Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 74: Happy Birthday -------------------------- Happy Birthday       „Alles Gute zum Geburtstag, mein Liebling!“ Öznur rannte auf Eagle zu und fiel ihm schwungvoll um den Hals, um ihm einen fetten Schmatzer auf die Lippen zu drücken. Carsten und der Rest der Mädchen waren ihr mit etwas Abstand gefolgt und beobachteten amüsiert, wie Eagle mit der guten Laune seiner Freundin fertig zu werden versuchte, die trotzdem irgendwie ansteckend war. Carsten erkannte sofort, dass es seinem großen Bruder deutlich besser ging als letzte Woche oder gar die Woche zuvor. Natürlich war dieser Ausdruck relativ. Eagle litt immer noch extrem unter der ganzen Situation. Aber nun schaffte er es endlich zu erkennen, dass es Leute gab die für ihn da waren. Dass er nicht alleine war. Und das konnte man auch in seinen Handlungen beobachten. Er suchte regelrecht die Nähe der anderen. Nachdem Öznur mit ihren überschwänglichen Glückwünschen und Küssen fertig war, hielt er immer noch ihre Hand als auch schon Lissi ihn mit der nächsten Umarmung überfiel – aber zum Glück ohne die ganzen Küsse. Auch die restlichen Mädchen gratulierten und umarmten ihn. Sogar Anne, wenn auch nach einem deutlichen Zögern und begleitet von noch deutlicherer Verwunderung seitens der anderen, insbesondere bei dem Geburtstagskind selbst. Was nicht überraschend war. Zwar hatte sich Annes Einstellung zum männlichen Geschlecht extrem verbessert, aber wirklich freundschaftliche Gesten ihrerseits waren bisher immer nur Carsten vorbehalten gewesen. Und dass sie jetzt ausgerechnet Eagle umarmte, den sie zu Beginn von allen hatte am wenigsten leiden können, wollte schon was heißen. Bedrückt überlegte sich Carsten, ob dies etwas mit ihrer eigenen momentanen Situation zu tun haben könnte. Immerhin ging es ihr zurzeit ganz ähnlich wie Eagle. Auch, wenn bis auf Carsten niemand davon wusste. Überhaupt niemand davon erfahren durfte. Aber so schwer es ihm auch fiel dieses Versprechen zu halten, Anne hatte Recht. Die Entführung ihrer Mutter durfte sich unter keinen Umständen herumsprechen. Und je mehr davon wussten, desto größer wurde dieses Risiko. So blieb Carsten keine andere Wahl als schweigend zuzusehen wie Anne Eagle zum Geburtstag gratulierte mit dem Wissen, dass sie sich näherstanden als man es je für möglich halten würde. Zum Abschluss war Carsten selbst an der Reihe und… hatte keine Ahnung, was er machen sollte. Wie gratuliert man seinem großen Bruder zum Geburtstag? Ihn umarmen, so wie der Rest es tat? Oder doch lieber einfach nur die Hand reichen? Was hatte er bei Benni damals in der Zeit vor der Besserungsanstalt gemacht? Nichts, wenn er sich recht erinnerte. Für Benni war sein eigener Geburtstag ein Tag wie jeder andere auch. Sogar auf ein simples ‚alles Gute‘ hatte er nur mit einem Verdrehen der Augen reagiert. Wenn überhaupt. Verunsichert hielt Carsten seinem großen Bruder die Hand hin. „Ähm… Alles Gute…“ „Wie jetzt? Selbst von Anne bekomme ich mehr Liebe als von meinem kleinen Bruder?“ Amüsiert und vielleicht auch ein bisschen gekränkt schüttelte Eagle den Kopf und zog Carsten in eine Umarmung. Dieser stammelte eine schwache Entschuldigung und fühlte sich umso beschämter. Eagle befreite Carsten wieder und klopfte ihm seufzend auf die Schulter. „Schon gut. Ist ja nicht so als hätte ich es verdient.“ Carsten wollte etwas darauf erwidern, als Ariane ihn berichtigte: „Du meinst wohl ‚nicht verdient‘, oder?“ „Ach Quatsch, Eagle-Beagle verdient alles Gute der Welt.“, sagte Lissi kichernd, während Eagle verwirrt überlegte: „Echt? Zwei Verneinungen?“ „Glaube schon… Das war doch ironisch gemeint, oder?“ Jetzt war auch Ariane verunsichert. „Ja, aber das ‚nicht‘ steckt doch schon im Satz.“, bemerkte Eagle. Nun war es Öznur die kicherte. „So ganz perfekt ist dein Damisch wohl doch nicht.“ Schnaubend verschränkte er die Arme vor der Brust. „Damisch ist nun mal meine erste Fremdsprache. Ich wurde halt nicht zweisprachig erzogen wie der ganze Rest von euch.“ Während Öznur bei dieser Aussage überrascht reagierte, lachte Lissi lauthals los. „Keine Sorge, BaNane auch nicht.“ Nun brach auch der Rest in Gelächter aus. Genervt stöhnte Ariane auf. „Ach kommt schon, fangt nicht schon wieder damit an.“ „Womit denn, BaNane? Ich habe doch nur gemeint, dass du lediglich mit Damisch aufgewachsen bist und halt kein Französisch kannst.“, tönte Lissi mit ihrer Unschuldsmiene. Carsten ignorierte derweil die Rotfärbung seines Gesichts als er gezwungenermaßen an die damalige Situation mit der Banane und Arianes fehlenden Französischkenntnissen dachte. Aber irgendwie war es ja wirklich witzig… Selbst Benni hatte fast losgelacht, hätte er sich in dem Moment nicht vor Überraschung unglücklich verschluckt. Diese Erinnerung ließ nun auch Carsten amüsiert lächeln. Stimmt, Ariane hatte ihn damals fast zum Lachen gebracht. Und das wollte bei Bennis ernstem Charakter durchaus etwas heißen. Anne runzelte irritiert die Stirn. „Aber Carsten, du wurdest doch zweisprachig erzogen, oder?“ Carsten nickte. „Echt? Nur zweisprachig?“, erkundigte sich Ariane verwirrt. „Ich dachte du wurdest ‚vielsprachig‘ erzogen, so wie Benni.“ „Nein, ich habe nur Indigonisch und Damisch von Beginn an gekonnt. Japanisch habe ich durch Benni und Laura gelernt und den Rest über Bücher.“ „Dafür, dass du das alles nur über Lesen gelernt hast, ist deine Aussprache aber top.“, bemerkte Öznur überrascht. Von diesem Lob verlegen fuhr sich Carsten durch die kurzen Haare, während Eagle den Kopf schüttelte. „Ich dachte wir haben schon festgestellt, dass Carsten nicht normal ist.“ „Genau genommen ist niemand von uns normal.“, ergänzte Lissi, woraufhin Anne erwiderte: „Du am aller wenigsten.