Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 24. Das Wiedersehen ------------------- Adarach schlug mit der flachen Hand gegen die Mauer neben dem Fenster, um sich von dem wieder stärker werdenden, bohrenden Schmerz abzulenken. Er sah hinunter auf die im Dämmerlicht liegende Straße. Trotz des drohenden Regens war es wohl eine trügerische Hoffnung, schon am nächsten Tag mit dem Eintreffen der tetraosischen Truppen zu rechnen. Fast zwei Tage hatte Adarach mit seiner Hundertschaft jetzt schon hier in Tarib verbracht. Die Hannaiim hatten Adarach und die von ihm befehligten Söldner insgeheim hierher geschickt. Der Rat der Taribim war bestochen und die Söldner dafür bezahlt worden, die Tetraosi durch Überfälle zu dezimieren, wenn sie sich Tarib näherten. Adarach machte das Eingesperrt sein jedoch ausgesprochen nervös. Sie durften sich außerhalb der Stadt nicht sehen lassen, mußten auf die Tetraosi warten, und dabei wollte er doch nur tun, wofür er bezahlt wurde: endlich kämpfen. Es würde schwierig werden, die Männer der Hundertschaft auch nur zwei weitere Tage ruhig zu halten, wenn sie sich ähnlich rastlos fühlten, wie ihr Befehlshaber. Hinter Adarach knarrte die Tür, zögernde Schritte nackter Füße und schwacher Lichtschein näherten sich. "Mawek, ich habe eine Lampe für euch gebracht", sagte Utar, der älteste Sohn des Hausherren, leise aber nicht unterwürfig. Adarach sah weiter hinaus. Über die Straße huschte eine Katze, dann kam bedächtigen Schrittes eine vornehme Frau, begleitet von einem laternetragenden Sklaven. Adarach merkte, daß das rötliche Doppelbild dessen, was er auf der Straße sah, stärker wurde. Seine Leute konnten immerhin am Abend in der Stadthalle gemeinsam essen. Doch er würde sein Quartier heute vorsichtshalber nicht mehr verlassen. "Stell die Lampe auf den Tisch, Utar", sagte Adarach leise. "Sag meinem Stellvertreter, er soll mir meinen Abendtrunk bringen." Dann drehte er sich doch um, sah dem dunkelhäutigen Jüngling zu, wie er die Lampe auf den Tisch stellte. Ein hübsches, bartloses Gesicht, dichte schwarze Locken, das helle, noch zu weite Gewand eines Erwachsenen um die schlanken Schultern, die verführerische Halspartie mit den deutlich hervortretenden Schlüsselbeinen über den Hälften des nachlässig geschlossenen Halsausschnittes. Noch halb ein Kind und schon halb ein Mann. Mit stolzer Haltung und einem zufriedenen, fast herausfordernden Lächeln hielt Utar Adarachs Blick stand. Er war benannt nach dem Stadtgründer von Tarib. Dessen Grab lag im Zentrum der Stadt und eine Stele daneben beschrieb ausführlich Utars Kampf gegen einen gewaltigen Drachen, den der Held erschlagen hatte, um dann am Rande des vom vergossenen Drachenblut fruchtbar gewordenen Bodens diese Stadt zu gründen. Das hübsche Gesicht des Jünglings war seltsam unscharf und fast blutigrot geworden. Adarach rieb sich das Auge und wedelte Utar mit der anderen Hand hinaus, endlich Buhachan Bescheid zu geben. Buhachan hatte wohl schon damit gerechnet, gerufen zu werden, jedenfalls trat Adarachs Stellvertreter einen Augenblick später ein, in den Händen eine große Kanne, gefüllt mit unverdünntem Oinos. Buhachan musterte seinen Befehlshaber kopfschüttelnd. Er war Adarachs Onkel, wenn auch nur ein paar Jahre älter als sein Neffe, aber gelegentlich entsann er sich des Verwandschaftsverhältnisses und meinte, Adarach wie ein Kind behandeln zu müssen. "Trink