Falsche Blüten von Flordelis (Custos Vitae reminiscentia) ================================================================================ Epilog: Ein Ende kann ein Anfang sein ------------------------------------- Ein eigenes Haus zu besitzen, war wirklich etwas vollkommen anderes als im Schlafsaal des Waisenhauses zu schlafen. Bis zu diesem Tag hatte er das nicht glauben wollen, aber nun war er davon überzeugt wie nie zuvor. Ungeachtet der Schauermärchen, die Faren ihm über dieses Haus, nicht weit von Richards entfernt, erzählt hatte, liebte Kieran es seit der ersten Sekunde. Egal, ob die alten Besitzer einen Doppelselbstmord verübt haben sollten und deswegen noch immer im Gebäude spuken sollten oder ob sie doch von einem Geisterwolf getötet worden waren – wie auch immer er darauf gekommen war – er spürte von alldem nichts, sondern genoss jede einzelne Sekunde im Haus. Außerdem hatte Richard ihm versichert, dass nichts von diesen seltsamen Erzählungen geschehen und die letzte Besitzerin an einfacher Altersschwäche gestorben war, friedlich eingeschlafen, mit einem Lächeln auf den Lippen. Es war bereits dunkel, als Kieran sich endlich allein im Haus bewegen konnte, weil alle anderen nach Hause gegangen waren und sich die Marionette im Anschluss in den Keller zurückgezogen hatte, wo sie anscheinend leben wollte. Es herrschte eine angenehme Stille, die er seit der Sache mit Richard nicht mehr hatte genießen dürfen. Inzwischen waren fast sechs Monate seit diesem Vorfall vergangen und seitdem war er nie mehr allein gewesen. Entweder war er von Menschen, die ihn nun in ihrer Mitte willkommen hießen oder von Teyra und Aria umgeben gewesen. Die beiden Wesen nutzten wohl gern die Gelegenheit, dass er sie sehen und hören konnte, um auch mal mit anderen als nur der jeweils anderen zu sprechen. Auch wenn Kieran sich nicht daran störte, so genoss er doch die Zeit, die er nun endlich allein sein konnte. Erleichtert fiel er auf sein Bett und seufzte tief, genoss den Duft der Freiheit, nicht zuletzt, weil er der erste Einwohner des Waisenhauses war, der noch mit 16 ein eigenes Haus bekam. Der Grund dafür war sein Einsatz im Kampf um Richards Leben gewesen. Er war ein wenig stolz darauf, musste er zugeben, immerhin war das ein großer Schritt nach vorne in seinem Leben, da er nun würde trainieren können, um seine Fähigkeiten zu verbessern, wann immer er wollte. Doch just als er diesem Gedanken nachhing, hörte er ein leises Klopfen. Im ersten Moment ignorierte er es, doch als es wiederholte Male erklang, setzte er sich doch auf, um herauszufinden, was es damit auf sich hatte. Auf dem äußeren Fensterbrett saß ein Wesen, von dem er erst gar nicht glauben konnte, dass es wirklich da war. Er öffnete das Fenster, um es genauer zu betrachten, doch kaum war es geöffnet, breitete das Wesen seine ledernen Schwingen aus und flatterte herein. Die blauen Schuppen glitzerten regelrecht im Schein der Öllampe, die goldenen Augen glühten als würde ihnen ein eigenes Feuer innewohnen. Es war kein echter Drachen, jedenfalls kein ausgewachsener, er war gerade mal so groß wie eine junge Katze, aber es war der erste, den Kieran sah, weswegen er ihn erstaunt anstarrte. Erst nach einigen Sekunden bemerkte er die Schriftrolle, die der Drache in seinen Vorderklauen hielt und die er ihm entgegenstreckte. Kieran nahm sie ihm mit einem flauen Gefühl im Magen ab und blickte auf das angebrachte Siegel, das die Rolle verschlossen hielt. Es zeigte ein L, umrankt von dem stacheligen Schwanz eines Drachen, der erhobenen Hauptes danebensaß. Es war das Siegel der Lazari – die Gilde hatte ihn gefunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)