Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 79: Der Anfang vom Ende - Teil 1 ---------------------------------------- Der Anfang vom Ende - Teil 1       Laura betrachtete ihren besten Freund, welcher mal wieder gedankenverloren auf den Zettel mit dem Zauberspruch in der einen Hand starrte. Den Zettel mit den sonstigen Notizen und der Aufstellung, welche Laura vor etwa einer Woche aus heiterem Himmel vervollständigt hatte in der anderen Hand haltend. „Du solltest endlich mal was Essen.“, riet sie ihm, doch Carsten reagierte nicht darauf. Ariane zuckte mit den Schultern. „Na gut, umso mehr für mich.“ Mit diesen Worten schnappte sie sich den Teller mit seinem Mittagessen, um sich den Extraweg für einen Nachschlag zu sparen. Doch selbst darauf erwiderte Carsten nichts, obwohl er so klassische Gerichte wie Chili con Carne eigentlich immer ganz gerne aß. Das Ausbleiben jedweder Reaktionen war für die Mädchen direkt ein Grund zur Sorge. Wobei sie sich inzwischen eigentlich in einem dauer-besorgten Zustand befanden, wenn es um Carsten ging. „Ist dir doch noch ein Fehler beim Zauber aufgefallen?“, erkundigte sich Suanne. Anne runzelte die Stirn. „Das kann doch nicht sein. Ich dachte, du wärst heute Vormittag endlich bei diesen seltsamen Erzmagiern in Ivory gewesen, die Florian dir vermittelt hatte.“ Bei diesen Worten kehrte Carsten endlich in die Realität zurück. „Was ist mit den Erzmagiern?“, fragte er, beinahe verschreckt. Öznur kicherte. „Die scheinen ja ganz schön gruselig gewesen zu sein.“ Mit dunkleren Wangen als normalerweise schaute Carsten wieder zurück auf die Zettel. Und wieder machte sich Laura Sorgen. „Waren sie unfreundlich zu dir?“ Sie wusste, dass Carsten schon immer riesige Probleme hatte mit Fremden zu reden. Insbesondere, wenn diese Fremden irgendwelche übergeordneten, wichtigen oder respektablen Persönlichkeiten waren. Kurz bevor er sich auf den Weg nach Ivory gemacht hatte war er kaum mehr wiederzuerkennen gewesen, so leichenblass wie er da gewesen ist. Dann auch noch auf unfreundliche Gesellen treffen zu müssen, machte die ganze Situation natürlich noch unerträglicher. Und das bei seiner momentanen Verfassung… „N-nein, nein. Sie waren sehr höflich und zuvorkommend. Nur… seltsam.“, stammelte er. „Wo liegt dann das Problem?“, fragte Ariane, während sie nach einem Wasserglas griff, mit dem Versuch die Schärfe des Chilis zu löschen. „Es ist… ich…“ Carsten ließ die Zettel sinken und meinte schließlich: „So sehr ich auch suche, ich… ich kann keine Fehler mehr finden.“ Schweigen breitete sich aus, während die Mädchen diese Worte verarbeiteten. Man konnte beinahe die Schwere spüren, die auf dem gesamten Tisch lastete. Es war fast schon hörbar, wie sich die Rädchen in ihren Köpfen in Bewegung setzten. Und es war ihnen als wären sie in der Lage zu beobachten, wie der Nebel sich lichtete. Wie die erdrückende Schwere fortgeweht wurde, ersetzt von einer sanften, leichten Briese. Schließlich erkannten sie dieses Gefühl wieder. Nach all der Zeit hatten sie schon fast vergessen, was das war. Hoffnung. „Er… er ist fertig?“, fragte Laura, brachte aber kaum mehr als ein Flüstern hervor. „Du hast… der Zauber er ist…“ Der einzige, den dieses längst verloren geglaubte Gefühl der Schwerelosigkeit noch nicht erreicht hatte, war Carsten selbst. Kritisch betrachtete er die beiden Zettel, abwechselnd den Spruch und die Aufstellung, als suchte er noch nach diesem einen Fehler, der sich seinem Blick entziehen wollte. Ohne ihn zu finden. Zur selben Zeit merkten sie, wie ihre erwartungsvollen Blicke ihn unter Druck setzten. Er war ihnen eine Antwort schuldig. Er war ihnen ein ‚Ja‘ schuldig. Nach zwei Monaten, die für ihn geprägt von schwarzer Magie waren, in denen er nur auf diesen einen Moment hingearbeitet hatte, sollte dieser Moment nun endlich eingetroffen sein. Er war fertig. Der Zauber um Mars Einhalt zu gebieten war endlich fertig. Nur noch Carsten selbst musste das realisieren. Schließlich, endlich, wagte er ein schwaches Nicken. „Ich glaube schon…“ Die Reaktionen der Mädchen könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Ariane bei dem Gedanken endlich ihre kleine Schwester zu retten plötzlich in Tränen ausbrach und Carsten weinend um den Hals fiel, sprang Öznur auf einmal mit einem lauten Triumpf-Schrei vom Stuhl auf. Während Anne wie zu Stein erstarrt schien, redete Susanne plötzlich auf Lissi ein, dass sie nun endlich Janine, Benni und all die anderen da rausholen könnten. Während zum vermutlich ersten Mal in Lauras Leben jeder Funken Pessimismus wie weggeblasen schien, wurden Carstens Gedanken von Unglauben und Selbstzweifel regiert. Und trotzdem war der Grund von all dem der gleiche. Der Zauber war fertig. Der Zauber war endlich fertig! Diese seltsamen, teils widersprüchlichen Ausdrücke der Freude dauerten noch eine ganze Weile an, in der vermutlich jeder andere Tisch im Mensa-Turm diesen Trupp bereits für verrückt erklärt hatte. Schließlich war es Öznur, die hastig ihr Handy herauskramte und meinte: „Das muss ich unbedingt Eagle sagen!“ „Nein!“, rief Carsten, während Öznur schon nach Eagles Nummer suchte. Verwirrt schaute sie ihn an. „Wieso nicht?“ „Weil wir keine Garantie haben, wer mithören könnte.“, erwiderte er und schaute sich kritisch im Mensaturm um. „Vergesst nicht, dass Mars ohnehin hier irgendwo einen Spion hat. Wenn er jetzt irgendwie erfährt, dass…“ Laura blieb die Luft weg bei dem Gedanken, was dann vermutlich geschehen könnte. Was dann mit Benni passieren könnte… Zitternd verschränkte sie die Arme vor der Brust und versuchte die Bilder ihrer Vorstellung auszublenden. Das durfte nicht geschehen. Das durften sie nicht zulassen! Und schon gar nicht durch so eine dumme Nachlässigkeit. Schweigen breitete sich aus und leicht beschämt nahm Öznur wieder auf ihrem Stuhl Platz. Nur Ariane schniefte immer noch. Carsten musterte sie besorgt. „Nane, ist alles in Ordnung?“ Mit einem schwachen Lächeln erwiderte Ariane seinen Blick und wischte sich eine Träne aus den Augen. „Ich würde ja echt gerne sagen es ist alles in Ordnung. Besonders… eben gerade. Aber…“ Sie schniefte erneut und deutete auf das Chili. „Das ist viel zu scharf!!!“ Die Mädchen und sogar Carsten konnten nicht an sich halten und mussten bei diesem empörten Blick loslachen. „Was hast du denn anderes erwartet, als du Carstens Essen geklaut hast?“, fragte Laura und hielt sich den Bauch vor Lachen. „Er schärft seine Gerichte doch immer im Nachhinein noch so stark, dass kein normaler Mensch es mehr essen kann.“ „Du übertreibst.