Ein letzter Traum von Jeanne-Kamikaze- (Der Wunsch nach Frieden) ================================================================================ Kapitel 4: Schauspiel über menschlichen Abschaum ------------------------------------------------ 3. Kapitel: Schauspiel über menschlichen Abschaum Mit einem leisen Klirren schob Karin die Holzperlen beiseite, die die Eingangstür zu ihrem Haus bildeten. Schwülwarme, stehende Luft schlug ihr entgegen, als sie das Haus betrat und die Feuchtigkeit, die in der Luft schwebte, ließ Shepard unwillkürlich über ihre Lippen lecken. Draußen flirrte bereits die Luft von der morgendlichen Hitze- dabei war der Sonnen Median noch nicht einmal erreicht. Frustriert wischte sich Karin eine salzige Schweißperle von der Stirn, die beinahe in ihre Augen getropft wäre, und durchquerte den Raum, der ihr gemeinsames Schlafzimmer war, um in die dahinter befindliche Küche zu gehen. Die Holzhütte war klein und nur mit den notdürftigsten ausgestattet, doch das war in Ordnung. Thane und sie hielten sich tagsüber eh meist im Schatten der Palmen auf, denn dort wehte stets ein kühler Meereswind, wohingegen die Luft in den Räumen unbewegt war. Sie wusste nicht wie viel reale Zeit auf der Erde seit ihrem Tod vergangen war, doch hier in der Dimension, die ihr Jenseits war, war gut eine Woche seit ihrem Eintreffen vergangen. Nicht all ihre Zeit verbrachte sie mit ihrem Geliebten, auch wenn ihr Wunsch danach groß war, doch sie beiden wusste, dass die Ewigkeit auch Arbeit verlangte. Sie hatten ihre Insel bereits ausgiebig erkundet und festgestellt, dass sie beide die einzigen Individuen in dieser Dimension waren- noch nicht einmal Tiere gab es. Das bedeutete also, dass sie der einzige Halt für den jeweils anderen waren- auch auf die Gefahr sich bald nichts mehr zu sagen zu haben. Zwar konnten sie beide die Dimension in gewissen Rahmen ihren Wünschen anpassen- war er doch nur ein Wunschort ihrer Seelen- doch das Grundprinzip blieb immer gleich. So kam es, dass Thane und sie beschlossen hatten öfter einmal Zeit alleine zu verbringen, nachzudenken und vielleicht auch noch einige neue Gesprächsthemen zu finden. Beiden war bewusst, dass die Ewigkeit nicht nur Segen war. Schnell könnte sich ein negativer Alltag einschleichen verbunden mit Streit oder gar Schweigen- etwas, was sie beide um jeden Preis vermeiden wollten. Ihr Jenseits war ihr größter Wunsch und gleichzeitig auch der größte Test ihrer Liebe. Das wussten sie beide nur allzu genau und es schwebte noch zwischen ihnen. Was würde kommen, wenn sie sich nichts mehr zu sagen hätten? War Karin zu vorschnell mit ihren Wunsch gewesen? Wie weitreichend die Folgen waren, hatte sie zumindest nicht bedacht. Karin betrat die schlichte Küche aus feinem Pinienholz und der weißen, leicht gemaserten Arbeitsplatte. Um der Hitze dieses Raumes wenigstens etwas zu entkommen, lüftete sie ihr leichtes Shirt und wedelte sich Luft über ihren gebräunten Bauch. Die Hitze war wirklich unerträglich für sie, aber Thane schien sich in ihr wohlzufühlen. Karin lächelte, als sie sich ein Glas aus dem Wandschrank angelte und es mit Wasser aus dem Hahn füllte. Er war eben ganz und gar wechselwarm wie eine Eidechse und sie verstand auch, dass er lieber warmes, trockenes Klima hatte, wie einst auf Rakhana, aber dennoch...verdammt Thane, musste es so heiß sein? Karin lehnte sich gegen das helle Holz und betrachtete nachdenklich aus dem Fenster heraus den hohen Berg, der am anderen Ende der Insel wie eine Warnung aufragte. Vor zwei Tage war ihr Liebster dorthin aufgebrochen. Thane hatte ihr erzählt, dass sich von der Spitze des Berges ein Wasserfall aus mehreren hundert Metern Höhe ergoss. Er soll weder besonders breit noch die Strömung stark sein- ein idealer Ort zum Meditieren. Der Drell hatte ihr gesagt, dass er das noch nie ausprobiert hätte und war dann aufgebrochen. Karin war hier zurückgeblieben und wartete seitdem. Auch wenn die Einsamkeit schwer auf ihr wog und die Erinnerungen an dieses Gefühl zurückbrachte, was sie gespürt hatte, als sie allein auf der Erde war, wusste Shepard , dass es notwendig war. Ihre Gespräche waren ein wenig erstorben und sie brauchten zumindest für den Moment ein wenig Abstand von sich. Gierig begann Karin das Glas zu leeren, sobald die ersten, kalten Tropfen ihrer ausgedörrten Kehle hinabliefen und sie fuhr sich über die Lippen und auch den letzten Tropfen zu erwischen. Lange war sie nicht mehr so durstig gewesen, doch als ihre Gedanken nicht mehr von dem Dörrgefühl beherrscht wurden, blieb eine Leere zurück in die nun die Einsamkeit floss. Langsam stellte sie das Glas ab und legte die Arme um ihre Taille- um sich selbst zu halten. Unaufhaltsam kamen die Bilder an ihre Zeit in dem zerstörten New York zurück- der Schmerz der Einsamkeit und die Angst, des Sterbens. Beides war wie eine kalte Hand, die sich um ihr Herz legte. Diese Angst war wohl schon in all der Zeit dagewesen, doch das ständige Adrenalin in ihren Adern, hatte es verdrängt, beiseitegeschoben, nun jedoch kehrten diese Gefühle in all ihrer Grausamkeit zurück und ließen Karin erzittern. Auf einmal fühlte sich ihre Seele so kalt an, obwohl es draußen so heiß war. Die verdrängten Bilder brachen wieder aus ihr hervor und Karin klammerte sich nun verzweifelt an die Theke, bis ihre Knöchel weiß hervor traten. Plötzlich waren da wieder die Bilder der Trümmer, das Chaos, die Angst und die Verzweiflung griffen nach ihr, drohten sie zu ersticken. Brennende Tränen sammelten sich in ihren Augen, sie versuchte sie niederzukämpfen, doch jetzt wo sie das erste Mal wirklich allein war, prasselte alles Verdrängte, Vergessene wieder auf sie ein und wollte die Macht über ihren Verstand, drückte gegen ihre aufgebaute Härte und drohte sie zu ertränken. Hilfe! Hörte sie denn Niemand? Sie würde ertrinken! Ertrinken in ihren Erinnerungen. Sie brauchte Halt, sonst würde die Last der Erinnerung sie zerbrechen. Da schlangen sich plötzlich rettende Arme um ihre Taille, führten sie zurück in einen Hafen der Wärme und schützten sie vor der Dunkelheit. „Siha...“, flüsterte Thane sanft und besorgt zu gleich in ihr Ohr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Alles in Ordnung?“ „Thane...“, hauchte Shepard dankbar und lehnte sich gegen ihn- ihre Stützte- als er sich ein wenig von ihr löste. Liebevoll umarmte er sie, schirmte ihren Körper mit dem seinem ab, schützte sie vor ihren Erinnerungen. „Du bist zurück.“ Thane nickte und strich zärtlich durch ihr Haar. Sein Körper war noch immer nass von der Meditation, doch er strahlte noch immer diese vertraute Wärme ab, die sie jedes Mal rettete. „Ich werde immer zurückkommen. Ich lasse dich nicht mehr alleine.“, versicherte er ihr. Dankbar lächelte Karin ihn an, doch ihr Schmerz schien noch immer in ihren blauen Augen lesbar zu sein, denn Thane strich noch sanfter über ihr Gesicht, als er es sonst tat und sein durchdringender Blick erforschte den ihren. Unwillkürlich schlug ihr Herz schneller und Karin schluckte. Mit eben jenem Blick hatte er ihr ihre Maske abgerissen. Es war eben jener Blick, der ihr Innerstes hervor holte und sie dazu brachte, Thane ihr Herz auszuschütten. „Ja... das wirst du. Erzähl mal von deiner Mediation. Wie war es denn?“, fragte Shepard schnell um das Thema zu wechseln. Thane betrachtete sie scharf ohne jedoch den weichen Ausdruck in seinem Gesicht zu verlieren. Sanft bugsierte er sie mit seinen Körper gegen die Arbeitsplatte und nahm ihr jeglichen Bewegungsfreiraum. Sein nun dunkelgrün schimmerndes Gesicht war dem ihrem ganz nahe und große, schwarze Augen nahmen ihren Blick gefangen. Karin schluckte und drückte sich unbewusst etwas mehr an die kalte Platte. Das flammende Band, was sie beide verband, loderte wieder auf. Thane schien zu überlegen, ob er auf ihre schlechte, viel zu hastige Ausrede eingehen sollte oder nicht. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt und er schien abzuwägen, was in der Situation am besten wäre. Karin war klar, dass er sie längst durchschaut hatte. „Thane...ich habe nur…“, setzte sie an, wollte erklären, was in ihr vorging, doch er brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. Sanft legte er seine Arme um ihren Körper und zog sie an sich heran. „Ja, es tat gut. Ich verstehe nun, warum eure Mönche das machten. Ich habe selten so eine tiefe Konzentration erfahren.“ Überrascht blinzelte Karin ihren Drell an. Aus zweierlei Gründen: Erstens das er wirklich darauf ein ging und zweitens... „Du kennst die Geschichten?“, brach es aus ihr heraus. Der Hauch eines Lächelns stahl sich auf Thanes Lippen. „Ich habe mich ein wenig mit der Menschheit beschäftigt und über eure Geschichte gelesen, nachdem ich mich in einen verliebte.“ Er blinzelte aufgeregt. Karin beobachtete ihn dabei. Offensichtlich schien die Vergangenheit der Menschen ihn besonders gefangen zu nehmen. „Geschichten von Samurai, Ritter und Shaolin Mönche.“ Es tat ihr leid, doch Karin konnte nicht anders als zu lachen. Verwirrt löste sich Thane von ihr, schaffte etwas Platz zwischen ihrer beiden Körper, um sie besser betrachten können. „Warum lachst du?“ Karin kicherte noch immer voll ehrlichem Amüsant, auch wenn es ein wenig zu hoch war. „Entschuldige, Thane.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als sie sich wieder beruhigt hatte und nahm sein Gesicht liebevoll in die Hände. „Es war nur irgendwie klar, dass dir diese Geschichten gefallen würden. Deshalb musste ich lachen.“ Nachdenklich neigte sie ihren Kopf und blickte ihn an. „Und? Was hältst du von unserer Geschichte?“ Dass seine gelesenen Geschichten nur einseitig waren, verschwieg sie. Sie wollte dieses Feuer in seinen Augen nicht direkt wieder zum Erlöschen bringen. Dies waren die ehrbaren Geschichten, doch die Vergangenheit der Menschen war von Leid und Krieg geprägt. Vielleicht würde diese Thanes Faszination für ihre Spezies mindern, wenn sie ihm davon erzählte- und somit vielleicht auch sein Interesse für sie. Thane straffte seine Schultern und überbrückte wieder die Distanz, die er eben noch zwischen ihnen aufgebaut hatte. Seine sanften Hände strichen über ihren Körper und spendeten wieder diese innere Ruhe, die ihr so gut tat. Seine Lider zuckten erneut aufgeregt und ein selbstbewusstes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Eure Spezies ist faszinierend, Siha. So viele verschiedene Kulturen, so viel unterschiedliche Geschichte. So etwas komplexe habe ich selten gelesen.