Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 23. Die Erkenntnis (jugendfrei) ------------------------------- Als Hamarem wieder zu sich kam, lag er in Amemnas Armen, eine Decke war über ihre nackten Körper gebreitet. Hamarem fühlte sich zu schwach, auch nur die Lider zu heben und genoß einfach die Wärme von Amemnas weichem Busen an seiner Wange, den merkwürdig vertrauten Duft, das Gefühl der Geborgenheit und inniger Zuneigung, das dumpfe Geräusch des fremden Herzschlags in der Brust an der er ruhte. Dann wurde er sich des muskulösen Arms, der um ihn geschlungen war, bewußt, eines der langen schlanken Beine seines Herrn zwischen den seinen. "Was hat dich bewogen, dich mirr endlich su offenbarren?" fragte Amemna leise und seine tiefe Stimme hallte in seinem Brustkorb nach. Hamarem spürte Amemnas Atem in seinem Gesicht, schlug die Augen auf, sah in die durch die schwache Beleuchtung der fast heruntergebrannten Lampe so großen Pupillen seines geliebten Herrn und ließ seine Gedanken zurückwandern vor den Moment, an dem sie einander in die Arme gesunken waren. "Es war dein Duft an Nefut, der mich bewog, und der Ratschlag meiner Liebsten, endlich mit dir zu sprechen." "Deine Liebste hat dirr sukerraten? Sie ist wohl keine Oshey, oderr?" Amemna lächelte so zärtlich, strich Hamarem die langen Haare aus dem Gesicht, küßte ihn ganz sanft auf die Lippen. "Nein, sie ist keine Oshey", Hamarem mußte leise lachen, als er an das um die Frage von Stechapfel oder Oinos zur Betäubung seiner unirdischen Fähigkeiten entsponnene Gespräch mit Ramilla und ihre spätere Bitte dachte. Sie hatte recht gehabt, Amemna war ihm zugeneigt. "Sie möchte, daß ich mit ihrr das Lagerr teile?" fragte Amemna überrascht, als er Hamarems Erinnerungen wahrnahm. "Was meinst denn du dasu?" "Sie ist eine Priesterin der Ama. Wie kann ich ihr verwehren, auch mit anderen der Göttin zu huldigen, sobald sie wieder ihren Dienst an Ama aufnimmt?" Amemna flüsterte etwas in der Südlersprache, von dem Hamarem nur 'Hawat' verstand, lächelte Hamarem wieder an. "Ich meine, sie verbrringt ihre frruchtbarren Tage mit dirr? Sie will also dein Kind empfangen?" Hamarem nickte und dachte an den Knoten der Kräfte an Amemnas Unterleib. "Anscheinend hast du vor einiger Zeit doch ebenfalls die Entscheidung getroffen, deine fruchtbaren Tage mit einem Mann zu verbringen." Amemnas Gesicht schien in dem Moment so weich, so weiblich zu sein, daß Hamarem wider besseres Wissen für einen Moment daran zweifelte, daß er ebenso Mann wie Frau war. "Es ist Nefuts Kind, das in mirr wächst", flüsterte Amemna zärtlich, seine freie Hand ruhte zwischen ihren Körpern auf seinem eigenen Bauch, vermutlich an der Stelle, wo jener Knoten der Kräfte das werdende Leben umgab. "Bis du mirr diese leuchtenden Fäden kezeigt hast wußte ich nicht, daß ich von ihm empfangen habe", hauchte er kaum hörbar, so tonlos, daß seine Stimme fast die einer Frau hätte sein können. Hamarem verlor sich in diesen dunklen Pupillen, die von einem hellgrauen Rand umgeben waren, doch etwas war anders, die Kräfte um Amemna waren verschwunden - nein, nicht ganz, aber sie waren fast unsichtbar. Als Hamarem versuchte, sie wieder mit Feuer zu füllen, stellte er fest, wie erschöpft er war, zu kaum einer