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Demon Girls & Boys

von

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Stilles Leid

Stilles Leid

 

 

 

Nachdenklich schlug Carsten sein Chemiebuch zu und rieb sich den Nasenrücken. Da er noch nicht ganz genesen war, war er dazu gezwungen den Sportunterricht ausfallen zu lassen. Stattdessen nutzte er diese Zeit dazu den verpassten Schulstoff der letzten zwei Wochen aufzuholen. Wobei er als Kind schon so viel über organische Chemie gelesen hatte, dass er die Kapitel eigentlich nur noch überfliegen musste um wieder auf dem aktuellen Stand zu sein. Leicht beschämt stellte er bei einem Blick auf seine Armbanduhr fest, dass er tatsächlich nicht viel mehr als eine Stunde gebraucht hatte um Susannes Mitschriften durchzuarbeiten. Würde er das Öznur erzählen… Sie würde ihm den Hals umdrehen.

Carsten streckte sich und ließ seinen Blick über die vollgestellten Regale des Bücherturms wandern. Er hatte sie häufig genug nach Sachen zu schwarzer Magie abgesucht, hier würde er keine weiteren Hinweise mehr für den Zauber finden. Noch während Carsten die Zettel mit seinen Notizen herausholte und auffaltete, tippte ihm jemand auf die Schulter.

Irritiert schaute er auf und blickte in Annes dunkelblaue Augen.

Statt einer Begrüßung war das erste, was über seine Lippen kam: „Möchtest du etwas?“

Anne schnaubte. „Ist es so unwahrscheinlich mich mal in einer Bibliothek zu treffen?“

„… Ja.“, antwortete Carsten wahrheitsgetreu.

Seufzend setzte sich Anne auf den Platz ihm gegenüber und fuhr sich durch die kurzen hellbraunen Haare. Erneut fiel Carsten auf, dass irgendetwas nicht mit ihr zu stimmen schien. Irgendetwas schien sie zu belasten. Doch der Reaktion der Mädchen gestern nach zu urteilen hatte sie sich bisher niemandem anvertraut…

Carsten rang mit sich selbst, ob er Anne einfach direkt fragen sollte was los sei. Immerhin betrachtete er sie inzwischen durchaus als Freundin und er hatte den Eindruck, dass auch sie ihn inzwischen besser leiden konnte als zu Beginn des Schuljahres.

Nach geraumem Schweigen, in welchem Carsten abwog ob Anne sich ihm tatsächlich anvertrauen würde, fragte er schließlich doch: „Du siehst so blass aus… Ist alles in Ordnung?“

Tatsächlich war ihre Antwort ein Kopfschütteln. Nicht mehr, nicht weniger. Doch genug um zu realisieren, dass es keine Kleinigkeit war, die ihr da zu schaffen machte.

„Kann ich… irgendwie helfen?“, erkundigte er sich.

„Das hängt davon ab.“

Carsten runzelte die Stirn. „Wovon?“

„Ob du ein Geheimnis bewahren kannst.“

Nun war er endgültig verwirrt. Anne kam offensichtlich her, um ihn um einen Gefallen zu bitten. Warum suchte sie ausgerechnet seine Hilfe auf? Warum nicht Susannes? Oder Öznurs? Immerhin hatte er gehört, dass sich die beiden dem Himmel sei Dank endlich ausgesprochen hatten. Nein, ausgerechnet Carsten? Jemanden, dessen Existenz sie am Anfang noch nicht einmal hatte akzeptieren können? Selbst wenn sich ihre Beziehung inzwischen stark gebessert hatte und sogar ins freundschaftliche ging… Es war immer noch unvorstellbar.

Er zwang sich zu einem aufheiternden Lächeln. „Das dürfte ich hinbekommen.“

Anne schaute ihn warnend an. „Das ist mir ernst, Carsten. Du darfst mit keinem drüber reden. Weder mit Laura, noch Ariane oder Eagle oder Saya, noch sonst wem. Keinem.“

So langsam wuchs die Neugierde in Carsten, aber auch die Sorge. Es gab etwas, was sie nur ihm erzählen konnte? Keinem sonst?!

Carsten schluckte schwer und nickte. „Wenn es dir hilft, natürlich.“

Bedrückt atmete Anne aus. „Ob es mir hilft werden wir erst noch erfahren.“

Erst jetzt fiel ihm auf, wie ihre Hände zitterten. Wie ihr gesamter Körper angespannt war, wenn nicht gar verspannt.

Ohne darüber nachzudenken griff Carsten über den Tisch hinweg nach Annes Hand. Sie war eiskalt. „Wie kann ich helfen?“

Freudlos lachte sie auf. „Das ist deine einzige Frage?“

„Sag einfach was ich machen soll.“

Anne schloss die Augen, atmete tief durch und erwiderte schließlich seinen Blick. „Du musst einen Zauber für mich wirken.“

Carsten nickte. „Klar, kein Problem.“

„Nicht irgendeinen Zauber. Es ist schwarze Magie.“

Diese Worte jagten einen Schauder über seinen Rücken. Ungewollt erinnerte er sich an Eagles Worte vom Vortag. Nutzte man zu häufig schwarze Magie verfiel man irgendwann dem Wahnsinn. Wurde verrückt. Carsten erinnerte sich an die Albträume, ein eisiges Prickeln fuhr durch seinen Körper. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass diese Magieform einem irgendwann den Verstand rauben würde…

Aber andererseits… Ein Blick auf Anne genügte schon um zu sehen, dass sie selbst kurz davor war den Verstand zu verlieren. Dass sie ganz dringend Hilfe brauchte. Irgendwie.