“ Karin lachte wieder und schmiegte sich an seinen muskulösen Körper. Wohlgesinnte Arme umfingen sie und ließen ihr Herz vor Freude springen. „Ich sagte es doch schon einmal. Wir sind komplex, aber bloß auf Grund von dem fast schon krankhaften Drang nach Individualität. Sag, Thane... und sei bitte ehrlich.“ Einen kurzen Moment zögerte sie. Thane schien sichtlich verwirrt, doch er nickte schließlich. „Ist es wirklich möglich, dass ein Mensch eine Siha ist?“ Thanes Augen weiteten sich vor Überraschung. Mit so einer Frage hatte er nicht gerechnet. Woher denn auch? „Siha...was?“ Er versuchte die Worte zu verstehen, warum es ihr auf einmal so wichtig war, doch Karin wusste, dass eine Bindung zwischen Spezies fragil war und seit ihre Erinnerungen wieder da waren, war die Angst vor der Einsamkeit wie eine kalte Klaue in ihrem Nacken. Nicht, dass sie an Thanes Liebe zweifelte, das tat sie wirklich nicht, aber diese Beziehung musste gepflegt werden und sie mussten voneinander lernen um zu wachsen. Verzweifelt klammerte sie sich an seinen Ledermantel und sah ihn an. „Sag es mir...bitte!“, flehte Karin ihn an. Der Drell blinzelte überrascht und seine Alarmglocken schrillten. Er wusste, dass etwas tief im Innersten seiner Siha aus dem Gleichgewicht gekommen war und dass seine nächsten Worte wichtig sein würden. Thane holte tief Luft und wog seine Worte genau ab: „Bevor ich dich traf...hätte ich das nie für möglich gehalten. Arashu wählt sonst nur Drells aus, doch bei dir kann es gar nicht anders sein. Du bist so stark und stolz, so voller Ehre. Du kämpftest dort, wo andere längst den Mut verloren hätten, doch du erblühst in solch Situationen zu voller Schönheit.“ Er nahm ihre Hand sanft, umschloss ihre Finger und führte ihre Rechte zu seinem Herzen. Es schlug aufgeregt, sobald sie es berührte, fast als freute es sich, sie zu spüren. „Du hast mich vor der Dunkelheit gerettet, meine Siha. Mir einen Sinn fürs Leben geschenkt. Dank dir habe ich das Licht in meiner Dunkelheit wiedergesehen. Wieso sollte so ein unglaubliches Wesen keine Siha sein?“ Liebevoll strichen seine Finger über ihren Handrücken. „Aber warum ist das auf einmal wichtig für dich, Shepard? Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir. Was ist geschehen seitdem ich weg war?“ Karin seufzte leise und ging an wieder an den Wasserhahn, füllte das Glas und hielt es Thane hin. „Auch einen Schluck?“ Thane sah sie bloß irritiert an und neigte seinen Kopf. Er verstand nicht, was in Karin vorging und das erschreckte ihn. Auf einmal hatte er das Gefühl, dass dort eine Mauer war, die sich erst gebildet hatte, nachdem er fortgegangen war. Es schien, als hätte ihre Pause ihnen eher geschadet als geholfen. Dennoch, um Shepards Willen, nahm er das Glas und trank einige große Schlucke, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen. Ihre Körpersprache verriet deutlich, dass ihr einiges durch den Kopf ging. Geistesabwesend fuhr sie sich immer wieder entweder mit den Zähnen oder mit der Zunge über ihre Unterlippe. Unsicher mied sie seinen Blick und ihre Arme waren schützend um ihren Oberkörper geschlungen. Langsam stellte Thane sein Glas ab, ging auf sie zu und zog sie in seine Arme. „Shepard...was ist los mit dir? Dein Verhalten verwirrt mich.“ Karin seufzte und gab ihre abwehrende Körperhaltung auf. Fast ein wenig müde sackte sie in seine Arme und ließ sich von ihm festhalten. „Das liegt daran, dass ich selber verwirrt bin. Weißt du...ich war jetzt das erste Mal wirklich allein...und es kamen einige Erinnerungen wieder, die ich längst verdrängt hatte.“ „Was für welche?“, fragte Thane vorsichtig und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, während blaue Augen ihn beinahe verängstigt ansahen. So einen Blick hatte er noch nie bei seiner Siha gesehen, selbst in den ausweglosesten Situationen nicht. Im Gegenteil, in solchen wurde ihr Blick nur noch entschlossener, doch dieser erschreckte ihn. Wieder einmal löste sich Shepard aus seinen Armen, ging zum Fenster und starrte nach Draußen. In der Reflexion konnte sie erkennen, wie Thane sie beobachtete. Große, schwarze Augen betrachteten sie besorgt, doch er bewahrte den Abstand. Er wollte sie nicht bedrängen. „Sag, Thane...wie viel weißt du über mich?“, fragte sie schließlich und drehte sich wieder zu ihm um. Irritiert verschmälerte Thane seine Augen und betrachtete sie verwirrt. „Wie meinst du das?“, hakte er nach und trat einen Schritt auf sie zu. Karin lächelte und nahm seine Hände, umschloss sie mit den ihren. „Na ja...“, verlegen fuhr sie über ihren Hinterkopf. Thane merkte, wie sie damit haderte, zog sie wieder an sich heran und bettete ihren Kopf auf seiner Schulter. „Ich weiß nur so viel wie du mir erzählt hast, Siha, und das, was allgemein bekannt ist.“ Überrascht sah Karin zu ihm auf. „Du hast nicht meine Akte gelesen?“ Thane schüttelte nur den Kopf und lehnte ihn gegen ihre Stirn. Sein warmer Atem wehte über ihre sowieso schon erhitzte Haut und ließ sie erschauern. „Nein...ich wollte warten, bis du es mir selbst erzählst, Siha. Du hast mich damals auch nicht bedrängt und so viel Zeit gelassen wie ich benötigte. Es erschien mir nicht richtig in deinem Leben zu schnüffeln.“ Karin lächelte ergeben und strich über seinen Arm. Oh man, dieser Kerl liebte sie wirklich über alles. Wie gut er zu ihr war. Karin lächelte und beschloss es ihm zu erzählen. Sie wollte Thane vollkommen vertrauen. „Möchtest du die Geschichte hören?“ „Welche Gesichte?“ „Möchtest du meine Geschichte hören? Die Geschichte wie ich zu Karin Shepard und anschließend zu deiner Siha wurde?“ Große, flackernde Augen sahen sie an und Karin kannte die Antwort, noch bevor er sie mit einen- für ihn untypisch- heftigem Nicken beantwortete. Shepard musste leicht lachen und sah ihn dann sanft an. „Ja, ich würde sie sehr gerne hören.“, antwortete er dennoch, auch wenn Thane wusste, dass Karin es bereits wusste. „Dann komm...“ So nahm Shepard Thanes Hand und zog ihn mit ins Schlafzimmer. Beide setzten sich aufs Bett. Der Drell lehnte sich gegen das hölzerne Kopfende ihres großen Bettes und Karin kuschelte sich an ihn, legte sich zwischen seine Beine. Sanft schlang er seine Arme um ihren zierlichen Körper, zog Karin näher an sich heran. Liebevolle Lippen legten sich in ihr Haar und hauchten einen Kuss. Sie genoss das Gefühl und es wappnete sie vor der Bilderflut, die bald sicherlich kommen würde, sobald sie ihre Geschichte begann. Schluckend holte Karin tief Luft und konzentrierte sich. Ihre Geschichte sollte für Thane schlüssig sein und nicht von stockenden Emotionen durchbrochen. Seine Hände strichen über ihren Körper, schenkten ihr ein Gefühl von Sicherheit, dass das bevorstehende erträglicher machte. Karin ahnte, dass die Bilder sie wieder überschwemmen würden, sie waren zu emotional, doch Thane war bei ihr und würde sie vor dem Schlimmsten bewahren. Wieder küsste Thane seine Liebste und sie konnte sogar Lächeln. Er war einfach unglaublich. Seine warmen Hände ruhten nun auf ihren Armen und der Drell wartete ruhig darauf, dass sie bereit war. Jeglicher Körperkontakt, den er ihr schenkte, war darauf ausgelegt Shepard zu beruhigen und ihr beizustehen. Deutlich spürte Karin seinen ruhigen Atem unter ihrem Kopf, der den ihren zu verlangsamen schien, seine Nase, die in ihrem weichen Haar vergraben war und die starken Arme, die sie sicher festhielten. Endlich war Shepard soweit. Ein letztes Mal holte sie tief Luft und sammelte ihre geistige Kraft. „Weißt du, Thane...“ Karin legte eine Hand über die seine und strich sanft über seinen Handrücken. Sie spürte förmlich sein Lächeln in ihrem Haar auf Grund ihrer Berührung. „Was mich so aufgewühlt hatte, bevor du kamst, waren Erinnerungen an meine Vergangenheit bevor ich zur Allianz kam. Ich bin eine Waise und war, bevor Admiral Anderson mich zur Allianz holte, immer allein. Danach war ich es nie mehr, immer war die Crew da...meine Freunde...und vor allem du, Thane, und es half mir die Erinnerungen zu verdrängen, doch gerade, wo ich das erste Mal wieder allein war, kam all diese Angst und der Schmerz wieder.“ Karin holte tief Luft und fuhr sich mit der Zunge leicht über die Lippen. Schon jetzt begannen die Bilder an ihrem Bewusstsein zu nagen. „Du warst...eine Waise?“, wiederholte Thane ungläubig und sah sie mitfühlend an. Unter seinem fürsorglichen Blick schmolz Karins jahrelang aufgebauter Selbstschutz dahin. Schluchzend nickte sie und presste ihren Kopf gegen seine Brust. Schützend schlang er seine Arme um ihren zitternden Körper und drückte ihr einen Kuss ins Haar. „Ich bin erst bei der Allianz zu Karin Shepard geworden. Den Namen Karin habe ich mir selber ausgesucht...aber ich besaß bis dahin keinen Nachnamen und wusste auch nicht wie alt ich war oder wann ich geboren wurde. Das wurde erst durch einen Scann im Allianz Quartier festgestellt.“ „Du hast keine Erinnerung an deine Eltern?“ Karin schüttelte schnell den Kopf und unterdrückte die Tränen, die die Erinnerungen hervorriefen. „Nein...unser Gedächtnis funktioniert ja anders, als das eure. Auch wir sehen bestimmte Erinnerungen, die besonders emotional oder einschnürend waren, wie ein Film vor uns, doch richtig an etwas erinnern können und einem gewissen Zeitpunkt zuordnen, können wir erst ab dem zehnten Lebensjahr. Vorher ist alles eher wie ein Nebelschweif, wir wissen zwar, dass es passierte- wenn es stark genug war- aber nicht genau wann. Aber auch wir können uns in Erinnerungen verlieren, spüren dann wieder die Freude, die Angst, die Verzweiflung, doch an meine Eltern erinnere ich mich nicht mehr. Seit ich mich erinnern kann, war ich allein in den Überresten von New York und musste mich selbst versorgen. Es war grausam...