Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 78: Die tiefste Schlucht der Unterwelt ---------------------------------------------- Die tiefste Schlucht der Unterwelt       Jack lehnte sich im Stuhl zurück, zufrieden gesättigt und fast schon überfressen. Selbstgemachte Burger waren halt schon immer was Tolles. Er beobachtete Benni, welcher schweigend das Geschirr ihrer unfreiwilligen Gäste in die Spülmaschine räumte. Eins der wenigen technischen Geräte, welches er doch tatsächlich zu bedienen gelernt hatte. Selbst der stärkste Kämpfer Damons war also in der Lage, ein paar Knöpfchen zu drücken. Jacks Blick fiel auf den Pappbecher neben der Spüle. „Hat sie schon wieder nur Cup Noodles gegessen?“ „Besser als nichts.“, erwiderte Benni lediglich. Verstimmt schüttelte Jack den Kopf. „Das kann doch nicht so weitergehen.“ Janine war nun schon seit einer Woche hier, hatte am Anfang jedoch überhaupt kein Essen angerührt. Jack hatte erst vermutet, dass sie einfach keinen Appetit hatte. War ja auch nicht sonderlich ungewöhnlich, nach… sowas. Aber sehr bald stellte sich heraus, dass es nicht am Essen selbst lag, sondern an der Person, die hinter den Kulissen für die Verpflegung zuständig war. „Soll ich doch versuchen, etwas für sie zu kochen?“ Zwar schien diese Frage ernst gemeint aber gleichzeitig lag auch ein Hauch Sarkasmus in Bennis Stimme. Der sich Jacks Antwort ohnehin schon denken konnte. „Niemals.“ Genau genommen hatte Benni hier noch nie etwas gekocht, sondern sich seit Beginn mit -Überraschung, Überraschung- ‚Cup Noodles‘ über Wasser gehalten. Doch nachdem Jack ihn endlich hatte dazu bringen können, seine Existenz als solche anzuerkennen, hatte er sehr bald vegetarische Abwandlungen seines eigenen Essens für Benni hergestellt. Ihm war sogar einige Male ein anerkennendes Nicken für diverse Gerichte vergönnt worden. Und es war witzig zu beobachten, was für Zutaten Benni besonders mochte: Mais, Pilze, Mais, Kartoffeln, Reis und noch einmal Mais. Zumindest, falls er noch keinen Mais verwendet hatte. Was Janine wohl normalerweise gerne aß? Jack hatte ursprünglich gehofft es genauso wie bei Benni herauszufinden, um ihr zumindest über diesen Weg kleine Freuden bereiten zu können. Um ihr die Möglichkeit zu geben immerhin ein paar Mal am Tag den tristen Gedanken und Erinnerungen zu entfliehen, die sie mehr gefangen hielten als es den Metallgittern im Kerker je möglich wäre. Aber leider… „Sie lässt wahrscheinlich immer noch nicht mit sich reden, oder?“ „Nicht mehr als sonst.“, antwortete Benni tonlos und suchte nach getaner Arbeit nach etwas im Regal, was er dort nicht zu finden schien. Jack seufzte. „Tja und wenn ich selbst versuchen würde mit ihr zu reden wäre das genauso erfolgsversprechend wie deine Suche eben gerade.“ Benni warf einen Blick über die Schulter, den Jack nicht wirklich deuten konnte. „Ich hatte extra zwei Packungen gekauft.“ „Selbst schuld, wenn du nicht vorausschauend planst.“ „Das war vor zwei Tagen.“ „Ja. Und?“ „Du hast eine Kekspackung pro Tag geleert?“ „Ja. Und?“, wiederholte Jack sich. Benni atmete geräuschvoll aus und schloss den Schrank wieder. Offensichtlich ohne das gefunden zu haben, wonach er gesucht hatte. Jack betrachtete ihn belustigt. „Komm, der mächtige ‚stärkste Kämpfer Damons‘ braucht doch keine Kekse, um die Welt vor dem Untergang zu retten.“ Benni erwiderte seinen Blick. „Wenn Mars gewinnt, trägst du daran die Schuld.“ Jack lachte auf. „Kein Problem, bin ja eh der Bösewicht.“ Seufzend lehnte sich der stärkste Kämpfer Damons gegen die Küchenzeile und verschränkte die Arme vor der Brust. So Hammer sein trockener Humor auch war, leider war er nur auf kurze Phasen beschränkt. Was solche Kommentare aber umso besser machte, wenn Benni sie mal fallen ließ. Es waren diese kleinen Erinnerungen daran, dass er halt doch ein Mensch war und keine eiskalte Killermaschine. „Du scheinst immer noch nicht so zuversichtlich, dass der Rest es schafft ihm zuvor zu kommen.“, vermutete Jack und konnte direkt erkennen, dass er recht hatte. „Es ist schwer zu hoffen, wenn man sich dessen bewusst ist, dass alles von den Launen eines Dämons abhängt, der zu alldem über die Zerstörung herrscht.“ „Ach komm, nicht alles.“, versuchte Jack ihm -und sich selbst- den Pessimismus auszureden und fragte schließlich: „Wo wir schon dabei sind: Wie geht’s dem Näschen?“ „Geht.“, erwiderte Benni nur, mit den Gedanken ganz eindeutig noch bei dem Ober-Bösewicht. Nachdem Jack sein Talent gebrochene Knochen zu richten an Sultana schon hatte ausleben dürfen, war es ihm auch vergönnt worden sich um Bennis gebrochene Nase zu kümmern. Natürlich hatte dieser den Schmerz mit seiner typischen stoischen Fassung ertragen. Aber sonderlich glücklich über die Behandlungsweise war Benni auch nicht gewesen. „Und ‚geht‘ bedeutet…?“, erkundigte sich Jack, als er Bennis Gesichtsausdruck genauer unter die Lupe nahm, der trüber als trüb war. Seufzend schüttelte er den Kopf. „Diese Stimmen machen mich noch verrückt.“ Stimmen? Jack runzelte die Stirn. „Ähm Benni… Heikles Thema aber das mit dem ‚Stimmen hören‘ und ‚verrückt‘ ist eigentlich genau anders herum.