Nun war es Carsten der tief durchatmete. „Welcher?“

„Der Observationszauber, von dem du mal erzählt hattest.“

Verwirrt betrachtete Carsten sie. Anne wollte jemanden beobachten? Wen? Na ja, er würde es früh genug herausfinden.

Suchend schaute er sich um, bis sein Blick auf die Treppe fiel, die in den oberen Bereich des Turmes führte. „Alles klar, komm mit.“

Er schnappte sich vier Kerzen von der Bibliothek -um Brandschutz schien sich hier wirklich niemand Gedanken zu machen- und fand tatsächlich eine einfach so herumstehende Messingschale.

Anschließend ging er mit Anne in den obersten Teil des Bücherturms. Wie erwartet war der Turm hier noch nicht zu Ende, als er eine hölzerne Luke entdeckte, die auf den Dachboden führte.

Mit einem Blick durch den Raum stellte Carsten fest, dass sie alleine waren. Also öffnete er die Luke und hievte sich ins Innere des Dachbodens. Staubkörnchen tanzten in dem spärlichen Licht und stiegen in Carstens Nase, sodass er ein Niesen unterdrücken musste. Der Dachboden erinnerte ihn an sein Versteck in Indigo. Nur war dieser hier kleiner und weniger vollgestellt. Fröstelnd rieb sich Carsten die Arme. Und kälter.

Carsten hörte Anne fluchen als sie in eine der uralten, staubigen Spinnenweben gelaufen war. Offensichtlich war sie nicht so an Dachböden gewöhnt wie er selbst.

Aber überraschenderweise beschwerte sie sich nicht über seine Ortswahl. Anne schien wohl froh, dass er sie zu dem am wenigsten besuchten Ort der Schule geführt hatte.

Wie schon auf dem Dachboden daheim erschuf sich Carsten kleine Lichtkugeln, die den Raum erhellten. Er schloss die Luke, platzierte die Messingschale in der Mitte des Raumes, füllte sie mit Wasser und stellte die Kerzen um sie herum auf.

Noch während er sein Taschenmesser an Anne für das Ritual gab meinte er: „Ich brauche zumindest den Namen der Person, um den Zauber sprechen zu können.“

Anne hielt inne. „Den wahren Namen?“

„Welchen denn sonst?“

Nach einigem Zögern gestand sie: „Ich kenne nur ihren Spitznamen…“

Seufzend atmete Carsten aus. Welche Person wollte Anne bitteschön sehen, deren wahren Namen sie noch nicht einmal kannte? Kannte sie dann die Person selbst überhaupt gut genug?

„Der Spitzname sollte auch gehen.“, erwiderte er schließlich. Immerhin hatte er bei Benni auch nie dessen vollen Namen genutzt.

Anne atmete aus. „Sultana.“

„…Was?“

„Sultana.“, widerholte sich Anne lauter. „Oder bist du taub.“

„Nein, aber…“

Was ging hier vor sich? Warum wollte Anne ausgerechnet ihre Mutter beobachten?!

Ein unwohles Gefühl stieg in Carsten auf, als habe er sich den Magen verdorben.

„Sprichst du den Zauber nun oder nicht?!“, fragte Anne ihn schroff.

„D-doch, natürlich.“, stammelte Carsten. Mit schweißnassen Händen strich er sich die Haare aus der Stirn, die bei der Kürze sofort wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückkehrten.

Zitternd atmete Carsten aus und schloss die Augen, um seine Gedanken zu sortieren. Ein Geheimnis. Ein Obersvationszauber mit Annes Mutter als Ziel. Der Herrscherin über Dessert. Etwa zwei Wochen nach Chiefs Tod. Etwa eine Woche nachdem Eagle zum Häuptling gekrönt worden war. Carsten wollte den Gedanken gar nicht zu Ende führen. Er wollte gar nicht wissen, was ihn jetzt erwartete. Nicht schon wieder.

Doch er verstand, dass sie Gewissheit brauchten. Dass Anne Gewissheit brauchte.

Carsten öffnete die Augen und erwiderte Annes Blick. In ihm lag Ungeduld, Unruhe, aber auch Angst. Angst vor dem, was sie gleich sehen würde.

Er deutete ein schwaches Nicken an um ihr zu sagen, dass er mit dem Zauber begann. Anne atmete tief durch als würde sie gleich ins kalte Wasser springen.

Wie schon viele Male zuvor sprach Carsten den Zauber und gab Anne das Zeichen, sich in die Handfläche zu schneiden.

Die Anspannung war regelrecht spürbar, während sie beobachteten wie sich ihr Blut mit dem Wasser vermischte. Carsten betete, dass das Wasser keine tiefe Schwarzfärbung bekam.

Es dauerte eine qualvolle Ewigkeit, bis sich die Wasseroberfläche klärte. Nur um direkt wieder blutrot zu werden.

Carsten hielt den Atem an, während er Anne nach Luft schnappen hörte.

Noch während das Blut sich in einzelnen Flecken auflöste, drangen endlich Stimmen zu ihnen durch.

„Bist du dir auch ganz sicher, nichts Weiteres zu wissen, meine Liebe?“

Alleine der Klang der Stimme sorgte dafür, dass Carstens Herz stehen blieb, dass er das Atmen vergaß. Sie war von Macht getränkt, tief und bedrohlich. Ein erdrückender Unterton eisiger Belustigung und Selbstgefälligkeit schwang mit. Eine Stimme bei der man alleine an ihrem Klang hören konnte, dass ihr Besitzer allem und jedem überlegen war. Die Stimme eines erbarmungslosen Gottes.