Bewegung fähig, erst recht nicht zur Manipulation fremder Kräfte. "Ist dirr das sonst kelungen?" fragte Amemna interessiert. "Warrum hast du davon währrend unserrerr Verreinigung keinen Kebrrauch gemacht?" Hamarem konnte nur schwach den Kopf schütteln, denn er konnte es sich selbst nicht erklären. Und Amemna lächelte wieder so liebevoll, beugte sich über ihn, verschloß ihm mit einem zärtlichen Kuß den Mund. Hamarem bemerkte, wie der Rand seiner Wahrnehmung wieder dunkler wurde, als begänne sein Bewußtsein erneut zu schwinden. * Plötzlich wurde Hamarem klar, daß Amemna seine Kräfte manipuliert hatte. Das sprunghafte Ansteigen der Lust bei ihrer zweiten Vereinigung war ein sicheres Zeichen dafür. Ob Ramilla sich ähnlich fühlte, wenn Hamarem ihre Kräfte in Schwingungen versetzte? Und diese Beeinflussung seiner Kräfte durch Amemna hatte Hamarem vermutlich daran gehindert, umgekehrt Amemnas Kräfte zu beeinflussen. "Amemna...", begann Hamarem flüsternd, aber dann merkte er, daß ihn kein Arm mehr umfing, daß seine Wange an einem warmen Kissen lag, nicht an dem Busen seines Birh-Melack. Er öffnete die Augen und stellte erschrocken fest, daß es bereits Tag war. Er war allein auf Amemnas Lager, und der Sichtschutz zum vorderen Teil des Zeltes war geschlossen. Nach dem mühsamen Aufsetzen zog Hamarem sein Untergewand wieder an und brauchte zwei Versuche, bis es ihm endlich gelang, sich von Amemnas Lager zu erheben. Schwindelig von der Anstrengung wankte er langsam aus dem Zelt und legte den Weg in das Mawati-Zelt glücklicherweise unbeobachtet zurück. Er merkte, daß seine Hände zitterten, als er mehrere Handvoll Wasser trank. Vielleicht würde ein Besuch im Badezelt ihm neue Energie geben, aber da außer ihm von der Wannim anscheinend nur der noch immer bewußtlose Jochawam bei den Zelten geblieben war, lag das Wohl von Amemnas Gattin in seinen Händen. Außerdem mußte die Mutter des Knaben Nefut über den Verbleib ihres Sohnes unterrichtet werden. Das relativ kühle Wasser, mit dem Hamarem sich wusch, erfrischte ihn wenigstens so weit, daß das Schwindelgefühl nachließ. Er zog sich wieder an, gürtete sich, schob sogar das Schwert in den Gürtel und als er sich vollständig bekleidet hatte, suchte er die Gattin seines geliebten Birh-Melack auf. Die Dienerin der Prinzessin saß kurz hinter dem Zelteingang und war gerade dabei, das Frühstück für ihre Herrin zu bereiten. Als sie Hamarems Schatten in das Zelt fallen sah, blickte sie auf, begrüßte Hamarem freundlich. Doch als er eingetreten war, um seine Bitte um ein Gespräch mit der Prinzessin vorzubringen, starrte sie ihn erschrocken an. "Was ist mit euch passiert, Herr? Ihr seht aus, als wäret ihr knapp dem Tode entronnen!" Hamarem fühlte sich noch immer sehr erschöpft, aber er glaubte nicht, daß er anders als ein wenig übernächtigt aussah. Liebesnächte mit Ramilla hatten trotz mehrfacher Vereinigungen in einer Nacht allerdings nie zu einer solch andauernden Schwäche geführt. "Ich habe wenig und unruhig geschlafen in dieser Nacht", erklärte er, beunruhigt durch die offensichtliche Besorgnis der Frau über seinen Gesundheitszustand. "Ich dagegen habe geschlafen wie ein Stein bis meine Herrin mich weckte. Und als ob das nicht peinlich genug wäre, sagte sie mir auch noch, daß