“ „Da ist eine große Menge durcheinanderredender Leute, so wie in einem Zelt auf dem Jahrmarkt. Hörst du sie nicht?“ „Nope.“ Aber vielleicht war es ja trotzdem keine Einbildung. Immerhin hatte Benni dank seiner Vampir-Gene ein deutlich besseres Gehör als Jack. „Vielleicht kommt das aus der Kantine mehrere Stockwerke weiter oben? Haufen Vampire, Werwölfe und Zombies… Das klingt dort garantiert wie in einem Markt-Zelt.“ Doch Benni schüttelte den Kopf. „Das dachte ich auch, aber die Richtung ist eine andere.“ „… Jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen um dich.“ Trotz Jacks typischem Hauch Sarkasmus war diese Aussage ernst gemeint. Psychische Probleme sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, das hatte er selbst häufiger und stärker erfahren dürfen als ihm lieb war. Und von all dem was er gehört hatte, war Benni auch nicht gerade verschont von traumatisierenden Ereignissen geblieben. Eigentlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, dass seine Psyche von all dem unbeschadet geblieben sein könnte. Was man schon alleine daran beobachten konnte, wie schwer es ihm fiel Gefühle auszudrücken oder verstehen zu können. Doch gleichzeitig schien sich Benni dessen bewusst, dass diese Eigenarten von ihm ‚nicht normal‘ waren. „Bist du dir sicher, dass diese Stimmen keine Einbildung sind?“, hakte Jack nach und bekam als Antwort darauf lediglich ein Nicken. Er seufzte und richtete sich auf. „Okay, dann lass uns herausfinden, wo sie herkommen.“ Seine plötzliche Aufbruchstimmung schien Benni etwas verwirrt zu haben, daher meinte er noch: „Entweder wir finden die Ursache, oder du hast offiziell einen an der Klatsche. Was ist dir lieber?“ „Denkst du wirklich, ich habe einen ‚an der Klatsche‘?“, fragte Benni nur, verließ aber seinen Platz an der Küchenzeile. „Das sowieso.“, erwiderte Jack und klopfte ihm auf die Schulter. „Aber ich versuche herauszufinden, was genau es ist.“ Während sie einen der tausenden mit abertausenden Kerzen beleuchteten Gänge entlanggingen, meinte Benni plötzlich: „Schizoid.“ „Gesundheit. Und übrigens heißt es schizophren.“ „Du wolltest doch wissen, was ich an der Klatsche habe.“ Überrascht schaute Jack auf. Er hatte das ernst gemeint? Okay, natürlich hatte Benni das ernst gemeint. Es war Benni. „Schizo-was?“ „Schizoid. Eine begrenzte Fähigkeit Gefühle auszudrücken und sich im Prinzip von allem wie abgespalten zu betrachten.“ „Klingt passend. Wie kommst du darauf? Wohl kaum gegoogelt, oder?“ „Die Mutter eines ehemaligen Klassenkameraden ist Psychotherapeutin.“ Jetzt hatte Benni es endgültig geschafft Jack aus der Rolle zu werfen. „Heißt das, du hattest eine Therapie gemacht?“ „So überraschend?“ „Ja.“ Benni erwiderte nichts darauf und führte sie eine der Wendeltreppen des Schlosses weiter nach unten. Schließlich hakte Jack nach: „Ist es für dich okay darüber zu reden? Ich bin echt neugierig.“ „Inwiefern?“ „Na ja, du und eine Psychotherapie. Irgendwie passt das nicht zusammen. Warum? Es wird dich wohl kaum jemand hin geschleift haben, oder?“ „Nein, es war meine Entscheidung.“ „Und wann?“ „…“ Tatsächlich schien diese Frage Benni etwas ins Stocken zu bringen. Sonderlich angenehm war das Thema für ihn also wirklich nicht. „… Kurz nach dem Tod von meinem Sensei.“ Also gerade mal vor einem halben Jahr… Mitfühlend betrachtete Jack Benni. „Du hast nicht so um sie trauern können, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Nicht wahr?“ „Es ist schwer zu beschreiben.“, meinte er nur. In der unteren Etage angekommen, schien sich Benni auf die Suche nach der nächsten Treppe zu machen, um noch weiter nach unten zu gelangen. Aber tatsächlich versuchte er doch noch, seine Gedanken oder eher Gefühle in Worte zu fassen: „Da war diese seltsame Leere, die ich nicht verstehen konnte. Und gleichzeitig hat sich in der Brust ein Druck ausgebreitet, sodass ich meinte nicht richtig atmen zu können. Aber trotzdem… hatte ich nicht das Gefühl traurig zu sein. Selbst der Begriff ‚Trauer‘ war schwer zu verstehen.“ „Und da hast du beschlossen es ist an der Zeit etwas zu ändern?“ „Ja. Eufelia-Sensei hatte vor ihrem Tod einen letzten Wunsch. Sie wollte, dass ich lerne meine Gefühle in den richtigen Momenten zuzulassen. Aber… ich konnte es einfach nicht. Ich dachte eigentlich, ich könne meine Gefühle kontrollieren. Als ließen sie sich ein- und ausschalten. …Oder zumindest wollte ich das denken.“ „Aber in Wahrheit hattest du keinen Plan und warst total überfordert damit, wie dein Körper auf diese ominöse Trauer reagiert.“, vermutete Jack und bekam ein Nicken. Schweigen breitete sich aus, während sie der nächsten Treppe immer weiter nach unten folgten. Eigentlich fand Jack es cool, dass sich Benni auf eigene Faust Hilfe geholt hatte. Das war nicht häufig der Fall. Besonders, da man diese mangelnde Fähigkeit Emotionen zu empfinden auch durchaus als Vorteil betrachten konnte. Aber andererseits… Es war ja nicht so, dass Benni innerlich aus Stein war. In der nächst-unteren Etage angekommen fragte Jack: „Hast du schon mal mit jemandem darüber geredet?“ „Konrad, Rina und die Direktoren wussten Bescheid.