier?

Das Lächeln wurde breiter. Unheimlicher. „Nun, ich wurde um einen Gefallen gebeten. Und deshalb bin ich nun hier.“ Er betrachtete die Menge. Die Indigoner, aber besonders die Soldaten in grauer Uniform. Überwiegend Jugendliche und junge Männer, wie Ariane realisierte. Allesamt erstarrt vor Schreck. Einigen fehlte sogar die Kraft, auf ihren eigenen Beinen stehen zu bleiben. Selbst Unverwundete brachen auf dem Boden zusammen.

Doch sein Blick blieb auf niemandem in grauer Uniform haften. Sondern…

Die Augen des Mannes weiteten sich. „Valentin?“

Irritiert schaute Ariane zu Jack. Er stand einfach nur da und erwiderte den Blick seines Gegenübers. Keine Reaktion. Doch sein Ausdruck war nicht der neutrale, teilnahmslose, den sie sonst von ihm kannte. Nein, dieser Ausdruck zeigte Angst. Grenzenlose Angst.

„Was ist denn, mein Junge? Erkennst du mich nicht mehr?“ Es lag eine ekelerregende Freundlichkeit in der Stimme dieses Mannes. Es klang fast schon nach… nach…

Er ging auf Jack zu, streckte die Hand nach ihm aus. „Kein Grund schüchtern zu sein, mein Lieber. Komm her.“

Ein schwaches Wimmern drang aus Jacks Kehle, als er einen Schritt zurückwich. Und noch einen, bis er über einen Stein stolperte und fiel.

Der Mann schien gar nicht erst zu bemerken, was seine bloße Existenz in Jack auslöste. Er war wie besessen, kam immer näher auf ihn zu, während sich Jacks zitternde Hände in den steinernen Boden krallten.

Bei der liebevollen Stimme stellten sich Ariane die Nackenhärchen auf. „Es ist alles gut, mein Süßer. Alles gut.“

Jack kniff die Augen zusammen. Sein Atem ging flach, war panisch. Und in dem Moment erkannte Ariane ihn, den kleinen Jungen. Sie erkannte Valentin. Verletzlich, verängstigt, verzweifelt, gefangen in der Dunkelheit. Er konnte dem nicht entkommen. Er konnte nicht kämpfen. Er war-

„Rühr ihn nicht an!!!“

Eine gewaltige, giftgrüne Magiesichel fuhr zwischen die beiden, begleitet von dem Ruf einer tiefen, zornigen Stimme.

Der ekelhafte Mann erwiderte Herr Bôss‘ verärgerten Blick. „Und wieder mischen Sie sich in meine Angelegenheiten ein.“

Herr Bôss‘ Antwort war eine lodernde Säule Feuer-Magie, doch der Typ sprang rechtzeitig zur Seite. Er rannte los, setzte zum Angriff an, weichte den Magiepfeilen und -sicheln spielerisch aus. Er war schneller als man es aufgrund seines Alters vermuten würde. Und stärker als man seinem Körperbau zutraute.

Ariane wusste, was er vorhatte. Er versuchte so nah wie möglich an Herr Bôss heran zu kommen. Denn im direkten Nahkampf waren Kampfkünstler durch ihre Schnelligkeit und Stärke den Magiern klar im Vorteil.

Doch Herr Bôss war nicht grundlos der Direktor der Coeur-Academy. Sein Atem war ruhig, der Blick konzentriert. Er war fokussiert, aber nicht verbissen. Die Angriffe zahlreich aber nicht wahllos.

Selbst als der Typ drohte ihm zu nah zu kommen, teleportierte sich Herr Bôss einfach einige Meter hinter ihn. Ariane erschrak beim Auftauchen einer leuchtend grünen Barriere, die sie, Carsten und die anderen fast schon nebensächlich vor dem Angreifer beschützte.

Janine machte Anstalten dem Direktor im Kampf zu unterstützen, doch sie erkannten sehr bald, dass er keine Unterstützung brauchte. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit.