“, erwiderte Carsten lächelnd, reichte Ariane aber eine Flasche mit stillem Wasser. Diese machte sich gar nicht erst die Mühe, das Wasser vorher ins Glas zu kippen. Während sie also beeindruckender Weise die fast volle Flasche in gefühlt einem Zug leerte, wurde dies von weiterem Gelächter untermalt. Ein heiteres, sorgloses Lachen, wie es schon lange nicht mehr der Fall gewesen ist.   ~*~   Wieder wurde er von quälenden Träumen heimgesucht. Von Bildern, die ihn bis in die entferntesten Ecken seiner Wahrnehmung verfolgten. Und wieder waren sie es, die ihn aus dem Schlaf rissen. Schwer atmend und nicht in der Lage sich zu rühren öffnete Jack die Augen. Selbst die schwache Beleuchtung der Schreibtischlampe blendete ihn. Übelkeit stieg in ihm auf, die er nur mit Mühe herunterschlucken konnte, begleitet von einem unerträglichen Hämmern in seinem Kopf und lähmenden Schmerzen im Rest seines Körpers. Jack brauchte sich gar nicht erst umzuschauen, um zu merken, dass er im Bett seines Zimmers lag. Und er brauchte sich auch gar nicht erst zur Tür zu quälen, um zu realisieren, dass sie verschlossen war. Er war also gefangen. Gefangen in seinem eigenen Zimmer. Schon wieder. Frustriert biss Jack die Zähne zusammen und versuchte sich aufzurichten. Doch sein rechter Arm konnte die Belastung nicht mal ansatzweise tragen. Na toll, gebrochen. Auch die linke Seite war extrem mitgenommen, aber zumindest noch in der Lage ihn in eine halbwegs sitzende Position zu bringen. Jack lehnte sich gegen die Wand am Kopfende und wischte sich schwer atmend den Schweiß von der Stirn. Alleine das Aufrichten war extrem anstrengend gewesen. Und so wirklich weiter gebracht hatte ihn das auch noch nicht. Jack begann seine Chancen abzuwägen. Selbst wenn er es mit Schmerzen und tausenden Ohnmachtsanfällen schaffen würde zur Tür zu kriechen, er könnte sie nur mit Erd-Energie öffnen. Und das würde Mars merken. Er würde herkommen und hundert prozentig auf Nummer sicher gehen, dass Jack nicht wieder auf so eine aberwitzige Idee wie einen Flucht- oder gar Rettungsversuch kommen würde. Sorge und auch ein Hauch Panik stieg in Jack auf, als seine Gedanken zu dem kleinen Kindergarten im Kerker wanderten. Selbst wenn Janine und Johannes als Dämonenbesitzer wahrscheinlich sicher waren, waren da immer noch… Jetzt, wo Benni sie nicht mehr vor ihm beschützen konnte… Was wurde dann aus Johanna, Sultana und Sakura? Würde Mars sie auch weiterhin als potenzielle Druckmittel am Leben lassen? Jack ballte die Hand zur Faust. Selbst wenn, ohne Verpflegung würden sie dort auch keine Ewigkeit aushalten können. Und niemand von ihnen war dazu in der Lage, auf eigene Faust aus der Unterwelt zu fliehen. Zumindest nicht, ohne sich und die anderen dabei in große Gefahr zu begeben. Jack hatte den- Er stutzte und betrachtete seine rechte Hand. Fuck! Natürlich hatte Mars ihm den Portalring abgenommen. Warum konnte nicht einfach mal einmal im Leben etwas so sein wie es sollte?! Jack würde am liebsten schreien. Nie! Er bekam es wirklich nie auf die Reihe auch nur ein einziges Mal etwas richtig zu machen! Und jetzt würde er noch nicht einmal Benni diesen einen Gefallen tun können. Dieses eine Versprechen halten können. Jack zwang seine aufgewirbelten Gefühle dazu sich zu beruhigen. Eins nach dem anderen. In seiner jetzigen Verfassung würde er erst recht nichts zustande bringen können. Ein verunsicherter Blick fiel auf die Tür. Zum Knochenrichten brauchte er nicht viel Erd-Energie, mit etwas Glück würde es gar nicht erst auffallen. Jack atmete tief durch und schlug die Decke zur Seite um seine Beine zu betrachten. Selbst durch die löchrige Jeans hindurch konnte man erkennen, dass diese Form nicht normal war und definitiv nicht so bleiben sollte. Da er sowieso Linkshänder war, war sein rechter Arm keine allzu große Einschränkung. Aber ohne die Fähigkeit zu Laufen hätte er überhaupt keine Chance. Er nahm ein Stück seiner Decke in den Mund und biss fest drauf. Ein unangenehmes Ziehen breitete sich in Jacks Magen aus als er sich für die kommenden Schmerzen wappnete. Seine Sinne tasteten nach der gebrochenen Stelle im linken Bein und erschufen winzig kleine, dafür aber umso stabilere Erdschienen auf beiden Seiten des Bruches. Zumindest schien es ein sauberer Bruch zu sein, das machte die ganze Sache deutlich einfacher. Jack atmete durch die Nase noch einmal tief ein und aus, was mehr nach einem Schnaufen klang. Dann setzte er den Knochen in Bewegung. Schmerzen explodierten in seinem Bein und trieben Tränen in seine Augen. Jack schrie in das Stück Stoff, kämpfte mit aller Kraft gegen den Drang an aufzuhören. Einfach aufzugeben. Mach weiter. Noch ein kleines Stück!, zwang er sich in Gedanken, über die sich bereits die Schwärze legte. Der Knochen schien sich gar nicht zu rühren, keinen einzigen Millimeter. Es war eine endlose Ewigkeit und noch schwieriger war es dabei die Konzentration zu behalten. Bei Bewusstsein zu bleiben. Jacks Biss verstärkte sich, er kniff die Augen noch fester zusammen. Komm schon! BITTE!!! Schweiß lief ihm von der Stirn und tropfte auf die Decke, darunter vielleicht auch einige Tränen von Schmerz und Frust. Irgendwann, endlich, spürte er, wie die Schienen aufeinandertrafen. Schnell verband Jack beide Seiten und stärkte sie so gut es ging, dass sie den Knochen ideal stützen konnten. Keuchend ließ er sich zurückfallen und schaute zur schwankenden Decke hoch. Viele Male legte sich Finsternis über sie, bis Jack allmählich wieder zu Atem gefunden hatte. Das brennende Gefühl in seinem Bein ließ jedoch überhaupt nicht nach. Jack verfluchte sich selbst, dass er die Schmerztabletten Sakura überlassen hatte, damit sie notfalls Sultana damit versorgen könnte. Und so verlockend es auch war, die Schlaftabletten in seinem Badschrank würden gerade nicht den notwendigen Dienst erweisen können. …Aber den wünschenswerteren. Jack schob all die Gedanken beiseite als er merkte, dass er sich halbwegs wieder gefangen hatte. Nur mit links konnte er immer noch nicht laufen. Er seufzte und stopfte die Bettdeckenecke wieder in seinen Mund. Also auf ein Neues. Das zweite Bein zu richten war noch schlimmer und schwieriger als das erste. Der Bruch war nicht ganz so sauber und er musste sich sogar Knochensplitter zusammensuchen. Es war schwer einzuschätzen, wie lange Jack insgesamt dafür brauchte. Es könnten nur zehn Minuten gewesen sein, aber auch genauso gut zehn Stunden. Mehrere Male verlor er das Bewusstsein und musste gefühlt immer wieder von vorne anfangen. Die Luft im Zimmer schien kochend heiß und stickig. Irgendwann mischten sich neben dem Schweiß rote Flecken auf der Decke, als Blut aus seiner Nase zu sickern begann. Ob und wie Jack es schließlich schaffte, dazu würden ihm keine Erinnerungen bleiben.   ~*~   Die ausgelassene Stimmung hielt noch den gesamten Nachmittag an, bis zum Abendessen. Und auch dann war deutlich spürbar, wie Erleichterung und Hoffnung das Gruppenklima regierten. Selbst Carsten schaffte es nach und nach seine Zweifel beiseite zu räumen, da er einfach keinen weiteren Fehler mehr finden konnte. Irritiert schaute er sich im Mensaturm um. „Wo bleiben denn Susanne und Anne?“ „Also Susi ist nochmal schnell zu den Einhörnern gegangen, um ihnen ihr Abendessen zu geben.“, erklärte Lissi und Öznur ergänzte: „Anne meinte vorhin sie will noch trainieren. Dauert wahrscheinlich länger bei ihr, sie vergisst ja an sich ganz gerne die Zeit, wenn sie Sport macht.“ Laura runzelte die Stirn. „Das würde mir nie passieren. Ich schaue jede gefühlte Stunde auf die Uhr und es sind doch nur zehn Minuten vergangen.“ Ariane lachte auf und klopfte ihr auf die Schulter. „Besser als früher, da hast du alle fünf Minuten auf die Uhr geschaut.“ „Was kann ich dafür, dass die Lehrer immer so anstrengenden Unterricht machen?“, empörte sie sich. Lissi schaute sie schelmisch grinsend an. „Also Bennlèys Training fand ich noch anstrengender als den Schulsport. Und da hattest du nie auch nur ein einziges Mal auf die Uhr geschaut.“ Ein Hauch Röte färbte ihre Wangen, als Laura die Arme vor der Brust verschränkte. „Draußen hatten wir einfach keine Uhren.“ „Jede Sporthalle hat doch eine riesige Uhr, die man von den Sportplätzen aus sehen kann.“, stellte Ariane fest. Öznur lachte auf. „Die Ausrede zieht also nicht, Laura. Du hattest ganz offensichtlich all die Zeit immer nur Augen für Benni.“ Auch die restlichen Mädchen mussten bei diesem Witz auf Lauras Kosten loslachen. Amüsiert schüttelte Ariane den Kopf. „Aber ich muss sagen, Benni hatte sich überraschend gut als Lehrmeister gemacht. Hätte ich nicht von ihm mit seiner schweigsamen Art gedacht.“ Bei der Erinnerung an Benni in seiner Lehrerrolle musste Carsten lächeln. Gerade, da er einen Vergleich zu Eufelia-Sensei hatte, war er sich der Ähnlichkeiten besonders bewusst. Tatsächlich hatte Benni dieselben hohen Ansprüche, einen leichten Hang zum Perfektionismus und duldete keine Faulheit oder Nachlässigkeit. Dafür war er aber umso geduldiger, wenn man sich Mühe gab und es trotzdem einfach nicht auf die Reihe bekam. Und noch rücksichtsvoller, wenn man drohte seine Grenzen zu sehr zu überschreiten. Er sparte nicht an Kritik, doch sie kam nie ohne Ratschläge zur Verbesserung. Und wenn er mal ein Lob aussprach, wusste man dies umso mehr zu schätzen und freute sich entsprechend auch viel mehr darüber. Leicht bedrückt seufzte Carsten.  Jetzt, wo der Zauber fertig war, hatten sie endlich alle Mittel, um ihn und all die anderen zu retten. Doch eine Frage blieb immer noch offen: Wie? Laura schien seine Gedanken zu erahnen und nahm seine Hand, um ihm ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen. „Komm schon, nur noch das Abendessen. Und dann werden wir Eagle, Florian und Konrad treffen und besprechen alles weitere.“ Schnaubend verschränkte Öznur die Arme vor der Brust. „Ich verstehe ja, dass wir auch mit unseren Handys vorsichtig sein sollen. Aber mies finde ich das schon von den drei. Eine dezente Nachricht von Eagle und alle kommen angerannt. Eine vorsichtige Nachricht von uns und niemand reagiert drauf oder verschiebt es auf später, weil wichtige Sitzungen und so weiter und so fort.“ Ariane seufzte. „Ja. Besonders, da Florian sogar schon ahnen müsste, was Sache sein sollte.“ „Ich wette, wenn Carsten die Nachricht geschrieben hätte, wären fünf Minuten später alle angerannt gekommen.“, maulte Öznur weiter, woraufhin Laura, Ariane und Lissi bestätigend nickten. „Ach kommt, ihr übertreibt.“, versuchte Carsten die Mädchen zu besänftigen. „Die drei haben einfach furchtbar viel um die Ohren zurzeit. Florian scheint momentan ganz schön gestresst, weil er sich um das Training der gesamten Armee kümmert, was genauso wie bei euch wegen des möglichen Krieges verschärft wurde. Und gleichzeitig muss er sich auch noch mit den restlichen Regionen Damons um potenzielle Schlachtpläne Gedanken machen, sowie anderen Sachen wie zum Beispiel, dass Dämonenverbundene endlich per Gesetz geschützt werden sollten. Dass Eagle die ganzen letzten Wochen schon am Limit ist, wisst ihr alle genauso gut wie ich. Und Konrad hat seit gestern wohl besorgniserregend viel Bewegung in der Unterwelt festgestellt.“ Carsten merkte, wie Lauras Gesicht bei seiner letzten Aussage direkt an Farbe verlor. „Weißt du Genaueres?“ Leider musste er ihre Frage mit einem Kopfschütteln verneinen. Auch Carsten bereitete diese plötzliche Wendung Sorgen. Besonders, da Konrad nach Florians Erzählungen ungewohnt angespannt gewirkt hatte. Und wenn man den Vampir kannte wusste man, dass es keine Kleinigkeiten waren, wenn er mal aus der Ruhe gebracht wurde. Vorsichtig nahm er Lauras zur Faust geballte Hand in seine und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. Sosehr er es auch wollte, mehr konnte er nicht machen. Er konnte ihr nicht den Mut zusprechen, den er selbst nicht einmal hatte. „Aber dann ist das doch umso mehr ein Grund, warum sie auf die Nachricht reagieren sollten!“, empörte sich Öznur. „Ehrlich gesagt glaube ich, dass sie die Nachricht bisher noch nicht einmal empfangen haben. Geschweige denn gelesen.“, erwiderte Carsten. „Das macht die Sache trotzdem nicht besser.“, widersprach Lissi und schüttelte den Kopf. „Sieh es doch einfach ein, Cärstchen. So sehr die drei der Meinung sind, dass auch die ‚Kinder‘ ein Mitspracherecht haben, in Wahrheit trauen sie uns nichts zu. Dich ausgenommen, versteht sich. Aber in dem Rest von uns sehen sie nur die hilflosen kleinen Mädchen, die noch nicht einmal auf sich selbst aufpassen können.“ „So ein Unsinn, jetzt tut ihr ihnen aber wirklich Unrecht.“ Seufzend zog Laura ihre Hand aus seiner. „Nein Carsten, du siehst es nur nicht, weil sie dich wirklich wie einen Ebenbürtigen behandeln. Aber wir…“ „… Wir sind nur die Schachfiguren für eure Aufstellung. Nichts weiter als Energielieferanten.“, beendete Ariane ihren Satz. Ein unwohles Gefühl breitete sich in Carsten aus. Das war also die Sicht der Mädchen auf die Dinge? „Ihr seid nicht einfach nur Schachfiguren. Ihr habt euren eigenen Willen und könnt selbst entscheiden, was ihr macht!“, versuchte Carsten ihnen zu widersprechen, doch er merkte direkt, dass seine Worte sie nicht erreichten. Ariane zuckte mit den Schultern. „Ist leider schwer zu glauben, wenn man uns von Anfang an sagt, was wir zu tun haben und was wir lassen sollen.“ Lissi nickte. „‚Findet die anderen Dämonenbesitzer.‘ ‚Macht eure Prüfung für die Dämonenform.‘ ‚Trainiert, um für eine mögliche Schlacht gewappnet zu sein.‘ und jetzt ‚Wartet, bis wir sagen, dass wir euch brauchen.‘ Sorry Cärstchen, aber das klingt für mich kein bisschen nach ‚freier Wille‘.