“ Das überraschte Jack ein bisschen. „Die Direktoren schon aber nicht Carsten und Laura?“ „Ich musste mich manchmal vom Unterricht befreien lassen.“, war Bennis einzige Erklärung dazu. Aber vermutlich wollte Benni insgeheim die beiden Sorgenkinder nicht auch noch damit belasten. Laura hatte durch ihr persönliches kleines Drama mit dem Schwarzen Löwen ohnehin lange genug etwas gehabt, woran sie schwer zu beißen hatte. Und Carsten musste auch schon sein eigenes Kreuz tragen, was viel schwerer war als er sich eingestehen wollte. „Aber denkst du, die Therapie hat geholfen?“ „Zumindest fällt es mir inzwischen leichter zu verstehen.“ „Und zu fühlen?“ „Kommt darauf an.“, antwortete Benni nur. Inzwischen waren sie am Fuß der nächsten Treppe angekommen. Jack selbst konnte immer noch nichts hören, abgesehen von ihren eigenen Stimmen.  „Das ist der unterste Teil des Schlosses. Sind diese komischen Stimmen inzwischen deutlicher geworden?“ Tatsächlich nickte Benni und schaute sich weiter um, um sich von seinem Gehör in einen der Gänge leiten zu lassen. Jack hatte null Plan, was hier unten sein sollte. Viele von Mars‘ Schachfiguren lebten hier im Schloss, was entsprechend riesig war. Aber die meisten Zimmer waren eher in den oberen Stockwerken. Plötzlich blieb Benni stehen und betrachtete die Wand, die sich vor ihm auftürmte. „Scheint ne Sackgasse zu sein.“, kommentierte Jack. „Sicher?“ „Du mit deinen Stimmen wirst mir immer seltsamer. Ich glaube, ich kenne das nächste Therapie-Thema schon für dich.“ Benni schaute sich um, aber natürlich gab es nichts zu finden. Genauso wenig wie er zuvor die Kekse finden konnte. Bei einem Blick nach oben meinte er schließlich: „Wir müssten uns genau unter dem Eingang zu Mars‘ Gemächern befinden.“ Jack zuckte mit den Schultern. „Könnte hinhauen.“ Also eigentlich hatte er keine Ahnung. „Kannst du etwas spüren?“, erkundigte sich Benni, wobei er eindeutig Jacks Tastsinn-Fähigkeiten der Erd-Energie meinte. „Hm, hab etwas Bauchschmerzen. Vielleicht war der zweite Burger doch zu viel.“ Benni erwiderte nichts auf diesen ironischen Kommentar, aber Jack tat ihm trotzdem den Gefallen. Er legte eine Hand auf die Wand, wobei ihm das eigentlich nicht sonderlich weiterhalf, und schloss die Augen. Er konnte den Verlauf der Wände so deutlich nachvollziehen, als hätte er einen Lageplan zur Hand. Ein ganz normaler Lageplan eines ganz normalen Untergrundschlosses. Gewaltig groß, zig-tausende Gänge, aufgebaut wie ein riesiges Labyrinth und natürlich auch Geheimgänge. Jack runzelte die Stirn. Tatsache. Geheimgänge. „Direkt hinter dieser Wand befindet sich eine Treppe.“ An der Stelle wo seine Hand die Wand berührte erschuf Jack mit der Erd-Energie ein Loch, so groß wie eine Tür. Direkt dahinter, etwa ein Meter unter dieser Öffnung, konnte man eine schwach beleuchtete Treppe erahnen, die in tiefste Finsternis führte. Es war eine monströse Schlucht, wie man sie niemals hinter den Innenwänden eines Schlosses erwarten würde. Außer natürlich es war ein Schloss in der Unterwelt, beherrscht von dem Ober-Bösewicht persönlich. „Du willst mir jetzt nicht ernsthaft weißmachen, dass deine Stimmen von genau da unten kommen, oder?“ „Doch.“ Ein kalter Luftzug ließ Jack frösteln. „Nicht sehr einladend.“ Er merkte, wie auch Benni zögerte die Entdeckungstour fortzusetzen. Dieser Ort schrie regelrecht danach, dass dort niemand etwas zu suchen habe. Tja, zu blöd, dass Jack von Natur aus extrem neugierig war. „Also dann…“ Er hielt sich an der Wand fest und ließ sich vorsichtig zu den Stufen runter. Mit einem Schlag war es eiskalt und Jack bereute es, lediglich mit Jeans und T-Shirt ausgestattet zu sein. Frierend verschränkte er die Arme vor der Brust und schaute hoch zum Eingang. „Kommst du nun oder nicht?“ Es war mehr als deutlich, dass Benni dieser mysteriöse Abgrund noch weniger geheuer war als Jack selbst. Und da Bennis gesunder Menschenverstand noch halbwegs funktionierte, ließ er sich auch nicht so leicht von der Neugier überzeugen, wie es bei Jack der Fall war. „Wenn du die Hosen voll hast, kannst du die Stimmen auch gerne Stimmen sein lassen. Ich gehe auf jeden Fall da runter und schau mir an, was dort ist.“, kommentierte Jack Bennis Zögern. Es dauerte noch eine Weile, in der Jack gefühlt schon zu einem Eiszapfen erfroren war, doch schließlich überwand auch Benni seine Zweifel und kletterte zu ihm auf die Stufen hinunter. „Ich weiß nicht, ob wir da wirklich sein sollten.“, meinte er nur, erschuf mit seiner Feuer-Energie aber eine kleine Flamme über seiner Hand. Das Licht brauchte Jack zwar eigentlich nicht, aber die ausgestrahlte Wärme nahm er dafür umso dankbarer an. „Wir dürfen uns überall im Schloss frei bewegen. Mars hat nie etwas von einem ‚verbotenen Flügel‘ erwähnt.