Meeresflüstern von Coronet (Die Hungerspiele der Annie Cresta) ================================================================================ Kapitel 33: Dein Stern ---------------------- Dein Stern - Achtundzwanzigstes Kapitel * Das letzte Licht steht am Himmel, nicht mehr als ein dünnes Flackern zwischen den dunklen Wolken, welche sich jetzt verhängnisvoll über den Himmel schieben, um das letzte Licht zu erlöschen. Die Vögel fliegen auf, zu hunderten sind sie plötzlich in der Luft und streben auf das letzte Licht zu. Das Geraschel ihrer Flügel erfüllt die Luft, doch es dauert nur einen Moment an, dann entfernen sie sich rasch immer weiter, in Richtung der Ferne, ein Ort, an den wir nie gehen können. Es dauert nicht lange, dann sind sie im letzten, sterbenden Licht verschwunden. Seufzend betrachte ich das flackernde Gold, das nun von der letzten Wolke zugedeckt wird. Alles ist gleichsam grau und unter Schatten verhüllt, die die Äste der Bäume zu langen Fingern werden lassen, den zarten Nebel, der sich erhoben hat, zu einem Leichentuch. Mir fällt ein, dass dies der erste Abend ist, an dem ich die Sonne untergehen sehen habe. Ich erinnere mich nicht einmal, wie es die Abende zuvor war, doch meist war es so, dass die Nacht ungeheuer plötzlich kam und ehe man sich versah spannte sich bereits samtene Dunkelheit über den Himmel. Zaghaft drehe ich meinen Kopf zurück, was die stechenden Schmerzen zurückkehren lässt. Nur mit Mühe unterdrücke ich einen Schmerzenslaut, der meiner Kehle entweichen will. Bemüht, keinerlei Geräusche zu machen, stütze ich mich vorsichtig auf dem Boden ab und richte mich langsam auf. Es fühlt sich an, als würde mein Kopf explodieren, meine Hände werden zittrig, ein stechender Schmerz jagt durch meinen Körper und schließlich brechen mir die Hände weg. Mit einem dumpfen Aufschlag lande ich auf dem Rücken und der Aufprall, wenn auch nur aus geringer Höhe, treibt mir den Atem aus den Lungen. Verzweifelt stöhne ich auf und halte die Lieder für einen Moment geschlossen. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist meine überstürzte Flucht. Ich erinnere mich, wie Äste mir peitschend ins Gesicht schlugen, der Boden unter meinen Füßen aufgeweicht wurde und wie ich nach Halt ringend einen Abhang herab stürzte. Danach war nur… Schwärze. Wovor bin ich geflohen? Meine Finger krallen sich fest in die Erde, als ich mich an die Karrieros erinnere. Die elenden Karrieros, die mir alles nahmen! Vor Schmerzen und Wut schreie ich unterdrückt auf. Mit einem Schlag sind all die Erinnerungen zurückgekehrt. Wie Aramis und ich gekämpft haben. Der Tod von Floyd, so plötzlich und überraschend. Aber noch schlimmer: Aramis Tod, Slays ausdrucksloses Gesicht, als er den Speer in ihren Körper treibt. Ich beiße die Zähne zusammen, will nicht erneut schreien. Denn ich erinnere mich auch, wie jemand meinen Namen rief, ganz aus der Nähe, als ich stürzte. Was, wenn die Karrieros mich gefunden, gefangenen genommen haben? Ein einzelner Gedanke flammt in mir auf: Flucht! Ich muss die Flucht ergreifen, wie Pon, sonst ist es zu spät, ein weiteres Mal würde ich den Karrieros nicht entkommen. Mutig öffne ich die Augen wieder, versuche, mich auf den Bauch zu rollen, doch die Umwelt vor meinen Augen verwischt. Lediglich ein paar Bäume kann ich ausmachen, nass vom Regen glänzt ihre Rinde und noch immer tröpfeln einzelne Tropfen von den Ästen. Ja, geregnet hatte es auch, sowie gewittert. Jetzt regnet es nicht mehr, dafür ziehen einzelne Nebelschwaden vorbei. Dunkel ist es auch, jetzt erst realisiere ich, was ich eben beobachtet habe, bevor die Erinnerung zurückkam. Das einzige, was ich bisher nicht gesehen habe, ist der Tribut, zu dem die Stimme gehört. Keuchend rolle ich mich auf die Seite, immer langsam ein Stück