Allmählich tat sich ihnen ein Bild auf, doch was sie zu sehen bekamen war mehr als nur grauenhaft.

Sultana lag auf dem Boden, zwar nicht gefesselt doch so wie man ihren Körper zugerichtet hatte war es mehr als ein Wunder, dass sie sich noch bewegen konnte. Alleine auf den ersten Blick meinte Carsten über zehn Knochenbrüche zu erkennen. Einzelne Strähnen ihrer schwarzen Locken klebten in dem blutigen Gesicht, das einem Schlachtfeld glich. Die Nase hatte eine unnatürliche Krümmung, die Lippen waren aufgeplatzt und geschwollen und die Blessuren um das rechte Auge machten es schwer, daraus sehen zu können. Doch zumindest konnte man mit dem rechten Auge noch sehen. Die linke Seite war so zerstört, dass Carsten noch nicht einmal mehr wusste ob der Augapfel überhaupt noch vorhanden war.

Carsten wagte einen vorsichtigen Blick zur Seite. Anne hatte die Hände so stark zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ihr Körper bebte und zitterte und eine grünliche Aura loderte um sie, während sie verbissen schweigend auf das Bild starrte.

Erneut begann die erdrückende Stimme zu sprechen: „Wenn du schweigen möchtest, kann ich dich auch direkt deiner Zunge entledigen.“

Und nun sah Carsten den Besitzer dieser Stimme. Ein Wesen das aussah wie ein Mann und doch keiner war. Ein Gott. Die Macht. Die Zerstörung.

Er war edel gekleidet, hatte zurückgekämmte purpurne Haare und unheimlich leuchtende dämonische Augen in ebendieser Farbe. Eine Aura, gleich eines purpurnen Feuers, loderte um seinen Körper. Und trotz der Angst und Verzweiflung lag in diesem Anblick eine Schönheit. Eine grausame Schönheit wie ein Meteorit, der drohte den Planeten zu zerstören.

Das war dieser Gott. Das war Mars. Der Purpurne Phönix. Der Herrscher der Zerstörung.

Carsten wollte Luft holen, schaffte es aber nicht. Obwohl er diesen Dämon nur aus einem Zauberspiegel aus betrachtete, schnürte sich bei dem Anblick seine Kehle zu.

Sultana sagte irgendetwas, doch es war zu schwach um es verstehen zu können.

Mars bedachte sie mit einem Lächeln, welches einem das Herz herausreißen könnte. „Wie bitte?“

Sultana wiederholte ihre Worte, dieses Mal lauter und stärker. „Fick dich!“

Mit widerlichem Amüsement ging Mars vor ihr in die Hocke und fuhr mit einem schlanken Finger über das blutige Gemälde ihres Gesichts. Sultana schrie, als der Finger einen Pfad der Verbrennung hinterließ und Carsten bildete sich ein den Geruch wahrnehmen zu können.

Bilder von seinen Bestrafungen im FESJ zuckten an seinem inneren Auge vorbei und ein stechender Schmerz breitete sich auf seinem Rücken aus, der ihn erstickt keuchen ließ.

Noch während Carsten nach Atem rang hörte er die machterfüllte Stimme sprechen: „All die Zeit, und dein Mundwerk arbeitet immer noch hervorragend. Also warum erzählst du mir nicht einfach wovon du weißt?“

„Ich weiß nicht… wovon du redest.“, keuchte Sultana.

„Oh, ich denke das weißt du sehr wohl.“, erwiderte Mars mit seiner tiefen, melodischen Stimme, wie schwarzer Samt.

„Aber falls ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen soll: Was haben der neue Häuptling und seine Freunde denn so erzählt? Ich habe gehört sein kleiner Bruder soll ziemlich krank gewesen sein… Geht es ihm besser?“

Carsten schauderte bei dieser letzten Frage. Sie hätte auch genauso gut lauten können: ‚Ist er nun endlich abgekratzt?‘

„Ich… ich weiß es nicht.“

„Das wäre aber schade.“ Wieder diese grauenhafte, falsche Fürsorge. „Dann wärst du mir nämlich nicht weiter von Nutzen.“

„Was…“

Mars packte Sultana an den blutverklebten Haaren und hob ihren Kopf an. „Wie macht sich der neue Häuptling so? Denkst du, deine Tochter würde sich besser schlagen?“

„Halt meine Tochter da raus.“, zischte Sultana.

Mars zuckte mit den Schultern. „Ist nur ein Gedankenspiel. Was denkst du? Könnte sie genauso spontan deinen Platz einnehmen?“

„Halt meine Tochter da raus!“

Noch während Sultana das schrie spürte Carsten, wie Anne nach seinem rechten Arm griff. Wie sich ihre zitternden Finger in sein Fleisch bohrten.

Mars‘ Gesicht war bedrohlich nahe an dem von Sultana, als er flüsterte: „Wollen wir nicht einfach ausprobieren, was passieren würde?“

„Willst du sie nicht einfach endlich in Ruhe lassen?“

Ruckartig ließ Mars Sultana los und drehte sich in Richtung der ruhigen Stimme, die diese Frage gestellt hatte. Als Carsten sah wie Benni und Jack den Raum betraten, schossen ihm unvermittelt Tränen in die Augen und er schaffte es, seine Hand auf Annes zitternde zu legen.

