Meeresflüstern von Coronet (Die Hungerspiele der Annie Cresta) ================================================================================ Kapitel 31: Die Kämpferherzen ----------------------------- Die Kämpferherzen - Sechsundzwanzigstes Kapitel * Dunkel und von Wolken verhangen wölbt sich der Himmel über die Arena, als ich aus meinem Traum aufschrecke. Mein rasender Atem bildet Wölkchen, die weiß vor dem schwarzen Himmel dahinschweben. Einen Moment lang habe ich Mühe, mich zu orientieren, bis ich Aramis ausmachen kann, die auf die Seite gerollt schläft. Sie muss während ihrer Wache eingeschlafen sein, doch  kein Geräusch außer meinem Atem durchbricht ohnehin die Stille der Nacht. Es ist eine friedliche Nacht, die von einem blassen Mond beleuchtet wird. Erleichtert seufze ich leise. Meine Träume… eines Tages werden sie mich noch verrückt machen. Mit einer kalten Hand fahre ich mir durch die Haare, die mir am Gesicht festkleben. Ob vor Schweiß oder Tau kann ich nicht sagen. Leise, um Aramis nicht zu wecken, setze ich mich auf und lehne mich gegen den angenehm kühlen Stein, während ich mühsam das Haarband aus meinem Zopf befreie. Ich schüttle meine Haare und wünsche mir, dass es doch nur eine Dusche hier gäbe, denn ich sehe furchtbar aus. Durchgeschwitzt vom Angstschweiß meines Alptraums, verdreckt vom Tage und überdies ausgehungert und übermüdet… Ich ziehe meine Jacke aus und rolle sie zu einem kleinen Kissen zusammen, gegen das ich nun meinen Kopf lehne. Es ist zwar nicht wirklich warm, doch der kalte Wind streicht angenehm über meine Schulter und kühlt mich. Wenigstens hat mein Alptraum dieses Mal Pon nicht beinhaltet, sondern nur das Mädchen aus Distrikt neun. Immer wieder ist sie hinter mir hergelaufen, mit einem großen roten Blutfleck auf der Brust und ein Messer schwenkend. Es war wie gestern, als die Angst um mein eigenes Leben mich überwältigte und ich mich wehrte, obwohl ich niemandem etwas tun wollte. Ich weiß, dass ich nicht mehr daran denken sollte, was geschehen ist, denn es wird mich nie loslassen. Vor meinen Augen kann ich sehen, wie Amber aussehen würde, die Arme verschränkt und ich höre fast, wie sie sagt, dass ich lernen muss zu vergessen. Ja, so etwas würde Amber tun. Manchmal wäre es so viel besser, wenn ich ein wenig mehr wie Amber wäre. Aber stattdessen bin ich einfach nur… Annie. Klein, weinerlich und ein wenig – verrückt.   Ich kann nicht alle retten und doch scheint mein Innerstes in Flammen zu stehen, wenn ich nur daran denke, wie viele sterben müssen, damit einer von uns überleben „darf“. Nicht einmal meinen ärgsten Feinden, den Karrieros, wünsche ich diesen Tod, hier in der kalten Arena, wo jeder zusehen wird. Nervös beiße ich mir auf die Unterlippe bei dem Gedanken an Maylin. Noch lebt sie – noch muss ich sie töten. Mit meinen eigenen Händen! Um keine Schwäche mehr zu zeigen balle ich meine Hände zu Fäusten und bohre schmerzhaft meine Fingernägel in die geschundenen Handflächen. Wenn ich so weiter mache werde ich noch ein nervliches Wrack werden! In diesem Moment höre ich ein leises Rascheln aus der Richtung des Nachtlagers. Nur vom Mondlicht beschienen zeichnet sich Aramis dunkle Silhouette vor dem Himmel ab. Einen Moment lang sitzt sie nur da, als würde sie mich nicht einmal bemerken, dann wendet sie ihren Kopf. Ihre Augen blitzen im Licht