nicht wieder so viel", mahnte er erwartungsgemäß, "oder nimm wenigstens genug Wasser dazu." Adarach schnaubte verächtlich durch die Nase, füllte sich einen Becher mit dem dunkelroten Oinos, stürzte ihn hinunter, ohne zu schmecken, was er trank. Was mochte der Inhalt dieser Kanne gekostet haben? Fünfzig Tar oder vielleicht auch mehr? Immerhin mußte der Oinos aus dem Osten importiert werden. Das rote Doppelbild verschwand jedoch nicht, Adarach trank noch einen Becher leer. "Hast du noch Anweisungen, Adarach?" fragte Buhachan mit dem ihm in den vergangenen zwei Jahren zur Gewohnheit gewordenden mißbilligenden Blick. "Sorg dafür, daß die Männer morgen früh kampfbereit sind. Es sind Wolken aufgezogen, vielleicht brechen die Tetraosi wegen der Regenzeit früher auf als erwartet", sagte Adarach und sah dabei in die Neige seines Bechers. So wenig wie er dieses kostbare Getränk, daß er einmal geliebt hatte, nun noch genoß, hätte er auch Mohnsaft oder ein anderes Betäubungsmittel gegen seine Schmerzen zu sich nehmen können. Vielleicht hatte Buhachan recht mit seiner Mißbilligung. Aber damit hätte Adarach sich vor seinen Männern eine Blöße gegeben. Einen dem Oinos verfallenen Anführer konnten die Männer akzeptieren, einen von Grom verlassenen Mann an ihrer Spitze sicher nicht. Er trank den Becher leer und sah, daß Buhachan noch immer neben der Tür stand. "Soll ich dir noch etwas bringen?" fragte Buhachan endlich. Adarach wollte schon den Kopf schütteln, doch dann dachte er wieder an Utar. Die Unterbringung mit zwei seiner Offiziere in dem Haus eines Gastfreundes Hannais hatte der Söldnerführer nur einem Erlaß des von den Hannaiim bestochenen Rates zu verdanken, nicht der Fürsorge der Taribim. Dem Gastgeberstolz des Hausherren wiederum verdankte Adarach die Dienste des ältesten Sohnes des Hauses, die sich natürlich nur auf Botengänge und ähnliches erstreckten, aber dieser stolze Jüngling mit dem herausfordernden Blick hatte etwas an sich, das Adarach reizte. "Sorg dafür, daß ich etwas zu essen bekomme", sagte Adarach beiläufig, als wolle er nur ein Abendessen. Buhachan nickte wie resignierend und verließ das Zimmer seines Neffen und Befehlshabers. Den erneut gefüllten Becher in der Hand trat Adarach wieder ans Fenster. Die Straße war in der Dunkelheit kaum mehr zu erkennen, der Himmel war bedeckt, es schien sogar leicht zu regnen. Nichts war zu sehen vom Antlitz der Göttin, der Mond war völlig versteckt hinter den Wolken. Adarach trank und beim Blick zurück zur Oinoskanne bemerkte er, daß mit dem stärker gewordenen Schwindelgefühl das Doppelbild endlich verblaßte, und sich auch die Schmerzen der schon lange verheilten Wunde verringerten. Adarach trank nun doch einen Becher voll Wasser, dann legte sich auf die Liege, die er als zu kurz und zu schmal empfand, und auf der er doch schon eine Nacht wie ein Stein geschlafen hatte, sah hinauf zu der im Schatten liegenden Decke, an die Stelle, an der sie mit der rot und blau bemalten Wand zusammenkam. Weiche, braune Nordstädlerhaut, die sich in der Sonne nicht rötete, sondern selbst in der größten Hitze nur matt glänzte, verführerisch duftete. War es seine Hautfarbe, die Utar so interessant machte? Wenn Adarach das Auge schloß, spürte er die süßen Lippen des Osheyjünglings an seinen, erinnerte sich an den ebenso hingebungsvollen wie lüsternen Blick aus den hellgrauen Augen, die so eigentümlich gewirkt