“ „Apropos nicht normal…“, bemerkte Öznur und reichte Eagle ein hübsch verpacktes Päckchen mit roter Schleife. „Hier ist dein unnormales Geburtstagsgeschenk.“ „Das wäre doch nicht nötig gewesen, aber… danke.“ Auch, wenn Eagle sich mal wieder versuchte cool zu geben, war es mehr als deutlich, dass er sich insgeheim wie ein kleines Kind über das Geschenk freute. „Wir haben alle zusammengelegt. Wobei die Idee eigentlich von Carsten kam.“, ergänzte sie, während Eagle das Päckchen bereits geöffnet hatte und den Inhalt beeindruckt betrachtete. „Eine Pfeife?“ „Wie gesagt, die Idee kam von Carsten.“, sagte Öznur erneut. Irritiert schaute Eagle Carsten an. „Versteh mich nicht falsch, sie sieht richtig gut aus. Aber warum? Ich dachte, ich rauche eurer Meinung nach schon mehr als genug.“ Irritiert legte Laura den Kopf schief. „Ich dachte, du hattest versucht damit aufzuhören.“ Eagle seufzte. „Genau. Versucht. Ist schwerer als gedacht.“ „Deshalb die Pfeife.“, erklärte Carsten. „Vielleicht hilft sie dir als Übergang, um zumindest die Tabakmenge zu reduzieren.“ „Und der Tabak riecht total nach Tee.“, merkte Ariane begeistert an. Sie war beim Aussuchen des Tabaks überraschend Feuer und Flamme gewesen und hatte mit ihrer guten Nase an so gut wie jeder Dose im Laden geschnuppert. … Was ziemlich süß war und Carsten nicht gerade beim Konzentrieren geholfen hatte… „Also kein bisschen eigennützig.“, bemerkte Eagle belustigt. „Aber die Idee ist wirklich gut. Ich hatte selbst schon überlegt auf Nikotinpflaster oder so ähnlich umzusteigen, aber ne Pfeife hat nochmal mehr Style. Moment mal…“ Irritiert schaute Eagle sie an. „Wie zum Henker seid ihr da dran gekommen, wenn niemand von euch volljährig ist?“ Öznur seufzte. „Lissi war’s. Mehr Einzelheiten haben wir uns selbst erspart.“ Lissi runzelte die Stirn. „Was für Einzelheiten meinst du denn, Özi-dösi? Ich hab einfach nen guten Freund um einen Gefallen gebeten.“ Eagle hob eine Augenbraue. „Wow, das ist wirklich harmloser als erwartet.“ „Was denkt ihr denn von meiner Schwester?“ Irritiert und auch leicht schockiert schaute Susanne den Rest an. „Ich glaube, das weißt du schon längst…“, antwortete Ariane seufzend. Susanne schüttelte bedrückt den Kopf, während Lissi von der Meinung der Mädchen über sie noch nicht einmal Notiz zu nehmen schien. „Also, Eagle-Beagle: Wo ist denn die riesen-Party, die dir zu Ehren stattfindet?“ Eagle deutete mit dem Daumen hinter sich. „Auf dem Zentralplatz. Die sind allesamt auch schon ganz gut drauf.“ „… Also besoffen.“, übersetzte Ariane seine Worte und bekam ein bestätigendes Nicken. Öznur hakte sich bei Eagle unter und steuerte zielsicher auf den zentralen Platz von Karibera zu. „Solange Eagle noch normal ist, ist mir der Rest egal.“ „Glaub mir, nach den letzten Wochen mache ich erstmal einen großen Bogen um Alkohol.“, meinte Eagle und klang sogar ein kleines bisschen beschämt. „Besser so.“ Zufrieden nickte Öznur. Während die Situation beim Gratulieren immer noch ein unangenehmes Gefühl in Carstens Magen hinterließ, schien Ariane mit ihren Gedanken zu Janine abgedriftet zu sein. Bedrückt seufzte sie. „Ich hoffe, Ninie ist gut daheim angekommen.“ „Keine Sorge, Janines Teleportations-Fähigkeiten sind inzwischen sehr gut. Und gerade sie hat doch immer besonders aufgepasst, dass niemand etwas über ihre Kräfte herausfindet.“, versuchte Carsten sie aufzuheitern. Was aber nicht wirklich gelang, wie er besorgt feststellte. Eigentlich gehörte Ariane zu den optimistischsten aus ihrer Gruppe. Schaffte es egal in welcher Situation noch etwas Gutes sehen zu können. Das Licht in der Finsternis. Doch seit der Entführung ihrer Schwester… Laura legte einen Arm und die Schultern ihrer besten Freundin. „Komm schon Nane. Selbst wenn jemand sie angreifen würde… Ninie ist von den Magierinnen die beste im Kämpfen. Ich meine… Bei unserem letzten gemeinsamen Training hat sie selbst Eagle beeindruckt!“ „Das stimmt.“, gab Eagle ihr recht. „Carsten, was zum Teufel hast du mit der Kleinen gemacht, dass sie einen so aggressiven Kampfstil hat?“ Carsten zuckte mit den Schultern. „Gar nichts. Sie hat mich selbst damit vollkommen überrascht.“ „Stille Wasser sind nun mal tief.“, sagte Lissi kichernd, die von allen am wenigsten überrascht von Janines beeindruckenden Kampffähigkeiten war. „Dann muss es sich bei dir wohl um seichte Gewässer handeln.“, kommentierte Anne ihre Aussage bissig. „Hast du immer noch deine Tage, Banani?“ Lissis Kommentar half nicht sonderlich, Annes ohnehin angespannte Laune zu bessern. „Ach, halt die Fresse.“ Öznur seufzte. „Anne, jetzt reiß dich mal zusammen. Gerade heute, an Eagles Geburtstag, kannst du dir deine Zickereien auch mal sparen. Bitte. Wir wollen einfach mal einen schönen Tag haben… Und den ganzen Rest vergessen…“ Aus den Augenwinkeln bemerkte Carsten den gemischten Blick, den Anne Öznur zuwarf. Ärger, Verzweiflung, Einsamkeit und gleichzeitig der Versuch, all diese Gefühle zu verbergen. Vorsichtig wollte er eine Hand auf ihre Schulter legen, doch sie wehrte ihn nur grob ab. Sie durfte sich die Empathie der anderen nicht erlauben. Carsten ballte die Hand zur Faust. Nichts verraten. Es musste ein Geheimnis bleiben. Inzwischen hatten sie den Platz mit dem Marterpfahl erreicht und Eagle hatte recht, es waren bereits alle ‚gut drauf‘. Von dem Misstrauen und den geringen Erwartungen, mit denen Eagle all die Zeit zu kämpfen hatte, war momentan keine Spur zu sehen. Die Indigoner tranken und feierten ausgelassen. Die Gruppen an denen sie vorbeigingen grüßten erfreut, gratulierten Eagle zum Geburtstag, hoben die Krüge und tranken auf seine Gesundheit. Eagle erwiderte die Grüße höflich und freundlich. Aber