einmal kurz auf und zum ersten Mal kann ich erkennen, dass sie grüne Augen hat. Nicht so grün-blaue wie meine, nein, so grüne wie das erste Grün im Frühjahr. Trotz ihrer Statur, ihrer Waffen, die direkt neben ihr liegen, die sie sogar manchmal in der Nacht fest in der Hand hält, sieht sie nicht aus, wie eine brutale Mörderin. Ich wusste doch, worauf ich mich einließ, als ich mich mit ihr verbündete, und doch will ich es nicht wahrhaben. Einen Moment lang schweigt sie und wir blicken uns bloß an – ob aus Rücksichtnahme, oder weil wir uns bloß nichts zu sagen haben, kann ich nicht deuten. Nach einer Weile erhebt Aramis sich und setzt sich mit geschmeidigen Bewegungen neben mich. Es erstaunt mich immer noch, wie leise sie sein kann, wo sie doch so eine kräftige Statur hat… „Ich hatte nie eine Wahl.“ Leise und sanft wie der Wind hängen ihre Worte in der Luft. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich blicke starr auf meine Hände, die ich in meinem Schoß knete. „Vielleicht ist es Schicksal, wie manche es nennen.“ Erneut senkt sich die Stille über uns. Zaghaft wage ich einen Seitenblick auf Aramis. Ein paar Strähnen hängen ihr ins Gesicht und ich kann ihre Augen nicht erkennen, doch sie scheint ihren Blick weit in die Ferne gerichtet zu haben. „Bin ich die Böse in diesem… diesen Spielen?“ Für den Moment lang glaube ich, dass sie eine Antwort erwartet, doch dann fährt sie hastig fort: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines… Ich bin ich.“ Ich schlucke, doch der Kloß in meinem Hals geht nicht weg. „Annie, ich bewundere dich. Du bist so… nett. Wenn ich die Böse bin, dann bist du die Gute.“ Zum ersten Mal guckt sie mich wieder an, doch der Blick aus ihren grünen Augen ist unergründlich. Ein seltsames Lächeln, das sich kaum wie eines anfühlt, gleitet über mein Gesicht. „Du bist nicht Böse.“ Ich will es nicht aussprechen, dass ich bloß schwach bin, denn ich brauche doch Sponsoren. Bestimmt haben wir die gesamte Aufmerksamkeit Panems. Ein falsches Wort – es könnte unseren Tod bedeuten. Also besinne ich mich auf das Einfache, das Naheliegendste: „Du hast mich gerettet.“ Auch sie zeigt ein kleines, resigniertes Lächeln, sie versteht. „Weil ich dich ein wenig bewundere. Du hast noch eine Wahl.“ Ich schüttle den Kopf. „Pon“, sage ich nur kurz, doch ich kassiere lediglich einen wissenden Blick von Aramis. „Weißt du, auch ich hatte einen Partner. Unsere Bauernhöfe in Distrikt zehn waren dicht beieinander – wir waren quasi Nachbarn. Auch wenn er zwei Jahre jünger war, waren wir gute Freunde. Ich hab ihm das Bullenreiten beigebracht, dafür hat er mir sein Pferd geliehen, wenn ich einmal ins Zentrum von Distrikt zehn musste. Wir haben vieles geteilt.“ Für einen Moment stoppt sie, doch ich wage es nicht, auch nur etwas zu sagen. Nach meiner Einschätzung kommt es nicht oft vor, dass Aramis aus ihrem Leben erzählt. Ich kann spüren, wie sie sich neben mir anspannt, ganz so, als würde sie sich vor etwas wappnen. „Es war nicht so, als wenn wir allerbeste Freunde waren…“ Es gibt nur eine Möglichkeit, was passiert ist, es ist doch immer so: „Bis zum Ende haben wir alles geteilt, auch die Ernte. Er kam mit mir her und es war doch von Anfang an klar, dass es nur einen geben kann. Doch… er hat nicht einmal das Füllhorn überlebt.