“, erwiderte er nur schulterzuckend und konzentrierte sich darauf, auf den feuchten Stufen nicht auszurutschen. Andernfalls würde sein Abstieg zumindest extrem verkürzt werden. Und Mann, war dieser Abstieg eine Geduldsprobe. Die Wendeltreppe war schmal und schlängelte sich ganz langsam am Rand dieses unsagbar riesigen Turms entlang, der als und als nicht enden wollte. Der Weg hinab war begleitet von erdrückendem Schweigen. Keine sarkastischen Kommentare und keine anderen blöden Witze. Jack hatte den Eindruck, selbst wenn er auch nur versuchen würde die Stimmung aufzulockern, würde die Schwärze nur jeglichen Humor verschlucken. An diesem Ort konnte man nichts Witziges finden. Hier gab es nichts zu Lachen. Sondern nur Kälte. Jack runzelte die Stirn. Aber so langsam… „… Da sind wirklich Stimmen.“ „Sag ich doch.“, erwiderte Vampir-Boy. Die Luft war kalt und dünn, als würden sie einen Berg hinaufklettern und nicht in einen Abgrund hinein. Aber gleichzeitig war die Feuchtigkeit nahezu spürbar, was die Kälte umso eisiger erscheinen ließ. Benni rümpfte die Nase und auch Jack meinte, etwas zu riechen. Diesen süßlichen Geruch von Fäulnis und Verderbnis, der immer stärker wurde, je näher sie dem Grund in der Tiefe kamen. Der sich mit der kalten Feuchtigkeit vermischte und den Eindruck verlieh, als würden sie gerade in eine Jahrhunderte alte Gruft spazieren. Gerade als Jack es in Erwägung zog sich bei dem bestialischen Gestank von seinen Burgern zu verabschieden, konnten sie im Flackern des Feuers das Ende der Treppe erkennen. „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben Ihr Ziel erreicht.“, meinte er tonlos. „Der kälteste, stinkendste Ort in der gesamten Unterwelt.“ Sie betrachteten den gewaltigen Raum, in dem man bis auf Dunkelheit nichts sehen konnte. Aus den Augenwinkeln nahm Jack eine knappe Armbewegung von Benni wahr, als sich mehrere Flammen mit Feuer-Energie bildeten und die Finsternis mit ihrem warmen, rötlichen Flackern erhellten. Der Raum war in der Tat gigantisch. Nach oben hin verlor sich das Feuer im Nichts, das wahrscheinlich erst unter Mars‘ Gemächern endete. Das Licht der Flammen tanzte an steinernen Wänden, die weniger gebaut und mehr Natur-geschaffen schienen. Im Boden des runden Turms waren Furchen vier gigantischer Kreise, die nach Innen hin immer kleiner wurden und trotzdem noch riesig waren. Sie schienen irgendein Muster zu ergeben, was bei der Größe aber mit bloßem Auge nicht erkennbar war. Jack ging die letzten Stufen der Treppe hinunter und folgte einem Weg des Musters, über die Kreise hinweg auf die Mitte zu. Auf der anderen Seite des Raumes ragte eine überdimensional große Steintür in die Höhe, mit wirren Symbolen verziert. Sie wirkte so massiv und schwer, dass noch nicht einmal zwei Kampfkünstler pro Türflügel in der Lage schienen sie zu öffnen. Und drei mal durfte man raten, was Jack hinter dieser Tür hören konnte. „Wir haben wohl tatsächlich deine Stimmen gefunden.“ Jack beobachtete, wie Benni selbst die Treppe verließ, begleitet von so deutlichem Zögern als würde er gleich in brodelnde Lava treten. Während Benni sich der Tür mit dem Meer an Stimmen näherte, schaute Jack sich weiter im Raum um, bis etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Er verließ seinen Platz auf dem Kreis und näherte sich einer mageren Gestalt, die zusammengesackt auf dem Boden saß. Jack würde nur zu gerne sagen, dass diese Gestalt nur noch aus Haut und Knochen bestand, aber leider musste er sich eines Besseren belehren. Sie bestand nur noch aus Knochen. Jack ging vor der armen Kreatur in die Hocke und betrachtete die abgewetzten Lumpen, die die traurigen Überreste des Leichnams zum Teil bedeckten. Der Stoff war dunkel und Jack war sich nicht sicher, was davon Dreck und was Stoff war. Und ob es noch was anderes gab, was ihm diese Farbe verliehen hatte. Er suchte nach weiteren Anhaltspunkten, was oder eher wer das mal gewesen sein könnte, bis ihm wenige Meter entfernt ein metallisches Leuchten auffiel. Ein goldener, verzierter Kranz, vielleicht eine Art Tiara, schon fast zu verdreckt um das Licht der Flammen reflektieren zu können. Mit einem Gedanken ließ er die Krone mit seiner Erd-Energie zu sich kommen und wischte etwas von dem feuchten Staub weg. Oder war das Schimmel? Jack wollte es gar nicht erst wissen. Die Erkenntnis wer das war, jagte ihm einen eiskalten Schauder über den Rücken. Er kannte die wahre Geschichte vom Magischen Krieg. Und eigentlich war es auch logisch. Er hätte es sich schon denken können. Das ‚wer‘. Er hätte sich auch schon denken können, wo sie sich gerade befanden. Und trotzdem. Diese Gewissheit… „Wir sollten besser nicht hier sein…“, meinte er, eher zu sich selbst. „Hey Benni, lass uns lieber von hier verschwinden.“ Er wandte sich Benni zu, welcher wie gebannt die Steintür zu betrachten schien. „Benni? Wir sollten-“ „Eine Familienzusammenführung, wie ich sehe. Wie schön!“ Erschrocken fuhr Jack herum. Trotz seiner Fähigkeiten hatte er keine weitere Person wahrgenommen. Bis eben. Und genau genommen war es auch keine weitere Person. Mit seinem typischen diabolischen Lächeln betrachtete Mars Benni, welcher nicht so erschrocken reagierte wie Jack, als er sich weg von der Tür und dem Dämon zu wandte. „Hier warst du also all die Jahre.“ „Gefangen, ohne die Aussicht auf einen Ausweg. Nur in Gesellschaft meines geschätzten Freundes.“ Er wies auf das Skelett, neben dem Jack immer noch stand. „Leonhard.