Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 86: Zwischen Hass und Vertrauen --------------------------------------- Zwischen Hass und Vertrauen       Schweigend senkte Carsten den Blick, während Lissi Jack im Arm hielt. Es hatte sich viel angestaut die letzten Jahre. Sehr viel. Und doch war Carsten beeindruckt, wie er von all dem hatte berichten können. Wie er all das hatte in Worte fassen können, die ganzen Erinnerungen, trotz der überwältigenden Macht der Gefühle. Trotz des gesamten Schmerzes. Er warf einen Blick in den Raum und merkte, wie auch der gesamte Rest betroffen von dieser qualvollen Erzählung war. Laura schluchzte selbst, sodass Ariane sie hatte in den Arm nehmen müssen. Auch Susanne und Öznur wischten sich Tränen aus den Augen, während Janine und Saya betroffen den Blick gesenkt hatten. Anne presste die Lippen zusammen, als wollte sie das Mitleid nicht zulassen. Als wollte sie es nicht akzeptieren, dass sie so etwas ausgerechnet für Jack empfand. Und so locker Eagle auch an der Wand lehnte, die zitternden Fäuste konnte er auch mit den vor der Brust verschränkten Armen nicht verbergen. Nach einer Weile meinte Carsten schließlich: „Deshalb hast du deinen Vater letztlich umgebracht. Weil er…“ „Irgendwie, ja.“ Jack befreite sich aus Lissis Umarmung. Seine Stimme wirkte tonlos, fast schon als sei er damals innerlich mit ihr gestorben. „Als ich es endlich geschafft hatte mich zu fangen und ihn von ihr wegzustoßen, da… Da war es bereits…“ Er schüttelte den Kopf und atmete zitternd aus. „Eigentlich weiß ich gar nicht mehr, was danach geschehen ist. Als ich meine Mutter da liegen sah… Das ganze Blut, die ganzen Risse und Stiche, das alles… Da habe ich die Kontrolle verloren. Ich erinnere mich nur noch an diese Welle an Gefühlen. Besonders an den Hass. Und die Wut. Und… einfach dieser ganze Schmerz. Lukas hatte damals in der Nähe gewartet, da ich nach meinem Besuch bei meiner Mutter Mars treffen sollte. Als ich nicht wiederkam, kam er, um nachzuschauen. Muss wohl ein ziemlich krasses Bild abgegeben haben. Aber was genau passiert ist habe ich erst danach über die Nachrichten erfahren.“ Verbittert lachte er. „Die Medien waren sehr einfallsreich bei der Namensgebung. Aber der Inhalt war der gleiche. Die Gefahr, die von den Dämonen und den Dämonenverbundenen ausgeht, dass der Besitzer des Orangenen Skorpions ein Ehepaar ermordet hat, … Aber dass die Frau und der Mann ganz eindeutig ganz verschiedene Todesursachen hatten, das haben sie vollkommen ignoriert. Und keine Ahnung, ob die Polizei überhaupt nach Fingerabdrücken auf dem Messer gesucht hatte. Für sie stand das alles wohl schon fest.“ Bedrückt schluckte Carsten die Tränen hinunter. Schon wieder so eine Ungerechtigkeit. Schon wieder wurde jemand grundlos beschuldigt. „Obwohl du überhaupt nichts dafür kannst, dass deine Mutter…“ Doch Jack schüttelte den Kopf. „Ich kann sehr wohl was dafür.“ „So ein Unsinn!“, rief Laura auf. „Das war dein Vater, der sie- der sie…“ „Und trotzdem konnte ich es nicht verhindern. Und das, obwohl sie mich beschützt hatte!“ Zitternd ballte Jack die Hand zur Faust. Carsten fielen die Augenringe auf. Jack hatte immer Augenringe, bemerkte er, als er an die letzten Begegnungen dachte. Man könnte es auf seinen Hauttyp schieben, doch wenn man wusste, dass er regelmäßig Albträume hatte… Schließlich schüttelte Eagle den Kopf und fragte kalt: „Und du denkst, dass wir dir die ganze Scheiße einfach so glauben?“ Entsetzt schaute Carsten zu seinem Bruder. Was hatte er da gerade gesagt? Doch auch Anne nickte. „Ohne Zeugen kannst du uns eigentlich erzählen was du willst. Erfordert nur eine kleine schauspielerische Einlage.“ Carsten ballte die Hände zu Fäusten. Er wollte sie wegen ihrer absoluten Taktlosigkeit zur Rechenschaft ziehen, doch da meinte Jack nur seufzend: „War ja klar, dass ihr mir nicht glaubt.“ „Doch, natürlich glauben wir dir!“, rief Laura aufgebracht, die all das besonders stark mitnahm. Janine zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn das alles stimmt, es rechtfertigt nicht deine Taten bei Mars. Es erklärt nicht, warum du anderen genau das antust, was du angeblich selbst hattest erleiden müssen.“ Bei ihrer eisigen verurteilenden Stimme stellten sich Carstens Nackenhärchen auf. Es war unheimlich, ausgerechnet Janine so zu erleben. Das wollte er nicht. Er wollte niemanden so erleben müssen! So getrieben von Hass und Rache! War es überhaupt Jack gewesen, der ihre Adoptivmutter umgebracht hatte? Oder dachte Janine das nur? Carsten wollte bereits zur Frage ansetzen, doch da meinte Jack: „Ich hatte nie vor mich für irgendwas zu rechtfertigen. Ihr wolltet meine Vergangenheit wissen und jetzt wisst ihr sie.“ Eagle lachte auf, alles andere als mitfühlend. „Für deine ach so dramatische Vergangenheit verhältst du dich ansonsten aber ziemlich entspannt.“ Carsten hatte selten dieses Bedürfnis. Sehr selten. Dafür verabscheute er Gewalt viel zu sehr. Aber gerade wollte er seinem Bruder einfach nur noch eine reinhauen. „Erwartest du von mir, dass ich mich jede Sekunde meines Lebens heulend in der Ecke verkrieche?