“ Meine kalte lege ich auf ihre, die rau und schwielig ist, vermutlich von der harten Arbeit in Zehn. „Nicht nur dir haben sie etwas genommen.“ Zwar weiß sie nichts von Maylin und Snows Drohung, doch sie stellt keine Frage, obwohl Pon doch noch am Leben ist, von dem ich ihr bisher nur erzählt hatte. „Ich kann Pon nicht vor ihnen beschützen, sie sind der Feind und… Ich habe eine Rechnung mit ihnen offen.“ Sogar mich überrascht meine drastische Wortwahl ein wenig und für den Moment herrscht Schweigen, ehe Aramis kurz Luft holt, ansetzt etwas zu sagen und dann doch schweigt. Fragend blicke ich sie an. „Annie, es ist völlig deine Entscheidung, das solltest du wissen.“ Ich nicke. „Aber… wir sollten es die Karrieros büßen lassen… Ich will es die Karrieros büßen lassen. Ich weiß, du bist nicht wie“, mit leiserer Stimme fährt sie fort, „wie ich.“ Ich schenke Aramis ein kleines Lächeln, denn ich habe verstanden – wir sind uns ähnlicher, als ich dachte. Wir wollen nicht aus Wonne töten und doch mögen unsere Wege unterschiedlich anmuten, aber in Wirklichkeit sind wir wohl doch nicht allzu verschieden. „Vielleicht hast du dich geirrt, was die Wahl angeht“, flüstere ich so leise in ihr Ohr, dass ich hoffe, dass Snow es nicht hört. Dies ist ein Eingeständnis meiner Schwäche, dass Snow Macht über mich hat. Nun erwacht Aramis selber wieder zu leben, begeistert ritzt sie eine Karte der Arena in den Boden und gemeinsam überlegen wir bis zum Morgengrauen, wo die Karrieros sich aufhalten könnten. Schließlich steht unser Plan fest: Nach dem Frühstück, welches wir zum ersten Mal in der Arena haben, werden wir in das Tal herabsteigen und uns auf den gefährlichen Weg Richtung Füllhorn machen, wo wir die Karrieros am ehesten vermuten, denn in 90% aller Spiele, die wir beide gesehen haben, war das Hauptversteck dort, an der Quelle von Waffen und Nahrung. Schon jetzt bin ich nervös und fühle, wie sich mein Magen zusammenzieht bei dem Gedanken daran, so bald schon Maylin zu begegnen. Für so lange Zeit war es mir gelungen, sie zu verdrängen, doch jetzt ist es soweit. Noch habe ich keinen Plan, wie ich es tun soll, sondern ich hoffe einfach darauf, dass es sich ergeben wird, ähnlich wie bei dem Mädchen aus Neun. Ein naiver Gedanke, aber am liebsten würde ich ja auch einfach auf das Ende warten wollen, wie ein Angsthase, in irgendeiner unterirdischen Höhle. Während des Frühstücks spitzt Aramis mit kontrollierten Bewegungen, ohne ein äußerliches Anzeichen von Nervosität, die Spitzen ihrer Pfeile weiter mit dem Messer an, bis sie fein und gefährlich wie kleine Nadeln sind. Beide bekommen wir wenig runter, auch wenn Aramis versucht, sich ihre Unruhe nicht anmerken zu lassen, in dem sie so kontrolliert arbeitet. Meine Hände dagegen zittern so stark, dass ich sogar eines meiner Brötchen fallen lasse. Deshalb bin ich fast schon dankbar, als Aramis sich entscheidet, dass wir losgehen sollten. Heute bleibt der Himmel von den Wolken verhangen, sodass es zusätzlich zu der Hitze auch noch unerträglich schwül wird, als würde uns ein heftiges Unwetter bevorstehen. Wobei ich sagen muss, dass ich einem Unwetter nicht einmal abgeneigt bin, denn vielleicht blüht die Arena dann wenigstens ein wenig auf. Diese Hitze erleichtert uns den Abstieg nicht gerade, denn es fühlt sich so an, als würde man durch Wackelpudding marschieren. Zur Mittagshitze erreichen wir pünktlich, aber