Meeresflüstern von Coronet (Die Hungerspiele der Annie Cresta) ================================================================================ Kapitel 12: Vom Schicksal gezeichnet ------------------------------------ Ich wache früh auf am Morgen des ersten Trainingstages. Die Sonne über dem Feld ist noch nicht aufgegangen, lediglich ein schmaler Lichtstreifen am Horizont kündigt den neuen Tag an. Vorsichtig, um Pon nicht zu wecken, setze ich mich auf und strecke die verspannten Glieder. Dafür, dass ich die Nacht auf der unbequemen Bettkante verbracht habe, war mein Schlaf tiefer als erwartet. Schwindelig ist mir trotzdem und ich wünschte, es wäre möglich, die Fenster zu öffnen, um eine kühle Meeresbrise hereinzulassen. Stattdessen sind wir hier eingesperrt und können nicht einmal die stickige Stadtluft hereinlassen. Wackelig stehe ich auf und fühle, wie ein stechender Schmerz in meinen Kopf schießt. Anscheinend war es doch ein Fehler, hier einzuschlafen. Zumindest habe ich nichts geträumt – und wenn, erinnere ich mich nicht. Das ist auch besser so, der letzte Traum steckt mir noch in den Gliedern. Pon schläft friedlich, seine Arme weit ausgestreckt, die Decke ans Fußende des Betts gestrampelt. Ich greife nach dem dünnen Stoff und schüttle ihn sanft über die schmale Gestalt meines Mittributs. Tief in Träumen versunken, regt er sich nicht einmal. Auf Zehenspitzen schleiche ich aus dem Zimmer. Draußen im Flur ist alles dunkel, nur eine einzige Lampe spendet spärliches Licht. Glücklicherweise ist mein Raum nur ein paar Schritte den Gang hinunter und ich fantasiere bereits von einer warmen Dusche und dem weichen Bett ganz für mich allein, da erspähe ich einen Schatten im Flur. Wie ertappt halte ich inne, obwohl es kaum schlimm sein kann, früh morgens aufzustehen. Die Gestalt löst sich aus dem Dunkel und verwandelt sich in den ewig grinsenden Finnick Odair, der in einem grässlich glänzenden dunkelgrünen Anzug steckt und aussieht, als sei er gerade von einer Party zurückgekehrt. Wenn ich mir die Lippenstiftspuren an seinem Hemdkragen so ansehe, liege ich damit wohl richtig. Das Schicksal scheint es wirklich darauf anzulegen, dass sich ausgerechnet unsere Wege in den unmöglichsten Situationen immer wieder kreuzen. »So früh schon auf?«, fragt er mit einem langen Blick in Richtung von Pons Zimmertür. »Schon bereit fürs Training oder ...?« »Sicher nicht. Ich will einfach nur in mein Zimmer.« Zu dieser Zwielichtstunde habe ich keine Energie für fröhliches Geplänkel und das Hämmern der Kopfschmerzen, die sich stetig steigern, drückt die Laune bloß weiter. Das Parfümgemisch, das Finnick anhaftet und Bilder von seinen Liebschaften im Kapitol vor meinem geistigen Auge erweckt, tut sein Übriges. Finnick geht nicht darauf ein, sondern seufzt. »Du siehst aus, als ginge es dir nicht gut. Albträume?« Gereizt reibe ich mir die Stirn, hinter der eine wütende Sirene ihr schreckliches Lied singt, wie metallene Fingernägel auf Glas. »Schönen Dank auch«, pfeffere ich ihm entgegen, »es kann halt nicht jeder so ein absolut fehlerfreier Schönling sein. Ich bin einfach nur müde!« Ohne ihm noch einen Blick zu gönnen, stapfe ich an Odair vorbei. Der Schwindel nimmt zu und im Moment würde ich alles für eine frische Brise geben, die das Gedankenchaos klärt. Ich habe die Abgeschiedenheit meines Zimmers fast erreicht, als es passiert. Nur für einen Wimpernschlag wird mir schwarz vor Augen, doch das reicht, damit ich stolpere. Eine Hand presse ich an den Kopf, in dem sich alles dreht, mit der anderen versuche ich, mich an dem Türrahmen abzustützen, greife jedoch ins Leere. »Hoppla«, murmle ich, aber die Worte geraten zu einem unverständlichen Nuscheln. Finnick taucht blitzschnell und lautlos wie ein Schatten an meiner Seite auf. Ohne nachzudenken, ergreife ich seine ausgestreckte Hand und lasse mich von ihm stützen. Seine Finger sind angenehm kühl und ich könnte schwören, dass der Geruch des meilenweit entfernten Meeres unter all den fremden Parfüms des Kapitols noch immer an ihm haftet. »Alles in Ordnung?