die Kleine in der Nacht lange geschrien hätte. Gewöhnlich wache ich dann auf, aber ich habe nichts davon mitbekommen, und Tabit anscheinend auch nicht - die Amme des Prinzesschens", erzählte die Dienerin. Sie füllte eine Schale mit dem Frühstücksbrei, eine andere mit Tee und reichte sie Hamarem. "Esst nur, danach wird es euch wieder besser gehen." "Eigentlich wollte ich mit eurer Herrin sprechen", wandte Hamarem ein, ohne nach den Schalen zu greifen. "Dann leistet mir beim Frühstück Gesellschaft", sagte plötzlich eine andere Frauenstimme. Die Prinzessin trat aus dem hinteren Teil des Zeltes. Nur sie konnte die Frau gewesen sein, deren Duft in der vergangenen Nacht an Nefut gehaftet hatte. Sie sah frisch aus wie der junge Tag, lächelte Hamarem huldvoll an und ließ sich dann ihm gegenüber auf den Teppichen nieder. Sie nahm ihrer Dienerin die Teeschale aus der Hand, reichte sie Hamarem. "Bitte, seid so freundlich und nehmt meine Gastfreundschaft an, Zweiter der Wannim", nötigte sie ihm die Schale auf. Hamarem setzte sich also ebenfalls und nahm den Tee entgegen, nippte daran, verneigte sich vor seiner Gastgeberin. Der leicht bittere Geschmack des Tees, sein herber Duft, schien seine Lebensgeister langsam wieder zu wecken. "Herrin, mein Name ist Hamarem Temhaly. Ich danke für eure Gastfreundschaft." Erstaunt hob die Prinzessin ihre Augenbrauen, trank selbst von ihrem Tee, sah ihn über den Rand der feinen, dünnwandigen Schale an. "Ich war der Meinung, auch ihr würdet zu den Stammeslosen gehören, die meinem Gatten in diesen Krieg gefolgt sind." Und Hamarem wurde sich bewußt, was er gesagt hatte. Auch wenn er nicht von seinem Stamm ausgeschlossen worden war, so hatte er doch sein früheres Leben und seine Familie vor achzehn Jahren rituell hinter sich gelassen, ebenso wie er sich vor drei Jahren von seinem Amt losgesagt hatte, um das Heiligtum verlassen zu können. War er wirklich so müde, daß er nicht mehr Herr seiner Worte war? Er trank ein paar Schluck von dem Tee um sich zu sammeln, dann stellte er die Schale auf den Boden. "Herrin, ich bin einer der Stammeslosen, die eurem Gemahl gefolgt sind. Aber manchmal neige ich dazu, es zu vergessen." "In Momenten, die an ein normales Stammesleben erinnern", schlußfolgerte die Prinzessin scharfsinnig. Hamarem hatte den Eindruck, daß sie seine Worte einfach akzeptierte, auch wenn er ihre Kräfte kaum wahrnahm. Es war, als sähe er die glitzernden Fäden nur durch einen dichten Schleier hindurch. Hamarem nickte stumm und leerte die Teeschale. Und er bemerkte, daß er tatsächlich großen Hunger hatte, also nahm er die Einladung der Prinzessin zum Frühstück an. "Weswegen wolltet ihr mich sprechen, Hamarem?" fragte die Prinzessin, während Hamarem hungrig den Brei in sich hineinschlang. Hamarem schluckte hastig. "Während der Abwesenheit eures Gatten bin ich als sein Zweiter für euch verantwortlich, Herrin. Verschiedene Ereignisse in der vergangenen Nacht machen es aber erforderlich, daß ich den Feldherrn aufsuche. Es könnte bis zur Mittagsruhe dauern, bis ich wieder hier bin." Für eine Nachricht über den Sohn der zukünftigen Gemahlin des Königs von Tetraos würde Hamarem sicher auch die militärischen Nachrichtenwege nutzen können. Aber welche Stationen der Heeresbürokratie