Demon Girls & Boys von RukaHimenoshi ================================================================================ Kapitel 69: Eifersucht und Machtlosigkeit ----------------------------------------- Eifersucht und Machtlosigkeit       „Wollt ihr mich verarschen?“ Alles andere als begeistert verschränkte Anne die Arme vor der Brust. Nach der ganzen Aktion von Öznur hatte sie beschlossen das Training links liegen zu lassen und sich einfach mal mit der dummen Gans des Jahrhunderts zu unterhalten. Und ja, es ging ihr nun tatsächlich besser. Sie nahm Öznur die Aktion damals zwar immer noch übel aber das Wissen, dass es Öznur leid tat und sie es wirklich bereute, machte die Sache einfacher. Viel einfacher. Bis eben. Verbissen beobachtete Anne wie Susanne einen Typ über das Sportgelände führte und ihm den Campus der Coeur-Academy zu zeigen schien. Das war zwar nicht weiter von Bedeutung aber dass der Kerl dabei einfach so Susannes Hand hielt, löste in Anne eine lodernde Mordlust aus. Gleichzeitig hatte sie den Eindruck, jemand habe ihr einen Dolch ins Herz gerammt. „Das ist Miguel, oder?“, vermutete Öznur nachdenklich. „War. Wenn er nicht gleich ihre Hand loslässt.“, erwiderte Anne kopflos und verärgert. Öznur betrachtete sie irritiert. „Alles okay?“ Anne schnaubte. „Nichts ist okay.“ Öznur wollte etwas erwidern, doch dummerweise hatte Susanne sie bereits gesehen und musste natürlich zu ihnen rüber kommen. Das Schwein klebte derweil immer noch an ihrer Hand. Er war ein dunkler Typ mit schwarzen Locken und dunklen Augen, der sehr schnöselig gekleidet war. „Guten Morgen.“, grüßte Öznur die beiden. „Du musst Miguel sein, oder?“ Besagter Typ nickte. „Genau der. Und du bist… Öznur?“, vermutete er und reichte ihr die Hand, als Öznur seine Aussage bestätigte. Seine Hand wanderte zu Anne weiter, die jedoch nur die Arme vor der Brust verschränkte als sie knapp ihren Namen nannte. Sie wollte dem Arsch nicht die Hand geben. Er widerte sie an. Doch den Idioten schien das nicht weiter zu stören. Er lächelte die beiden Mädchen an. „Es freut mich, endlich Susannes Freundeskreis kennenlernen zu können.“ Wie kannst du es wagen ihren Namen zu nennen?, dachte Anne verärgert. Sie hatte keine Ahnung, warum sie dem Kerl bei jedem Wort am liebsten den Hals umdrehen würde. So krass war das noch nicht einmal gewesen als sie damals Carsten, Benni, Eagle oder sonst jemanden der Dämonen-Typen kennengelernt hatte. Aber es war nun mal so. Er kotzte sie einfach direkt an. Öznur nickte. „Uns freut es auch, dich endlich mal zu treffen.“ Anne schnaubte. Pah, von wegen. Derweil wandte sich Öznur an Susanne. „Aber warum hast du denn nichts gesagt, Susi?“ Diese seufzte. „Entschuldigt, ehrlich gesagt habe ich es bei all dem was passiert ist einfach vergessen. Aber Miguel wollte unbedingt noch während der Semesterferien vorbeikommen und hatte sich bereits als Gast angemeldet, da wollten wir es nicht mehr verschieben… Aber Öznur, ich dachte du wärst…“ Bedrückt wandte Öznur den Blick ab und Anne meinte zu sehen, dass ihr schon wieder Tränen in die Augen schossen. „Wir… haben uns gestritten.“ „Was?!“ Die Sorge und Anteilnahme in Susannes Stimme war nicht zu überhören, ebenso die Überraschung. Mit ihrem engelsgleichen Mitgefühl betrachtete sie Öznur. „Oh nein, das tut mir so leid… Wie… Wie konnte es dazu kommen?“ Betrübt zuckte Öznur mit den Schultern. „Wie du schon sagtest… Es ist viel passiert… Ich glaube, er… Er…“ „…Braucht etwas Zeit für sich.“, ergänzte Anne und befürchtete, dass Öznur direkt wieder losheulen würde. Mitleidig atmete Susanne aus. „Wahrscheinlich habt ihr recht… Und… Wie geht es Carsten?“ Das würde Anne auch gerne wissen. „Angeblich besser.