“ Übelkeit, gepaart mit Wut stieg in Carsten auf. Doch nur die Übelkeit schaffte er runterzuschlucken. „Ach und ihr denkt, Konrad, Florian, Eagle oder ich machen all das, weil wir gerade Bock drauf haben? Seid doch froh, dass ihr zumindest wisst, was euer nächster Schritt ist! Und dass ihr trotz allem noch die Möglichkeit habt zu entscheiden! Falls ihr jetzt schon der Meinung seid keinen freien Willen zu haben, denkt mal an die, die ihren freien Willen bereits gänzlich aufgeben mussten!!!“ Bei seinem schroffen Tonfall zuckten einige der Mädchen zwar zusammen, doch ansonsten reagierten sie nicht. Schweigen breitete sich aus, wo jeder mit den Gedanken zu Benni, Johannes und Janine abdriftete. Genauso wie Johanna, Sakura und, was niemand außer Carsten an diesem Tisch wissen dürfte, Sultana. Selbst wenn viele von ihnen einen starken Willen hatten, frei war was Anderes. Bedrückt stellte Carsten fest, dass seine Worte ausgerechnet Laura und Ariane am stärksten getroffen hatten. Was nicht überraschend war, wenn man bedachte an wen sie dadurch wieder erinnert wurden. Direkt bereute Carsten, dass er seinen Ärger nicht hatte im Zaum halten können. Gleichzeitig wusste er nicht, wer der beiden nun eher Beistand bräuchte. Noch während er sich Vorwürfe machte, ging ein leichtes Beben durch den Turm. Irritiert schaute er auf. Hatte er sich das vielleicht nur eingebildet? „Habt ihr das auch gespürt?“, fragte Öznur verwundert. Wohl doch keine Einbildung. Diese Vermutung bestätigte sich als erneut ein Beben den Turm erschütterte. Dieses Mal stärker. Instinktiv klammerte sich Laura an Carstens Arm. „Das ist kein Erdbeben.“, stellte sie schaudernd fest. Unruhiges Gemurmel erfüllte den gesamten Turm, was beim dritten Mal bereits in leichte Panikschreie überging. Jetzt wünschte sich Carsten definitiv jemanden, der ihnen allen sagte was sie tun sollten. Hoffend schaute er zum Lehrertisch, der über die andere Treppe des hohen Turms erreichbar war. Und tatsächlich, Herr Bôss wechselte einige ernste Worte mit seiner Frau und beide standen kurz darauf mit einem Nicken auf. Während die Direktorin die Treppe runter ging, wandte sich der Direktor an die Schülerschaft und sagte mit magie-verstärkter Stimme: „Ruhe!“ Sofort wurde es still im Turm, lediglich das leichte Beben weigerte sich, dem Folge zu leisten. „Ihr müsst jetzt Ruhe bewahren. Etwas scheint die Magie-Barriere durchbrochen zu haben, doch das ist kein Grund direkt in Panik zu verfallen. Meine Frau geht eben gerade raus und prüft die Lage. Wenn sie euch das Zeichen gibt, verlasst ihr langsam eure Plätze und werdet von den Lehrern zum Schutzbunker geleitet. Lediglich die Magier aus dem dritten Jahr kommen bitte zu mir.“ Bei diesen Worten blickte der Direktor direkt in ihre Richtung, eine deutliche Aufforderung, dass auch sie dazu zählten. „Denkt immer daran: In Krisensituationen ist es die Panik, die mehr Opfer fordert als die Krise selbst. Also bitte bewahrt Ruhe, sodass wir die Möglichkeit haben gar keine Opfer beklagen zu müssen.“ Direkt im Anschluss deutete Frau Bôss ihnen bereits an, dass sie kommen sollten. Es herrschte ein Schweigen, wie man es sonst nur von Beerdigungen kannte, als sie alle aufstanden und die Treppe runter in Richtung Ausgang gingen. Nur allmählich wagten sich einige zu leisen Gesprächen, die bei jedem weiteren Beben schlagartig verstummten. Einige weniger starke Nerven begannen zu Schluchzen, doch in den meisten Fällen wurden sie von ruhigeren Mitschülern direkt getröstet, sodass nur wenig mögliche Panik aufkommen konnte. Carsten musste gestehen, dass er durchaus überrascht war. Er hätte nicht erwartet, wie besonnen so eine große Menschenmasse reagieren konnte. Ob es mit ihrem Training zusammenhing? Mit der Magie und dem Kampfsport, wo die Schüler des Öfteren mit vermeintlich bedrohlichen Situationen konfrontiert wurden? Vielleicht lag es auch an dem Respekt und dem Vertrauen, den die Lehrer und insbesondere die Direktoren dieser Schule genossen. Der Zuversicht, dass sie diese Situation meistern können, wenn man nur das machte was sie sagten. Carsten ertappte sich selbst bei diesem Gedanken. Frau Bôss war eine überragende Kampfkünstlerin, selbst Chief hatte ihre Fähigkeiten mal in den höchsten Tönen gelobt. Und dass Herr Bôss ein begnadeter Magier war, stand ebenso außer Frage. Gerade was ihn betraf… Er hatte nichts Geringeres getan als Carsten aus der schlimmsten Zeit seines Lebens zu begleiten. Ohne Herr Bôss wäre er nicht hier, würde nicht diese Stufen mit den anderen heruntergehen. Gerade, als sie sich mit einigen aus dem dritten Jahr von der Schülerschaft trennen wollten, meinte Lissi plötzlich gedämpft: „Geht ohne mich weiter. Was auch immer hier gerade passiert: Susi und Banani haben keine Ahnung.“ „Lissi, warte!“, rief Öznur und wollte sie zurückhalten, doch Lissi rannte bereits Richtung Haupteingang des Gebäudes. Eine Lehrerin stellte sie zur Rede, doch nachdem Lissi die Situation kurzerhand erklärt hatte ließ sie sie überraschender weise passieren. Sprachlos schaute der Rest ihr hinterher, obwohl sie bereits aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Schließlich war es Ariane, die sich seufzend abwandte. „Lissi wird schon wissen, was sie tut.“ Nur zögernd gaben sie ihr mit einem Nicken recht, bevor sie es Ariane gleichtaten und auf Herr Bôss zugingen. Dieser vergewisserte sich, dass alle relevanten Personen anwesend waren, bevor er ihnen bedeutete ihm zu folgen. Sie gingen die andere Treppe hoch, um den restlichen Schülern Platz zu machen, die von den Lehrern in einen Untergrundraum geleitet wurden. Carsten hatte nie bemerkt, dass sich in der Mitte des Turmes eine riesige Falltür befand. Erst, als sich der goldene Boden auf magische Weise öffnete und eine breite Treppe freigab erkannte er, was Herr Bôss ganz offensichtlich mit ‚Schutzbunker‘ gemeint hatte. Diese Schule steckte voller Überraschungen. Inzwischen hatten sie die große Plattform erreicht, wo normalerweise die Lehrkräfte während der Mahlzeiten saßen. Genauso wie Herr Bôss warf auch Carsten einen Blick in die Runde. Etwa 50 Mitschüler waren gefolgt und um die zehn Lehrkräfte. 60 Magier gegen eine unbekannte Bedrohung. Ob das reichen würde? Auch Herr Bôss schien dies abzuwägen, ehe er meinte: „Okay, hört mir nun gut zu. Es scheint ein schwerer Sturm aufzuziehen, der alles andere als natürlich ist. Zum Teil hält die Barriere noch, aber sie wird von Sekunde zu Sekunde schwächer. Alleine werde ich sie nicht aufrechterhalten können. Und genau dabei werdet ihr mir helfen müssen. Selbst wenn hier alle in Sicherheit gebracht wurden, müssen wir auch damit rechnen, dass sich einige Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie weiteres Schulpersonal außerhalb des Mensaturms befinden. Wir müssen ihnen genug Zeit verschaffen, einen der anderen Fluchtwege zu benutzen.