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Demon Girls & Boys

von

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Bewährungsprobe

 Bewährungsprobe

 

 

 

Gedankenverloren schaute Carsten in den Sonnenuntergang. Er hatte den Herbst schon immer geliebt. Und nachdem er sechs Jahre lang nur von Grau umgeben war, war ihm so als würde er die Farbenpracht dieser Jahreszeit nun zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Die roten, gelben und teils auch grünen Blätter der Bäume wurden in das warme Orange der Sonne getaucht und warfen lange Schatten auf die braunen Felder und grünen Wiesen. Die Wolken schienen zu leuchten und das strahlende Blau des Himmels ging in einen sanften gelb-orange-Ton über.

„Wunderschön, nicht wahr?“, hörte er Laura sagen, die sich neben ihn auf das hölzerne Podest setzte. Er nickte.

„Auch, wenn es gar nicht zu der eigentlichen Atmosphäre passt…“, ergänzte sie und seufzte.

Carsten warf einen Blick zur Seite und beobachtete, wie sich Laura eine Strähne aus dem Gesicht strich. Seine Lippen formten sich zu einem schwachen Lächeln. Nicht nur die Landschaft war wunderschön. Lauras langen Haare waren eindrucksvoll hochgesteckt und wirkten bei diesem Sonnenuntergang feurig rot. Sie bildeten einen starken Kontrast zu ihrem hellgrünen Kimono mit dem roten Obi. Insgesamt passte Laura perfekt in dieses herbstliche Szenario.

„Es ist ungewohnt, dich mal nicht in schwarzer Kleidung zu sehen.“, meinte er. „Aber grün steht dir auch sehr gut.“

Lauras Wangen nahmen einen leicht rötlichen Ton an. „Ich finde es trotzdem seltsam…“

„Und nachher tanzt du auch noch…“ Nachdenklich und auch leicht amüsiert verschränkte Carsten die Arme vor der Brust. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass Benni die Krise bekommt, dich nur im Fernsehen und nicht aus der Nähe sehen zu können.“

Lauras Gesicht wurden noch roter. „Musstest du mich daran erinnern?“

„An was? Benni oder das Tanzen?“

„Mann, Carsten!“ Beschämt wich sie seinem Blick aus. „…Beides…“

„…Bist du sehr aufgeregt?“

Sie atmete tief durch und schaute ihm schließlich wieder in die Augen. „Du etwa nicht?“

„… Doch, natürlich.“ Carsten betrachtete seinen Vater, der immer noch auf dem hölzernen Podest mit all den Blumen und Federn lag. Allmählich senkte sich die untergehende Sonne zu ihm hinab und verlieh seinem Körper einen rötlichen Glanz. Und bald würde das rote Leuchten ein anderes sein… Das Lodern der Flammen.

Carsten versuchte den Gedanken daran zu verdrängen, jedoch ohne Erfolg.

„… Und Eagle?“, erkundigte sich Laura schließlich zögernd.

„Er kann keine Sekunde stillhalten und ist immer noch extrem gereizt. Koja wird für seine Indigonerbemalung wahrscheinlich ewig brauchen.“

„Wenn sie so krass wie bei dir ist, dann definitiv.“, kommentierte Laura die unzähligen weißen Muster auf seiner linken Gesichts- und Körperhälfte. „Aber dafür steht dir diese typische Indigonertracht richtig gut. Nur die kurzen Haare sind immer noch seltsam…“

Freudlos lachte Carsten auf. „Ich habe mich selbst noch nicht daran gewöhnt… Und werde es wahrscheinlich auch nie.“

Er versuchte das verwundbare Gefühl zu ignorieren, als ein kalter Windstoß seinen freien Nacken streifte. Doch auch das gelang nicht.

Carsten spürte Lauras warme Hand in der Nähe seines Halses, als sie über eine der zwei Federn strich die in seinem Haar befestigt waren. Derweil ließ er seinen Blick über den sich immer mehr füllenden Platz vor der Bühne streifen. Es schien als sei die gesamte Bevölkerung Kariberas gekommen und unzählige Indigoner von anderen Stämmen, die alleine für den heutigen Tag angereist waren. Sie alle wollten die Bestattung des alten Häuptlings sehen. … Und den Amtsantritt des neuen. Eagles Amtsantritt.

Carsten schauderte und betrachtete die Stammesoberhäupter, die Chief am nächsten saßen und sich mit gedämpften Stimmen unterhielten. Er wollte die Gesprächsthemen gar nicht erst wissen.

Mittig in den ersten Reihen befanden sich die geladenen Gäste aus den anderen Regionen. Unter ihnen Lauras und Bennis Eltern, sowie Anne mit ihrer Mutter Sultana. Auch Anne trug die für Dessert traditionelle Tracht und Carsten war überrascht, wie elegant sie wirken konnte, wenn sie sich entsprechend ihres Standes kleidete. Für einen Moment erwiderte sie Carstens Blick und warf ihm ein leicht spöttisches und gleichzeitig genervtes Lächeln zu. Offensichtlich fühlte sie sich in dieser Kluft nicht sonderlich wohl.

Auch Florian und die Königsfamilie der Elben waren anwesend, sowie weitere Vertreter aus nahezu allen anderen Regionen in Ausnahme von Mur und Spirit. Mur war selbsterklärend. Und die Vampire hatten laut Sisikas Notizen noch nie bei einer Krönungszeremonie von Indigo beigewohnt. Carsten blickte in die untergehende Sonne. Verwundert war er nicht.

Die Personen die sich Carsten am nächsten befanden waren Familienmitglieder und Freunde, die nicht zu den Stammesoberhäuptern oder Volksvertretern der anderen Regionen gehörten. Ganz vorne saß Saya, die Carsten bedrückt zulächelte. Außerdem noch Eagles Freundeskreis und die restlichen Mädchen aus der Coeur-Academy.

Eine Zeit lang blieb Carstens Blick an Ariane haften. Obwohl die strahlende Atmosphäre, die sie sonst immer umgab, seit dem Vorfall mit ihrer Schwester stark gedämpft war, verblassten die Strahlen der Sonne neben ihr noch immer. Carsten fragte sich, wie viel dieses Lichtes von ihrer Energie und wie viel von ihrer Persönlichkeit kam. War es wirklich einfach nur ihr Lächeln, was in seinem Herzen diese Wärme auslöste? Hatte sie diese Wirkung auch auf andere oder nur auf ihn?

Nervös wandte sich Carsten ab und versuchte sein pochendes Herz zu ignorieren. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass sie mit ihm Schlittschuhlaufen gehen wollte. Nur sie beide. Zu zweit. Eine… Verabredung. Carsten seufzte. So aus der Übung und aufgeregt wie er war, würde er wahrscheinlich direkt ausrutschen und auf die Nase fallen. Er würde sich sofort vor ihr blamieren. … Mal wieder.

Lauras Kichern ließ ihn hochschrecken. „Was ist?“

Sie winkte ab. „Nichts, nichts. Es ist nur… Egal wie eindrucksvoll du in deiner Stammesmagier-Tracht auch wirken magst, du bist einfach super süß.“

„… Ist das deine Rache dafür, dass wir dich sonst immer gerne wegen Benni aufgezogen haben?“, fragte Carsten beschämt.

„Unsinn, es ist einfach so.“ Sie warf einen Blick über die Schulter und ihr Ton wurde besorgniserregend ernst. „… Es geht los…“

Nun schaute auch Carsten hinter sich. Koja kam gemeinsam mit Eagle und Öznur auf sie zu.

Eagles Gesicht und sein Oberkörper war mit weißen und dunkelroten Mustern verziert, die zwar sehr schlicht, aber dafür umso herrschaftlicher wirkten. Seine Mimik schien wie aus Stein gemeißelt. Carsten fragte sich, was gerade im Kopf seines großen Bruders vorging. Wie er sich wohl fühlen musste. Ein Blick auf die Hand, mit welcher er verkrampft die von Öznur hielt, zeigte wahrscheinlich nur einen kleinen Teil von Eagles Anspannung. Ließ nur ein bisschen erahnen, wie groß die Last war, die er auf seinen Schultern trug. Die ihn zu erdrücken drohte.

Tiefe, regelmäßige Paukenschläge ertönten. Laura sprang vom Holzpodest herunter und drückte Carsten noch einmal kurz an sich. Sie flüsterte ihm auf Japanisch ‚Du schaffst das‘ zu, ehe sie zu ihrem Platz zwischen ihren und Bennis Eltern zurückkehrte. Zeitgleich hatte wohl auch Öznur Eagle viel Glück gewünscht und war nun bei Ariane und den anderen Mädchen der Coeur-Academy. Auch Carsten verließ seinen ursprünglichen Platz und setzte sich neben Saya.

Allmählich ebbten die Gespräche der Gäste ab und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf den angehenden Häuptling und die Stammesälteste, welche das Podest betraten, auf dessen Rand vor kurzem noch Carsten gesessen hatte.

Nach und nach wurden die Paukenschläge schneller und ebenso beschleunigte sich Carstens Puls. Obwohl er sich wegen der Erkältung mit einem Wärmezauber ausgestattet hatte, begann sein Körper zu zittern. Und dabei war es sogar komplett windstill, wie er überrascht feststellte. Es wehte kein noch so kleines Lüftchen. Genauso wie gestern Abend…

Nachdenklich betrachtete er Eagle, doch sein großer Bruder starrte einfach nur schweigend geradeaus auf Chiefs Leiche. In seinen Augen brannte eine einzige Frage: ‚Warum tust du mir das an?‘

Verbissen ballte Carsten die Hände zu Fäusten. Gab es denn nichts, was er machen konnte um Eagle diese Situation zu erleichtern? Gar nichts? Noch nicht einmal irgendeine Kleinigkeit?

Er spürte, wie Saya ihre Hand auf seine legte. Auch sie hatte Angst. Auch ihre Anspannung konnte man fühlen.