“, antwortete Öznur, immer noch deprimiert. „Aber es scheint wohl noch eine Weile zu dauern, bis er wieder fit ist.“ Susanne nickte. „Den Eindruck hatte ich gestern auch. Carsten hat sich einfach viel zu sehr überarbeitet.“ „Ist das nicht der hochintelligente Indigoner, von dem du erzählt hast?“, erkundigte sich Miguel. Schon wieder würde Anne ihm am liebsten eine reinhauen. Susanne nickte. „Leider ist er momentan daheim. Gestern Abend ist er mit hohem Fieber zusammengebrochen und ich kann mir vorstellen, dass er eine Weile braucht, bis er wieder völlig genesen ist.“ „Herrje, das tut mir leid.“, erwiderte er und schien wirklich Mitleid zu haben. „Ich hätte ihn so gerne kennengelernt.“ „Ich bin mir sicher, dass ihr euch gut verstehen würdet.“, sagte Susanne. „Nach dem was du so erzählt hast glaube ich das auch. Außerdem hätte ich gerne mal seine Meinung zu Indigos momentaner Situation erfahren. Die Nachrichten erzählen zwar viel, aber es wäre sehr interessant, die Lage aus der Sicht eines Indigoners geschildert zu bekommen.“ Anne lachte in sich hinein. Oh ja, Carstens Sicht ist definitiv interessanter als die der ganzen ausländischen Reporter. Da fiel ihr auf, dass der Kerl wahrscheinlich gar nicht wusste, dass Carsten der kleine Bruder des erst gestern gekrönten Häuptlings war. Wenn Susanne nicht direkt von Eagle erzählt hatte war es unmöglich die Verwandtschaft alleine aufgrund der Namen zu erkennen. Denn in den Medien wurde Chiefs zweiter Sohn immer nur Crow genannt. Anerkennend hob Anne eine Augenbraue. Carsten hatte das mit seinem inoffiziellen Erstnamen gar nicht mal blöd angestellt. Bis auf ihre Gruppe wusste so gut wie keiner über seine Abstammung Bescheid. Widerwillig begleitete Anne Öznur, Susanne und das Schwein bei dem Rundgang über den Schulcampus, bis es Zeit fürs Mittagessen war. Wo er ihnen natürlich auch unbedingt Gesellschaft leisten musste. Zumindest Lissi zeigte ebenso wenig Begeisterung wie Anne. „Ich habe deine Kür bei der Krönungszeremonie gestern im Fernsehen gesehen.“, startete Miguel ein Gespräch mit Susannes jüngerer Zwillingsschwester. „Das war wirklich eindrucksvoll. Du bist letztes Jahr zurecht Junior-Damonmeisterin geworden.“ „Danke.“, nahm Lissi das Lob kurz gebunden an und bevorzugte es, ihre Aufmerksamkeit auf die Nudeln zu richten. „Wie kommt es, dass du diejenige warst, die für Eau den Beitrag geleistet hat?“, hakte Miguel nach. Lissi zuckte mit den Schultern. „Ich wollte einfach. Und deshalb habe über Padres Bekanntenkreis mal nachgefragt, ob die hohen Tiere damit einverstanden wären. Die fanden das ne nette Idee und deshalb durfte ich mitmachen. Mehr war das nicht.“ „Du untertreibst, ich fand das wirklich toll von dir.“ „Das stimmt, Lissi. Deine Kür war sogar noch besser als die von den Meisterschaften letzten Jahres.“, gab Susanne dem Typen recht. Erneut zuckte Lissi mit den Schultern. Ja, sie schien von der Situation wirklich genauso wenig begeistert wie Anne. Ziemlich ironisch, dass sie ausgerechnet mit Lissi mal einer Meinung war. Auch Miguel schien zu merken, dass er bei Susannes jüngerer Zwillingsschwester nicht gerade hoch im Kurs war. Daher wandte er sich an den Rest als er das Gespräch fortfuhr: „Ich war an sich richtig beeindruck von dem Programm gestern Abend. Nur dieser traditionelle indigonische Tanz war etwas…“ „… unerwartet?“, schlug Janine vor und schien Susanne zuliebe zu versuchen, die abweisende Haltung einiger Mädchen auszugleichen. Sie sollte sich gar nicht erst die Mühe machen. Miguel nickte. „Das trifft es ganz gut.“ „Oh ja, wir waren auch leicht geschockt.“, gab Ariane ihm Recht. Die Erinnerung daran schien Lissi zu amüsieren. „Du solltest wirklich überlegen, den Tanz Cärstchen zuliebe zu lernen.