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Meeresflüstern

Die Hungerspiele der Annie Cresta
von

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Ausrutscher

»Mein lieber Claudius, heute wird es spannend! Nach dem erfolgreichen Training werden wir jetzt erfahren, welche Tribute die Erwartungen erfüllen können – und wer uns vielleicht überrascht!
 

Im bisherigen Favoritenranking stehen Distrikt Eins, Zwei und Sieben ganz oben, aber auch Vier, Fünf und Neun haben eine ganze Reihe Fans versammeln können. Doch wir wissen, Caesar – noch ist alles offen.
 

Gerade in Sachen Distrikt Vier bin ich persönlich ja nach wie vor skeptisch, ob wir hier nicht bloß von gutem Aussehen geblendet werden. Aber immerhin trainiert Finnick Odair die beiden, also sollten wir sie noch nicht abschreiben!«
 

*

 

Am Morgen ist jegliche Leichtigkeit aus der Nacht verflogen. Cece scheucht Pon und mich aufgeregt umher, doch anstatt von ihrer Nervosität angesteckt zu werden, habe ich Schwierigkeiten, die Augen offen zu halten. Zusätzlich zu der Müdigkeit steckt die Angst wie Blei in meinen Gliedern. Ich will mich nicht den Spielmachern beweisen müssen. Vor mir erkaltet das leckere Brötchen aus einem unbekannten Distrikt und ich warte darauf, dass alles vorbei ist. Dass der Gong der Arena ertönt. Wenn es nur noch Pon, ich und das Überleben sind.

In ihrem üblichen Singsang wünscht Cece uns einen gelungenen Trainingsabschluss und ausnahmsweise glaube ich ihr das sogar. Pon an meiner Seite ist genauso schweigsam wie ich und als wir die Trainingshalle betreten, hat er nichts dagegen, dass ich einen Arm um seine Schultern lege. Die Karrieros sind ohnehin beschäftigt und nehmen sich keine Zeit für eine Musterung von uns, auch wenn wir ihnen zu den gleichen Kampfstationen folgen. Vor der Bewertung durch die Spielmacher gilt es ein letztes Mal, alles zu geben.

»Annie?«, wendet Pon sich leise an mich, während wir einmal mehr bei den Speeren stehen.

»Ja?«

»Willst du wirklich alleine kämpfen?«

Erstarrt halte ich inne, eine Hand um den metallenen Schaft eines Speers geschlungen. So wie Pon mich mustert, sieht er keinen Deut wie zwölf Jahre aus.

»Ja«, entgegne ich nach reiflicher Überlegung. »Ich traue niemandem. Außer uns.«

Pon nickt langsam. »Wir sind keine Karrieros. Aber wären wir mit mehreren nicht ... stärker?«

»Jede Person mehr wäre ein Risiko, die Spiele nicht zu überleben. Und ich will doch, dass du überlebst, Pon.«

»Aber wenn es nicht die Karrieros wären – du hast doch auch mit Nora aus Fünf geredet. Oder die Tribute aus Sieben und Neun, die sind auch nicht so wie Shine und die anderen.«

Ich folge Pons Blick über die verschiedenen Stationen. Das Mädchen aus Sieben steht einmal mehr an der Wurfstation und vergräbt ihre Äxte in den Zielscheiben. Er muss von aller Vernunft verlassen sein, wenn er auch nur an so etwas denkt!

»Nein. Nur wir beide, Pon. Ich beschütze dich.«

Damit beende ich das Gespräch und schleudere meinen Speer auf die Zielscheiben. Inzwischen treffe ich ins Schwarze. Immer. Pon sagt nichts weiter und wir gehen stumm unserer üblichen Trainingsroutine nach.

Wir sind gerade an der Kletterstation und ich beobachte, wie Pon sich gegen den Jungen aus Distrikt Drei ein Wettrennen leistet, da passiert es. Ein Schrei zerreißt die Ruhe. Das stete Klirren, Klappern und Schuhequietschen verklingt. 24 Mal wird die Luft angehalten. Von einer auf die andere Sekunde ist es totenstill. Nur das Blut rauscht in meinen Ohren, als ich mich umdrehe.

