Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 92: Eine weitere Chance ------------------------------- Eine weitere Chance       Unruhig wälzte Jack sich im Schlaf hin und her. Es waren die üblichen Bilder, alles wie gehabt. Und doch war es unmöglich sich daran zu gewöhnen. Das Zittern, der Schweiß, das Herzrasen, … Nie wurde es weniger. Schlaftrunken öffnete er die Augen und richtete sich auf, um sich in dem dunklen Zimmer mit den steinigen Wänden umzuschauen. Es klopfte gegen die Tür, die kurz darauf geöffnet wurde. Die Silhouette eines jungen Mannes betrat den Raum, dessen platinblonden Haare bei dem Flackern der Kerzen auf dem Gang eher orange schienen. „Alles in Ordnung?“ Jack lehnte sich seufzend gegen die Kissen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ja, ja, alles wie immer.“ Einen Moment lang wurde er geblendet, als Benni das Deckenlicht einschaltete und zu ihm rüberkam, um die Verpackung der Schlaftabletten auf dem Nachttisch zu betrachten. „Wirken sie überhaupt noch, wenn du sie so regelmäßig nimmst?“ Jack schnaubte. „Selbst wenn nicht, lass mir doch zumindest den Placeboeffekt.“ Wortlos setzte sich Benni auf die Bettkante. Jack versuchte derweil immer noch etwas wacher zu werden, während er beobachtete, wie der fast erwachsene Teenager ausdruckslos zur gegenüberliegenden Wand schaute. Eigentlich verhielt sich Benni so wie immer und doch wirkte irgendetwas seltsam… Schließlich erwiderte Benni seinen Blick. „Danke.“ Jack hatte keine Ahnung, was er dazu sagen sollte. Leicht perplex starrte er einfach nur in Bennis Augen, das linke schwarz wie die Nacht, das rechte rot wie Blut. Das einzige Wort was er schließlich über die Lippen brachte war: „Wofür?“ „Wegen gestern.“ Etwa zeitgleich betrachteten sie Bennis Samuraischwert, was seit neustem in einer Ecke in Jacks Zimmer untergebracht war, um zu verhindern, dass Benni damit ganz dumme Sachen anstellte. Seufzend schüttelte Jack den Kopf. „Kein Grund sich zu bedanken. Ich sag‘s doch, ihr seid mir alle zu aufopferungsvoll.“ „Denkst du, du bist da anders?“, fragte Benni und wirkte irgendwie leicht amüsiert. „Ich find’s einfach nur hirnrissig sich umbringen zu wollen, nur, um das Leben von jemand anderem zu retten.“ Er zog die Beine an und warf dem blöden Schwert einen verärgerten Blick zu. „Damit fügt man dem Geretteten doch viel mehr Schaden zu, als dass es helfen würde.“ Benni schien eine Weile über Jacks Worte nachzudenken, bis er sich schließlich aufrichtete. „Trotzdem könntest du den Dank doch einfach annehmen.“ „Wieso?“, wiederholte Jack seine Frage. Bennis Frage wiederum war eine rhetorische. „Weil du mir das Leben gerettet hast?“ Jack lachte auf. „Gerettet? Du willst gar nicht, dass ich überhaupt versuche, dir das Leben zu retten.“ Dieses Mal war es Benni der fragte: „Wieso?“ Er ging zum Schreibtisch und betrachtete seine Pistole, die neben den beiden Monitoren lag. Jack seufzte. „Ich… bin nicht sonderlich gut darin Leuten zu helfen. Und schon gar nicht sie zu retten.“ „Und noch jemand mit unbegründeten Selbstzweifeln.“ Benni seufzte ebenfalls und streckte die Hand nach der Pistole aus. Sofort verspannte Jack sich. „Hey, Pfoten weg.“ Benni erwiderte seinen Blick nur kurz, mit einem schauderhaften schiefen Lächeln auf den Lippen, als er seiner Aufforderung natürlich keine Folge leistete. „Benni, lass den Scheiß!“ Hastig richtete sich Jack auf, doch ein stechender Schmerz in seinen Schienbeinen ließ ihn aufschreien. Schwer atmend sackte er auf den Boden, nicht in der Lage sein Gewicht tragen zu können. Ihm wurde schwummrig. Er wusste nicht, ob die rötliche Färbung seines Sichtfeldes von ihm aus kam, oder… Bennis Bild verschwamm, die Haare wurden länger und bekamen dieselbe Purpur-Färbung wie die Iris, welche von einem düsteren Schwarz umgeben war. Genauso schwarz wie der Pistolenlauf, der dunkle Abgrund in die Hölle. Die Angst schnürte Jacks Kehle zu und ließ seine Hände zittern. Er bekam keine Luft. „Jack, wach auf!“ Mars lachte. „Noch jemand, den du nicht beschützen konntest, nicht wahr?“ Er kniff die Augen zusammen, spürte etwas Nasses über seine Wangen laufen. Nicht schon wieder… „Denkst du wirklich, sie würden dich akzeptieren? Dich? Denkst du sie würden dir verzeihen, wenn du dir noch nicht einmal selbst verzeihen kannst?“ „… Sei still…“ Jack biss die Zähne zusammen und konnte sich nicht einmal mehr auf seinem rechten Arm abstützen. Er spürte die Schnitte, das warme Blut. Das Brennen war fast schon angenehm, lenkte ihn zumindest ein bisschen von dem viel zu starken Schmerz in seiner Brust ab. „Valentin, es ist alles gut. Du musst nur die Augen aufmachen.“ Und doch drang Mars‘ tiefe Stimme bis in seine Knochen. „Glaubst du wirklich, du hättest eine weitere Chance verdient?“ „Jack!“ Ein lauter Knall, ein Schuss. Etwas explodierte in Jacks linker Schulter, irgendwas zerriss ihn von innen. Jack wollte schreien, den ganzen Schmerz irgendwie loswerden, aber…   … Er spürte eine angenehm kühle Hand auf seiner überhitzten Stirn. Das Atmen fiel ihm immer noch unsagbar schwer, aber dennoch schaffte er es mühsam die Augen zu öffnen. Es war wie die letzten Tage immer das verschwommene Bild eines Jungen mit schwarzen Haaren und einem dunklen Hautton, der für die Verhältnisse eines Indigoners trotzdem ziemlich blass war. Doch am auffälligsten waren immer die lila Augen mit ihrer magischen Ausstrahlung. Erschöpft fuhr sich Jack übers Gesicht und wischte sich etwas vom Schweiß weg. „… Geht’s?“, erkundigte sich Carsten besorgt. Wortlos nickte er, immer noch nicht ganz wach, und stützte sich auf dem linken Arm ab mit der Absicht sich aufzurichten. Wobei der höllische Schmerz ihn zu spät daran erinnerte, dass er ihn noch immer kaum belasten konnte. Mit einem erstickten Laut sackte Jack zur Seite und merkte erst bei dem stützenden und doch behutsamen Griff, dass auch hinter ihm jemand kniete, der ihn mit ruhiger Stimme dazu aufforderte langsam zu machen. Verwirrt versuchte Jack seine Umgebung wahrzunehmen. Dem harten Boden nach zu urteilen lag er in keinem Bett. Weder in seinem eigenen im Unterweltschloss, noch in dem vom Krankenhaus. „… Wo…“ „Alles ist gut, du bist immer noch im Krankenhaus.“, meinte Carsten und fügte zögernd hinzu, „Entschuldige, dass wir dich geweckt haben… Wir hatten nur Sorge, dass du dich verletzen könntest.“ Irritiert stellte Jack fest, dass das Bett etwa einen Meter hinter ihm stand. „Kannst du aufstehen?