«, fragt er, frei von anzüglichem Grinsen. Ich nicke. »Nur ein wenig schwindelig.« »Na, das sah mir nicht nach ‚ein wenig‘ aus. Lass mich dir helfen.« Sein Blick gleitet allerdings an mir vorbei, den dunklen Flur hinunter. Erst jetzt erkenne ich die kleine Kamera, die dort kaum wahrnehmbar in der Ecke, direkt unter der Decke, hängt. Nehmen sie uns etwa die ganze Zeit über auf? Die unangenehme Erkenntnis durchfließt mich eisig kalt. Ist das hier nur ein Spiel für die Kameras? Wer sieht diese Szenen alles? Zerreißt man sich im Kapitol zum Frühstück das Maul darüber, wie Finnick Odair die dumme, naive Annie um seinen kleinen Finger wickelt? Von einer neuen Welle des Zorns gepackt, entwinde ich mich aus seinen Armen. »Danke, aber ich brauche deine Hilfe nicht«, erkläre ich so laut und deutlich, wie es mir möglich ist. Dann öffne ich die Tür und verschwinde in das ruhige Zimmer dahinter. Schwankend sinke ich auf die Bettkante und lege zwei Finger an die Innenseite des Handgelenks. Stetig pulsierend strömt das Blut durch meine Adern; schlägt mein Herz viel schneller, als es sollte. Ich zwinge mich, gleichmäßig ein- und auszuatmen, während ich langsam bis zehn zähle. In der Schulzeit hatte ich oft mit heftiger Nervosität zu kämpfen, deshalb hat Mama mir einige solcher Tricks beigebracht, die helfen, das mentale Gleichgewicht wiederzufinden, wie sie es nannte. Seitdem ist es besser, aber manche Situationen bringen trotzdem Rückfälle. Und momentan habe ich das Gefühl, dass alles über mir einstürzt wie eine wütende Flutwelle. Ein altbekanntes Zittern verbreitet sich durch meinen Körper und Übelkeit gesellt sich zu Kopfschmerz und Schwindel wie ein alter Freund. Ich presse die Fingerspitzen gegen die Schläfen in dem verzweifelten Versuch, den zunehmenden Druck auszugleichen. Die Tür klappert leise, doch ich schaffe es nicht, den Kopf zu heben, um zu sehen, wer hereingekommen ist. Es ist ohnehin egal, denn es kann nur einer sein. Finnicks Hand berührt zaghaft meine Schulter und er bückt sich runter zu mir. »Annie, ich sehe, das etwas nicht stimmt. Hast du Schmerzen?« Seine Frage ist frei von jeglichem Scherz. »Ich bin dein Mentor, weißt du. Ich bin hier, um dir zu helfen, nichts anderes.« Diese Ernsthaftigkeit in seiner Stimme erinnert an unser abendliches Gespräch bei gestohlenem Dessert. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob das nun der wahre Finnick Odair ist oder ob es alles Teil der Show ist. Letztlich drängen mich die hämmernden Schmerzen dazu, ehrlich zu sein, und ich nicke, ohne aufzusehen. Mitfühlend streicht er mir über den Rücken. »Nur Kopfschmerzen oder ist da noch mehr?« Vor lauter Übelkeit schaffe ich es nicht, eine Antwort hervorzupressen, also nicke ich bloß ein weiteres Mal. Einen Moment lang sitzt er schweigend neben mir, während seine Hand kleine Kreise auf meinem Rücken beschreibt. Ob das Teil seines Spiels ist? Gibt es sogar in diesem Raum Kameras? Gestern glaubte ich noch, eine Wahrheit entdeckt zu haben, doch mit der Entdeckung einer Überwachungskamera stellt sich mir aufs Neue die Frage, was echt und falsch ist, nicht nur in Bezug auf Finnick. Und es wäre mir definitiv lieber, wenn er mich nicht nutzen würde, um sein Image zu