“, erwiderte Jack gezwungen ruhig. „Zumindest sollte sich das irgendwie bemerkbar machen, findest du nicht?“, konterte Anne, „Und da ist es sehr unglaubwürdig, wenn du die Mutter von jemand anderem ermordest.“ „Ich habe Janines Mutter nicht umgebracht.“, verteidigte Jack sich direkt, schüttelte aber seufzend den Kopf. „Zumindest habe ich nicht den Abzug gedrückt.“ „Und selbst wenn, es ist egal! Es ist mir verdammt nochmal egal!!! Es macht keinen Unterschied, ob du es warst oder nur zugeschaut hast!“, schrie Janine. Erst jetzt bemerkte Carsten, wie sie mit den Tränen zu kämpfen hatte. Auch wenn ihre Fassade aus Hass bestand… Innerlich litt sie. In ihrem Inneren krümmte sie sich vor Schmerz. Nun mischte sich auch Laura ein. „Das macht sehr wohl einen Unterschied!“ „Nein, sie hat recht.“ Diese Aussage kam ausgerechnet von Jack selbst. Überrascht schaute der Rest ihn an, während er meinte: „Es stimmt, es macht keinen Unterschied. Ich konnte es nicht verhindern und darum geht es im Endeffekt.“ Sein Blick war ruhig und entschlossen, als seine grünen Augen in die blauen von Janine blickten. „Mir war all die Zeit nur wichtig, dass du die genauen Umstände kennst. Ich finde, du hast das Recht darauf genau zu wissen, wie und warum sie gestorben ist. Und ja, dazu gehört auch der Punkt, dass ich versucht hatte es zu verhindern. Wem du am Ende die Schuld geben möchtest bleibt dir überlassen. Und wenn du sie mir geben willst, habe ich nicht vor mich davon freizusprechen. Das würde ich nur, wenn sie überlebt hätte.“ Janines Fäuste zitterten, während Tränen über ihre Wangen liefen. „Tu nicht so verständnisvoll…“ Jacks Lächeln war traurig. „Wieso? Weil ich mir selbst die Schuld dafür gebe?“ „Als würdest du das wirklich tun!“ Janine machte auf dem Absatz kehrt und stürmte an Saya vorbei aus dem Zimmer. Schweigen breitete sich aus, bis Susanne schließlich unsicher fragte: „Gibst du dir wirklich die Schuld dafür?“ Seufzend betrachtete Jack seine linke Hand, fast so, als hätte er selbst die Mordwaffe gehalten. Schließlich ballte er sie zur Faust. „Die Zuschauer sind nicht besser als der Täter selbst. Jeder, der die Macht gehabt hätte es zu verhindern und es nicht verhindern konnte ist genauso schuldig. Egal aus welchem Grund.“ Er schaute zur Tür, aus der Janine kurz davor das Zimmer verlassen hatte. „Außerdem befürchte ich, dass sie sich selbst noch viel mehr Vorwürfe macht als mir. Obwohl sie wirklich überhaupt keine Schuld trifft.“ Carsten senkte den Blick. Es war gut möglich, dass Jack mit seiner Vermutung recht hatte. Nein, es war sogar sehr wahrscheinlich. Aber wie sollten sie Janine nur von ihren Selbstvorwürfen befreien? Eagle hatte immer noch die Arme vor der Brust verschränkt und meinte zerknirscht: „Noch so einen pseudo-einfühlsamen Kommentar von dir und ich schlag dir den Kopf ab.“ „Eagle!“ Carsten war vom Bett aufgesprungen. „Hör auf ihn in Schutz zu nehmen!“, schrie Eagle ihn an. „Ich hab ja kapiert, dass es dir scheiß egal ist! Ich hab kapiert, dass es dir am Arsch vorbei geht, was mit Vater geschehen ist! Aber mir nicht!!! Also hör auf mir Vorwürfe zu machen, wenn ich den Typen verurteile, der ihn ermordet hat! Wenn du dich auf die Seite von seinem Mörder stellst, dann bitte! Aber dann lass mich trotzdem so reagieren, wie es sich eigentlich für seinen Sohn gehören sollte!!!“ Bei Eagles Worten fühlte sich Carsten so, als hätte Frau Reklövs Dolch doch sein Herz durchbohrt gehabt. Als wäre da dieses eisige, spitze Metall, tief drinnen in seinem Körper. Sein Magen zog sich zusammen. War es denn falsch? Verhielt er sich falsch, nur, weil er Jack in Schutz nahm? War es falsch, dass er ihn nicht hasste? Saya berührte Eagle an der Schulter. „Eagle, du solltest wieder heim gehen und versuchen noch ein bisschen zu schlafen. Die letzten Wochen und noch dazu die Prüfungen haben ziemlich viel von dir abverlangt, du bist einfach übermüdet.“ Eagle schüttelte die Hand seiner Stiefmutter ab. „Und jetzt bin ich wieder der Böse, nicht wahr?! War ja klar. Nur so zur Info: Ich habe meinen Vater geliebt! Wenn das für euch beide so unmöglich erscheint, nur zu! Dann verhätschelt halt seinen Mörder!!!“ Carsten kniff die Augen zusammen und biss sich auf die Unterlippe, während Eagles Vorwürfe wie ein Hagelschauer auf ihn einschlugen. Nach all dem hatte er es ihm doch immer übelgenommen. Eagle hatte ja auch recht, es war falsch. Es war falsch, dass er nichts für seinen Vater empfand! Sayas Geduld schien am Ende. „Eagle, es reicht. Es ist genug! Du gehst jetzt sofort nach Hause, haben wir uns verstanden?!“ „Hör auf, dich wie meine Mutter aufzuspielen!!!“, schrie Eagle außer sich. Was zum- Entsetzen breitete sich in Carsten aus. Das hatte er nicht wirklich gesagt. Nach allem, was Saya für ihn getan hatte?! Für ihre gesamte Familie?!? Tränen schossen in Sayas Augen und dennoch zwang sie sich mit aller Kraft zur Ruhe. „Du solltest gehen. Jetzt.