nicht herzlich, wie Carsten bedrückt feststellte. Diese Distanz kannte er gar nicht von seinem großen Bruder. Was für ihn umso mehr ein Grund zur Sorge war. Das, was Eagle sein ganzes Leben als Kronprinz ausgezeichnet hatte, war die Nähe zu seinem Volk gewesen. Dieses vertraute Verhältnis, was selbst Chief in all seinen Jahren als Häuptling nicht hatte entwickeln können. Doch seit Eagles erzwungen frühem Amtsantritt war dieses Verhältnis erschüttert. Das Vertrauen angeschlagen. Die Nähe musste der Distanz weichen. Nur weil jeder bezweifelte, dass Eagle seiner Rolle als Häuptling gerecht werden könnte. Sogar der Häuptling selbst. Natürlich bemerkte auch Öznur wie erzwungen das Lächeln ihres Freundes war. Wie ihn das fehlende Vertrauen seines Volkes insgeheim immer noch verletzte. Amüsiert beobachtete Carsten, wie sich Öznur mit ihrer immer noch vorhandenen guten Laune in einige Gespräche einklinkte und zum Teil sogar einige Sätze auf Indigonisch sagte. Und noch amüsierter stellte er fest, wie ihre grauenhafte Aussprache die Stimmung auflockerte und selbst Eagle entspannter wurde. Als sie nach einer gefühlten Ewigkeit und unendlich vielen Gesprächen endlich ihr Ziel erreicht hatten, wurden sie bereits von Eagles Freundeskreis in Empfang genommen. „Na endlich, ich dachte schon wir sehen uns nie wieder!“, grüßte Len, der Indigoner mit dem Undercut, die Truppe. Noch während er Öznur mit einem Augenzwinkern zur Begrüßung umarmte, kam Carsten der Gedanke auf, dass er nicht das lange Warten auf das Geburtstagskind eben gerade gemeint hatte. Auch Eagle war das nicht entgangen. „Wie meinst du das denn?“ Namid klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sind einfach nur froh, dass du wieder normal bist.“ „Und was soll das bitteschön heißen?!“, fragte Eagle mit einem warnenden Unterton in der Stimme. Kichernd hakte sich Öznur bei ihm unter und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Auch wenn du es nicht zugeben willst: Recht haben sie.“ Eagle schnaubte. „Will mir noch jemand mitteilen, was für ein Arschloch ich die letzte Zeit war?“ Überraschender und lustiger Weise hob tatsächlich Laura ihre Hand, woraufhin Carsten ein Lachen zu unterdrücken versuchte. Versuchte. Eagle seufzte. „Wow, selbst die wohlerzogene Prinzessin, die ansonsten kein Schimpfwort über die Lippen bringt.“ „Carsten würde dir das ja niemals ins Gesicht sagen können. Dann muss ich das halt für ihn übernehmen.“, erwiderte diese wohlerzogene Prinzessin. Lissi kicherte. „Ach Lauch, du musst ihn nicht in Schutz nehmen. Cärstchen gibt Eagle-Beagle schon gehörig kontra, wenn ihm etwas nicht passt.“ Öznur nickte. „Stimmt, Carsten kann ziemlich unangenehm werden, wenn er sauer ist.“ Carsten errötete leicht, wusste aber nicht, was er darauf erwidern konnte. Immerhin hatte Öznur recht… Leider. „Ich wundere mich ja eher, dass Anne sich nicht gemeldet hat.“, sinnierte Ariane nachdenklich. „Stimmt, Banani. Normalerweise nutzt du jede noch so kleine Gelegenheit.“ Entnervt verdrehte Anne die Augen, erwiderte aber nichts darauf. Auch keine Beleidigung, womit der Rest eigentlich insgeheim gerechnet hatte. Und was entsprechend auch einen Grund zur Sorge bei den anderen auslöste. Vorsichtig legte Öznur eine Hand auf Annes Schulter. „Ist alles okay?“ Anne verdrehte die Augen erneut und stieß ihre Hand weg. „Erst wollt ihr das ich die Klappe halte und jetzt fragt ihr mich ob alles okay ist, weil ich die Klappe halte?! Entscheidet euch mal.“ Öznur seufzte. „Nein, wirklich Anne. Ist alles okay?“ „Warum sollte nicht alles okay sein?“ „Na ja… Bitte nimm es uns nicht übel, aber jeder hatte in letzter Zeit den Eindruck, dass etwas nicht stimmt.“, erklärte Laura zögernd, woraufhin Eagle und einige der Mädchen bestätigend nickten. Anne lachte auf, aber dennoch konnte sie die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht komplett verbergen. „Das ist eure größte Sorge zurzeit?“ Dieses Mal war es Susanne, die Anne vorsichtig am Arm berührte. „Bitte Anne, sag, wenn dich etwas belastet. Du weißt, dass du mit uns reden kannst.“ Anne schien etwas darauf erwidern zu wollen, jedoch brachte sie nichts weiter über die Lippen. Für einen Moment dachte Carsten wirklich, dass Anne dem nicht länger standhalten konnte. Beinahe, als wollte sie den Mädchen eigentlich erzählen was los war. Doch letztlich war es der Kopf, der die Oberhand gewann. Nicht das Herz. Und mal wieder überlegte Carsten bedrückt, ob er das Versprechen nicht doch lieber brechen sollte. Wahrscheinlich würde er Anne damit im Endeffekt sogar einen Gefallen tun. Doch gleichzeitig wollte er ihr Vertrauen nicht missbrauchen. Und noch dazu an einem so öffentlichen Ort und direkt vor Eagles Freunden, die eigentlich gar nichts mit ihr zu tun hatten… Letztlich gewann auch Carstens Verstand die Oberhand und er zwang sich widerwillig dazu still zu bleiben. Zum Glück löste sich die Situation von selbst, da Rays „Hey schaut mal, da sind Ana und Elan.“ die Aufmerksamkeit auf sich zog. Sofort breitete sich ein unangenehmes Gefühl in Carsten aus, als er an seine Begegnungen mit Elan dachte. Die Vermutung er trage die Schuld am Tod seines Vaters, die Vorwürfe er wolle insgeheim Eagles Platz einnehmen, … Öznur war eher auf Elans große Schwester fixiert. Wütend ballte sie die Hände zur Faust und Carsten meinte leichte Flammen um sie herum erkennen zu können. „Na warte, diese Schlampe kann was erleben.“ Beschwichtigend legte Eagle eine Hand auf die Schulter seiner Freundin. „Özi, beruhige dich.“ Spöttisch schaute Len Eagle an. „Schon mal darüber nachgedacht, dass dieser Satz noch nie jemanden beruhigt hat?