Carsten beobachtete wie Eagle im Schneidersitz platznahm, während Koja von der Empore auf die Hauptbühne trat. Nachdem der letzte Paukenschlag verklungen war, murmelte Carsten leise einige Sätze auf Dryadisch. Ein Zauber, der es jedem ermöglichte ihre Worte zu verstehen, selbst wenn man kein Indigonisch beherrschte. Und ein weiterer Zauber, der ein großes Ebenbild von Koja in die Luft hinter ihr projizierte, als befände sich dort eine gewaltige Leinwand.

„Ich heiße euch alle herzlich willkommen.“, begann sie mit ruhiger und trotzdem von Macht erfüllter Stimme zu sprechen, welche selbst ohne Mikrofon problemlos über den gesamten Platz hallte. „Und möchte mich im Namen Indigos für euer zahlreiches Erscheinen bedanken.“

Schweigend hörte er Koja zu, wie sie begann die Situation zu schildern. Wie sie das erzählte, wovon die Medien bereits all die Zeit berichtet hatten. Chiefs gewaltsamer Tod, die Trauer und Bestürzung des gesamten Volkes und nicht zuletzt das Erbe, was der Häuptling nun seinem ältesten Sohn hinterließ.

Anschließend verließ sie die Bühne mit einer höflichen Verneigung vor Chiefs Leichnam und überließ sie den fünf Stammesoberhäuptern der größten Städte Indigos, welche nacheinander die Bühne betraten und sich ebenfalls vor ihm verneigten.

Nun begannen auch die Stammesoberhäupter zu erzählen. Überhäuften ihren ehemaligen Häuptling mit Lobpreisungen für seine Taten und seine Stärke. Carsten konnte regelrecht spüren, wie sich Eagle in seiner Nähe immer mehr und mehr verspannte. Wie der mentale Druck ihm das Atmen erschwerte.

Mussten die Typen es ihm noch schwerer machen, als es ohnehin schon war?!? Natürlich gehörte es zum guten Ton, die Taten des ehemaligen Häuptlings zu lobpreisen. Doch sie verehrten ihn schon so sehr als sei er ein Heiliger. Beinahe als wollten sie Eagle wissen lassen, wie schwer er es ab sofort haben würde. Wie groß die Fußstapfen waren, in die er nun treten musste.

Carsten biss die Zähne zusammen und überlegte erneut, ob er irgendetwas machen konnte. Doch wieder blieb er ohne Ideen. Hatte den Eindruck komplett machtlos zu sein. Ihm blieb nichts anderes übrig als stillschweigend zu hoffen, dass es bald vorbei sein würde.

Nachdem die Reden der Stammesoberhäupter endlich geendet hatten, kam Koja wieder auf die Bühne und leitete den bedrückendsten Teil der Feierlichkeiten ein: „So lasst uns Abschied nehmen von unserem Häuptling. Möge er frei sein wie der Wind und den Weg zu seinen Vorvätern finden, auf das wir eines Tages wieder mit ihm vereint sein können.“

Sie warf Carsten einen Seitenblick zu, welcher sagte, dass nun er an der Reihe sei. Carsten atmete tief durch und richtete sich auf. Versuchte zu ignorieren, dass nun alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. Er hasste es im Mittelpunkt zu stehen. Er hasste es, wenn alle ihn musterten und jede noch so bedeutungslose Kleinigkeit zu untersuchen schienen. Er fühlte sich dann wie ein Tier im Zirkus, von dem irgendwelche tollen Kunststücke erwartet wurden.

Wie bereits Koja und die Stammesältesten, betrat Carsten die Bühne und verneigte sich vor dem Häuptling. Er hatte seine Leiche nun schon häufig genug gesehen. Und kein einziges Mal hatte ihn dies sonderlich aufgewühlt. Noch nicht einmal vor einer Woche, als er ihn auf dem Feld liegen sah, mit leeren Augen, das Hemd rot von seinem eigenen Blut… Und trotzdem… Keine Trauer. Weder positive noch negative Emotionen. Nichts. Bis auf die Sorge um den Rest seiner Familie…

Nur dieses Mal schnürte der Anblick Carsten die Kehle zu. Gedrückt atmete er aus und schloss die Augen. Mit leiser Stimme begann er, das Verbrennungsritual aufzusagen. Ein dryadisches Gebet, welches dem Betroffenen einen friedlichen Tod wünschte. Es erbat den Wind um die Freiheit der Seele, hoffte vom Wasser auf die Vergebung der Sünden. Das Feuer möge ihm auch weiterhin Licht und Wärme spenden und die Erde solle ihn auf ewig mit seinen Liebsten verbinden.

Noch während Carsten den Zauber sprach, spürte er ein Brennen auf seiner linken Körperhälfte. Mit jedem Wort wurde das Gefühl stärker und schmerzhafter. Carsten konzentrierte sich darauf, mit ruhiger Stimme das Ritual fortzusetzen, während die Qualen immer weiter zunahmen. Irgendetwas fraß sich in ihn als wolle es ihn verschlingen. Angestrengt hob Carsten seine linke Hand und öffnete die Augen. Die Zeichen auf seinem Körper loderten wie weiße Flammen und obwohl sie nur aufgemalt sein sollten, brannten sie sich in seine Haut ein.

Noch während er mühevoll das Gebet fortsetzte, musste er beobachten, wie die weißen Flammen durch die Luft säuselten, bis sie Chief und das hölzerne Podest erreicht hatten. Sofort fing der Blumen- und Federschmuck Feuer. Rote Funken flackerten empor, züngelten das Podest nach oben. In dem Lichtermeer erkannte Carsten einen braunen und drei schwarze geflochtene Zöpfe, die allmählich zu Asche zerfielen, während das Feuer auch den Häuptling erreicht hatte.

Carsten wollte die Augen schließen. Er wollte nicht sehen, wie er es war, der seinen eigenen Vater in Brand setzte. Doch er konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Obwohl sich die Hitze in seine Augen brannte, schaffte er es nicht sich abzuwenden. Irgendetwas zwang ihn, den Schatten seines Vaters in der Feuerbrunst genau zu betrachten. Sich bewusst zu werden, wer dieser Mann eigentlich war.

Entfernt hörte Carsten, wie ein Chor zu singen begann und das dryadische Gebet auf Indigonisch wiederholte. In seine Ohren drang jedoch nur das betäubende Knistern der Flammen.

Zitternd senkte Carsten die Hand. Die Symbole brannten sich noch immer in seine Haut und seine Finger bebten als er einige Schritte zurückwich, weg von der sengenden Hitze.

Was für eine Ironie., dachte sich Carsten verbissen, Die ganze Zeit schaffe ich es nicht als sein Sohn zu trauern und jetzt, wo man von mir die Rolle des Stammesmagiers erwartet… Genau dann…

Schweren Herzens schloss er die Augen. Noch während er sich ein letztes Mal vor seinem Vater verneigte spürte er, wie sich eine Träne aus dem Augenwinkel stahl.

Carsten stellte sich neben Koja an den hinteren Rand der Bühne und beobachtete die restlichen Gäste. Viele der Indigoner weinten, egal welchen Alters oder Geschlechts. Manche schluchzten laut und klammerten sich an ein Familienmitglied, andere hatten den Blick gesenkt und versuchten schweigend die Tränen zu verbergen. Auch einige Gäste aus den anderen Regionen nahm dieser Anblick stark mit. Carsten sah, wie sich Laura mit der Hand über die Augen fuhr und Janine schluchzend von Susanne in den Arm genommen wurde.

Der einzige dem es nicht gestattet war zu weinen, war derjenige der Chief am nächsten stand. Carsten betrachtete seinen großen Bruder. Eagle saß immer noch im Schneidersitz auf der Empore und schaute in die Flammen. Sah einfach nur zu, wie die letzten Sonnenstrahlen hinter dem lodernden Feuer allmählich verschwanden. Wie sich die Silhouette seines Vaters langsam auflöste. Und trotzdem zeigte Eagles Gesicht keine Regung. Er rührte sich nicht. War wie eine Statue.

Der Anblick wirkte auf Carsten unsagbar surreal. Als sei alles nur ein Traum und er würde bald aufwachen und sich verstört fragen, was sich sein Kopf da zusammengedacht hatte. Doch es war kein Traum, sosehr er auch hoffte aufzuwachen. Es war die bittere Realität. Erbarmungslos und ungerecht.

Das anschließende Schweigen, welches nur vom Knistern des Feuers und dem Schluchzen der Gäste unterbrochen wurde, machte Carsten langsam unruhig. Er wusste, welcher Programmpunkt danach kam. Und das Warten darauf wurde immer unerträglicher.

Schließlich war die Sonne vollständig untergegangen und der Himmel nahm eine violette Färbung an, die langsam in ein immer dunkleres Blau überging. Wie die Sonne war nun auch der Schatten seines Vaters nicht mehr sichtbar. So wie es das Ritual verlangte. Der ehemalige Häuptling war dem Westen zugewandt, also dem Sonnenuntergang. Als Symbol für das Ende einer Ära. Eagle saß im Osten, das Zeichen für den Anbruch eines neuen Tages.

Als der Himmel ein tiefes Indigoblau angenommen hatte und nur noch das Feuer Licht bot, trat Carsten wieder vor. Er wandte sich seinem großen Bruder zu und mühte sich zu einem schwachen Lächeln. Eagle erwiderte seinen Blick schweigend, noch immer komplett regungslos.

Wieder stieg das Gefühl der Hilflosigkeit in Carsten auf. Gab es wirklich nichts, womit er ihm helfen konnte? Abermals fand er keine Antwort auf diese Frage.

Carsten streckte erneut die Hand aus, dieses Mal in Eagles Richtung. Er sprach einige Sätze auf dryadisch und um Eagle herum begannen mehrere kleine Flammen aufzuleuchten.