hatten in dem dunkelhäutigen Gesicht. "Amemna Darashy", hauchte Adarach andächtig, als wäre der Name eine Beschwörungsformel, mit der die zwei Jahre, die seit diesem Kuß vergangen waren, ungeschehen gemacht werden konnten. Der Aufstand in Ma'ouwat hatte ihr heimliches Beisammensein gestört und dann war der Goldschmied mit dem Rest seiner Familie geflohen, ohne Adarach auch nur ein Abschiedswort zu ermöglichen. Natürlich hatte er recht damit gehabt seine Kinder in Sicherheit zu bringen, dieser grau gewordene Krieger. Der Aufstand hatte viele der aus dem Norden und Osten stammenden königlichen Söldner und Handwerker das Leben oder zumindest Gliedmaßen gekostet. Adarach hatte Glück gehabt, er hatte nur sein linkes Auge verloren, war genesen, und doch nicht wieder derselbe geworden. Warum sollte er noch kämpfen, wenn das aus seiner Reichweite verschwunden war, was er am meisten ersehnt hatte? Aber er mußte kämpfen, um nicht daran zu denken, was er an jenem Tag außer seinem Auge verloren hatte, nach dem Versprechen dieses Kusses, dem Geschenk eines Augenblickes im Verborgenen. Er mußte kämpfen, um die Schmerzen in seinem Herzen nicht zu spüren, die in Momenten wie diesem stärker waren als die Schmerzen in seiner leeren Augenhöhle. Er mußte kämpfen, um die Parteigänger seines Bruders davon abzuhalten, ihn hinterrücks meucheln zu lassen, denn solange er ein erfolgreicher Söldnerführer war, solange seine eigenen Männer ihm bedingungslos folgten, solange Grom ihm gewogen schien, würde keiner der Garam-Berr es wagen, ihn anzugreifen. Solange er kämpfte, konnte er leben, auch wenn das, was ihm das Leben lebenswert erscheinen ließ, irgendwo in den Zelten der Darashy verborgen war, an einem Ort, an dem ein Söldnertrupp aus dem Osten nichts zu verdienen hatte. Adarach haßte sich für sein Selbstmitleid, setzte sich auf, trank noch einen Becher Oinos, hatte schließlich fast die Kanne geleert, als Utar endlich zu ihm kam, mit einem Tablett voll Schüsseln. Utar stellte das Abendessen auf dem Tisch ab und gähnte unverholen bevor er fragte: "Wünscht ihr noch etwas, Mawek?" Der herausfordernde Blick des Jünglings war müde, aber nicht weniger selbstbewußt als gewöhnlich. Adarach erhob sich von der Liege, näherte sich Utar. Der Jüngling war gut einen Kopf kleiner als er selbst, zarter Bartflaum zeigte sich über seinen Lippen und an seinen dunklen Wangen. Und auch die Haut seines Halses, der Kehle, des Stückes seiner Schulter, das durch den zu großen Halsausschnitt seines Gewandes verlockend entblößt war, hatte diese dunkle Farbe, die die Bewohner der maribischen Ebene nicht der brennenden Sonne sondern ihren Ahnen aus der Wüste verdankten. Wie alt mochte Utar sein? So alt wie Amemna, als er mit seinem Onkel Ma'ouwat verließ? Adarach griff nach Utars Kinn, hob es leicht an und senkte seinen eigenen Kopf, um seine Lippen auf die des Jünglings zu drücken. Utar wich mit aufgerissenen Augen zurück, stieß dabei an Adarachs Schild. Der Schild fiel scheppernd zu Boden, Utar wich weiter zurück, bis er die Wand erreichte. Adarach umfaßte mit einer Hand die beiden schlanken Handgelenke hinter Utars Rücken, mit der anderen griff er wieder das Kinn des Jünglings, preßte Utars Kopf gegen die Wand, drückte erneut seine Lippen auf die bebenden vollen Lippen des Jünglings, der vergeblich versuchte, seinen Kopf wegzudrehen, Adarach seine Hände zu entziehen. Utars Kampfeswille