“ Anscheinend war dieser Kommentar ein Insider, denn Eagle seufzte genervt und stellte sich in Öznurs Blickfeld, damit diese nicht auf die Idee kam Ana aus der Ferne in Flammen zu setzen. Was Carsten ihr gerade durchaus zutrauen würde. „Wirklich. Sie ist es nicht wert, dass du dich so über sie aufregst.“, versuchte Eagle sie zu besänftigen. „Aber…“, setzte Öznur an, wusste jedoch selbst nichts darauf zu erwidern. Eagle wollte noch etwas sagen, doch da ebbten alle Gespräche ab und von irgendwoher wurde eine indigonische Musik gespielt. Viele Jugendliche und junge Erwachsene versammelten sich auf dem freien Platz in der Mitte und begannen sich im Rhythmus zu bewegen. Erst jetzt fiel Carsten bewusst auf, dass bis auf der Gruppe aus der Coeur-Academy jeder hier traditionelle indigonische Kleidung trug. Eagle hatte sogar die Federkrone auf. Wie konnte er das nicht bemerkt haben? Und warum hatte Eagle ihnen nicht einfach Bescheid gesagt, sodass sie sich davor hätten umziehen können? Ray, anscheinend kein großer Freund vom Tanzen, stöhnte genervt auf, während Namid belustigt seufzte. „Auf geht’s, die Pflicht ruft.“ „Ich muss ja gestehen, ein bisschen neidisch bin ich schon auf dich, Eagle.“, kommentierte Ray diese Pflicht. Len schob seinen Kumpel in Richtung der tanzenden Indigoner. „Komm, gönn ihm zumindest das.“ Belustigt klopfte Eagle auf Carstens Schulter. „Die Pflicht ruft auch nach dir, Kronprinz.“ Carsten gefiel es immer noch kein bisschen, dass dieser Titel nun an ihn vererbt wurde. Doch bei einem Blick auf die sich im Rhythmus der Musik bewegenden Gesellschaft… „… Ich kenne diesen Tanz gar nicht.“, stellte er irritiert fest. Eagle schien genauso verwirrt. „Red‘ keinen Scheiß, den lernt hier jeder in…“ Plötzlich seufzte er. „In der Mittelstufe.“ Carsten entging es nicht, dass die Mädchen betretene Blicke austauschten. Und auch Eagle schien mal wieder gegen sein schlechtes Gewissen ankämpfen zu müssen. Nachdenklich fuhr sich Carsten über seinen Nacken, der nicht mehr von seinen Haaren verdeckt wurde. Natürlich belastete auch ihn diese Erinnerung daran aber Eagle schien sich das noch mehr zu Herzen zu nehmen… Dabei wollte Carsten das alles doch einfach nur vergessen! Schließlich meinte er versucht witzig: „Ich kann ja improvisieren.“ Eagle warf ihm ein schwaches Lächeln zu und schüttelte den Kopf. Sein Versuch war wohl nicht wirklich geglückt. Während sie den tanzenden Indigonern zuschauten, kam Carsten nicht drum herum die Blicke zu bemerken, welche die Älteren ihnen zuwarfen. Sie waren kritisch und zum Teil sogar leicht abwertend. Blicke die sagten ‚Was machen die denn hier?‘ bis hin zu ‚Die haben hier nichts zu suchen.‘. Nicht nur Carsten fiel dieser Argwohn auf. Auch Laura fühlte sich sichtlich unwohl, so beobachtet zu werden. Sie rieb sich die Oberarme als sei ihr kalt. „Ist es wirklich in Ordnung, dass wir hier sind?“ „Ignoriert sie.“, meinte Eagle nur und funkelte eine der Gruppen verärgert an. „Einerseits wollen die alten Säcke die Vorteile nutzen, die gute Beziehungen zu den anderen Regionen Damons mit sich bringen, andererseits wollen sie für sich leben und eigentlich mit der Außenwelt nichts zu tun haben. Die haben sich gefälligst daran zu gewöhnen, dass Indigo nicht für sich alleine stehen kann.“ Öznur betrachtete ihren Freund irritiert. „Was ist denn aus deinem Nationalstolz geworden?“ „Der stirbt an jedem Tag mehr, den ich mit innen- und außenpolitischen Wünschen und Forderungen verbringe.“ Carsten runzelte die Stirn. „So schlimm?“ Eagle seufzte. „Entweder das, oder ich sehe alles komplizierter als es eigentlich ist. Zumindest scheint die Bereitschaft zu nehmen viel größer zu sein als die Bereitschaft zu geben.“ „Ist das nicht immer so?“, fragte Anne trocken. „Schon. Aber zu erwarten, dass bei einem drohenden Krieg der Rest von Damon Indigo militärische Unterstützung zusichert und gleichzeitig selbst keine Kämpfer zum Schutz anderer Regionen bereitstellen zu wollen, ist einfach scheiße. Besonders, wenn sowas von einer der kampffähigsten Regionen kommt.“ „Wirklich?“ Ungläubig schaute Laura ihn an. Bedrückt atmete Carsten aus. „Traurigerweise ist das noch nicht einmal überraschend. Indigo hat schon immer sein eigenes Ding gemacht. Separate Schulen, spezielle Handelsbeziehungen, … Und wie ihr vorhin gehört habt wird sogar Damisch nicht einmal als Standardsprache vorausgesetzt, sondern erst offiziell ab dem ersten Jahr der Mittelschule unterrichtet.“ Eagle nickte. „Das Damisch vieler Indigoner ist die Hölle, da sie es nie wirklich benötigen und entsprechend selten benutzen. Und gute Damisch-Lehrer in den Schulen sind auch keine Selbstverständlichkeit.“ „So krass ist das bei euch?“, fragte Ariane ungläubig. „Aber deine Freunde sprechen doch alle fließend Damisch.“ „Durch das Internet.“, erklärte Eagle, „Dadurch kommt unsere Generation viel mehr in Kontakt mit dem Rest von Damon als unsere Eltern oder gar Großeltern. Und entsprechend häufiger benutzen wir Damisch auch in unserem Alltag.“ Nachdenklich nickte Öznur. „Es stimmt schon. Ich habe häufiger mitbekommen, dass Leute hier Indigonisch sprechen, obwohl ich dabei bin. Aber so schlecht ist das Damisch von den Indigonern jetzt auch nun wieder nicht.“ „Für Smalltalk vielleicht. Aber wenn es wirklich zu dem Krieg kommt, den Koja vorhergesehen hat, müssen wir berücksichtigen, dass die Sprachbarriere zu einem Problem führen könnte.“ Verwundert schaute Carsten Eagle an. Es war klar, dass er als Häuptling nun viel besser über Vorgänge Bescheid wusste, die im Hintergrund abliefen. Aber… „Ihr trefft jetzt schon Vorbereitungen für einen möglichen Krieg?“, sprach Susanne schaudernd seine Gedanken aus. „Mein Vater hat schon vor Monaten angefangen mit den Stammesoberhäuptern Pläne für alle Eventualitäten durchzusprechen.