Carsten unterdrückte ein Husten und versuchte zu ignorieren, dass er die Erkältung immer noch nicht ganz hatte auskurieren können. Allmählich begann die Erschöpfung an ihm zu nagen. Nein, nicht jetzt. Er musste sich zusammenreißen.

Er ließ weitere Flammen an den Rändern der Bühne entstehen und ging wieder einige Schritte zurück. Zeitgleich trat Koja nach vorne und die Stammesoberhäupter betraten die Bühne, nachdem sie sich erneut vor dem Feuer verneigt hatten, an dessen Stelle zuvor noch Chief gelegen hatte.

Schaudernd betrachtete Carsten die Federkrone, die einer der Stammesoberhäupter hielt. Sie wirkte so schwer, obwohl sie nur aus vielen großen, gräulichen Federn bestand, die an rot-braunen Lederbändern befestigt waren. Carsten fragte sich, ob der Ring zwischen den Bändern wohl aus echtem Gold gefertigt war.

Derweil begann Koja zu sprechen: „Die Sonne ist untergegangen, der Tag ist vorüber. Die Nacht bricht über die Welt herein und bringt die Finsternis mit sich. Eine Finsternis, die uns orientierungs- und hoffnungslos umherwandeln lässt. In der Gefahren lauern, die wir nicht zu kennen vermögen und derer wir uns nicht zu verteidigen wissen. Unsere einzige Hoffnung ist das Aufgehen einer neuen Sonne, der Anbruch eines neuen Tages.“ Sie wandte sich Eagle zu und hielt ihm die Hand entgegen. „Kind der Lüfte mit den Flügeln der Freiheit. Komme zu uns und werde die neue Sonne, die uns auf unseren Wegen leiten möge.“

Mit stockendem Atem beobachtete Carsten, wie Eagle gezwungen war aus seiner Starre zu erwachen und sich zu erheben. Trotz der wenigen Meter dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis Eagle die Holzstufen hinunter auf die Hauptbühne trat und schließlich vor Koja stand. Diese wies ihn an sich hinzuknien.

Da Carsten schräg hinter seiner Großmutter stand konnte er Eagle genau beobachten. Der verbissene Blick, die zu einer schmalen Linie gepressten Lippen, verspannte Schultern und zitternde Hände, … Die ganze Anspannung, die gesamte Angst. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Alle Erwartungen lasteten auf seinen Schultern. Alles drohte, ihn unter dem gewaltigen Druck zu begraben.

Carstens Herzschlag beschleunigte sich, als Koja die Federkrone entgegennahm und sie in die Höhe hielt. „So sprich mir nach: Mein Blut gebe ich für euer Leben.“

 

„Mein Blut gebe ich für euer Leben.“, wiederholte Eagle ihre Worte. Obwohl seine Hände zitterten, klang seine Stimme klar und überzeugt.

 

„Meinen Freunden bringe ich die Heilung, meinen Feinden das Gift.“

 

„Meinen Freunden bringe ich die Heilung, meinen Feinden das Gift.“

Carsten merkte, wie Eagle eine Hand zur Faust ballte.

 

„Von der trockensten Wüste bis zum dichtesten Wald…“

 

„Von der trockensten Wüste bis zum dichtesten Wald…“

 

„Vom kältesten Frost bis zu den stärksten Gewittern…“

 

„Vom kältesten Frost bis zu den stärksten Gewittern…“

 

„Lasst mich sein der Wind, der euch die Freiheit gibt.“

 

„Lasst mich sein das Wasser, das euch Leben bringt.“

 

„Lasst mich sein das Feuer, das euch Wärme spendet.“

 

„Lasst mich sein die Erde, die euch Halt bietet.“

 

„Sowohl im gleißendsten Licht als auch in der tiefsten Finsternis…

… möchte ich euch Hoffnung und Schutz geben.“

 

„Dafür wurde ich geboren, dafür lebe ich und dafür sterbe ich.“

 

Noch während er den letzten Satz wiederholte, ließ Koja ihre Arme sinken und setzte Eagle die Krone auf. Anschließend berührte sie sanft sein Kinn und hob seinen Kopf. „Kind der Lüfte mit den Flügeln der Freiheit. Wir befinden uns in einer harten Zeit und noch härtere Zeiten stehen uns bevor. Wirst du alles in deiner Macht stehende tun, um Indigo vor dem Unheil zu schützen? Wirst du kämpfen, selbst wenn es noch so aussichtslos ist?“

„Ich werde.“, antwortete Eagle und sein Blick zeigte dieselbe Entschlossenheit, die auch in seiner Stimme zu hören war.

Carsten spürte, wie eine Welle der Erleichterung den Druck in seinem Herzen lockerte. Nach all dem würde Eagle trotzdem nicht aufgeben. Er hatte seinen Willen zum Kämpfen nicht verloren.

Koja nickte und wandte sich an die anwesenden Gäste. „Die Sonne geht auf und ein neuer Tag bricht an. Wir bitten die Götter, dass dieser Tag lange andauern mag. Wir bitten die Ahnen um Hilfe und Beistand.“

Mit einer Geste deutete sie Eagle an sich zu erheben. Für einen Moment trafen seine Augen auf Carstens, doch dieser Moment reichte schon, um Eagles Blick deuten zu können. Obwohl er nicht aufgeben wollte, hatte er immer noch Angst. Angst vor den Erwartungen und Angst davor nicht akzeptiert zu werden. Doch Carsten war sich ziemlich sicher, dass Eagle sich am meisten davor fürchtete allein gelassen zu werden. Dass plötzlich keiner mehr da sein würde, so wie sein Vater es ihm schon angetan hatte.

Carsten senkte leicht den Kopf und warf seinem großen Bruder ein möglichst unauffälliges Lächeln zu. Du bist nicht alleine.

Dieser Moment dauerte höchstens eine Sekunde, bis Eagle schließlich durchatmete und sich aufrichtete.

Koja ging einige Schritte zurück und verneigte sich vor Eagle. „Auf das unser Häuptling uns mit starker und weiser Hand leite.“

Noch während Eagle sich mit der Federkrone auf dem Haupt umdrehte, konnte Carsten beobachten wie die Indigoner von ihren Stühlen aufstanden und sich ebenfalls verneigten. Die Gäste taten es ihnen gleich und die Stammesoberhäupter auf der Bühne gingen sogar auf die Knie. Als Koja es ihnen gleichtat entschied Carsten, sich lieber auch hinzuknien.

Wieder breitete sich absolute Stille aus und dieses Mal war es nur das Knistern der Feuer, die sie durchbrach.

Erst, als sich die Stammesoberhäupter wieder erhoben, hoben auch die anderen ihre Köpfe und das Knistern wurde von einem lauten Applaus übertönt. Während Carsten selbst aufstand und seiner Großmutter wieder auf die Beine half beobachtete er, wie gerade seine eigene Generation jubelnde Rufe von sich gab. Die älteren Indigoner klatschten zwar auch, aber eher aus Höflichkeit und weniger als Ausdruck der Begeisterung. Für viele von ihnen war es schwer vorstellbar, dass ein noch nicht einmal volljähriger Teenager nun die Führung über ihre Region übernahm.

Dennoch hielt der Applaus länger an als ein normaler Anstandsbeifall, was Carsten zumindest etwas optimistischer denken ließ.

Als schließlich wieder Ruhe herrschte, kündigte Koja den Beginn des Programms an. Eagle kehrte zu seinem Platz auf der Empore zurück, wo inzwischen ein Fell und ein Umhang bereit lagen, damit er bei seiner dürftigen Bekleidung nicht erfror.

Carsten räusperte sich unterdrückte damit einen weiteren Husten. Der Stoff seiner Tracht war auch nicht sonderlich dick und der Wärmezauber zehrte mehr und mehr an seinen Kräften.

Als Eagle auf seinem Platz saß verließen zuerst die Stammesoberhäupter wieder die Bühne und dieses Mal war es Eagle vor dem sie sich verbeugten. Koja tat es ihnen gleich und auch Carsten verneigte sich vor ihm, bevor er mit zitternden Knien die Treppen herunter ging.

Es war ein seltsames Gefühl sich vor seinem großen Bruder zu verbeugen. Aber Eagle war nun der Häuptling und es war Brauch vor dem Häuptling das Haupt zu senken.

Carsten war froh, sich endlich wieder auf seinen Platz neben Saya setzen zu können, der sich Eagles Empore am nächsten befand. Erst jetzt bemerkte er den immer noch stechenden Schmerz in seiner linken Seite, der durch das Verbrennungsritual entstanden war. Vorsichtig fuhr sich Carsten über den linken Oberarm und zuckte bei der leichtesten Berührung zusammen. Koja hatte nichts von schwarzer Magie erwähnt und einen Blutzoll hatte es auch nicht gegeben. Aber bei diesem höllischen Gefühl konnte es sich um keine andere Magieform handeln.

„Alles in Ordnung?“, fragte Saya leise.

Carsten nickte schwach und versuchte die Schmerzen auszublenden. Stattdessen beobachtete er drei junge Frauen in langen Umhängen, die die Bühne betraten und sich ebenfalls vor ihrem neuen Häuptling verneigten. In der Mitte der Bühne angekommen startete eine rhythmische, indigonische Musik und die Mädchen begannen sich im Takt zu bewegen.

Für Außenstehende wirkten indigonische Tänze meist sehr eigentümlich mit ihren seltsamen, zum Teil stark verrenkten Bewegungen. Doch wer selbst einmal einen solchen Tanz gelernt hatte verstand die Bedeutung dahinter. Und hatte umso mehr Respekt davor, wenn jemand einen solch energetischen und entkräftigenden Tanz aufführen konnte. Denn die traditionellen Tänze in Indigo waren zum Teil so wild, dass in den Übungsstunden regelmäßig einige Schüler vor Erschöpfung zusammenbrachen.