Die schneller kam als erwartet.

Einen Moment noch hatte Ariane die Sorge, Herr Bôss würde dem einen Schlag nicht rechtzeitig genug ausweichen können. Im nächsten Moment erkannte sie die falsche Sicherheit, in der sich der Gegner gewogen hatte. Grünliche Magieblitze zuckten durch die Luft, stießen den Angreifer zurück und spießten ihn an Armen und Beinen auf dem Boden auf.

Beeindruckt betrachteten Ariane und die anderen den Direktor ihrer Schule, der zu seinem besiegten Gegner trat und hasserfüllt zu ihm herabschaute. „Sag, warum bist du hier?!“

Doch der unheimliche Typ lachte nur, woraufhin er mit einem Tritt in den Solarplexus zahlte. Ariane schüttelte sich beim knacksenden Geräusch.

„Jackie-Chan, komm zu dir!“

Diese Aufforderung richtete ihre Aufmerksamkeit auf Lissi. Sie war vor Jack in die Hocke gegangen, welcher immer noch hektisch atmete und vor Panik die Augen zusammengekniffen hatte.

Lissi streckte die Hand nach ihm aus, hielt in der Bewegung jedoch inne. „Jack, es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.“

Doch auch das konnte ihn nicht beruhigen. Er wandte sich ab, zitterte nach wie vor am gesamten Körper.

„Jack! Es ist vorbei!“, versuchte Lissi ihn irgendwie zu erreichen. … Aber warum hielt sie dabei so viel Distanz zu ihm ein? War es in so Fällen nicht eigentlich besser, wenn-

Lissis Lippen formten sich zu einem bedrückten Lächeln, ihre Stimme klang traurig und doch sanft. „Valentin…“

Darauf reagierte er.

Blinzelnd öffnete Jack die Augen, leichenblass und nach Luft ringend. Schweiß rann ihm über die Stirn. Sein Blick traf Lissis, die vorsichtig fragte: „Geht’s?“

Benommen nickte er und versuchte sich auf die Beine zu mühen. Die Erschöpfung und der Schmerz seiner ganzen Verletzungen ließen ihn jedoch wieder kraftlos auf den Boden sinken.

Ariane war noch verwirrter. Warum half Lissi ihm nicht einfach?

Doch irgendwann schaffte Jack es, sich aus eigener Kraft aufzurichten.

Er wollte einen Schritt auf Herr Bôss und diesen unheimlichen Mann zugehen, doch da versperrte Lissi ihm den Weg. „Jack, du musst das nicht.“

Er zögerte nur kurz. Und ging an ihr vorbei. „Ich sollte aber.“

Jack hatte schon immer eine ziemlich raue Stimme, aber so rau und so tief klang sie noch nie zuvor. Zitternd rieb sich Ariane den Arm, während sie beobachtete wie er zu den beiden Männern ging. Die Haltung, der Blick, alles wirkte kalt und bedrohlich. Das war der Jack, den sie kennengelernt hatten. Der Mörder, der im Auftrag des Purpurnen Phönix handelte.

„Valentin…“, setzte Herr Bôss an, doch auch er machte keine Anstalten ihn aufzuhalten.

Erst auf Höhe des am Boden liegenden älteren Mannes blieb Jack stehen. Ariane fiel es schwer den Blick zu deuten, welcher in seinen grasgrünen Augen lag. War es Hass? Trauer? Schmerz? Rache?

Egal was es war, innerlich bereitete sie sich schon darauf vor, dass Jack ihm seine Faust durch das Herz rammen würde. Sie wappnete sich für die Schmerzensschreie, die dieser Mann von sich geben würde. Sie erwartete bereits das Blut, sobald Jack ihn zu Tode folterte.

Denn genau das würde er tun. Genau das wollte er tun.