“ Während der Rest der Mädchen plötzlich loslachte verdrehte Ariane genervt und leicht verlegen die Augen. „Ich sagte doch schon, dass ich nicht tanzen kann.“ Janine kicherte. „Abgesehen davon würde er vor Scham wahrscheinlich direkt in Ohnmacht fallen.“ „Meint ihr diesen Carsten?“, erkundigte sich Miguel. „Dein Freund?“ Ariane schüttelte den Kopf. Da ergänzte Öznur plötzlich: „Noch nicht zumindest.“ Allmählich wurde Anne verwirrt. „Klärt mich mal jemand auf?“ Lissi kicherte. „Die beiden kommen sich endlich ein bisschen näher.“ „Wir haben nur den Nachmittag miteinander verbracht.“, dämpfte Ariane die Situation etwas ab und wirkte immer noch beschämt. Öznur zwinkerte ihr zu. „Zu zweit, ohne sonst jemanden. Und ihr habt in naher Zukunft ein Date.“ Ariane pustete einige Strähnen ihres Ponys aus dem Gesicht. „Eventuell. Wenn wir endlich mal wieder etwas Ruhe haben.“ „Ist das dein Ernst?“ Wie kam es eigentlich, dass nur Anne von all dem überrascht schien? Na gut, sie hätte sich auch nie vorstellen können, dass Carsten überhaupt mal jemandem näherkommen würde. Sie wusste nicht, wieso. Aber Carsten schien in ihren Augen einfach nicht für eine normale Beziehung gemacht. Wobei sie dasselbe auch über Benni gedacht hatte und bei dem und Laura wurde es ja im Endeffekt ekelhaft kitschig. Seufzend legte Ariane die Gabel zur Seite. „Denkt ihr ernsthaft, dass ich bei euren ganzen Andeutungen nicht mal irgendwann versuche herauszufinden, was genau nun Sache ist?“ „Na ja, etwas überrascht war ich schon, als du am Freitag plötzlich nach Indigo bist.“, gestand Laura. Öznur nickte. „Ich auch. Besonders, da du sogar mal gesagt hattest, dass du kein Interesse an Beziehungen hast.“ „Ich bin einfach neugierig.“, erwiderte Ariane. „Ich mag Carsten und wenn er sowieso an mir interessiert ist, was ja jeder von euch ständig andeutet, habe ich mir gedacht ich sollte einfach mal schauen, wie er reagiert. Ob er wirklich mehr als Freundschaft empfindet.“ „Und dein Fazit?“, fragte Laura neugierig. Ariane seufzte. „Er ist viel zu schüchtern. Wisst ihr, wie viel Überwindung es mich gekostet hat ihm anzubieten, dass wir mal gemeinsam Eislaufen gehen könnten?“ Miguel zuckte mit den Schultern. „Wenn ich meine Meinung dazu äußern darf: Auch die Jungs sind mal ganz froh, wenn das Mädchen einen Schritt macht.“ Öznur nickte. „Die Erfahrung durfte ich auch schon machen. Aber Carsten scheint wirklich ein Fall für sich zu sein. Ich meine: Wie lange steht er jetzt schon auf Nane, ohne auch nur irgendetwas unternommen zu haben?“ Laura kicherte. „Seit meinem Geburtstag auf jeden Fall. Wenn man an die Geschichte mit der Banane denkt…“ Anne konnte nicht anders als loslachen. Sie hätte die Szene nur zu gerne Live miterlebt. Selbst in ihrer Vorstellung übertraf es alle Komödien zusammen. „Du musst mir nachher unbedingt davon erzählen, Susanne.“ Belustigt betrachtete Miguel sie und die restlichen lachenden Mädchen, was Annes Laune sofort wieder in den Keller fallen ließ. Warum nochmal musste der Typ hier sein? Doch Susanne wischte sich lachend eine Träne aus den Augen. „Werde ich, definitiv.“ Auch Lissi wischte sich eine Träne aus den Augen und es war exakt dieselbe Bewegung wie die ihrer Zwillingsschwester. „Also wenn ihr es genau wissen wollt: Ich hatte schon seit der Faschingsfeier den Eindruck, dass Cärstchen für BaNane schwärmt.“ Öznur runzelte die Stirn. „So lange schon? Ich hatte da gar nichts gemerkt.“ „Er hat es sich auch nicht so anmerken lassen.“, erwiderte Lissi schulterzuckend. „Das war eher so ein instinktiver Eindruck, den ich da hatte. Und er schien in BaNanes Gegenwart immer besonders nervös.“ „Nane-Sahne war mir lieber…“, kommentierte Ariane mürrisch, sagte kurz darauf aber überrascht: „Also seit über einem halben Jahr schon? Krass, mir ist das nie aufgefallen.