Plötzlich ließen die drei jungen Frauen ihre Umhänge fallen und trugen nur noch ein knappes Federkleid. Ein extrem knappes Federkleid.

Mit hochrotem Kopf senkte Carsten den Blick. Diese Federn bedeckten wirklich nur das nötigste. Geradeso.

„Was ist das denn?!“, hörte er Ariane hinter sich überrascht und auch leicht geschockt fragen.

„Das der Federtanz sein.“, erklärte Koja in ihrem gebrochenen Damisch. „Bei Krönung Tradition sein.“

„Ist das normal, dass die so… ähm… wenig tragen?“, fragte Ariane, immer noch entsetzt.

Koja schüttelte den Kopf. „Das viel zu viel.“, erwiderte sie. „Als ich damals Federtanz getanzte, eine einzige Feder nur getrugen! Jugend von heute so verklemment!“

Carsten vergrub die Hände hinter dem Gesicht. Das waren viel zu viele Informationen über seine Oma, die er eigentlich gar nicht wissen wollte.

„Wie groß war denn die Feder?“, erkundigte sich Lissi noch eine Reihe weiter hinten interessiert.

„Ich glaube, ich will’s gar nicht wissen…“, erwiderte Ariane verstört.

„Du bei Federtanz sicher gut aussehen würden.“, meinte Koja, an sie gewandt.

„Oma, lass das.“, zischte Carsten auf Indigonisch zu der Reihe hinter sich.

„Wieso, Crow? Dir doch sicher gefallen würden. Ein so hübsches Mädchen bei Federtanz tanzen.“

„Oma!“ War es überhaupt notwendig zu erwähnen, wie hochrot Carstens Gesicht daraufhin wurde? Denn natürlich blieb ihm keine andere Wahl als sich bei Kojas Andeutung Ariane beim Federtanz vorzustellen. Beschämt versuchte er diesen Gedanken wegzuscheuchen. Doch wie das so war mit Sachen, an die man partout nicht denken wollte: Man dachte erst recht daran.

Lissi, Janine und Susanne versuchten erfolglos ihr Lachen zu unterdrücken und Carsten bemerkte, wie auch Saya und einige von Eagles Freundeskreis das Gespräch mitbekommen hatten und verstohlen kicherten.

Auch Ariane schien amüsiert. Zumindest klopfte sie Carsten auf die Schulter und sagte: „Ich muss dich wohl enttäuschen. Meine Tanzfähigkeiten sind noch nicht einmal vorhanden, um schlecht sein zu können.“

Carstens Kopf färbte sich daraufhin noch roter. „Äh- D-das geht- ist kein- Problem…“

Der Rest versuchte weiterhin erfolglos das Lachen zu unterdrücken und ruhig zu bleiben. Alle, bis auf Öznur die wütend zu den drei Frauen hinaufblickte. „Ihr Indigoner seid extrem locker in so Sachen, oder?“

„Ach komm Özi-dösi. Nur, weil sie so leicht bekleidet vor Eagle-Beagles Nase herumtanzen?“, hörte Carsten Lissi sagen.

Da schaltete sich einer von Eagles Freunden ein: „Übrigens, falls es dich interessiert: Die in der Mitte ist Ana, Eagles Ex. Die beiden waren glaub ich zehn Monate lang zusammen, aber Anfang dieses Jahres haben sie sich getrennt.“

„Ey Len, sowas erzählt man doch nicht.“, mahnte ihn ein anderer aus Eagles Freundeskreis.

Besagter Len zuckte mit den Schultern. „Ist doch nichts dabei. Es war ohnehin Eagle, der Ana verlassen hatte. Und das nach einem ziemlich krassen Streit. Öznur hat da wohl kaum was zu befürchten.“

„Trotzdem.“

Tatsächlich hatte Lens Aussage Öznurs Laune in keiner Weise gebessert. Eher das Gegenteil war der Fall. „Toll. Jetzt wackelt seine Ex ihm also auch noch mit dem Arsch vor der Nase rum.“

Der andere von Eagles Freunden -wenn sich Carsten recht entsann hieß er Namid- schüttelte seufzend den Kopf. „Ich sag’s doch. Aber Öznur, du musst dir echt keine Sorgen machen. Eagle würde mit der nicht mal im Traum noch was zu tun haben wollen.“

Ariane runzelte die Stirn. „Wenn sie so ätzend war, warum hatten die beiden überhaupt was miteinander?“

„Eigentlich ist sie ziemlich nett… Kann aber auch eine ziemliche Schlampe sein. Ich weiß nicht, ob ich davon erzählen soll. Eagle redet nicht gerne drüber und will wahrscheinlich auch gar nicht, dass das die Runde macht.“, erwiderte Namid und wandte sich wieder der Bühne zu.

„Trotzdem…“, murmelte Öznur verärgert.

Lissi klopfte ihr auf die Schulter. „Dösi, beruhig dich wieder. Eagle-Beagle schaut noch nicht mal hin.“

Auch Carsten wandte sich wieder nach vorne und betrachtete seinen großen Bruder, wie er mit der Federkrone auf dem Kopf und dem Umhang um die Schultern auf der Empore saß und wieder schweigend in das immer noch lodernde Feuer blickte, in dem vor nicht allzu langer Zeit sein Vater zu Asche verbrannt war. Die Tänzerinnen schien er gar nicht wirklich bemerkt zu haben.

Susanne seufzte bedrückt. „Das stimmt… Ihm scheint es überhaupt nicht gut zu gehen…“

Carsten senkte den Blick. Wie sollte es Eagle momentan auch gut gehen? Er war schon froh, dass sein großer Bruder den Eid mit so viel Überzeugung hatte aufsagen können. In dem Moment hatte Carsten wirklich den Eindruck gehabt, Eagle wäre bereit für die Rolle des Häuptlings. Er würde das schon stemmen können. Doch die Last war zu groß. Der Verlust war zu qualvoll. Es war einfach zu viel.

Ein starker Husten überkam Carsten und ein stechender Schmerz breitete sich in seinen Lungen aus.

Besorgt prüfte Saya seine Stirn. „Lass dir eine Decke holen und versuche dich etwas auszuruhen. Das anstrengendste hast du schon überstanden.“

Carsten nickte schwach und beobachtete, wie die jungen Frauen mit dem Federtanz endeten und unter Beifall die Bühne verließen, nachdem sie sich erneut vor dem neuen Häuptling verneigt hatten.

Als nächstes trat Ituha auf die Bühne. Selbst die hoch gewachsene, muskulöse Barbesitzerin neigte vor Eagle respektvoll den Kopf, ehe sie sich den Gästen zuwandte, die sie höflich begrüßte.

Als Ituha mit der Einleitung für die Beiträge der anderen Regionen begann, wuchs Carstens Neugier und er vergaß, dass der Wärmezauber immer mehr an seinen Kräften zehrte. Was hatten Saya und Laura in dieser kurzen Zeit auf die Beine stellen können? War es genug, die Stammesoberhäupter und das Volk von Indigo zu beeindrucken?

Als erstes wurde der Beitrag von Cor angekündigt. Der Regionsvorsteher hielt eine Rede, ähnlich zu denen der Stammesoberhäupter. Doch zum Glück wurde Chief nicht zu extrem verherrlicht und der Vertreter von Cor schien überzeugt, dass Eagle trotz seines jungen Alters diese Situation meistern würde.

Nachdem er geendet hatte verneigte er sich vor Eagle und verließ die Bühne. Irritiert bemerkte Carsten wie Lissi auf einmal unten vor dem Bühnenrand stand. Von ihrem blauen Kleid fehlte der Tüllrock und was sie jetzt nur noch trug, wirkte wie ein stark glitzernder, verzierter Turnanzug. In ihrer Hand hielt sie einen kleinen Stock an welchem ein blaues Band befestigt schien und die Haare waren zu einem straffen Dutt gebunden.

Was hat sie vor?, fragte sich Carsten verwirrt.

Da trat Ituha vor. „Als nächstes darf ich Ihnen den Beitrag von Eau präsentieren: Eine Kür von der Siegerin der letztjährigen Junior-Damonmeisterschaften in Rhythmischer Sportgymnastik. Von Larissa Alejandra Nora Tieges.“

Wie bitte was?!? Lissi war Junior-Damonmeisterin in Rhythmischer Sportgymnastik?!

Völlig aus der Bahn geworfen beobachtete Carsten, wie Lissi die Bühne betrat und sich der Etikette entsprechend vor Eagle verneigte. Anschließend schwang sie ihr Band etwas herum und brachte sich in Position. Aus dem Hintergrund wurde eine rhythmische, kraftvolle Musik eingespielt und beeindruckt beobachtete Carsten, wie Lissi den Stab wegwarf und das Band selbst auffing. Anschließend schaffte sie es irgendwie während eines Rückwärtsbogenganges das Band mit dem Fuß wieder zu sich zu ziehen, sodass sie am Ende wieder den Stab selbst in der Hand hielt.

Ihre gute Körperbeherrschung und Gelenkigkeit hatte Carsten schon häufiger beim Training gesehen, doch erst jetzt wurde ihm bewusst, wie gut sie ihren Körper beherrschen konnte und wie gelenkig sie in Wahrheit war. Lissis Bewegungen wirkten elegant und gleichzeitig voller Energie. Obwohl die Figuren unsagbar schwer sein mussten und garantiert unglaublich viel Arbeit dahinter steckte, sah bei Lissi alles so leicht und unbeschwert aus. Waren es nun die Bogengänge und Drehungen, nach denen sie direkt das hochgeworfene Band wieder auffing oder ihre Räder, während sie das Band irgendwie um sich schwang ohne sich darin zu verheddern.