er dafür abklappern mußte, konnte er nur mutmaßen. Außerdem wollte er mit Ramilla sprechen. "Ich fühlte mich hier keineswegs ungeschützt. Wie ihr wißt, reise ich mit fünf Wachen des Fürsten der Darashy", antwortete die Prinzessin gedehnt und sah Hamarem mißtrauisch an. "Müßte ich über diese verschiedenen Ereignisse der vergangenen Nacht Bescheid wissen?" Hamarem schüttelte den Kopf. "Nein Herrin, es geht um Heeresangelegenheiten", denn schließlich hatte der verstorbene ehrwürdige Vater zu den offiziell mit dem Heer ziehenden Priestern gehört. "Ich wollte euch nur von meiner Abwesenheit in Kenntnis setzen, sowie über die Tatsache, daß im Zelt eures Gatten zwei Verwundete liegen." Hamarem mußte sich vorsehen, die Prinzessin nicht noch mißtrauischer zu machen und vor allem nicht so neugierig, daß sie sich durch den Besuch bei Jochawam und Nefut möglicherweise in Gefahr begab. "Heute Nacht schlich eine Art Raubtier durch das Lager, Herrin", erklärte er. "Unsere Verwundeten sind versorgt und schlafen zur Zeit, aber falls sie aufwachen, bevor ich zurückkehre, schickt bitte einen eurer Männer mit etwas zu Essen zu ihnen." Die Prinzessin musterte Hamarem mit einem recht skeptischen Blick, nickte dann aber. "Ihr könnt mich unbesorgt hier zurücklassen." Schließlich lächelte sie sogar recht freundlich. "Ich danke euch für eure Fürsorge." "Ihr seid die Gattin meines Birh-Melack. So wie ihm werde ich auch euch in allem dienen, Herrin", beeilte sich Hamarem zu antworten und verneigte sich, so gut das im Sitzen möglich war. Die Prinzessin sah Hamarem lange an, lächelte dann wie in Gedanken. "Ich werde daran denken, Hamarem." Hamarem leerte die zweite Schale Tee, die die Dienerin fürsorglich nachgefüllt hatte, doch dann erhob er sich, verabschiedete sich und verließ das Zelt der Prinzessin. Es war irritierend gewesen, die Linien der Kräfte nicht richtig sehen zu können, aber vielleicht lag das an den Lichtverhältnissen im Zelt der Prinzessin. Bevor er aufbrach, sah Hamarem noch einmal im Birh-Melack-Zelt nach dem Rechten. Jochawam schien noch immer ohnmächtig, aber sein Atem ging ruhig, sein Gesicht wirkte sogar etwas weniger blaß und eingefallen als noch in der Nacht. Aber auch seine Kräfte waren bis auf einen leichten Schatten um Stirn und Hände unsichtbar, nicht einmal den in der Nacht so deutlich sichtbaren Panzer der fremden Kräfte um ihn konnte Hamarem erkennen. Und auch Nefuts Kräfte waren scheinbar verschwunden, doch der Junge schlief friedlich, sah nicht mehr so fiebrig aus. Hamarem kontrollierte beim Hinausgehen, ob das Wassergefäß neben der Zeltöffnung noch gefüllt war, dann verließ er den Lagerplatz seiner Wannim und ging in das Zentrum des Heerlagers, zu den Zelten des Feldherrn. Bei Tag war es einfach, sich im Heerlager der Tetraosi zurecht zu finden, es unterschied sich in seinem Aufbau nur unwesentlich von dem der Hannaiim. Sogar das Badezelt und das Zelt der Ama lagen wieder genau nebeneinander, und nachdem er die Zelte einiger Götter passiert hatte, erreichte Hamarem das Audienzzelt des Feldherrn, das leicht an den beiden Wachhabenden vor dem geöffneten Zelteingang zu erkennen war. "Ich bin der Zweite der Wannim des Birh-Melack Amemna Darashy", stellte er sich diesen Wachhabenden