“ Karin kam ins Stocken, während sie berichtete und biss sich auf die Lippe. Leise, und zunächst langsam, tropften gläserne Tränen aus ihren Augen und fielen auf Thanes trockene Haut. Schockiert sah Thane sie an und für einen Moment war er wie erstarrt. Thane hatte zwar schon zuvor an ihr sehen können, dass ihre Vergangenheit schwer gewesen war, aber dass sie etwas so Schreckliches hatte durchleben müssen, hätte er nie gedacht. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie schrecklich die Frage nach der eigenen Identität wohl sein mochte. „Siha...ich...“ Ihm fehlten wirklich die Worte. „Sag nichts...“, hauchte sie nur erschöpft. Thane konnte an ihrer unruhigen Pupille sehen, dass die Erinnerungen zurückkehrten und ihre Haut war auch bleicher geworden. Sanft zog er sie heran und küsste auf ihre Lippen. So hoffte er die Erinnerungen ein wenig durch seine Liebe vertreiben zu können. Es half Karin wirklich, aber leider nur in gewissen Rahmen. In ihrem Inneren kämpfte das Gefühl des Behagens, was Thane ihr schenkte, gegen die flammenden Erinnerungen. „Halt mich bitte einfach nur fest, Thane...und unterbrich mich so wenig wie möglich...je öfter ich stocke, desto schwerer wird es für mich fortzufahren, doch ich möchte es dir erzählen. Ich möchte, dass du alles von mir weißt.“ Thanes großen Augen wackelten und er lächelte umwerfend, auch wenn der mitleidige Schimmer nicht vollständig verschwand. Noch einmal gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und lehnte sie dann wieder gegen sich. Er würde sie unterstützten so gut er konnte. Karin zog das Gefühl der Ruhe in sich auf um sich gegen das anstehende zu wappnen. Zwanzig Jahre hatte sie erfolgreich ihre Vergangenheit verdrängt, doch nun würde sie es noch einmal durchleben. Auch jenen Tag, der alles verändert hatte. Schnell schüttelte Shepard den Kopf. Sie wollte daran nicht denken. Noch nicht. Erst jetzt wurde Karin richtig bewusst, welche Last das perfekte Gedächtnis der Drells sein konnte und wie schwer es für Thane gewesen sein musste ihr von seiner Vergangenheit zu erzählen. Zuflucht suchend legte sie ihren Kopf auf seine Brust und lauschte seinem ruhigen Atem. „Um dir meine Geschichte zu erklären, muss ich zunächst etwas die Begebenheiten und die Geschichte der Erde näher erläutern.“ Karin schloss die Augen und konzentrierte sich. Vor Thane und Karin begann die Luft zu flattern, ähnlich einer Fata Morgana, bis sie schließlich Form annahm. Ein detailgenaues Abbild eines Globus schwebte vor den zweien. Auch dies war etwas, was das Liebespaar in den vergangen Zeit herausgefunden hatte: Wenn sie sich etwas sehr stark bildlich vorstellen, so materialisierten sich meist ihre Erinnerungen direkt vor ihnen, wie auf einem Bildschirm. „Kurz bevor die Technologie der Protheaner auf dem Mars entdeckt wurde, war die Situation auf der wohl ähnlich angespannt wie damals bei euch auf Rakhana. Neun Milliarden Menschen waren einfach zu viel für den Planeten um unseren Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Es lag nicht daran, dass wir nicht genug zu essen hatte, wir hatten genug um die Anzahl der Menschen drei Mal zu ernähren, aber es herrschte ein Ungleichgewicht. Während die westlichen Länder wie die USA...“ Das große Land in Mittelamerika leuchtete milchig auf und das Licht brach sich auf Thanes Haut, ließ sein Gesicht in den verschiedensten Facetten leuchten. „...und Europa...“ Auch die Grenzen des Kontinentes leuchteten nun auf und sorgten dafür, dass Thane in dem Wirrwarr der Länder nicht den Überblick verlor. „...hatten mehr als genug, während die Menschen in Afrika Hunger litten. Wie gesagt, auch wenn es ungerecht war, das war nicht das Problem...was unsere Spezies wirklich bedrohte waren viele andere, ökologische Dinge. Zu einem wurde das Öl knapp mit dem unseren Maschinen liefen und durch Industrien entstand so viel Kohlenstoffdioxid, dass unsere schützende Ozonschicht schwand und so die Sonnenstrahlen stärker auf die Oberfläche schienen. Das sorgte dafür, dass unsere Erde sich langsam, aber stetig, erwärmte und die Polkappen schmolzen, wodurch der Meeresspiegel stieg. Dies hätte Länder überschwemmen können, welche nicht so hoch lagen. Neben all den Naturproblemen und Katastrophen, die wir selbst verursachten, hing auch noch der Nachwind von zwei Weltkriegen nach.“ Thane blinzelte und ließ die gesammelten Informationen sacken, verarbeitete sie und Karin wartete. Sie überlegte, wie sie die Geschichte am besten erklärte- ohne zu sehr abzuschweifen. Sie konnte in seinen Augen sehen, dass es ihn überraschte, wie grausam die Menschen mit ihrer Art umgingen- auch wenn er genau wusste, dass es in den letzte Jahren auf Rakhana auch nicht besser gewesen war. Er jedoch hatte es nur aus Geschichten erlebt, wohingegen seine Siha es aus erster Hand erfahren zu haben schien. „Wann waren diese Kriege? Und wie kam es zu ihnen? Lag es am Ressourcenmangel?“ Karin schüttelte den Kopf. „Nein...diese Kriege waren gut zweihundert Jahre bevor wir den durch die Ruinen auf dem Mars den Masseneffekt entdeckten. Auch Öl war damals noch kein großes Thema, da die Industrialisierung erst gut fünfzig Jahre zuvor begonnen hatte.“, erklärte Karin mit weit abschweifender Stimme, während sie ihren Kopf in Thanes Schlüsselbein bettete. Thane strich durch ihr Haar, während er nachdenklich in den Spiegel auf die anderer Seite des Zimmers blickte. Ohne weitere Umschweife erklärte sie ihm den Verlauf des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Ihr Bericht war trocken und triefte des Öfteren vor bitteren Hohn, besonders als sie von Hitlers Vorstellungen der arischen Rasse erzählte. Thane konnte nicht glauben, was er da hörte. Eine solche Grausamkeit, eine solche Blasphemie, hatte er noch nie erlebt. Selbst die Geschichten von Rakhana waren nicht von so viel Blut durchtränkt. Thane musste gestehen, er verstand nun warum seine Siha ihm niemals davon erzählt hatte. Blankes Grauen griff nach seinen Eingeweiden, ertränkte sie in einem Zuber aus eiskaltem Wasser und die Vorstellung des Leides der Unschuldigen ließ ihn schütteln. „Verstehst du nun, warum ich sagte wir Menschen sind grausam?“, flüsterte Shepard traurig, als sie seine Reaktion im Spiegel sah und sein erschrockenes Zittern spürte. Instinktiv hatte Thane auch Karin weiter von sich weggedrückt. Karin drehte sich halb zu ihm um und blickte ihn aus traurigen Augen an, doch er bemerkte es nicht, sondern starrte vehement an einen unscheinbaren Punkt an der Bambusrohr Wand. Seine Pupillen wanderten rastlos durch seine Augenhüllen, als suchten sie nach einer Erklärung für das, was die Menschen getan hatten. Karin verstand es. Thane glaubte an Recht und die Unantastbarkeit der Unschuldigen. Das, was sie ihm offenbart hatte, musste ihn wahrhaft verstören. Als sie bemerkte, dass der Drell sie nicht wahrnahm wich sie ein wenig erschrocken zurück. Hatte das Grauen ihn zu sehr erschreckt? Hatte sie das Bild von ihr zerstört, was in all der Zeit vor seinen Augen geglänzt hatte? „Thane?“, fragte sie vorsichtig, streckte die Hand nach ihm aus, verharrte aber kurz vor ihm- sie war nicht sicher, ob sie ihn berühren sollte. Thane blinzelte verwirrt, fast so als hätte sie ihn aus einem tiefen Schlaf geweckt und dann fokussierten seine Augen sie, die mittlerweile wieder zur Ruhe gekommen waren. Nun schwamm sein Blick nicht mehr nur vor Liebe, sondern auch Abwägung hatte sich in seinen Blick gemischt. „Siha…“, sagte er schließlich nach einem Zögern und er befeuchtete seine Lippen. Der Klang ihres Spitznamen fuhr ihr durchs Mark und Bein und ihr Herz begann zu jubeln. Diesen Rang hatte er ihr noch nicht aberkannt. „Ich weiß nicht…was ich sagen soll…es ist grausam…“, setzte er stockend fort und Karins Hochstimmung schwand so schnell, wie sie gekommen war. „Ich weiß.“, flüsterte sie mit brüchiger Stimme, bevor sie sich verstört auf die Unterlippe biss, bis sie blutig war. Wie rote Tränen tropften quollen sie aus der Wunde. Karin bemerkte es erst gar nicht, doch dann spürte sie Thanes Hand an ihrem Kinn, wie er sie ran zog. Sanft legte er seine Lippen auf die ihre und leckte vorsichtig das Blut von ihrer Lippe. „Schmeckt nach Eisen.“, stellte er lächelnd fest und warf Karin völlig aus der Bahn. Große, irritierte Augen sahen ihn überrascht an und Thane schüttelte nur den Kopf, während seine Augen amüsiert blitzten. „Siha...“, sprach er versöhnlich und nahm sanft ihre Hände. „Was auch immer die Menschheit tat, es ändert doch nichts daran, wer du bist und was ich fühle.“ „Aber ich dachte...“ Doch Thane schüttelte bloß den Kopf und unterbrach sie. „Siha...“, sagte er nun halb amüsiert, halb mahnend. „Du müsstest mich doch eigentlich besser kennen. So etwas verändert nicht meine Gefühle, ich kenne dich, ich weiß, dass du so etwas nicht tun würdest. Aber eines verstehe ich nicht.“ „Und was?“, fragte Karin, überwältigt von seiner Güte. „Was hat das alles mit dir zu tun?“ „Nun...als die Wissenschaftler der NASA, die National Astronaut Space Administration auf dem Mars die Ruinen der Protheaner entdeckte, wollte sie die dort gefundene Technik für sich allein verwenden. Bald würde die Erde platzen, es blieb kein Platz mehr für uns und wir wussten nicht, wie lange die Erde noch so existieren würde, wie wir sie kannten. Nun sah die USA ihre Chancen zur Kolonialisierung und Rettung ihres Landes gekommen- die anderen wurden dabei außer Acht gelassen. Als die andern Weltmächte wie Japan, Deutschland, Russland, Frankreich, China, Korea und mittlerweile auch Kanada herausfanden, was sie planten, erklärten sie den USA den Krieg. Ich habe ihn nicht miterlebt, aber laut unserer Aufzeichnungen war es ein Atomkrieg, der binnen kürzester Zeit viele Leben ausrottete und die Überreste der Stadt New York verseuchte. Die USA konnte dem nichts entgegensetzen und verlor und wurde unter den Alliierten aufgeteilt. Da aber dieses Land lange das Zentrum unserer globalen Infrastruktur war, beschloss man- einfach aus logistischen Gründen- die Hauptstadt Kanadas, Vancouver, zum neuen Zentrum zu machen. Es lag nur ein wenig nordwestlich von New York und war somit am einfachsten umsetzbar. So wurde Vancouver zur Hauptstadt der neu gegründeten Allianz.