“, erwiderte Eagle zerknirscht. Natürlich war Carsten nicht sonderlich überrascht über diese Neuigkeit. Immerhin bereiteten sie sich im Prinzip schon seit Beginn diesen Jahres auf die kommende Konfrontation mit Mars vor. Und unbewusst geschah all dies sogar bereits seit Bennis Geburt. Seit feststand, dass Mars die Möglichkeit hätte den Bann zu brechen. Und trotzdem… Es war seltsam zu hören, wie sein großer Bruder über Kriegsvorbereitungen sprach. Bedrückt atmete Carsten aus. Natürlich war er sich dessen bewusst, dass Mars eine Bedrohung für ganz Damon darstellte. Genau genommen für die ganze Welt. Aber dennoch hatte er die Lösung des Problems immer nur bei sich und dem Rest ihrer Gruppe gesehen. Sie mussten kämpfen. Sie mussten Mars besiegen. Sie mussten die Welt vor der Zerstörung bewahren. Aber der Rest? Bereits jetzt mussten schon viel zu viele Außenstehende unter Mars leiden. Eltern, Geschwister, … Es wirkte schon so wie die Erzählungen von den Dämonenverfolgungen vor über zwölf Jahren. Carsten hatte erst neulich mitbekommen, wie Susanne bei einem Telefonat mit ihren Eltern sicherstellte, dass ihr Vater auch ja die Sicherheitsvorkehrungen erhöht hatte. Und so sorglos sich Öznur momentan Eagle zuliebe gab, auch sie hatte schlaflose Nächte. Nächte, in denen sie sich den Kopf darüber zermarterte wie sie ihre Familie vor den Launen des Herrschers der Zerstörung beschützen könnte. Und als wäre das nicht genug wussten sie durch Konrad, dass Mars eine Armee zusammenstellte. Eine Armee, die es sicherlich nicht nur auf die Dämonenbesitzer abgesehen hatte. Und die sie niemals alleine würden bezwingen können. Bedrückt betrachtete Carsten seinen großen Bruder. Er würde nicht nur Seite an Seite mit ihnen gegen den Herrscher der Zerstörung kämpfen müssen. Viel schlimmer war, dass eine seiner ersten Aufgaben als Häuptling es sein würde, sein Volk in einen Krieg zu schicken. Von seinen Entscheidungen würde es abhängen, wer überlebte und wer starb… Plötzlich erwiderte Eagle seinen Blick. „Was ist?“ Carsten schüttelte den Kopf. „Nichts.“ Eagle befasste sich wahrscheinlich ohnehin bereits mehr mit diesem Thema, als ihm lieb war oder gut tat. Dem Schweigen zu urteilen dachte auch der Rest der Mädchen an etwas derartiges. Doch niemand von ihnen wollte es zur Sprache bringen. Nicht heute. „Endlich habe ich dich gefunden!“, hörte Carsten eine erfreute Kinderstimme über die rhythmische Musik hinweg rufen. Als er sich umdrehte sah er Saya auf die Gruppe zukommen, die ein junges Mädchen an der Hand führte. Sie schien im Grundschulalter, hatte rotbraunes, strubbeliges Haar und blassblaue Augen. Doch am auffälligsten war der kleine hübsch verzierte Blindenstock, den sie in ihrer freien Hand hielt. „Hallo Risa.“, grüßte Eagle das kleine Mädchen freundlich und ging in die Hocke, um auf ihrer Augenhöhe zu sein. Diese wünschte ihm beschwingt „Alles Gute zum Geburtstag!“ und sprang ihm so gezielt in die Arme, dass Carsten sich direkt fragte, ob sie wirklich blind war. Amüsiert stellte Carsten fest, dass Eagle erstaunlich gut mit Kindern umgehen konnte. Während er Risa mit einem Arm hochhob, die fasziniert über die Federn seiner Krone strich, erklärte Saya: „Sie hat anscheinend schon der Hälfte aller Besucher ein Loch in den Bauch gefragt, wo du zu finden seist.“ „So dringend wolltest du mir zum Geburtstag gratulieren? Jetzt bin ich aber geschmeichelt.“, alberte Eagle und Risa kicherte. „Nö, ich hab dich nur gesucht, um deinen Bruder zu treffen!“ Eagle schnaubte gespielt beleidigt. „Musst du das auch noch so direkt sagen?“ Risa blies die Backen auf und hob den kleinen Finger ihrer linken Hand. „Du hattest es mir versprochen. Du sagtest“, sie imitierte Eagles tiefe Stimme so gut es ihr mit ihrer hohen Kinderstimme möglich war, „Morgen kommt er zu Besuch und dann werde ich ihn dir endlich mal vorstellen.“ „Ja, das hab ich wohl gesagt.“, erwiderte Eagle seufzend und lachend zugleich. Begleitet von belustigten Blicken der übrigen Beobachter verstärkte Eagle seinen Griff um Risa und hielt sie Carsten entgegen, als sei sie eine kleine Katze und kein kleines Mädchen. „Da.“ „Hä?“ Bei Carstens planloser und doch nicht wirklich vorhandener Reaktion wich die Belustigung einem lauten Gelächter. „Carsten Risa, Risa Carsten.“, stellte Eagle sie gegenseitig vor, während er das Mädchen immer noch vor Carstens Nase hielt. Risa schien das nicht sonderlich zu stören, da sie begeistert eine Hand hob und meinte: „Hallo Carsten! Freut mich, dich kennenzulernen!“ „Ähm… hallo…“, stammelte Carsten vollkommen überfordert. So gut Eagle im Umgang mit kleinen Kindern war, so wenig konnte Carsten mit ihnen anfangen. Selbst als er einst in diesem Alter war, hatte er eigentlich nur mit Benni und Laura tatsächlichen Kontakt gehabt. Die restlichen seiner Altersgenossen waren ihm immer viel zu wild und unzivilisiert gewesen. Ständig tobten sie herum, wälzten sich im Dreck und machten ohrenbetäubenden Lärm. Richtige Unterhaltungen konnte man auch nicht wirklich mit ihnen führen und- „Jetzt nimm sie schon.“, unterbrach Eagle Carstens Gedankenschwall und drückte ihm Risa in die Arme. Ein schmerzhaftes Stechen durchzuckte seine linke Seite. Das Mädchen war schwerer als es aussah und diese plötzliche Belastung… Vorsichtig verlagerte er Risas Gewicht auf seine rechte Seite, in der Hoffnung das brennende Gefühl würde bald aufhören. Der Rest hatte zum Glück nichts davon mitbekommen, sondern hatte nach Beendigung der Musik bereits die Aufmerksamkeit auf die Tanzfläche gerichtet. Von dort kam direkt Rays erlöst klingendes „Eeeendlich!“ „Ach komm, so schlimm war’s doch nicht.“, kommentierte Eagle. Wütend funkelte Len ihn an. „Halt du einfach die Klappe.