“ „Hättest du es ohne die ganzen Andeutungen überhaupt jemals bemerkt?“, erkundigte sich Laura leicht belustigt. Ariane schnaubte. „Wie gesagt: Von ihm kam ja nie was. Er ist einfach viel zu schüchtern.“ „Von dem, was ich jetzt so gehört habe, scheint er zumindest ein ganz lieber Typ zu sein.“, merkte Miguel amüsiert an. Öznur seufzte. „Das ist er auch. Er ist einfach zu gut für diese Welt.“ „Jetzt übertreib mal nicht.“ Anne schüttelte verstimmt den Kopf. Wobei sie eigentlich immer noch nur genervt von diesem Typ war, der einige Meter zu dicht neben Susanne saß. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile. Als das Mittagessen endlich vorbei war, hoffte Anne schon, dass er sich endlich auf dem Heimweg machen würde. Doch dem war nicht so. Stattdessen begleiteten sie alle Susanne und den Idioten in den etwas abseits stehenden Bücherturm. Anne hielt sich selten in der Bibliothek der Coeur-Academy auf. Sie konnte den Charme des in dunklen, schweren Holzregalen gesammelten Wissens in Form von alten Büchern zwar verstehen, aber der Sportplatz gefiel ihr trotzdem besser. Miguel schien sich allerdings tatsächlich für die dicken Wälzer zu interessieren. Wie Carsten, wenn Anne so darüber nachdachte. „Nicht schlecht, das muss ich sagen.“, kommentierte er den Anblick der unzähligen Regale, als sie die Wendeltreppe des Turmes hinaufgingen. „Die Bibliothek meiner Uni wirkt zwar auch imposant, aber bei weitem nicht so gemütlich wie diese hier.“ „Stimmt es denn, dass Jura Studenten immer die Bücher voreinander verstecken, da der Wettbewerb unter ihnen so groß ist?“, erkundigte sich Öznur. Miguel runzelte die Stirn. „Dieses Klischee höre ich zum ersten Mal. Also ich habe zumindest bisher immer alle Bücher gefunden, die ich gesucht habe. Sollte wirklich mal eins wie vom Erdboden verschluckt sein, lasse ich es euch wissen.“ „Müsst ihr wirklich so viel auswendig lernen?“, hakte Ariane nach. Er seufzte. „Mehr, als mir lieb ist. Aber es geht…“ „Du klingst nicht ganz so überzeugt.“ „Es stimmt schon, das Studium ist ziemlich trocken.“ „Warum studierst du es dann?“, fragte Janine. „Das ist simpel: Weil meine Eltern es so wollten.“, antwortete Miguel. Anne runzelte die Stirn. „Und du machst das, was deine Eltern dir sagen?“ Was für ein schwacher Charakter. Er schüttelte den Kopf. „Unsinn, ich mache das schon aus eigenem Antrieb heraus. Auch, wenn es Phasen gibt, wo ich am liebsten alles hinschmeißen würde.“ Miguel lachte auf. „Für gewöhnlich nennen die sich Klausurenphasen. Aber ich kann definitiv selbst über meine Zukunft bestimmen. Das ist mir gestern bei der Krönung des Häuptlings von Indigo aufgefallen.“ „Hä?“, fragte Öznur sehr geistreich. „Diesen Eid fand ich richtig krass. Als er sagte: ‚Dafür wurde ich geboren, dafür lebe ich und dafür sterbe ich.‘ Da ist mir erst bewusst geworden, wie eingeschränkt man auch sein kann. Wahrscheinlich wurde er sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet eines Tages den Platz seines Vaters einzunehmen. Ich würde gerne wissen, ob er sich jemals Gedanken über Alternativen gemacht hat. Über ein ‚was wäre, wenn‘. Oder, ob er diesen Weg überhaupt gehen wollte.“ Anne merkte, wie Öznur betreten den Blick senkte. „Was denkst du denn über den neuen Häuptling?“ Nachdenklich betrachtete Miguel die ganzen Bücher. „Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Im Allgemeinen finde ich die Vorstellung richtig seltsam, wenn jemand die Herrschaft über meine Region hätte, der drei Jahre jünger als ich ist. Er ist in meinen Augen einfach noch ein Jugendlicher, der viel zu früh in dieser Situation gelandet ist. Und noch dazu direkt nachdem der eigene Vater brutal ermordet wurde. Es hieß ja sogar, dass er der erste war der die Leiche gefunden hatte. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man nach einer Woche all das verarbeiten und zu einem würdigen Herrscher werden soll. Das hat man ja auch bei seiner Rede gestern gesehen. Aber auf der anderen Seite…“ Eine Weile schwieg Miguel und die Mädchen wurden immer neugieriger. Selbst Anne. Immerhin war das die Meinung eines Außenstehenden, der noch nicht einmal wusste, dass seine Gesprächspartner in gewisser Weise mit dem neuen Häuptling befreundet waren. So mehr oder weniger. Schließlich fuhr er fort: „Ich kann mir schon vorstellen, dass der Häuptling sich irgendwann fängt und das alles lernen kann. Aber ganz überzeugt bin ich davon trotzdem nicht, da ich mich selbst niemals in so einer Situation sehen könnte. Andererseits könnte ich seinem kleinen Bruder all das direkt zutrauen. Crow hieß er, oder?“ „Wie meinst du das?“, fragte Ariane überrascht. „Im ersten Moment wirkte er zwar ziemlich unbeholfen, aber insgesamt hat er auf mich einen sehr kompetenten Eindruck gemacht. Ich muss ehrlich sagen, dass mir Crows Rede besser gefallen hat als die des Häuptlings. Ihm hätte ich sofort zugetraut, den Platz seines Vaters einzunehmen.“ Anne hob eine Augenbraue. Eagles Vorwürfe gestern Nacht schienen doch nicht ganz unbegründet. Zumindest war offensichtlich seine Sorge gerechtfertigt, dass Carsten mit seiner Rede das Volk eher für sich als für Eagle gewinnen würde. Laura schnaubte. „So ein Unsinn, er wäre überhaupt nicht der Typ dafür ein Häuptling zu sein. Carsten ist viel zu schüchtern! Als Kind hat er sich immer vor fremden Leuten versteckt und mit ihnen reden konnte er schon gar nicht. Und selbst jetzt hasst er es immer noch im Mittelpunkt zu stehen.“ Miguel betrachtete sie irritiert. „Carsten?“ Anne seufzte. Dieses Mädchen war viel zu emotional. Aber jetzt ließ sich auch nichts mehr an der Situation ändern, der Idiot schien viel zu scharfsinnig. Das dachte sich wohl auch Susanne. „Crow ist Carstens offizieller Name.“, erklärte sie ihm. „Hier kennen ihn alle nur unter seinem inoffiziellen Erstnamen, damit nicht jeder sofort weiß wer er ist.“ Miguels Augen weiteten sich vor Erkenntnis und Verwunderung. „Also ist der Carsten über den ihr die ganze Zeit redet…“ „Auch gleichzeitig Crow, Eagles kleiner Bruder.“, ergänzte Susanne nickend. Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus. „Wahnsinn, das hätte ich nicht erwartet. Und den neuen Häuptling kennt ihr dadurch auch?“ Erneut nickte Susanne und wies auf Öznur. „Die beiden sind zusammen.“ Betrübt senkte Öznur den Blick. „Das hoffe ich zumindest…“ Anne schlug ihr auf die Schulter, was wohl etwas fester als beabsichtigt war. „Jetzt hör auf zu flennen. Obwohl der Typ gerade absolut unzurechnungsfähig ist hat er nicht mit dir Schluss gemacht. Das ist doch immerhin etwas.“ Nun war auch der Rest der Mädchen neugierig und fragte was vorgefallen sei. Während Anne die Situation kurz mit „Er scheint momentan jeden zur Sau zu machen, der ihm nahesteht.“ zusammenfasste, schien Miguel von diesen Informationen absolut aus der Bahn geworfen worden zu sein. „Also… Wenn ich das nochmal zusammenfassen darf… Carsten ist Crow, der kleine Bruder des frisch gekrönten Häuptlings. Und du bist dessen Freundin?“, vergewisserte er sich. Öznur nickte, immer noch deprimiert und kurz vorm Heulen. Geräuschvoll atmete er aus und lehnte sich gegen ein Bücherregal. „Wahnsinn, jetzt bin ich vollkommen von der Rolle. Nun ergibt es auch Sinn, dass ihr die ganze Zeit meint es sei viel passiert. Das ist einfach…“ Verlegen lachte er auf. „Jetzt ist es mir richtig unangenehm, was ich eben über ihn gesagt habe.“ Susanne schüttelte den Kopf. „Das muss es nicht.“ „Stimmt, es war sehr interessant mal die Meinung von jemandem zu hören, der Eagle und Carsten nicht kennt.