“, erkundigte sich Herr Bôss. Wortlos nickte Jack und versuchte sich aufzurichten, was ohne Herr Bôss‘ und Carstens stützenden Griff aber nicht ganz so gelungen wäre. Nachdem er halbwegs sicher auf den Beinen stand, fragte der Direktor direkt: „Schlafwandelst du häufiger?“ Immer noch benommen schüttelte er den Kopf und betrachtete das Bett, in das er sich nur zu gerne wieder reinlegen würde. Jemand der an der Tür lehnte seufzte genervt. Es war Anne, wie er feststellen musste als sie sagte: „Ich misch mich ja ungern ein, aber ehrlich: Du brauchst ne Therapie. Und zwar besser gestern als heute.“ „Hatte ich schon. Einer von Mars‘ Leuten ist Psychotherapeut.“ „Dann noch eine.“, erwiderte Anne direkt. „Ohne den Einfluss eines geisteskranken Dämons.“ Gerne würde Jack ihr jetzt widersprechen und sagen er käme schon klar, aber die Wahrheit war leider eine ganz andere. „Ich… hatte das eigentlich inzwischen ziemlich gut unter Kontrolle bekommen.“ Seufzend ging er zurück zum Bett und ließ sich auf die weiche Matratze sinken. Er war immer noch hundemüde und konnte kaum die Augen offenhalten. „Die letzten Tage waren hart, nicht wahr?“, fragte Carsten mitfühlend. Ohne es zu wollen lächelte Jack. Und trotzdem fiel ihm kein blöder Spruch ein, der die Situation auflockern konnte. Er erinnerte sich an das letzte Gespräch, was er mit Benni hatte. Und wie beeindruckt Jack war, dass er sich auf eigene Faust wegen seiner Persönlichkeitsstörung Hilfe geholt hatte. Dazu gehörte viel mehr als der Mut zur Einsicht, dass man ein Problem hatte. Dazu gehörte auch der Wille, etwas verändern zu wollen. Die Stärke, so eine Therapie auch wirklich durchzuziehen, selbst in Phasen, wo man am liebsten aufgeben würde, da es gefühlt einfach nichts brachte. Er warf einen Blick auf Herr Bôss, welcher ihn wiederum besorgt betrachtete. Er wusste über Benni bescheid. Und so wie Jack ihn kannte, hatte er die Therapie auch so gut er konnte unterstützt. Die Lippen des Direktors der Coeur-Academy formten sich zu einem warmen Lächeln, was Jack von früher kannte und ihn auch damals schon beruhigt hatte. „Niemand zwingt dich zu etwas, ich hoffe das weißt du.“ „Außer, dass du dich gefälligst mal duschen und anziehen solltest.“, ergänzte Anne genervt und schaute ungeduldig auf die Uhr. „Bevor wir schon wieder zu spät kommen.“ Mit einem langgezogenen Stöhnen ließ sich Jack zurück ins Bett fallen. „Nicht schon wiiiieder.“ Carsten lachte auf. „Ach komm, gestern war es doch sogar schon ziemlich nett.“ „Du hattest ja auch überhaupt kein Wort gesagt. Ich durfte mir die ganze Zeit den Mund fusselig reden.“ Und das ganze Stehen hatte seinen immer noch gebrochenen Beinen auch nicht gerade gut getan. „Und das hat unglaublich geholfen.“ Herr Bôss klopfte ihm auf die rechte Schulter. „Ich glaube es gab noch nie eine Sitzung, in der so viele Entscheidungen getroffen worden sind.“ Grummelnd drehte sich Jack auf die Seite, alles andere als motiviert. Er war immer noch viel zu müde und ohne Kaffee brachte er nach dem Aufwachen eh nichts zustande.   Und trotzdem schlurfte Jack wenige Minuten später Anne, Carsten und Herr Bôss hinterher, die Hände in der Lederjacke vergraben, gerade mal so am Existieren. „Wir gehen davor noch an Ituhas Bar vorbei und holen den Rest ab.“, erklärte Carsten, als sie nicht den direkten Weg zum Regierungsgebäude einschlugen. Das wurde ja immer besser. „Schon vergessen, dass ihr nen Invaliden mit euch rumschleppt?“ Wäre er halbwegs wach, würde ihm wohl auffallen, dass der zweite Invalide fehlte. Aber unter diesen Umständen war es erst durch Herr Bôss‘ Frage. „Hat sich der Zustand deiner Mutter verschlechtert, Anne?“ Diese seufzte. „Die letzten Sitzungen waren einfach extrem anstrengend für sie. Eigentlich wollte sie wieder mitkommen, aber die Ärzte haben bereits angedroht sie ans Bett zu fesseln.“ Carsten unterdrückte ein Lachen. „Ja, ich habe vorhin mit dem Krankenpfleger geredet. Ich bin froh, dass Jack da pflegeleichter ist.“ „Und mich zerrst du aus dem Bett raus.“, grummelte Jack. Inzwischen betraten sie die Bar, wo der Rest bereits wartete. „Carsten, endlich bist du da!!!“, grüßte ein kleines Mädchen mit rotbraunen Strubbel-Haaren und Sommersprossen freudig und kam auf sie zu. „Ähm… Guten Morgen, Risa.“, begrüßte auch Carsten sie und nahm sie leicht unbeholfen auf den Arm. Lissi quietschte begeistert, doch Jack nahm keine Notiz davon und platzierte sich abseits der Gruppe auf einem Barhocker. „Könnte der Morgenmuffel noch schnell einen Kaffee von Ihnen bekommen?“, fragte Herr Bôss die Barbesitzerin belustigt. Die muskulöse Indigonerin mit den langen Rasterlocken lachte auf. „Kein Problem.“ Sie ging an Jack vorbei und klopfte ihm auf den Rücken. „Vielleicht schafft der junge Mann es ja dann auch, sein Hemd richtig herum anzuziehen.“ „Hä?“ Unter lautem Gelächter vom Rest schaute Jack verwirrt an sich herunter und tatsächlich, das Karohemd war links rum. Noch genervter stöhnte er auf und befreite sich von der Jacke, um das Hemd über den Kopf zuziehen. „Das T-Shirt auch.“, stellte Öznur kichernd fest, was das Lachen der anderen nicht minderte. „Ja, ja, ich hab’s kapiert. Ihr bekommt euren Striptease.“ „Mit Musik?“, fragte Lissi begeistert. Wäre Jack nicht so grottig im Werfen, hätte er ihr das Hemd nun ins Gesicht gepfeffert. …Wobei Lissi wahrscheinlich sogar darauf stehen würde… Auch Laura lachte. „Da braucht jemand wirklich dringend einen Kaffee.“ Jack zog das schwarze T-Shirt ebenfalls über den Kopf. Noch während er ziemlich ungelenk versuchte es auf die richtige Seite zu drehen -er brauchte verdammt dringend einen Kaffee- merkte er, wie das Lachen aus irgendeinem Grund verstummt war. Irritiert schaute er sich um und suchte den Ort instinktiv nach einer Bedrohung ab. „Ist was?“ Susanne schob sich eine Strähne hinters Ohr und fragte verunsichert: „Kommen die… wirklich von dort?“ Jack musste sie wohl ne ziemliche Weile ziemlich planlos angeschaut haben, bis die Barbesitzerin mit einem Klackern eine Kaffeetasse auf den Tresen stellte. „Trink erstmal, Junge.“ Während schon alleine der angenehme, leicht bittere Geruch Jacks Lebensgeister wiedererweckte, nahm Herr Bôss ihm das T-Shirt aus der Hand und drehte es rechts herum, woran er selbst zuvor gescheitert war. Mit einem schwachen Dank schlüpfte Jack wieder hinein und nachdem der erste Schluck vom heißen, schwarzen Getränk begann ihn von innen zu wärmen, spürte er auch, dass endlich wieder normale Denkprozesse und Handlungen möglich waren. Mit einem erleichterten Seufzen stützte er sich auf den Tresen ab. „Das tut gut.“ „Du schuldest ihr noch ne Antwort.