völlig verschwitzt, den letzten Geröllstreifen am Fuße des Berges, ehe das offene Grasland beginnt. Mittlerweile tragen wir nur noch die Tops und die Hosen haben wir hochgekrempelt, soweit es geht. Lediglich die Schuhe auszuziehen trauen wir uns nicht, aus Angst vor möglichen Fallen oder Gefahren. Keuchend lassen wir uns auf die Steine fallen, die wenigstens nicht von der nicht vorhandenen Sonne erhitzt werden konnten. Schutz vor der Hitze jedoch gibt es nicht, nur vor der Sonne, dank der Wolken. Als einzige Maßnahme gegen die brutale Hitze wagen wir es, uns ein wenig des kostbaren Wassers über den Kopf rinnen zu lassen, doch die angenehme Kühle vergeht viel zu schnell. Gerade, als ich mir die letzten Tropen die Kehle hinabrennen lasse und Aramis sich daran macht eine ausreichende Mahlzeit aus Brot, Speck und Trockenfrüchten zusammen zu stellen, zerreißt die empfindliche Stille um uns herum. ROAAAAAAAAAR! Es ist ein lautes, dunkles und wütendes Brüllen, das von den Hängen wiederhallt. „Scheiße, Annie!“, sagt Aramis konsterniert, während ihre Augen sich weiten. Mein Herz in der Brust macht einen kleinen Satz. Ich kenne dieses Brüllen… Die Packung getrockneter Ananasscheiben, die ich eben noch in der Hand hielt, fällt mit einem Plumps zwischen meine Füße. Meine Kehle ist wie zugeschnürt, als ich hinter Aramis blicke. Ein dunkler Schatten schleicht sich in ihrem Rücken an. „A… hinter“, ich breche ab und beschließe, zu handeln. Mutig springe ich nach vorne und reiße die wie in eine Starre verfallene Aramis von dem Stein, in Richtung Boden. Hart prallen wir auf den Boden auf. „Berglöwe“, zischen wir beide aus einem Munde, was ein neuerliches, schauriges Brüllen nur bestätigt. Mit einem eleganten Satz landet die Raubkatze auf dem Stein, wo ich eben noch saß. Es ist ein besonders großes, rot-braunes Exemplar, garantiert genmanipuliert. Sein Fell ist schmutzig und zottelig. Das letzte Mal, als ich einem Löwen dieser Sorte begegnet bin, ist er glücklicher Weise bloß um unser Nachtlager geschlichen, doch dieses Exemplar schaut nicht so aus, als wäre er zum Spiele gekommen, denn seine bedrohlichen Zähne sind gebleckt. In diesem Moment entdeckt das Tier uns und knurrt, wobei es seine Lefzen hochzieht. Seine stechenden Augen, die von einem schmutzigen Gelb sind, scheinen direkt in die meinen zu sehen. Wie schockgefrostet liege ich auf dem Boden und erwidere den Blick der Raubkatze. Hinter mir jedoch richtet Aramis sich auf, einen Pfeil an der Sehne und schießt auf den Berglöwen, doch der Pfeil streift ihn nur an der Flanke und er jault böse auf. Unter seiner Haut spannen sich seine geschmeidigen Muskeln an und es sieht aus, als wolle er gleich losspringen, doch noch hält er die Spannung, seinen stechenden Blick fest auf uns gerichtet. In der Ferne ist ein dumpfes Grollen zu vernehmen, wie von einem Gewitter. Ich hasse Gewitter. Ein kleines „Hiii“, entfährt mir und ich presse meinen Kopf zwischen meine Arme. Ich will das Ende nicht kommen sehen, und gerade jetzt habe ich das Gefühl, dass es sehr nahe ist. Mit einem Tribut können Aramis und ich es vielleicht noch aufnehmen, aber nicht mit einem riesigen Löwen. Unter meinen Lidern hindurch schaue ich vorsichtig hervor und sehe, wie die angespannten Muskeln losschnellen und der Löwe sich vom Stein abdrückt wie eine Sprungfeder. Ich halte den Atem