stachelte Adarach an, mit seinen Fingern die zusammengebissenen Kiefer des Jünglings auseinander zu drücken, mit seiner Zunge die Zunge Utars zu suchen, der nun ein gurgelndes Geräusch machte. Wollte er etwas sagen? Adarach drückte seinen Körper an den jungen, schlanken Leib, genoß die Hitze, die er durch die Gewänder hindurch spürte, ließ Utar dann endlich nach Luft schnappen. Der Jüngling keuchte, rief aufgeregt irgendwas, seine Augen funkelten. Adarach zog Utar an den Hüften zu sich empor, um sich nicht bücken zu müssen, hielt ihn mit seinem Leib in dieser Position an die Wand gepreßt, hinderte Utar daran, den Kopf wegzudrehen, küßte erneut diese wunderschönen vollen Lippen, deren Farbe und Form ihn an die Amemnas erinnerten. Mit der anderen Hand griff er unter das lose Gewand des Jünglings, so daß seine Finger schließlich an dessen nacktem Hinterteil lagen. Jemand riß Adarach fort von Utar. Zornig drehte er sich zu dem Störenfried um, erkannte im Halbdunkel nur einen Schemen, so groß wie er selbst, aber dunkelhaarig - Buhachan. "Laß mich!" rief er, stieß Buhachan zur Seite, aber der hielt Adarachs Arm geschickt umklammert, drückte ihn hinunter auf den Boden, rief Utar zu, er solle verschwinden. Utar wagte nicht, diesen Befehl zu mißachten und lief aus dem Zimmer, während Buhachan auf Adarachs Brust kniete. "Geh ins Bett, Adarach!" befahl er seinem Neffen. Adarach versuchte, sich aufzurichten. "Wie kannst du es wagen?" schrie er zornig. Buhachan stieß ihn wieder zu Boden, so daß Adarachs Hinterkopf auf den Holzfußboden krachte. Dann stand er ohne ein Wort auf, ging hinaus und schloß die Tür. Adarach meinte, das ganze Zimmer kreise um ihn, als er erneut versuchte, den Kopf zu heben, sich aus der liegenden Position zu erheben, dann sackte er wieder zurück auf den Fußboden. * Eine Hand rüttelte an Adarachs Schulter. "Steh auf, die Tetraosi haben in der Nacht ein Heerlager nahe Tarib errichtet", verkündete Buhachan unanständig fröhlich. Die Sonne drang bereits durch das Fenster, und Adarach stellte fest, daß er wohl die ganze Nacht auf dem Fußboden geschlafen hatte. Ächzend erhob er sich, versuchte, seine schmerzenden Glieder einzurenken. "Du hast mich gestern niedergeschlagen", warf er Buhachan vor. "Und du hättest gestern beinahe den Sohn unseres Gastgebers vergewaltigt", gab Buhachan nicht weniger vorwurfsvoll zurück. "Ich mußte mit einhundert Tar sein Schweigen erkaufen." "Es wird nicht wieder vorkommen", versicherte Adarach mürrisch und schob Buhachan von der Tür weg, um zur Latrine hinunter zu gehen und sich zu erleichtern. Als Adarach das Zimmer wieder betrat, war Buhachan fort, dafür stand eine Waschschüssel voll Wasser auf dem Tisch neben dem noch immer unberührten Tablett mit dem Abendessen, eine große Kanne mit frischen Trinkwasser und neben dem Tisch Utar, der sich an die Wand drückte und panisch zu Adarach hinübersah, da dieser ihm den Weg durch die Tür versperrte. "Hilf mir noch beim Anlegen der Rüstung", befahl Adarach, ohne einen zweiten Blick auf den Jüngling, trank einen Becher Wasser, erfrischte sich mit dem kühlen Waschwasser, bekleidete sich wieder und wickelte seine langen Haare am Hinterkopf zu einem Polster, um den Druck des Helmes zu mindern. Nebenbei gelang es ihm sogar, einen weiteren Becher Wasser zu trinken und ein paar Happen von dem kalten Abendessen in den Mund zu stecken. Endlich ließ er sich den