So schwer es ihr fiel seinen Blick beschreiben zu können, seine Gefühle kamen bei ihr und den anderen an. Fast schon so als wären es ihre eigenen.

Ariane ertappte sich bei dem Gedanken, bei dem Wunsch, dass auch sie diesen furchtbaren Menschen tot sehen wollte. Er hatte nichts anderes verdient. Er hatte es nicht verdient zu leben.

Jacks Hände begannen zu beben als er sie zu Fäusten ballte. Mit ihnen spürte Ariane die Erde vibrieren. Eine orangene Aura loderte um seinen Körper.

Der Mann lachte heiser. „Der Besitzer des Orangenen Skorpions… Wer hätte das gedacht.“

„Halt die Fresse.“, stieß Jack zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Und jetzt? Willst du Rache? Denkst du wirklich, du-“

„Halt die Fresse!“

Schnell wandte sich Ariane ab, kniff die Augen zusammen. Erwartete die Schreie, das Blut, … Doch nichts dergleichen geschah.

Irritiert schaute sie auf. Die Erde bebte immer noch und jedermanns Blick war auf die Ursache dessen gerichtet. Jeder wartete auf… irgendwas.

Jack ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Die Indigoner, die Soldaten worunter sich wahrscheinlich viele ehemalige Mitschüler von ihm befanden, und nicht zuletzt Herr Bôss und ihre Gruppe. Er verweilte für einen kurzen Moment bei Carsten, aber nicht lange.

Jack lachte schwach auf und schüttelte den Kopf. „Das ist so falsch.“ Seine Stimme klang leise, gebrochen. Und dennoch war die Bitterkeit nicht zu überhören, mit der er diese Worte aussprach. „Diese ganze Welt ist so falsch.“

Er wandte sich ab, weg von diesem fürchterlichen Menschen. Ging auf die gewaltige steinerne Mauer zu. Das orangene Lodern wurde stärker. Mit ihm das Beben. Ein tiefes Grollen hallte über die gesamte Ebene.

Anne zischte. „Der will doch nicht ernsthaft…“

Schließlich hatte er den Fuß der Mauer erreicht. Legte die Hand auf den kalten, unerbittlichen Stein. Die Äderchen auf seinem Handrücken stachen leuchtend orange hervor.

„Das erfordert viel zu viel Energie!“, bemerkte Susanne schockiert.

Das Beben hörte auf. Er ballte die Hand zur Faust.

„Jack, nicht!“, schrie Janine.

Es krachte. Gewaltige Risse zogen sich die Mauer hoch, breiteten sich immer weiter aus. Tiefe Furchen schlugen sich in die Erde, bahnten sich ihren Weg in das Innere des Komplexes. Ein Pfeifen schrillte in ihren Ohren, während selbst das unnachgiebige Eisentor aus seinen Angeln gerissen wurde. Kolossale Brocken regneten auf den Boden herab. Noch während der unüberwindbare Wall in sich zusammenstürzte, konnten sie die Gebäude im Inneren der Anstalt sehen. Graue, erdrückende Bauten. Sie alle wurden zerrissen, brachen ein, fielen in sich zusammen.

Eine gewaltige dunkle Wolke breitete sich aus, tauchte die gesamte Umgebung in einen Nebel aus Staub. Ariane hustete, als sie sich an den winzigen Körnchen verschluckte, ebenso einige andere, die die aufgewirbelte Erde einatmeten.

Schützend hielt sich Ariane die Hand vors Gesicht, aber dafür war es ohnehin schon zu spät. Nur schwach konnte sie das orangene Leuchten noch erkennen.

Allmählich legte sich der Staub, gab ihnen die Sicht auf den wolkenverhangenen Himmel frei. Langsam nur, ganz langsam, als würde die Natur ihnen die Zeit geben wollen, sich auf diesen Anblick vorzubereiten.

Die lodernde Aura der Erd-Energie wurde schwächer. Aus den Augenwinkeln bemerkte Ariane, wie Janine einen Schritt nach vorne gehen wollte, jedoch in der Bewegung innehielt.