an und rolle mich zu einer Kugel zusammen, in Erwartung scharfer Krallen, die meine Haut gleich aufschlitzen werden, als Rache für den gestrigen Mord. Doch das bleibt aus, stattdessen gleitet der Schatten über uns hinweg und der Berglöwe verschwindet mit ein paar Sätzen am Berg, wo er hergekommen ist. Aber die Erleichterung währt nicht lange, denn in diesem Moment rumpelt es erneut – jedoch nicht in der Ferne, sondern in unmittelbarer Nähe. Jetzt weiß ich auch, warum die Raubkatze geflohen ist, anstelle uns zum Mittagessen zu verspeisen: Eine Steinlawine droht! Panisch rufe ich Aramis zu, sie solle sich nach einem Baum oder einer Erhöhung umsehen, denn ich will nicht von Steinen überrollt werden. Doch alles, was sich in unserem Umkreis befindet sind… Steine. Unsere Blicke begegnen sich und sie schüttelt hastig den Kopf, ehe sie brüllt: „Renn!“ Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und wir schmeißen uns unsere Rucksäcke auf den Rücken und rennen, was unsere Lungen hergeben. Keuchend und mit brennenden Gliedern taumle ich auf die Grasebene zu, doch das Grollen lässt nicht nach, ja, es verfolgt uns gar!   Mit einem Gefühl, als würde meine Lunge gleich in Feuer aufgehen, renne ich weiter durch das trockene Gras, obwohl ich Aramis längst aus den Augen verloren habe. Schließlich habe ich mir doch geschworen, das hier zu einem Ende zu bringen! Erst als das Grummeln überraschender Weise abreißt, halte ich inne. Augenblicklich überkommt mich Schwärze und ich sacke zusammen. Zittrig atme ich ein und aus, völlig erschöpft und von den Schmerzen überrascht. Kalter Schweiß rinnt über meine Stirn, doch ich fühle mich an, als würde ich kochen. Über mir ziehen die Wolken unbeirrt ihre Bahnen und alles ist ruhig. In diesem Moment taucht ein ernstes Gesicht in meinem Blickfeld auf. Besorgt mustern Aramis grüne Augen mich, dann geht sie in die Knie und reicht mir ihre Hand. „Alles in Ordnung?“ Mit leichtem Schwindel setze ich mich auf und nicke zaghaft, während ich einmal tief Luft hole. „Nur zu schnell gerannt“, murmle ich leise. „Was war-“, will sie fragen, doch in diesem Moment rumpelt es noch einmal, dieses Mal jedoch spüre ich auch die Bewegungen – die Erde in der Arena bebt. Mit einem schrillen Schrei presse ich mich flach auf den Boden, und Aramis tut es mir gleich. Das unheilvolle Geräusch ist weder Gewitter noch Steinschlag – sondern ein Erdbeben! Mit Tränen in den Augenwinkeln presse ich mich an die raue Erde, die unter meinen Fingern immer wilder geschüttelt und gerüttelt wird. Der Himmel über uns sieht aus, als würde er aus der Fassung fallen, direkt auf uns herab. In der Ferne hören wir das Knallen von Steinen, die ausgelöst durch das Erdbeben von den Hängen poltern. Ich verliere vollständig die Kontrolle über das, was hier passiert, alles, was ich tun kann, ist mich durchrütteln zu lassen. Immer mehr grollt es in der Erde und ich fühle mich, als würde ich den Boden unter mir verlieren. Die Zähne in meinem Kiefer klappern aufeinander und ich presse sie fest aufeinander, genauso, wie ich meine Augenlider zusammenpresse, um nicht die Welt zu sehen, wie sie um mich herum in sich zerfällt. ‚Warum ich? Warum, Warum?