vor. "Ich habe dem Feldherrn der Tetraosi zwei wichtige Meldungen zu machen." Eine klangvolle Stimme aus dem Inneren des Zeltes verlangte: "Schickt ihn herein." Einer der beiden Wachhabenden winkte Hamarem vorbei und im Zelt sah er sich einem schon älteren, fast weißhaarigen aber noch eindrucksvoll aufrechten Mann gegenüber. "Ich bin Parpat Haterim, der Erste Sekretär des Feldherrn", stellte er sich vor. Aber dieser Sekretär mit tiefer Vorleserstimme sah aus, als ob er auch Kämpfen durchaus gewachsen war. "Ich habe zwei beunruhigende Nachrichten über Geschehnisse der vergangenen Nacht", begann Hamarem ohne Umschweife. Der Weg durch das Feldlager war ungewöhnlich lang und anstrengend gewesen und am liebsten hätte Hamarem sich einfach auf den unbedeckten Boden gesetzt, dessen Grasbewuchs heruntergetreten und zum Teil dem blanken Erdboden Platz gemacht hatte. Er wollte die Unterredung so kurz wie möglich halten. Der Sekretär winkte Hamarem zu einem Stuhl neben dem Tisch, auf dem große und kleine Papyrusrollen und ein Stapel einzelner beschriebener Bögen lagen. "Setzt euch. Ihr seht aus, als hättet ihr die Nacht hindurch kämpfen müssen." Dann zog sich der Sekretär einen weiteren Stuhl aus dem Schatten, klappte ihn auf, ließ sich nieder, während Hamarem sich nicht recht mit der ungewohnten Sitzposition anfreunden konnte. "Was ist passiert?" forderte der Sekretär Hamarem zum Sprechen auf. "In der Nacht fanden wir hinter unserem Zelt einen der Priester Orems, der im Sterben lag. Und außerdem hat sich ein Junge in unser Zelt geschlichen, der der Sohn der Braut des Königs von Tetraos ist", berichtete Hamarem knapp. "Der Junge, von dem ihr sprecht, das ist Nefut Hiame, richtig?" fragte der Sekretär wieder. "Dann seid ihr wohl Hamarem Darashy. Die zukünftige Gattin unseres Königs hat bereits anfragen lassen, ob sich ihr Sohn bei Euch befindet. Die Brieftaube traf heute morgen ein." Die Amapriesterin war anscheinend davon ausgegangen, daß Hamarem als im Dienste eines Darashy stehend auch ein Darashy sein mußte. Es war Hamarem unangenehm, sich so unbeabsichtigt einen falschen Stammesnamen erschlichen zu haben. "Geht es dem Jungen gut?" fragte der Sekretär nun wieder. Hamarem dachte an das friedliche Gesicht des schlafenden Jungen, den angesichts der Kräftetentakel, die auch ihn berührt hatten, möglicherweise noch jahrelang das Gefühl eines fremden Todes verfolgen würde, obwohl er keine eigenen unirdischen Fähigkeiten hatte. "Soweit ich es beurteilen kann, geht es dem Jungen körperlich gut", antwortete er. "Allerdings wurde er gestern nacht Zeuge des Todes des ehrwürdigen Vaters. Zur Zeit schläft er im Zelt unseres Birh-Melack." Der Sekretär nickte langsam. "Sorgt gut für den Jungen, ich werde Nachricht an seine Mutter schicken lassen. Kann er denn in euren Zelten bleiben, bis er abgeholt wird?" "Selbstverständlich", antwortete Hamarem. Vielleicht konnte er dem Jungen angesichts seiner eigenen diesbezüglichen Erfahrungen sogar helfen, mit dem fremden Tod zurecht zu kommen. "Gut, gut", murmelte der Sekretär, zog einen Papyrusbogen aus einem der Stapel auf seinem Tisch, überflog den Inhalt des Schreibens. "Was ist mit dem Priester geschehen?" fragte er dann. Hamarem versuchte festzustellen, ob der Sekretär den