pflegen. Vermutlich ist meine Rolle hierbei ohnehin egal, schließlich ist er es, den die Kameras verfolgen und ich werde bald tot sein. Spätestens in ein paar Wochen hat man mich vergessen. Nachdem Finnick mir keine weitere Antwort entlocken kann, fragt er, ob er jemand anderen holen solle. Ich nicke bloß, immer noch zitterig von dem Schwindelanfall. Genauso leise wie Finnick gekommen ist, geht er aus dem Zimmer und lässt mich alleine zurück. Mit einem Seufzen fahre ich mir durch die Haare. Vermutlich ist es besser, wenn er nichts von meiner Schwäche ahnt. Diese unvermittelte Freundlichkeit wirft nur Fragen bei mir auf. Seine Gemütslage wechsel wie das Meer. In einem Moment ist er sanft, sorgsam und dann ist er plötzlich wieder ein wildes Wellenspiel aus Selbstsicherheit und Flirts. Es muss daran liegen, dass er ein Sieger ist. Niemand wird einfach so Sieger. Ich habe genug Karrieretribute gesehen, um zu wissen, dass ihre körperliche Stärke alleine nicht reicht. Viele verlassen sich auf ihre Muskeln und genau diese trügerische Sicherheit lässt sie verwundbar zurück. Man braucht einen eisernen Willen, darf keine Sekunde lang an diesem Weg zweifeln, so sagt man daheim. Wahrscheinlich hinterlässt das Spuren. Wenn ich an Finnicks Stelle wäre, würde ich alles verdrängen wollen, so viel ist sicher. Doch selber habe ich ohnehin weder körperliche noch geistige Stärke, da muss ich mir nichts vormachen. In diesem Moment öffnet sich meine Tür erneut, und Mags schlüpft hindurch. Die ältere Mentorin balanciert ein kleines Tablett in den Händen und lächelt mich ermutigend an. »Ich habe Medizin dabei«, flüstert sie, während sie es auf einer Kommode platziert. »Keine Sorge, du bist nicht die Erste, der das passiert.« Sie füllt ein feines, weißes Pulver in ein Wasserglas und reicht es mir. Ohne Zögern lege ich den Kopf in den Nacken und trinke den milchigen Inhalt aus. Zusätzlich zu dem Wasser hat sie mir auch ein kleines Frühstück mitgebracht, bei dessen Anblick mein Magen begierig knurrt. »Danke Mags«, murmle ich und ziehe das Tablett näher. Kleingeschnittenes Obst liegt neben einem Seetangbrötchen von daheim. Nicht so aufregend im Vergleich zu den sonstigen Mahlzeiten im Kapitol, aber beruhigend bekannt. Währen ich esse, legt Mags mir mitfühlend ihre faltige, kalte Hand auf die Stirn. Wie meine Mutter es getan hat, wenn ich als Kind Fieber hatte. Ausgerechnet jetzt vermisse ich sie fürchterlich. »Nimm es nicht zu ernst«, brummelt Mags vor sich hin. »Noch hast du das ganze Training vor dir. Halb so schlimm.« Ich weiß nicht, ob mich das wirklich beruhigen sollte. Schließlich wartet in den Tagen danach nur der Tod. Als Mags sich wieder auf den Weg in ihr eigenes Zimmer macht, um die letzte Stunde Schlaf nachzuholen, verschwinde ich unter der Bettdecke und warte, bis das Mittel seine Wirkung zeigt. Es dauert nicht lange, da fallen Schwindel und Übelkeit einfach von mir ab. Stattdessen schwebe ich auf kleinen Wölkchen, die nach zuhause duften. Die Umgebung blüht förmlich auf und jeglicher Schmerz verblasst. Ich hoffe, dass es nicht das ist, wofür ich es halte. Morfix. In den Distrikten erzählt man sich so einiges über die Wirkung dieses Schmerzmittels. Morfix lässt alle Gebrechen verschwinden, egal ob im Körper oder im Geist, doch bringen tut es Abhängigkeit. Jeder kennt die gelbe, eingefallene Haut der von Sucht gezeichneten Sieger, die einmal zu oft das Vergessen herbeigesehnt haben. Ein weiterer Verdienst des Mittels, egal ob Morfix oder nicht, ist, dass auch diese Sorgen eine nach der anderen davonfliegen. Hauptsache, es geht mir besser. Entspannt sinke ich in die weichen Kissen zurück