Fasziniert beobachtete Carsten, wie Lissi sich um ihre eigene Achse drehte, während sie einen Fuß mit der Hand über ihrem Kopf festhielt und das Band um ihren Körper rotieren ließ.

Waren es nun die Wellen des Bandes oder ihre fließenden Bewegungen… Carsten musste automatisch an das Wasser denken. Und wie perfekt dieses Element zu Lissi passte.

Nachdem Lissis Auftritt geendet hatte war nicht nur Carsten begeistert davon. Der tosende Applaus sprach Bände. Und ja, sie hatte es sogar geschafft ein schwaches, anerkennendes Lächeln aus Eagle hervorzulocken. Amüsiert beobachtete Carsten, wie Lissi Eagle zuzwinkerte, während sie sich vor ihm verneigte und die Bühne wieder verließ um sich wieder neben ihre Schwester zu setzen.

„Das war ja der Wahnsinn!“, kommentierte Öznur ihren Auftritt direkt. „Ich sehe ja schon immer im Turnen wie übertrieben gut du bist, aber das… Das war einfach Hammer!!!“

„Und du bist sogar Junior-Meisterin geworden?!“, fragte Ariane fasziniert. „Ich habe immer nur gehört, dass es für physisch Antik-Begabte nahezu unmöglich ist, in solchen Meisterschaften gut abzuschneiden, da sie viel strenger bewertet werden als die ‚normalen‘ Teilnehmer!“

„Das stimmt auch.“, gab Susanne ihr Recht. „Lissi war die einzige der antik Begabten, die überhaupt in der Qualifikationsphase weitergekommen ist.“

„Wie kommt es, dass du uns ständig mit so unerwarteten Fähigkeiten vom Hocker haust?!“, fragte Öznur erstaunt.

Lissi zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil ihr mir einfach nichts zutraut?“

„Jetzt übertreibst du aber.“, widersprach Ariane ihr.

Doch insgeheim musste Carsten Lissi Recht geben. Leider. Er ertappte sich selbst häufig genug dabei, wie wenig er von ihr und ihren Fähigkeiten erwartete. Und das, obwohl sie diese inzwischen bereits des Öfteren unter Beweis gestellt hatte. Abgesehen von dieser beeindruckenden Körperbeherrschung und Beweglichkeit wusste Carsten, dass Lissi neben Damisch und Spanisch auch fließend Italienisch, Französisch und Englisch sprechen konnte. Selbst auf Deutsch hatte sie mal einige Worte mit ihm gewechselt. Doch am eindrucksvollsten war ihre ausgesprochen gute Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe bezüglich dessen.

Kritisch musterte Carsten Lissi, die sich lachend mit den anderen Mädchen unterhielt. Sie hatte von allen als erste erkennen können, dass Benni der Sohn von Samira und Jacob war. In Spirit hatte sie direkt die Verhältnisse zwischen Rina, Konrad und Benni gesehen. Carsten war sich ziemlich sicher, dass Lissi noch mehr wusste. Mehr, als sie sich anmerken ließ.

Schaudernd wandte er sich ab und hörte Ituha zu, die den nächsten Programmpunkt ankündigte. Tatsächlich hatte auch Dessert etwas zu dem Programm beigetragen und das Publikum durfte beeindruckt und mit angehaltenem Atem beobachten, wie eine Gruppe junger Männer unfassbar gefährlich wirkende akrobatische Kunststücke aufführte.

Im Anschluss kündigte Ituha Lauras Auftritt an, welche sich nervös eine Strähne aus dem Gesicht strich, tief durchatmete und die Bühne betrat, wo auch sie sich vor Eagle nach japanischer Manier verbeugte. Anschließend ging sie zu Ituha, welche Laura problemlos um einen Kopf überragte, und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Was auch immer Laura gesagt hatte, hatte Ituha wohl sehr überrascht. Carsten konnte sehen, wie ihre Lippen die Worte ‚Ist das dein Ernst?‘ formten. Laura nickte.

Nun war auch Carsten neugierig, als sich Ituha erneut dem Publikum zuwandte. „Verehrte Damen und Herren, ich habe Ihnen eine kleine Ergänzung zu dem kommenden Programmpunkt mitzuteilen. Der Auftritt von Prinzessin Laura Lenz wird musikalisch begleitet von Herrn Jacob Yoru und seiner Frau Samira.“

Was zum- Wie bitte?!?

Mit vor Überraschung geweiteten Augen beobachtete Carsten, wie Bennis Eltern die Bühne betraten und sich ebenfalls vor Eagle verneigten. Und auch im Publikum brach ein verblüfftes Raunen aus. Wenn die Mitglieder der ehemaligen Herrscherfamilie etwas zu einer Krönung beitrugen, wollte das etwas heißen. Carsten warf Saya einen irritierten Seitenblick zu, die diesen mit einem schelmischen Lächeln erwiderte. Ja, sie und Laura hatten wirklich an allen Fäden gezogen. Hatten wirklich jeden Kontakt genutzt, der ihnen zur Verfügung stand. Wenn die Indigoner jetzt noch nicht überzeugt waren, dann war ohnehin alles verloren. Dieser Auftritt konnte unmöglich noch übertroffen werden.

Vor Erleichterung sammelten sich Tränen in Carstens Augen, während er beobachtete wie sich Jacob an den Flügel setzte, der von Indigonern vorgeschoben wurde, und Samira eine Violine aus einem Koffer holte. Amüsiert bemerkte Carsten, dass es genau die Instrumente waren, die auch Benni zu spielen gelernt hatte.

Laura stellte sich in die Mitte der Bühne, verneigte sich vor den Gästen und holte einen weißen, mit rosa Blüten verzierten Fächer aus dem Obi ihres Kimonos, während sie sich auf den Boden kniete. Als Jacob sah, dass sie bereit war, tauschte er ein kurzes Nicken mit seiner Frau aus und begann mit der Melodie eines japanischen Liedes. Carsten meinte es zu erkennen, es trug den Titel Senbonzakura.

Zu Beginn war die Melodie langsam und Jacob und Samira ließen ihre Instrumente so gefühlvoll erklingen, dass Carsten automatisch wusste, woher Benni sein musikalisches Talent hatte. Laura schwang derweil ihren Fächer und richtete sich langsam in einer Drehung auf. Kurz darauf beschleunigte Jacob das Tempo und das eigentliche Stück begann. Auch Lauras Bewegungen wurden schneller, aber nicht hektisch, sondern trotzdem noch grazil und beherrscht. Von ihrer anfänglichen Nervosität war nichts mehr zu sehen, stattdessen hatte sie eine ruhige Ausstrahlung und wirkte absolut professionell. Ihr Blick war ernst und sanft zugleich, jede ihrer Bewegungen stimmte auf den Millimeter genau und die Eleganz mit der sie den Fächer schwang, um ihren Finger rotieren ließ und manchmal hochwarf und umgekehrt auffing zeigte, wie sicher sie im Umgang damit war. Ja, Benni hatte nicht grundlos sofort gewusst welche Waffe am besten zu ihr passte. Und noch während Carsten von ihrem Auftritt in den Bann gezogen war wünschte er sich, Benni würde hier neben ihm sitzen. Oder noch besser, er stünde bei Laura und seinen Eltern auf der Bühne und begleitete den Auftritt mit seinem Gesang.

Carsten biss sich auf die Unterlippe und kämpfte gegen die Tränen an. Gerade in letzter Zeit hatte er sich so häufig gewünscht Benni solle wieder bei ihnen sein… Seine ruhige und geduldige Art fehlte Carsten. Alleine seine Anwesenheit hätte die gegenwärtige Situation um so vieles leichter wirken lassen.

Dennoch waren Lauras Tanz und die Musik von Jacob und Samira so schön, dass Carsten nicht lange in seinen tristen Gedanken verweilen konnte. Das erlaubte diese beschwingte und gleichzeitig sanfte Melodie einfach nicht. Sie ließ Carsten keine andere Wahl, als die Hoffnung zu haben, dass alles wieder gut werden würde. Dass sie Mars besiegen können und Benni, Johanna, Johannes und Sakura aus seinen Fängen befreien würden. Und, dass selbst Jack ein Happy End bekommen könnte. Carsten spürte, wie Laura, Jacob und Samira sie mit dieser Darbietung dazu aufforderten, nicht aufzugeben. Dass sie alle weiterkämpfen mussten.

Ähnliche Gefühle schienen sie auch im Rest der Zuschauer geweckt zu haben. Kaum waren Jacobs und Samiras letzten Töne verklungen brach tosender Applaus aus. Bennis Eltern gingen vor zu Laura und legten jeweils einen Arm um ihre Schultern. Gemeinsam verbeugten sie sich vor dem Publikum und wandten sich anschließend Eagle zu, vor dem sie sich ebenfalls verneigten. Genauso wie bei Lissi vorhin, formten sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln und er nickte Laura und Bennis Eltern leicht zu. Auch Eagle war sich bewusst, wie viel dieser Auftritt zu bedeuten hatte. Und auch auf ihn schien die Musik und Lauras Tanz diese hoffnungsschöpfende Wirkung zu haben.

Belustigt bemerkte Carsten, wie Laura erleichtert aufatmete, kaum, dass sie die Bühne wieder verlassen hatte. Wenn es darauf ankam konnte sie sich wie eine vorbildliche Prinzessin verhalten. Doch in Wahrheit war sie einfach immer noch Laura, die furchtbar schüchtern war und die dieser Auftritt absolut nervös gemacht hatte.

Für einen Moment erwiderte Laura Carstens Blick, der sie dankbar anlächelte. Er wusste selbst, wie furchtbar es war auf einer Bühne im Mittelpunkt stehen zu müssen. Es hatte Laura unter Garantie viel Überwindung gekostet ihre Hilfe anzubieten. Mit leicht geröteten Wangen erwiderte Laura sein Lächeln und setzte sich anschließend wieder auf ihren Platz.