Verbleib des Leichnams oder die Umstände seines Todes meinte. Diese Ungewißheit über den Gesprächsgegenstand irritierte ihn fast noch mehr, als die Unschärfe in seiner Wahrnehmung der Kräfte, von denen er zur Zeit weniger sah, als nach seinem Stechapfelrausch. "Wie ist der Priester gestorben?" fragte der Sekretär noch einmal nach und musterte Hamarem kritisch, als würde er an dem Verstand oder der Ehrlichkeit seines Gegenüber zweifeln. Hamarem atmete tief durch. "Wir wissen nicht, woran er gestorben ist. Mitten in der Nacht entdeckten wir ihn zwischen unseren Zelten. Zu dem Zeitpunkt lag er in Zuckungen am Boden und war wenig später tot. Wir haben ihn zu seinen Brüdern in die Zelte Orems gebracht." Der Sekretär nickte. "Es handelte sich um den ehrwürdigen Vater Darhan Mehaly, nicht wahr? Darüber haben wir in der Nacht bereits Meldung von der Orempriesterschaft erhalten." Hamarem nickte abwesend. Der ehrwürdige Vater war also wie er selbst ein Oshey gewesen. Ungewöhnlich, daß er seinen Stammesnamen auch als Priester weiter verwendete. Und noch eigentümlicher, daß es vor etwa hundert Jahren einen Orakelpriester in Harna gegeben hatte, der ebenfalls Darhan Mehaly geheißen hatte. Der ehrwürdige Vater konnte ja kaum bereits fast zweihundert Jahre alt gewesen sein. "Die Orempriesterschaft berichtete, daß der ehrwürdige Vater keinerlei Anzeichen aufwies, die auf einen gewaltsamen Tod schließen ließen", sagte der Sekretär langsam, legte den Papyrusbogen wieder aus der Hand. "Deckt sich das mit euren Beobachtungen?" Hamarem nickte. "Ich habe geholfen, seinen Leichnam zu den Zelten der Orempriesterschaft zu tragen. Er erlag wohl gerade seinem Todeskampf, als wir ihn entdeckten, aber er wies keine sichtbaren Verletzungen auf." Es mochte wirklich ohne fremden Einfluß zum Tod des ehrwürdigen Vaters gekommen sein, trotzdem blieb die ganze Sache merkwürdig. Hamarems Verdacht, doch Zeuge eines dämonischen Wirkens geworden zu sein, ließ sich nicht zum Verstummen bringen. Allerdings war der Sekretär des tetraosischen Feldherrn kaum der Richtige, um ihm gegenüber einen solchen Verdacht auszusprechen. Der Meinung waren wohl auch die Orempriester gewesen, die ja immerhin von den Unheilsahnungen des ehrwürdigen Vaters gewußt hatten. Vielleicht sollte er die Priesterschaft des Ungenannten aufsuchen. Denen wurde schließlich nachgesagt, daß sie sich mit dem Wirken der Dämonen auskannten, weil diese die Feinde ihres Gottes waren. "Habt ihr noch eine Bemerkung zu dem Tod des ehrwürdigen Vaters zu machen?" fragte der Sekretär erwartungsvoll. Hatte Hamarem irgend etwas gesagt? Er war sich dessen nicht bewußt. Also schüttelte er eilig den Kopf. "Ich wollte nur meine Meldung machen", sagte er. "Dann will ich euch nicht weiter von euren Pflichten abhalten, Darashy", sagte der Sekretär. Hamarem zuckte bei der Anrede unwillkürlich zusammen, erhob sich dann mühsam von dem Stuhl, verneigte sich und verließ das Zelt des Feldherrn. Er kam sich vor, als sei ein Teil seines Hirns, ein Teil seiner Wahrnehmung gestört, ja regelrecht ausgebrannt worden. Aber das konnte doch nicht an der Begegnung mit dem Dämon, der den ehrwürdigen Vater getötet hatte, gelegen haben. Er hatte doch die Kräfte noch sehen können, als er geholfen hatte, Jochawam