Mit angehaltenem Atem betrachteten sie den jungen Mann, welcher vor dem Zentrum der Verwüstung stand. Kein Stein stand mehr auf dem anderen, nichts war mehr intakt. In diesem Moment, in diesen wenigen Sekunden… hatte das FESJ aufgehört zu existieren.

Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sich Jack zu ihnen um. Die Energie pulsierte noch immer durch seine Adern, gab seinen grünen Augen einen dämonischen Blick.

Ariane hörte, wie Sachen auf den Boden fielen. Verwirrt schaute sie hinter sich. Sah, wie im Prinzip alle Soldaten in grauer Uniform ihre Waffen fallen ließen. Unglauben regierte die Gesichter vieler. Manche brachen unvermittelt in Tränen aus, andere begannen aus heiterem Himmel zu lachen.

Es war ein seltsames Gefühl, fast schon unwirklich. Und doch war sie da, diese Freude. Diese Freiheit.

Einige Indigoner wurden vollkommen überfordert, als sie von ihren Feinden plötzlich überschwänglich in die Arme geschlossen wurden. Andere begannen schluchzende Soldaten zu trösten, die erst im Alter von Arianes Schwester sein dürften.

Solche Leute waren einst dort gefangen? Solche Leute hatte Mars gegen sie in den Krieg geschickt?!

„Danke…“

Hastig wandte sich Ariane Carsten zu, als sie seine zitternde Stimme hörte. Tränen hatten sich in seinen Augen gesammelt und doch war auf seinen Lippen ein schwaches Lächeln, während sein Blick auf Jack gerichtet war.

Es war dieses eine Wort, was jeder der ehemaligen Schüler dieser grauenhaften Anstalt gerade im Herzen trug.

„Danke“



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Regina_Regenbogen
2021-05-16T22:42:52+00:00 17.05.2021 00:42
Ah, ein Kapitel aus Arianes Sicht. Ich bin gespannt.
Oh Gott, jetzt geht es wirklich los. 🙈 Das ist echt eindrücklich, da kann ich es nicht mal wirklich Ariane x Carsten Moment nennen, obwohl er sie so hält.
Es ist beeindruckend, wie Jack Janine aufhält mit dem Wissen, dass sie nicht klarkäme damit, jemanden zu töten.
Lissi, du bist toll. Und wie sehr Jack und Lissi einander verstehen.
Ich fürchte, ich kann keinen Live Ticker machen.
Oh mein Gott.
Das war gerade echt verdammt intensiv.
Und das Kapitel hat mich abermals in dem Glauben bestärkt, dass Jack sexuell missbraucht wurde, auch wegen Lissis Verhalten.
Ich glaube, ich bin gerade gar nicht fähig, meine Eindrücke wiederzugeben. Das war doch etwas viel. Das muss ich erst verarbeiten.
Sehr intensiv und beeindruckend. Man hat dieses Durcheinander des Kriegs beim Lesen auch gespürt und dann Carstens Reaktion und dass es die Schüler aus dem FESJ waren. Das ergab so Sinn.
Und der Schluss, dass Jack das alles zum Einstürzen bringt. Das war episch.
Ok, ich muss hier erst mal aufhören, da mir gerade die Worte fehlen.
Antwort von:  RukaHimenoshi
17.05.2021 08:08
Haha, es freut mich, dass diese Atmosphäre auch so rüberkam. Kampfszenen sind ja doch eher mein Kryptonit und beim Schreiben der Schlacht war ich genauso überfordert wie die Mädels, die mittendrin stecken, eben weil so viel auf einmal passiert. ^^"