Derweil leitete Ituha den letzten Programmpunkt ein: „Zum Abschluss darf ich Ihnen eine weitere nie da gewesene Kombination vorstellen: Prinzessin Selen der Ivory Region wird gemeinsam mit den Geschwistern Celia und Dorian Norito aus Spirit auftreten!“

… Hatte Carsten nicht eben gerade noch gedacht es könne ihn nichts mehr überraschen?

Nun, er hatte sich gewaltig getäuscht. Dass Ivory einen Beitrag leisten würde hatte er insgeheim schon erwartet, aber gemeinsam mit Spirit?! Ausgerechnet mit den Vampiren, mit denen sie vor zwanzig Jahren noch im Krieg waren?! Die Region, die nie zuvor einer Krönungszeremonie beigewohnt hatte?!

Irritiert schaute Carsten sich um und tatsächlich, weiter hinten erkannte er jemanden mit dunkelroten, leicht abstehenden Haaren und blutroten Augen. Konrad schien seinen Blick bemerkt zu haben und zwinkerte Carsten zu. Neben ihm saß Rina und außerdem Herr Norito, der Geschichtslehrer aus der Coeur-Academy, welcher gleichzeitig Konrads Onkel war.

Wie zuvor als der Auftritt der Yorus angekündigt wurde ging ein angeregtes Raunen durch die Menge. Derweil betrat eine wunderschöne Elbin die Bühne, mit dunklen, gelockten Haaren und einem grazilen Körperbau. Hinter ihr waren zwei junge Vampire, das Mädchen etwa in Carstens Alter und der Junge ungefähr so alt wie Johannes. Dennoch wirkten sie sehr erwachsen. Was nicht verwunderlich war, da beide als Vampire bereits über einhundert Jahre am Leben sein müssten. Celia Norito hatte golden glänzendes Haar, die für Vampire typischen blutroten Augen und war ebenso schlank wie Selen. Ihr jüngerer Bruder Dorian schien noch im Wachstum und reichte seiner großen Schwester bis zu den Schultern. Seine etwas längeren Haare waren dunkel und zu einem Zopf zurückgebunden, wie Carsten sie vor kurzem auch noch häufiger getragen hatte.

Seufzend fuhr er sich durch die kurzen Haare und hoffte, dass sie schnell wieder länger wurden. Dieses verwundbare Gefühl im Nacken würde ihn ansonsten noch um den Verstand bringen.

Auch Selen, Celia und Dorian verneigten sich vor Eagle und wandten sich anschließend dem Publikum zu. Aus dem Hintergrund ertönte die Melodie eines Liedes, was Carsten nicht kannte und Selen begann zu singen. Sie hatte eine wunderschöne Stimme, so klar wie eine wolkenlose Vollmondnacht. Jeder war sofort in ihrem Bann gefangen. Wenig später setzte Dorian ein. Auch seine Stimme war relativ hoch, hatte jedoch so viel Kraft, dass sie einerseits einen starken Kontrast zu Selens sanfter Stimme bildete und trotzdem mit ihr harmonierte. Als schließlich auch Celia mit leicht rauchiger Stimme dazukam, war das Trio perfekt.

Carsten hatte noch nie einen solch harmonischen Gesang gehört und wenn noch irgendjemand an dem Frieden zwischen Spirit und Ivory gezweifelt hatte, wurde er nun eines Besseren belehrt. Das Lied war im Kontrast zum vorherigen Auftritt eher langsam, aber trotzdem nicht langweilig. Das harmonische Zusammenspiel der drei Stimmen rührte Carsten regelrecht zu Tränen und löste eine Art innere Ruhe in ihm aus. Es erinnerte ihn an die Wirkung, die ansonsten immer Bennis Anwesenheit auf ihn hatte. Eine friedlich plätschernde Quelle in einem sonnendurchfluteten Wald, umringt von den schönsten und farbenprächtigsten Blumen. Ein Ort, an dem man die Zeit vergessen konnte und alle Sorgen belanglos schienen.

Erinnerungen kamen in Carsten hoch, wie er als Kind an einem schneebedeckten Wintertag gemeinsam mit Benni zu jener Quelle gegangen war. Nach dem Training waren sie auf dem gefrorenen Wasser Schlittschuhlaufen und hatten sich gleichzeitig mit Schneebällen abgeworfen. Sie hatten verschiedene Sprünge ausprobiert und sind dabei häufig hingefallen. Doch das war nicht weiter schlimm, sie standen einfach wieder auf und versuchten es noch einmal. An so Tagen hatte Carsten vergessen können, dass sein Vater ihn nie auch nur eines Blickes würdigte. Dass sein großer Bruder ihn abgrundtief gehasst hatte. Carsten hatte gar die Existenz dieses Begriffes, die Bedeutung von Hass vergessen. Das einzige was zählte war der innere Frieden und der Spaß, den er und Benni gehabt hatten. Carsten erinnerte sich an Bennis Lachen, einer der wenigen Momente wo er es noch hatte sehen können. An den starken, stützenden Griff als er Carsten nach einem Sturz wieder auf die Beine geholfen hatte. An seine aufmunternden Worte es einfach noch einmal zu versuchen. Bloß nicht aufzugeben. Weiterzukämpfen…

Während das restliche Publikum nach Beendigung des Liedes jubelnd applaudierte, fuhr sich Carsten über die Augen und versuchte die Tränen wegzuwischen, von denen immer und immer wieder neue nachkamen. Es schien ihm unmöglich, sich zusammenreißen zu können.

Er hörte wie Saya ihn besorgt fragte ob alles in Ordnung sei. Carsten brachte lediglich ein Nicken zustande, doch die Wahrheit war eine andere. Nichts war in Ordnung.

Die Tage, wo er den Rest der Welt vergessen konnte waren vorbei. Benni befand sich in den Fängen von Mars, ebenso wie Sakura, Johanna und Johannes. Sein Vater ist von jemandem ermordet worden, der wahrscheinlich noch nie solch einen sorglosen Tag hatte erleben dürfen. Sein großer Bruder war gezwungen einem viel zu starken Druck standzuhalten zu müssen. Ein göttlicher Dämon wollte die Welt zerstören und es lag an ihnen, dies zu verhindern. Es schien alles so aussichtslos. So hoffnungslos.

Und trotzdem spürte er Bennis stützenden Griff. Hörte seine ermutigenden Worte bloß nicht aufzugeben. Immer weiterzukämpfen.

Carsten wischte sich erneut über die Augen und schaute in das Feuer, mit dem er seinen eigenen Vater eingeäschert hatte. Allmählich verloren die Flammen an Kraft und auch in Carsten kam die Erschöpfung wieder hoch. Er spürte einen stechenden Schmerz in seinen Lungen, als er den Husten versuchte zu unterdrücken. Ein leichter Schwindel überkam ihn.

Gleichzeitig merkte er, wie eine Decke über seine Schultern gelegt wurde.

„Wenn es gar nicht geht, kannst du das Festmahl auch ausfallen lassen und direkt ins Bett gehen.“, riet Saya ihm fürsorglich und strich ihm die viel zu kurzen Haare aus dem Gesicht.

Carsten schüttelte den Kopf. „Ich darf Eagle nicht alleine lassen…“, murmelte er matt.

Sanft zog seine Stiefmutter ihn in eine Umarmung.

„Carsten, bitte übertreib es nicht.“, hörte er Arianes besorgte Stimme neben sich. „Du bist immer noch krank.“

Carsten befreite sich aus Sayas Umarmung, um Ariane ein versucht unbeschwertes Lächeln zuzuwerfen. „Ich komme schon zurecht.“

Arianes Blick zeigte, dass sie ihm seine Worte nicht abkaufte. Carsten glaubte sie ja selbst noch nicht einmal. Aber trotzdem…

„Eagle braucht jeden von uns. Ich kann nicht einfach jetzt ins Bett gehen, während er noch seine Ansprache halten muss.“

„Ja schon, aber…“, versuchte Öznur ihm zu widersprechen.

„Carsten, du bist am Ende deiner Kräfte!“, mischte sich nun auch Janine ein. „Schon seit August bist du pausenlos am Arbeiten. Und bereits davor ging es dir wegen der Sache mit Benni nicht gut. Irgendwann reicht es.“

Carsten schüttelte den Kopf. „Aber nicht ausgerechnet heute Abend.“

Geräuschvoll atmete Ariane aus. „Das macht schon Lauras Dickkopf Konkurrenz.“

Nachdem Ituha das Programm offiziell beendet hatte, standen die Gäste auf um sich für eine halbe Stunde die Beine zu vertreten. Innerhalb dieser Zeit wurde der Platz vollständig umdekoriert. Die Bühne mit der Empore verschwand und stattdessen wurden die Stühle an viele Tische gestellt. Carsten hatte sich bereit erklärt mit seiner Magie zu helfen und die Arbeit ließ ihn die Erschöpfungswelle von vorhin wieder vergessen. Da auch Susanne und Janine bei dem Umbau mit Magie assistierten, waren sie bereits nach zehn Minuten fertig. Die restliche Zeit verbrachte Carsten mit Eagle bei den Mädchen, die sich über die vorigen Programmpunkte unterhielten. Natürlich wurden insbesondere Lauras und Lissis Auftritte bewundert und selbst Eagle ließ durchscheinen, dass er sich über die Beiträge der beiden gefreut hatte. Dennoch war Carstens großer Bruder mit den Gedanken meist woanders. Wahrscheinlich entweder bei seinem Vater, oder bei der Amtsantrittsrede, die noch bevorstand. Die Rede war das einzige Hindernis, was sie noch nicht überwunden hatten. Und bisher lief alles so gut! Eagle hatte so gute Chancen tatsächlich von den Stammesoberhäuptern anerkannt und respektiert zu werden. Es hing alles nur noch von dieser einen Rede ab!