und widme mich den Resten des Frühstücks. Durch mein Fenster sehe ich, wie die ersten Sonnenstrahlen die Wolkendecke durchbrechen und das Kapitol in ihr Gold tauchen. Selbst hier, am unfreundlichsten Ort auf Erden, kann nichts diesen Anblick verderben. Mit besserer Laune widme ich mich dem noch warmen Brötchen und lasse den Blick durch das Zimmer schweifen. Bis auf das Bett ist alles überwiegend steril eingerichtet. Grautöne dominieren die Wände. Auflockerung bringen lediglich ein paar Einrichtungsgegenstände aus Holz, wie die Kommode, auf der Mags das Tablett abgestellt hat. Meine Neugier wird durch ein gebogenes Stück Metall erweckt, das auf dem Nachttisch liegt. Rein vom Äußeren her ist kein Zweck ersichtlich, also lege ich das Brötchen beiseite und nehme den Gegenstand in die Hand. Erstaunt wende ich ihn hin und her, denn er ist leichter als erwartet. Die Oberseite gibt unter meinen Fingerspitzen nach und erhellt sich dann. Lauter Symbole erscheinen auf dem Silber. Eine Fernbedienung? Wahllos drücke ich auf eine der leuchtenden Nummern, und mir offenbart sich das dazugehörige Gerät: Mit ohrenbetäubendem Krach erwacht die Wand direkt gegenüber von meinem Bett zum Leben. Eine Frau tanzt zu einem albernen Lied vor mir, in ein buntes Federkleid gehüllt. Hastig betätige ich verschiedene Regler, um den Ton auf ein angemessenes Niveau zu bringen. Für eine Weile betrachte ich fasziniert den Tanz, ehe mich die Neugier packt. Daheim haben wir nur einen Fernsehsender zur Auswahl, dessen Programm aus Nachrichten, staatlich veranlassten Sendungen und den Hungerspielen besteht. Doch hier verbirgt sich hinter jeder Nummer auf der Fernbedienung eine neue Welt. Bei der Vierzehn bleibe ich schließlich hängen. Schon die Musik, die ertönt, bevor das Bild umspringt, kommt mir unangenehm bekannt vor. Kurz darauf erkenne ich die prächtig geschmückte Straße von gestern Abend auf dem Bildschirm. Sie zeigen eine Wiederholung der Wagenparade. Ich habe nichts verpasst, gerade nimmt Präsident Snow Platz in seiner Ehrenloge. Zum ersten Mal betrachte ich unseren Regenten näher. Er verzieht keine Miene, sondern blickt gleichgültig in die Menge seiner Untertanen herab. Sein Gesicht spricht allerdings eine eigene Sprache. Die Wangen sind eingefallen und trotz allem Make-Up auf seinen Zügen bemerke ich, dass seine Lippen trocken, gar eingerissen sind. Gesund sieht anders aus. Von Snow schneiden die Kameras zu dem Streitwagen von Distrikt Eins. Gestern hatte ich keine Augen dafür, doch die Tribute sehen umwerfend aus. Vor allem das Mädchen, groß gewachsen und mit einem Wasserfall blonder Locken, fällt auf. Ihr Kleid besteht aus durchsichtigem Stoff besetzt mit unzähligen Glitzersteinchen, die das Scheinwerferlicht reflektieren. Distrikt Eins – Luxusgüter. Ja, sie sieht wahrlich wie ein Diamant aus. Ebenso ihr Partner, der neben ihrem Glanz jedoch verblasst. Beide winken freudig dem Publikum zu und die Reaktion ist erwartungsgemäß euphorisch. »Shine aus Distrikt Eins macht ihrem Namen alle Ehre, sehen Sie nur, wie sie scheint!«, brüllt Claudius Templesmith. Dagegen erscheint Distrikt Zwei ungleich martialischer. In ihren Rüstungen, vermutlich an Bilder aus alten Geschichtsbüchern angelehnt, machen sie dem Ruf der Karrieretribute alle Ehre. Ich sollte umschalten, ruft eine Stimme in mir. Bald folgt der Auftritt von Pon und mir. Doch ich bewege mich keinen Zentimeter, bis unser Wagen von den Kameras erfasst wird. Der Anblick verschlägt mir die Sprache. Eines muss ich Roan lassen, er hat es geschafft, uns selbstsicher zu präsentieren. Trotzdem flackert die Angst in den Augen von Pon und mir und