Falsche Blüten von Flordelis (Custos Vitae reminiscentia) ================================================================================ Kapitel 8: Die nächsten Schritte -------------------------------- Noch bevor er die Augen öffnete, wusste er, dass gerade eine Diskussion in seiner Nähe stattfand. Die Stimmen der anderen waren ein wenig erhoben, nicht laut und wütend genug, um es als Streit zu bezeichnen, aber auch nicht sanft genug, dass es eine ruhige Unterhaltung war. Schon nach wenigen Sekunden wusste er bereits, dass es sich bei den Anwesenden um Faren, Joshua und Bellinda handelte und es beruhigte ihn auf eine seltsame Art und Weise, dass sie alle bei ihm waren, während er im Aufwachen begriffen war. „Ich sage ja nicht, dass ich dir diese Geschichte nicht glaube“, sagte Faren, „aber du musst doch zugeben, dass es reichlich außergewöhnlich klingt und du schon immer eine lebhafte Fantasie hattest.“ Auch ohne es zu sehen, konnte Kieran sich gut vorstellen, wie Bellinda – es musste sich einfach um diese handeln – unzufrieden die Stirn runzelte und ihn tadelnd ansah. „Das heißt, du denkst ich habe mir das alles nur eingebildet oder ausgedacht?“ „Das sage ich doch gar nicht“, verteidigte er sich sofort. „Aber es ist einfach eine sehr seltsame Geschichte. Sag doch auch mal etwas dazu, Joshua.“ Er wusste, dass nun beide den Dritten im Bunde ansahen, jeder von ihnen mit der Erwartung behaftet, dass er ihnen zustimmen würde, weswegen Joshua geradezu panisch zwischen ihnen hin und her sah und sich fragte, was er nun tun sollte. Um ihm zu helfen, beschloss Kieran, die Augen zu öffnen und sich aufzusetzen, damit er erst einmal keine Antwort geben müsste. Tatsächlich wandten sich alle sofort ihm zu, als sie Bewegungen von ihm bemerkten. Bellinda lächelte strahlend. „Kieran! Den Naturgeistern sei Dank! Ich hatte schon Angst, du würdest nicht mehr aufwachen.“ „Ich sagte dir doch, er würde wieder aufwachen“, erwiderte Faren und rollte mit den Augen. Sie ignorierte ihn und setzte sich zu Kieran auf die Bettkante. Er blickte an sich herab und stellte fest, dass sein linker Arm bandagiert war, sie lieferte ihm sofort die Erklärung: „Dein Arm hat nicht aufgehört zu bluten, deswegen mussten wir ihn verbinden.“ Er sah sich weiter um, stellte aber fest, dass er das Zimmer, in dem er sich befand, nicht kannte. Es gab aber auch keinerlei Hinweis, der auf den Besitzer schließen ließ. Joshuas Räuspern lenkte seine Aufmerksamkeit auf diesen. Ausnahmsweise trug er seine Brille mit dem breiten schwarzen Rahmen, die er im Gegensatz zu Bellinda nicht ständig tragen musste. Er hatte einmal erklärt, dass er sie nur brauchte, wenn er müde war und seine Konzentration nachließ, denn dann verschwamm anscheinend immer sein Sichtfeld. Er sah aber auch erschöpft aus, dunkle Ringe lagen unter seinen Augen. Kieran vermutete sofort, dass er seit Richards Verhaftung nicht mehr geschlafen hatte. „Willkommen in meinem Zuhause“, sagte Joshua förmlich, mit ausgebreiteten Armen. „Eigentlich habe ich mir deinen ersten Besuch bei mir anders vorgestellt, aber nun kam es so.“ Über diese Eröffnung war Kieran nun doch erstaunt. Er war immer davon ausgegangen, dass Joshua sein Zuhause mit vielen individuellen Kleinigkeiten ausstatten würde, die einem kundigen Beobachter sofort verrieten, dass es sich um sein Heim handelte. Aber hier war nichts davon zu entdecken, die Wände waren kahl, nicht einmal ein Buch lag auf dem Nachttisch. Entweder hatte er ihn falsch eingeschätzt oder Joshua war einfach noch nicht dazu gekommen. „Gut, dass du wach bist“, sagte Faren. „Kannst du uns nochmal erzählen, was passiert ist?“ „Willst du ihn nicht vorher fragen, wie es ihm geht?“, fragte Bellinda empört. Kieran schüttelte mit dem Kopf. „Das ist schon in Ordnung.