“, gab Laura ihr Recht. Miguel betrachtete sie eingehender. „Aber sag mir jetzt nicht, dass du die Prinzessin der Yami-Region bist, die gestern getanzt hat.“ Verlegen wandte Laura den Blick ab, während Miguel überrascht die Augenbrauen hob. „Ernsthaft?“ „Sieht man das nicht?“, fragte Ariane irritiert. „Doch, schon. Also ich dachte, dass du der Prinzessin sehr ähnlich siehst, aber… Wow. Einfach wow.“ Er wandte sich an Susanne. „Ich hätte nicht gedacht, dass du in so hohen Kreisen verkehrst.“ Kritisch runzelte Anne die Stirn. „Wie meinst du das?“ „Na ja, es ist doch Wahnsinn, wenn man Freunde eines so hohen Ranges hat, nicht wahr? Ich war ein paar Mal dank meinen Eltern bei etwas größeren, besonderen Events dabei. Es ist schon beeindruckend wer da alles ist. Was für Kleidung die Leute tragen, welche Autos sie fahren… Die hatten Geld, das konnte man deutlich sehen.“ Nun betrachtete Miguel Öznur. „Du bekommst garantiert richtig teure, noble Geschenke, oder?“ Anne betrachtete Öznur kritisch, während deren Gesicht eine leichte Zornesröte annahm. Im Prinzip war das genau ihr Gesprächsthema vom Vormittag. „Eagle hat bisher ein Mal etwas Teureres für mich bezahlt. Und das war das Kleid für die Abendgesellschaft.“, antwortete sie versucht ruhig. „Krass, auf der warst du sogar dabei?“ Der Arsch schien immer beeindruckter. „Aber überrascht bin ich schon, dass er dir nur ein Kleid gekauft hat. Ich dachte, so Leute werfen mit teuren Geschenken nur so um sich. Einen Ring hier, ein Goldkettchen da, ein neues Laptop, …“ Öznur ballte die Hände zu Fäusten. „So ein Unsinn!“ Klar, eigentlich sollte Anne sie jetzt beruhigen. Aber genau genommen hätte sie kein Problem damit, wenn Öznur den Kerl in ein Aschehäufchen verwandeln würde. Beruhigend hob dieses Schwein die Hände und lachte auf. „Sorry, so war das nicht gemeint. Ich hatte ihn nur so eingeschätzt, dass er seiner Freundin gerne mal so eine Freude bereitet.“ Ariane runzelte die Stirn. „Das nennst du eine Freude bereiten? Würdest du denn sowas machen?“ Der Idiot zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Wenn man schon das Geld dazu hat…“ „Aber sind nicht kleine Geschenke, die gut zu der Person passen, viel schöner? Oder etwas Selbstgemachtes, wo man sieht, dass man viel Arbeit und Zeit für denjenigen reingesteckt hat?“, warf Laura ein. Miguel lachte auf. „Du meinst so Herzchen, die man in der Grundschule immer für seine Mutter am Muttertag gebastelt hat?“ Verlegen schaute Laura auf den Boden, während Ariane einen Arm um ihre Schultern legte. „Ja, im Prinzip genau sowas. Meiner Meinung nach ist das wertvollste, was man jemandem schenken kann, seine Zeit. Egal, ob man das über ein selbstgemachtes Geschenk oder gemeinsame Unternehmungen ausdrückt.“ Der Typ betrachtete sie amüsiert. „Das ist eine süße Einstellung. Aber leider Gottes auch ziemlich naiv. Irgendwann hat man einfach keine Zeit mehr, um so etwas zu ermöglichen.“ „Und dadurch werden solche Geschenke umso wertvoller.“, warf Janine ein. „Oh, ich wünschte, ich könnte auch wieder so unschuldige, unbeschwerte Gedanken haben. Gute alte Zeit.“ Er seufzte, wirkte allerdings gleichzeitig amüsiert. Als würde er die Einstellung der Mädchen nicht ganz nachvollziehen können und sie auch nicht groß ernst nehmen. Anne ballte die Hände zu Fäusten. Mit so einem oberflächlichen Depp wollte Susanne doch nicht ernsthaft zusammen sein, oder? Bisher hatte sie einfach was gegen ihn gehabt. Hätte am liebsten lautstark gebrüllt, dass er sich verpissen solle. Alleine aus dem Grund, da er Susannes Hand gehalten hatte. Doch jetzt verstand sie, warum selbst Lissi strikt gegen diesen Typen war. So ekelhaft nett er auch schien, das war ein