“ Eagle schnaubte, rührte sich aber nicht von der Stelle. Saya zeigte auf die Tür. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Matt Eagle Bialek, raus! Sofort!!!“ Carsten zuckte bei ihrer gebrochenen Stimme zusammen. Gleichzeitig begann Jack plötzlich loszulachen. Irritiert schaute Carsten zu ihm rüber, genauso wie der ganze Rest. Absolute Verwirrung. Doch Jack schaffte es nicht, sich einzukriegen. „N-noch mal… was… wie hast du…?“, gluckste er, konnte seine Frage aber kaum ausformulieren. Stattdessen kamen ihm die Tränen vor Lachen. Anne betrachtete ihn angewidert. „Was ist falsch mit dir?“ Jack nahm keine Notiz davon. Der Lachanfall war viel zu stark, er kam gar nicht mehr zur Ruhe. Eher das Gegenteil war der Fall. Ebenso nahm die Verwirrung von den anderen zu. Was war an dieser Situation lustig? „Sorry, aber… es ist…“, versuchte Jack sich zu erklären, ohne Erfolg. Carsten ertappte sich dabei, dass er selbst auflachen musste. Warum? Nichts daran war witzig! Ihm war überhaupt nicht zum Lachen zumute!!! Und trotzdem konnte er nicht anders als lächeln. Jacks Lachen hatte irgendetwas Ansteckendes. Es wirkte so heiter und sorglos. Auch Laura musste leise kichern. „Könntest du uns bitte mal erklären, was daran so witzig ist?!“, forderte Öznur ihn komplett von der Rolle auf. „Der… der Name!“, brachte Jack zwischen zwei Atemzügen vor und lachte direkt umso lauter. „Hä?“, war Lauras einzige Reaktion drauf. Doch so langsam verstand Carsten was er meinte. „Ach so, Eagle klingt genauso wie das deutsche Wort für Igel.“ Auch Lissi musste nun lachen. „Stimmt ja, wie süß!“ „Was zum- Na und?!“ Eagle war immer noch viel zu aufgewühlt. Er ging zum Krankenbett rüber und packte Jack am Kragen seines Patientenhemds. Dieser war alles andere als eingeschüchtert, beruhigte sich aber so langsam. Ganz langsam. „Kein Grund direkt die Stacheln auszufahren, Igelchen.“ Er streckte seine linke Hand aus. „Gebt mir mal ein Handy.“ „Ich geb dir gleich was ganz anderes!!!“, donnerte Eagle. „Ein Küsschen?“, fragte Lissi lachend und erzielte direkt den gewünschten Effekt, als Eagles Kopfkino dafür sorgte, dass er Jack angewidert losließ. Sie zwinkerte Jack zu und reichte ihm ihr Smartphone. „Ich würde auch eins als Dankeschön annehmen.“ „Glaube nicht, dass du das wirklich willst.“, meinte Jack nur, nahm aber das Handy entgegen. Ariane seufzte. „Oh doch, Lissi will sowas wirklich.“ Lissi warf Jack einen Luftkuss zu. „Dein Dämon ist der Skorpion? Also mich kannst du gerne mit deinem Stachel stechen.“ Das Blut schoss in Carstens Kopf. Was hatte sie-? Auch Laura war hochrot und schüttelte sich, als hätte jemand einen Eimer Wasser über ihr ausgekippt. Jack hielt beim Eintippen inne. „Ich tu mal so als hätte ich nichts gehört.“ Anne würgte. „Scheiße Lissi, das ist selbst für dich krass. Viel zu krass.“ „Ach, wieso denn?“, fragte Lissi mit ihrem fröhlichen Unschuldston. „Ich wette, Jackie-Chan ist absolut heiß im Bett.“ Lissi beugte sich vor, um Jack einen Schmatzer auf die Wange zu geben, doch dieser hob ohne aufzublicken das Smartphone, sodass Lissi ihr Display abknutschte. Seine stumpfe Reaktion auf diesen Annäherungsversuch brachte nicht nur Carsten, sondern auch den Großteil der Mädchen zum Lachen. Auch Anne. Und selbst Eagles Schnauben klang eher nach dem Versuch zu überspielen, dass der Anblick sogar ihn amüsierte. Lissi lachte von allen am lautesten, als sie das Smartphone in die Hände nahm. „Was ist das denn?!“ Jack grinste. „Ein Mettigel.“ Verwirrt legte Laura den Kopf schief. „Hä? Ein Matt Eagle?“ Auch Lissi kamen vor Lachen inzwischen die Tränen, als sie das Handy an Laura weitergab, die direkt miteinstimmte. Neugierig schaute Carsten Laura über die Schulter. Auf dem Handy waren mehrere Bilder von Fleischklumpen, die irgendwie mit Stacheln verziert waren. Und zwar immer in Form eines… Igels! Ein Mettigel! Während Jack sich also inzwischen endlich wieder so halbwegs eingekriegt hatte, bekam der ganze Rest einen Lachanfall als er die Bilder auf dem Handy sah. Alle außer Eagle, dessen Gesicht einen dunklen Rotton annahm, als er bemerkte, was ‚Mettigel‘ bedeutete. Öznur drückte ihm lachend einen Schmatzer auf die Wange. „Mein süßes Mettigelchen.“ „Das wird dich ab sofort ewig verfolgen.“, bemerkte Anne belustigt. Eagle gab irgendeinen verlegenen Laut vor sich. Ganz offensichtlich kam er gar nicht mit diesem seltsamen Witz auf seine Kosten klar. „Was soll der Scheiß? Ich wurde nach dem Grauen Adler benannt und nicht nach einem…“ „Partysnack?“, schlug Jack lachend vor. „Mmmm, zu schade, dass nur Özi-dösi ihn vernaschen darf.“ Lissi kicherte. „Ach du scheiße, da haben sich zwei gefunden.“, murmelte Eagle, eher zu sich selbst. Lachend umarmte Öznur ihn. „Ach komm, Liebling, es ist nur fair. Carstens offizieller Name wurde ihm wegen der Bedeutung ‚Todesbote‘ gegeben, und deiner klingt halt nach einem… Partysnack.“ Eagle fuhr zu Saya herum. „Was habt ihr euch dabei gedacht?! Es wäre alles besser gewesen als Matt!!!