Mir fällt auch gerade erst bewusst auf, wie arg sich Eagle eigentlich geirrt hat, als er meinte Indigo würde nur angegriffen, weil sich die Gruppe dort aufhält. Gut, wer erwartet auch, dass (ehemalige) Schüler des FESJ plötzlich an der Front landen, nur damit Carsten eins ausgewischt werden kann. 🙈 Mars macht echt viel, um ihn außer Gefecht zu setzen. ô.O Ha! Bezeugt nur, als was für eine Bedrohung er Carsten sieht. 😎
... Und natürlich auch Jack, immer nur drauf auf den armen Jungen. Kein Wunder, dass er am Ende nur noch drauf war nach dem Motto "I'm tired of this shit". ^^"
Es freut mich extreeeem, dass du die Einsturz-Szene als episch empfunden hast! 🤩 Jack kann schon ziemlich badass sein und für verdammt viel Verwüstung sorgen. (Stelle mir gerade vor, wie Mars das im Fernsehen sieht und schon ein bisschen stolz ist. "Das ist mein Junge." XD)

Ich hoffe, du hast inzwischen alles verarbeiten können. 😅😉
Antwort von:  Regina_Regenbogen
17.05.2021 21:43
Nur zur Info: Man merkt nicht, dass Kampfszenen für dich schwierig sind. Kampfszenen finde ich allgemein schwierig umzusetzen, weil sie eben chaotisch sind, weil ja alles gleichzeitig passiert, aber du setzt das immer sehr gelungen um.

Jupp, Carsten ist einfach Bedrohung Nr. 1! 😆❤

😆 Setz mir nicht so einen Floh ins Ohr, das fände ich echt süß von Mars. Und den darf ich nicht süß finden.
Jack ist der King! Der Scorpion King! 🤣🤣🤣🤣

Ich musste erst weiterlesen, um zu verarbeiten und es wirkt immer noch nach. 😂
Antwort von:  RukaHimenoshi
17.05.2021 21:52
Yippie!!! Das freut mich! \(^-^)/

🤣🤣🤣 Ach, auch den Bösewicht darf man mal süß finden. Wobei... dafür ist ja eigentlich Jack da. *war XD
Pwahahaha, musste erstmal den Scorpion King googlen! 🤣🤣🤣🤣🤣🤣 Wär auch ne nette Bezeichnung für ihn, wobei wir Lissi wohl nicht von Jackie-Chan losbekommen. 🤭 Um es zu vervollständigen: Das Bild, was ich dir mal geschickt hatte, trägt den Titel Prinz der Unterwelt. Und dann auch noch Valentin... Ich glaube er hat mehr Alias als der "eiskalte Engel"! XD
Antwort von:  Regina_Regenbogen
17.05.2021 21:55
Er ist ja auch der Junge mit den meisten Gesichtern. 🤣 Allein seine Mimik! 🤣🤣🤣🤣 Da kann er auch viele Spitznamen vertragen, das Krümelmonster. 😆
Antwort von:  RukaHimenoshi
17.05.2021 22:02
🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣 Okay, irgendwie muss ich einen Weg finden, das auch noch einzubauen! Es passt zu perfekt!!! 🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣
Antwort von:  Regina_Regenbogen
17.05.2021 22:07
Ernsthaft, ich glaub, ich heule, wenn die Geschichte zu Ende ist. Wie soll ich denn ohne die Charaktere weiterleben? 😱 Du musst einfach ganz viele Epilog Kapitel schreiben, in die all die Ideen einfließen. 😂❤
Antwort von:  RukaHimenoshi
17.05.2021 22:11
Oh wei, eine Unendliche Geschichte? Glaube nicht, dass ich das hinbekomme. 😅 (Ich kann mir ein Leben ohne den Trupp aber auch nicht vorstellen!!! 😭💗)
Aber es werden definitiv noch einige Sachen für die Epilog-Kapitel gesammelt, zum Glück gibt's noch genug Plot, der auch nach Mars noch existiert bzw. ausgebaut werden muss. 💪
Antwort von:  Regina_Regenbogen
17.05.2021 22:25
Yay! 😍 Das beruhigt mich! Ich will doch alle glücklich sehen! 😍


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