“, erinnerte Anne ihn an Susannes Frage. Jetzt verstand Jack auch direkt, dass die plötzlich ernste Atmosphäre den Narben auf seinem Oberkörper zu verschulden war. „Ach so. Ja, tun sie.“ Die Antwort half nicht gerade dabei, das betroffene Schweigen vom Rest zu brechen. Nach ein paar weiteren Schlucken vom Kaffee hatte Jack zumindest wieder genug Energie, sich zu ihnen umzudrehen und zu beobachten, wie im Prinzip jeder betreten den Kopf gesenkt hatte. „Echt jetzt? Überrascht euch das so sehr?“ Florian betrachtete ihn und Carsten mitfühlend. „Ihr beiden habt dort ziemlich viel durchgemacht, nicht wahr?“ Jack warf einen Blick auf den anderen Angesprochenen, welcher ihm jedoch nur ganz kurz in die Augen schaute und es dann bevorzugte den Dielenboden zu betrachten. So langsam dämmerte es ihm. Wenn Carsten an sich schon eher der Typ war, der versuchte alles zu verdrängen… Woher sollte dann der Rest wissen, wie es in dieser Höllenanstalt vor sich ging? Das kleine Dryadenmädchen fragte ziemlich unverblümt: „Hat man euch gefoltert?“ Betreten zuckten einige wie Laura zusammen und bei Eagles verbissenem Blick war sich Jack nicht sicher, wer der beiden eher losheulen würde. Die Stimme des Häuptlings klang zumindest stark danach, als er fragte: „Hast du meinen Vater deshalb…“ Zerknirscht fragte sich Jack, wie er den besten Ausweg aus dieser Situation finden könnte. Besonders den besten für Carsten, der vermutlich direkt wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen würde, womit er bekanntlich alles andere als gut klarkam. Aber die Tatsache war: Es gab keinen guten Ausweg. Alle waren scheiße. Er atmete aus und beantwortete alle Fragen auf einmal. „Ja.“ Insgeheim hatte er eigentlich mit einem absoluten Chaos gerechnet, aber diese betretene Ruhe war viel unheimlicher. Viel angespannter. Jack selbst machte sie nicht allzu viel aus, aber Carstens Zittern nach zu urteilen wartete er eigentlich nur noch auf den Sturm, der darauf folgen müsste. Jack fragte sich, was ihn mehr belastete. Die Erinnerungen an damals oder wie der Rest ihn immer wieder damit konfrontierte. Und so impulsiv wie insbesondere ein gewisser großer Bruder drauf war… Leicht belustigt beobachtete er, wie Carsten erschrocken zusammenzuckte als Ariane ihre Hand auf seinen Rücken legte, als wolle sie ihm Mut zusprechen. Ebenso ihr aufheiternder Blick, als er sich endlich dazu überwand ihr in die Augen zu schauen. Ob die zwei inzwischen eigentlich offiziell ein Pärchen waren? Wünschen würde Jack es ihnen aber so verhalten und zögerlich ihre Interaktionen noch waren… Ach Mann. „Aber… aber wie kann das sein?!“, fragte Öznur verzweifelt. „Es ist immer noch eine Schule!“ „Stimmt, die Behörden hätten doch irgendwas davon mitbekommen müssen und etwas dagegen unternehmen sollen.“, gab Susanne ihr befangen recht. Seufzend verschränkte Herr Bôss die Arme vor der Brust und schien zu beschließen, ihnen zumindest einen kleinen Einblick in diesen ganzen Mist zu geben. „Ja und nein. Diese ‚Schule‘ ist eine spezielle Einrichtung. Man kann sie weder mit einer staatlichen Schule noch mit einer Privatschule wie die Coeur-Academy es ist vergleichen. Da herrschen spezielle Regeln und selbst bei diesen haben die Behörden ihre Probleme, sie auch überprüfen zu können.“ „Sprecht Sie vom Steingefängnis?“, fragte Kito den Direktor. „Man kann es zumindest als solches bezeichnen.“, bestätigte Jack bei der Erinnerung an die ganzen erdrückenden, grauen Steinwände. Während er den Rest seines Kaffees inhalierte, erzählte Kito: „Sakim sprach oft vom Steingefängnis. Im Krieg wurden wir dort gefoltert und getötet.“ „Im FESJ wurden die Dryaden umgebracht?!“, entfuhr es Laura schockiert, Tränen glitzerten in ihren Augen. „Wie kann so etwas überhaupt als Schule durchgehen?!“ Seufzend zuckte Herr Bôss mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es war zuerst ein Gefängnis, dann eine Einrichtung für das Militär. Und schließlich wurde daraus ein Mix aus beidem für nicht volljährige Jungs.“ „Woher wissen Sie eigentlich von all dem?“, fragte Konrad überrascht. „Ich war früher mal in der Schulaufsicht tätig.“ Anne ging ein Licht auf. „Dadurch haben Sie dort auch Jack kennengelernt, nicht wahr?“ Herr Bôss nickte und erwiderte kurz Jacks Blick. Die Gruppe schien sich immer noch nicht ganz sicher, wie die Beziehung der beiden zu deuten war, bis Susanne sich schließlich zur Frage überwand: „Ist… ist damals etwas vorgefallen?“ Herr Bôss antwortete nicht darauf, was den Rest ziemlich zu verwirren schien. Und der für den ansonsten gut gelaunten Schuldirektor ungewohnt deprimierte Gesichtsausdruck sorgte dafür, dass sich auch niemand mehr traute weitere Nachfragen zu stellen. Letztlich wich er dem Thema tatsächlich aus und meinte mit einem Blick auf die Uhr: „Tja, jetzt kommen wir tatsächlich zu spät.“ Jack schlüpfte wieder in sein Hemd -dieses Mal richtig rum- aber ihm entging nicht, dass die anderen ziemlich verzweifelt schienen. Während Herr Bôss für Jacks Kaffee zahlte, überwand er sich also dazu die Situation zumindest halbwegs zu erklären. Ansonsten würden die ja eh bei jeder noch so bescheuerten Gelegenheit versuchen etwas aus dem Direktor heraus zu kitzeln. Und darauf konnten sowohl er als auch Jack dankend verzichten. „Er musste ein Verschwiegenheitsgelübde leisten.“ Jannik runzelte die Stirn. „Wofür denn das?“ Er versuchte das unangenehme Ziehen im Magen zu ignorieren und stieg vom Barhocker ab. „Wollt ihr gar nicht wissen.“ „Wird das nun deine Standardantwort auf so Fragen, Jackie-Chan?“, erkundigte sich Lissi. Dem mitfühlenden Ton in ihrer Stimme nach zu urteilen, schien sie ohnehin schon eine ziemlich konkrete Ahnung zu haben. Obwohl Jack immer noch leicht übel war, kam er nicht drum herum davon beeindruckt zu sein. Sie hatte einen ziemlich guten Blick für Details. Mit einem schiefen Lächeln zog er seine Lederjacke an. „Vielleicht sollte ich mir für die Zukunft ein Schild basteln.“ Er begab sich zum Ausgang der Bar, wobei ihm nicht entging, dass hinter seinem Rücken besorgte Blicke ausgetauscht wurde. „Risa, hol deinen Schulranzen, sonst kommst du noch zu spät.“, forderte Ituha derweil ihre Tochter auf. „Jahaaa!