“ Andere Fluchtwege? Während Herr Bôss weiter erklärte, warf Carsten einen fragenden Blick in Richtung der Mädchen. Laura bemerkte seine Verwirrung. „Das wurde uns damals direkt am ersten Schultag erklärt.“, erläuterte Laura flüsternd. „Es gibt verschiedene Wege in einen Schutzraum, der sich tief unter nahezu dem gesamten Campus befindet.“ Gut zu wissen. Herr Bôss hatte die Magier derweil in zwei Gruppen eingeteilt, sodass sich besonders die Schüler gegenseitig ablösen und eine Pause machen konnten, würde der Zauber ihnen zu viel abverlangen. Als sich die Menschentraube in Zweiergruppen allmählich auflöste, um zu höheren Ebenen des Turmes zu gelangen, kam Herr Bôss auf ihre kleine Gruppe zu. „Carsten, ich brauche dich als Rückversicherung, sollten zu viele der Schüler ausfallen.“, meinte er direkt. Carsten rutschte das Herz in die Hose. „Rückversicherung?“ Der Direktor nickte. „Noch kann ich nicht einschätzen, wie stark dieser seltsame Sturm wirklich ist. Aber selbst einige vom dritten Jahr werden ihre Schwierigkeiten haben. Das Problem ist, je mehr aus Erschöpfung den Zauber abbrechen müssen, desto anstrengender wird es für die Übrigen.“ Herr Bôss warf ihm ein Lächeln zu und ergänzte mit leicht sarkastischem Tonfall: „Du bist sozusagen unser Ass im Ärmel.“ Natürlich fühlte sich Carsten alles andere als wohl dabei, dass Herr Bôss so viel Hoffnung in ihn setzte. Dass insgesamt zurzeit so viel Hoffnung in ihn gesetzt wurde. Aber jede weitere Diskussion würde sie nur umso mehr wertvolle Zeit kosten, weshalb Carsten darauf einfach nur ein wenig überzeugendes Nicken erwiderte. „Und wir?“, fragte Laura plötzlich. Herr Bôss wies auf den Rest der Schülerschaft. „Ihr begebt euch in Sicherheit.“ „Nein! Ooooh nein, das machen wir nicht!“ Empört verschränkte Öznur die Arme vor der Brust. „Wir werden uns nicht mehr verstecken! Wir wollen uns nicht zurücklehnen, während der ganze Rest sein Leben aufs Spiel setzt!“ „Genau!“, warf Ariane ein. „Gerade Laura und ich haben die Möglichkeit zu helfen. Wir können-“ „Hatten wir nicht letzte Woche erst diskutiert, warum ihr das nicht könnt?!“, ertönte hinter ihnen Frau Bôss‘ strenge Stimme. „Wollen Sie das wirklich riskieren?!“, fragte Öznur frustriert. „Das Leben von all Ihren Schülern, nur, um zu verhindern, dass wir enttarnt werden?!“ „Fräulein Albayrak, jetzt ist nicht die Zeit für Diskussionen.“ Laura verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann sparen Sie sich den Versuch uns davon abzuhalten lieber gleich.“ Carsten legte seiner besten Freundin eine Hand auf die Schulter. „Laura, es ist schon gut. Tut, was sie sagen.“ „Nein.“ Natürlich hätte er bei ihrem Dickkopf mit so einer Antwort rechnen müssen. „Du hast gemeint wir haben einen freien Willen? Dann versuch nicht, uns ausgerechnet jetzt davon abzubringen.“ Herr Bôss, der diese unnötige Diskussion bisher nur schweigend beobachtet hatte, lachte schließlich auf. „Lasst sie, die Mädchen werden schon wissen, was sie tun.“ An die drei gewandt meinte er noch: „Aber denkt bitte trotzdem daran, was für ein Risiko ihr damit für euch darstellt. Haltet euch solange bedeckt, bis es wirklich brenzlig wird. Okay?“ Anscheinend halbwegs zufrieden gestellt mit diesem Kompromiss nickten sie. Ohne noch mehr Zeit zu verschwenden wies Herr Bôss Carsten an ihm zu folgen, während der Rest bei Frau Bôss für den ärgsten Notfall zurückblieb. „Je weiter oben, desto effektiver ist der Zauber.“, erklärte der Direktor ihm, während sie an den schon wartenden Magierpaaren vorbeigingen. „Aber dafür ist es auch umso gefährlicher. Du musst mir versprechen dich sofort in Sicherheit zu bringen, wenn es kritisch wird.“ Carsten wollte ihm widersprechen, doch beim Luftholen wurde er bereits von Herr Bôss unterbrochen. „Kein ‚Aber‘. Du bist unersetzlich, Carsten. Wenn wir dich verlieren, gibt es keinen Weg Damon zu retten. Ich gehe an sich schon ein großes Risiko ein, dich und jetzt auch noch die Mädchen in all das zu integrieren.“ Schaudernd fiel Carsten auf, dass Herr Bôss alles andere als zuversichtlich wirkte. Es war das genaue Gegenteil zu der Ausstrahlung, die er zuvor noch hatte, als er mit den restlichen Schülern gesprochen hatte. „Glauben Sie…“ Er warf ihm ein kesses Lächeln zu. „Ich bin Atheist, ich glaube nicht.“ Dennoch wurde er direkt wieder ernst. „… Aber ich hoffe. Und selbst das fällt schon schwer.“ Inzwischen waren sie bei der höchsten Plattform des Turmes angelangt, die nur über diese Treppe erreichbar war. Staunend schaute sich Carsten um. Der Boden war beängstigend weit entfernt, selbst ein Dämonenverbundener würde einen Sturz aus dieser Höhe nicht überleben können. Sogar die Mädchen und Frau Bôss, die sich etwa in der Mitte des Turmes befanden, wirkten winzig. Carsten warf einen Blick auf das Mosaik hinter ihm. Er hatte die Bilderreihenfolge immer und immer wieder betrachtet, während er die Schülertreppe rauf und runter gegangen war. Nur das letzte Bild hatte er nie zu Gesicht bekommen, da es nur über die Treppe für die Lehrerschaft und die Schülervertretung erreichbar war. Es war offensichtlich, um was für eine Geschichte es sich handelte, die die Mosaikbilder erzählten. Es ging harmonisch los, doch sehr bald kreuzten sich Schwerter und Zauberstäbe. Man sah, wie Menschen sich gegenseitig bekämpften, Magier gegen Kampfkünstler. Auf weiteren Bildern sah man, wie Indigoner und Elben flüchteten. Wie Dryaden gejagt und gefoltert wurden. Es war der magische Krieg. Durch das bunte Mosaik wirkte er weniger düster und grausam wie er in Wahrheit war. Und doch war man sich der Grausamkeiten dieser Zeit bewusst. Am Ende der Bilderreihe sah man, wie Frieden geschlossen wurde, wie die Menschen Damon gründeten und Elben und Indigoner zurückkehren konnten. Wie die Vampire in die Oberwelt eingeladen wurden, in der Hoffnung auf eine friedliche Koexistenz mit allen irdischen Lebewesen. Und nun stand Carsten vor dem letzten Bild dieser Geschichte. Das Bild, dass sich der Menschheit all die Zeit verborgen hatte. Drei junge Erwachsene waren zu sehen. Ein Magier mit weinrotem Haar in asiatisch angehauchter edler Tracht. Eine ebenso elegant gekleidete Frau mit kurzen silbernen Haaren und eine Kriegerin mit langen Haaren in ebendieser Farbe, gekleidet in einem roten Kimono und mit einem Katana in den Händen. Und in gewaltiger Größe hinter den Helden türmte sich ein Purpurner Phönix auf, den Schnabel aufgerissen, sodass Carsten bereits meinte das ohrenbetäubende Kreischen hören zu können. Das war das wahre Ende der Geschichte. Das war der Kampf von Eufelia, Coeur und Leonhard gegen Mars. Noch während sich Carsten schaudernd bewusst wurde, dass bald er selbst mit den Mädchen, sowie Benni und seinem Bruder und all den anderen Dämonenbesitzern an diesem Punkt stehen würde, so dicht vor dem Verursacher all des Leids, spürte er, wie eine gewaltige Macht vom Turm nach außen drang, als Herr Bôss mit den Lehrern und Schülern die Barriere erschuf, um die Akademie und all die Leute da drinnen zu beschützen.   ~*~   Ein seltsames Geräusch. Ein Klacken. Das war es, was Jack hochschrecken ließ. Wobei hochschrecken eigentlich der falsche Begriff war, da kein Muskel dazu in der Lage schien, irgendetwas was auch nur annähernd in die Richtung ‚hoch‘ ging, bewerkstelligen zu können. Noch während sich sein Körper der geballten Ladung an Schmerzen bewusst wurde, kam es wieder. Das Klacken. Das Türschloss!, schoss es Jack durch den Kopf. Dank des Adrenalins durch die plötzliche Panik schreckte Jack nun wirklich hoch. Vorsichtig stützte er sich auf seinem linken Arm ab, während er mit pochendem Herzen beobachtete, wie mit erdrückender Langsamkeit die Türklinke heruntergedrückt wurde. Hatte Mars es doch gemerkt? Dieses bisschen an Energie?!? Nicht schon wieder. Nicht schon wieder! Jacks Atem wurde flacher, es war ihm nicht möglich die Angst auch nur ein bisschen im Zaum zu halten. Ein schmaler Lichtstrahl drang in sein Zimmer, als die Tür für einen Spalt geöffnet wurde. Je mehr die Tür sich öffnete, desto breiter wurde er. Und desto weniger bekam Jack Luft. Schließlich konnte er sie erkennen. Die Silhouette eines jungen Mannes, umrahmt vom flackernden Kerzenlicht, was den Haaren eher einen leichten orange-Ton verlieh statt dem typischen blond. Doch die Kleidung war unverkennbar. Schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans. Warum konnte Jack jetzt nicht einfach wieder in Ohnmacht fallen, wie es in den Filmen so häufig der Fall war? Er versuchte sich zu fangen. Suchte nach einer Möglichkeit diese Situation für sich auszunutzen. Irgendwie die Gelegenheit zu ergreifen, um fliehen zu können. Doch natürlich gab es nichts. Es gab keinen Ausweg. Der wurde versperrt. Mars betrat das Zimmer und meinte mit vor der Brust verschränkten Armen: „Ich würde ja gerne sagen du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen, aber… eigentlich siehst du eher aus als wärst du der Geist selbst.“ Jack stutzte. Das war weder Mars‘ noch Bennis Stimme. Die Gestalt kam näher auf ihn zu, sodass Jacks verschwommene Sicht bessere Chancen hatte ihn erkennen zu können. Es war nicht nur das Kerzenlicht, was die Haare orange erscheinen ließ. Sie waren tatsächlich orange, bis auf einen strohblonden Ansatz, wo offensichtlich nicht mehr nachgefärbt wurde. Automatisch erwartete Jack ebenso orange-farbene Augen, doch im Licht der Schreibtischlampe sah er, dass die Kontaktlinsen herausgenommen waren. Stattdessen betrachtete er ihn mit einem strahlenden Himmelblau, als er mit einem schiefen Lächeln meinte: „Nimm’s nicht persönlich aber: Du siehst echt scheiße aus.“ „… Max?“ Eindeutig, es war einer der drei Jungs, die Mars mit seinem Fluchmal belegt hatte, um die potenzielle Bedrohung die von Laura ausging in Schach zu halten. Der Max, der nach seinem etwa einjährigen Aufenthalt im FESJ von Mars herausgeholt wurde, um weiterhin krumme Dinge für ihn drehen zu können. Der durch das Fluchmal ein irrer Psychopath geworden ist. Genau dieser Max stand nun vor ihm. Und irgendwie auch nicht. „Sorry, falls du jemand anderes erhofft hast.“, meinte er belustigt. „Aber in deiner jetzigen Situation wäre es wohl besser, nicht so wählerisch zu sein.“ „Aber… warum…“, stammelte Jack. Als wäre es nicht schon ätzend genug, dass er durch die ganzen Schmerzen keinen einzigen klaren Gedanken fassen konnte. Jetzt stand auch noch jemand vor ihm, mit dem er am wenigsten gerechnet hätte und der sich überhaupt nicht so verhielt, wie er sich eigentlich verhalten müsste. Zumindest schien Max seine Verwirrung zu bemerken. Mit einem mitleidigen Lächeln ging er neben Jacks Bett in die Hocke. „Gestern, da… Es ist schwer zu beschreiben. All die Zeit war ich nicht ich selbst. Ich konnte nichts anderes machen als beobachten. Ich konnte nur zusehen, wie ich Leute verletze, wie ich eine Waffe auf Freunde richte… Und trotzdem konnte ich es nicht verhindern. Ich hatte keine Macht über mich. Aber gestern, von einem Moment auf den anderen, da hatte ich diese Macht auf einmal wieder. Ich konnte meine Arme so bewegen wie ich es wollte.“ In Jacks Kopf machte es Klick. „Das Fluchmal ist gebrochen.“ Max nickte. „Ich denke mal die Ursache brauche ich dir nicht zu erläutern.“, meinte er, mit einem Blick auf Jacks ramponierten Körper. Eine Welle der Erleichterung überkam ihn. So sehr er sich eine Rettungsaktion auch erhofft hatte, damit gerechnet hatte er nicht. Und damit schon gar nicht. Und trotzdem… „…Wie bist du an die Schlüssel gekommen? Ich dachte die wären bei…“ Max grinste ihn an. „Wenn ich schon die ganze Zeit gegen meinen Willen ein Verbrecher war, will ich zumindest ein paar Tricks davon mitgenommen haben. Also…“ Er hielt einen Moment inne. „… Das Eichhörnchen war’s.“ Verwirrt schaute sich Jack um und Tatsache, in der Tür saßen zwei Tiere. Das eine monströs groß und furchteinflößend in der Form eines Wolfes, das andere winzig klein und leicht dicklich, was das Eichhörnchen dafür aber umso knuffiger wirken ließ. Chip hob eines der Pfötchen als er erwähnt wurde, als würde er Jack zuwinken. Ohne darüber nachzudenken winkte Jack zurück. Max richtete sich wieder auf. „So. Ich weiß ja, dass dein Element die Erde ist. Aber weiterhin wie ein Stein in der Gegend rumliegen wird uns leider nicht weiterhelfen.“ Es war also wirklich keine Einbildung. Es war kein Traum. Okay, so einen friedlichen Traum würde sich Jack ohnehin niemals erhoffen können, aber… Verdammt, yes!!! Jack sammelte alle seine Kräfte, um sich aufzurichten. Seine Beine brannten zwar wie Höllenfeuer als er sie belastete, doch die Schienen leisteten gute Arbeit. Die Verletzungen dürften also nicht so stark darunter leiden. „Ich vermute mal unser nächster Stopp ist bei den Kerkern?“, vergewisserte sich Max und reichte Jack einen goldenen Ring, verziert mit einem orangenen Edelstein. Der Typ hatte ja echt an alles gedacht. „Wir müssen Janine und die anderen rausholen.“, bestätigte Jack. Max rümpfte die Nase. „Ich wünschte nur wir hätten genug Zeit, um dich vorher nochmal schnell unter die Dusche zu stecken.“ „Wer ist hier nun wählerisch?