Die schneller auf dem Plan stand als es Carsten und insbesondere Eagle lieb war.

Kaum saßen alle Gäste an der gewaltigen, hufeisenförmigen Tafel, in deren Mitte sich weitere Tische befanden, erbat Koja links von Eagle um Ruhe. „Bevor wir nun mit dem Festmahl beginnen, lasst uns zuerst hören, was der neue Häuptling zu sagen hat.“

Mit pochendem Herzen beobachtete Carsten, wie sein großer Bruder alles andere als begeistert aufstand. Auch Eagle war sich der Tragweite dieser Rede bewusst. Sie musste einfach gut werden.

Carstens Herzschlag wurde noch schneller und das Atmen fiel ihm immer schwerer, während Eagle für einen Moment in die vielen Augen blickte, die ihn anschauten. Schließlich begann er zu sprechen.

„Was zeichnet einen guten Häuptling aus? Ist es das Wissen über alle Belange der Region, die er leitet? Muss er jeden Indigoner beim Namen nennen können? Muss er stark sein? Ein guter Kämpfer? Sollte er sich gescheit ausdrücken können? Oder ist es sein Charakter? Jemand, der es versteht in der entsprechenden Situation ernst, unterhaltsam oder auch einfühlsam zu sein. Ich weiß nicht, wie sich jeder einzelne von euch einen guten Häuptling vorstellt. Genaugenommen kenne ich nur meine eigenen Ansprüche. Doch wir sind uns vermutlich allesamt einig, dass mein Vater viele dieser Punkte erfüllt hat. Er war nicht perfekt, aber menschlich. Er hatte viele Schwächen, aber auch genauso viele Stärken. Doch was für ihn unbestreitbar an erster Stelle stand war das Wohl Indigos. Manchmal litten wir als seine Familie darunter, doch es ließ sich nicht ändern. Schließlich wollte er ein guter Häuptling sein. Jemand der gerecht war und dem jeder vertrauen kann. Hat er eurer Meinung nach dieses Ziel erreichen können?“

Gespannt lauschte Carsten seinem großen Bruder. Er war gut. Ziemlich gut.

Er merkte, wie Eagle neben ihm eine Hand zur Faust ballte, während er fortfuhr: „Dies kann jeder nur für sich selbst beantworten. Doch was ich mit Sicherheit sagen kann ist: Mein Vater hat nie etwas getan, was er später bereuen könnte. Alle seine Taten waren wohlüberlegt, sodass er sich auch in Zukunft noch für denselben Weg entschieden hätte. Das ist eine beeindruckende Eigenschaft, nicht wahr? Viele von uns hätten garantiert gerne häufiger mal eine Handlung rückgängig gemacht. Hätten manche Worte am liebsten unausgesprochen gelassen.“

Betreten senkte Carsten den Blick. Erinnerte sich daran, wie er Benni einst als Monster bezeichnet hatte. Wie er Laura mit seinen Worten verletzt hatte… Wie gerne hätte er die Zeit zurückgedreht, um all das ungeschehen zu machen.

Eagle atmete durch. „Auch ich habe eine lange Liste an Sachen, die ich im Nachhinein bereue. Dinge, wegen denen ich mich schäme und meinem früheren Ich am liebsten gehörig die Meinung sagen würde. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Wir können nur aus unseren Fehlern zu lernen und müssen versuchen, sie nicht noch einmal zu begehen. Wir müssen hoffen, dass man uns eine zweite Chance gewährt.“ Er biss die Zähne zusammen und Carsten merkte, wie ein kalter Wind über den Platz wehte. „Aber ich bitte euch um keine zweite Chance. Ich bitte euch um eine erste. Ich sehe hier in jedem Gesicht Zweifel und diese sind mit Sicherheit nicht unbegründet. Ja, ich werde erst in zehn Tagen volljährig. Und ja, eigentlich habe ich erst in drei bis vier Monaten meinen Schulabschluss. Ebenso wenig habe ich es geschafft, den Titel meines Vaters als stärkster Kämpfer Damons zu erben. Wenn ihr mich aufgrund dessen bereits abgeschrieben habt, dann tut mir das leid. Aber wisst ihr was? Dann ist mir das auch völlig egal. Wer keinen Nerv hat mit jemand Minderjährigem zu kooperieren, mit dem kann man die Zusammenarbeit ohnehin vergessen. Wer denkt einen Schüler nicht als Häuptling anzuerkennen, den kann ich auch nicht respektieren. Und wer denkt, dass nur der stärkste Kämpfer Damons Häuptling werden sollte, der kann ja versuchen den momentanen Titelinhaber dazu zu überzeugen. Wenn ihr diese Krone hier nicht auf meinem Kopf sehen möchtet, dann sagt das ruhig. Dann gebe ich sie mit Freuden an jemanden, der eurer Meinung nach besser für diesen Posten geeignet ist. Eine Region, in welcher das Volk nicht hinter seinem Herrscher steht, ist dem Untergang geweiht. Und lieber würde ich zurücktreten als all das, was mein Vater und seine Vorfahren hier aufgebaut haben, in die Apokalypse zu führen. Danke schön.“

Eagle setzte sich wieder, während ein aufgebrachtes Gemurmel an quoll.

Carsten, der rechts von seinem großen Bruder saß, funkelte ihn entsetzt an. „Was sollte das denn?!“

„Was?“, fragte Eagle Carsten und klang leicht gereizt.

„Du solltest sie für dich gewinnen und nicht provozieren!“

Geräuschvoll atmete Eagle aus. „Ernsthaft, hast du dir mal angehört worüber die Leute hier in Indigo so reden? Auf der Straße, im Internet, … Überall? Kein Schwein traut mir das zu. Und selbst eure ach so super organisierte Feier wird ihre Meinung nicht geändert haben können. Das ist alles ein Haufen egoistischer Schweine, der niemals auf das hören würde, was ein Teenager zu sagen hat.“

„Zumindest nicht, wenn sich dieser Teenager wie ein Kind in der Trotzphase aufführt.“, erwiderte Carsten verbissen. „Verdammt, Eagle! Du hättest sie fast für dich gewinnen können! Hast du nicht ihre Reaktionen nach dem Eid gesehen?!“

„Diese verächtlichen Blicke? Oh glaub mir, die hab ich gesehen. Sehr gut sogar.“, zischte Eagle zurück.

„Das war keine Verachtung! Sie waren kritisch, natürlich! Aber mehr auch nicht! Und nach dem sie bei dem Programm gesehen haben, welche Nationen dich unterstützen… Ich meine, selbst Spirit hat einen Beitrag geleistet! Das war noch nie zuvor der Fall gewesen!“

„Mitleidsbonus, nichts weiter!“ Ein eisiger Wind zehrte an Carstens Haaren und seiner Kleidung. „Darf ich raten: Der Vertreter von Cor wurde von euren Direktoren überzeugt. Lissi ist selbsterklärend, genauso wie Lauras Auftritt mit Bennis Eltern und ebenso die Typen aus Dessert. Und für euer perfektes Finale habt ihr Konrads und Florians Bekanntenkreis genutzt.“

„Na und?!“

„Na und?!? Hältst du mich für so blöd?! Keiner von denen hätte etwas gemacht, wenn er nicht von euch bequatscht wurde!“

Verärgert erwiderte Carsten Eagles Blick. „Denkst du, Laura und Lissi mussten überzeugt werden? Verdammt noch mal, Eagle, ich kam erst gar nicht auf die Idee sie zu fragen! Laura hat diesen Auftritt von sich aus angeboten! Das hätte sie nicht getan, wenn sie nichts von dir halten würde. Und auf den Rest trifft das genauso zu.“

Eagle schnaubte verächtlich. „Du denkst also ernsthaft, diese Leute würden mich ernstnehmen wollen?“

„Natürlich! Du hast doch von der ersten und zweiten Chance geredet! Vielleicht solltest du dann auch mal deinem Volk diese Chance ermöglichen, damit sie dich kennen- und akzeptieren lernen!“

„Fein, wenn du meinst…“, erwiderte Eagle bissig und richtete sich auf. Ein kurzer Windstoß fuhr über das gesamte Gebiet und alle Aufmerksamkeit war wieder auf ihn gerichtet. „Entschuldigt die Unterbrechung eurer Gespräche, doch mein Bruder würde gerne noch einige Worte sagen.“

Carstens Herz setzte aus. Mit vor Entgeisterung geweiteten Augen starrte er seinen großen Bruder an. „Was?“, fragte er gequält.

Mit einer Geste wies Eagle ihn an sich aufzurichten und setzte sich selbst wieder hin. ‚Du wolltest sie doch unbedingt überzeugen.‘, erwiderte er tonlos, sodass Carsten die Worte nur von seinen Lippen lesen konnte.

Carstens Hände wurden schweißnass und sein gesamter Körper bebte, als er sich wankend auf die Beine mühte. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Ihm wurde kochend heiß. Schwindel überkam ihn und Carsten musste sich am Tisch abstützen, um nicht wieder einzusacken.

Jetzt zusammenzubrechen oder nichts zu machen würde alles nur noch verschlimmern. Sosehr er es auch wollte, er konnte nicht fliehen. Er durfte nicht fliehen.

„Ähm ja, also…“, begann er gepresst mit zitternder Stimme. Kleine Lichter flackerten vor seinen Augen und ein hohes Pfeifen in seinen Ohren erschwerte es ihm, sich konzentrieren zu können. Ihm war kochend heiß. Und gleichzeitig zitterte er, als befände er sich in einem mit Eiswasser gefüllten Becken.