“, rief Risa brav und ging in den schmalen Gang die Treppe nach oben, wo sich die Wohnung der Familie befand. Wie eine Indigonerin sah das kleine Mädchen eigentlich nicht aus. Wer wohl der Vater war? Jack öffnete die Tür der Bar und trottete nach außen. Die Erinnerungen an damals hielten ihn immer noch gefangen und er wusste, dass er dem so leicht nicht entkommen konnte. Daher blieb Jack nichts anderes übrig als sich ihnen zu beugen. Dem erdrückenden Gefühl in seinem Herzen, das Auswringen seines Magens, der Eindruck die Kehle würde einem zugepresst werden, … Er kannte all dies zur Genüge und trotzdem war es immer wieder aufs Neue schmerzhaft. Es tat immer noch weh… Er war bereits kopflos einige Schritte gegangen, bis er durch seine Energie die Präsenz einer Person wahrnahm, einige Meter entfernt vor ihm. Irritiert blickte er auf, in zwei verschiedenfarbige Augen. Das linke schwarz wie die Nacht, das rechte rot wie eben jenes Blut, welches in Jacks Adern gefror. Ruckartig erstarrte sein Körper, er betrachtete den fast erwachsenen Teenager mit den hellblonden, nahezu weißen Haaren. Dieser hatte die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte an einem Baumstamm und beobachtete die Gruppe ruhig, die eben gerade die Bar verlassen hatte. Nicht nur Jack war zu Stein erstarrt, niemand war dazu in der Lage sich zu bewegen. Oder etwas zu sagen. Fast niemand. Zögernd trat Laura einige Schritte vor. Sie zitterte und es war gerade so mehr als ein Flüstern, als sie diesen einen Namen aussprach. „Benni?“ „Lange nicht gesehen.“, antwortete er. Und es war Bennis eigene Stimme. Die Stimme, die Jack vor einer Woche erst so verzweifelt versucht hatte rauszuhören. Konnte das sein? War es wirklich Benni? Eigentlich verhielt er sich so wie immer und doch wirkte irgendetwas seltsam… Carstens Stimme klang schwach, kurz vorm Zerbrechen. „Bist… bist du es wirklich?“ Benni entfernte sich vom Baum. Kam auf sie zu. Erst jetzt bemerkte Jack das Samuraischwert an seinem Gürtel. Und noch etwas fiel ihm auf. „Wer hat dir erlaubt meine Lederjacke zu tragen?“ Benni trug nie Leder. Er hörte Laura aufschluchzen und merkte, wie Carsten die Zähne zusammenbiss, als sie alle schmerzhaft realisierten, dass diese Person vor ihnen nicht Benni war. So sehr sie es sich auch wünschten, das war nicht… Bennis Lippen formten sich zu einem gefälligen Lächeln. Seine Stimme veränderte sich, wurde tiefer. „Was ist los? Freut ihr euch nicht, mich zu sehen?“ Instinktiv trat Jack einige Schritte vor, nicht wissend, was Mars von ihnen wollte. Aber eines stand fest: Auf diese Konfrontation war niemand vorbereitet gewesen. Und viele wären nicht dazu in der Lage zu handeln, sollte es zu einem Kampf kommen. Dieser plötzliche Schock… Jack spürte das Zittern hinter sich. Wie Porzellanpuppen bei einem Erdbeben. Ein Schlag, eine zu starke Erschütterung, und sie würden fallen. Zerbrechen. Und er wusste ganz genau, wer die erste Puppe war, die dabei zersplittern würde. „Was willst du hier?“, fragte er zerknirscht. Eine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen, als Mars sadistisch kicherte. Benni hatte selten große Veränderungen in der Mimik gezeigt. Und so wirkte dieses Lächeln, dieser abgrundtief bösartige Blick, umso falscher. Er passte überhaupt nicht zu ihm. „Ich wollte eigentlich nur schauen, wie es dir geht.“, antwortete Mars mit verräterisch falscher Fürsorge und blieb neben Jack stehen. Benni war eigentlich nur wenige Zentimeter größer als er aber trotzdem hatte er den Eindruck, dass Mars ihn wie in seiner eigentlichen Menschengestalt um einen Kopf überragte. Mit einer vermeintlich freundschaftlichen Geste legte der Dämon die Hand auf Jacks linke Schulter. Und drückte zu. Jacks Körper verspannte sich und er biss die Zähne zusammen, als die Schmerzen seine Schulter erneut zum Explodieren brachten. Es war wie vor einer Woche. Er hörte den Schuss, spürte die Qualen. Verbissen stierte Jack gerade aus, während Mars mit samtener, tiefer Stimme sagte: „Du hattest doch immer so Schwierigkeiten, Freunde zu finden. Da habe ich mir Sorgen gemacht. Und das zurecht, wie ich sehe.“ Sein Griff wurde noch einmal fester, noch einmal schmerzhafter. „Denkst du über die Mitleidsschiene kannst du sie für dich gewinnen? Sie dazu bringen dir zu vertrauen?“ Der Boden begann zu wanken, die plötzliche Hitze löste Schwindel aus. Mars tiefe Stimme war ganz leise, nahezu sanft, als er ihm ins Ohr flüsterte: „Ich verrate dir mal ein kleines Geheimnis: Sie werden dich niemals akzeptieren.“ Jack kniff die Augen zusammen, versuchte trotz der Schmerzen ruhig zu atmen. Hinter sich hörte er eine fast genauso tiefe Stimme. Sie gehörte zu Herr Bôss. „Lass den Jungen gehen.“ „Tu ich doch.“ Mars lachte auf und stieß Jack leicht zur Seite. Taumelnd kam er zum Stehen und hielt sich die Schulter. Ein ekelhaftes Pochen hämmerte gegen seine Hand. Belustigt blickte der Dämon in die Runde. In all die entsetzten Gesichter, die sich ihrem Freund gegenübersahen. Ein Freund, der gleichzeitig der Feind war. „Was ist los? Wolltet ihr mich nicht bekämpfen?“ Gehässig lachend breitete er die Arme aus, als wolle er sie alle in Empfang nehmen. „Da seid ihr nun alle, endlich vereint, und doch wollt ihr diese Gelegenheit nicht nutzen?“ Elender Mistkerl, er wusste doch, warum niemand von ihnen dazu im Stande war zu handeln. Jack wagte einen flüchtigen Seitenblick auf die restliche Gruppe. Der Schreck war ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben. Mars wusste ganz genau, warum er sich ihnen so auf dem Silbertablett präsentieren konnte. Aber warum war er hier? Erneut lachte der Dämon. Es war schauderhaft, wie ein Unwetter. „Wie schade. Dabei habt ihr doch jemanden, der sogar dazu in der Lage wäre.“ Belustigt wandte er sich wieder Jack zu. „Vatermord ist schließlich nichts Neues für dich, oder, mein Lieber?“ Zerknirscht ballte Jack die Hände zu Fäusten, insgeheim schon darauf vorbereitet sich verteidigen zu müssen. „Zwing mich nicht dich Papa zu nennen, wenn du wie jemand aussiehst, der drei Jahre jünger als ich ist.“ Gespielt bedrückt seufzte er. „So ist das mit den Kindern. Man tut alles für sie und selbst ein kleiner Dank ist schon zu viel verlangt.“ In dem einen Moment noch hatte Jack Mars‘ diabolisches Lachen vor Augen, in dem nächsten stand der Dämon direkt vor ihm. Automatisch blockte Jack den Schlag mit seinem rechten Arm. Erst bei dem grauenvollen Schmerz des noch nicht verheilten Knochens erinnerte er sich daran, dass er wegen dieser scheiß Sitzungen seine Armschiene nie tragen durfte. Jack unterdrückte einen Schmerzenslaut und wehrte instinktiv den Dolch ab, den Mars in seine Seite rammen wollte. Unter dem lautstarken Protest seiner linken Schulter schlug Jack zu, viel schwächer als es ihm sonst möglich wäre. Er hatte gerade so ein bisschen Abstand zwischen sich und den Dämon bringen können, als dieser das Samuraischwert zog. Der Abstand war nicht groß genug. Jack meinte schon zu spüren, wie die Klinge ihm die Kehle aufschlitzte, als ein metallisches Aufeinanderprallen das Schwert in seiner Bewegung erstarren ließ. Schwer atmend wich Jack zurück und hielt sich den rechten Arm. Er erkannte gerade so einen immer noch von schwarzer Aura umgebenen Fächer in der Wiese stecken, als Laura auch schon mit einem kraftvollen Schlag ihrer in Finsternis gehüllten Handfläche den Dämon in die Knie zwang. Aber nur kurz. „Pass auf!