“ „Verstehe…“, murmelte Thane, während sein Kopf nachdenklich hin und her pendelte. Doch dann stockte er in seinen Überlegungen und sah Karin blinzelnd an. „Moment! Du sagtest du, du warst in New York…du bist in dieser Ruine aufgewachsen?“ Der ehemalige Commander nickte nur und ließ ihren Blick schweifen. Als ihre Augen in dem kristallklaren Spiegel hingen blieben, sah sie, wie abwesend ihre Augen dreinblickten. Karin sah auch ebenfalls Thanes besorgten Blick, welcher er ihr durch den Spiegel zu warf. „Ja…die Ruinen der Stadt wurden von Banden kontrolliert. Ein Überleben ohne diese Gruppen war äußerst schwierig und darum ging es nun einmal jeden Tag: ums nackte Überleben. Drogen, Waffen, Schmuggel, Prostitution, all das…“ Karin brach ab, als sich Thanes Hände um ihre Arme legten und sie ruckartig herumdrehten. „Hast du…?“, setzte er mit zitternder Stimme an und Karin verstand schnell, worum es ihm ging. Sie schüttelte den Kopf und sah in seine bestürzten Augen. „Nein, ich habe mich so lange es ging alleine im New Yorker Slum herumgeschlagen. Ich hatte keine Eltern und somit auch Niemanden, der mich für Geld oder Lebensmittel einer hiesigen Bande verkaufen würde. Insofern war es sogar fast ein Segen eine Waise zu sein, doch das Leben war auch ungleich härter. Außerhalb New Yorks, weit weg von dem stinkenden Nebelschwaden des Hudsons, versuchten die Bürger ihre Stadt wieder aufzubauen. Dorthin ging ich um Lebensmittel zu stehlen oder was ich sonst noch so brauchte…und sieh mich bitte nicht so an. Wie hätte ich sonst daran kommen sollen?“ „Ich mache dir keinen Vorwurf, Siha.“, sagte Thane irritiert. „Du vielleicht nicht, aber dein Blick.“, antworte sie matt lächelnd, während sie sich wieder in den Schutz seiner Wärme zurückzog. Thane runzelte sein Gesicht, sagte aber nichts weiter dazu. Er schien zu warten, dass sie weiter erzählte. Also suchte Karin nach den passenden Worten, versuchte ihre Gedankenwelt wieder in Worte zu fassen. Unschlüssig wie sie die Situation am besten hätte erklären können, verharrte sie in den Armen des Drells. „Ich habe viel gesehen in diesen fünf Jahren an die ich mich klar erinnern kann. Angst, Verzweiflung und tiefe Wut waren in meiner Seele verankert. Auch wenn ich versuchte mich so gut wie möglich aus allen Scherereien heraus zu halten, so kam es doch oft vor, dass ich mich mit anderen Straßenkindern ums Essen prügelte oder von den Marktbesitzern gejagt wurde. Ich stand ganz unten in der Nahrungskette der Menschen. Allein, verlassen, ohne jeglichen sozialen Kontakt verkroch ich mich in den Schrotthöhlen der einst prachtvollen Stadt um Schutz vor Wind und Wetter zu finden. Die Winter in New York waren meist sehr kalt und oft von Schnee gezeichnet. In diesen harten Monaten wünschte ich mir nichts sehnlicher, als die Wärme eines wohlgesinnten Wesens zu spüren, einfach Körperwärme zu erfahren. Oft sah ich in den Straßen Liebespaare wie sie sich im Arm hielten, sich küssten oder…nun ja…“ -Kurz wurde Karin rot und senkte verschämt wie ein kleines Kind den Blick- „…bei anderen Dingen.“ „Warst du all die Zeit allein?“, fragte Thane und seine Stimme klang traurig. Seine Hand glitt beschützend durch ihr Haar, streichelte über ihre Kopfhaut und ließ ein warmes Prickeln auf ihren Armen entstehen. „Ja…Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mit anderen Kindern unterwegs war. Sie mieden mich und ich mied sie. Das machte mein Überleben an sich schwieriger, aber ich wusste, dass ich mich vor den anderen nicht fürchten brauchte. Sie kannten mich nicht. Ich war wie ein Geist, der unruhig durch die Straßen schlich. Dem Einzigen dem ich vertrauen musste, war mir selbst und das war auch gut so.“ „Daher kam also deine Maske.“ Karin nickte bestätigend und fuhr kurz mit ihren Fingerspitzen an ihre Lippen. Ein Zeichen der Unsicherheit, denn sie spürte wie die Erinnerungen an jenem Tag wieder hervordrangen und sie fortzuspülen drohten. Immer stärker wie die brodelnde Lava eines Vulkans versuchte sie mit großem Druck an die Oberfläche zu gelangen, doch noch konnte Karin sie mit großer Mühe verdrängen. „Es fiel mir immer schwer Menschen mein wahres Selbst zu zeigen, denn ich hatte gesehen was mit schwachen Frauen auf der Straße geschah. Sie wurden geschlagen, zu Prostituierten gemacht oder mehr. Ich wollte nicht so enden, das habe ich schon früh beschlossen. Meine Zeit dort unten, wo die Schmutzigkeit der Menschheit an die Oberfläche drang, lernte ich hart und unnachgiebig wie der Stahl der Bauten zu werden. Niemand sollte mich brechen, niemand würde mir meine Seele nehmen, erst recht kein Mann.“ Karin wandte ihren Kopf ab und blickte durch den Türrahmen auf das weite Meer hinaus. Der Anblick der Unendlichkeit, der im Gegensatz zu der geistigen Enge stand, die Angst und Verzweiflung gebaut hatten, beruhigte sie. Vielleicht hatte sie sich auch deshalb in das Weltall verliebt. „Es tut mir leid.“, flüsterte Thane plötzlich und ließ Karin irritiert herum fahren. Große Augen sahen sie mitfühlend an und sein Kopf war in stiller Demut gesenkt. „Was tut dir leid?“, fragte sie nach und versuchte die Antwort in seinem Gesicht zu finden, doch auch er trug wieder seine perfekte Maske, die jegliches Ablesen der Emotionen unmöglich machte. Sie zischte frustriert. Sie hasste Masken. „Dass du das noch einmal durchleben musst. Dass du dieses Leid erfahren musstest.“ „Es ist doch nicht deine Schuld, Thane.“, erwiderte sie schnell, überrascht davon, dass er sich schuldig fühlte. „Mag sein, doch wenn ich gewusst hätte wie schmerzhaft deine Erinnerungen sind, hätte ich dich nie gebeten deine Geschichte zu erzählen.“, erklärte Thane und lehnte seinen Kopf an den ihren. „Aber deine war auch nicht einfach und du hast sie mir erzählt.“ „Freiwillig.“, setzte er hinzu, als wäre das ein Unterschied zu ihr. „Ich erzähle sie dir jetzt doch auch freiwillig. Wenn ich sie nicht hätte erzählen wollen, hätte ich dich abgeblockt wie all die anderen, die fragten, auch, aber ich möchte es, also mach dir darum keine Gedanken.“, sagte Karin etwas unwirscher als von ihr beabsichtigt. Also echt. Thane musste damit aufhören sich die Schuld an allem zu geben. Sie sah ihn an und bereute ihre Worte direkt. Sein Blick war entschuldigend, verletzt und schuldbewusst. Thane kaute an seiner Unterlippe und mied ihren Blick. „Thane…“, fuhr Karin nun versöhnlicher fort. Sie nahm sein Gesicht in die Hände, hob seinen Blick an und lächelte ihn verzeihend an. „Du musst aufhören dir an allem die Schuld zu geben.“ Überrascht blinzelnd sah der Drell sie an und sein Mund klappte auf, er wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus. Karin lächelte und küsste ihn sanft. „Mach dir keine Gedanken.“, sagte sie, während sie über seine Wange strich und er trotz der Reue genießend die Augen schloss. „Mit deiner Hilfe werde ich es schaffen dir die Geschichte zu erzählen und dann sind wir quitt, ok?“ Thane seufzte und lächelte dann ergeben. „In Ordnung.“ Zärtlich zog er sie in seine Arme zurück und betete ihren Kopf an sein Schlüsselbein. Karin schloss die Augen und wappnete sich wieder gegen die aufkeimende Flut. Eben jener Tag, der ihr Leben verändert hatte, war nicht mehr weit entfernt und sie wusste, dass dies eine ihrer größten Herausforderungen werden würde. Zu lange hatte sie diese Schicksalswendung verdrängt und nicht verarbeitet. „Thane…was jetzt kommt ist für mich schwierig zu erzählen, bitte habe Geduld mit mir. Ich habe lange diese Bilder verdrängt, ich wollte sie nicht sehen, aber es wird Zeit, dass ich mich endlich damit befasse.“, sagte Karin mit monotoner Stimme, während sie müde ihren Kopf an seinem Körper zur Ruhe bettete. Ihre Augen glitten in die Ferne ab. Sie sah nicht mehr das weiße Laken aus Seide ihres Bettes, sondern nur ein dumpfes Grau des Schleiers ihrer Erinnerungen, die allmählich vor ihrem inneren Auge Gestalt annahmen. Thane verstand ihr Unbehagen und versuchte sie mit beruhigend, geflüsterten Worten, die sie nicht einmal verstand, und liebevollen Berührungen zu trösten, doch der Damm des Schutzes war bereits eingerissen. Es war zu spät. Karin spürte wie ihre Augen trocken wurden und die Tränen ankündigten, die sich langsam ihrem Weg suchten. Ihre Kehle fühlte sich an wie Wüstensand und sie schluckte um den Knoten in ihr zu lösen. Nur ihre Gedanken würden Thane diesen Tag nicht erklären, sie musste die Bilder in Worte fassen, doch es schien plötzlich unmöglich. „Diese Lebensweise ging einige Jahre gut…es war kalt, einsam, doch ich lebte- irgendwie. Wenn ich mich auch manchmal von meiner Trauer abgestumpft wie eine Marionette fühlte. In dieser Zeit traf ich eine kleine Katze. Sie streunte durch die Ruine auf der Suche nach Nahrung. Die Rippen traten unter ihrem verfilzten, orange weißen Fell hervor. Flehend maunzte sie mich an, bettelte um etwas von meinem schwer erbeuteten Schinken. Ich sah erst nicht ein etwas von meiner sowieso schon viel zu kleiner Ration zu teilen, doch ihre großen Augen flehten mich an und liebevoll schmuste sie um meinen Körper, rieb ihren kleinen Kopf an meinem Arm. Von dieser kleinen, zärtlichen Geste war ich verunsichert, irritiert, doch es erweichte meine harte Schale und ich gab ihr die Hälfte ab. Die Kleine war so erfreut, dass sie dreimal im Kreis sprang, bevor sie den Schinken fraß. Damals lachte ich zum ersten Mal in meinem Leben. Seitdem kam sie jeden Abend zu mir und nach einiger Zeit blieb sie sogar die gesamte Zeit bei mir. Sie schenkte mir Liebe und die Wärme des Vertrauens. Ich nannte sie Kitty. Junge Katzen werden bei uns Kitten genannt, also lag der Name nah. So lebten Kitty und ich zusammen, verbrachten einige schöne Monate zusammen, aber dann wurde alles zu einer Tragödie.