Leinenpanzer geben, legte ihn jedoch allein an und prüfte gründlich seinen Sitz, trotz des brummenden Schädels wenn er den Kopf senkte. Dann setzte er sich auf seine Liege und verlangte die Beinschienen. Utar reichte ihm eine der Beinschienen, und nachdem Adarach sie angelegt hatte, die zweite. Der Jüngling zitterte ein wenig, als Adarach die zweite Beinschiene nicht sofort aus seiner Hand entgegen nahm, atmete erleichtert auf, als er sie endlich ergriff. Doch bevor Utar sich zurückziehen konnte, griff Adarach mit der anderen Hand nach dem schmalen, dunkelhäutigen Handgelenk des Jünglings, auf dem sich einige blaue Flecken abzeichneten. Nun zitterten auch Utar Lippen. Er hatte eindeutig Angst. Adarach mußte sich eingestehen, daß der Jüngling vermutlich Grund zur Angst hatte. Er selbst hatte sich am vergangenen Abend anscheinend nicht genügend unter Kontrolle gehabt und war im Rausch vielleicht zu brutal mit dem schlanken Jüngling umgegangen. Adarach erinnerte sich nur noch undeutlich und die dem Oinos zu verdankenden Kopfschmerzen machten ihn unwillig, sich die halbvergessenen Ereignisse ins Gedächtnis zurückzurufen. Immerhin war keines von Utars Gliedern gebrochen, kein Zahn ausgeschlagen und die blauen Flecken an Handgelenken und Kiefer würden vergehen, auf der dunklen Haut waren sie ohnehin fast nicht zu sehen. Und was das stramme Hinterteil des Jünglings unter seiner wadenlangen Tunika betraf... Adarach zog Utar zu sich heran, ließ seine Hand zu der wohlgeformten Rundung wandern. Die Augen des Jünglings weiteten sich vor Schreck - die schwarzen Augen eines Häschens, bar jeden Kampfeswillens. Schließlich rannen sogar Tränen über die bartlosen Wangen. Adarach ließ von ihm ab. "Verschwinde", sagte er, und Utar rannte schluchzend aus dem Zimmer. Adarach schloß die zweite Beinschiene um seine Wade, hängte sich sein Schwert um, nahm Helm und Schild, griff sich noch eine Handvoll von den Teigtaschen und verließ das Zimmer. Buhachan empfing ihn gleichfalls gerüstet in der offenen Halle des Hauses und berichtete, daß der ebenfalls bei Utars Vater einquartierte Kommandant der Veteranen schon am Stadttor auf sie warten würde, also brachen sie zügig auf. Noch ahnten die Tetraosi wohl nicht, daß die eigentlich befreundete Stadt von feindlichen Truppen besetzt war, und sie durften auch nie erfahren, daß es nur eine Hundertschaft war. Aber vielleicht ergab sich schon in den Morgenstunden die Gelegenheit für einen Überraschungsangriff nahe der Stadt. Als Adarach und Buhachan den Platz hinter dem Stadttor von Tarib erreicht hatten, war die Hundertschaft kampfbereit versammelt. Das Opfer an Grom war schon vollzogen worden und die Männer waren dabei, sich mit klirrenden Speeren und klingenden Schilden in die Kampfformation einzureihen. Dröhnend hallten die metallischen Geräusche in Adarachs Schädel wider, aber er hatte inzwischen Übung darin, sich nichts anmerken zu lassen. Immerhin verschwanden die stechenden Schmerzen seiner Verwundung unter dem Einfluß des göttlichen Getränkes tatsächlich, auch wenn seine reichliche Verwendung andere Unannehmlichkeiten mit sich brachte. Kaharach, der Kommandant der Veteranen, stand neben einem Wächter der Taribim auf dem Laufgang des Stadttores und rief herab, daß sich Fußsoldaten der Tetraosi näherten. Adarach eilte die Treppe hinauf, um durch die Schießscharten selbst einen Blick auf den Gegner zu werfen. Kaharach