weiter. Ich liege direkt unter einem Baum, in einigen Schritten Entfernung erkenne ich schließlich auch meinen Rucksack – und eine dunkle Gestalt! Zusammengekauert neben dem Rucksack hockt sie, dünn und unter ihrer großen Regenjacke verborgen, deren Kapuze sie über den Kopf gezogen hat. Allem Anschein nach kramt sie leise darin herum, zumindest zieht sie jetzt eine Packung der Kräcker aus ihm hervor, deren Aluminiumverpackung verräterisch glänzt. Während ich mit kratzender Kehle versuche etwas zu sagen dreht die Gestalt sich jedoch schon um. Verwirrt blicke ich in zwei große, braune Augen, die mich sorgenvoll mustern. „Du bist wach?“, haucht eine zarte Stimme. Doch ich starre die Tributin einfach an. Es ist eindeutig eine Sie, doch ich kann nicht ausmachen, um wen es sich handelt. Eine der Karrieros ist es jedoch nicht. Sie trägt, soweit ersichtlich, keinerlei Waffen bei sich und sieht auch sonst eher kränklich aus. Ihre Hand hält noch immer fest die Kräcker umklammert und unsicher sieht sie zwischen mir und dem Rucksack hin und her. „Annie, ich wollte nicht…“ Sie bricht ab und beißt sich auf die Lippen. „Nora?“, huste ich trocken, einer Eingebung folgend. Überraschung spiegelt sich für einen Moment in den Augen des Mädchens ab, dann nickt sie unbestimmt und schließt den Reißverschluss des Rucksackes. „Bin ich froh, dass du wieder wach bist“, sagt sie leise. Eiligen Schrittes kommt sie, die ich jetzt eindeutig als Nora aus dem Trainingscenter wiedererkenne, auf mich zu. Ihre Haare sind wirr und verfilzt, die Wangen schmal und eingefallen, aber es ist immer noch Nora, die einst am ersten Tag des Trainings mit mir bei dem Feuer war. Würde sie jetzt nicht ein kurzes Lächeln zeigen, so würde man denken können, dass dies ein ganz anderer Mensch wäre, doch tatsächlich ist es Nora. Bestimmt drückt sie mich zurück auf den Boden und schiebt mir die schwarze Zeltplane einem Kissen gleich unter den Kopf. Besorgt redet sie weiter: „Du solltest besser liegen bleiben, Annie. Ich kann nicht sagen, wie schwer du verletzt bist.“ Eine leichte Spur von Besorgen spiegelt sich in ihren von Schatten unterlegten Augen. „Mindestens eine Gehirnerschütterung hast du und dein Bein…“ Panisch zucke ich zusammen. „Was ist mit meinem Bein?“ Unglücklich schüttelt Nora den Kopf. „Da ist eine Wunde, aber ich kenne mich nicht aus damit.“ Mein Blick begegnet ihrem entschuldigenden und ich lockere meine verkrampfte Hand. Die Erkenntnis, dass ich mehr Zeit an der Station für Schnittverletzungen hätte verbringen sollen kommt zu spät. „Trotzdem danke“, flüstere ich rau, wobei mein Blick auf die Kräcker in ihrer Hand fällt. Unter ihrer Kapuze schaut Nora ein wenig ertappt aus, doch sie überspielt dies, indem sie mir die Kräcker hinhält und erklärt: „Vielleicht sollten wir dich etwas essen lassen? Wenn du dich dann nicht übergeben musst, dann kann es mit der Gehirnerschütterung nicht allzu schlimm sein.“ Vorsichtig nicke ich, immer darauf bedacht, keine Schmerzen zu verursachen, doch es geht schon besser. Der schlimmste Schmerz ist wohl der, dass all meine Einsichten zu spät kommen. Niemandem konnte ich helfen, nicht Aramis, ja, nicht einmal mir kann ich jetzt helfen. Wie konnte ich so etwas Wichtiges wie Wundversorgung einfach ignorieren? Warum habe ich nicht daran gedacht, dass ich mich mehr anstrengen müsste, verschiedene Kampftechniken zu trainieren? Tatsächlich war ich so dumm gewesen zu glauben, dass ich, aus einem Karrierodistrikt, mich ohne all das durch die Hungerspiele schlagen könnte um Pon zu beschützen. Ja, dies ist der schlimmste Schmerz. Meine eigene Dummheit, zu glauben, dass ich, obwohl nicht freiwillig, es in diesen Spielen zu etwas bringen zu können. In diesen düsteren Gedanken versunken nehme ich Nora den trockenen Kräcker ab und knabbere ein wenig daran herum, doch mir ist nicht nach Essen, auch wenn ich weiß, dass ich muss. Nora selber fällt wie ausgehungert über die Nahrung her und scheint dabei ganz ihre guten Manieren zu vergessen. Krachend verschlingt sie Kräcker um Kräcker und erst, als ich ihr einen verwunderten, vielleicht aber auch etwas bösen Blick zu werfe lässt sie die Packung senken. „Entschuldigung, ich wollte nicht einfach deine Vorräte…“ „Ist schon in Ordnung, ist ja noch genug da. Aber, hast du selber gar nichts?