“, endete Karin, holte tief Luft und krallte sich in das Laken um Halt zu finden. Die Bilder brachen aus ihr hervor, überschwemmten sie und rissen sie fort. Sie hörte nicht Thanes verzweifelte Rufe, sie hörte nicht, wie er sie anschrie, sie schüttelte und verzweifelt zurück zu holen versuchte. Wieder begann die Luft vor Karin zu flimmern, welche schmerzlich die Augen geschlossen hatten. In dem Spiegel der Erinnerungen tauchten schwarze, verrußte Skelette einer einst prachtvollen Stadt auf. Wie ein Skelett ragten sie in den grauen Himmel hinauf, während Nebel über die Ruinen waberten. Am Rand des Bildes tauchte ein junges Mädchen auf- vielleicht 15 Jahre alt. Ihr Körper war schlaksig und abgemagert, während ihr rabenschwarzes Haar verkrustet war, doch Thane sah diese wohlvertrauten, tiefblauen Augen, welche entschlossen das einstige Schlachtfeld betrachteten. Ein schwerer Wind zerzauste ihr Haar und ließ die lumpenähnlichen Kleider tanzen. Er sah, wie die Knochen sich deutlich um ihre gebräunte, aber matte Haut abzeichneten. Ihre Rippen, die Wirbelsäule hätte man ihr abzählen können, doch Thane wusste sofort, beim ersten Blick, wer vor ihm stand. Seine geliebte Siha. Trotz ihrer jungen Jahre umgab auch dieses Ego, die starke Entschlossenheit, die sie noch viele Jahre später auszeichneten. Ein Maunzen durchbrach die Stille die wie eine erstickende Decke sich über den Raum gelegt hatte und das Bild veränderte sich. Die Karin in der Erinnerung neigte ihren Kopf nach links und Thane sah, was eine Katze war. Die kleine Gestalt schmuste zärtlich ihren schmalen Kopf an dem Bein ihrer Gefährtin und blickte sie aus treuen Augen an. Die harte Maske entschwand von Karins Gesicht und wich einem sanften Ausdruck. Zärtlichkeit, die nun nur er zu sehen bekam, durchzog ihre blauen Augen und ihre schmalen Lippen lösten sich aus ihrer Angespanntheit. „Alles ist gut, Kitty.“, sagte ihre melodische Stimme und sie hockte sich neben die Katze, streichelte über das mittlerweile gepflegte Fell. „Heute suchen wir dir einen leckeren Fisch.“ Freudig maunzte die Katze erneut und setzte sich neben sie. Karins Ausdruck wurde wieder ernst und vorsichtig kletterte sie die Überreste eines einstigen Hochhauses hinab und landete auf zersplitterten Asphalt einer Straße. Ein Shuttle flog über ihren Kopf, zeigte den Kontrast ihrer Zivilisation, doch sie beachtete es nicht. Karins Blick war an die dünnen, grauen Wolken am Horizont geheftet, an dem sich eine schemenhafte Gestalt abzeichnete. Besorgnis und Zorn verunstalteten das reife Gesicht der jungen Frau und Feuer unverhohlenen Hasses brannte in den Augen. Thanes Geist taumelte bei diesem Blick mit dem die junge Karin ihn betrachtete. Solch einen wütenden Blick hatte er niemals bei ihr gesehen, selbst in den schlimmsten Zeiten zeigte Karin trotz ihrer Güte ein überwältigendes Maß an Verständnis am Leid einer jeden Spezies. Sie verstand warum Turianer und Salarianer die Kroganer fürchteten, sie verstand aber auch das Leid, was die Genophage über sie gebracht hatte. Karin verstand die Geth ebenso gut wie die Quarianer. Auf einmal wurde ihm klar warum. Karin hatte selbst viel Leid in ihrem Leben gesehen und diese Erfahrung bescherte ihr trotz ihrer offensichtlichen Verbitterung und teilweise sogar versteckten Verachtung, dass Leid ihres Gegenübers zu verstehen. Vielleicht war auch das der Grund gewesen, warum er selbst zum ersten Mal das Bedürfnis verspürt hatte über sein persönliches Drama zu reden. Er hätte sie damals wirklich nicht gebraucht um Kolyat aufzuhalten, doch er hatte sich ihre Stärke an seiner Seite gewünscht. Wenn die mächtige Shepard an seiner Seite war, konnte es nur gut gehen. Auch er war dem Zauber von Shepards Ruf zu diesem Zeitpunkt erlegen. Thane hatte all seine Hoffnungen auf ihre Schultern abgelegt und sie hatte sie bereitwillig getragen. „An jenem Tag bin ich bei einem Raub unvorsichtig geworden.“ Thane schrak aus seinen Gedanken, als Karin plötzlich sprach, als sie bemerkte, dass ihre Erinnerungen sich in der Luft spiegelten. Ihr Blick war in unendliche Weiten ihrer geschundenen Seele abgedriftet und sie sprach mit solcher Monotonie, die Thane vor dem Bevorstehenden warnten. Er kannte diese Tonlage nur zu gut, zu oft hatte er sie selbst genutzt. Es war eben jene Stimmung in der Stimme, welche mitschwang, wenn das Erlebte zu schrecklich war um ihm Emotionen zu schenken. Sie war der rettende Anker im Schrecken, denn man selber fühlte sich ohnmächtig gegenüber der Aufgabe den Schrecken in Worte zu fassen. „Was ist geschehen, Siha?“, fragte er vorsichtig. Karin blickte ihn kurz mit schmerzerfüllten, dumpfen Augen an. „Ein Bandenmitglied hatte mich gesehen und da nicht viele Kinder in den Ruinen lebten, kannten sie sonst alle. Er berichtete dem Anführer davon. Einen schmierigen, arroganten, aufgeblasenen Sack namens Darius.“ Sie spie die Wörter aus und ihre Augen entbrannten erneut in dem schwarzen Feuers der Verachtung, dass sie selbst gegenüber dem Unbekannten oder Reapern nicht empfand. Mit Schrecken und zitternden Fingern betrachtete Thane wie Karin ihre Lippen vor Abscheu kräuselte und ihre Augen vor Bosheit brannten. Irgendwie musste er sie doch beruhigen können. Doch wie? Wie konnte er einen solchen Zorn besänftigen? Plötzlich fühlte Thane sich machtlos und auch wenn er wusste, dass er der letzte wäre, dem seine Siha etwas antun würde, so verspürte er kalte Angst in seinem Magen aufsteigen. Bevor Thane jedoch seine Lähmung überwand, blinzelte Karin mehrmals und sah in seine Augen, dann seufzte sie müde und ließ sich plötzlich in seine Arme fallen. Instinktiv schloss er sie in seine Arme und zog sie so dicht an sich heran, wie er konnte. In der einfältigen Hoffnung, sie so vor der Dunkelheit der Erinnerungen abschirmen zu können. Tief in sich drin wusste Thane aber schon längst, dass es dafür bereits zu spät war. Karins Ärger wurde von Thanes erschrockenen Augen fortgespült. Niemals hatte sie gewollt, dass er diesen tiefen Abgrund ihrer Seele sah. Niemand hätte ihn sehen sollen, doch nun hatte sie es nicht verhindern können und noch nie hatte sie nackte Angst in Thanes Augen gesehen. Selbst damals, als der Menschen Reaper die Plattform zerstörte, auf der sie zusammen mit ihm und Garrus gestanden hatte und er dem Abgrund des bienenwabenförmigen Schiffes entgegenrutschte, hatte sie Bedauern und Trauer in seinen Augen gesehen. Eine stumme Entschuldigung ihr gegenüber, doch nun war es nackte Panik vor ihrer Bosheit. Sie hatte sich oft im Stillen überlegt wie sie diesen Mistkerl von einem Menschen töten würde, falls sie ihm je wieder begegnete und es hatte ihr einigermaßen geholfen, doch als sie dann zum Commander befördert worden war, hatte Karin beschlossen diese dunkle Phantasie wegzusperren, da es ihre Crew verstören könnte, diesen inneren Drang in ihr zu sehen. „Erschrocken, Thane?“, sagte Karin in einem bitteren Ton und sah ihn doch zeitgleich gepeinigt an. Flehte ihn um Zuflucht an, doch Thane wusste nicht, wie er ihr sie durch die Mauer ihrer eigenen Selbstverachtung gewähren sollte. Ihre Augen verharrten in den seinen und baten ihn um eine Antwort. „Ein wenig, Siha…“, sagte er schließlich atemlos und fuhr sich erschöpft über die Augen. Er konnte spüren wie viel Leid in ihrer Seele zitterte und obwohl ihre Geschichte ihn jetzt schon fast das Herz zerriss, wusste er schmerzlich genau, dass dies nur Spitze des Eisberges war. An ihrem Blick konnte er erkennen, dass Karin seine Worte falsch verstanden hatte. Sie glaubte, dass die Bosheit in ihrem Blick ihn schockierte, doch in Wirklichkeit war es das Grauen, was diese Wut verursacht hatte. „Was hat er dir angetan, dass du so angewidert von ihm bist, Siha?“, sagte Thane besorgt. Er strich durch ihr Haar und hauchte ihr ein Kuss ins Haar. Thane war bewusst, dass das nur eine Kleinigkeit war und wohlmöglich nicht viel bezweckte, doch er fühlte sich so hilflos, dass der Drang in ihm irgendetwas zu tun immer stärker wurde. Karins Blick war bitter, doch sie seufzte voller Trauer. „Die Gestalt, die du dort am Horizont siehst.“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf die blasse Gestalt, die regungslos in ihrer Erinnerung verharrte. „Das ist Darius. An jenem Abend kam er zu mir und teilte mir freundlicher Weise mit, dass ich nun zu seiner Gang gehörte. Ich würde tun, was immer er mir auch sagte, wenn mir mein Leben lieb wäre.“ Zitternd schloss Karin die Augen und zog ihr Shirt aus. Langsam drehte sie ihm ihren rechten Oberarm hin und Thane sah feine, rosafarbene Narben, die sich in ihre gebräunte Haut gebrannt hatten. Sie waren dünn und verblasst, aber seltsam verkrustet und eingefleischt, dass Thane wusste, dass sie einst große Qualen zugefügt hatten. Noch nie hatte er diese Narben gesehen. Vorsichtig streckte der Drell seine Hand aus, fuhr die Konturen nach, doch sie zuckte unter seiner sanften Berührung zusammen, als hätte sie sich verbrannt. „Was ist das, Siha?“, fragte Thane und er wusste nicht, ob seine Neugierde ein Frevel war, doch er musste es wissen. Karin sah ihn verbittert an und Wuttränen brannten in ihren Augen. Ihr schlanker Körper zitterte von den Erinnerungen und das Bild verschwamm kurz, ein Schrei durchzuckte den Raum, doch dann hing das Bild wieder in dem Moment, wo es vor wenigen Augenblicken festgehalten worden war. „Als sie mich in ihren Unterschlupf geschleift hatten, haben sie mir ein Zeichen eingestochen, was mich gegenüber den anderen Banden unmissverständlich als sein Eigentum zeigte. Ein Tattoo. Die hygienischen Umstände waren katastrophal, Mordin hätte über sie geschimpft, und auch hatten sie weder Betäubung, noch die entsprechenden Nadeln. Sie nahmen Stricknadeln, die in Tinte getaucht waren, um das Symbol unter meine Haut zu bringen. Während fünf Männer mich festhielten stach er mich unentwegt. Immer und immer wieder. Fünf Stunden lang. Danach lag ich eine Woche im Fieberwahn, da es sich entzündet hatte.“ Thane entwich ein entsetztes Geräusch und seine weit aufgerissenen Augen, in denen Karin sich spiegeln sah, zitterten vor Schrecken. Kein Wort kam aus seinen Mund. Karin sah, wie er es versuchte, doch sie sah, wie schockiert ihr Freund von der Grausamkeit des Jungen war, sodass sie schließlich fortfuhr: „Als ich zur Allianz kam war mein erster Besuch eine Krankenstation, wo ich mir das Zeichen entfernen ließ. Ich hoffte so auch die Erinnerungen auszulöschen, den Abgrund, die meine Zeit bei Darius in meiner Seele gerissen hatte. Doch es funktionierte nicht. Sie hatten so schlampig gearbeitet, dass ich 15 Mal für jeweils eineinhalb Stunden unter diesen höllisch brennenden Laser begeben musste. Jeder Stich dieses Lasers, jedes Brennen ließen meinen Hass nur noch werden und der Drang meinem Peiniger schlimme, wirklich schlimme Dinge anzutun.