Danse Macabre -Totentanz- von Hielo ================================================================================ Miramare -------- Ein kalter Schauer jagte dem Brünetten über den Rücken, während er in einem der abgelegeneren Schlossgärten von Miramare, welches in der Nähe von Trier lag, saß. Diesen kleinen Moment des Alleinseins, abseits der politischen Aktivitäten seitens seines Vaters und der aufgewühlten Bevölkerung, gönnte er sich in letzter Zeit viel zu selten. Doch konnte man es ihm denn verübeln, dass er keine Beruhigung von den ständigen Ablehnungen des Kaisers, geschweige denn von seiner Doppelrolle als Journalist der Deutsch-liberalen und Ungarn fand? Seine Nerven und seine sonst so sanftmütige Verfassung litten unter diesem Druck, dieser Bürde, sich den Stolz des Vaters zu erkämpfen. Er wollte sein wie seine Mutter, stark und trotzdem sanft zum Volk. Zu ihr schaute man auf und er wusste, dass sie die selben Ansichten teilten. Doch was konnte er tun? Zwar war seine Großmutter Sophie schon vor geraumer Zeit verstorben und stellte kein Hindernis mehr zwischen ihm und seiner Mutter dar, allerdings schien diese auch keinerlei Interesse an einem baldigen Treffen zu haben. Immer wieder wurde ihm gesagt: „Es geht nicht, Rudolf. Die Frau Kaiserin ist gerade...“ und dann bekam er eine Erklärung zu hören, welche ihn nicht zufrieden stellte. Es war immer das gleiche und Rudolf verließ langsam der Mut. Aber da gab es noch etwas... Dieser kalte Schauer war nicht der erste, den er wahrnahm. Er hatte ihn schon einmal gespürt, damals, als er noch ein kleiner Bursche war. Da war diese eine Nacht gewesen, welche einsamer war, als alle dunklen Nächte zuvor. Nachdem er schlecht geträumt hatte, suchte er sein großes, dunkles Zimmer nach seiner Mutter ab, hatte sie aber nicht gefunden. Stattdessen war dort dieser junge Mann gewesen, der gemeint hatte er sei ein Freund und würde ihm immer nah bleiben. Rudolf war sich in den letzten Monaten immer sicherer geworden, dass dieser Mann die Wahrheit gesagt hatte, auch wenn ihm langsam klar wurde, um wen es sich dabei gehandelt haben musste. Er war hier irgendwo und beobachtete ihn, da war sich der Kronprinz sicher. Seufzend lies Rudolf seinen Kopf in die Handflächen sinken, rieb sich die geröteten Augen und strich sich über den angedeuteten Oberlippenbart. Der Garten schien den jungen Monarchen regelrecht zu verspotten. Die Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich in den Wipfeln der Bäume und tanzten wie kleine Kobolde auf dem Boden zu Rudolfs Füßen. Auf einem Ast saß eine Amsel und zwitscherte ihre einstudiert wirkende Kantate. Der Wind summte dazu ein sanftes Lied, begleitet von dem Rauschen der Blätter und dem zarten Plätschern des Teiches in der Nähe. „Es ist lange her, Rudolf.“ Eine verführerische, tiefe Stimme lies ihn herum fahren, doch hinter der Bank, auf der er saß, war nichts zu erkennen. Verwirrt schaute er umher, wieder nichts. Hatte er sich dieses Geräusch in dem Intermezzo der grausamen Natur nur eingebildet? „Wurde aber auch Zeit, dass wir uns endlich sprechen, nicht wahr?“ Wieder diese Stimme. Diesmal war Rudolf aufgesprungen, nachdem ihn eine kleine Bö, fast wie ein Atemzug, am Ohr gestreift hatte. Noch immer war er allein im Garten, sogar die trügerischen Lichtkobolde hatten sich zurückgezogen. „Zeig dich!“ Ein leises Lachen war zu hören. „Wie stattlich du auch als Mann aussiehst in der hellblauen Uniform, werter Erzherzog. Um ehrlich zu sein, hätte ich das nicht erwartet.