“ Derweil wandte sich Namid an Carsten und das kleine Mädchen auf seinen Armen, welches vorsichtig sein Gesicht abtastete als würde sie sich so ein Bild von ihm machen können. „Hallo Risa. Wie ich sehe hast du endlich deinen großen Helden kennenlernen dürfen.“ Während Risa begeistert nickte und die Mädchen erneut lachen mussten, fragte Carsten verwirrt: „Helden?“ Amüsiert deutete Namid mit dem Daumen auf Eagle. „Als du damals verhindert hast, dass der da bei seinem Wutausbruch die ganze Bar auseinandernimmt, hat das ganz schön Eindruck hinterlassen. Risa liegt Eagle seitdem regelmäßig in den Ohren, er solle doch endlich mal wieder seinen kleinen Bruder mitbringen, damit sie ihn kennenlernen kann.“ „Ooooh, wie süüüß!“, quietschte Lissi begeistert. „Cärstchen, du hast eine kleine Verehrerin!“ „Ähm…“, druckste Carsten und wusste nicht wirklich etwas darauf zu erwidern. Lachend stieß Öznur Eagle mit dem Ellenbogen in die Seite. „Man muss ihn halt einfach liebhaben, nicht wahr?“ „Wenn du meinst…“ Erneut pikste sie ihm in die Seite. „Komm schon, sag einfach ‚ja‘.“ Mehr als ein genervtes Seufzen bekam Öznur allerdings nicht von Eagle zu hören. Stattdessen meinte Ray empört: „War aber ziemlich feige von unserem Helden, sich vor dem traditionellen Tanz des Erwachsenwerdens zu drücken.“ „Aber wenn man verletzt ist, darf man doch gar nicht tanzen!“, mischte sich plötzlich Risa ein. Der Rest schaute sie verwirrt an. Jeder außer Carsten, dem mit einem Schlag alles Blut aus dem Gesicht wich. Sein Herzschlag setzte aus. Woher- „Tut’s sehr weh?“, erkundigte sich Risa und berührte vorsichtig seine linke Wange. Ungläubig erwiderte Carsten Risas blinden Blick. „Ich… Es… Nein, nein, es ist alles in Ordnung.“, stammelte er. Doch so wie sie den Kopf schief legte, schien sie seiner Aussage nicht wirklich Glauben zu schenken. „Du musst mich übrigens nicht tragen, wenn es dir zu anstrengend ist.“ Carsten wollte erneut widersprechen, doch Risa wurde tatsächlich von Sekunde zu Sekunde schwerer. Es war bereits so anstrengend sie zu halten, dass sich kleine Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten. Vorsichtig ging er in die Hocke, um Risa auf dem Boden absetzen zu können. Doch selbst als diese Last weg war, lastete noch eine seltsame Schwere auf ihm. Das erdrückende Gefühl aller neugierigen und besorgten Blicke, die sich allesamt nur auf ihn richteten. Darunter der von Laura. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, ja. Ich bin nur noch etwas erschöpft von der Erkältung.“ Carsten versuchte so normal wie möglich zu klingen. Doch als er es endlich schaffte in die Augen der anderen zu schauen, war das Misstrauen nicht zu übersehen. „Carsten, du bist kein guter Lügner. Also lass es.“, meinte Eagle nur und kniete sich zu ihm und Risa. „Was ist los?“ „Ich…“ Er wusste nichts darauf zu erwidern. Die Luft um ihn herum fühlte sich unangenehm warm und schwer an, sodass er kaum atmen konnte. „Diese Verbrennungen von dem Ritual… Sie sind wirklich noch nicht verheilt, nicht wahr?“, hörte er Laura verunsichert fragen. Unbewusst hielt sich Carsten den linken Arm. Als könne er damit die Brandwunden endgültig verbergen. Als könne diese eine Geste das bewirken, wozu noch nicht einmal eine Jacke und Magie imstande war. Eagle klang sichtlich verletzt, als er fragte: „Warum hast du nichts gesagt?! Warum versteckst du deine Verletzungen vor uns?!“ Carsten öffnete den Mund, brachte aber kein Wort über die Lippen. Eagles gekränkter Tonfall, der enttäuschte Blick… „Weil du der Held bist, nicht wahr?“ „Was?“ Verwirrt schaute er Risa an. Diese berührte erneut vorsichtig die linke Seite seines Gesichtes. „In den Geschichten sind die Helden immer stark und schlau und beschützen die Unschuldigen vor dem Bösewicht. Dafür werden sie von allen bewundert und geliebt. Aber Mama meinte, dass niemand sieht, wie sehr die Helden in Wahrheit leiden. Weil sie ständig stark sein müssen, um beschützen zu können.“ „So ein Unsinn.“ Carsten tat diese banale Erklärung mit einem Kopfschütteln ab. „Und warum dann?!“ Eagles Tonfall wurde noch verärgerter, klang noch enttäuschter. Er griff nach Carstens Arm und obwohl die Berührung vorsichtig und in keiner Weise grob war, zuckte Carsten bei dem plötzlichen Schmerz zusammen. Durch seinen Kopf zuckten Bilder. Erinnerungen an ähnliche Schmerzen. Jacks Angriff. Die Brandstrafen im FESJ. Der Geruch verbrannter Haut stieg in seine Nase, ihm wurde übel. Er wollte sich von Eagle losreißen, war aber zu schwach dazu. Sein pochendes Herz drohte ihm die Brust zu zersprengen. „Carsten, beruhige dich!“ Eagle verstärkte seinen Griff, was den Schwindel umso schlimmer machte. Er fühlte sich gefangen. Schon wieder. Wieder gefangen in Schmerz und Verzweiflung. Er spürte eine kleine, kühle Hand auf seiner verschwitzten Stirn. „Hast du Fieber?“ Carsten zwang sich die Augen zu öffnen und sah Risas blinden Blick auf sich ruhen. „Nein aber… ich… keine… Luft…“, versuchte er gepresst zu antworten. „Dann musst du atmen.“, antwortete Risa ruhig, als müsse er diese grundlegende Fähigkeit erst noch lernen. Was gar nicht weit von der Realität entfernt war. Risas Anweisungen folgend atmete Carsten langsam ein und aus, bis der Schwindel sich legte und das Zittern seiner Hände abnahm. Zurück blieb die Erschöpfung und das immer erdrückendere Gefühl der besorgten Blicke. Er spürte Sayas Hand auf seinem Rücken, als auch sie sich zu ihm auf den Boden kniete und fragte: „Carsten, kommt sowas häufiger vor?“ Carsten antwortete nicht. Auch Laura setzte sich zum ihm auf den Boden und berührte vorsichtig seinen Handrücken. „Carsten?