Mars warf Jack einen warnenden Blick zu. Doch dieser hob alles andere als eingeschüchtert die Hände. „Sieh nicht mich an, ich hab nichts gesagt. Aber wenn du über eine Woche lang jemanden folterst, wird jemand mit Vampirsinnen das wohl früher oder später schon noch bemerken.“

Geräuschvoll atmete Mars aus und wandte sich Benni zu. „Wenn dem so ist, schön dich zu sehen.“ Erneut schwang diese grauenhafte Mordlust in seiner Stimme mit. „Darf ich dir unseren Gast vorstellen?“

„Wir kennen uns bereits.“, erwiderte Benni, den Blick nicht von Mars abwendend.

„Wie schön. Vielleicht möchtest du uns ja bei unserem Gespräch Gesellschaft leisten?“ Er strich der schwer atmend am Boden liegenden Sultana über die schwarzen Haare. „Sie ist eine ganz charmante Person. Wir haben uns gerade darüber unterhalten wie stark und gebildet ihre hübsche Tochter ist. Ich bin mir sicher, sie wird eine würdige Nachfolgerin. Ist es nicht so?“

„Fick dich!“, brüllte Sultana erneut.

Mars ließ von ihren Haaren ab und ballte immer noch lächelnd die Hand zur Faust. „Nur ihr Wortschatz ist etwas…“

Bevor er zuschlagen konnte hielt Benni seinen Arm fest. „Ich sagte lass sie in Ruhe.“, wies er Mars mit seiner eiskalten Stimme an.

Dieser richtete sich auf, um Benni besser in die Augen schauen zu können. Wobei nun Benni um einen Kopf kleiner war.

Weiterhin mit diesem grauenerregenden Lächeln auf den Lippen strich Mars Benni über die Wange und hinterließ dabei eine Spur von Sultanas Blut. „Wir müssen wohl noch einmal über deine Auffassung von absolutem Gehorsam sprechen, mein Junge.“

„Deine Definition von Gespräch ist auch sehr interessant.“, erwiderte Benni.

Carsten fragte sich, wie er es schaffte direkt vor diesem Monster zu stehen und immer noch die Ruhe in Person zu sein, während ihm selbst bereits von hier aus vor Angst die Übelkeit hochstieg.

Mars schien Bennis Kommentar zu amüsieren. Zumindest wurde sein Lächeln noch breiter, noch psychotischer. „Ich hatte nur ein paar Fragen an unsere verehrte Herrscherin über Dessert. Aber leider will sie nicht reden und beleidigt mich stattdessen die ganze Zeit.“

„Und du denkst nach einer Woche Folter wird das besser?“, fragte Benni kühl.

„Vielleicht ändert sich ja irgendwann ihre Meinung mit den überzeugenden Argumenten.“, antwortete Mars amüsiert.

Nein, das ist nicht wahr. Schoss es Carsten durch den Kopf. Der Typ ist ein Sadist. Er verletzt andere, weil es ihm Spaß macht. Er zerstört, weil es ihm Spaß macht…

„Deine Argumente scheinen zumindest nicht sonderlich überzeugend.“, entgegnete Benni.

„Das wollte ich gerade herausfinden.“ Erneut wandte sich der Dämon Sultana zu. „Wenn sie dazu bereit ist anstelle der Informationen das Leben zu opfern… Ist mir das auch recht.“

„Fragt sich nur welches Leben.“

Etwas schnürte Carstens Hals zu. Wie hatte Benni das gemeint? Nein, das kann nicht…

Mars packte Benni am Saum seines T-Shirts und zischte mit dämonisch tiefer Stimme: „Du bluffst.“

„Muss ich dich vom Gegenteil überzeugen?“, konterte Benni, immer noch viel zu ruhig.

Mars ballte die Hand zur Faust und holte zum Schlag aus. Automatisch kniff Carsten die Augen zusammen, als ein ekelhaftes, dumpfes Knacken durch den Raum hallte.

Vorsichtig öffnete Carsten sie wieder. Dunkles Blut sickerte aus Bennis Nase, über die Lippen und tropfte auf den steinernen Boden vor seinen Füßen. Ohne Mars aus den Augen zu lassen wischte er sich mit der Hand etwas von dem Blut aus dem Gesicht. Doch sonderlich helfen tat dies nicht.

Tadelnd schnalzte der Herrscher der Zerstörung mit der Zunge. „Junge, Junge, jetzt sieh nur, was ich deinetwegen gemacht habe. Und dabei hast du doch eigentlich so ein gutes Näschen.“

„Das ist nicht weiter schlimm, der Gestank hier war kaum auszuhalten.“

Jack unterdrückte bei Bennis Kommentar ein Lachen, während Carsten seinen besten Freund ungläubig anstarrte. Provozierte er Mars absichtlich oder war er diese gesamte Situation einfach nur noch leid?

Zumindest schien Mars auch dieser Konter zu amüsieren. Oder wie auch immer man sonst das machtdurchdrungene, einschüchternde Lachen deuten sollte.

Carstens Atmen war inzwischen mehr ein gepresstes Keuchen. Er wusste, was Benni vorhatte. Er wollte Sultana vor Mars beschützen, genauso wie Johanna und Sakura. Aber dafür…

Immer noch lachend wuschelte Mars Benni durch die platinblonden Haare und hinterließ dabei wieder etwas von dem Blut, das an seinen Fingern klebte.

Plötzlich hörte das Lachen auf, er packte Benni am Haaransatz und hielt seinen Kopf so fest, dass er gezwungen war ihm in die Augen zu schauen. „Deine Lehrmeisterin hat wohl versäumt dir Manieren beizubringen. Schade, dass sie das nun auch nicht mehr wird nachholen können.“ Höhnisch lächelte Mars mit dem absoluten Bewusstsein selbst dafür verantwortlich zu sein, dass Eufelia-Sensei nicht mehr da war.