„Ich- ich wollte… Die Worte, die mein Bru- der Häuptling eben gesagt hat: ‚Eine Region, in welcher das Volk nicht hinter seinem Herrscher steht, ist dem Untergang geweiht.‘ Sie haben mich nachdenklich gemacht. Sie erinnern sich doch sicherlich alle an die Geschichten über den magischen Krieg und welche Auswirkungen er auf unseren Kontinent hatte. Gerade wir in Indigo waren davon stark betroffen. Wie viele unserer Vorfahren mussten gemeinsam mit den Dryaden leiden? Wurden gejagt, gefoltert und ermordet? Und all das geschah nur, da ein Wesen es geschafft hat das Volk zu infiltrieren. Sein Vertrauen in die damalige Herrscherfamilie zu zerstören.“ Er warf einen vollkommen überforderten Blick zu Jacob. Bennis Vater nickte ihm lediglich zu, doch alleine diese Geste reichte schon aus, damit Carsten seine Gedanken sammeln konnte. „Es stimmt, dieses Reich ist untergegangen. Und das Leid und Elend im zerstörten Gebiet ist noch immer deutlich sichtbar. Wollen wir, dass uns dasselbe wiederfährt? Wohl kaum. Und deswegen müssen wir uns der Situation bewusstwerden, in welcher wir uns gerade befinden. Die Zeiten werden dunkler. Die Nachrichten berichten vom Verschwinden vieler wichtiger Persönlichkeiten. Genauso hat es schon einmal angefangen. Doch wir werden nicht zulassen, dass es auch genauso enden wird wie letztes Mal. Ich weiß nicht, was Sie über all das hier denken. Aber ich vertraue meinem großen Bruder. Ja, natürlich ist er nicht perfekt. Und viel Erfahrung konnte er auch noch nicht sammeln. Aber ist das so schlimm? Unser Leben lang lernen wir neue Dinge. Und nun muss Eagle halt einige Sachen früher und schneller lernen als es ursprünglich geplant war. Aber er ist nicht alleine in dieser Situation.“ Carsten warf einen Blick auf die Stammesoberhäupter, die ihn interessiert betrachten. „Seine Familie unterstützt ihn, wo es möglich ist. Und damit meine ich nicht nur diejenigen, mit denen der Häuptling blutsverwandt ist. Wir alle, Indigoner, Menschen, Elben und Vampire, wir sind alle Lebewesen desselben Planeten. In gewisser Hinsicht sind wir alle aufeinander angewiesen. Müssen zusammenhalten. In schweren Zeiten noch stärker als in guten. Und genau das sollte auch das Programm des heutigen Abends demonstrieren: Zusammenhalt. Eben diesen brauchen wir jetzt. Mehr denn je. Ich kann Sie nicht zwingen, meinen Bruder zu akzeptieren. Aber ich bitte Sie, genauso wie er es tat, ihm eine Chance zu geben um sich zu beweisen. Außerdem bitte ich Sie darum, ihn zu unterstützen. Ihn nicht alleine zu lassen, bei der Flut an neuen Aufgaben und Eindrücken. Eagle meinte, unser Vater habe keine Tat in seinem Leben bereut. Auch, wenn er nicht mehr bei uns sein kann… Lasst uns dafür sorgen, dass er selbst seinen Tod nicht bereuen muss. Lasst uns zusammenhalten und diese schwere Zeit gemeinsam überstehen.“ Nach einigen Sekunden erdrückender Stille meinte Carsten schließlich zögernd: „Das… das wollte ich Ihnen nur sagen… Vielen Dank…“

Schnell setzte er sich hin, ehe seine zitternden Beine unter ihm nachgaben. Kurz darauf begann ein erst zögerndes und dann allmählich immer weiter anschwellendes Klatschen. Doch Carsten nahm den ohrenbetäubenden Applaus gar nicht wahr. Sein Körper fühlte sich immer noch kochend heiß an, während das Zittern den kältesten Winter vermuten ließ.

Er spürte, wie Saya ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Das war atemberaubend, Carsten.“

„…W-wirklich?“, fragte er matt.

„Und wie! Das- das war einfach…“

Was Saya ansonsten sagte verstand er nicht. Der Applaus war zu laut. Das Pfeifen in seinen Ohren zu schrill. Der Schwindel zu stark.

Den restlichen Verlauf des Abends lief Carstens Körper wie ferngesteuert. Er hatte keine Ahnung, an welchen Gespräche er beteiligt war und wusste nicht, was oder wie viel er überhaupt gegessen hatte. Das einzige was er wusste war, dass er sich hundeelend fühlte und einfach nur noch ins Bett wollte.

Schließlich machten sie sich endlich auf den Rückweg. Florian, Konrad, Rina und die Mädchen aus der Coeur-Academy begleiteten sie, doch Carsten wollte mit keinem mehr reden. Er wollte einfach nur noch schlafen. Jedoch wurde er von Eagle am Fuße vor der Treppe zum Haus abgefangen. „Können wir reden?“

Carsten nickte matt.

„Geht schon mal vor.“, meinte Eagle, an Öznur gewandt.

Diese seufzte. „Mach aber schnell, Carsten sollte sich dringend ausruhen. Du siehst doch, wie blass er ist.“

„Ja, es ist nur ganz kurz.“

„Was ist?“, fragte Carsten erschöpft, nachdem die Tür in die Angeln gefallen war.

„Deine Rede vorhin… Was wolltest du damit bezwecken?“

Er war sich nicht sicher, wie er den Tonfall seines großen Bruders deuten sollte. Dennoch versuchte er so ausführlich wie möglich zu antworten: „Na was wohl? Ich wollte das Volk davon überzeugen, dass sie dich akzeptieren oder zumindest dir eine Chance geben.“

„Kam aber nicht so rüber.“

„Wie meinst du das?“

Eagle wies auf die Federkrone, die er immer noch trug. „Hatte Elan Recht? Hast du es darauf abgesehen.“

Irritiert musterte Carsten ihn. „Was?! Warum sollte ich das?!“ Verletzt ballte er die Hände zu Fäusten. „Glaubst du wirklich das, was dir ein betrunkener Vollidiot erzählt?“

„Nein, ich glaube das was ich sehe. Du versuchst dich in alles einzumischen und allem deine eigene Note zu geben.“

„Ich versuche dir zu helfen!“, rief Carsten aufgebracht. Seine Stimme klang seltsam heiser.

„Das ist keine Hilfe!“, erwiderte Eagle verärgert. „Falls es dir Genie noch nicht aufgefallen ist: Du gewinnst mit solchen Aktionen das Volk für dich, nicht für mich!“

„Warum musstest du bitteschön auch so eine provokative Rede halten?!“

„Das geht dich einen Scheißdreck an!!!“ Eagle packte Carsten am Stoff seines Gewandes. „Du erzählst da deine schönen Märchen über ‚zusammen packen wir das‘, während du mir gleichzeitig in den Rücken fällst?!“

Gekränkt biss Carsten die Zähne zusammen und versuchte sich einzureden, dass das nur am Alkohol lag, den Eagle während des Festmahls getrunken hatte. Eine Zeit lang erwiderte Carsten den zornigen Blick seines großen Bruders. Doch schließlich wandte er sich ab und befreite sich aus Eagles griff. „Glaubst du wirklich, ich würde so etwas machen wollen?“, fragte er mit gesenktem Kopf. Der Schwindel wurde stärker und die Hitze trieb ihm den Schweiß auf die Stirn.

„Ich weiß nicht, was ich glauben soll! Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich dir vertrauen kann.“, erwiderte Eagle, immer noch in Rage.

Carsten kniff die Augen zusammen und versuchte, das erdrückende Gefühl in seinem Herzen zu ignorieren. Hatten sich so auch Benni und Laura nach seinen Worten damals gefühlt? War das nun die Retour für seine Dummheiten?

„…Das habe ich wohl verdient…“, erwiderte Carsten schwach. Er versuchte sich am Treppengeländer abzustützen. Die Welt schien sich zu drehen. Es war heiß, viel zu heiß. Carsten bekam keine Luft mehr. Er wusste nicht einmal mehr, ob er das Treppengeländer noch hatte erreichen können. Er versank einfach nur in einer kochend heißen Finsternis.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Regina_Regenbogen
2020-09-28T07:08:38+00:00 28.09.2020 09:08
Ich wollte dir schon länger mal sagen, dass ich es toll finde, wie viel Mühe du dir mit den verschiedenen Bereichen Damons und den unterschiedlichen Sitten gegeben hast. Die Feier war echt schön beschrieben.
Und jetzt könnte ich Eagle wieder eine reinhauen :D Ja, es geht ihm schlecht und er checkt nicht, was Carsten alles für ihn getan hat, aber diese absolute Ignoranz, weil er mit sich selbst beschäftigt ist, macht ihn meines Erachtens zu keinem guten Anführer. Er muss erst mal die Reife von Carsten erreichen, dann wird er ein toller Häuptling, aber gerade ist er ein "angry young man" und kein Vorbild.
Und dass er Carsten tatsächlich so etwas vorwirft, nach allem, was er für ihn getan hat! Ja, er ist nicht bei sich. Aber es ist so unglaublich grausam. Vor allem nach allem, was er Carsten sein Leben lang angetan hat. Carsten ist wirklich ein gutmütiger Trottel, dass er all das mit sich machen lässt, während er immer nur getreten wird. Ich wünschte, Benni wäre bei ihm! :'(
Antwort von:  RukaHimenoshi
28.09.2020 21:14
Haha, Eagle und seine Impulsivität nun mal ^^" Aber ja, nachvollziehbar, dass du ihm eine reinhauen möchtest. Besonders als Carsten Fangirl #1 ;D
Es ist halt wirklich eine ziemlich schlimme Situation für Eagle und gerade wenn man ohnehin total aufgewühlt ist, sagt man Sachen, die man überhaupt nicht so meint. :( (Carsten ist sowas ja auch schon öfter passiert.) Und bei ihm kommt auch noch der Alkohol obendrauf, der ihn ja nochmal aufbrausender macht... ^^"
Benni hätte ihm in dem Moment vermutlich auch eine reinhauen wollen. XD


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