“ Seufzend lässt sie sich mit einem Rascheln neben mir in das Gras fallen und so liegen wie einen Moment da, beide ausgestreckt im Gras, eine leichte Beute für Jäger, wie es mir kurz durch den Kopf zuckt. Ich bin nicht sonderlich stolz auf diese und ähnliche Gedanken, denn sie erinnern mich daran, wie sehr ich mich durch die Begegnung mit Aramis verändert habe. Habe ich zwar versäumt, beim Training zu trainieren, so kann ich das doch irgendwo dadurch wieder wett machen, auch wenn ich erst jetzt merke, was ich Aramis alles zu verdanken habe – ohne sie wäre ich wahrscheinlich längst den Suchern zum Opfer gefallen… „Ich bin direkt vom Füllhorn weggelaufen“, fängt Nora jetzt doch an zu sprechen, „keine Sekunde habe ich überlegt einen der Rucksäcke zu schnappen. Einfach nur weg wollte ich. Weit, weit weg.“ „Und Circe?“, frage ich unsicher nach. „Ich weiß es nicht. Vermutlich auch. Erst gestern habe ich ihn wiedergesehen, kurz vor dem Erdbeben. Weißt du, er ist in eine Bodenspalte gestürzt, die sich im Westteil der Arena aufgetan haben. Ich dagegen bin einfach geflohen, ohne ihm zu helfen. Wir haben uns die ganze Zeit über nicht geholfen und plötzlich… da wollte ich auch nicht mehr sterben, nicht für jemanden, der ohnehin schon verloren war. Ich hab ihn einfach alleine gelassen.“ Stockend bricht sie ab, doch sie bricht nicht etwa in Tränen aus, oder lässt Bedauern mitschwingen, nein, stattdessen lächelt sie einmal kurz auf, aber nicht glücklich und strahlend, wie einst in den Interviews. Ihr Lächeln ist eher bedauernd. „Niemals würde ich mein eigenes Leben für ihn geben können, egal wie ehrenwert das wäre. Er war ein netter Junge, aber nein, nicht mein Leben wert.“ Ich schlucke hart. Erinnere mich an Noras Worte vor der Arena, wie sie mir sagte, dass sie auch etwas beschützen wollen würde. Wollen wir nicht alle etwas beschützen? Unser eigenes Leben nämlich? Es ist die hässliche Wahrheit, aber wäre ich nicht hinter Pon hergerannt, in dem Moment als er floh, wenn ich mein eigenes Leben wirklich so sehr riskiert hätte? Ich weiß es nicht, weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Noch immer bin ich einerseits fest überzeugt, dass ich Pon retten will, dass er es nicht verdient hat, zu sterben, natürlich nicht. Andererseits… habe ich all diese Tage um MEIN Leben gekämpft, nicht um das seine. „Aber bestimmt ist er jetzt an einem besseren Ort“, endet Nora ihre Erzählungen und lächelt sanftmütig. „Bestimmt“, stimme ich ihr leer zu. Denn wer weiß das schon so genau? Ich muss wieder an Aramis denken, ja sogar an Floyd, die beide hässlich gestorben sind. Kann man so an einen besseren Ort gelangen? Was sollte dieser bessere Ort sein? Ich schlucke die letzten Bissen des trockenen Kräckers herunter und schließe die Augen, in dem Bestreben, zu schlafen. Schon bald nur hört man nicht mehr als den leisen Atem Noras und hier und da ein Knacken in den Zweigen. Doch ich selbst kann nicht wirklich schlafen. Dumpf pocht der Schmerz in meinem Hinterkopf und die Gedanken rotieren wild und unberechenbar. Aramis soll tot sein? Ich kann es mir nicht vorstellen, auch wenn sich der Gedanke krampfhaft in meinem Kopf hält. Erst später als Nora dämmere ich ein wenig weg, doch mein Schlaf ist nicht von langer Dauer: Auf vollster