“, schrie Ariane eine erschrockene Warnung, als Mars nun auf Laura zustürmte. Schwer beeindruckt von ihren Reflexen beobachtete Jack, wie das Mädchen dem Schwerthieb zur Seite auswich und die plötzliche Feuerfront direkt im Keim erstickte. Erneut landete sie einen Treffer mit ihrer Finsternis-Energie, doch wieder war die Kraft des Dämons zu unerschöpflich. Tränen rannen über Lauras Wangen, als sie erneut zuschlug. „Lass Benni gehen!“ Wie vom Blitz getroffen erstarrte Jack. Bilder suchten ihn heim. Bilder, die Mars selbst vor einer Woche noch in sein Gehirn gepflanzt hatte. Die Vorstellung, wie Laura kämpfen würde. Wie sie alles tun würde, nur um… Es ging zu schnell. Es ging alles viel zu schnell. Niemand konnte so schnell reagieren. Und schon gar nicht aus dieser Entfernung, mit dieser notwendigen Präzision. Ohne es zu wollen sah Jack genau die Situation vor sich. Sah, wie Laura schreiend auf Mars zustürmte. Sie wollte doch nur ihren Benni zurück. Doch Mars hatte damit gerechnet, hatte diesen Angriff kommen sehen. Und hatte immer noch die Macht über Bennis Kampftalent. Er blockte ihren Schlag und selbst, wenn Laura in einer runden Bewegung in einen Tritt überging, war sie nicht schnell genug, um Mars‘ Hieb gegen ihr Kinn abzuwehren. Sie schaffte es zwar irgendwie beim Sturz auf beiden Beinen zu landen, aber da war die Spitze des Schwertes bereits kurz davor ihr Herz aufzuspießen. Es blieb ihnen noch nicht einmal die Zeit, Lauras Namen zu rufen. Und trotzdem… trotzdem hatte Jack den Eindruck, dass für einen kurzen Moment die Zeiger auf der Uhr stillstanden. Wie sich das das Ticken des Sekundenzeigers ein kleines bisschen verzögerte, als Laura ihrem Gegenüber in die Augen blickte. Dann kam das Ticken. Und Laura schlug das Schwert zur Seite weg, um es mit der Finsternis-Energie aus Mars‘ Händen zu reißen. Erst als Jack hörte wie sein Name gerufen wurde, wachte er aus diesem seltsamen, trance-ähnlichen Zustand auf. Laura kam zu ihm rüber gerannt und warf ihm das Schwert zu. Leicht überrascht fing er es am Griff auf, während sie ihren metallenen Fächer hochhob, der immer noch in der Erde gesteckt hatte. Schwer atmend versuchte Jack die ganze Situation zu verdauen, doch viel Zeit würde ihm wohl nicht bleiben. Mit einem amüsierten Lachen richtete sich Mars wieder auf. Jack warf einen Blick auf die restliche Gruppe. Niemand von ihnen hatte so schnell reagieren können wie Laura. Der Großteil schien noch nicht einmal wirklich verarbeitet zu haben, was gerade Sache war. Aber eines stand fest. „Haltet ihn von Carsten fern!“ Diese Aufforderung brachte sie wieder zurück, raus aus der Schockstarre. Jeden bis auf Carsten selbst zumindest. ‚Glaubst du, er würde auch nur irgendeine Form der Gegenwehr zeigen? Ich denke ja, man könnte sehr leicht mit ihm spielen. Wie mit einer leblosen Puppe.‘ Eine leblose Puppe, die zerbrechen würde, wenn man sie fallen ließ. Die jetzt schon auf der Kante lag. Laura begab sich erneut in eine Angriffsposition, wie eine Katze, die auf der Lauer lag. Als Mars merkte, wie sich der Rest endlich ebenfalls kampfbereit machte, wurde sein Lachen stärker. „Das wird ja sehr interessant. Und wenn ihr mich besiegen solltet? Was dann?“ Sein Blick fiel auf Carsten, dem Schwarzmagier, welcher der Schlüssel für den Bann war. Er stand einfach nur da, kaum mehr in der Lage sich aufrecht zu halten. Die magischen lila Augen waren weit aufgerissen vor Entsetzen, vor Angst. Konfrontiert mit der Tatsache, dass sein bester Freund nicht mehr er selbst war. Es war, wie als hätte man einem Verletzten seine Krücke weggenommen. Seine einzige Möglichkeit, wieder aufstehen zu können. … Verdammt. Jack wandte sich wieder dem Dämon zu. Trotz des Protestes in seinem linken Arm hob er das Samuraischwert über den Kopf und zwang sich zu einem schiefen Lächeln, als er sowohl Mars als auch Benni ansprach: „Wer weiß? Du kennst mich doch. Ich denke viel zu wenig nach.“ Damit hatte er die Aufmerksamkeit des Dämons wieder auf sich richten können, welcher von dieser Aussage sehr belustigt schien. „Noch jemand, den du nicht beschützen kannst, nicht wahr?“ Jacks Griff um das Schwert verspannte sich. Mars lächelte. Grausam. „Wer ist wohl der nächste, der wegen dir sterben wird?“ Er biss die Zähne zusammen, seine Hände begannen zu zittern. „… Sei still…“ „… Wollen wir es herausfinden?“ ‚Glaubst du wirklich, du hättest eine weitere Chance verdient?‘ „Sei still!“ Mit einem irren Grinsen warf Mars die Hand zur Seite, als würde er etwas wegwerfen wollen. Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ die Erde erschüttern. Fenster zersplitterten, Holz zerbarst, Steine brachen. Über all dem lag Ituhas Schrei, ein verzweifelter Ruf nach ihrer Tochter. „RISA!“ Jacks Herz blieb stehen, als er an das kleine Mädchen von vorhin dachte, das Carsten in die Arme gesprungen war. Er hatte sich doch nur ein einziges Mal mit ihr im selben Raum aufgehalten und trotzdem… Nein… nicht schon wieder… „Versuchst du immer noch zu leugnen, was du in Wahrheit bist?“ Er hörte Mars auflachen und spürte, wie ein Portal aus Finsternis-Energie entstand. „Komm zurück, wenn du aus deiner rebellischen Phase wieder draußen bist, mein Junge.“ Wie gelähmt stand Jack da. War das wirklich alles nur wegen ihm? War das schon wieder alles seine Schuld? Das Durcheinander von aufgebrachten Stimmen war wie ein Wirbelsturm in Jacks Kopf. Er hörte, wie Öznur irgendetwas meinte von wegen „Wir müssen nach ihr suchen!“ Eagle ging bereits auf die Überreste der Bar zu. Die Zerstörung, verursacht durch tausende Risse in der Erde. Erd-Energie, die er eigentlich hätte aufhalten können. Wenn er nur rechtzeitig reagiert hätte… Eigentlich war all dies auch nur geschehen, weil Mars ihm diese Lektion erteilen wollte. Wenn er nicht gewesen wäre… Nicht schon wieder. Nicht schon wieder! Warum konnte er nicht ein einziges Mal etwas richtig machen?! Verbissen ballte Jack die zitternden Hände zu Fäusten und kniff die Augen zusammen. Es war schon wieder nur wegen ihm. Es war schon wieder seine- Ein seltsames Gefühl ließ Jack hochschrecken. Es war eine Bewegung, die er wahrnahm. Irgendetwas, nein, irgendjemand, der sich im Inneren dieser Trümmer versuchte voranzutasten. War es möglich? Aber dieses ganze Konstrukt war viel zu- „Rühr dich nicht vom Fleck!