“ Durch die Bemerkung der Stimme angeregt, warf er einen raschen Blick an seiner, mit Goldborten bestickte Kleidung herunter, fixierte dabei aber eher zufällig den Boden. Unter seinen Füßen wuchs ein Schatten zu einer unnatürlichen Größe heran. Er konnte gleich erkennen, dass es nicht sein eigener war. Schließlich fuhr er ein weiteres Mal herum. Da saß er. Dort, wo zuvor Rudolf gesessen hatte. Still, beobachtend, mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Das Gesicht noch genauso blass und schmal, wie Rudolf es im Gedächtnis behalten hatte. Die Beine elegant übereinander geschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Vor lauter Verwunderung und Schreck entfuhr dem Prinzen ein gemurmeltes „Was?“ Sein Gegenüber verzog fast beleidigt die schmalen Augenbrauen und schob die Unterlippe vor als würde er schmollen. „Hast du mich etwa vergessen?“ Vergessen? Niemals! Wie konnte er diese anmutige Gestalt vergessen haben? Die liederlichen, blonden Haare, welche wirkten, als hätte sie der Wind gepackt und auf Reise mitgenommen. Das zerbrechliche Antlitz, von dem Rudolf aber wusste welch erschreckende Grausamkeit es barg. Sogar den schwarzen Anzug erkannte er wieder. Sein einziger Freund war wirklich wieder da. Es war, als hätte man einer Marionette die stützenden Fäden durchschnitten, so fiel der Kronprinz vorne über, klammerte sich an die Knie des Fremden. Dieser lächelte wieder und griff nach Rudolfs Arm. „Du kennst mich doch noch, oder Rudolf?...Du kennst mich noch.“ Eine unheimliche Selbstsicherheit lag in diesen Worten, die Luft vibrierte förmlich vor lauter Anspannung und die Singvögel waren längst schweigenden Krähen gewichen, deren tiefschwarze Augen beinahe menschlich wirkten. „Weißt du noch? Du warst nur ein kleiner Junge damals. Und heute?“, sprach der schwarzgekleidete Mann und strich den am Boden Kauernden über die kurzen, braunen Haare. „Du magst wie ein Kaiser auftreten, aber dein Inneres ist und bleibt ein einsamer, weinender Bursche, der nach seiner Mutter ruft und sucht.“ Rudolf blickte verdutzt auf, mitten in die abgrundtief schwarzen Augen des Blonden über ihm. „Sag so etwas nicht...Du ahnst nicht, was mir seit dem widerfahren ist!“ Das war gelogen und der Fremde wusste das genauso gut wie Rudolf selbst. Wieder formte sich ein Lächeln auf den Lippen des Anderen und entblößte dabei eine Spur Schadenfreude, die aber von Rudolf unbemerkt blieb. „Wie du meinst, Prinz...Wie du meinst...“ „Wo warst du all die Jahre? Ich war allein, die ganze Zeit!“ Der Griff um Rudolfs Arm festigte sich und langsam zog ihn der Fremde neben sich auf die steinerne Bank, fixierte ihn weiter mit diesen unheilvollen Augen. „Ich habe dir doch versprochen, dass ich dir immer nah bleiben werde. Auch dann, wenn du mich nicht siehst, das solltest du doch wissen.“ Der Ton, welcher in seiner Stimme mitschwang war gefährlich und beruhigend zugleich und Rudolf merkte, wie sie ihm den Boden unter den Füßen wegzureißen versuchte. „Ich habe dich nie vergessen, mein Freund. Ich habe dich gerufen, immer und immer wieder...“ Sein Arm ruhte nun auf den Schultern des Blonden. Keinerlei Wärme ging von dieser Gestalt aus, welche er aus seiner Kindheit kannte. Aber es musste so sein. Der Tod ist nicht warm. So spürte der Prinz auch kaum wie der Tod ihn am Kinn näher zu sich führte. Kurz bevor sich ihre Lippen treffen konnten, riss sich Rudolf aus der seltsame Hypnose und stand wieder auf, lief ein paar verwirrte Schritte hin und her. Er wirkte wie Tier, welches unruhig in seinem Käfig hin und her streunte auf der Suche nach einem Ausweg. Der Tod grinste schelmisch bei dieser überaus passenden Vorstellung. „Ich bin gekommen, weil du mich jetzt brauchst. Jetzt und hier, in dieser Zeit des Umbruchs.