“ Karin sah mit welchem Entsetzen er die vernarbten Überreste des Tattoos begutachtete. Es schien sogar, als wäre er bleich geworden. Das Grün seiner Haut schien nicht mehr so intensiv smaragdfarben wie zuvor. Als Thane dieses Mal ihre Narben berührte und liebevoll über sie strich, als könnte er so die damaligen Schmerzen von ihr nehmen, ließ Karin ihn gewähren. Seine Besorgnis trieb ihr sogar die Tränen in die Augen. „Was hat er dir bloß angetan, meine geliebte Siha, dass du einen solchen Hass empfindest? Selbst den Unbekannten oder die Reaper hast du nicht so sehr gehasst, oder?“, flüsterte Thane sprachlos und zog sie in eine innige Umarmung. Liebevoll strich er ihr die Tränen aus den Augen, die so sehr brannten und betrachtete sie mit feuchten Augen. Thane schien ebenfalls die Tränen nahe, berührt von ihrem Schmerz, doch Karin wurde dieses Mal nicht wie sonst davon ergriffen, sondern sie lachte bitter auf, während Galle bei den Erinnerungen bitter in ihr Aufstieg. „Was er mir angetan hat, willst du wissen? Er hat mich zwei Jahre lang gefangen gehalten. Mich gequält, gedemütigt und geschlagen. Mir jeden Moment meines Seins klargemacht, dass ich nur ein Spielzeug in seiner Hand war. Er könnte mich jederzeit auslöschen, wenn er nur wollte oder mir andere grausame Dinge antun. So dumm Darius auch in geistigen Dingen war, so gut verstand er es einem mit Androhen psychischer und vor allem körperlicher Gewalt unter Kontrolle zu halten. Ich wusste, dass wenn ich mich weigerte für ihn die demütigenden Aufgaben zu erledigen, dann würde er noch in der gleichen Nacht fünf seiner schlimmsten Schergen zu mir schicken, die schon dafür sorgten, dass mein Geist gebrochen wird. Ich war lang genug auf der Straße um zu wissen, dass er nicht zögern würde seine größten Sadisten zu mir zu schicken um mich zu vergewaltigen. Entweder nacheinander oder gleichzeitig oder beides, je nachdem wonach ihnen der Sinn stand.“ Wieder brannten Tränen in ihren Augen auf und tropfen auf das Laken, wo sie graue Pfützen hinterließen. Thane starrte sie mit offenem Mund an und wusste nicht, was er sagen wollte. Dabei wusste er noch nicht mal das Schlimmste. „Ich war nicht hübsch genug für den Strich…“, fuhr Karin fort und strich gedankenverloren ihre Kleidung glatt. „…deshalb war ich meist für den Schmuggel zuständig. Darius sträubte sich auch nicht davor mir das Zeug in dem Mund zu stecken und es mich schlucken zu lassen. Nur um hinter der Kontrolle mit seinen Leibwächtern darauf zu warten, dass ich es wieder ausschied. Doch meine Angst vor ihm war zu groß, als dass ich mich aus seinem Käfig der Demütigung befreien konnte. Du kannst es ja sehen. Ich war schwach, ausgemergelt und hungrig. Ich konnte mich nicht wehren und mich verteidigen. So war ich ihm ausgeliefert und befolgte jeden noch so sadistischen Wunsch in abgestumpfter Demut. Ich war wie ein streunender Hund, der seinem grausamen Herrchen folgte. Nur Kitty, die noch immer bei mir blieb, spendete mir Trost. Darius hatte mich oft deswegen ausgelacht, dass ich Zuneigung für ein einfaches Tier empfand. Ich hasste ihn, hasste ihn vom ganzen Herzen, doch es gab für mich kein Entkommen, bis…“ Ihr versagte die Stimme, als sie nun wirklich an dem Punkt ankam, der ihr Leben verändert hatte. Wieder glitzerten silbrige Tränen in ihren Augen und Thane war plötzlich ganz weit weg. Für sie existierten nur noch diese Erinnerungen. Das Erinnerungsbild verschwamm plötzlich und ein neues Szenario tauchte auf. Thane hatte schon lange die Fassung verloren und er rang lange mit sich, ob er es ertragen konnte sich die Bilder anzusehen. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was dieser Mensch ihr angetan hatte, doch Thane wusste auch, wie viel Überwindung es sie kostete und er wollte ihr Opfer nicht schmälern. Die junge Karin blickte sich um und rannte gemeinsam mit Kitty durch die Straßen New Yorks. Hektisch, wie ein gejagtes Tier, warf sie den Kopf hin und her und suchte nach Schatten oder Bewegungen, die es nicht gab. Kitty folgte ihr auf den Fuß, maunzte aber mehrere Male verwirrt. Ihr Atem kam stoßweise und die Gebäude flogen an ihr vorbei. „Wir müssen hier weg.“, dachte sie panisch. „Wir müssen Entkommen, bevor er uns findet. Er wird uns umbringen.“ Thane sah an dem Pulsieren des Bildes wie schnell ihr Herz raste und das Bild war durchtränkt von blanker Angst. Ihr Überlebenswille trieb sie weiter, doch er ahnte bereits, dass es ihr nicht gelang. Plötzlich schlang eine starke Hand sich um ihren Arm und drückte schmerzhaft fest zu. Karin schrie auf und spürte wie sie gegen die scharfen Steinkanten eines ehemaligen Kiosks geworfen wurde. Ihre Augen flackerten kurz auf und ein Schmerz durchzuckte sie, doch als sie aufsah, blickte sie in die kleinen, unheilvoll dunklen Augen von Darius. Karin erzitterte und presste sich instinktiv noch fester gegen den rauen Stein, der ihre Haut aufschürfte. Unverhohlener Zorn zerfraß das Gesicht von Darius und seine dünnen, aufgerissenen Lippen waren zu einem schmalen Strich geworden. Karin flehte innerlich zu allen Göttern von denen sie gehört hatte, dass er sie nicht umbringen würde. „Wo ist mein Geld, Karin?“, zischte er bedrohlich ruhig und kalt zugleich, während sich seine Hand noch stärker um ihren dünnen Arm schloss. Karin stöhnte schmerzerfüllt auf, als er ihr die Blutzufuhr abschnürte und blickte ihn aus flehenden Augen an. „Bitte…Darius.“, flehte sie ihn mit von Angst durchtränkter Stimme an. „Gib mir mehr Zeit.“ Darius schnaubte erzürnt und presste sie so dicht gegen die Wand, dass die scharfe Ecke in ihre weiche Haut schnitt und sie bluten ließ. Thane erkannte die sadistische Freude, die um seine Mundwinkel zuckte und es ekelte ihn an. Es war für ihn unbegreiflich wie Jemand Freude dabei empfand ein unschuldiges Mädchen zu zerstören. „Ich will mein Geld! DU hast es mir gestohlen, Karin. Du mieses Stück Dreck.“ „N…Nein, das würde ich niemals. Du weißt, ich bin nicht klug genug dafür.“ „Lüg mich nicht an!“ Es knallte, als Darius sie schlug und Karin benommen zurück taumelte. Sterne zuckten durch die Erinnerungen und führ einen kurzen Moment wurde alles Schwarz, während ihre Wange unangenehm stark pochte. „Eine Woche ist zu kurz um 500 Credits zu stehlen.“, schluchzte Karin verzweifelt und sah zu ihm auf, doch in seinem Blick war keine Gnade zu finden, sondern nur unverhohlener Spott. „Dann lass dir was Besseres einfallen.“, knurrte er wütend und rammte seine Hand an ihre Kehle, hob sie über den Boden. Karin wimmerte und hörte das erschrockene Maunzen von Kitty. Panisch versuchte Karin zu atmen, doch die Luft schwand immer mehr aus ihrer Kehle. Tränen rollten aus ihren Augen und sie wusste, dass das hier das Ende war. „I…ich…“, stotterte sie mit aller Kraft und zappelte hilflos mit ihren dünnen Beinen in der Luft. „Ich bin nicht hübsch genug für den Strich, das sagst du doch selbst.“ Kurz hielt ihr Peiniger inne und neigte nachdenklich den Kopf. „Da hast du Recht.“, fuhr er mit sanfter Stimme fort und Karin wog sich schon Sicherheit. Thane jedoch wusste es besser. Karin war noch zu unerfahren um das gefährliche Leuchten in seinen Augen sehen zu können. Der vielleicht 19 Jahre alte Junge presste sie nur noch fester gegen die Wand und schob sein Bein in ihren Schritt. Entsetzt, mit weit aufgerissenen Augen, sah sie ihn an, doch er grinste nur dreckig. Die rechte Hand noch immer grausam fest um ihre Kehle gedrückt, glitt seine freie, linke unter die Überreste ihrer Lumpen und suchten sich ihren Weg ihren Oberschenkel hinauf. Karin jappste erschrocken und versuchte sich aus seinem Griff zu entwinden, doch er wurde nur noch fester. „Bitte…bitte…gib mir noch eine Chance, Darius.“, jammerte Karin und Tränen rollten aus ihren Augen, doch ihr offensichtliches Elend steigerte Darius‘ Gier und zeitgleich seine Verachtung nur noch mehr. „Dir mehr Zeit geben? Noch eine Chance?“, höhnte er und äffte auf arrogante Art ihren entsetzten Ton nach. „Du hast mich immer mehr gekostet, als du mir eingebracht hast, du unnütze Schlampe.“ „Aber…“, setzte Karin an, doch dieses Mal schlug er sie so hart, dass sie zu Boden fiel und stöhnend liegen blieb. Blut quoll aus ihrer Nase und Tränen verschleierten ihren Blick. Schockiert sah Thane zu, wie Darius in den Erinnerungen auf die sich windende, zusammenkauernde Karin eintrat. Schmerzerfüllte Schreie hallten von den Wänden ihres Hauses wieder und der Drell spürte das erbarmungslose Zittern, was von der jetzigen Karin Besitz ergriff. Auch sie wimmerte leise und war gefangen in den Bildern, die er zu sehen bekam. Er streichelte sie, hoffte so ihre Pein zu lindern, doch sie nahm ihn noch nicht einmal wahr. Tränen brannten mittlerweile auch in seinen Augen und er musste stark gegen den Ekel in sich kämpfen. Nun verstand Thane, warum seine Siha diesen Mann über alles hasste. Für ihn war sie kein lebendes Wesen, sondern bloß ein Besitz, der ihm lästig geworden war. Darius würde nicht zögern sie zu töten. Thane sah, dass er sogar mit dieser Absicht zu ihr gekommen war. Karin heulte schmerzerfüllt auf und ihr Körper erbebte vor Leid. Thane sah sie an, küsste sie, doch wie er vermutet hatte, drang es nicht zu ihr durch. Wer in einer solchen Erinnerung gefangen war, der konnte ihr nicht so schnell entkommen. Weder ein Drell, noch ein Mensch. Mehr als Halt und Zuflucht konnte er ihr nicht bieten. Darius beugte sich über sie, packte grob in ihr kurzes Haar und riss ihren Kopf hoch. Ein spitzer Schrei entwich der jungen Frau und neue Tränen brannten in ihren Augen, während ihre Lippen vor Schmerzen erzitterten. Vor Hass glimmende Augen starrten auf die hilflose Gestalt unter ihm und Darius schnaubte frustriert. Er schien verärgert zu sein, dass Karin sich ihm so leicht beugte. Offensichtlich hatte er Gegenwehr erwartet, doch wer wehrte sich bei einer solchen Übermacht? Würde nicht jeder versuchen seinen Peiniger zu beschwichtigen? Karin zuckte zusammen, als sie die Augen öffnete und in den kühlen Lauf einer Pistole blickte. Ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass das Weiß ihrer Pupille deutlich zu sehen war. „Deinetwegen hat Olivia ihr Geld nicht mitgebracht!“, knurrte Darius verbissen und drückte die Mündung gegen ihre Stirn. Karin erstarrte zu Eis und wagte es nicht zurückzuweichen. „Ihr Freier hätte sie umgebracht!“, sagte sie hoffnungslos. Auch Karin war mittlerweile bewusst, dass es aus dieser Situation kein Entkommen mehr gab. „Er war ein Sadist und hätte sie umgebracht, wäre ich nicht eingeschritten. Sie war deine Beste. Hätte er sie getötet, hättest du noch viel mehr Geld verloren als 500 Credits!“ Verzweifelt rang Karin mit den Händen, versuchte ihn mit diesem letzten, verzweifelten Argument zu erreichen. Für einen kurzen Moment hielt er wirklich inne und löste den gedankenraubenden Lauf für einige Millimeter von ihrem Kopf. Karin holte tief Luft, die sie während all der Zeit angehalten hatte. Ihr Herz hämmerte schmerzhaft laut und ihre Welt war von dem Schwindel ihrer gebrochenen Rippe entstellt, doch Darius Gesicht blieb klar. Ärgerlich blickte er auf sie hinab und die kurze, nachdenkliche Wirkung ihrer Worte verflog. Sein Blick wurde noch hasserfüllte. Er hasste sie nur noch mehr dafür, dass sie Recht hatte und dafür würde sie büßen. „Das bestimme immer noch ich!“, brüllte Darius zornig. Mit einem Kinnhaken warf er Karin zu Boden und presste sie so fest auf den aufgerissenen Asphalt, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Sofort drückte er wieder die Pistole gegen ihre Stirn und Karin erstarrte erneut zu Eis. Mit zitternden Augen sah sie in seine gefährlich verschmälerten Augen hoch und wollte instinktiv wie ein Tier zurückweichen, doch der kräftige, auf ihr sitzende, Körper hielt sie gefangen. „Gib mir nur einen Grund, meine süße Karin…“, Sein Flüstern war gefährlich weich und lockend. „…warum ich dich am Leben lassen sollte. Ich gebe dir drei Sekunden um dein Leben zu retten. 3…“ Karin riss die Augen auf. „I…ich…“ Die bevorstehende Gefahr lähmte ihre Gedanken, sie konnte nicht nachdenken. Karin wusste, dass sie sterben würde, egal was sie tat. „2…“, sagte Darius unbeeindruckt und entsicherte mit einem Klacken die Waffe. Karin schloss die Augen und schickte ein Gebet zu einem Gott an dem sie bis eben nie geglaubt hatte. Bitte, bitte! Irgendwer! Irgendwer musste sie doch retten! Sie wollte nicht sterben. „1…“, flüsterte Darius erfreut und langsam zog er den Abzug. Karin schloss mit ihren Leben ab und unheilvolle Schwärze umfing sie. Angstvoll wartete sie auf den Knall, den sie so oft gehört hatte, wartete auf die höllischen Schmerzen und schließlich auf ihren Tod, doch es geschah nichts. Statt abzudrücken fluchte Darius plötzlich und das Gewicht von ihrem Körper verschwand. Irritiert öffnete Karin die Augen und sah, wie ein orangefarbener Blitz über Darius Körper rannte, ihn biss und kratzte. „Kitty!“, stieß sie erschrocken hervor und richtete sich halb auf, bevor der Schmerz sie taumeln ließ. „Elendiges Katzenvieh!“, brüllte Darius auf und versuchte sie zu fassen zu bekommen, doch die Katze war schneller. Ihr mittlerweile 40 Zentimeter großer Körper huschte über seinen Rücken und entkam seinen plumpen Händen ein ums andre Mal. Immer weiter trieb sie ihn von Karin weg. Sie fauchte unentwegt und ihre Nackenhaare waren aufgestellt. Fassungslos erstarrt von der Treue ihrer Katze, sah Karin bloß wie Darius den kleinen Körper zu fassen bekam und sie wegschleuderte. Mit einem kläglichen Maunzen krachte ihre einzige Freundin an eine Wand und blieb regungslos liegen. „Kitty!“, schrie Karin verzweifelt. Sie wollte auf sie zu robben, doch Darius trat ihr in den Weg. Sein Blick war verhüllt von Abscheu und langsam ging er auf die Katze zu, packte sie am Nacken und hob sie hoch. Geschockt von dieser Grausamkeit sah Thane zu wie der Junge die Katze, die hilflos Karin an maunzte, zu ihr hinüber trug und über, die zur Bewegungslosigkeit verdammte, Karin beugte. „Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dieses Teufelsvieh erziehen, Karin?“ „Kitty hat keinen Herren. Niemand kann sie erziehen.“, keuchte sie, als ihre Welt sich zu drehen begann. Übelkeit stieg in ihrem Magen hoch und Karin wusste, dass nur ihr Adrenalin sie noch wachhielt. Darius hob wieder seine Pistole und legte sie nun an die Schläfe von der kleinen Katze. Karin japste nach Luft und wich entsetzt von seiner Emotionslosigkeit zurück. „Vielleicht sollte ich dafür sorgen, dass du dich endlich auf deine Aufgaben konzentrierst, anstatt deine Zeit mit diesem Objekt zu verbringen.“ „Nein…“, schluchzte Karin völlig aufgelöst, während verzweifelte Tränen aus ihren Augen rollten. „Nein! Bitte, tu Kitty nichts.“ Hilflos kroch Karin auf ihn zu, ergriff sein Hosenbein und neigte ihren Kopf in tiefster Demut. „Ich tue alles, was du willst.“, versicherte sie so schnell und ehrlich wie sie konnte. „Nur bitte, lass Kitty leben.“ Unverhohlene Freude blitzte in den dunklen, gefährlichen Abgründen in Darius Augen auf und er schnalzte. „Du tust wirklich alles? Für eine Katze?“ Karin nickte nur schnell und presste ihr verweintes Gesicht auf den schäbigen Asphalt. Sie konnte Kitty nicht verlieren. Ihr Herz würde das nicht ertragen. Diese kleine, treue Katze war das einzige Wesen, was ihr Liebe geschenkt hatte. Leise weinend betrachtete Thane wie Karin um das Leben ihrer Katze bettelte. Er hatte sie noch nie betteln sehen, doch lieber würde sie alles für dieses Schwein tun, als dieses kleine Wesen aufzugeben. Eine solch aufrichtige Liebe berührte ihn zutiefst und er schluckte heftig gegen seine Tränen. „Nöö…ich mag nicht, Karin.“, sagte er mit einem hässlichen Grinsen im Gesicht. „Du hattest deine Chance.“ Ein Knall durchzuckte das Zimmer und brandete wie eine tobende Flut durch den Raum. Karin schrie zusammen mit ihren jüngeren Ich mit aller Kraft den Namen der kleinen Katze und Thane musste mit ansehen wie Darius der hilflosen Kitty eine Kugel in den Kopf jagte. Ein klägliches Maunzen verklang und der Kopf sackte hinab. Karin weinte bitterliche Tränen und starrte fassungslos auf ihre eigene Erinnerung. Verachtend warf Darius den leblosen Körper zu ihren Füßen. Große, bernsteinfarbene Augen blickten leblos, zu einem letzten, lautlosen Hilferuf an Karin aufgerissen, zu ihr hinauf und diese sackte zitternd zusammen. Ihr Herz zerbrach in diesem Augenblick und sie brüllte wütend, halb wahnsinnig vor dem inneren Schmerz, der der Tod ihrer treuen Freundin in ihr verursachte. Sie wollte ihn umbringen! Ihn büßen lassen für das, was er der unschuldigen Katze angetan hatte. Glühend heiße Wut rollte ihren Körper hinab und all das Leid, was sie in ihrem Leben erduldet hatte, verwandelte sich in einen unendlich tiefen Groll gegen ihren Peiniger, der ihren Zorn noch amüsiert betrachtete. Karin wusste, dass sie ihm nichts antun konnte. Seine Prügel hatten dafür gesorgt, dass sie sich kaum noch rühren konnte, doch wenn Blicke hätten Töten können, so würde Darius auf der Stelle umfallen. Stattdessen sah er nur abschätzend auf die am Boden liegende Karin hinab, spuckte verachtungsvoll auf sie und wandte sich zum Gehen ab. „Einen Tag, Karin. Mehr gebe ich dir nicht.“, sagte er todernst. „Hast du verstanden?“ „Ja, Darius.“, spie sie ihm entgegen und spuckte ihm die bittere Galle, die in ihr aufstieg, hinterher. Darius wirbelte auf dem Absatz herum, stürmte auf sie zu und trat mit aller Kraft gegen ihren Brustkorb. Karins Blickfeld explodierte, als sie gegen die Trümmer krachte und japsend vor Schmerz liegen blieb. Nur ihren eiskalten Blick konnte sie heben und beide sahen sich mit gegenseitigen, unverhohlenen Hass an. Es war ein Spiel der Macht und dieses Mal hatte Darius gewonnen. Beide wussten, dass Karin niemals innerhalb eines Tages, erst recht mit geprellten und gebrochenen Rippen, 500 Credits auftreiben könnte. Es war bloß ein Aufschub ihres Todes um einen Tag um ihren Gram zu steigern und ihm mehr Zeit gab um ihren Ungehorsam qualvoll zurückzubezahlen. Schließlich ging er ab und verließ die Bühne des Schauspiels von menschlicher Verachtungswürdigkeit, während Karins Trauer herausbrach. Hilflos schluchzend zog sie den leblosen, ausgebluteten Körper von Kitty in ihren Arm und kauerte sich über sie. Das Bild verschwamm, als Karin von ihrer eigenen inneren Trauer und Unruhe getrieben, die Konzentration verlor. Die Flut der Emotionen, der Angst, des Hasses, rissen ihren letzten Halt in der jetzigen Welt fort und spülten sie in ihren Selbsthass hinaus. Sie war zu schwach gewesen. Dummes, einfältiges Kind. Wäre sie nur stärker gewesen, sie hätte Kitty retten können, doch ihr Geist war zu schwach gewesen. Darius Grauen hatte sie gelähmt und nichts hatte ihr erlaubt sich zu Rühren. Ein dumpfer Ruf drang durch ihren Selbsthass, doch sie nahm ihn nicht wahr. „Siha!“, rief Thane. „Siha, komm zu dir!“ Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. Er wusste, wie schnell man sich für immer in Erinnerungen verlieren konnte und er war nicht so dumm, zu glauben, dass Kitty in diesem Moment nicht mehr als die Welt für sie bedeutet hatte. Die Emotionalität war stark genug um seine Geliebte für immer wegzureißen. Die Angst sie mit seiner dummen, unüberlegten Bitte für immer verloren zu haben zerfraß Thane beinahe. Karin reagierte auf seinem Ruf nicht. Das Wort besaß nicht die Macht durch ihre Flut und das Tosen der Bilder zu dringen. Fieberhaft überlegte Thane wie er sich erreichen könnte und im fiel nur eines ein. Er zögerte einige Momente, denn es würde ihr Schmerzen, doch er konnte nicht zulassen sie für immer zu verlieren. Fest umklammerte ihre Arme. „Karin! Karin, komm zurück! Lass mich nicht allein, bitte!“ Shepard zuckte zusammen, als hätte man sie wieder geschlagen und erschrockene Augen fuhren zu ihm herum. Für einen kurzen Moment befürchtete Thane, dass sie Darius in ihm sah, denn in ihren abgelittenen Augen entflammte Wut beim Klang ihres Vornamens auf, doch als sie Thanes Augen anstatt die Darius‘ sah, blinzelte sie irritiert und brach dann in Tränen aus. „Thane!