oberflächlicher Vollidiot. Garantiert hatte er nur Interesse an Susanne, da sie so schlau und hübsch war, und da ihr Vater Karas Bürgermeister war. Anne wollte Susi im Allgemeinen nicht an der Seite eines Typen sehen. Aber an der von dem da noch viel weniger. Doch Susanne schien diese oberflächliche Einstellung nicht groß zu stören. Oder gar zu bemerken. Sie warf ein, dass sie Miguels Meinung irgendwie verstehen konnte. Wobei sie kleine, persönliche Geschenke oder die gemeinsam verbrachte Zeit viel wertvoller finde als den teuersten Schmuck. Nach geraumer Zeit schaffte es Anne, sich endlich abzuseilen mit dem Argument noch trainieren zu wollen. Überraschender Weise traf sie Lissi in der Turnhalle, die einen dunkelblauen, glitzernden Turnanzug trug und sich dehnte. Sie hatte sich zehn Minuten vor Anne von Miguel verabschiedet. „Noch ein Flüchtling?“, kommentierte Lissi ihr Eintreten. Anne schnaubte und streckte sich. „Der Typ ist ätzend. Keine Ahnung, was Susanne an dem findet.“ „Sie sieht einfach immer nur das Gute in den Menschen…“ Bedrückt legte Lissi ihren Fuß auf eine Sprosse der Sprossenwand und dehnte ihren Überspagat. Ja, ihre Gelenkigkeit war nicht schlecht. „Zumindest verstehe ich jetzt, warum du ihn schon die ganze Zeit nicht leiden konntest.“ Lissi erwiderte kurz Annes Blick und dehnte nach einer Weile die andere Seite. „Was machst du eigentlich hier, Banani? Das Fitnessstudio ist auf der anderen Seite.“ Genervt verdrehte Anne die Augen. „Ich gehe nicht nur ins Fitnessstudio. Außerdem wollte ich noch an meinen Saltos feilen.“ Die kleine, nervige Lolita wirkte leicht amüsiert, erwiderte allerdings auch nichts darauf. Stattdessen richtete sie sich auf, schwang ein Bein nach hinten, über den Kopf und verhakte den Fuß schließlich in einer Sprosse vor ihrem Gesicht. Anne hob eine Augenbraue. „Nicht schlecht.“ Lissi lachte auf. „Jetzt tu nicht so. Wir wissen beide, dass du gelenkiger als ich bist.“ „Na und? Ich kann das doch trotzdem nicht schlecht finden.“, erwiderte Anne schulterzuckend. Kritisch betrachtete Lissi sie. „Dass du etwas von mir nicht schlecht findest, ist mal was ganz Neues. Oder willst du dich bei mir einschleimen, damit ich dir bei den Saltos helfe?“ Belustigt lachte Anne auf. „Ich kann ja selbst kaum glauben, dass es Sachen gibt in denen du richtig gut bist.“ „Ich bin in mehr Sachen richtig gut als dir lieb ist, Süße.“, erwiderte Lissi mit ihrem flirtenden Lissi-Unterton. Der Luftkuss hätte trotzdem nicht sein müssen. Anne stöhnte entnervt auf. Es war immer noch Lissi. „Turnen und Rhythmische Sportgymnastik reicht mir.“ „Und Schwimmen, Tanzen, Küssen, Bl-“ „Ja, ja!“, unterbrach Anne sie schnell, bevor Lissi mit noch mehr Details kam. „Ich sagte doch schon, Turnen und Rhythmische Sportgymnastik reicht mir.“ „…Und deine dunkelsten Geheimnisse ans Tageslicht bringen.“ „Aha. Und die wären?“ „Dass du auf meine Schwester stehst.“ Mit einem Schlag wurde Anne verdammt unwohl und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Das Gefühl wurde nicht besser, als Lissi sie mit einem vollkommen ernsten Blick betrachtete, der gar nicht zu ihrer sonst so unbeschwerten, planlosen Art passte. Nein, dieser Blick hatte sogar etwas leicht Bedrohliches an sich. Und Tatsache, selbst Anne schaffte es nicht ihm standzuhalten. „W-wie kommst du denn auf so eine absurde Idee?“ „Banani, ich hatte seit Fasching bei Cärstchen den Eindruck, dass er auf Nane-Sahne steht. Dösi und Beagle sind zu eindeutig, die lassen wir mal aus. Ebenso Lauchs Verliebtheit in Bennlèy. Was den betrifft war ich mir übrigens spätestens seit Valentinstag sicher, dass er in sie verliebt ist. Denkst du da ernsthaft, ich würde deine Gefühle für meine Schwester nicht bemerken?