“ Saya lächelte schwach, dennoch standen immer noch Tränen in ihren Augen. „Ich hatte deinen Namen nicht ausgesucht, das waren deine Eltern gewesen…“ Allmählich ließ das Lachen nach. Eagle senkte den Kopf, als wolle er Sayas Blick ausweichen. „Können… wir das auf den Schlafmangel schieben?“ Seufzend ging Saya auf ihn zu. Sie reichte Eagle gerade mal bis zu den Schultern und dennoch hatte man den Eindruck, dass sie die größere der beiden war. Eagle blickte immer noch bedrückt auf den Boden, nicht dazu in der Lage seiner Stiefmutter in die Augen zu schauen. Schließlich schüttelte sie den Kopf und nahm ihn in die Arme. „Tut mir leid…“, brachte Eagle mit zitternder Stimme hervor und erwiderte die Umarmung so fest, dass man Angst hatte er könnte Saya damit zerquetschen. „Es… es tut mir so leid.“   Gedankenverloren knöpfte sich Carsten das schwarze Hemd zu. Er hatte nicht mehr viel Schlaf bekommen, nachdem sie vom Krankenhaus zurückgekehrt waren und entsprechend drückte die Müdigkeit auf seine Augenlider. Es klopfte gegen seine Zimmertür. „Bist du fertig?“ „Kannst reinkommen.“, antwortete er auf Lauras Frage. Seufzend betrat Laura den Raum und schob einige der rötlichen Haarsträhnen hinter ihr Ohr. Zwar trug sie wie sonst auch schwarz, doch dieses Mal war die Kleidung eleganter im Vergleich zu ihrem sonstigen Manga-Mädchen-Style. Es war ein hübsches Kleid, was ihre Figur und besonders die schlanke Taille sehr schön betonte. Aber leider trug sie es aus keinem sonderlich schönen Anlass… „Willst du wirklich mitkommen?“, fragte sie ihn, mit Blick auf sein schwarzes Hemd. „Immerhin war er… hatte er doch…“ Carsten lächelte traurig. „Das war nicht er, sondern Mars‘ Wille, der ihm aufgezwungen wurde.“ Er betrachtete sich im Spiegel. Es war ihm immer ein Rätsel, wie Benni dauernd nur schwarze Kleidung tragen konnte. Das wirkte so trostlos, so eintönig. Besonders mit Carstens schwarzen Haaren und der relativ dunklen Indigonerhautfarbe. Kichernd ging Laura zu ihm rüber und öffnete die oberen Hemdknöpfe wieder, die er eben zugemacht hatte. „Hey!“, empörte er sich. Zufrieden trat Laura einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, während sie ihn betrachtete. „Damals, bei Eufelia-Senseis Trauerfeier ist mir das gar nicht aufgefallen, aber schwarz steht dir richtig gut. Irgendwie elegant und trotzdem rebellisch.“ Carsten lachte auf. „Ich und rebellisch?“ „Vielleicht hilft schwarze Kleidung ja dabei?“, vermutete Laura ebenfalls lachend. „Du meinst, das ist Bennis Geheimnis?“ Seufzend knöpfte Carsten einen der eben geöffneten Knöpfe wieder zu. Laura senkte den Blick und kaute betrübt auf ihrer Unterlippe herum. Ehe er die restlichen Knöpfe wieder schließen konnte, schnappte sie aber seine Hand und zog ihn aus dem Zimmer. „Auf, wir kommen sonst noch zu spät.“ Im Eingangsbereich angekommen, liefen sie Eagle, Öznur und Lissi über den Weg. „Da erfüllt eindeutig die falsche Person das Frauen-Klischee.“, kommentierte Eagle amüsiert. Lissi kicherte. „Heiß, Cärstchen. Bitte noch ein paar Knöpfe mehr öffnen.“ „Jetzt noch ein Choker und einen Nietengürtel und er sieht wie einer dieser K-Pop-Stars aus, für die Nane so schwärmt.“, stellte Öznur lachend fest. Direkt stieg die Hitze in Carstens Wangen. Begeistert klatschte Lissi in die Hände. „Stimmt, total!“ Laura lachte auf. „Bis auf die Hautfarbe, die ist ein bisschen zu dunkel.“ „Waren wir nicht spät dran?“, fragte Carsten sie leicht verbissen und total verlegen. Eagle, der neben der Garderobe stand, reichte den beiden jeweils ihre Jacke. „Denkt ihr, ihr schafft es noch rechtzeitig zurück für das Krisentreffen?“ „Denke schon.“, antwortete er, alles andere als motiviert. Bei den Regierungen ging gerade alles drunter und drüber und eigentlich hatte er keine Lust auf das ganze Chaos. Aber je mehr Augenzeugen von dem Angriff auf die Coeur-Academy berichten konnten, und je mehr versicherten, dass es ohne Eagles Dämonenkräfte alles andere als gut ausgegangen wäre, desto bessere Chancen hatten sie für das Gesetz, welches Dämonenverbundene endlich in ganz Damon schützen sollte. Eagle nickte nur. „Dann bis nachher.“ Gemeinsam verließen Carsten und Laura die Hauptstatt Indigos, um sich außerhalb der Magiebarriere nach Yami zu teleportieren. Carsten merkte, wie Laura trotz ihrer Jacke zu frieren begann, als sie zur Trauerhalle in einem Stadtteil Zukiyonakas gingen. „Willst du wirklich mitkommen?“, stellte er dieselbe Frage an sie, die sie zuvor an ihn gerichtet hatte. Zitternd atmete Laura aus. „Du hattest es doch selbst gesagt. Das damals… das war nicht Max. Und wenn Benni schon nicht dabei sein kann…“ Laura wischte sich über die Augen. Vor der Trauerhalle erblickten sie einen hochgewachsenen Mann, sicherlich zwei Meter groß, die langen rosaroten Haare zu einem lockeren Zopf gebunden, der sich mit einer Frau unterhielt. Als er die beiden erblickte, hob er zum Gruß die Hand. „Lange nicht mehr gesehen.“ „Herr Bôss, wie sieht es auf der Coeur-Academy aus?