“, konterte Jack und vergewisserte sich, dass niemand sonst in ihrer Nähe war. Bei einem prüfenden ‚Blick‘ in seinem Zimmer stellte er fest, dass sowohl Bennis Samurai-Schwert als auch die Pistole nicht mehr dort waren, wo sie sich befinden sollten. Mist, also hat Mars bereits beides in die Finger bekommen. Doch ihm blieb keine Zeit, sich weitere Gedanken darüber zu machen. Er und Max tauschten nur einen kurzen Blick aus, dann verließen sie beide gefolgt von den pelzigen Kumpanen das Zimmer. Während sie zu viert die Gänge entlangschlichen musste Jack sie immer wieder zum Anhalten bewegen, um ihre Umgebung auf mögliche Gefahren zu untersuchen. Eigentlich ging das nebenbei. Eigentlich. Wenn man nicht gerade damit beschäftigt war bei jedem Schritt zu sterben. Schwer atmend stützte sich Jack an einer Wand ab. Er wusste, dass sie sich nicht die Zeit für eine Pause leisten konnten. Aber der Boden schwankte so sehr als würde er versuchen auf Wackelpudding zu laufen. „Geht’s?“, erkundigte sich Max. „Bloß einen Moment…“, antwortete Jack keuchend. Vorsichtig ließ er sich an der Wand entlang auf den Boden gleiten, wobei sich Wolf ihm überraschender Weise als Stütze anbot. Und Mensch, das Fell war wirklich so flauschig wie gedacht! Während Jack versuchte wieder zu Kräften zu kommen fragte er: „Wie habt ihr es geschafft an den Schlüssel und den Ring zu kommen?“ Max zuckte mit den Schultern, wirkte aber nicht so sorglos als er antwortete: „Ich weiß nicht, was genau gerade am Laufen ist. Aber es scheint ‘ne ziemlich große Sache zu sein, die Mars‘ volle Aufmerksamkeit verlangt.“ „… Arme Schweine.“ „Na ja, für uns immerhin die perfekte Gelegenheit.“ Wohl wahr, Max hatte es ganz eindeutig gepackt den perfekten Augenblick zu erwischen. Da sollte Jack ihr Glück nicht noch länger herausfordern. Mit zusammengebissenen Zähnen mühte er sich wieder auf die Beine, anscheinend sehr zu Max‘ Sorge. „Nichts überstürzen, es bringt uns rein gar nichts, wenn du am Ende zusammenbrichst.“ „Wenn wir das Zeitfenster zu sehr auskosten sind wir genauso am Arsch.“, erwiderte Jack und setzte ihren Weg fort. „Schon, aber…“ Jack lachte auf. „Es ist echt seltsam, dich so zu erleben. Du wirkst so… normal.“ Max schnaubte. „Willst du mich beleidigen?“ Auf diesen gekränkten Kommentar hin mussten beide grinsen. Nach einer Weile, in der der Boden schon wieder wie ein Schiff hin und her schwankte, meinte Max plötzlich: „Zumindest bin ich froh, endlich wieder ich selbst sein zu können.“ „War wohl ziemlich krass…“, erwiderte Jack lediglich außer Atem und wischte sich den Schweiß von der überhitzten Stirn. Max blieb stehen als sei er der Meinung Jack bräuchte eine weitere Pause. Doch dieser ging kopfschüttelnd weiter, was dem Schwindel allerdings eher im negativen Sinne dienlich war. Wieder war es Max, der das Gespräch startete. „Du hast schon einige Leute umgebracht, oder?“ „Klar.“, war das einzige, was Jack darauf antwortete. Zumindest fühlte er sich so matschig, dass sich sein Körper gar nicht erst mit Erinnerungen oder Emotionen befassen konnte. „Selbst Freunde?“, hakte er nach. „Was für Freunde?“, erwiderte Jack sarkastisch, wobei er mehr keuchte als lachte. Nun kamen doch Erinnerungen hoch, die selbst bei der Erschöpfung nicht so leicht verblassen konnten. „…Getötet nicht, aber ich hab einen… guten Bekannten häufiger und mehr Leid zugefügt als er verdient hätte.“ Schwer atmend lehnte sich Jack erneut gegen die Wand. Bei seiner momentanen Kondition würde der Weg noch ewig dauern. Dabei war das normalerweise eine Sache von etwa 15 Minuten. Scheiß riesen-Schloss. Auch Max lehnte sich gegen die Wand und betrachtete gedankenverloren die Kerze auf der gegenüberliegenden Seite. „Ich verstehe was du meinst… Besser als mir lieb ist.“ Seufzend schüttelte er den Kopf. „Ich werde mir ganz schön was einfallen lassen müssen, um all die Scheiße die ich gebaut habe wiedergutzumachen.“ Jack schwieg. Es war unmöglich, sich selbst nicht mit dieser Aussage zu identifizieren. Dabei traf Max selbst doch eigentlich überhaupt keine Schuld. Er war ein Opfer, dem Mars‘ Willen aufgedrängt wurde. „… Du solltest nicht zu hart mit dir ins Gericht ziehen.“, meinte er schließlich. Erneut warf Max ihm ein mitleidiges Lächeln zu. „Du genauso wenig.“ Jack schnaubte und tat diese Aussage mit einem Kopfschütteln ab. Bevor sie weitergehen konnten, wurde ihr Weg allerdings von Wolf versperrt. Ein warnendes Knurren grollte aus seiner Kehle. „Was ist?“, fragte Max verwirrt. Prüfend sandte Jack seine Sinne aus, wobei die Umgebung deutlich zu fühlen genauso schwierig war wie geradeaus zu schauen. Doch Tatsache… „Scheiße. Wachen.“ „Was?!“, kreischte Max erschrocken. Zischend hielt Jack ihn dazu an die Klappe zu halten und erklärte mit gedämpfter Stimme: „Vor der Kerkertür. Ein Zombie, ein Vampir und ein Werwolf.“ Sonst wäre es ja auch langweilig. Auch Max begann zu flüstern. „Toll. Und jetzt?“ „Erd-Energie zu benutzen wäre jedenfalls lebensmüde.“ Sonst würde Mars ihr Vorhaben sehr schnell durchschauen. Und sie noch schneller davon abbringen. „Und einen Schleichangriff können wir auch vergessen.“ Scheiße und in seiner jetzigen Verfassung war Jack alles andere als dazu in der Lage sich in einem direkten Kampf zu behaupten. Er warf Max einen fragenden Blick zu. „Du hast nicht zufälligerweise weitere Verbrecher-Tricks wie diesen von vorhin auf Lager?“ Planlos zuckte dieser mit den Schultern, doch dafür stellte sich Wolf auf die Hinterbeine, um die Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen. Und wieder fiel Jack auf, was für ein riesiges Ungetüm das doch war. Doch gleichzeitig… Die Rädchen in seinem Kopf setzten sich quietschend in Bewegung. „Ihr könntet eine Ablenkung spielen, sodass wir sie in eine Falle locken.“ „Und wie stellst du dir das vor?“ Jack zog die Schnallen seiner Armschiene mit den Metallklauen fester, damit sein rechter Arm bei den kommenden Belastungen nicht zu sehr gegen ihn arbeiten würde. Zumindest diese Waffe hatte Mars ihm nicht abgenommen. Vermutlich, da er ohnehin nicht damit gerechnet hatte, dass Jack von ihr Gebrauch machen würde. Oder eher könnte. „Wolf lockt sie her und während die drei vollkommen auf euch fixiert sind nutze ich die Gelegenheit und erledige sie.“ Max betrachtete ihn als wäre diese Idee geisteskrank. Was sie definitiv war. „Fällt dir was Besseres ein?“ Seufzend schüttelte Max den Kopf. „Hauptsache du sorgst dafür, dass wir hier noch lebend rauskommen.“ „Ich habe nicht vor jemanden von euch sterben zu lassen.“, meinte Jack und entledigte sich seines T-Shirts. Was Max wohl noch mehr aus der Bahn warf. „Hier? Jetzt? Sorry Kumpel, aber ich bin schon vergeben.“ Er warf ihm ein kesses Grinsen zu. „Aber ich muss gestehen, heiß bist du. Besonders mit den ganzen Narben. Das hat was ziemlich verruchtes.“ „Was zum- Nimm einfach.“ Jack warf das Shirt Max entgegen, was dieser alles andere als erfreut auffing und sich demonstrativ von der Nase weghielt. „Und was soll ich damit?