“ Als er auch darauf nicht reagierte, richtete Eagle sich kopfschüttelnd auf und antwortete an den Rest gewandt: „Das ist die zweite Panikattacke innerhalb weniger Wochen, die ich mitbekommen habe. Aber ein gewisser jemand weigert sich einzusehen, dass er unbedingt Hilfe braucht.“ Zerknirscht verschränkte er die Arme vor der Brust. „Vielleicht hört er ja auf einen von euch.“ „Ich brauche keine Therapie.“, widersprach Carsten seinem großen Bruder matt. Eagle seufzte. „Seht ihr?“ „Möchtest du es nicht zumindest versuchen?“, schlug Susanne vorsichtig vor. „Wenn du denkst es bringt nichts, kannst du die Therapie doch einfach abbrechen.“ Laura nickte und warf Carsten ein versucht aufheiterndes Lächeln zu. „Susi hat recht. Du erinnerst dich doch an Jannik, oder? Er hatte ja mal gemeint, dass seine Mutter Therapeutin ist. Du könntest vielleicht einfach mal mit ihr reden und-“ „Nein!“ Bei seinem schroffen Tonfall zuckten Susanne und Laura erschrocken zusammen. Doch gleichzeitig schwang in seiner Stimme eine verräterische Panik mit, die niemandem entgehen konnte. Betreten atmete Öznur aus. „Das ist ja noch krasser, als ich dachte…“ „Carsten, bitte!“, flehte Laura und klammerte sich an den Stoff seiner Jeansjacke. „Ich brauche keine Hilfe!“ Carsten riss sich von ihr los und richtete sich stolpernd auf, um Abstand zwischen sich und dem Rest zu bekommen. Erneut begann sein Herz zu rasen. Warum war jeder so versessen darauf ihn in eine Therapie zu stecken? Warum konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?! „Du klingst schon so wie Benni.“, meinte Laura frustriert, den Tränen nahe. „Das ist was anderes.“ „Nein, ist es nicht!“ Auch Laura war aufgesprungen und funkelte ihn aus ihren schokoladenbraunen Augen an. „Warum denkt jeder von euch, dass das keine große Sache ist?! Warum glaubt ihr, dass ihr alleine damit fertig werdet?! Ist es wirklich so schlimm, um Hilfe zu bitten?!?“ „Laura, ich…“ Frustriert wischte sich Laura mit dem Handrücken über die Augen. „Du hast die Folgen doch selbst gesehen. Du hast gesehen was passiert, wenn man sich nicht helfen lässt…“ „Ich bin aber nicht Benni!“ „Nein, stimmt. Du bist noch schlimmer als er!“, schrie sie verzweifelt. „Du-“ Ihre Worte verstummten, als Ariane eine Hand auf ihre Schulter legte und mit einem Kopfschütteln sagte, dass es nun reiche. Verbissen wandte Laura den Blick ab und zwang sich zur Ruhe. „Ist es vielleicht wegen der schwarzen Magie?“, äußerte Ariane ihre Vermutung. „Du meinst, dass sie eine Art Verstärker für negative Erinnerungen und Emotionen ist?“, vergewisserte sich Susanne. Nachdenklich nickte Anne. „Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass Carsten schon so extrem damit zu kämpfen hatte, bevor er schwarze Magie lernen musste.“ „Was hatte Konrad dir denn so erzählt? Als du ihn darüber gefragt hattest?“, erkundigte sich Öznur an Eagle gewandt. „Nur, dass die Auswirkungen von Person zu Person verschieden sein können. Und dass am Ende jeder, der regelmäßig schwarze Magie verwendet…“ „… den Verstand verliert.“, beendete Laura betreten seinen Satz. Len fuhr sich durch die kurzen Stoppeln seines Undercuts. „Krass, ich hätte nie im Leben erwartet, dass Magie so schlimme Auswirkungen auf den Zauberer selbst haben kann.“ Eagle seufzte bedrückt. „Wem sagst du das…“ Geräuschvoll atmete Ariane aus und ging auf Carsten zu, um vorsichtig seine rechte Hand in ihre zu legen. Erneut beschleunigte sich Carstens Herzschlag, doch dieses Mal war keine Panikattacke die Ursache. Nicht wirklich zumindest. Er versuchte das beklemmende Gefühl herunterzuschlucken, während er es kaum schaffte, Arianes Blick standzuhalten. „Wie wäre es damit:“, schlug sie vor, „Wir schieben das alles erst einmal auf die schwarze Magie und schauen, ob es sich im Laufe der Zeit verbessert, da du ohnehin schwarze Magie-Verbot von uns bekommen hast. Wenn das wirklich der Fall ist, können wir uns beruhigt zurücklehnen. Wenn es aber nicht oder nur kaum besser wird, werden wir es mit einer Therapie versuchen. Wäre das okay für dich?“ Verlegen wich Carsten Arianes Blick aus. Er würde niemals ‚Nein‘ sagen können. Nicht zu ihr. Also was blieb ihm anderes übrig? Seine Antwort war nichts weiter als ein schwaches Nicken und dennoch war die Erleichterung der anderen nicht zu übersehen. Nur Risa schien nicht sonderlich zufrieden gestellt. „Du musst es versprechen!“, forderte sie ihn auf und hob den kleinen Finger ihrer linken Hand. Unmittelbar schoss Carsten das Blut in den Kopf. Lissi stemmte grinsend die Hände in die Hüften. „Jap, Cärstchen sollte definitiv den kleinen Finger-Schwur machen. Sonst macht er am Ende noch einen Rückzieher.“ „Was ist das?“, fragte Ariane verwirrt. Irritiert schaute Laura sie an. „Du kennst ihn nicht? Na ja, man verhakt die kleinen Finger miteinander und verspricht sich etwas. Und wenn jemand das Versprechen bricht, muss dieser sich den kleinen Finger abschneiden.“ Ariane runzelte die Stirn. „Wer macht denn bitteschön solche Versprechen?“ Der Rotton auf Lauras Wangen war für sie wohl Antwort genug. Belustigt wandte sich Ariane wieder Carsten zu, dessen Wangen ein noch tieferes Rot angenommen hatten. Doch sie klopfte ihm nur aufmunternd auf die rechte Schulter. „Keine Sorge, ich will deinen kleinen Finger nicht als Versicherung.“ Mit ernsterer Stimme fuhr sie fort: „Aber trotzdem… Bitte versprich mir, dass du dir Hilfe holst, wenn es nicht besser wird.