“, erkundigte sich Carsten, nachdem auch er und Laura die beiden gegrüßt hatten. Der Direktor seufzte. „Chaotisch. Aber nichts, was sich nicht wiederaufbauen lässt. Wie durch ein Wunder haben wir keine Toten zu beklagen. Es gibt einige mit kritischeren Verletzungen, die sich irgendwo anders auf dem Campus aufgehalten hatten, doch ihr Zustand ist stabil.“ Laura atmete erleichtert auf. „Zum Glück.“ „Einige besorgte Eltern haben ihre Kinder heim beordert, aber viele sind auch geblieben, um beim Aufräumen und Aufbauen zu helfen. Wobei ich nicht glaube, dass dieses Schuljahr noch normal zu Ende gehen wird.“ Carsten nickte langsam, mit den Gedanken automatisch bei Benni und Mars. Dennoch fiel ihm auf, dass auch Herr Bôss ziemlich übermüdet wirkte. Der Stress und all die Sorgen schienen wohl auch von ihm ihren Tribut zu fordern. „Laura, Carsten, lange nicht gesehen.“ Ein Junge in ihrem Alter verließ die Trauerhalle und grüßte sie mit einem schwachen Lächeln. Er hatte feuerrotes Haar, vermutlich gefärbt, und freundliche braune Augen. „Hallo, Jannik.“, grüßte Laura zurück und zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln. Er stellte sich neben die Frau, die sich zuvor mit Herr Bôss unterhalten hatte. „Wie ich sehe, habt ihr meine Mutter schon kennengelernt?“ Laura schüttelte den Kopf. „Ähm nein, noch nicht.“ „Ach so, na dann: Das ist meine Mutter.“ „Ihr könnt mich Katharina nennen.“ Janniks Mutter lächelte die beiden an und reichte ihnen ihre Hand. Direkt war Carstens eigene schweißnass und er war froh, dass Laura das Vorstellen automatisch für ihn mit übernahm. Katharina hatte ebenso braune Augen wie ihr Sohn und dunkle kurze Haare. Carsten erinnerte sich, dass sie laut Janniks und Lauras Erzählungen Psychotherapeutin war und direkt fühlte er sich noch unwohler. Direkt fiel ihm das Atmen umso schwerer. Laura schaute verwirrt zwischen Katharina und Herr Bôss hin und her. „Ähm… Kennen Sie sich?“ Der Direktor zuckte lächelnd mit den Schultern. „Die Welt ist nun mal sehr klein.“ „Woher denn?“, fragte Laura neugierig. Er und Janniks Mutter tauschten einen Blick aus, was Carsten sofort seltsam vorkam. Und auch die Antwort „Man läuft sich einfach häufiger mal über den Weg.“ stimmte ihn nicht wirklich zufrieden. Dennoch fragte er nicht weiter nach. Zum einen, weil es unhöflich wäre, zum anderen, da er sich ohnehin niemals trauen würde. Dies waren wohl auch die Gründe, weshalb Laura schwieg. Jannik seufzte und deutete mit dem Daumen hinter sich auf das Gebäude. „Es fängt bald an…“ Schweigend betraten sie die Halle. Mehrere Stuhlreihen waren aufgestellt, das Mobiliar komplett aus hellem Holz. Die weißverputzten Wände wurden von länglichen Bogenfenstern unterbrochen, zwischen denen flackernde Kerzen hingen. Doch trotz der hellen Farben herrschte eine erdrückende Stimmung. Und trotz der gedämpften Gespräche und dem leisen Schluchzen war es eine bedrückte Stille. Der Grund dafür war der helle Eichensarg, umrahmt von unsagbar vielen Blumen und Kränzen. Auch, wenn der Deckel geschlossen war meinte Carsten zu sehen, wie Max da drinnen lag. Die Augen geschlossen bei seinem ewigen Schlaf. Vermutlich hatte man ihm edlere Kleidung angezogen als die schwarze Jeans und das schwarze blutdurchtränkte T-Shirt, welches er an jenem Abend getragen hatte. Schaudernd wandte Carsten den Blick ab. Leichen hatte er häufig genug zu Gesicht bekommen, schon alleine aus dem Grund, da Sakima ihn gelegentlich in der Gerichtsmedizin bei Untersuchungen hatte assistieren lassen. Aber wenn man die Arzt-Brille abnahm, wenn man sich bewusst machte, dass dieser Patient, diese Person, nie wieder bei ihnen sein würde… Übelkeit stieg in Carsten auf. Diesen Sarg zu sehen und all die Leute, die ihn ebenfalls betrachteten belastete ihn viel mehr als alles, was er in der Gerichtsmedizin jemals zu Gesicht bekommen hatte. Denn das hier war das Leben. Das Leben von allen anderen, das weitergehen musste. Und zwar ohne diese eine Person, die es in irgendeiner Form bereichert hatte. Alle Besucher waren in schwarz gekleidet, die meisten hatten ihre Blicke gesenkt, wenn sie nicht gerade auf den Sarg schauten. Carsten erkannte viele, die etwa in ihrem Alter waren. Max war wohl vor all dem ziemlich beliebt gewesen… Ein Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren kam auf sie zu. Er erinnerte sich, das war Mai, Janniks Freundin. Sie drückte sowohl Jannik als auch dessen Mutter und Laura kurz an sich, ehe sie Carsten und Herr Bôss mit einer höflichen japanischen Verneigung begrüßte. Jannik und Mai tauschten ein paar Worte auf Japanisch aus. „Wie geht’s ihm?“, fragte er. „Wie wohl?“ Sie seufzte und wies mit dem Kopf in die Richtung aus der sie gekommen war. Es war die zweite Reihe auf der linken Seite, wo zwei hagere junge Männer saßen. So schmal, dass es alles andere als gesund wirkte. Beide hatten sehr kurze Haare, die des einen waren braun, die des anderen schwarz. Der Schwarzhaarige schien eigentlich recht hochgewachsen, war aber so auf dem Stuhl zusammengekrümmt, dass man es nur erahnen konnte. Der andere hatte alle Mühe, seinen Freund zu beruhigen. Offensichtlich komplett ohne Erfolg. Laura hielt inne. „Sind das…“ Jannik lächelte traurig. „Kevin und Alex, ja. Sie sind vor etwa einem Monat endlich aus dem Koma aufgewacht.