“, schrie Jack zu Eagle rüber, bevor er den unebenen Boden betreten konnte. Eigentlich hätte Jack erwartet, dass der Häuptling ihn knallhart ignorieren würde. Doch tatsächlich hielt er inne und drehte sich verärgert um. „Verdammt, du Arsch hast hier gar nichts zu melden, ist das klar?! Das alles ist nur wegen dir passiert!“ „Das weiß ich doch selbst…“ Zähneknirschend reichte Jack das Samuraischwert an Laura und ging auf den Häuptling zu, der größer war als Jack selbst, weshalb er den Kopf leicht in den Nacken legen musste um den hasserfüllten Blick von Eagles bernsteinbraunen Augen zu erwidern. „Aber wenn du einen falschen Schritt auf diesem Minenfeld machst, wird alles einstürzen und sie überlebt das definitiv nicht.“ „Glaubst du, sie lebt noch?“, fragte ihre Mutter hoffnungsvoll, woraufhin er nickte. „Tatsächlich, ich höre ein schwaches Schluchzen.“, gab Susanne ihm recht. Eagle schnaubte. „Toll und jetzt? Wenn alles kurz vorm Einstürzen ist…“ „… Solltest du Trampel da wohl am wenigsten rein.“ Jack schob ihn zur Seite und wollte den instabilen Bereich betreten, wurde aber direkt von Eagle am Unterarm gepackt. Dem rechten, der nach dem Kampf gegen Mars ohnehin schon wieder was abbekommen hatte. Schmerzverzerrt funkelte Jack ihn an. „Wer denkst du bekommt das eher auf die Reihe? Jemand, der Sachen durch die Luft fliegen lassen kann, oder jemand, der durch die Erde spürt, was davon alles zum Einsturz bringen könnte?“ Eagles Zögern machte mehr als deutlich, dass Jack der letzte war dem er das Leben dieses Mädchens anvertrauen wollte. Und er hätte ihn vermutlich auch nicht gehen lassen, wenn die Barbesitzerin selbst nicht Eagles Arm packte und dafür sorgte, dass er Jack losließ. „Risa heißt sie, oder?“, vergewisserte sich Jack. Ituha nickte. Er atmete noch einmal tief durch und erschuf mit seiner Erd-Energie einen Weg, mit dem er zumindest ungehindert bis zum Beginn des ganzen Trümmerchaos kommen konnte. Er konnte Eagle nicht verübeln, dass er ihn zurückgehalten hatte. Ehrlich gesagt… insgeheim hatte Jack gehofft, dass Eagle ihn daran hindern würde. Dass jemand anderes eingeschritten und mit einer besseren Idee angekommen wäre. Irgendwas, was Jack nicht im Plan involvieren würde. ‚Glaubst du wirklich, du hättest eine weitere Chance verdient?‘ Jack schüttelte sich. Er versuchte diese Worte auszublenden, die aus irgendeinem Grund dauernd in seinem Kopf hallten. Nicht ablenken lassen. Jetzt bloß nicht ablenken lassen. Er spürte die Blicke der anderen auf sich ruhen, teils hoffnungsvoll, teils ungläubig und vor allem kritisch. Niemand traute ihm das zu. Jack sich selbst am allerwenigsten. Nach kurzer Suche fand er eine Öffnung, die groß und sicher genug war, um in das Innere der Zerstörung zu gelangen. So instabil wie das alles war, konnte er nicht einfach so seine Erd-Energie verwenden, ohne das Mädchen dabei in Gefahr zu bringen. Wenn er sie gefunden hatte wäre rauskommen leicht. Aber der Hinweg… Kaum befand sich Jack im Inneren der Bar, konnte man nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen sehen. Was ihm ironischer Weise dabei half, die Umgebung besser erkennen zu können. Vorsichtig tastete sich Jack voran, zwängte sich durch heruntergestürzte Steinwände und schob Hindernisse aus dem Weg, die nicht gleich das ganze eingestürzte Haus erneut zum Einsturz bringen würden. Nach einer Weile hörte auch er, was Susanne zuvor durch ihr verbessertes Gehör hatte wahrnehmen können. Ein leises, verängstigtes Schluchzen, etwa in der Mitte des Raumes. „… Risa?“, fragte Jack vorsichtig in die Dunkelheit. „W-wer ist da?“, fragte das kleine Mädchen mit zitternder Stimme. „Jack.“ Auch, wenn diese Information wahrscheinlich nicht sonderlich hilfreich war. Immerhin kannten sie sich eigentlich gar nicht. „Der, der das Hemd vorhin falschrum anhatte.“, versuchte er sich irgendwie näher zu beschreiben, während er durch einen weiteren Spalt hindurchkroch. Bloß nicht gegen die linke Seite kommen. Sicherheitshalber schirmte er diesen instabilen Bereich mit einer dünnen Erdwand ab. Er konnte immerhin manchmal ziemlich tollpatschig sein. Diese ‚Beschreibung‘ von ihm sorgte zumindest dazu, dass Risa schwach kicherte. „Du bist ein Freund von Carsten, oder?“ Jack hielt inne. War er das? Betrachtete Carsten ihn wirklich als Freund? Es war ein seltsames Gefühl. Genauso wie damals, als Benni ihn aufgefordert hatte seinen Spitznamen zu verwenden. Und dennoch formten sich Jacks Lippen automatisch zu einem Lächeln, als er antwortete: „Ja.“ Nach diesem Spalt bot sich ihm etwas mehr Platz. Genug, dass er gebeugt durch einen freien Raum kam, an dessen Ende… Jack biss die Zähne zusammen. Shit, das Mädchen hatte wirklich Glück im Unglück gehabt. „Okay, halt noch einen Moment durch. Wir holen dich da schon irgendwie raus.“ Ein gewaltiger Stein hielt sie unterhalb der Hüfte am Boden fest. Jack hoffte, dass zumindest Heilmagie dafür sorgen könnte, dass Risa danach noch im Stande wäre zu laufen. Ansonsten… Blöderweise war natürlich genau dieser beschissene Stein einer der stützenden Pfeiler, der dieses ganze instabile Konstrukt noch aufrechterhalten konnte. Würde Jack ihn wegbewegen, sei es auch nur ein kleines bisschen… „… Jack?“ Bei Risas verunsichertem Ton merkte er, wie sie mit den Fingern um sich tastete, als suche sie etwas. Oder eher jemanden. „Keine Angst, ich bin hier.“ Zögernd streckte Jack die Hand aus, sodass ihre Finger seine eigenen finden konnten. Belustigt stellte er fest, dass wohl auch Risa Linkshänderin war, während sie mit ebendieser Hand seine rechte ertastete. Fast schon so, als könne sie sich dadurch ein Bild von ihm machen. Allmählich ließ das Zittern ihres Körpers nach und während Jack sich den Kopf darüber zerbrach, wie er sie wohl am sichersten und wenigsten schmerzhaft da rausbekommen könnte, schaffte sie es sich überraschend schnell zu beruhigen. Ganz schön taff, die Kleine. Sie schien ziemlich viel wegstecken zu können. Jack seufzte. „Okay, ich hab ne Idee wie wir dich da raus bekommen. Aber das könnte ziemlich chaotisch und sehr, sehr laut werden. Bist du bereit?“  Er merkte, wie Risa nickte. „Alles klar.“ Um sie nicht zu erschrecken meinte er noch: „Ich pack‘ dich jetzt an den Armen, okay?