Drüben bei den Kampfstationen liegt ein Junge auf dem Boden. Unter ihm eine rote Pfütze. Sandfarbenes Haar, groß gewachsen. Gebräunte Haut. Distrikt Neun. Der sich für seinen Freund gemeldet hat, wie mein Gewissen mir zuflüstert. Ich habe ihn bisher kaum wahrgenommen, doch jetzt steckt ein Speer in seinem Bauch und ich kann nichts anderes mehr sehen.

Er ist nicht tot, seine Gliedmaßen zucken noch. Das Rauschen in meinen Ohren lässt nach, nur damit ich höre, wie der Tribut stöhnt. Friedenswächter kommen aus allen Ecken herbeigerannt wie ein Schwarm hungriger Fische zum Futter. Aber sie laufen nicht zu dem Jungen, sondern umringen Maylins Distriktpartner. Er hebt grinsend die Arme über den Kopf. Lachend lässt er sich zu Boden drücken und die Hände auf den Rücken fesseln.

Erst dann betreten Sanitäter die Bildfläche und kümmern sich unter den wachsamen Augen der Spielmacher um den Verletzten. Einige der Männer dort oben lachen doch tatsächlich und deuten tuschelnd auf den Karriero aus Zwei. Als wenn sie seine Tat insgeheim bewundern. Maylin hingegen ist bleich geworden. Jemand entreißt ihr die Waffe, an die sie sich klammert. Entgegen ihrer sonstigen Art hat sie weder einen gezischten Spruch noch einen kalten Blick parat. Selbst sie scheint nicht zu begreifen, was gerade passiert ist. Wie der Speer von der Hand ihres Mittributs in dem Bauch des Jungen aus Neun gelandet ist. Trotz des Verbotes und der Trainer, die aufpassen.

Ein saurer Geschmack erfüllt meinen Mund. Ich spüre, wie sich das Frühstück seinen Weg die Speiseröhre emporarbeitet. Bevor ich mich auf den polierten Boden erbrechen kann, sehe ich fort, zu den anderen Tributen. Überall spiegelt sich meine Verwunderung – und begegne ich nackter Angst. Wider Erwarten schlägt mein Herz allerdings nicht schneller. Alles, was bleibt, abgesehen von dem sauren Belag auf meiner Zunge, ist die Frage, was jetzt kommen wird. Was tut das Kapitol, wenn es womöglich nur noch 23 Tribute hat?

Friedenswächter drängen uns alle mit gezogenen Waffen an eine Wand zurück. Schützend lege ich einen Arm um Pon und den Dreier, während der Karriero aus Zwei abgeführt wird. Ich ertappe mich dabei, immer wieder dieselben Worte zu flüstern. »Alles ist gut, alles ist gut, alles ...«

Wie ein Fischschwarm werden wir verbliebenen Tribute in die Mensa getrieben. Nach Distrikten sortiert müssen wir uns an die Tische setzen. Sprechen dürfen wir nicht, egal mit wem. Bewacht von einer Handvoll Friedenswächter in weißen Uniformen bleiben wir zurück. Nervöse Füße scharren über den Boden, gelegentlich hustet jemand und ein Mädchen zieht permanent die Nase hoch. Doch die meisten Blicke sind auf die verkratzten Tischplatten gerichtet. Nur Shine hat die Arme vor der Brust verschränkt und lässt ihre Augen demonstrativ über den Rest von uns gleiten. Maylin nebenan hat die Hände flach auf den Tisch gedrückt und sieht zur Decke hinauf.

Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis der oberste Spielmacher höchstpersönlich uns aus dem Schweigen erlöst. Er stellt sich vorne hin, die Hände vor dem Bauch gefaltet. »Ich bin untröstlich, Ihnen mitteilen zu müssen«, hebt er mit Grabesstimme an und der ganze Saal atmet hörbar ein, »dass der Beginn der Hungerspiele nicht wie geplant stattfinden kann. Nach der umfassenden Einschätzung durch unsere Ärzte haben wir uns entschlossen, den Startschuss für die 70. Hungerspiele um drei Tage zu verschieben, bis der Tribut aus Neun wieder einsatzfähig ist.«

Flüstern, Luftschnappen und Wimmern füllt die Sprechpause.