ins Birh-Melack-Zelt zu tragen. Er hatte sie noch sehen können, als er mit Nefut den toten Priester zu den Zelten Orems getragen hatte. Und er hatte sie noch sehen können, als er in Amemnas Armen gelegen hatte und endlich wahrhaftig dessen nackten Körper an seinem eigenen hatte spüren dürfen. Er hatte keinen Gebrauch von seinen Fähigkeiten, die Kräfte in Schwingungen zu versetzen, gemacht, weil Amemnas Kräfte sich um ihn geschlungen, sich mit seinen Kräften vereinigt hatten, wie die Kräftetentakel des Dämons mit denen Jochawams. Amemna hatte Hamarems Wahrnehmung, seine Fähigkeiten voll und ganz unter Kontrolle gehabt, und er hatte sich freiwillig, nein bereitwillig Amemnas Willen hingegeben. Der Dämon hatte den Schatten des Todes an sich gehabt, aber wenn es nur die mächtigen unirdischen Fähigkeiten eines uralten sterbenden Orempriesters gewesen waren, die Jochawam umschlungen hatten? Jochawam war erschöpft gewesen, er hatte kaum noch sicher gehen können, als er mit Amemna zu dem Sterbenden getreten war. So erschöpft, so wenig Herr seiner Selbst, ein leichtes Opfer für alle Arten von Manipulation. Kein Wunder, daß die Kräftetentakel nach ihm gegriffen hatten, nachdem sich der Knabe Nefut als zu stark erwiesen hatte. Hamarem fand sich vor dem Amazelt wieder, verweilte einen Moment in Betrachtung der Statue, blumengeschmückt, einige abgeschnittene Locken zu ihren Füßen. "Hamarem", hauchte eine Stimme, Hamarem drehte sich um und erkannte Ramilla, die die Hände vor den Mund hielt und ihn geradezu panisch ansah. "Was ist mit dir passiert, Geliebter?" Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn um das Zelt, zum Hintereingang, zu einem Kochfeuer, neben dem sie ihn auf die Teppiche und einige Kissen drückte. Dann schloß sie seine Finger um einen Becher, der mit einer klaren, wohlriechenden Flüssigkeit gefüllt war. Der Willkommenstrunk? Hamarem mußte lächeln. Nichts lag ihm in diesem Moment ferner, als sich mit Ramilla zu vereinigen. "Trink das, es ist ein Stärkungsmittel, regt an und senkt das Schlafbedürfnis", beharrte Ramilla und drückte Hamarems Hand mit dem Becher sanft in Richtung seines Mundes. Gehorsam nahm Hamarem einen Schluck, der herrlich erfrischend seine Kehle hinabrann, einen zweiten, einen dritten. "Nefut hat sich in der Nacht bei unseren Zelten verborgen", sagte er dann, leerte den Becher. Ramilla schenkte ihm den Becher erneut voll. "Trink das auch noch. Und was war das mit Nefut? Du meinst den Sohn meiner Priesterin?" Hamarem trank und nickte zwischen zwei Schlücken. "Und es geht ihm gut, hoffe ich?" fragte Ramilla drängend. "Nunja, ich denke, es geht ihm gut...", begann Hamarem, trank weiter. Ramilla hatte recht, der Trunk belebte, diesmal ganz ohne ihn zu erregen. Er glaubte sogar zu sehen, wie sich das Glitzern der Kräfte um Ramilla wieder bemerkbar machte. War dies das Allheilmittel? War Ama die wahrhafte Heilerin aller Leiden der Menschen, wie jede Mutter für ihr Kind? "Ist meine Priesterin schon benachrichtigt?" wollte Ramilla aufgeregt wissen. Hamarem nickte erneut. Ramilla schenkte ihm ein weiteres Mal nach. "Ist das nicht zu viel?" fragte Hamarem, doch Ramilla schüttelte entschieden den Kopf, also trank er auch den dritten Becher leer. "Er hat dich so