Carsten merkte, wie sich Ärger in Bennis Blick widerspiegelte als er mit nicht mehr so ruhiger Stimme sagte: „Zwing mich nicht Sultanas Wortwahl zu verwenden.“

Mars lachte auf und schlug Benni erschreckend beiläufig mit der Faust in die Magengrube, sodass er Blut hustend auf die Knie sackte.

„Jack, ich glaube du hast einen schlechten Einfluss auf unseren hübschen Prinzen. Er scheint kurz davor zu sein, vulgäre Ausdrücke zu gebrauchen.“

Jack schien es wohl für die beste Entscheidung zu halten, sich einfach gar nicht an diesem Gespräch zu beteiligen, wie Carsten nun feststellte. Doch dies war auch nicht weiter nötig.

Mars warf einen hasserfüllten Blick auf Benni und Carsten bekam es mit der Angst zu tun, ob sein bester Freund diese Begegnung überleben würde. Noch während sich Benni wieder aufrichten wollte trat Mars ihm gegen den Brustkorb, wobei mindestens eine Rippe brach, und hielt ihn mit dem Fuß am Boden.

Carsten zuckte zusammen als habe man ihm diesen Tritt verpasst. Mit knirschenden Zähnen versuchte er sich bewusst zu werden, dass er von hier aus nichts ausrichten konnte. Und dass es keine Möglichkeit gab zu Benni zu gelangen, um Mars dafür büßen zu lassen. Doch er konnte und wollte das nicht akzeptieren. Das einzige was er wollte war Mars leiden zu sehen.

Doch er litt nicht. Dieser verfluchte Dämon war absoluter Herr der Lage und kostete jede Sekunde davon aus.

Mars wies mit ausschweifender Geste auf Sultana. „Jack, sei so freundlich und führe Ihre Majestät in ihre neuen Gemächer.“ Er beugte sich zu Benni runter und strich ihm erneut über die Wange. „Ich werde derweil versuchen unserem kleinen Prinzen ein paar Manieren beizubringen.“

Zwar deutete Jack ohne zu zögern ein knappes Nicken an und ging zu Sultana rüber, doch Carsten entging es nicht, dass er einen kurzen, besorgten Seitenblick auf Benni warf.

Vorsichtig half Jack Annes Mutter auf die Beine und stützte sie auf dem Weg nach draußen. Noch während sie mehrere verzierte Räume durchschritten fragte Sultana mit schwacher Stimme: „Wird er nun auch…?“

„So schlimm wie du wird er wohl nicht zugerichtet. Keine Sorge… Oder so ähnlich.“

„…Warum?“

„Um zu verhindern, dass Anne in derselben Situation wie Eagle landet?“, vermutete Jack und half Sultana nun einen langen Gang entlang, welcher nur mit an den Wänden hängenden Kerzen erleuchtet wurde.

Carsten wusste, dass es sinnvoll wäre sich nun alle Wege die Jack einschlug zu merken. Doch es war unmöglich. Er schaffte es nicht einmal einen klaren Gedanken zu fassen. Er konnte immer nur an das Bild denken, wie Benni bei Mars‘ Schlag zusammensackte. Hörte immer noch das Geräusch seiner brechenden Nase. Sah das Blut auf den Boden tropfen… Schaudernd versuchte sich Carsten auf das weitere Gespräch zu konzentrieren.

Inzwischen waren sie in einer ganz normal eingerichteten Küche angekommen, wo Jack Sultana half sich auf einen Stuhl zu setzen.

„Wer bist du?“, erkundigte sich Annes Mutter, während er eine recht beeindruckende Ausrüstung an Verbands- und sonstigem Erste-Hilfe-Material aus einem Schrank holte. „Jack.“, stellte er sich knapp vor.

Sultana betrachtete ihn eingehender, soweit ihr das unter der gegebenen Situation mit all den furchtbaren Verletzungen möglich war. „Chiefs Mörder…“, stellte sie schließlich schaudernd fest.

Jack antwortete nicht darauf, sondern untersuchte Sultanas Verletzungen.

„Warum hast du…?“

„… Ihn getötet?“ Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. „Weil es manche Dinge gibt, die man besser bereuen sollte.“

Sultana schien seine Andeutung nicht verstanden zu haben, doch Carsten wurde sie dafür umso schmerzhafter bewusst. Elan hatte Recht gehabt. Diese Vorwürfe, die Annahme er trage die Schuld an dem Tod seines Vaters… Es stimmte. Es war tatsächlich Carstens Schuld! Nur weil er Jack damals von seiner Familie erzählt hatte war er nun… Nur deshalb musste Eagle…

Zitternd atmete er aus und versuchte Sultanas schwacher Stimme zuzuhören: „Und warum hilfst du mir?“

„Etwas widersprüchlich, stimmt.“, stellte Jack fest. „Den einen Herrscher töte ich, den anderen flicke ich zusammen.“ Er legte ein paar Finger auf Sultanas Nase. „Okay, das wird jetzt scheiß weh tun.“

Sultanas Schrei nach zu urteilen stimmte Jacks Behauptung. Erneut spürte Carsten, wie sich Annes Finger in seinen Arm bohrten. Doch ihre Frage konnte sie nicht aussprechen. ‚Was macht der da mit ihr?!‘

Irritiert beobachtete Carsten, wie Jack überraschend behutsam das Blut abwischte, während Sultana keuchend und nach Luft ringend hoffte, dass der Schmerz bald verblassen würde. „Was…“

„Ich hab deine Nase gerichtet und geschient. Jetzt kann der Knochen selbst in Ruhe zusammenwachsen.“

Wie hat er das denn angestellt? Fragte sich Carsten irritiert. Sultanas ungläubigem Blick nach zu urteilen dachte sie dasselbe.