“, sprach Benni das offensichtliche aus. Seine Reaktion war schwer zu deuten. War er sich des Schicksals seines Vorfahren bewusst? Belastete ihn dieses Wissen? Und noch wichtiger: Wie fühlte er sich in dieser Situation gerade? Dem Dämon gegenüberzustehen, dessen Pläne er genau kannte. Dessen Ziele er genau kannte. Und mit der Gewissheit, welche Rolle er selbst dabei spielen sollte. „Er war leider nicht sonderlich gesprächig. Scheint wohl in der Familie zu liegen.“, erzählte Mars weiter, seine tiefe Stimme hallte in der Weite des Turmes. „Aber irgendwann verliert jeder gegen die Erschöpfung und Einsamkeit.“ Jack merkte, wie Benni sich anspannte und seine Sinne nach einem Ausweg zu tasten schienen. Irgendwohin. Hauptsache weg hier. Weg von Mars. Aber wie? Der Dämon ging einige Schritte auf Benni zu. Jeder Schritt wirkte schwer und mächtig, als verriet er die wahre Größe dieses Geschöpfes. Das purpurne Flackern um Mars Körper wurde stärker. Größer. Bedrohlicher. Jack war froh, in all dem nur ein Beobachter sein zu können. Doch Benni begab sich instinktiv in eine Abwehrhaltung. „Keinen Schritt weiter.“ „Und wenn doch?“, fragte Mars provokativ. Lächelnd. Er kostete es aus, Benni so in die Enge getrieben zu sehen. Genoss jeden einzelnen Moment. Und Benni? Der saß in der Falle. Es gab keinen Ausweg. Außer… Es war nur ein kurzer Augenblick, in dem Benni zögerte. Beinahe zu kurz, um beobachten zu können wie Angst und Unsicherheit der Entschlossenheit wich. Natürlich war sich Jack dessen bewusst gewesen, dass es nur von symbolischer Bedeutung war als Benni ihm sein Samurai-Schwert und die Pistole anvertraut hatte. Es gab genug Wege in den Tod. Und bei so vielen Energien wie Benni sie beherrschte standen ihm alle Türen offen. Er musste sich nur für eine entscheiden. „Du weißt, was dann geschieht.“, erwiderte er. Jack spürte das Aufblitzen von Energie, kurz darauf hielt Benni auch schon einen hellblau schimmernden Eis-Dolch in der Hand. Eiskalt, unsagbar spitz und definitiv tödlich. Obwohl dieser Gegenstand kaum größer als sein Unterarm war, konnte Jack die Kälte bis hierhin spüren. Viel eisiger als diese widerliche Schlucht es jemals zu sein vermochte. Warum die Eis-Energie? Warum ein Dolch? Warum jetzt? Es gab viele Fragen, die man sich in diesem Moment stellen könnte. Und noch mehr Antworten, die man sich erhoffte. Aber Tatsache war: Es würde keine Antworten geben. Und die Fragen? Die kamen Jack erst gar nicht in den Sinn. Das einzige was er wahrnahm war der Machtverlust. Er spürte, wie jegliche Kontrolle über diese Situation aus seinen Fingern glitt. Und dieses Gefühl war erschreckend. Es machte ihm Angst. Es erinnerte ihn an früher. An das Bewusstsein der Situation ausgeliefert zu sein und nichts daran ändern zu können. Absolute Machtlosigkeit. Ohne Hoffnung. Ohne Gerechtigkeit. Nur Gewalt. Leid. Verzweiflung. „Aber, aber. Wir wollen doch beide nicht, dass es soweit kommen muss.“, durchbrach Mars‘ vermeintlich beruhigende Samt-Stimme die Flut an Erinnerungen in Jacks Kopf. Benni erwiderte nichts darauf, doch Mars schien sich ohnehin seines Triumpfes sicher. „Wir wollen doch nicht, dass diese süße Prinzessin und der clevere Prinz erfahren, was mit dir geschehen ist. Was denkst du? Wie würden sie reagieren, wenn sie deinen leblosen Körper finden?“ Bennis Griff um den Dolch verstärkte sich. Natürlich nutzte der Dämon direkt seine Schwachstelle aus. „Ich habe da eine Vermutung. Möchtest du sie wissen?“ Mars ging weitere Schritte auf Benni zu und überwand somit die letzten Meter zwischen ihnen. Zitternd zwang Jack sich dazu, an das Atmen zu denken. Ansonsten blieb ihm lediglich, wie zu Stein erstarrt das Geschehen zu beobachten. Genauso wie Benni selbst, der gar nicht darauf reagierte als Mars nach dem Arm griff, mit welchem er den Dolch hielt. Der Dämon wiederum war sich dessen vollkommen bewusst, dass er die Situation ganz unter seiner Kontrolle hatte. „Nun, ich für meinen Teil kann mir das verweinte Gesicht von Laura sehr gut vorstellen. Verzerrt vom inneren Schmerz. Über die Person gekrümmt, der sie einst ihr Herz geschenkt hatte. Aber nicht für lange. Sie wäre auf Gerechtigkeit aus. Auf Rache. Würde den Schuldigen zur Rechenschaft ziehen wollen. Ja, die kleine Löwin würde kämpfen. Aber für welchen Preis?“ Ohne es zu wollen stellte Jack sich die Situation vor. Sah, wie Laura schreiend auf Mars zustürmen würde. Sie wollte doch nur ihren Benni zurück. Jack schüttelte den Kopf, ehe die Konfrontation ihr blutiges Ende finden konnte. Benni schien dies weniger zu gelingen, dem Zittern seiner Hände zu urteilen. Er kniff die Augen zusammen als versuchte er so die Bilder auszublenden. Die in der Dunkelheit jedoch umso deutlicher hervorstachen. Mars‘ Mundwinkel verformten sich zu einem zufriedenen, selbstgefälligen Lächeln. Genussvoll spielte er weiter mit ihren Vorstellungen. „Und Carsten? Glaubst du, er würde auch nur irgendeine Form der Gegenwehr zeigen? Ich denke ja, man könnte sehr leicht mit ihm spielen. Wie mit einer leblosen Puppe.