“ „Wir hatten endlich wieder Hoffnung und jetzt… das…“, ergänzte Mai und wischte sich eine Träne von der Wange. Ein Glockenschlag ertönte. Bedrückt atmete Jannik aus. „Wir reden später weiter, okay?“ Mit diesen Worten gingen er und Mai nach vorne zu ihren Freunden, während Laura, Carsten und Herr Bôss etwas weiter hinten Platz nahmen. Es wurde viel erzählt und je mehr sie von Max erfuhren, desto mehr wurden sich Laura und Carsten bewusst, dass diese Geschichte niemals hätte so enden dürfen. Obwohl auch die ‚dunkle Macht, die Max all diese schlimmen Dinge machen ließ‘ erwähnt wurde, gab es so viele gute Geschichten, so viel Gutes, was er in seinen jungen Jahren bereits getan hatte. Und so langsam realisierten sie auch, warum sich Benni so gut hatte in die Gruppe eingliedern können. Max schien eine Art Brücke gewesen zu sein. Mit seiner lockeren, offenen Art hatte er kein Problem gehabt in der Gesellschaft zurechtzukommen, und doch war er mit seinen idealistischen Vorstellungen ein Außenseiter gewesen. Einerseits war er mal Schulsprecher in der Mittelstufe gewesen, andererseits hatte er es geliebt mit seinen gefärbten Haaren, den Kontaktlinsen und der Rockband die Rolle des Elternschrecks zu spielen. Gerade konservative Familien konnten mit dem frechen, liberalen Gemüt nichts anfangen. Doch seine Mitschüler hatte er damit erreicht und auch viele der Lehrer hatten ihn für sein konsequentes Einstehen für seine Prinzipien respektiert. Bedrückt senkte Carsten den Blick. Wie gerne hätte er diese Seite von Max kennengelernt… Die restliche Zeit der Trauerfeier verlor er sich in seinen Gedanken und Vorstellungen. Malte sich Alternativen aus, eine Realität, in welcher Max überlebt hätte. Stellte sich das lachende, tränenreiche Wiedersehen mit all diesen Leuten hier vor. Das Ende, was er eigentlich verdient hätte und nicht das, was Mars ihm beschert hatte. Es war unfair. Es war alles so unfair! Carsten merkte, wie seine Hände zitterten, als er sie zur Faust ballte. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass viele Leute bereits ihren Platz verlassen hatten und sich auf den Weg zu der Gaststätte machten, in welcher das Tröstermahl stattfinden sollte. Hatte er sich wirklich so lange in seinen Tagträumen verloren? Laura rüttelte an seiner Schulter. „Lässt du mich mal durch?“ „Hm? Oh, natürlich.“ Carsten stand auf und beobachtete, wie Laura tief durchatmete und nach vorne zu der Gruppe ging, wo auch Jannik und Mai inzwischen saßen. Eine der wenigen, die die Halle noch nicht verlassen hatten. Zögernd folgte Carsten ihr ein bisschen, blieb aber auf Abstand. Laura beugte sich zu dem dürren Schwarzhaarigen runter und meinte zögernd: „Hey, Alex… Lange nicht gesehen…“ Besagter Alex schaute auf und ein trauriges Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Hey, Püppchen. Wie schön, dass es dir gut geht.“ Carsten war verwirrt. Püppchen? Seltsamer Spitzname… Nachdem sowohl Alex als auch der andere, der wohl Kevin hieß, Laura an sich gedrückt hatten, drehte diese einen Stuhl aus der vorderen Reihe um, um sich mit den beiden gedämpft unterhalten zu können. Jannik war derweil aufgestanden und kam zu Carsten rüber. „Eine Porzellanpuppe.“, meinte er nur. „Wegen ihrer hellen Haut und weil sie immer so zerbrechlich gewirkt hat. Deshalb kam Max damals auf den Spitznamen Püppchen.“ Carsten lächelte traurig. Irgendwie passte das. Und selbst jetzt, nachdem der Schwarze Löwe ‚entschieden‘ hatte Laura nicht zu verlassen und sie ihre Energie und dadurch auch ihre Krankheit unter Kontrolle hatte… Man hatte immer noch Angst sie würde zerbrechen, wenn ihr irgendetwas Schlimmes widerfahren würde. Wenn sie fallen würde… Jannik seufzte und schaute nach vorne Richtung Sarg. „Die beiden waren zusammen…“ „Was?“ „Max und Alex, die beiden sind ein Paar gewesen.“, erklärte er ausführlicher und senkte den Blick. „Hatte ganz schön Aufsehen erregt, damals. Gerade hier in Yami wird Homosexualität von vielen noch als eine Art Krankheit betrachtet. Bei Alex kam schon ziemlich früh raus, dass er schwul ist. Im ersten Jahr der Mittelstufe hatte er ganz schön unter seinen Mitschülern deswegen leiden müssen und er war an sich schon immer ein sehr schüchterner Typ mit wenig Selbstvertrauen gewesen. Als die beiden schließlich zusammenkamen hatte er sich aber total verändert und ist richtig über sich hinausgewachsen.“ Jannik lachte auf. „Max hat die Beziehung nahezu Hemmungslos ausgelebt. Du weißt ja, dass wir eine Schülerband waren, oder? Na ja, bei Auftritten hatte er Alex manchmal vor aller Augen abgeknutscht. Gerade die Mädchen feierten sowas immer ab.“, erzählte er belustigt. „Aber Max wollte einfach, dass die Leute sehen, dass es normal ist. Dass ein Mann auch einen Mann in aller Öffentlichkeit küssen kann und nicht immer nur Mann und Frau.