“ Womit er nicht ganz Unrecht hatte. Die Unruhen wurden von Tag zu Tag schlimmer und Rudolf hatte es sich zur Aufgabe gemacht etwas zu unternehmen. Genau wie seine Mutter es tat. „Ich habe dich immer gebraucht...besonders als Kind.“, murmelte Rudolf verhalten. „Ständig verfolgen mich diese Furien. Die Grausamkeit von Graf Gondrecourt. Mein Vater, der mich nicht beachtet, mir nichts zutraut weil ich tun möchte, was ich für Richtig halte. Meine Mutter, die wie im Wahn in der Welt herum flüchtet und die ich seit Jahren nicht mehr gesprochen habe. Stephanie...meine kleine Erzsi...Alles Ängste, die mich zu verschlingen drohen.“ Der Tod wirkte wenig beeindruckt von dieser Ansprache, lediglich als der Erzherzog seine Mutter erwähnte wurde er hellhöriger. Es war ein besonderes Verhältnis zwischen ihm und Elisabeth. Er wollte sie und sie wollte ihn, das wusste er genau. Und nur weil sie diesen Kaiser geheiratet hatte, sollte das noch gar nichts bedeuten. Der letzte Tanz würde ihm gehören und er würde ihn genießen. Allerdings wurde das brennende Verlangen nach ihr immer schlimmer, sodass es sich selbst für den Tod zu einer unerträglichen Qual entwickelte. Er musste diese 'Sache' langsam in die eigenen Hände nehmen und vor ihm stand der nötige Schlüssel dazu. Ein leises Kichern entwich seiner Kehle. Das dürfte amüsant werden. Rudolf hingegen schaute in den blutroten Himmel, der sich stetig weiter verfinsterte und auf eine sternenklare Nacht hindeutete. Es war wirklich zum verrückt werden. Vielleicht war er es auch bereits, ein Stück Normalität schien sich nicht mehr finden zu lassen. Er war froh mal wieder mit seinem alten Freund ein paar Worte zu wechseln, auch wenn er dessen Verhalten ein wenig seltsam fand. Aber vermutlich verhielt er sich selbst ebenso seltsam. Schweigend setzte sich Rudolf wieder neben den Tod, welcher das aber kaum zu bemerken schien. „Unser Reich geht langsam unter, nur scheint das niemand außer mir verstehen zu wollen. Überall um uns herum ist Bedrohung und Vater klammert sich wie ein Kleinkind an diese törichten, alten Ideale. Ich wünschte nur, ich könnte endlich mehr tun, als ich heute tue. Alles scheint von Schatten verschluckt zu werden.“, sagte der Prinz ruhig, die Ellenboden auf die Knie gestützt und die Hände im Schoß gefaltet. Nachdenklich wirkte er, zerstreut und unsicher, das merkte der Tod sofort und entlockte ihm ein gespielt sanftes Lächeln. „Du hast Recht. Die Zeit ist beinah um.“ Die kalte Hand des Todes legte sich auf Rudolfs Schulter, zog seinen Oberkörper ein Stück zurück und zwang den jungen Mann zu erneutem Augenkontakt. „Es ist, als hätte man dich in Fesseln gelegt, nicht wahr? Verrostete Ketten, die für einen einzelnen trotzdem noch zu stark sind, als das sie gebrochen werden könnten. Man hat dich auf grausamste Art zum Schweigen gebracht. Du weißt vom drohenden Untergang und kannst doch nichts ausrichten. Armer Junge.“ Für einen kleinen Moment staute sich in Rudolf unsagbare Traurigkeit und hätte er nicht im letzten Augenblick Fassung bewahren können, wäre er sicherlich in Tränen ausgebrochen. „Es macht mich krank...Ich will nicht mehr...“, wimmerte er, noch immer vom Blick des Anderen gefangen. Das waren Worte, auf die der Tod gewartet hatte. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Puzzle zusammenfügen sollte. Vorsichtig und doch zielstrebig näherte sich das blasse Antlitz des Blonden wieder dem von Rudolf, doch auch diesmal wich der Erzherzog im entscheidenden Moment zur Seite. Jetzt war es der Tod, welcher aufstand und sich einige Schritte von der Bank entfernte. Sein Gesicht zierte eine neutrale Mimik. „Das Lied, welches von diesem prächtigen Schloss aus erklingt ist schon lange nicht mehr melodisch. Es ist viel zu hoch und es sind derart verstimmte Töne darin, das die Leute, welche es wahrnehmen, lieber bedächtig schweigen. Das ist die Natur der Menschen.“ Rudolf nickte. „Aber warum nur? Ich kann doch nicht der Einzige sein, dem diese Veränderung aufgefallen ist?!“ Der Tod wandte sich zu Rudolf um und schaute ihn auffordernd an. „Der Einzige?“, fragte er mit einem rhetorischen Unterton. „Mutter? Denkst du?“ „Das weißt du besser als ich. Ich bin nur ein stiller Beobachter. Meine Aufgabe ist eine andere.“ Ohne das Rudolf es bemerkt hätte, wurden neue Fäden um seine Gliedmaßen gesponnen, hauchdünn wie die Seide einer Spinne. Er war wieder eine Marionette, gefangen von seinem Retter, welcher nun alle Trümpfe ausspielen wollte, die er bis dato zurückgehalten hatte. Der Prinz würde sein Turm sein, mit der er die Königin schachmatt setzen wird. Bei diesen Gedanken konnte er seine Ekstase kaum mehr im Zaum halten. „Dieser Strick um meinen Hals wird von Tag zu Tag enger...Ich weiß nicht ob...“ Plötzlich wurde Rudolf schroff an beiden Schultern gepackt und auf die Beine gezogen. Zwei pechschwarze Augen durchdrangen ihn bis in die letzte Faser seines Körpers. Allerdings wirkten sie mehr bedrohlich als verführerisch und auch das verschmitzte Lächeln war verschwunden. „Worauf wartest du dann noch? Du kannst frei sein! Du kannst alle Macht haben, die du dir erträumst! Du kannst selbst entscheiden!“ Fein, wie eine Schlange fand die feminin wirkende Hand des Todes ihren Weg an Rudolfs Schläfe. Zeige- und Mittelfinger bildet eine gerade Linie, der Daumen ragte in den düsteren Himmel und sein Gesicht war wieder gefährlich nahe. „Tu es aus Notwehr!“ „Notwehr?“ Entsetzt schlug der Kronprinz die Hand beiseite, taumelte ein paar Schritte rückwärts. Doch bevor er das Gleichgewicht verlieren und hinten über kippen konnte, fingen ihn die Arme des Todes willkommen heißend auf, hielten ihn einige Sekunden in dieser Position. Die Welt war still. Nur ein kaum vernehmbares Lachen und der laute Atem eines Verzweifelten waren zu hören. „Kaiser Rudolf...gehört nicht in diese Welt. Er wird der Zeit entgegengehen.“ Und mit diesen Worten war er wieder allein. Es fühlte sich an, als wäre er voller Gegensätze. Er war müde und doch weit davon entfernt zu schlafen. Sein Kopf war voll von Gedanken und gleichzeitig leer wie ein unbeschriebenes, weißes Blatt Papier. Der Tod griff nach ihm, doch er konnte ihm nicht nachgeben. Jetzt nicht. Auch wenn er diese Begegnung, diese Berührung mehr als einmal herbeigesehnt hatte. Noch hatte er eine Chance. Noch konnte er etwas tun. Er musste etwas tun. Langsam sank er in die Knie, bettete sein Gesicht in den Händen. Die Krähen hatten sich auf einem anderen Baum niedergelassen und kreischten aus der Ferne ihre rauen Töne. Der Wind traute sich nicht, noch ein Mal aufzufrischen und das Wasser zur Musik zu überreden. Am Firmament leuchtete der Abendstern, verbannte die Sonne endgültig vom Himmel. So merkte nichts und niemand wie sich der Schatten des Schlosses mit dem eines gebrochenen Geistes vereinte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)