“ „Hör auf zu meckern und ziehe es über. Je mehr Geruch von eurer Gruppe ausgeht, desto weniger werden sie mich bemerken.“ Max verzog das Gesicht. „Oh ja, damit fallen wir hundert pro auf.“ „Mach einfach.“ Während Max mit übertriebenem Ekel Jacks T-Shirt überzog, begab Jack selbst sich in einen Gang, wo man ihn, wenn, dann erst zu spät bemerken konnte. Zumindest leistete sein Hormonhaushalt gute Arbeit und pumpte ihn mit mehr Adrenalin voll als notwendig. Das erhöhte ihre Chancen zumindest ein bisschen. Er atmete tief durch, was für seine Lungen immer noch eine Herausforderung zu sein schien, und nickte Wolf zu. Während sich Chip in eine knuffige, absolut ungelenke Kampfposition begab, sprintete der Wolfshund los. Mit seinen inneren Augen verfolgte Jack den Weg. Binnen weniger Sekunden hatte Wolf die drei Wachen bereits erreicht, die ihn und sein Knurren direkt als Bedrohung wahrnahmen und zum Angriff übergingen. Geschickt wich Wolf ihnen aus und machte mit zwei imposanten Wandsprüngen über den Köpfen der Unterweltler kehrt, um sie zu ihrer Gruppe zu locken. Krass. Dafür, dass Wolf so riesig war, war er extrem wendig. Und schnell. Selbst der Werwolf konnte nicht zu ihm aufschließen. Wenig später preschte Wolf bereits um die Ecke. Wobei er solch eine Geschwindigkeit drauf hatte, dass er schon wieder an der Wand abspringen musste, um die Kurve zu kratzen. „Stehen bleiben!“, brüllte der Vampir ihm hinterher. Jack lachte in sich hinein. Als würde dieser Spruch je was bringen. Als Max und Chip die drei Unterweltler erblickten quietschten sie erschrocken und verängstigt auf. Jetzt kam es auf das Timing an. Jack schloss die Augen, um seine Gegner wahrzunehmen ohne sie sehen zu müssen. Vampir und Werwolf waren fast gleichauf. Mit etwas Glück könnte er beide mit einem Streich erwischen. Jack begab sich in Position. Wolf kam an ihm vorbei. Kurz darauf der Werwolf und- Gerade als der Vampir seine Höhe erreicht hatte schoss Jack aus dem Versteck hervor und rammte ihm die Klauen in die Kehle. Der gurgelnde Schrei seines Kameraden zog nun auch die Aufmerksamkeit der anderen beiden auf Jack. Sofort waren Wolf, Chip und Max uninteressant. Er wirbelte herum und riss dabei die Klinge unsanft aus dem Körper des ersten Gegners. Sofort begann sein rechter Arm zu protestieren. Jack biss die Zähne zusammen und spießte auch den zweiten auf. Doch der kurze Schwächeanfall hatte ihm einen wertvollen Herzschlag gekostet, in dem der Werwolf bereits tiefe Furchen in seinen linken Arm geschlagen hatte. Schwer atmend wandte er sich dem Zombie zu. Blöderweise galten Zombies im Allgemeinen als sehr intelligente Genossen und dieser hatte sofort erkannt, dass wegrennen und Hilfe holen die bessere Alternative wäre als der sichere Tod. Zumindest für ihn selbst, was Jack ihm nicht wirklich verübeln konnte. Trotzdem… „Scheiße…“, fluchte Jack außer Atem und versuchte trotz der Sternchen in seinem Blickfeld zu dem letzten Überlebenden aufzuholen. Zum Glück gab es hier noch jemanden, der mitdenken und -kämpfen konnte. Wolf war schon an Jack vorbei und versperrte dem Zombie den Weg. Als dieser trotzdem nicht zurückwich, sprang das Monstrum ihn an und warf ihn zu Boden. Knurrend ging Wolf etwas zurück als auch Jack sie endlich erreicht hatte. Weiß-graue Augen schauten mit einem flehenden Blick zu ihm hoch. „Jack, ich bin’s doch. Was ist los, Kleiner?“, keuchte der Zombie mit seiner kratzigen Stimme. „…Gheorez?“ Jack hielt inne. Er hatte sich mit ihm eigentlich immer ganz gut verstanden. Und direkt bekam er sein Zögern zu spüren. Jack schrie auf, als Gheorez die Gunst der Stunde nutzte und ihm gegen das linke Schienbein schlug. Für einen Moment überlagerte ein explodierender Sternenhimmel seine Sicht, in welchem der Zombie bereits einen erneuten Fluchtversuch startete. Der abrupt endete. Ganz mitbekommen hatte Jack es zwar nicht, aber so, wie der Zombie wenige Sekunden später mit unnatürlichen Verrenkungen an der Wand lag und Wolf immer noch in seiner kauernden Kampfposition stand, konnte er sich schon vorstellen was Sache war. Mit einem erstickten Schmerzenslaut sackte Jack auf den Boden und versuchte dem Schmerz Herr zu werden. „Ich schulde dir was…“, keuchte er an Wolf gewandt. Dieser schien sich zu beruhigen als er erkannte, dass sein Gegner sich wohl nie mehr rühren würde. Gleichzeitig mit Wolf kamen auch Max und Chip zu ihm rüber. „Wow, das war krass.“, kommentierte Max. „Und extrem lebensmüde.“ „Gehört zum Job.“, erwiderte Jack nur, immer noch nicht bei Atem. Vorsichtig tastete er nach dem Bruch in seinem linken Bein. Selbst die leichteste Berührung ließ ihn zusammenzucken, doch wie durch ein Wunder hatte die Schiene dem Schlag Stand gehalten. „Geht’s?“, hörte Jack Max‘ Stimme, während seine Sicht immer noch flimmerte. Ganz in der Nähe seines linken Ohres hörte er ein Quietschen und spürte wie eine flauschige Pfote seine Wange berührte. „Ja, ja. Geht schon.“, ächzte er und streckte die Hand aus, um sein T-Shirt zurückzufordern. Was sich Max nicht zweimal sagen ließ. „Was ist mit… Kerkerschlüssel?“, erkundigte sich Jack und versuchte sich gleichzeitig darauf zu konzentrieren, sein T-Shirt mit einer Klinge der Klauen in einen langen Streifen zu schneiden. „Den hab ich.“, antwortete Max und beobachtete das Schauspiel. „Armes T-Shirt.“ „Armes Ich, wenn ich verblute.“, erwiderte Jack nur und versuchte einen Druckverband zu improvisieren. So blöd stellte er sich zwar nicht an, aber Max dauerte es wohl trotzdem zu lange. „Los komm, lass mich machen. Das kann ja keiner mitansehen.“, er kniete sich neben Jack und riss ihm regelrecht den Stofffetzen aus der Hand. Jack wollte ihm widersprechen, doch Max hatte Recht. Und dennoch war es ein seltsames Gefühl, die Hilfe von jemandem anzunehmen. Gerade in der letzten Zeit hatte Jack selbst häufig Leute verarztet. Aber bei seinen eigenen Verletzungen war er immer auf sich selbst gestellt gewesen. Die Zeiten in denen man ihn tröstend auf den Schoß nahm und ein Pflaster auf die blutige Stirn klebte waren lange vorbei. Die kleinen Aufmerksamkeiten um seine aufgewühlten Gefühle zu beruhigen sind mit ihr gestorben. Das plötzliche Ziehen als Max den Druckverband enger als angenehm schnürte, ließ Jack nicht ganz in seinen Erinnerungen verweilen. „Alles okay?“, erkundigte sich Max, Jacks trüben Blick bemerkend. Geräuschvoll atmete er aus und quälte sich auf die Beine. „Erst, wenn’s Kekse gibt.“ Max lachte auf und hob entschuldigend den Kerkerschlüssel in die Höhe. „Danach bekommst du die besten Kekse von ganz Damon. Versprochen.“ Aus einem sonderbaren Grund motivierte diese Aussage Jack tatsächlich. „Dann lass uns keine Zeit mehr verschwenden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)