“ Mit diesen Worten verpasste Mars Bennis Handgelenk eine ruckartige Drehung, sodass Benni abrupt den Dolch losließ. Mit einem Klirren zerbarst er in tausende Eisscherben, die sich glitzernd und funkelnd zu ihren Füßen verteilten. Plötzlich stieg eine unangenehme Hitze in Jack auf, als hätte er schlagartig 40 Grad Fieber bekommen. Obwohl er vorhin noch über die eisige Kälte geschimpft hatte, wünschte er sie sich nun zurück. Sie war viel angenehmer. Viel besser als diese bedrohliche, erdrückende Hitze. Insgeheim war Jack immer beeindruckt gewesen, wie ruhig Benni Mars gegenüberstehen konnte. Wie er Mars‘ Abhängigkeit von ihm ausnutzen konnte. Mit dem Dämon gar gespielt hatte. Doch in Wahrheit hatte Jack einfach keine Ahnung gehabt. Es war nicht Benni, der mit Mars gespielt hatte. Sondern genau umgekehrt. Der Dämon war es, der dieses Spiel zugelassen hatte. Der ihm diese kleinen rebellischen Aufstände gestattete. Trotz all dem hatte Mars immer noch die absolute Kontrolle. Die vollkommene Macht. Und beide sind sich dessen bewusst gewesen. Lediglich Jack war blind für all das. Er hatte das offensichtlichste nicht wahrhaben wollen. „Du bist ersetzbar, mein Junge. Die Besitzerin des Schwarzen Löwen eher weniger. Und der dämonen-gezeichnete Schwarzmagier erst recht nicht.“ Mars strich Benni über die Wange, welcher keine Gegenwehr mehr zu leisten vermochte. Schließlich meinte der Dämon mit sanfter und doch angsteinflößender Stimme: „Es ist an dir zu entscheiden. Wenn du diese Welt verlassen möchtest, nur zu. Ich für meinen Teil kann auch noch ein paar Jahre länger auf den nächsten Nachfahren mit antiker Begabung warten.“ Jack stieß innerlich einen Fluch aus. Er hatte doch nicht ernsthaft… Auch Benni hatte die Andeutung verstanden. „Woher willst du das wissen?“, fragte er verbissen, wobei seine Stimme eher verzweifelt als rebellisch klang. „Nun, ich habe so meine Wege. Immerhin kann ein Dämon spüren, ob ein un- oder neugeborenes Kind eine antike Begabung besitzt. Nicht wahr, Jack?“ Aus der Beobachter-Rolle rausgerissen wusste Jack nicht, was er darauf sagen sollte. Wie er auf Mars‘ selbstgefälligen und Bennis ungläubigen Blick reagieren sollte. Shit. Jetzt bloß vorsichtig bei der Wortwahl sein. „Ich glaube, du hattest dich verhört. Ich sagte-“ „Ich weiß, was du gesagt hast.“, unterbrach der Dämon ihn und dem Lächeln wich ein ernster Ausdruck. Neben der kochenden Hitze kroch erneut eine eisige Kälte an Jacks Körper hinauf. Es gab immer einen Grund zu lügen. Doch ob das eine gute Idee war, war eine ganz andere Frage. „Wir besprechen später noch einmal, was ich unter ‚alle meine Aufträge erfolgreich und ohne sie zu hinterfragen abschließen‘ verstehe.“ Während Jack der Atem weg blieb, wandte sich Mars wieder Benni zu. „Aber sei versichert, dass ich das zweite antik-begabte Yoru-Kind genauso fürsorglich behandeln werde wie seinen großen Bruder.“ Scheiße, sie mussten weg hier! Sofort! Aber wie? Und wohin? Jack wusste, jeder Schritt, jeder Versuch hier rauszukommen wäre besser, als tatenlos rumzustehen. Als dem Dämon direkt in die Hände zu spielen. Doch er konnte nicht. Irgendeine Blockade in seinem Kopf sorgte dafür, dass sich sein Körper weigerte auch nur einen Muskel zu rühren. Und Benni schien es ähnlich zu ergehen. Fuck, wir müssen hier weg!, schrie es in Jacks Kopf. Mit einem zufriedenen Lächeln ging Mars einige Schritte zurück. Das purpurne Lodern wurde stärker und stärker, es wuchs, genauso wie es der Dämon tat. Hau ab!, wollte Jack Benni zurufen, doch die Worte erstickten in seiner Kehle. Die purpurnen Haare bekamen die Form von Federn, die rötliche Energie bildete gewaltige Flügel. Eine unbeschreibliche Macht ging von diesem Wesen aus, stärker, angsteinflößender und zerstörerischer als alles je da Gewesene. Und es war gigantisch. Vermutlich reichte seine Größe bis zu der Etage, wo Jack und Benni die Schlucht betreten hatten. Mindestens. Das gellende Kreischen eines Phönix‘ hallte durch den gesamten Turm. Laut und dröhnend, dass Steine von den Wänden regneten. Jack kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu. Als würde das etwas bringen. Eine Flucht schien aussichtslos. Und trotzdem… Irgendwie mussten sie doch… Zwanghaft schaute er auf, sein Blick fiel auf Benni. Nie hatte Jack so viel Grauen in einer Person gesehen. Die Augen vor Panik weit aufgerissen, der Mund verzerrt als er den Atem verlor. Sein gesamter Körper bebte und doch bewegte er sich nicht. „Benni, verschwinde von hier!“, versuchte Jack das Kreischen des Monstrums zu übertönen. Erfolglos. „Benni!!!“ Keine Chance. Benni war viel zu fixiert auf das überdimensionale Monster. In dem Moment sah Jack weniger den fast erwachsenen Teenager und viel mehr einen kleinen Jungen, welcher dem Entsetzen gegenüberstand und ihm hilflos ausgeliefert war. Er hörte Mars irgendetwas sagen und nahm es doch nicht wahr. Eine lodernde Energie breitete sich im Raum aus und löschte die Flammen. Der Turm war in schaurige rot-lila-Töne getaucht. Die Ursache dieser Farben, die zerstörende Energie des Purpurnen Phönix, fraß sich in Jacks Haut und hinterließ brennende Schmerzen, obwohl keine Verletzungen sichtbar waren. Und trotz allem… Benni reagierte nicht. Wie eine leblose Puppe stand er da, kein Ausweg in Sicht. Gefangen in seinem eigenen Körper. Die Energie verdichtete sich um den Phönix, wabernd, rot, zerstörerisch. Eine geballte Masse an Vernichtung. Ein weiteres markerschütterndes Kreischen ertönte. Und die Energie fiel über Benni her. Jack hörte ihn vor Schmerz aufschreien, schrie selbst seinen Namen und doch drang nichts von all dem nach außen. Alles wurde von der Zerstörung eingefangen und verschlungen. Alles.   