»Das Training wird die nächsten Tage wie gehabt stattfinden, sodass Ihre Bewertung sich nach hinten verschiebt. Ein aktualisierter Zeitplan ist Ihren Eskorten bereits zugeteilt worden. Ich hoffe, Sie sind sich des Privilegs bewusst, dass Ihnen mit dem verlängerten Aufenthalt im Kapitol zuteilwird. Zur weiteren Programmplanung: Sie werden in den kommenden Tagen ein Videointerview mit Ihren Familien in der Heimat führen. Wir erwarten absolute Bereitschaft, mitzuarbeiten. Ihre Teams werden Sie im Anschluss mit den Details vertraut machen.«

Wärme breitet sich in mir aus. Ich werde meinen Vater und Cyle wiedersehen! Das ist zu schön, um wahr zu sein. Wenn ich mich so umsehe, bin ich nicht die Einzige, der es so geht. Der verletzte Junge aus Neun ist kurzzeitig vergessen. Pon strahlt mich an und ich weiß genau, dass er an seine Mutter denkt.

»Floyd Harding aus Distrikt Zwei wird nicht weiter am Training teilnehmen«, fährt Spielmacher Savage fort. »Sie werden über diesen Umstand schweigen und ihn in keinem künftigen Interview thematisieren. Ich danke für Ihr Verständnis.«

 

Die volle Grausamkeit der Spielmacher trifft mich erst, als wir längst wieder zurück im Appartement sind. Sie werden einen verletzten Jungen nur drei Tage nach einem Anschlag auf sein Leben in die Arena schicken – zusammen mit demjenigen, der ihn fast umgebracht hat. Als wenn er jetzt noch eine Chance hätte. Das verpasste Training wird Floyd aus Zwei nichts anhaben können, schließlich hat er schon sein ganzes Leben für diese Spiele trainiert.

Sogar Cece strahlt nicht mehr, sobald sie uns in knappen Worten darüber informiert, dass wir morgen wie gehabt trainieren werden, ehe am darauffolgenden Tag das außerplanmäßige Familieninterview stattfindet. Das gesamte Briefing über ist sie erstaunlich wortkarg und immer wieder befiehlt sie uns in scharfem Ton, ja nicht von Distrikt Zwei oder dem Grund für die Verschiebung zu sprechen.

Vermutlich sollte ich mich über die zusätzliche Zeit freuen. Drei Tage mehr, die ich am Leben bin. Drei Tage, in denen ich noch viel lernen kann. Aber auch drei Tage mehr, in denen die Angst mein Herz langsam zerdrückt. Nicht einmal das abendliche Training mit Amber und Floogs kann diese Gedanken verdrängen. Die Trainingshalle wurde einem Umbau unterzogen. Provisorische Trennwände sind seit dem Vormittag zwischen den Kampfstationen hochgezogen worden und ein chemischer Geruch liegt in der Luft, der an den großen Blutfleck erinnert, der am Abend natürlich längst verschwunden ist.

Es ist ein Wunder, dass ich es doch irgendwie schaffe, meine Gedanken für die Schläge und Tritte genug zu leeren. Trotzdem befördert Amber mich ein ums andere Mal auf die Matte. Dass ihre fiesen Sprüche ausbleiben, ist ein weiterer Beweis dafür, dass der Tag heute in die – inoffizielle – Geschichte der Hungerspiele eingehen wird. Nichts ist, wie es sein sollte und die Angst, mit Pon doch noch über ein Bündnis diskutieren zu müssen, begleitet mich durch den nächsten Tag.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Satomi
2012-07-19T12:43:41+00:00 19.07.2012 14:43
Schick schick, da will man gleich weiter lesen.
Auch dafür das noch kein beta drüber gesehen hat, sind die Fehler minimal, und auch erträglich.
Süß fand ich ja Finnicks Kuss auf die Stirn bei Annie.
Brutal das was die in der Trainingshalle gemacht haben. böse, sowas tut echt weh, der Junge wird nicht so schnell fit sein und sicher nicht lange in der arena überleben.
Und dann frage ich mich welche Kampfsportart Amber und Floggs ihr beibringen? Ist es Karate, Judo oder Takwondo? oO

also ich freu mich auf weitere kapis, bis dahin, have fun


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