`, wimmere ich in Gedanken, während ich spüre, wie sich die Erde unter meinen Fingern langsam spaltet, bereit mich zu verschlingen. Müde bette ich meine Stirn auf die sich spaltende Erde. So lange bin ich nun schon fortgerannt, immer gerannt, doch jetzt spüre ich, wie meine Energie förmlich fortgesaugt wird von mir. Es geht mir schlecht, ich bin müde… ich will schlafen. Es ist doch klar, dass sie mich tot sehen wollen! Langsam verliere ich das Gefühl über meinen Körper, ich spüre nur noch, wie ich durchgeschüttelt werde, immer gleichmäßig und fast schon beruhigend, wie ein Wiegenrhythmus. „Was tust du denn da? Steh auf!“, reißen mich Schreie aus der Gleichgültigkeit. Mühsam kann ich eine wackelnde Aramis erkenne, die eine Hand nach mir ausstreckt, doch sie scheint Mühe zu haben, sich auf den Beinen zu halten. „Bitte Annie.“, ruft sie weiter. Es dauert so unendlich lange, als ich meine Hand nach ihr ausstrecke, doch kaum, dass Aramis sie ergreift, scheint das Tempo der Welt von 0 auf 100 zu steigen. Ich werde förmlich von ihr mitgerissen, über sich auftuende Risse und die wackelnde Welt, die in meiner Wahrnehmung irgendwie… schief zu liegen scheint. Alle Empfindungen wie Anstrengung und Müdigkeit bleiben hinter uns zurück, als wir so durch die Ebene rennen, einfach nur noch angetrieben von Angst und dem Überlebensdrang, auch wenn dieser mich fast schon verlassen hatte. Wir stürzen vorwärts, die aufreißende Ebene im Nacken und scheinen fast dahinzufliegen. Aramis lässt meine Hand nicht los, nicht für eine Sekunde, als hätte sie Angst, dass ich dann verschwinden könnte. Erst nach einer Weile wird sie langsamer, aber auch nur, weil das Grollen verstummt hat. Langsam laufen wir noch ein paar Schritte, eher sie abstoppt und mich auflaufen lässt. Verwirrt pralle ich gegen sie und registriere erst nach einigen Sekunden, dass die Erde um uns herum sich nicht mehr bewegt. Gerade will ich aufatmen, da schlingt Aramis ihre Arme um mich. Fest drückt sie mich an sich. Perplex sinke ich in ihren Armen zu Boden und lege zaghaft meine Arme um sie. „Mach das ja nicht noch einmal, mir so einen Schrecken einzujagen“, sagt sie zittrig, während sie ihr Gesicht an meine Schulter lehnt. Überrascht tätschle ich ihr die Schulter. „Nein, ich verspreche es“, entgegne ich mit weinerlicher Stimme, jetzt, da das Adrenalin mich wieder verlässt. Ich lasse meine Arme sinken und sie packt meine Hände und drückt sie ebenfalls fest. „Du bist doch stark. Wir sind stark. Ein gutes Team, das sind wir. Da ist ein kleines Erdbeben doch nichts…“ Wir tauschen ein kleines Lächeln aus. Ja, in Wirklichkeit war das Erdbeben nur klein. Aramis kichert leicht und ergänzt: „Kämpferherzen sind wir, jawohl.“ Ein letztes Mal noch umarmen wir uns, einfach erleichtert, noch am Leben zu sein. Atemlos schaue ich auf die Ebene hinter uns zurück, die jetzt von feinen Rissen, wie Adern, durchzogen ist, doch keiner ist so groß, dass er uns hätte gefährlich werden könnte. Auch Aramis mustert die Ebene düster. „Wir sollten machen, dass wir von hier fortkommen, ehe das noch einmal passiert“, murmelt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. Dem stimme ich vorbehaltlos zu. Sie klopft sich den Dreck von der Kleidung und steht auf, den typischen Gesichtsausdruck wieder aufgesetzt. „Und deshalb“, sagt Aramis entschlossen, während sie einen Pfeil aus ihrem Köcher zieht, „werden wir jetzt eine Rechnung mit den Karrieros begleichen gehen.“   ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)