nahm zwar kampfbereit seinen Schild auf, blieb aber an der Seite seines Befehlshabers. Die Tetraosi hielten die Stadt wohl tatsächlich für befreundet, denn die Helme hatten sie, soweit sie denn welche besaßen, weit in den Nacken geschoben, und die Formation war wenig geeignet, einem Angriff standzuhalten. Adarach zählte die Reihen, gut einhundertfünfzig Mann, zum Teil ungepanzert. Ein Trupp wie von den Göttern gesandt. "Die sind leichte Beute, Mawek", bemerkte Kaharach. Adarach nickte, und dann entdeckten sie beide die Reitereinheit, die sich vermutlich auf einem Erkundungsritt befand und den Weg der Fußsoldaten gerade in Sichtweite des Stadttores von Tarib schneiden würde. "Wir müssen noch warten", sagte Adarach. "Mawek, ihr wißt, daß wir sie nicht zu dicht an die Stadt herankommen lassen dürfen. Einen Kampf um die Stadttore können wir nicht riskieren", wandte Kaharach ein. Adarach nickte. "Aber wir sollten ebenfalls nicht riskieren, auch noch gegen die Reiter kämpfen zu müssen." Fünfzig, nein sechzig Reiter waren da unten. Das konnte das Kriegsglück leicht wenden. "Das sind Leichtbewaffnete, keine Gegner für uns, Mawek", wandte Kaharach wegwerfend ein, grinste wölfisch. "Wißt ihr noch, wie wir in Ma'ouwat die Bürgerwehr erledigt haben? Damals..." "Damals hatten wir es mit Söhnen aus reichen Häusern zu tun, die das zweite mal in ihrem Leben in Waffen auf ihren Pferden saßen", fiel Adarach dem Kommandanten seiner Veteranen ins Wort, auch wenn er den Männern, die den Söldnern des Königs einen harten Kampf geliefert hatte, damit wohl unrecht tat. Aber da unten waren zwischen den Reitern auch eine Handvoll Männer in schwarzen Mänteln. Selbst wenn nicht alle die typischen schwarzen Kopftücher trugen waren das doch eindeutig Oshey. "Das dort sind Söldner", erklärte Adarach. "Es sind aller Wahrscheinlichkeit nach diejenigen, die auf Seiten der Hannaiim den Kampf vor Tetraos überlebt haben, denn die Tetraosi werden kaum aus anderer Quelle Oshey beschäftigen." "Also warten wir, bis sie außer Sicht sind und hoffen, daß die Fußtruppen bis dahin noch nicht zu nah gekommen sind", folgerte Kaharach, während er die Begrüßungen der beiden Trupps, dann ihre langsame Entfernung voneinander kritisch betrachtete. "Wir dürfen nicht zu lange warten, Mawek, auch auf die Gefahr hin, die Reiter auf uns aufmerksam zu machen", mahnte er. "Sonst haben wir womöglich Tetraosi in der Stadt." Adarach nickte. "Das wäre unser Untergang. Hier gibt es zu viele die mit den Tetraosi sympathisieren. Sorg' mit Buhachan dafür, daß die Männer sich bereit machen." Kaharach verschwand im Laufschritt die Treppe hinunter, bellte einige Befehle. Adarachs Platz war am rechten Rand der Phalanx, in der ersten Reihe. "Gib das Signal zum Öffnen der Tore, wenn die Fußsoldaten den Hügel mit den zwei Bäumen passiert haben", befahl er dem Wächter und betete zur Göttin, daß er zu denen gehörte, die die Anweisungen des Rates der Taribim getreulich umsetzten. Dann lief auch er hinunter und erflehte vor den Kriegern Groms Segen für den bevorstehenden Kampf, dann reihte er sich ein zwischen seinen Männern. Nur Augenblicke später wurden die Seilwinden zum Öffnen der Tore in Gang gesetzt. Einige von Adarachs Männern aus den hinteren Reihen der Phalanx drehten zusammen mit den Wächtern der Taribim die beiden Räder, und die riesigen Torflügel schwangen langsam nach innen auf. "Sturmangriff!" befahl