Lautstärke tönt auf einmal die Hymne Panems durch die Arena. Binnen Sekunden bin ich wach und habe mich, vor lauter Schrecken, aufgesetzt. Schwindel rast durch meinen Kopf, ebenso wie Schmerzen, doch sonst behalte ich einen überraschend klaren Kopf. Meine lieben, verbleibenden Tribute – nun seid ihr nur noch acht. Die tapfersten und wagemutigsten, möchte ich anmerken. Ungläubig lausche ich Claudius Stimme, die durch die dunkle Nacht hallt. Auch Nora neben mir ist aufgeschreckt und mit großen Augen sehen wir einander an. Natürlich habt ihr euch eine Belohnung verdient! So wurde entschieden, dass es eine Aufgabe, wenn man so will, für euch gibt. Dem Sieger wird ein großes Festmahl beschert werden: Er wird ein einzigartiges Geschenk erhalten, denn wir wissen, dass ein jeder von euch etwas dringend benötigt… Für einen Moment setzt mein Herz aus. Ich könnte Medizin bekommen! Hilfe…! Zu eurer Aufgabe: Der Tribut, der bis zur nächsten Nacht als erster siegreich aus einem Duell mit einem anderen Tribut hervorgegangen ist, ist der Sieger! Und nun zu jenen, die uns an diesem Tage verlassen mussten… Schweigend starren wir das Bild Floyds an, dass übergroß auf der Himmelskuppel eingeblendet wird. Derjenige, der als erstes einen Tribut tötet, erhält etwas, dass er braucht, dringend benötigt… und ich brauche Medizin, Nora Nahrung. Unerwünschter weise drängt sich mir einer der Leitsätze der Spiele in den Kopf: Es kann nur einen Sieger geben. Eigentlich reichlich lächerlich, dieser oftmals mit überzogener Dramatik wiederholte Leitsatz, doch in diesem Moment passt er perfekt auf unsere Situation. Noch hat sich keiner von uns beiden geregt, denn noch ist Noras Aufmerksamkeit auf den Himmel gerichtet. Circes Gesicht wird mittlerweile eingeblendet und stumm blickt sie ihn an, als würde sie ihn noch einmal um Verzeihung bitten wollen. Dann geht sein Gesicht in Aramis über. Brennend steigen die Tränen in meinen Augen auf, doch ich lasse sie nicht laufen, sondern blicke noch einmal in ihr Gesicht. Ein grimmiges Lächeln trägt meine ehemalige Verbündete stolz zur Schau, doch sie wirkt nicht hart oder brutal, sondern einfach nur entschlossen. Sie ist fort. Stumm blicke ich zu Boden und jetzt rinnt doch eine der Tränen über meine Wange, zieht ihre heiße Spur hinter sich her, ehe sie vom Kinn tropft. Wackelig stehe ich auf, beiße die Zähne zusammen, als der Schmerz durch mein Bein schießt, stehe auf und gehe einige Schritte fort vom Lager, ohne mich noch einmal umzusehen. Bei einer versprengten Ansammlung von Steinen lasse ich mich auf den größten sinken und richte mein Gesicht stumm gen Himmel, der nun wieder mitternächtlich blau-schwarz und leer ist. Einzelne Wolkenschleier reißen auf und präsentieren den Ausblick auf eine klare Nacht. Ich bin mir sicher, dass Nora nicht gefolgt es, denn aus der Entfernung höre ich, wie jemand eine Verpackung aufreißt. So ist es besser, so hat sie keinen Grund, mich zu töten – vorerst. Stumm laufen meine Tränen die Wangen hinab, kein Schluchzer dringt hinaus in die Nacht. Einst war ich fasziniert von der Nacht. Sie hatte etwas Verbotenes an sich, doch gleichzeitig war sie wunderschön, mit all den funkelnden Sternen am Himmelszelt. Besonders schön waren jene Nächte, in denen die Wellen sich sanft am Pier brachen und den Wind einer anderen Welt brachten. Melancholisch kauere ich mich zusammen, winkle mein gesundes Bein an und lege meinen Kopf darauf ab. So spüre ich, wie sich etwas Kleines, Hartes in meine Brust bohrt. Fragend ertaste ich eine glatte Oberfläche, die sich warm in meine Handfläche schmiegt. Mein Medaillon. Lange habe ich nicht mehr daran gedacht. Ich ziehe den Anhänger hervor und betrachte ihn im schwachen Mondlicht, wie er golden glimmt. Direkt daneben baumelt der kleine Fisch – Finnicks