Jack zuckte als Antwort mit den Schultern. „Wenn man sich ständig selbst zusammenbasteln muss braucht man irgendwann etwas Einfallsreichtum.“ Er ließ einen kleinen Gesteinsbrocken auf seiner Hand auftauchen, warf ihn hoch und fing ihn wieder auf. „Die ‚Schienen‘ sind winzig und befinden sich am Knochen selbst, halten ihn aber gut. Gut genug, dass man ihn sogar belasten könnte. Würde ich aber nicht empfehlen, ist nicht sonderlich angenehm.“

Jack betrachtete den Rest von Sultanas Verletzungen. „Alles klar, jetzt die Rippen.“ Noch während er sich vor sie kniete hielt er inne. „Fürs Protokoll, ich will nur die Knochen richten. Keine sexuelle Belästigung oder so.“

Sultana lachte schwach auf und betrachtete Jack amüsiert. „Du kannst nicht Chiefs Mörder sein.“

„Mal schauen ob du das noch nach diesen sechs Rippen sagst…“, erwiderte Jack lediglich.

Erneut wiederholte sich die Prozedur und Carsten fragte sich, wieso der Schmerz Sultana nicht schon längst in die Besinnungslosigkeit gerissen hatte.

Nachdem sich Jack auch um die restlichen gebrochenen Knochen an Armen und Beinen gekümmert hatte, widmete er sich dem Schlachtfeld welches ihr rechtes Auge darstellte.

„Uff, also ich hoffe, du findest Augenklappen sind ein nettes Accessoire.“, kommentierte er den Anblick.

Ein bedrücktes Lächeln zeichnete sich Sultanas Lippen ab. „Ich verliere lieber mein Auge als… mein Leben.“

„Nachvollziehbar.“

Eine Zeit lang herrschte Schweigen, bis Sultana schließlich schaudernd fragte: „Warum tut er all das?“

„Mars? Weil er’s will und kann.“ Geräuschvoll atmete Jack aus und richtete sich auf. „Perfekt. Dein Halloween-Kostüm sieht umwerfend aus. Auch wenn es dafür noch ein Monat zu früh ist.“

Sultana lächelte bei seinem sarkastischen Tonfall und betrachtete ihn. „Du nimmst das Leben nicht sonderlich ernst, oder?“

„Das Leben ist zu absurd um ernst genommen zu werden.“, antwortete Jack schulterzuckend und holte eine Packung Schmerztabletten aus der Kiste. „Vielleicht helfen die zumindest ein bisschen. Wenn du magst kann ich dir auch noch Schlaftabletten bringen.“

Sultana streckte die weniger demolierte Hand aus. „Ich könnte direkt jetzt eine vertragen.“

Nachdem sie die Tablette genommen hatte betrachtete sie Jack erneut. Carsten erkannte diesen Blick. Es war der einer Mutter die wusste, wenn etwas nicht stimmte. Selbst, wenn es sich dabei nicht um ihr eigenes Kind handelte. „Und wo sind diese Schlaftabletten?“

„In meinem Zimmer, wieso?“ So langsam schien auch Jack den kritischen Blick zu bemerken. Er verzog das Gesicht. „Hey, bloß keine falschen Schlussfolgerungen ziehen. Ich brauch sie, um zumindest ein bisschen die Albträume vom Leib gehalten zu bekommen.“

Carsten überraschte diese Aussage kein bisschen. Sultanas Reaktion war jedoch das genaue Gegenteil. „Albträume?“

„Albträume.“

Sultana wollte anscheinend etwas erwidern, jedoch fehlte ihr die Kraft dazu. Die Folgen von Mars‘ Folter und Jacks Behandlungen waren deutlich sichtbar. Carsten fragte sich immer noch wie sie sich all die Zeit aufrecht halten konnte, geschweige denn sich mit Jack zu unterhalten. Sie brauchte unbedingt Ruhe.

Dasselbe schien auch Jack zu denken, der Sultana vorsichtig wieder auf die Beine half. „Dann geleiten wir Euch mal in Eure Gemächer, Majestät.“

Erneut lachte Sultana schwach auf. „Du gehörst nicht hierher…“

„Ne, das stimmt. Ich gehöre vor den Computer mit Keksen und einer Tasse Kaffee in Reichweite.“

Wieder führte Jack sie durch die dunklen, spärlich beleuchteten Gänge, bis er bei einer großen schweren Holztür angelangt war, deren Metallhalterung mit einem schrillen Quietschen mitteilte, dass sie nun geöffnet wurde.

„Blöder Onkel!“, rief eine erfreute Stimme. „Hast du endlich das neue Professor Layton Spiel?“

Jack verdrehte die Augen und half Sultana in das Kerkergewölbe. „Nein Johannes, das kommt immer noch erst im nächsten Monat raus. Und noch dazu will ich es zuerst spielen.“

„Aber beeil dich!“, rief Johannes erwartungsvoll. Nun konnte Carsten ihn auch sehen. Sowohl er als auch Johanna standen mit ihren blonden Haarschöpfen an den Gitterstäben und schienen den Neuankömmling in Augenschein zu nehmen.