“, erwiderte sie ruhig. Zu ruhig. Eine ruhige See, bei der man sich nicht sicher war, wann der nächste Sturm kommen würde. Anne ballte die Hände zu Fäusten. „Und? Hast du was dagegen, dass eventuell eine Frau Interesse an deiner Schwester hat?“ Lissi warf ihr einen eindeutigen Blick zu. „Ich wär wohl die letzte, die damit ein Problem hat.“ Sie verließ die Sprossenwand und kam zu Anne rüber. Obwohl sie fast zehn Zentimeter kleiner war als Anne, hatte diese den Eindruck von einer Wölfin in die Ecke getrieben worden zu sein. Und nicht mehr entkommen zu können. „Womit ich ein Problem habe bist du. Du mit deinem egoistischen Charakter.“ Was hat die da gesagt? Verbissen erwiderte Anne Lissis Blick und würde ihr am liebsten den Kopf abschlagen. „Wie meinst du das?“ „Du bist nicht so oberflächlich wie Miguel, das stimmt. Aber jemand, der bei einem Wutausbruch meine Schwester einfach so gegen die Wand stößt, ist eindeutig nicht gut genug für sie.“ „Was?! Wovon redest du?!“ Anne wurde immer unwohler. Eigentlich wusste sie genau, wovon Lissi da redete. „Das weißt du genau.“, erwiderte diese direkt. „Damals bei deinem Zickenkrieg mit Öznur warst du es, die Susi mit Sand-Energie angegriffen hatte.“ „Ich hab mich entschuldigt!“, rief Anne aufgebracht. „Das ist egal!“ Auch Lissis Stimme wurde lauter. Die See wurde unruhiger. Ein Sturm zog auf. „Es ist egal, ob du dich entschuldigt hast. Es ist egal, was für einen Grund du hattest! Du hast sie damals angegriffen! Nur darum geht es! Und jemanden, der seine Impulsivität nicht unter Kontrolle hat und sogar jemanden verletzt, der ihm viel bedeutet, will ich an niemandes Seite sehen müssen. Schon gar nicht an der von meiner Schwester!“ „Verdammt noch mal, es tut mir doch leid!“ Anne wusste nicht wieso, aber sie fühlte sich auf einmal viel schwächer als Lissi. Sie hatte den Eindruck überhaupt nichts gegen sie ausrichten zu können. Komplette Machtlosigkeit. All das löste Lissi mit nur einem Blick aus. Alleine durch ihre Worte wusste Anne, dass sie verloren hatte. Ohne auch nur ein einziges Mal zu einem Schlag ausgeholt zu haben. Ohne überhaupt den Gedanken an einen Kampf verschwendet zu haben. Lissi hatte bereits gewonnen. Ohne es zu wollen wich Anne einen Schritt zurück. „Ich…“ Lissi wandte sich ab und kehrte zur Sprossenwand zurück. Sie betrachtete Anne gar nicht erst als Bedrohung. Anne knirschte mit den Zähnen. „So viel zum Thema zweite Chance.“ Lissi wandte sich ihr wieder zu und meinte schließlich: „Dann überzeuge mich vom Gegenteil. Zeige mir, dass du dich verändert hast.“ „Und nur dann lässt du mich in die Nähe deiner Schwester?“ Verächtlich schnaubte Anne. „Exakt.“ „Ach fick dich.“ „Muss ich nicht. Es gibt genug andere, die das für mich machen würden.“, erwiderte Lissi ruhig und alles andere als eingeschüchtert von Annes aggressivem Tonfall. „Abgesehen davon hilft das nicht gerade, mich vom Gegenteil zu überzeugen.“, ergänzte sie. Am aller liebsten würde Anne die Tussi windelweich prügeln. Aber irgendwie konnte sie es nicht. Irgendwas hinderte sie daran, ihre Aggressionen an Lissi auszulassen. War es, weil sie Susannes Schwester war? Hatte Anne Angst danach von ihr gemieden zu werden? Warum auch immer, Anne sah keine Chance irgendwie als Siegerin aus dieser Situation hervorzukommen. Verärgert wandte sie sich ab und verließ die Halle. Auf Training hatte sie keine Lust mehr. Zumindest nicht mehr auf Turnen. Lieber ging sie zum Kampfplatz. Doch bevor sie diesen erreicht hatte, spürte sie ihr vibrierendes Handy in der Hosentasche. Entnervt stöhnte Anne auf. Was denn jetzt? Kritisch betrachtete sie die ihr unbekannte Nummer. Der Anruf kam aus Dessert… Nach einem kurzen Zögern hob Anne ab. „Hallo?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)