für einen Karrieredistrikt sind wir nur kurz zu sehen. Ausgerechnet der folgende Wagen aus Distrikt Fünf, dem Stromversorger des Landes, zieht mehr Blicke auf sich. Üblicherweise zählen sie nicht zu den Favoriten, doch in ihren diesjährigen Anzügen wirkt es eindrucksvoll so, als stünden sie unter Strom. Und im Gegensatz zu uns trägt das Outfit nicht die Tribute, sondern die Tribute ihr Image. Das Mädchen ist bereits achtzehn, wie ich Templesmiths Kommentar entnehme. »Nora und Circe … vielleicht hält Distrikt Fünf ja dieses Jahr eine Überraschung für uns bereit?« Aus den übrigen Distrikten folgen viele jüngere Kinder in denkbar unvorteilhaften Kostümen. Bloß das Mädchen aus Sieben, mit der feuerroten Naturmähne, sorgt für Aufsehen, da es komplett reglos dasteht und trotzig geradeaus sieht. Die schiere Anzahl der Tribute überwältigt mich. Wir sind nicht länger separate Schicksale auf den Festplätzen ferner Distrikte. Zum ersten Mal wird mir klar, dass die vierundzwanzig von uns sich bald in der Arena begegnen werden. Jeder will siegen, jedem steht ein Stück Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Egal ob es die stolze Shine aus Eins ist oder das drahtige Mädchen aus Sieben. Jeder hat seine Geschichte und niemandem kann man das Recht auf den Gewinn absprechen. Ich schlucke. Zum ersten Mal wird mir die Dimension der Hungerspiele bewusst. Während Snows Rede werden immer wieder einzelne Tribute herangezoomt und unter die Lupe genommen. Ich versuche, mir so viele Gegner wie möglich zu merken, bevor ich ihnen im Trainingscenter das erste Mal gegenüberstehe. Besonders fällt mir noch das Mädchen aus Zehn auf. Trotz ihres albernen Outfits, bestehend aus Jeanshosen und Karobluse, beeindrucken ihre kräftigen Muskeln nebst finsterem Blick mich. Lauernd gleiten ihre Augen über uns übrige Tribute, als würde sie nach Opfern Ausschau halten. Ich schiebe mir den letzten Bissen in den Mund und schalte endlich den unsäglichen Fernseher ab. Eine warme, wohl temperierte Dusche später stehe ich in der Trainingskleidung, die bei meiner Rückkehr auf dem gemachten Bett wartete, im Wohnzimmer. Pon trägt die gleichen Kleider wie ich, inklusive der großen Vier auf dem Rücken, und tritt von einem Fuß auf den anderen. Lange haben wir nicht, um uns mit der Situation anzufreunden, denn Cece und ihr straffes Zeitmanagement scheuchen uns zum Fahrstuhl. Ich weiß schon jetzt nicht mehr, wie oft ich ihr dankbar war, dass ihre Pläne mich vor ängstlicher Starre gerettet haben. Auf Ceces Forderung hin haben die Mentoren noch ein paar letzte Ratschläge für uns, bevor wir in den Keller fahren. »Beeindruckt sie, ohne euer größtes Talent zu offenbaren«, empfiehlt Amber. Floogs dagegen klopft mir ermunternd auf die Schulter und sagt: »Du bist stark, Annie.« Finnick beschränkt sich auf ein wohlwollendes Lächeln – kein Kameragrinsen. Im Keller angekommen, schubst Cece uns bestimmt aus dem Fahrstuhl, nicht ohne noch einmal zu betonen, wie stolz sie auf ihre zukünftigen Sieger ist. Als könnten wir beide es schaffen. Pon und ich tauschen einen langen Blick. »Dann mal auf ins Training.« Um ein Lächeln bemüht, strubble ich durch Pons Locken. »Stärke bewahren«, wiederholt er flüsternd einen Rat unserer Mentoren und sieht dabei zum ersten Mal aus wie ein Zwölfjähriger. Klein und so blass, dass seine Sommersprossen deutlich hervortreten. Ich nicke ihm zu, denn die aufbauenden Worte bleiben mir auf halbem Weg in der Kehle stecken. Gleich begegnen wir uns auf Augenhöhe. Wir und zweiundzwanzig andere Schicksale, von denen jeder nur eins will. Leben. Überleben.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)