Anhänger. Er erscheint mir wie aus einer anderen Zeit, während ich ihn zwischen Daumen und Zeigefinger drehe. Erneut bin ich von seiner Feinheit erfasst, wie schmal die verdrehten Goldfäden sind, obwohl es nur ein schematisierter Fisch ist. Ein Gespräch, welches ebenso gut einer anderen Zeit entstammt kommt in meinen Gedanken wieder zum Vorschein. Es war ebenfalls des Nachts, als wir, bereits im Kapitol, auf der Terrasse saßen, die ich eigentlich nicht hätte entdecken dürfen. Die Geräusche unter uns waren verblasst und wir hatten, zaghaft, zum ersten Mal, uns an den Händen gehalten. Droben hatten die Sterne um die Wette geleuchtet. „Ich hoffe, dass in den Sternen noch kein Platz für dich ist.“ Ich weiß noch, wie inbrünstig er mir davon erzählte, dass er fest daran glaube, dass es für jeden einen besseren Platz gäbe, einen Frieden nach dem Tod. Einen Stern für jeden Gefallenen von uns. Finnick Odair glaubt noch an solche Märchen. Aber waren sie in dem Moment nicht auch für mich real? Schließlich war ich es doch, die daran dachte, wie die Verstorbenen von ihren Sternen auf uns hinabblickten, mit mildem Wohlwollen. Meine Hand auf den leeren Platz neben mich gelegt spüre ich, wie die Wärme in mich zurückkehrt. Mit geschlossenen Augen fühle ich mich an den Tag zurück, an dem er mich das erste Mal küsste. Doch als ich die Augen erneut öffne, da ist wieder nur die Nacht um mich und meine Hand berührt den kalten Stein. Aber in den Lücken, die sich zwischen den Wolken auftuen, da funkeln die Sterne, wie jede Nacht am echten Nachthimmel. Den größten von ihnen fasse ich fest in meinen Blick und beobachte ihn eine Weile. Stelle mir vor, wie goldig glänzender Weizen auf ihm wächst, einem Feld in Distrikt zehn gleich. Dazwischen steht ein weißes Bett in dem Feld. Ich kann es aus der Ferne erkennen und laufe durch das raschelnde Getreide darauf zu. Die Ähren wogen um meine Beine und es ist warm. Kein Geräusch außer dem lauen Wind ist zu hören, der durch das Feld fährt. Zu meinen Füßen ist die weiche Erde, die meinen Füßen wohltut, alle Schmerzen verschwinden. Bei dem Bett angelangt harre ich einen Moment aus, ehe ich mich zaghaft vorbeuge, die Haare mit der Hand zurückhaltend. Auf dem Bett liegt sie, eine schlichte Bluse und sportliche Hose tragend, die Hände entspannt auf der Seite. Ihre Haare sind offen, so wie ich sie vorher nie gesehen habe. Wenn sie schläft, dann wirkt sie viel lieblicher, als sie es jemals vorher war. Ich lächle über diesen Gedanken. Er stimmt nicht so ganz, auch sie konnte lächeln, da bin ich mir sicher, dennoch war sie ein ernster Mensch. „Gute Nacht, Aramis“, flüstere ich und lege eine lange Ähre, die ich auf meinem Weg abgebrochen habe, auf ihre Brust. Sie bewegt sich nicht. Den Blick auf den Horizont gerichtet warte ich, bis die Sonne untergegangen ist und die schöne Nacht herbeizieht. Überall um mich herum fangen die Sterne an zu funkeln, sechzehn an der Zahl. Glücklich schließe auch ich die Augen. Der kalte Nachtwind, der über mich fährt, holt mich aus der Traumwelt zurück, doch das warme Flackern in meiner Mitte bleibt. Ungelenken Schrittes humple ich zu dem Lager zurück, wo Nora mit geschlossenen Augen gegen den Baumstamm gelehnt wartet. Als ich komme blinzelt sie mich aus dem Augenwinkel an. Nur vier Worte sagt sie: „Ich habe keine Waffe.“ Ich schüttle den Kopf. „Ich brauche keine Waffe.“ Ihre Mundwinkel zucken erleichtert und ich lasse mich unter Schmerzen neben ihr sinken. Betrübt blicke ich auf mein Bein, wo ich zum ersten Mal die Wunde sehe. Die Hose ist auf Höhe des Knies aufgerissen und ein blutiger Striemen, glücklicherweise nicht allzu tief anmutend, wird sichtbar. „Das wird schon werden“, murmle ich, ehe ich einschlafe. ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)