Schwer atmend stützte Jack sich auf dem Unterarm ab, unverletzt und doch verfolgt von Phantomschmerzen. Sein dröhnender Kopf brauchte nicht lange, bis er sich an das Geschehene erinnerte. Verwirrt schaute er sich um. Er war immer noch in der tiefsten Schlucht der Unterwelt, doch von dem gewaltigen Monstrum mit seiner noch gewaltigeren Energie fehlte jede Spur. War etwa alles nur Einbildung gewesen? Vielleicht irgendwas Verdorbenes gegessen? Und doch belehrten die Phantomschmerzen und das eigenartige purpurne Leuchten ihn eines Besseren. Er nahm weiter entfernt eine Bewegung wahr. Mühselig richtete er sich auf, eilte zu Benni rüber und kniete sich zu ihm, mit der Absicht ihm aufzuhelfen. „Hey, alles in Ordnung? Wie geht’s dir?“ Benni erwiderte seinen Blick. Jack erstarrte mitten in der Bewegung. Die Äderchen in den Augen und um diese herum stachen rötlich hervor. Man konnte regelrecht beobachten, wie Energie durch sie hindurch pulsierte. Jacks Herzschlag setzte aus, als sich Bennis Mundwinkel zu einem vertrauten, selbstgefälligen Lächeln verzogen und er mit einer Stimme antwortete, die nicht Bennis war: „So gut wie noch nie.“ Quälend langsam wich Jack zurück. „Was… Du…“ Mars stand auf und betrachtete seine Hände, ballte sie zur Faust und öffnete sie wieder. Bewegte Bennis Körper probehalber, streckte die Arme, als würde er gerade eine neu erworbene Waffe prüfen. „Was ist mit Benni?“, sprach Jack seine Gedanken aus, deren Echo im Turm mehrmals zu hören war als wollten sie die plötzliche Leere füllen. „Um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“, antwortete Mars. Jack versuchte irgendwo noch Bennis eigene Stimme herauszuhören, doch ohne Erfolg. Der Dämon hatte die gesamte Kontrolle übernommen. „Was ist?“, kommentierte dieser Jacks Schweigen. „Du hast… Der Bann…“ „… ist gebrochen. Nach fast 180 Jahren bin ich endlich wieder frei.“ Zitternd stolperte Jack mehrere Schritte zurück. All die Zeit hatte er diesem möglichen Tag mit stoischer Gleichgültigkeit entgegengeblickt. Immer war ihm alles egal gewesen. Es hatte ihn nie geschert, all das wahrscheinlich nicht zu überleben. Und noch weniger hatte es ihn gejuckt, dass Damon und der gesamten restlichen Welt die Zerstörung drohte. Doch jetzt, wo es so weit war… Mit einem Schlag… „Was ist, freust du dich nicht für mich?“ Keine Antwort von Jack kam auf diese Frage. „Bedauerlich.“ Das Seufzen klang schon fast wie Bennis eigenes, doch es konnte genauso gut eine Einbildung gewesen sein. Mars ging einen Schritt auf Jack zu, woraufhin dieser sofort zurückwich. Ich muss hier weg! Sofort!, schrie sein Überlebensinstinkt ihn an. „Dabei hatte ich gehofft, dass du mir einen kleinen Gefallen tust.“, fuhr der Dämon unbeeindruckt fort und betrachtete Bennis zur Faust geballte Hand. „Ich wollte, dass du mir hilfst herauszufinden, wozu dieser Körper alles fähig ist.“ Diese Aussage brachte die Blockade zum Einsturz. Sorgte dafür, dass Jack seine gezwungene Bewegungsunfähigkeit endlich überwinden konnte. Und er machte das einzige, was ihm in dieser Situation noch blieb: Er rannte. Er wusste weder wohin, noch, ob das die beste Idee war. Das einzige was er wusste war, dass er einen Kampf niemals würde überleben können. Also musste er rennen. Er spürte hinter sich wie Energie freigesetzt wurde. Im nächsten Moment türmte sich vor ihm eine gewaltige Feuerwand auf. Schlitternd kam er noch gerade rechtzeitig zum Stillstand, die brennende Hitze des Feuers bereits auf seinem Gesicht spürend. „Ein Nein kann ich nicht akzeptieren.“, hörte er hinter sich. Erneut spürte er das Freiwerden von Energie. Mehrere spitze Steine schossen aus dem Boden, auf Jack zu. Instinktiv befahl er ihnen anzuhalten. Und direkt stand alles still. Mars betrachtete sie fasziniert. „Interessant. Gegen den wahren Herrscher der Erde sind die Erd-Kräfte eines Dämonengesegneten also tatsächlich machtlos. Das ist gut zu wissen.“ Jack stieß in Gedanken einen Fluch aus, doch ehe er eine weitere Fluchtidee herauskramen konnte, musste er sich vor einer gewaltigen Wasserwelle schützen. Doch sein Erdschild wurde direkt von den darauffolgenden Windsicheln in Kleinstteile zerstückelt. In Trainingskämpfen hatte Benni auch ein paar Mal seine Energien verwendet und Jack hatte immer Schwierigkeiten damit gehabt auf alles gleichzeitig zu reagieren. Nur gerade so schaffte er es, sich vor den einschlagenden Blitzen zu schützen, wurde direkt darauf aber von Ranken festgehalten als auch schon eiskalte Splitter seinen Körper streiften und blutige Kratzer hinterließen. Erst der Sandsturm befreite ihn und schleuderte ihn auf die andere Seite des Raumes gegen die Wand, wenige Meter von der gewaltigen Tür entfernt. Jack war sich nicht sicher, ob die Stimmen tatsächlich verstummt waren oder ob das Dröhnen in seinem schmerzenden Kopf alles andere überlagerte. Scheiß Stimmen, fluchte er innerlich, als er sich mühsam aufrichtete. In seinem wankenden Blickfeld beobachtete er, wie Mars auf ihn zukam. Gedämpft hörte Jack den Dämon „Ich bin schwer beeindruckt.