Kaharach auf Adarachs Wink, dann liefen sie schreiend los, die Speere auf die Gegner gerichtet. Anerkennend registrierte Adarach, daß die Fußsoldaten der Tetraosi offenbar gut gedrillt waren. Anstatt furchtsam auseinander zu laufen, machten sie sich in aller Eile kampfbereit, die Schwerbewaffneten schlossen ihre Reihen und stemmten sich dem Angriff von Adarachs Hundertschaft entgegen, da trafen sie schon aufeinander. Adarachs Schild knallte gegen den eines der Nordler, doch deren Reihen hielten zunächst stand, bis die von den Speeren getroffenen Männer in die Knie sanken. Die Garam-Berr zerrten ihre Speere frei, wichen zwei Schritte zurück, und setzten noch einmal nach, die erste und zweite Reihe der Tetraosi war vernichtet. Doch da entstand Unruhe am linken Rand, die schon fast außer Sicht gewesenen Reiter waren anscheinend aufmerksam geworden, griffen von der Seite an, tollkühn oder leichtsinnig wagten sie sich mit ihren ungepanzerten Tieren in die Nähe der langen Speere der Phalanx. Ein Schwerthieb gegen seine vom Schild ungeschützte rechte Schulter, der einen Teil der Verschnürung des Leinenpanzers löste, rief Adarach zur Aufmerksamkeit, und er wandte sich wieder seinen unmittelbaren Feinden zu. Aber er konnte die Pferde schon riechen, so nah waren sie, und die Reihen der Phalanx lösten sich zunehmend auf. Er mußte zurückweichen vor dem Angriff eines Tetraosi, stand plötzlich allein zwischen den Feinden. Adarach riß den Schild hoch, um seine verwundbare linke Seite zu schützen, da erzitterte dieser auch schon unter dem kräftigen Hieb eines Gegners. Adarach stach mit dem Speer nach ihm, so daß er in die Kehle getroffen zusammenbrach. Dann ließ er den Speer fahren, riß statt dessen das Schwert aus der Scheide und parierte den Vorstoß eines anderen Tetraosi. "Mawek!" rief Buhachan über den Kampfeslärm. Adarach sah die vielen Verwundeten, einige sterbend im Staub der Straße liegen. Der Kampf konzentrierte sich nun um einen Osheyreiter am linken Rand, alle Reihen aufgelöst. Einer der Veteranen erwischte das Pferd des Mannes, doch der sprang aus dem Sattel, verlor dabei seinen von einem bunten Tuch umwickelten Helm. Weißes Haar glänzte in der Sonne. Konnte das wirklich Amemna sein? Eine gewisse Ähnlichkeit war vorhanden, kein Zweifel, und wie viele Oshey gab es mit weißen Haaren? Das Haar war viel kürzer, aber er hatte noch immer ein jünglingshaftes, bartloses Gesicht, verzerrt vor Konzentration, das lange Osheyschwert herumwirbelnd. Niemandem schien es zu gelingen, auch nur auf zwei Armeslängen an ihn heranzukommen. Hatte ihm sein Onkel das beigebracht? Kein Wunder, daß Murhan Darashy in manchen Kreisen noch immer als legendärer Kämpfer gerühmt wurde, wenn sogar einer seiner Schüler in wenigen Jahren solche Fähigkeiten entwickeln konnte. "Mawek!" schrie Buhachan drängender, und er hatte recht, denn Grom verhüllte offensichtlich sein Gesicht. "Rückzug!" rief Adarach als Erwiderung, obwohl er selbst sich kaum von dem Anblick des jungen, weißhaarigen Kämpfers lösen konnte, der gegen drei seiner Veteranen standhielt. Die Männer griffen nach den am Boden liegenden Speeren, halfen verwundeten Kameraden, stützten sie bei ihrem Weg zu den nun wieder halb geschlossenen Stadttoren. Die Veteranen und Adarach deckten den Rückzug, bis auch sie zurückwichen. Die Tetraosi verfolgten sie nicht. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)