“ Wieder nickte sie. Er nahm ihre Oberarme und spürte, wie sich Risas kleinen Hände an ihn festklammerten. „Wir zählen jetzt gemeinsam hoch und bei drei ziehe ich dich dort raus. Verstanden?“ Ein erneutes Nicken. Jack verlagerte sein Gewicht etwas und atmete tief durch. Wenn das mal nicht schief gehen würde. „Okay. Eins, …“ „… zwei, …“, stimmte Risa mit ein. „Drei“ Jack hob den Trümmerbrocken mit seiner Energie an und zog das Mädchen gleichzeitig zu sich. Direkt brach die Welt über ihren Köpfen zusammen. Ein ohrenbetäubendes Krachen und Poltern, als das Haus erneut zusammenstürzte. Staub und Erde trieben Jack die Tränen in die Augen, bevor er sie zusammenkneifen konnte. Und doch sorgte der Lärm für ein Pfeifen in seinen Ohren. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis alles verstummte und nur noch kleine Steinchen herunterrieselten. Schwer atmend und hustend verstärkte Jack den Griff um den zierlichen Körper des Mädchens. Sein Herz pochte wie wild, während er ganz langsam realisierte, dass die kleine Erdkuppel die er um sie erschaffen hatte, dem Einsturz hatte Stand halten können. „Alles okay?“, fragte er mit rauer Stimme, als sich sein Atem so halbwegs normalisiert hatte. Risa hatte ihr Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben und nickte lediglich. Trotz all dem war sie immer noch erstaunlich ruhig, ruhiger als Jack selbst. Besorgt fragte er sich, ob sie wohl einen Schock davon bekommen hatte. Dennoch atmete er erleichtert auf. „Gut, dann bringen wir dich mal hier raus.“ Ihr begeistertes Nicken irritierte Jack umso mehr. Also doch kein Schock. Verdammt nochmal war die Kleine hart im Nehmen. Sie ließ ganz entspannt zu, dass Jack sie hochhob als er die Kuppel vergrößerte, um sich aufrichten zu können. Seine eigenen Knie zitterten dagegen immer noch wie Wackelpudding. Das war alles viel zu glatt gelaufen. Er traute dem Frieden nicht. Dieser Ruhe. Entsprechend kritisch war Jack, als er sich auf dem Weg nach draußen mit seiner Erd-Energie eine Höhle erschuf. Bei dem Krachen und Grollen erschrak Risa kurz, als die Trümmer woanders in sich zusammenfielen. Doch sie beruhigte sich sofort wieder, als sie merkte, dass Jack ungehindert seinen Weg fortsetzte. Das Licht der Sonne blendete ihn, als er schließlich den Ausgang erreichte. Doch da er Risa immer noch im Arm hielt, konnte er seine Augen nicht mit der Hand schützen. Im Prinzip weiterhin blind ging Jack mit Hilfe seines Tastsinns den Weg zurück, während verschiedenste Stimmen wild durcheinander redeten. „Risa!“ „Ist alles okay?“ „Bist du verletzt?“ „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Wie geht’s dir?“ Allmählich gewöhnten sich Jacks Augen wieder an das Licht und er trug das Mädchen direkt zu seiner Mutter. „So, da wären wir.“ Er wollte sie an Ituha geben, doch das kleine Äffchen klammerte sich viel zu sehr an ihn fest. Jack seufzte. „Endstation, die Reise ist vorbei.“ Auch das brachte nichts. Er musste feststellen, dass er Risa noch nicht einmal festhalten musste. So wie sie die Arme um Jacks Hals geschlungen hatte -was ihn halb erwürgte- konnte sie sich auch blendend von selbst halten. Belustigt legte die muskulöse Indigonerin eine Hand auf den Kopf ihrer Tochter. „Risa, lass den jungen Mann los. Er bekommt ja überhaupt keine Luft.“ Daraufhin vergrub sie ihr Gesicht aber nur noch mehr in Jacks Halsbeuge. Zumindest bis sie leicht verunsichert und schüchtern fragte: „Darf… darf ich mich zumindest bedanken?“ Kopfschüttelnd versuchte Jack erneut, die Klette von sich loszureißen. „Nicht nötig.“ Ituha wirkte leicht amüsiert, während Risas Griff noch fester wurde. „Bitte…“ Mann, hatte das Mädchen eine Kraft. Dabei war sie noch nicht einmal antik begabt. „Von mir aus, so lange du mich danach endlich los lässt…“, brachte Jack halb erdrosselt hervor. „Jippie!“, rief Risa erfreut und ehe sich Jack versah, drückte sie ihm auch schon einen Kuss auf die Wange. „Danke schön!“ Es war wohl keine Überraschung, dass Jack daraufhin nur noch leicht perplex mitbekam, wie sich Risa von ihrer Mutter aus seinen Armen nehmen ließ. Das war ihr Weg, sich zu bedanken? Er nahm am Rande wahr, wie sich Ituha bei Risa erkundigte ob alles in Ordnung sei, während Eagle bereits Carsten und Susanne dazu aufforderte, sich ihre Verletzungen anzuschauen. Susanne ließ sich dies nicht zweimal sagen, doch Carsten schien einen Moment zu brauchen, um zu realisieren, dass seine Hilfe benötigt wurde. Jack wuschelte sich durch die längere Seite der Haare, aus denen Staub und kleinere Steinchen rieselten und drehte sich zu den Trümmern der Trümmer um. Die Erd-Energie-Höhle wirkte absolut fehl am Platz und er konnte es immer noch nicht glauben, dass er und das Mädchen kurz davor tatsächlich lebend dort rausgekommen sind. Er merkte, wie Herr Bôss neben ihn trat. „Das war ein ziemlicher Schreck, nicht wahr?“ Jack nickte nur. Allmählich ließ die Anspannung nach und seine Beine beschlossen, ihn nicht länger halten zu wollen. Erschöpft sank er auf den Boden, wobei weder der linke noch der rechte Arm viel von seinem Gewicht stützen konnten. Wenn das so weiter ging, würden seine Verletzungen noch länger brauchen um zu verheilen als normalerweise. Herr Bôss kniete sich vor ihn und hielt ihm die Hand entgegen. „Darf ich mir das mal anschauen?“ Etwas zögernd reichte Jack ihm den rechten Arm, der im unteren Bereich leicht gerötet und geschwollen war. Vorsichtig nahm Herr Bôss seine Hand und hielt die andere über die Stelle mit dem gebrochenen Knochen. Eine helle, grünliche Aura leuchtete von seiner Handfläche auf, gleichzeitig fuhr ein ekelhaftes Kribbeln durch Jacks Arm, wie wenn man zu lange darauf gelegen hatte und er eingeschlafen war. Doch so widerlich das Gefühl auch war, er musste feststellen, dass der pochende Schmerz tatsächlich ein bisschen nachließ. Jack verzog leicht das Gesicht als der Direktor seinen Arm umdrehte, um auch die Innenseite heilen zu können. Er merkte, wie sich Herr Bôss für einen kurzen Moment verspannte als ihm die ganzen schmalen, hellen Streifen auf seinem Unterarm auffielen. Überreste von unzählig vielen Schnitten, als Jack in seiner schwersten Phase keinen anderen Ausweg mehr gefunden hatte als dem seelischen Schmerz mit körperlichem zu entfliehen. Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in Jacks Magen aus. Er fühlte sich gar so beschämt, dass er den Blick abwenden musste, in der Angst Herr Bôss ansonsten in die Augen zu schauen. „… Das bist nicht du.“, meinte dieser plötzlich. Jack war verwirrt. „Wie meinen Sie das?“ „Dieses Bild, was Mars dir zu vermitteln versucht. Das bist nicht du.