“ Also erzählte er von seiner Befragung Allegras und dem anschließenden Untersuchen des Tatorts, auch wenn ihm klar war, dass sie beide als Mitglieder der Stadtwache damit die Befugnis erhalten würden, ihn und auch Bellinda deswegen festzunehmen. Doch er wusste, dass er dieses Risiko eingehen und ehrlich zu ihnen sein musste, wenn er sie als Verbündete für seine Sache gewinnen wollte. Sie anzulügen hätte lediglich dazu geführt, dass sie ihm misstrauten und das konnte er sich nicht leisten. „... und dann verlor ich das Bewusstsein“, endete er seine Geschichte, ehe er Bellinda ansah. „Was wurde dann aus der Marionette?“ „Sie hat sich aufgelöst und ist spurlos verschwunden, genau wie dieser Zaun.“ Genau wie ich erwartet hatte. Faren hatte während der Erzählung die Arme vor der Brust verschränkt und die Stirn nachdenklich gerunzelt, so als würde er tatsächlich ernsthaft über all das nachdenken, was Kieran erstaunlich fand, da er ihn sonst nicht so kannte. Der Schluss, den Faren allerdings schließlich zog, gefiel ihm absolut nicht: „Du siehst aus als würdest du dich mit solchen Phänomenen auskennen.“ Auf diese Worte hin, konnte Kieran ihn nur perplex und auch ein wenig erschrocken ansehen. Es gab keinen wirklichen Grund, dass er vor den anderen sein Wissen über Dämonen verheimlichte – er musste ja nicht zwangsläufig etwas über seinen Vater erzählen – aber er hatte auch nicht das Gefühl als wäre es wirklich gut, seine Freunde zu sehr in diese andere Welt hineinzuziehen. Sollten sie ruhig skeptisch über die Existenz von Dämonen bleiben oder glauben, dass es nur wenige Übergriffe von solchen gab. Es gab keinen Grund, sie noch weiter zu beunruhigen. Sein Schweigen, so wusste er, konnte ihm gut und gern als Beweis dafür angelastet werden, dass er log, aber die Antwort wurde ihm glücklicherweise von Bellinda abgenommen, die Faren strahlend ansah. „Heißt das, du glaubst uns?!“ „Woah-woah-woah!“ Abwehrend hob er die Hände. „Das habe ich nicht gesagt. Aber nehmen wir nur mal an, dass das, was ihr sagt, wirklich der Wahrheit entspricht, dann finde ich, dass Kieran nicht den Eindruck macht als wäre er das erste Mal mit so etwas konfrontiert.“ Automatisch sahen alle Anwesenden zu ihm, worauf er den eigenen Blick senkte. Er konnte ihnen nicht in die Augen sehen und ihnen sagen, dass er sich nicht erinnerte, obwohl er das sehr wohl tat. Bislang hatte es ihn nicht gestört, aber nun brauchte er sie als Verbündete, um jemanden zu retten und da konnte er sie nicht mehr anlügen. Aber er konnte ihnen auch nicht die Wahrheit sagen, wenn er sie nicht in Gefahr bringen wollte. Dieses Mal war es Joshua, der ihn aus diesem Dilemma erlöste: „Ist es nicht egal, woher er das alles weiß? Wenn es uns helfen kann, Richard zu retten, sollten wir das eher nutzen. Du glaubst doch jetzt nicht immer noch, dass es wirklich Richard war, oder?“ Faren antwortete nicht sofort. Als Kieran den Blick wieder hob, konnte er deutlich sehen, wie es hinter der Stirn des anderen arbeitete, wie er die ihm bekannten Fakten neu sortierte und sie mit dem eben Gehörten in Verbindung zu bringen versuchte. Doch schließlich schüttelte er seufzend den Kopf. „Da mir der Gedanke nie gefallen hat, spiele ich euer Spiel einfach mal mit – und hoffe, dass es Richard hilft.“ Bellinda klatschte begeistert in die Hände. „Danke, Faren!“ Er lächelte ihr zu, konnte dieses Gefühl aber nicht lange genießen, denn Joshua fuhr direkt dazwischen: „Aber was wollen wir jetzt tun?“ Schweigen senkte sich wie ein schwerer Vorhang über sie. Das Untersuchen des Tatorts hatte ihm nur so viel gebracht, dass es ihm die Einmischung eines Dämons bestätigt hatte, aber um welchen es sich dabei handelte oder warum er das getan hatte, das war ihm nach wie vor ein Rätsel. Aber gibt es überhaupt noch einen Punkt, an dem man ansetzen könnte? „Wir sollten mit dem Bürgermeister sprechen“, schlug Bellinda plötzlich vor. „Vielleicht kann er Richards Strafe ja aufheben, bis es zu einem Prozess gekommen ist.“ „Und du denkst, der würde dann fair ablaufen?“, fragte Faren. „Caulfield ist doch so versessen darauf, Richard hängen zu sehen, dass er seinen gesamten Einfluss nutzen würde. Außerdem darfst du weiterhin nicht vergessen, dass Allegra, Joshua und ich ihn – oder etwas, das so aussah wie er – gesehen haben und er trug die Verletzung, die ich ihm zugefügt habe. Das ist erdrückendes Beweismaterial, findest du nicht?