„Was ist denn passiert?“, erkundigte sich Johanna betroffen.

In der Zelle nebenan tauchte nun auch Sakura auf. Carsten bemerkte sofort die zerzausten schwarzen Haare seiner Halbschwester, die ebenso kurz wie seine eigenen waren. „Frau Sultana?!“

Auch Annes Mutter schien nun zu erkennen, dass es sich bei dem Mädchen um Chiefs Tochter handelte. „…Sakura?“

„Ah wie schön, ihr kennt euch. Das erspart mir den höflichen Kram.“, kommentierte Jack und öffnete Sakuras Kerkertür.

Carsten beobachtete wie Jack Annes Mutter half sich auf eines der beiden Betten zu legen. Sie waren aus modrigem Holz, die Matratzen waren alt und wirkten alles andere als bequem. Dennoch waren sie besser als der kalte Steinboden unter ihren Füßen.

„Deine Mom ist doch Ärztin, oder?“, vergewisserte sich Jack an Sakura gewandt. Diese schien sich ursprünglich aus der Zelle rausschleichen zu wollen und hielt nun ertappt inne.

„Ja, wieso?“, fragte sie in einem alles andere als freundlichen Ton.

„Hast du ihr gelegentlich mal geholfen? Kannst du zum Beispiel Verbände wechseln?“

Doch Sakura schüttelte den Kopf, wobei die kurzen schwarzen Haare um ihr Gesicht tanzten.

Jack seufzte. „Und das soll wirklich seine kleine Halbschwester sein?“

Empört ballte Sakura die Hände zu Fäusten. „Hey, Eagle kann auch keine Verbände wechseln!“

„Ich hab vom Gehirn geredet, nicht von den Muskeln.“, machte Jack sarkastisch deutlich welchen ihrer Halbbrüder er gemeint hatte.

Trotz der gegenwärtigen Situation meinte Carsten, Anne bei dem Kommentar leise auflachen zu hören.

Sakura erwiderte nichts darauf, sondern musterte ihn weiterhin mit diesem hasserfüllten Blick. Nun ja, Jack war immer noch der Mörder ihres Vaters. Sie hatte also eigentlich das volle Recht ihn zu hassen.

Betrübt fragte sich Carsten, ob er Jack nicht deswegen eigentlich auch hassen sollte. Oder eher wie es dazu gekommen war, dass er dem Mörder seines Vaters trotz allem keinen Hass entgegenbringen konnte.

… Und Benni wurde früher immer als gefühlloses Monster beschimpft? Dabei war Carsten doch um so vieles herzloser…

Derweil hörte er Jack erneut seufzen. „Na gut, ich komme nachher vorbei und zeige dir, wie das geht.“ Nach einem Blick zu dem hölzernen Eingangsportal wandte er sich an Annes Mutter. „Die Schlaftabletten bringe ich gleich noch. Aber erstmal möchte ich schauen, ob noch jemand Hilfe beim verarztet werden braucht.“

Er wollte sich zum Gehen wenden, doch ein schwaches ‚Warte‘ von Sultana hielt ihn zurück.

Annes Mutter betrachtete ihn mit erschöpftem Blick. „Was… passiert jetzt mit… mir?“

Jack zuckte mit den Schultern. „Du schläfst, versuchst wieder zu Kräften zu kommen, wirst wahrscheinlich etwas traumatisiert sein und Albträume haben… Das Übliche halt.“

„Und der… Dämon?“ Die Angst in ihrer Stimme war nicht zu überhören und erneut merkte Carsten, wie sich Annes Griff um seinen Arm verstärkte.

„Der wird dir nichts mehr antun.“, antwortete Jack direkt. „Dafür hat Benni gesorgt.“

„Du meinst durch…“

„Na ja, er scheint Carsten, Laura, Anne und den anderen ja unbedingt helfen zu wollen. Und wenn das die einzige Möglichkeit ist, ist das für ihn immer noch besser als tatenlos zu warten und zu hoffen.“

Bedrückt atmete Sultana aus. „Dann richte ihm zumindest… meinen Dank aus…“

„Das kannst du selbst machen, wenn es dir wieder besser geht.“, erwiderte Jack lediglich, schob Sakura -die wieder Reißaus nehmen wollte- zurück in die Zelle, schloss die Gitter hinter sich und verschwand aus dem Bild.

Noch während die quietschende Tür in die Angeln fiel, beobachtete Carsten wie sich seine kleine Halbschwester auf das andere Bett setzte und Sultana besorgt betrachtete. „Wie geht es Ihnen?“

„Es ging schon mal besser…“

Plötzlich wurden die Stimmen immer undeutlicher und das Bild begann zu verblassen. Irritiert schaute Carsten auf und bemerkte, dass Anne aufgestanden war und sich einige Schritte von ihm entfernt hatte.

„… Wie geht es dir?“, erkundigte er sich bei ihr, wie zuvor schon seine kleine Halbschwester bei Sultana.

Geräuschvoll atmete Anne aus. „Sie lebt, das ist die Hauptsache…“

Doch so taff sie auch versuchte zu klingen, das Zittern in ihrer Stimme konnte sie nur schwer verbergen.

„Ihr wird nichts mehr passieren.“, versuchte Carsten ihr Mut zuzusprechen.

Anne schnaubte. „Ich werd mich wohl bei der nächsten Gelegenheit bei Benni dafür bedanken müssen.“

Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf Carstens Lippen ab. „Ist das immer noch so schlimm für dich? Sich bei einem Jungen zu bedanken?“

Seufzend lehnte sich Anne gegen einen der Dachbalken und betrachtete eins von Carstens Magielichtern.