“ Carsten senkte den Blick. „Er stand wirklich sehr hinter seinen Idealen, oder?“ „Und wie.“ Jannik nickte. „Gerade was Mobbing betraf war er der Erste, der dazwischen schritt.“ Er wies auf den anderen Jungen, den mit den braunen Haaren. „Kevin hatte eigentlich nie etwas getan und ist trotzdem ständig von seinen Mitschülern schikaniert worden.“ Jannik seufzte. „Bennis Geschichte kennst du wohl besser als wir alle zusammen. Nun ja und ich… Ich litt eigentlich seit dem Tod meines Vaters unter Depressionen und selbst Therapien und Medikamente hatten kaum geholfen.“ Er lächelte traurig. „Erst Max‘ alberne Idee mit dieser Band.“ „Ihr wart also eigentlich eine kleine Selbsthilfegruppe.“, stellte Carsten fest. Jannik lachte auf. „Volltreffer.“ Er grinste Carsten an. „Du hättest auch sehr gut dazu gepasst.“ Carsten lachte schwach, schaffte es aber nicht etwas darauf zu erwidern. Und wie gut er dazu gepasst hätte… „Deswegen hatte Benni ihm auch so ein Vertrauen entgegen bringen können…“, sinnierte er betrübt. „Da er selbst so unter der Gesellschaft leiden musste, es sich aber ebenso wenig gefallen ließ.“ Jannik nickte. „Gut möglich. Gerade was Tierwohl betrifft waren die beiden auf einer Wellenlänge.“ Er stützte sich auf einer Stuhllehne ab. Carsten merkte, wie seine Hände sich anspannten als er mit gepresster Stimme hervorbrachte: „Und jetzt ist er nicht mehr da. Nach all dem, was er für uns getan hat… Und wir konnten nicht einmal mehr danke sagen.“ Beschämt senkte Carsten den Blick, als er sah wie Tränen über Janniks Wangen liefen während dieser weiterhin den Sarg betrachtete. Jannik biss die Zähne zusammen. „Gibt… Wenn es irgendetwas gibt, wo ich helfen kann… Irgendetwas… Ich weiß, meine Kampfkunstfähigkeiten werden euch nichts bringen, aber ansonsten… Wenn ich dazu beitragen kann, dass das Monster, was ihm das angetan hat… Was für all das verantwortlich ist…“ Carsten versuchte das beklemmende Gefühl herunterzuschlucken. Er konnte es so gut verstehen… Wie schlimm es war tatenlos mit anzusehen, wie jemand wichtiges leiden musste. Wie jemand einem weggenommen wird, ohne, dass man etwas dagegen unternehmen kann. Und ja, so sehr er dieses Gefühl auch verabscheute, er verstand, dass Jannik Rache wollte. Oder zumindest irgendeine Form der Gerechtigkeit. Alles, nur nicht diese gezwungene Tatenlosigkeit. Er hielt inne. Vielleicht… „Es… es könnte wirklich etwas geben.“, fiel ihm auf. Ein Problem, was er bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Erst, als er die Lösung bereits gefunden hatte. „Wirklich?“, fragte Jannik hoffnungsvoll. Carsten nickte zögernd. „Es ist… Du… Weißt du, was mit… warum Benni nicht… da sein kann?“ Er versuchte das Stechen in der Brust zu ignorieren. „Herr Bôss hatte eine Vermutung.“, antwortete Jannik verbissen. „Auch wenn ich hoffe, dass sie falsch ist.“ Carsten hielt mit aller Kraft die Tränen zurück, als er den Kopf schüttelte. „Zumindest… Also, du bist doch eigentlich ein Kampfkünstler, oder?“ Jannik nickte. „Und du bist genauso wie ich vom Schwarzen Löwen gezeichnet.“ Ein weiteres Nicken. Carsten atmete aus. Einerseits fiel ihm erleichtert ein Stein vom Herzen, andererseits war da immer noch dieser qualvolle Schmerz. Dieser Druck und gleichzeitig dieses Ziehen, das Gefühl auseinander gerissen zu werden… Schon alleine, dass er diesen alternativen Weg wählen musste… „Also… du weißt von dem Bann, oder?“ „Dass ihr dieses Mistvieh ein für alle Mal aus der Welt schaffen wollt? Ja, davon weiß ich.“ „Wir… um den Zauber zu starten muss ein dämonenverbundener Kampfkünstler einen Blutzoll zahlen. Aber… Jetzt, da Benni…“ Zitternd atmete Carsten tief durch, versuchte irgendwie seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. „Es könnte einen Weg geben ihn zu retten. Aber wenn… Bisher sieht es nicht so aus, als würde dieser Weg leicht sein. Also… selbst wenn wir diesen Weg gehen, selbst wenn wir es schaffen, … Wird Benni sehr wahrscheinlich nicht dazu in der Lage sein, diese Rolle übernehmen zu können.“ Jannik verstand, was er meinte. „Der einzige Moment wo ein Dämon sich gezwungen sieht den Körper seines Dämonenbesitzers zu verlassen ist, wenn dieser dem sicheren Tod gegenübersteht… Wie bei meinem Vater damals…“ „… Genau…“ Betreten rief sich Carsten in Erinnerung, dass Janniks Vater Lauras Vorgänger gewesen ist. Und dass die Dämonenjäger damals Jannik entführt hatten, um seinen Vater mit ihm erpressen zu können. Kein Wunder, dass er eine so lange Zeit unter Depressionen gelitten hatte… „Du hattest Benni als dämonengesegneten Kampfkünstler in der Rolle für diesen Blutzoll gesehen, nicht wahr?“, unterbrach Jannik Carstens Gedanken, den Blick immer noch auf den Sarg gerichtet, in welchem sein Cousin lag. Carstens Nicken nahm er gar nicht wahr, stattdessen meinte er mit zusammengebissenen Zähnen: „Ich bin dabei.“ „Was?“ „Ich werde diese Rolle für deinen Zauber übernehmen. Es haben schon viel zu viele Leute mit ihrem Leben bezahlt. Dieses Monster muss endlich gestoppt werden.