“ Wie zuvor schon war das einzige, was Carsten zustande brachte, ein schwaches Nicken. Während Lissi, Risa und einige der anderen Mädchen -und sogar Eagle- hörbar enttäuscht über diese Art des Versprechens waren, schüttelte Ariane lediglich seufzend den Kopf. Dieses Mal berührte sie vorsichtig Carstens linke Hand und betrachtete den Handrücken. „Aber hör dafür bitte zumindest damit auf, deine Wunden vor uns zu verstecken. Laura hat schon recht. In dem Punkt bist du tatsächlich schlimmer als Benni…“ Wieder schaffte Carsten es nicht Arianes Blick zu erwidern. Ein Blick, so freundlich, fürsorglich und doch voller Sorge. Unmittelbar kam in ihm die Frage auf, ob er sie überhaupt verdient hatte. Er trug so viele Probleme mit sich herum, mehr als er den anderen oder gar sich selbst eingestehen wollte. Könnte das überhaupt jemals eine harmonische Beziehung werden? Oder hätte sie irgendwann die Schnauze voll von ihm? Überrascht stellte Carsten fest, dass normalerweise Laura prädestiniert für solche Zweifel war. Verbittert lachte Carsten in sich hinein. Er war nicht nur schlimmer als Benni. Er war noch dazu auch schlimmer als Laura. „Carsten?“ Arianes Stimme holte ihn aus seinen trüben Gedanken zurück. Sie wartete wohl immer noch auf eine Reaktion von ihm. Zitternd atmete Carsten aus und schloss die Augen. Versuchte sich zu konzentrieren. Was nicht sonderlich einfach war, bei den ganzen Blicken, die auf ihn gerichtet waren. Merkte denn keiner wie unwohl er sich dabei fühlte? Oder war es ihnen einfach egal? Carsten konzentrierte sich auf seine linke Körperhälfte. Den Arm, die Schulter, den Hals hinauf bis zum Gesicht. Er stellte sich vor eine Folie abzuziehen. Als sei es eine dünne Schicht Haut, die er sich erschaffen hatte, um die Verbrennungen darunter zu verstecken. Als er die Augen öffnete war diese Hautschicht verschwunden. Er konnte die Verletzungen nicht mehr vor den Blicken der anderen verbergen. Blicke voll von Besorgnis, Beklemmung und auch Entsetzen. „Das ist ja kaum verheilt bisher…“, stellte Öznur betreten fest. Laura strich sich eine Strähne hinters Ohr und schaute auf den Boden. „Das ist genauso wie Bennis Verbrennungen damals…“ Bedrückt atmete Susanne aus. „Na ja, sie sind durch ein Ritual entstanden. Und Carstens Regenerationsfähigkeiten sind nicht so gut wie… wie zum Beispiel Bennis.“ „Trotzdem…“ Eagle wandte sich an Susanne. „Kann man da nichts machen? Kannst du nicht den Heilprozess irgendwie beschleunigen?“ Selbst ohne die Erwähnung von Energie wich Susanne Eagles bittendem Blick aus und schüttelte den Kopf. Sie schien die Folgen ihrer Prüfung wohl immer noch nicht verkraftet zu haben. Und dabei lag diese fast ein halbes Jahr in der Vergangenheit. Auch der Rest schien dies zu merken und hielt es für die beste Entscheidung, Susanne nicht weiter zu drängen. Stattdessen richtete sich erneut alle Aufmerksamkeit auf Carsten und wieder breitete sich ein unwohles Gefühl in seinem Magen aus. Er hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Besonders in solchen Situationen. „Aber warum hast du die Verbrennungen überhaupt vor uns versteckt?“, fragte Ariane. Die leichte Enttäuschung in ihrer Stimme machte es noch schlimmer. „Na ja… Gerade im Gesicht ist das nicht gerade… unauffällig. Die anderen…“, stammelte er sich eine Antwort zurecht. Trotzdem schien er sie damit nicht wirklich zufriedenstellen zu können. Laura am allerwenigsten. „Dass du sie vor den Blicken der anderen versteckst verstehe ich ja. Aber vor uns? Du hättest doch zumindest etwas sagen können!“ Bedrückt schaute sie Carsten an. „Vertraust du uns so wenig?“ „Wa- Nein!“, widersprach er hastig. „Ich- es ist- ich wollte nur…“ Doch eine richtige Erklärung fand er trotzdem nicht. Ja, warum eigentlich? Warum schaffte er es nicht einfach mal den Mund aufzumachen und zu sagen, was los war? Carstens flüchtiger Blick schweifte über Laura, Eagle und Ariane. Vielleicht, weil wir schon mehr als genug Sorgen haben., vermutete er beklommen. Im Vergleich dazu sind meine Probleme… „Aber du kümmerst dich schon darum, dass deine Verbrennungen heilen. Oder?“, erkundigte sich Ariane. Carsten runzelte die Stirn. „Natürlich.“ Und das war wirklich nicht gelogen. Der Rest schien erleichtert aufzuatmen. „Zumindest etwas.“, meinte Eagle lediglich. Ariane seufzte auf und lies Carstens linke Hand endlich los, die durch die ganze Nervosität bereits schweißnass war. „Sag mir jetzt aber nicht, dass wir bei dir die ganze Zeit Sherlock Holmes spielen müssen.“ „Das würde zumindest erklären, warum Benni schon immer gerne Detektiv Conan gelesen hat.“, kommentierte Laura. „Das macht es gerade irgendwie nicht wirklich besser.“, erwiderte Ariane daraufhin. Geräuschvoll atmete Eagle aus und ging zu Carsten, um ihm einen Arm um die Schultern zu legen. Wobei er trotzdem darauf achtete, die linke Seite möglichst unberührt zu lassen. „Wir werden schon noch alles aus dir rauskitzeln, auch ohne einen Detektiv.“ Belustigt verschränkte Ray die Arme vor der Brust. „Ist das deine Art, jemandem Hilfe anzubieten?“ „Ach, bei nem großen Bruder muss das wie ne Morddrohung klingen.“, witzelte Len. Öznur verdrehte die Augen. „Oh glaubt mir, so liebevoll sind nicht nur große Brüder.“ Während sich Öznur darüber beschwerte, wie penetrant ihre großen Schwestern damals versucht hatten sie mit irgendwelchen ‚heißen Typen‘ zu verkuppeln, wandten sich Laura und Ariane wieder Carsten und Eagle zu. Dieses Mal war es Laura, die Carstens Hand nahm und ihm aufmunternd zulächelte. „Selbst wenn du uns nicht alles erzählen möchtest… Oder kannst… Ich hoffe du weißt, dass wir für dich da sind… Also, falls du…“ Den Rest sprach Laura nicht aus. Brauchte sie auch gar nicht. Stattdessen war es Eagle, der seinen Griff um Carstens Schultern verstärkte. „Du bist nicht allein.“ Carsten senkte den Blick und schluckte ein paar Tränen runter. Hatte sein großer Bruder mit Absicht die Worte verwendet, die Carsten ihm die letzten beiden Wochen so häufig gesagt hatte? „Ich weiß…“, war das einzige, was er mit schwacher Stimme erwidern konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)