Als sie auch nach einer Weile immer noch schwieg, fragte Carsten: „Wie geht es jetzt weiter?“

„Ich berichte den Beratern in Dessert was ich gesehen habe und dann überlegen wir, was die beste Lösung ist. Bisher wurde der Bevölkerung erzählt, dass sie krank sei und eine Auszeit brauche… Nach der Sache mit Eagle und eurem Vater ist die Situation insgesamt schon angespannt genug. Eine Information zu viel und es könnte direkt Panik ausbrechen.“

„Das ergibt Sinn. Und aus diesem Grund soll auch ich es geheim halten.“, folgerte Carsten und betrachtete Anne weiterhin. Sie schien sich nicht der Bequemlichkeit halber gegen diesen Balken zu lehnen. Eher wirkte es als bräuchte sie ihn als Stütze, um nicht direkt zusammenzubrechen. Um vor Carsten keine Schwäche zu zeigen.

… Aber das hatte doch gar nichts mit Stärke und Schwäche zu tun! Warum war es Leuten wie Eagle und Anne so wichtig, dass niemand sie weinen sah? Warum war es ihnen so unangenehm, solche Gefühle zu zeigen?

Carsten richtete sich auf und ging zu Anne rüber, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen. „Kann ich dir sonst irgendwie helfen?“

Doch Anne schüttelte den Kopf. „Die Klappe halten reicht schon.“

„Aber-“

Sie schlug seine Hand weg. „Ich brauche keine Hilfe, Carsten!“

„Tut mir leid, aber sonderlich überzeugend ist das nicht.“

„Ich…“ Anne biss sich auf die Unterlippe und ballte die Hände zu Fäusten. Sie war kurz davor den Kampf gegen ihre Gefühle zu verlieren. Es fehlte nur noch eine Kleinigkeit.

Carsten ertappte sich beim Abwägen, ob es nun besser war sie alleine zu lassen oder ihr Beistand zu leisten. Anne nahm so ungern Hilfe an, hasste es regelrecht von anderen unterstützt zu werden. Aber gleichzeitig machte sie auf Carsten nicht den Eindruck der Typ zu sein, der in so Fällen die Einsamkeit suchte. Sie war nicht wie Benni oder Ariane, die sich erst einmal alleine und in Ruhe mit diesen Gefühlen auseinandersetzen mussten. Sie war eher wie Laura. Sie brauchte jemanden der sie auffing. Sie brauchte eine Stütze, an der sie sich festhalten konnte. Die ihr half, wieder aufstehen zu können.

Anne hatte schon eine Woche lang in der Ungewissheit gelebt, ob ihre Mutter überhaupt noch unter den Lebenden weilte. Eine Woche lang hatte sie dieses Leid bereits in sich herumgetragen. Das war zu viel. Sie konnte nicht mehr.

Carsten brauchte keine Sekunde, um diese Gedanken zu Ende führen zu können. Vorsichtig ging er auf Anne zu und nahm sie in die Arme. Und sie gab den Kampf gegen ihre Gefühle auf.

Mit einem lauten Schluchzen klammerte sie sich an ihn und ließ endlich die Tränen raus, die sie all die Zeit versucht hatte zurück zu halten. Schrie endlich ihren Schmerz heraus, den sie bisher vor jedem verbergen musste.

Während Carsten seinen Griff um ihre bebenden Schultern verstärkte schweifte er mit den Gedanken zu dem unvollständigen Zauber ab. Sie hatten keine Zeit mehr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Regina_Regenbogen
2020-09-28T20:01:35+00:00 28.09.2020 22:01
Oh wow. Annes Mutter ist beeindruckend.
Und ich mag die Freundschaft zwischen Anne und Carsten so. Nur ihm zeigt sie ihre verletzliche Seite. Das ist voll schön.
Jacks „Weil es manche Dinge gibt, die man besser bereuen sollte.“ war einfach genial! Genau was ich auch gedacht hatte! :D
Und Carsten sollte sich nicht einreden, dass das seine Schuld ist, es war Jacks Entscheidung, Chief zu töten. Naja, er kann ja nicht wissen, dass Jack an seinen eigenen Vater gedacht hat. Auf jeden Fall ist es verständlich, dass er Jack nicht hasst. Jack war netter zu ihm als sein Vater in seinem ganzen Leben und dass obwohl er ihn fast umgebracht hat. :'D Carsten versteht halt, warum Jack so kaputt ist. Und Carsten hat ja auch nie erfahren, warum sein Vater so schrecklich zu ihm war, wobei das auch ne echt blöde Begründung war von diesem selbstgerechten Egoisten war.
Also ja, ich bin ganz auf Jacks Seite. :'D
War auch sehr eindrücklich beschrieben, z.B. wie Mars auf Carsten wirkte. Und du machst das immer toll, wie man den Charakteren die Gefühle an der Körperhaltung ansehen kann. Man fühlt da richtig mit, was meinen Kommentaren wohl zu entnehmen ist XD

Antwort von:  RukaHimenoshi
29.09.2020 07:28
Beeindruckend vulgär. XD (Okay, natürlich auch vom Charakter her. ;) )
Haha, es ist so wahr und klingt so absurd. X'D Aber du hast recht, Jack war wirklich trotz dieses Unfalls und obwohl er der Bösewicht ist netter zu Carsten, als dessen eigener Vater. ^^"
Vielen Dank <3 "Richtig mitfühlen" ist wohl mein Hauptziel bei alldem. XD


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