“ „W-wirklich?“, fragte Carsten und konnte nicht wirklich glauben, was er da hörte. „Du weißt, dass es … Es könnte ziemlich gefährlich werden und… und wir könnten trotzdem noch scheitern. Ich weiß nicht… Ich kann nicht garantieren, dass jeder das überlebt, also…“ Jannik schüttelte den Kopf, Entschlossenheit lag in seiner Stimme. „Ich will meinen Beitrag dazu leisten, genauso wie Max alles gegeben hatte, um das Blatt noch zu wenden. Das bin ich ihm schuldig.“ Er schaute zu Laura rüber, die sich immer noch mit Alex, Kevin und Mai unterhielt. „Das bin ich ihnen allen schuldig.“ Erleichterung breitete sich in Carsten aus, doch gleichzeitig war da auch noch das schlechte Gewissen. Die Gewissheit, jemanden mit dieser einen Bitte in Lebensgefahr zu bringen. Besonders, da Jannik kaum Kampferfahrung hatte, um sich selbst ausreichend verteidigen zu können. Er versuchte das schlechte Gewissen herunterzuschlucken, doch ohne Erfolg. „Es… es tut mir leid…“ Jannik lächelte ihn an. „Es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen. Du zwingst mich zu nichts, das ist komplett meine Entscheidung.“ „Dann… Dann danke.“ Automatisch formten sich auch Carstens Lippen zu einem Lächeln. Eine Weile noch standen sie einfach nur da und hingen schweigend ihren Gedanken nach, bis Carsten plötzlich von der Seite angesprochen wurde: „Entschuldigen Sie, sind Sie der junge Mann, der meinen Sohn neulich… der bei ihm war, als… als das…“ Erschrocken zuckte Carsten zusammen und schaffte es nicht wirklich zu antworten. Doch dafür stand Herr Bôss plötzlich bei ihm und meinte: „Guten Tag, Frau Sasaki. Tut mir leid, Carsten ist nicht derjenige, von dem ich erzählt hatte.“ Sie senkte den Kopf. „Ach so, dann… Verzeihen Sie die Störung.“ So langsam dämmerte es Carsten, dass die Frau mit den dunklen Haaren und den braunen Augen wohl Max Mutter war, auch wenn sie sich kaum ähnlich sahen. Automatisch und alles andere als wohl in seiner Haut streckte Carsten die Hand aus. „M-mein… mein Beileid.“ Mit einem bedrückten Dank nahm sie kurz seine Hand, was Carsten sehr unangenehm war, so verschwitzt wie sie sich anfühlen musste. „Sind Sie ein Freund von diesem jungen Mann?“, fragte sie. Carsten nickte und zwang sich so gut es ging zu einer normalen Antwort. „Er ist immer noch stark verletzt, daher… Daher bin ich an seiner Stelle gekommen.“ „Verstehe… Könnten Sie… Könnten Sie ihm meinen Dank ausrichten?“ „Ähm… natürlich.“, antwortete Carsten, trotzdem etwas verwirrt. Sie tätigte eine japanische Verneigung. „Vielen Dank. Ich würde gerne persönlich mit ihm sprechen, aber wenn seine Verletzungen das noch nicht zulassen… Ich wollte einfach, dass er… Dass er weiß wie viel es mir bedeutet, dass er am Ende bei ihm war. Ich weiß nicht, wie all das passieren konnte… Ich will es auch gar nicht wissen. Mich beruhigt die Gewissheit, dass mein Sohn nicht er selbst war. Dass es nicht er war, der all das getan hat, sondern diese seltsame Macht. Und deswegen… Bitte richten Sie deswegen dem jungen Mann meinen Dank dafür aus, dass er bei meinem Sohn war, als er endlich wieder er selbst sein konnte. Dass er ihn trotz all dem nicht alleine gelassen hat.“ Betreten nickte Carsten. „Ich werde es ihm ausrichten.“ „Danke schön…“ Es war deutlich, wie schwer es ihr fiel das Schluchzen zu unterdrücken, als sie sich erneut verneigte und zu anderen Gästen der Trauerfeier davonging. Betrübt schauten Carsten, Jannik und Herr Bôss der Frau hinterher, die soeben zum zweiten Mal ihren Sohn verloren hatte… Erst als er von Mars‘ Einfluss gefangen wurde und jetzt… jetzt für immer… Carsten presste die Lippen zusammen. Und wieder dachte er es sich. Wieder kam der Gedanke auf wie unfair doch alles war… Herr Bôss berührte ihn vorsichtig an der Schulter und fragte schließlich: „Ich wollte zwar nachher vorbeikommen und nach Valentin schauen, aber… Stimmt es, dass seine Verletzungen immer noch so schlimm sind?“ Seufzend setzte sich Carsten auf den nächstbesten Stuhl und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab. „Er ist inzwischen zwar aufgewacht und es geht ihm etwas besser aber… Die Wunden heilen nicht so schnell, wie es normalerweise bei einem Dämonenverbundenen sein sollte. Ich hatte mich gefragt, ob es an Mars‘ Zerstörungs-Energie liegen könnte, aber… Zum Beispiel die Verletzung an seinem linken Arm sieht nicht aus als käme sie von Mars. Und trotzdem verheilt sie nicht schneller als der Rest.“ Herr Bôss senkte den Blick. „Verstehe…“ Er schaute kurz auf seine Armbanduhr und seufzte schließlich. „Mist, wir sollten uns langsam auf den Weg machen.“ Auch Carsten prüfte die Uhrzeit und tatsächlich, in nicht einmal mehr einer Stunde begann die Krisensitzung, die dieses Mal in Indigo stattfinden sollte. Jannik richtete sich auf. „Ich komme mit. Vermutlich ist es besser, wenn wir alle zusammenbleiben, um… Um für alles gewappnet zu sein.“ Carsten nickte seufzend. Ja, besser wäre das. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)