“ sagen. Jack biss die Zähne zusammen und zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Der konnte doch nicht alle Fähigkeiten von Benni übernommen haben! Mars hatte keine Ahnung von Kampfkünsten! Hoffentlich ist Angriff wirklich die beste Verteidigung. Jack ballte die Hand zur Faust und stürmte auf Mars zu, um ihm einen Schlag in den Brustkorb zu verpassen. Doch der Dämon blockte ihn. Jack startete weitere Versuche aber sie alle blieben erfolglos. Jeder einzelne Angriff wurde von Mars geblockt. Schließlich wehrte er Jacks Faust ab und konterte mit einem Schlag, bei dem Jack die Luft entwich. Schwer atmend und ungläubig starrte Jack ihn an, was Mars zum Lachen brachte. „Das nennt man dann wohl Muskelgedächtnis.“ Er hatte wirklich alle Fähigkeiten von Benni übernommen. Alle Talente, für die dieser nahezu sein gesamtes Leben, täglich trainiert und geschwitzt hatte. Die er mit verbissener Entschlossenheit und sturem Ehrgeiz versuchte zu perfektionieren. Und all das hatte Mars nun einfach so. Er hatte nur die richtige Marionette dafür gebraucht. Jack frustrierte dieser Gedanke, doch ihm blieb nicht die Zeit, sich über diese Ungerechtigkeit zu ärgern. Er wehrte weitere Angriffe von Mars ab, der immerhin noch ein bisschen unbeholfen mit diesen neuen Fähigkeiten schien. Jack versuchte das für sich auszunutzen, führte eine Finte aus. Doch bevor er seinen eigentlichen Angriff starten konnte brannte sich Feuer-Energie in seine ungeschützte Seite. In dem kurzen Moment, wo kleine Lichter vor Jacks innerem Auge tanzten, riss ihn irgendeine oder mehrere Energien von den Füßen. Er prallte schmerzhaft auf dem Boden auf und überschlug sich mehrmals, bis er es schaffte sich selbst zu stoppen. Ein hohes Pfeifen schrillte in seinen Ohren und ein höllischer Schmerz durchzuckte seinen rechten Arm, genau der auf dem er gelandet war. Verbissen versuchte Jack sein Gewicht zu verlagern, doch sein Kopf war nicht dazu in der Lage oben von unten zu unterscheiden. Mit einem erstickten Keuchen gab Jack den Versuch sich zu bewegen auf und schluckte den widerlichen Geschmack von Erbrochenem runter. Als er aufblickte sah er nur vage, wie Mars neben ihm in die Hocke ging und ihn betrachtete. Jacks Kopf war so benebelt, dass er meinte beobachten zu können, wie Bennis Gesicht verschwamm und stattdessen Mars in seiner Menschengestalt auf ihn herabblickte. Noch diffuser war das mitleidige Lächeln auf Mars‘ Lippen als er meinte: „Armer Junge. Komm, ich helfe dir.“ Als er die Hand nach Jack ausstreckte, wurde er sofort von Panik überfallen. Reflexartig kniff er die Augen zusammen und gab ein schwaches Wimmern von sich. Sein gesamter Körper zitterte vor Angst und schien zu überhitzen. Mars lachte bei seiner Reaktion leise auf. „Immer noch der kleine Valentin von damals, wie ich sehe.“ Von Jacks röchelndem nach Luft Ringen keine Notiz nehmend, fuhr Mars fort. „Weißt du, ich habe immer gedacht, dass wir uns ähnlich sind. Wo wir auch hingehen, Zerstörung und Leid ist unser steter Begleiter. Das hatte mich sehr berührt damals. Dieser tote Blick in deinen Augen, der sich bereits damit abgefunden hatte. Der bereits akzeptiert hatte.“ Obwohl er genau wusste, dass so etwas Jacks Panik verstärkte, strich Mars ihm über die Haare. „Ich hatte den Eindruck, dass du so etwas wie mein eigener Sohn bist.“ Freud- und kraftlos lachte Jack auf. „Kein Wunder, ich hatte nie ein Glück mit Vaterfiguren.“ Wobei man kaum ein Wort verstehen konnte, so rau wie seine Stimme klang. Mars betrachtete ihn weiterhin. „Weißt du Junge, ich war schwer enttäuscht als ich feststellen musste, dass du mich bezüglich Samira Yorus ungeborenem Kind angelogen hattest. Ich muss gestehen, im ersten Moment wollte ich am aller liebsten…“ Mars sprach es nicht aus, doch ein grauenhafter Schmerz fuhr durch Jacks rechtes Bein, begleitet von einem deutlichen Kracken, als Mars es ihm mit bloßer Hand brach. Ein heiserer Schrei drang aus Jacks Kehle. Wieder stieg Übelkeit in ihm auf, gleichzeitig breitete sich eine Schwärze aus, die nur wirres Flimmern zu ihm durchließ. Keuchend versuchte Jack zu Atem zu kommen, während der schrille Ton in seinen Ohren kaum mehr verständlich machte, was Mars sagte. „Aber ich konnte nicht, da ich mich dir gegenüber verpflichtet fühle. Wie ein Vater gegenüber seinem Sohn. Was macht also ein Vater, wenn sein Kind in einer rebellischen Phase ist? Er gibt ihm Stubenarrest.“ Mit diesen Worten brach Mars Jacks zweites Bein. Erneut schrie er auf. Jack fehlte die Kraft, weiterhin gegen den Schmerz anzukämpfen. Er spürte nur noch eine kühle Hand auf seiner überhitzten Stirn als der Dämon meinte: „Tut mir leid, mein Junge. Aber wir wollen doch nicht, dass du auf die Idee kommst dem Stubenarrest zu entfliehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)