zugerichtet, nicht wahr? Dein Birh-Melack... ein Gefäß der Göttin, ohne ein bißchen Selbstbeherrschung! Oder ist es ihm gleichgültig, was er dir damit antut, wenn er dich seine volle Kraft spüren läßt?" Ramilla schüttelte zornig den Kopf, nahm noch einmal die Kanne mit dem Willkommenstrunk zur Hand, aber stellte sie dann doch wieder beiseite. "Was sagst du da?" verlangte Hamarem aufgebracht zu wissen. Wie konnte Ramilla nur so über seinen geliebten Herrn sprechen? Das mußte doch die Eifersucht sein, die aus ihr sprach. Dieser Zorn, der sich in den Kräften um sie zeigte, war eindeutig auf Amemna gerichtet. "Du hast mir doch zugeredet, ihn aufzusuchen", schimpfte er zurück. "Du hast mir..." "Ich dachte doch, er hält sich zurück! Konnte ich denn ahnen, daß er dir das Leben aus dem Körper zieht? Meinst du, ich habe dir zugeredet, dich von ihm fast töten zu lassen?" unterbrach Ramilla ihn. Die Hände in die Hüften gestemmt stand sie mit zornesrotem Kopf vor ihm, sah mit einem so bösen Blick auf Hamarem hinunter, daß er sie kaum wiedererkannte. Dieser Blick machte Hamarem Angst und zugleich ernüchterte er ihn. Es mußte die Schwächung seines Leibes tatsächlich Amemna verdanken. Wie ein Dämon hatte Amemna sich von Hamarems Kräften genährt, sich an der Ekstase seines Zweiten berauscht, wie der ehrwürdige Vater es vor einigen Tagen beschrieben hatte. Doch was wußte Ramilla von den Kräften der Unirdischen? Sie hatte von Schriften erzählt, die von dem Vermögen, die Gedanken und Gefühle anderer aufzunehmen, berichteten. Gab es im Besitz der Amapriesterinnen auch noch Schriften über weniger unverfängliche Fähigkeiten? "Was meinst du damit, daß er ein Gefäß der Göttin ist?" fragte er, um einen sachlichen Ton bemüht. "Ich spreche von seinen Kräften, die ihm erlaubten, Nefut zu heilen, die ihm aber ebenso ermöglichten, das Leben aus deinem Körper herauszuziehen. Im Süden nennt man sie 'Gefäße der Göttin', die Menschen, die über diese Kräfte verfügen, da sie einen Teil der Macht der Göttin in sich tragen. Er spricht doch wie ein Südländer, er muß doch wissen, daß diese Kräfte sehr gefährlich sind. Hat er denn nicht gelernt, vorsichtig damit umzugehen?" Ramilla klang entrüstet über so viel Verantwortungslosigkeit. Hamarem schüttelte den Kopf. "Nichts hat er gelernt, er ist so jung, daß er die meisten seiner Fähigkeiten anscheinend gerade erst entwickelt. Er hat bestimmt nicht aus bösem Willen gehandelt. Das kann ich mir nicht vorstellen." "Das willst du dir nicht vorstellen, Hamarem." Ramilla lächelte verzeihend, kniete sich vor ihn und strich ihm liebevoll über den Bart. "Mein Geliebter, du solltest dich nicht wieder mit ihm vereinigen, bevor er nicht besser beurteilen kann, wann er dir Leid zufügt, denn du kannst dich offenbar nicht dagegen wehren, trotz deiner eigenen Fertigkeiten." Hatte Amemna auch Jochawam auf diese Weise geschwächt und ihn so dem Dämon ausgeliefert? Saß ein solcher Dämon auch in Amemna, ungebändigt und bereit, jedem die Lebensenergie auszusaugen, der mit ihm der Göttin huldigte? Wieso hatte Nefut nie Anzeichen der Schwäche gezeigt? Wieso hatte die Prinzessin so frisch und munter ausgesehen, wenn Amemna seinen Gefährten die Lebensenergie nahm? * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)