“, schluchzte sie und stürzte sich in seine Arme. Erleichtert schloss der Drell sie in seine Arme. Sie war zurück. Karin fuhr zusammen, als sie ihren Namen hörte. Jahrelang hatte keiner sie mehr Karin genannt. Doch wie konnte es sein? Wie konnte Darius sie selbst hierher verfolgen? Wie konnte er sie selbst hier finden? Es war unmöglich. Ihr Herz setzte aus nur um dann mit vor Zorn erbosten Rhythmus zu schlagen. Ihre ganze Wut entlud sich und sie war nun bereit ihrem Alptraum entgegen zu treten. Karin wirbelte herum, doch anstatt in das vernarbte, bösartige Gesicht von Darius sah sie in das verzweifelte von Thane. Karin zuckte und plötzlich wurde ihr klar, dass all das nur Erinnerungen war. Es war ihre Vergangenheit, nicht ihre Gegenwart. Sie hatte beschlossen diese Geschichte dem Mann anzuvertrauen, den sie liebte. „Thane!“, schluchzte sie über sich selbst schockiert. Hätte sie ihn nicht erkannt, hätte sie Thane für Darius Taten büßen lassen. Karin hätte nie vermutet, dass ihr Schicksal so stark ihren Drang den Peiniger zu töten aufflammen ließ, sonst hätte sie Thane niemals an ihrem Abgrund teilhaben lassen, hätte ihn nicht das letzte Stück ihrer Seele geschenkt. Doch als sie den mitfühlenden Blick sah und die Tränen, die in seinen Augen glitzerten und ihr klar wurde, dass er nicht von ihrem Zorn erschrocken war, sondern ihr Leid mittragen wollte, brach all die Wand aus Wut und lodernden Hass und die Verzweiflung brach heraus. Alles in ihr trieb sie in seine Arme, suchte diese Nähe, die Wärme, die er ihr schenkte. Dieses Gefühl der Liebe, was bei ihm noch viel größer als bei Kitty war und sich klammerte sich schluchzend an seinen Mantel. „Thane!“, schluchzte sie wieder voller Verzweiflung und schmiegte sich so nah an den warmen Körper wie es ihr möglich war. „Bitte…bitte, rette mich!“, flehte sie mit vor Tränen brüchiger Stimme. Thanes warme Lippen gruben sich in ihr Haar und hauchten ihr einen Kuss. Er war wirklich nur ein Hauch, aber die Zärtlichkeit der Geste trieben ihr erneut die Tränen in die Augen. Mit verquollenen und geröteten Augen sahen ihre blauen Augen zu ihm auf und Thane betrachtete sie. Er verstand sie. Seine Hand fuhr zu ihren Augen hinauf und strich die Tränen sanft weg. Instinktiv griff Karin nach seiner Hand um zu verhindern die Wärme zu verlieren, die sie vor den Erinnerungen bewahrten, doch Thane bewegte sich nicht. Lange verharrte seine Hand an ihrer Wange, während sie sie mit zitternden Fingern umschloss. Schließlich nahm er sie jedoch und küsste ihren Handrücken. „Ich kann mir nicht vorstellen wie groß dein Schmerz ist, Siha…“, flüsterte er tonlos. „Was du erlebt hast, war grausam.“ Karin betrachtete ihn lange und sie spürte wie seine Nähe ihr langsam die Ruhe wiedergab, die sie verloren hatte. Nach einigen Minuten, wo beide schwiegen und sich einfach ansahen, seufzte Karin und lächelte stumpf. „Doch, das kannst du. Du kennst das Gefühl des Verlustes von einem geliebten Wesen genau und auch das Gefühl des Selbsthasses wegen der eigenen Unfähigkeit.“, sagte sie und holte tief Luft. Ihre Tränen waren versiegt. Karin wusste nicht ob sie jemals so sehr geweint hatte wie in diesem Moment, doch Thanes Geborgenheit gab ihr die Kraft die Bilderflut wieder hinab zu kämpfen. „Aber nicht die Wut der Demütigung.“, sagte Thane ruhig und strich über ihre Wange. Karin schloss die Augen und genoss das Gefühl. „Nein…und ich bin froh, dass du sie nie erfahren hast, Thane. Ich bin froh, dass dieser Zorn dich nicht verzehrt hat. Es macht selbst das friedlichste Wesen aggressiv. Man fühlt sich wie ein Raubtier im einem zu kleinen Käfig auf und abrennt, aber nicht wagt zu rebellieren, weil es die Peitsche fürchtet. Das Gefühl der Ohnmacht hallte noch durch meine Seele und es dauerte lange, bis ich lernte, nicht hinter jedem Rat, jeder kleinen Bevormundung oder Anordnung meines Vorgesetzten einen Angriff zu sehen und zur Verteidigung anzusetzen.“ Karin sah ihren Liebsten an, hob ihre Hand und streichelte ihn sanft, wenn auch ein wenig unbeholfen. Thane schloss die Augen, als sie die Spur seiner getrockneten Tränen nachfuhr. Er nahm ihre Finger und führte sie zu seinen Lippen, küsste auf ihre Fingerspitzen. „Diesem Hass gegenüber allem wünsche ich Niemanden, Thane. Selbst nicht meinem schlimmsten Feind und dir am allerwenigsten.“, sagte sie sanft und nur entfernt war noch ihre Traue zu hören. „Ich glaube ich verstehe nun viele deiner Taten besser.“, sagte er mit seiner melodischen Stimme und zog sie in seinen Arm. Einige Zeit schwiegen beide. „Was geschah…“ Thane brach ab. Seine Neugierde sollte Karin nicht schon wieder in ihre Verzweiflung treiben, doch sie verstand auch so. „Was danach passierte?“, fragte sie matt und seufzte. Ihre Augen glitten zur Decke und verharrten auf dem Ventilator, welcher leise surrend seine Kreise zog. „Es war der Augenblick an dem ich beschloss nie mehr schwach zu sein. Ich würde stärker werden als jeder andere, damit mir Niemand mehr die Dinge wegnehmen konnte, die ich liebte. Kitty war gestorben, weil sie mir vertraute und ich zu schwach war um sie zu beschützen. Ich wusste, dass ich am nächsten Tag sterben würde und ich wollte nicht, dass ihr Opfer umsonst war. Nachdem meine Tränen versiegten, hob ich ihren Körper so sanft auf wie ich konnte und begrub sie unter einem der wenigen Bäume in den Ruinen und verließ dann New York. Kitty hatte erst sterben müssen um mir die Kraft zu geben meinem Peiniger zu entkommen. Ich selbst hätte sie nie aufgebracht, dafür fehlte mir der Mut. New York war die Grenze meiner Welt gewesen und ich fürchtete mich vor dem, was dahinter lag. Doch sterben wollte ich auch nicht. Also lief ich um mein Leben und schlug mich durch die Überreste der USA durch. Meine körperlichen Wunden verheilten, aber nicht die dumpfen, schmerzvollen Wunden des Verlustes blieben. Ich glaube sechs Monate später erreichte ich die Grenze zu Kanada und schmuggelte mich durch einen Frachtlastwagen durch die Kontrolle. Was ich jedoch nicht ahnte war, dass Darius mich verfolgte. Er hatte so lange den König in seiner kleinen, grausamen Welt gespielt, dass er es nicht ertrug, dass eine seiner Puppen entkommen war. Gerade als sie mich in Vancouver stellten und mich für meinen Frevel büßen lassen wollten, tauchte ein Mann auf, der sie schneller vertrieb als es ihnen lieb war. In diesem Moment glaubte ich, dass es vielleicht doch einen Gott gab, trotz all meinem Leid, der mich rettete. Dieser Mann war Kapitän Anderson gewesen. Er nahm mich auf und pflegte mich gesund. Gab mir Essen und Kleidung, obwohl er dafür Tadel und Spott seiner Vorgesetzten erntete. Er respektierte mein Misstrauen ihm gegenüber. Trotz meiner Dankbarkeit ihm gegenüber, konnte ich doch nicht den Hass gegenüber Menschen- und Männern ins besonderen-vergessen. Zu tief war der Schrecken meines Leides in meiner dunklen Seele verankert. Er respektierte es und ließ mir meinen Freiraum. Irgendwann begann ich ihm zu vertrauen und schwor ihm Treue. Ein großes Opfer, doch er gab mir einen Platz, den ich wollte. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit entschied ich wohin mein Weg gehen sollte. So schrieb ich mich beim Militär ein und nutzte jede Minute um stärker zu werden. Nichts und Niemand- selbst Anderson nicht- würden mich jemals wieder beherrschen. Dafür würde ich sorgen.“ Thane wog seinen Kopf und bedachte ihre Worte, dann nickte er. „Ich kann das nachvollziehen, Siha. Was dieser Mann dir angetan hat, war grausam und…“ Thane zögerte und verzog angewidert das Gesicht- was Karin erstaunte. „…ekelhaft. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich ihn mit dir zusammen gejagt und es ihn bereuen lassen.“ Plötzlich zuckte Wut auch durch seine Augen und Karin riss die ihren auf. Eben das hatte sie nicht gewollt. „Nein, Thane, sag so was nicht!“, rief Karin aus und nahm in einer Geste wilder Verzweiflung seine Hand. Thane blinzelte überrascht und sah sie an. „Siha?“ „Ich wollte nie diese Wut in deinen Augen sehen.“, antworte Karin und strich neben seinen Augen her. „Ich hätte nie gewollt, dass du dir noch einmal diese Bürde auflädst, die dich für 10 Jahre tötete. Lieber hätte ich weiter mit meinem Groll gelebt und ihn von dir schmälern lassen, als der Grund für deine Schuld zu sein.“ Überrascht aufgerissene Augen blinzelten sie an und Thanes Mund klappte auf. „Siha…“, flüsterte Thane atemlos. Er war sichtlich von ihrem Geständnis berührt. „Thane…“, sagte Karin leise und errötete ein wenig. „Tust du etwas für mich?“ „Alles was du dir wünschst.“ „Nennst…nennst du mich noch einmal bei meinen Namen? Er hatte so lange diesen bitteren Nachgeschmack für mich, aber bei dir klingt er so schön.“ Karin sah ihn schüchtern an. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, was um Schokolade bat, doch sie sah in ihren Augenwinkeln wie Thane sanft lächelte. Er lehnte sich vor, zog sie an sich heran und lehnte seinen Kopf an ihre Stirn. „Ich liebe dich, Karin.“, flüsterte Thane mit all seiner Sanftheit, wobei er ihren Namen mit aller Sorgfalt in seine Liebe bettete und der süße, tiefe Klang seiner Stimme ihr die Tränen in die Augen trieb. „Ich liebe dich über alles…“ Sanft küsste er sie und zerstreute jegliche Trauer ihrer Vergangenheit. „Mehr brauche ich nicht.“, antwortete Karin glücklich und sank in Thanes starken Armen. Nun verlor sie sich in ihm und in den schönen Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit. ~ Er jagt mich. Sein Auge spürt mich auf, er bringt mich um! Bringt er jeden um in seiner Wut. […] Was für ein Mann ist er? Zum Hass geboren. Er jagt mir hinterher. Ich bin verloren. Phantom der Oper- Warum so weit hinauf? ~ Wie findet ihr die Idee? Ich habe es bei einer anderen ff gelesen und find die idee cool unter das Kapitel einen Songtext part zu schreiben,der passt. Dieses Mal hat mich der Soundtrack von Elisabeth und Phantom der Oper inspiriert. Gott, musste ich oft weinen bei dem Kapitel. Arme Karin, was hab ich mir nur für eine Vergangenheit für sie ausgedacht habe. T_T aber es passte, fand ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)