“ Bellinda verzog ihr Gesicht, sie seufzte leise. Selbst ihr Optimismus musste bei einer solch logischen Erklärung aufgeben. Aber es bot Joshua einen Punkt zum Einhaken: „Warum ist der Hauptmann eigentlich so versessen darauf, Richard hängen zu lassen? Was hat Richard ihm getan?“ „Spontan würde ich sagen, dass es etwas mit Allegra zu tun hat“, meinte Faren. „Immerhin hat Richard sie mehr als einmal mit seiner Zurückweisung verletzt.“ Das glaube ich nicht... Kieran erinnerte sich gut, viel zu gut, an seine Unterhaltung mit Allegra und seine Erkenntnis, dass sie Selbstmord begehen würde, sobald Richard tot war, was ihr definitiv einen Platz in der Riege der Dämonen einbrächte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Vater, dem solche Anzeichen vollkommen egal zu sein schienen, wirklich jemanden töten wollte, der ihr wehtat. Es musste einen anderen Grund dafür geben, auch wenn er diesen im Moment noch nicht durchschauen konnte. „Das kann ich nicht glauben“, sagte Bellinda nachdenklich, was Kieran überrascht aufsehen ließ. Da auch die anderen beiden sie fragend anblickten, fühlte sie sich genötigt, sich zu erklären: „Manchmal rede ich ein wenig mit Allegra, immerhin sind wir beide Mädchen und da ist es schon angebracht, finde ich.“ Diese Logik konnte zwar keiner von ihnen nachvollziehen, aber sie ließ sich davon nicht stören und fuhr fort: „Ihre Eltern beachten sie kaum, beide sind mehr auf ihren Bruder, Dario, fixiert. Ihnen ist es ziemlich egal, was aus ihr wird. Deswegen hängt sie sich auch so sehr an Richard, weil er anfangs einmal nett zu ihr war.“ Das macht sogar Sinn. Er ist zu jedem höflich und das wird oftmals mit Nettigkeit verwechselt. „Ich würde sagen, damit haben wir zwei Hauptverdächtige, denen wir unsere Aufmerksamkeit widmen sollten“, schloss Faren daraus. „Caulfield und Allegra.“ Doch Joshua schüttelte mit dem Kopf. „Der Hauptmann würde unter Umständen noch Sinn machen, aber da bleiben immer noch die Fragen, warum er Blythe als zu opfernde Schachfigur gewählt haben soll und wie er einen Dämon dazu gebracht hat, da mitzumachen. Während wir bei Allegra die Frage haben, warum sie einen derartig umständlichen Weg wählt, statt ihn direkt zu töten und danach sich selbst.“ Faren wollte etwas einwenden – Kieran vermutete, dass er auf die physischen Unterschiede zwischen Allegra und Richard hinweisen wollte – aber Joshua kam ihm direkt zuvor: „Sie hätte unzählige Möglichkeiten gehabt, ihn umzubringen, ohne dass er in der Lage gewesen wäre, sich zu wehren und ohne dass man ihr etwas hätte nachweisen können oder ihr Vater nicht in der Lage gewesen wäre, sie da irgendwie wieder herauszuholen. Es macht keinen Sinn, dass sie einen derart umständlichen Weg wählt.“ Und sie will sich ohnehin selbst umbringen, wenn er stirbt. Faren schloss den bereits geöffneten Mund wieder, als er Joshuas Erklärung gehört hatte und ließ sich das durch den Kopf gehen. Aber Bellinda brachte bereits die Schlussfolgerung: „Wir sollten uns also vorerst nur auf den Hauptmann konzentrieren und die noch offenen Fragen klären.“ „Das wird nicht einfach“, warf Faren ein. „Er ist nicht umsonst so schnell Hauptmann der Stadtwache geworden, er hat einiges drauf, auch wenn sich das zum Teil nur auf das Spinnen von Intrigen bezieht. Und wir sind keine Detektive und haben zu allem Überfluss auch nur noch zwei Tage Zeit.“ Ein Blick nach draußen bestätigte Kieran in der Annahme, dass es bereits wieder dunkel wurde. Ihnen lief wirklich die Zeit davon. „Wir kriegen das schon hin!“, sagte Bellinda optimistisch und gleichzeitig entschlossen. „Wir lassen Richard nicht einfach hängen – buchstäblich.“ „Das war ein schlechter Witz“, kommentierte Faren schmunzelnd. Sie schnitt ihm eine Grimasse und wurde dann direkt wieder ernst. „Wir müssen jetzt unbedingt überlegen, was wir tun sollen, um weiterzukommen, um Richard zu retten. Also lasst uns die Köpfe zusammenstecken, bis sie rauchen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)