“ Gedankenverloren betrachtete er die Gruppe, die sich um das achtjährige Mädchen versammelt hatte. Mars‘ Worte an jenem Abend bekam er immer noch nicht aus dem Kopf. „Weißt du, ich habe immer gedacht, dass wir uns ähnlich sind. Wo wir auch hingehen, Zerstörung und Leid ist unser steter Begleiter.“ Automatisch richtete sich sein Blick auf die zerstörte Bar. „Ich finde, es passt ziemlich gut.“ „Nein Valentin, er will doch, dass du genau das denkst.“, widersprach Herr Bôss ihm bestimmt. Von weiter entfernt hörte er Risas Stimme fragend rufen: „Valentin?!“ „So hieß ich früher mal.“, antwortete Jack nur. Risas blassblaue Augen begannen zu leuchten. „Das ist ja ein schöner Name! Darf ich dich auch so nennen?“ „Ähm… Wenn du magst…“ „Jippie!“, rief das kleine Mädchen erfreut. Er hörte Herr Bôss auflachen und auch Ituha wirkte amüsiert, als sie sich aufrichtete und ihre Tochter den beiden Heilern überließ, um zu Jack rüber zu kommen. Er fühlte sich etwas unwohl, als die muskulöse Indigonerin sich vor ihm aufbaute und das Gefühl wurde auch nicht besser, als er selbst sich schließlich aufrichtete. Indigoner waren im Durchschnitt halt größer als normale Menschen. Trotzdem war ihr Blick sanft, um nicht zu sagen liebevoll, als sie meinte: „Ich schulde dir was.“ Jack schüttelte den Kopf. „Nicht nötig.“ Immerhin war er für den ganzen Mist hier überhaupt verantwortlich. „So einfach kommst du mir nicht davon, junger Mann.“ Das klang eher nach einer Drohung als einem Dank. „Schließlich hast du meiner Tochter gerade das Leben gerettet.“ … Mit unverschämt viel Glück und nachdem ich sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte. Aber so, wie die durchtrainierte Riesin die Hände in die Hüften gestemmt hatte, war sich Jack nicht sicher, ob er mit ihr darüber diskutieren wollte… Im Endeffekt würde sie sonst noch versuchen ihm die ‚Einsicht‘ einzuprügeln. Seufzend gab er sich geschlagen. „Wenn‘s sein muss… Dann gib mir nen Whisky aus, sobald die Bar wieder steht.“ Auf Ituhas kritischen Blick hin fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu: „Aber bloß nicht den billigen Standardkram. Ich bin extrem wählerisch.“ Bei diesem Kommentar hoben sich auch ihre Mundwinkel ein bisschen. „Ein Mann von Kultur, wie ich sehe. Ich nehme dich beim Wort, Junge. Sobald die Bar wieder steht.“ „Kommt Valentin uns dann häufiger besuchen?!“, fragte Risa begeistert. „Wer weiß? Vielleicht tut er das.“ Ituha warf einen belustigten Seitenblick auf Jack, welcher seufzend den Kopf schüttelte. „Oh jaaa, bitte! Ich wollte schon immer einen großen Bruder haben!“ Zum ersten Mal schaute Risa ihm direkt in die Augen. Bei ihrem Lachen entwich Jack der Atem. „Was soll das denn heißen?! Hängst du lieber mit Jack rum als mit Carsten oder mir?“, empörte sich Eagle und schien tatsächlich ein bisschen beleidigt. Risa zuckte mit den Schultern. „Ich mag Valentin halt, er ist witzig.“ Kritisch verschränkte Anne die Arme vor der Brust. „Wie kann sie jetzt schon wieder so munter sein, obwohl sie immer noch verletzt und vor wenigen Minuten erst knapp dem Tod entronnen ist?“ Die Indigonerin lachte auf. „Dieses beeindruckende Durchhaltevermögen hatte sie schon immer. … Und diesen Starrsinn.“ Ebenso amüsiert wuschelte Herr Bôss Jack durch die Haare. „Da kenne ich noch jemanden.“ Jack bekam keine Luft. Irgendetwas zerquetschte sein Herz, so schmerzhaft, dass er sich krümmen musste, während er gepresst versuchte einzuatmen. Besorgt legte Herr Bôss eine Hand auf seine unverwundete Schulter. „Valentin? Ist alles in Ordnung?“ Er konnte nicht antworten. Er konnte nicht atmen. Nur eine einzige, schwache Frage brachte er über die Lippen. „Ituha… Ist… ist Risa deine leibliche Tochter?“ Die Indigonerin war verwirrt. „Nein, ich habe sie adoptiert. Davor war sie in einem Kinderheim in Rolexa.“ Er spürte ein Brennen in seinen Augen, die salzigen Tränen machten es umso schlimmer. Lissis Stimme war leise, klang vorsichtig und sanft und doch konnte sie die Härte nicht aus den Worten herausnehmen. „Ihr seht euch ziemlich ähnlich, denkst du nicht auch?“ Jack war kurz davor sich zu übergeben. Einzig die Tatsache, dass er noch nichts im Magen hatte, bewahrte ihn davor. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Laura verstand die Andeutung. „Moment einmal, Lissi, willst du damit sagen Risa ist…“ Jack biss die Zähne zusammen und zwang sich dazu, sich aufzurichten, obwohl ihn alles zu Boden reißen wollte. „Nein.“ Lissi betrachtete ihn mitfühlend. „Aber Jack…“ Er schüttelte den Kopf. „Sie ist Ituhas Tochter, schon vergessen? Sie lebt hier in Indigo.“ Er wandte sich an Ituha, senkte die Stimme, in der Hoffnung, dass Risa ihn nicht würde hören können. „Sie hat dieses Leben. Ein Leben, was ich mir immer gewünscht habe. Das will ich ihr nicht wegnehmen.“ „Du nimmst es ihr nicht weg.“, erwiderte die Indigonerin genauso leise. Sie ging einen Schritt auf Jack zu, doch er wich zurück. „Sollte sie sich jemals auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern machen, kannst du sie zu mir schicken. Dann erzähle ich ihr, was passiert ist. Aber ansonsten… Lass sie im Segen der Unwissenheit.“ „Valentin…“, setzte Herr Bôss an, doch Jack schüttelte ihn ab, brachte Abstand zwischen sich und dem Rest. Nur durch den angespannten Kiefer schaffte Jack es, das Schluchzen zu unterdrücken. „Sie muss nicht wissen, wie abgefuckt diese Familie ist.“ Er wandte sich ab, meinte auf die ganzen besorgten Äußerungen nur noch: „Die anderen auf der Sitzung fragen sich garantiert schon wo wir bleiben.“ Er war froh, dass niemand Anstalten machte ihm zu folgen. Er brauchte diesen Moment für sich. Diese paar Minuten, um seine Gedanken zu sammeln. Um zu verarbeiten. Immer noch hatte er Risas Lachen vor Augen. Dieses Lachen hatte irgendetwas Ansteckendes. Es wirkte so heiter und sorglos. Dasselbe Lachen, was ihn auch damals zum Lächeln gebracht hatte. Was ihm Mut gemacht hatte. Was ihm die Kraft gegeben hatte all das zu ertragen, was sie ihm in dieser Anstalt angetan hatten. Jacks Griff um seinen rechten Arm verstärkte sich. Da war wieder dieser Drang, der Wunsch, den Schmerz in seiner Seele irgendwie anders rauszulassen. Ihm irgendwie Herr werden zu können, obwohl er wusste, dass dieser Weg der falsche war. Und trotzdem, trotz dieser lähmenden Qualen, obwohl er die Tränen nicht mehr unterdrücken konnte, hatte er immer noch dieses Lachen vor seinen Augen. Heiter und sorglos. Bedrückt lächelte Jack. Und ließ seinen Arm wieder los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)