Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 9. Der Traum ------------ Ramilla kam am Abend in das Mawatizelt, gerade als Oremar und Hamarem sich zum Essen niedergelassen hatten. Hamarem lud sie ein, mitzuessen, aber nachdem sie höflich von allem etwas gekostet hatte, saß sie nur noch dabei und sah vor allem Hamarem beim Essen zu. Nach einer Weile machte es Hamarem sehr nervös, so durchdringend gemustert zu werden, während Oremar vergeblich versuchte, das breite Grinsen in seinem Gesicht hinter seiner Speisenschüssel zu verstecken. "Laß uns hinausgehen", raunte Ramilla Hamarem schließlich zu und Hamarem konnte wieder einmal ihre Erregung riechen. Das weckte auch seine vorübergehend verschwundene Begierde nach ihr wieder. Ganz selbstverständlich ging Ramilla zum Birh-Melack-Zelt, aber Hamarem hielt sie diesmal mit aller Kraft zurück. Er würde die ganze Zeit an Amemna, Nefut und die Geschehnisse des vergangenen Nachmittags denken müssen und das würde das Zusammensein mit Ramilla ernsthaft stören, egal wie groß Ramillas Erregung war. Schon jetzt war seine gerade beginnende Erektion wieder verschwunden. Ramilla rieb sich, über die unsanfte Behandlung sichtlich erstaunt, den Arm, nachdem Hamarem sie losgelassen hatte. Anscheinend ahnte sie, daß irgendetwas im Argen lag. "Was ist geschehen?" fragte sie mitfühlend. Hamarem schüttelte den Kopf, doch dann entschied er sich, Ramilla sein Verhalten zu erklären. "Es hat mit meinem Birh-Melack zu tun", sagte er leise. "Nachdem Nefut den Birh-Melack ausgerechnet mit meinem Dolch angegriffen hatte, mußte ich mich ihm gegenüber rechtfertigen, schließlich fielen viele böse Worte und ich habe meinem Herrn dadurch großen Kummer bereitet. Ich kann das Zelt nicht betreten, ohne daran denken zu müssen." Von der gegenseitigen Erhitzung, die Hamarem zu allem Überfluß bis zu einem gewissen Grade sogar genossen hatte, schwieg er allerdings, denn er fühlte sich ohnehin schon, als ob er nicht nur sich selbst sondern auch Amemna vor Ramilla entblößte. Selbst wenn Ramilla ahnte, daß Hamarem etwas Wesentliches ausließ, war sie doch zu höflich oder, angesichts der in Wellen um sie ziehenden Kräfte vielleicht der möglichen negativen Konsequenzen für ihr Verhältnis zu Hamarem zu sehr gewahr, als das sie nachfragte. "Wo können wir dann hin?" fragte sie nur. "Wir können ins Mawatizelt und eine Decke als Sichtschutz aufhängen", schlug Hamarem vor. Oremar hatte doch ohnehin schon in der Nacht zuvor alles mitbekommen, laut genug hatten sie es in Amemnas Zelt ja getrieben. Und Ramilla nickte zu Hamarems Erleichterung dazu. Oremar war ziemlich verblüfft darüber, daß Hamarem und Ramilla zurückkamen und um Hamarems Lager einen Sichtschutz aufhängten, aber dann tat er, als würde er sie gar nicht mehr sehen und reinigte das Geschirr. Dunkel war es zwischen den Decken, aber die Kräfte um Ramilla leuchteten hell. Sie war sehr erregt, angefangen hatte es schon, als Hamarem die Seile spannte und die Decken darüberlegte, als stimuliere sie der bloße Gedanke daran, hier ein Liebeslager zu bauen. Und natürlich entzündete ihre Lust sogleich auch wieder Hamarems Begehren nach ihr, das er am Nachmittag so einsam befriedigt hatte. Ihre Lust war einfach unwiderstehlich für Hamarem und vielleicht war es sein unirdisches Erbteil, das ihn dazu trieb, sich dieses fremde Begehren zueigen zu machen und zu befriedigen. Er würde Amemna Abbitte leisten müssen, denn dem jungen Mann mußte es mit Nefut doch ebenso ergehen. Es war tatsächlich unmöglich, so heftiges, auf einen selbst gerichtetes Verlangen zu ignorieren, wollte man nicht die Person fliehen, die es verspürte. Doch Ramilla war überraschenderweise in einer sehr zärtlichen Stimmung, küßte und liebkoste Hamarem, als er sie entkleidete, ihre Brüste aus der Umschlingung eines perlenverzierten Brustbandes befreite. Für einen Moment ereilte Hamarem die unerwünschte Erinnerung an die Unterredung, die Erhitzung mit Amemna, die seine Lust nun erstaunlicherweise noch verstärkte, doch Ramillas so betörend duftende Präsenz vertrieb den schattenhaften Amemna von Hamarems Lager und er vereinigte sich mit seiner Geliebten. Sie liebten sich lange. Bewußt verzichtete Hamarem darauf, mit seinen unirdischen Fähigkeiten die Kräfte um Ramilla über ein sanftes Schwingen hinaus zu reizen, bis sie schließlich beide einen sehr befriedigenden Höhepunkt erlebten. Und endlich schliefen sie Arm in Arm ein. * Die große, geflügelte Schlange kroch über den Steinboden der Eingangshalle von Harna. Immer weiter kroch die Schlange, bis zu einer schlanken, weiß gekleideten Person, die Hamarem den Rücken zuwandte. Es schien ein schlanker Jüngling zu sein. Und kaum hatte die Schlange diesen Jüngling erreicht, zog er einen Dolch aus dem Gürtel, griff nach der Schlange und schnitt ihr den Kopf ab. Das sterbende Tier fiel zu Boden, das Blut sprudelte aus seinem Hals, bis die Pfütze den aus Stein und Metall eingelegten Erdkreis bedeckte und die Schlange mit ein paar letzten Zuckungen ihrer blutverschmierten Flügel verendete. Hamarem hatte sich vor Schreck zunächst nicht rühren können, aber nun rannte er zu dem Jüngling, wollte ihn zur Rede stellen, aber der bewegte sich viel schneller als Hamarem selbst, hörte auch nicht auf Hamarems Rufe und verschwand aus der Halle, lief in die Wüste und über die Dünen. Blutige Fußspuren hatte er im Sand hinterlassen, so daß Hamarem ihm leicht folgen konnte und so betrat er schließlich ein Zelt. Es mußte wohl die Zeit der Mittagsruhe sein, denn auf einem Lager aus Kissen lag die schlanke Gestalt, das Gesicht zwischen den langen, schwarzen Haaren und den Decken verborgen, das Untergewand jedoch bis zum Nabel heraufgerutscht, so daß ihr nacktes Hinterteil das erste war, was Hamarems Blick gefangen nahm. Hamarem sank neben dem Lager auf die Knie, um dieses sehr schöne, wohlgeformte, erregende Hinterteil zu betrachten. Die schlafende Gestalt schob das Becken noch weiter heraus, so daß ihm auch noch ein Blick auf eine unbehaarte weibliche Scham zwischen den Oberschenkeln gestattet wurde, die nur einen winzigen Spalt weit geöffnet war. Das konnte wohl nicht der Jüngling sein, dem er gefolgt war, ging Hamarem durch den Kopf, als er andächtig diesen jugendlichen, so verführerisch duftenden Zugang zu Amas Wunder anbetete und nahe daran war, ihn mit seinem Mund zu liebkosen. Da aber bewegte sich die schlafende Frau, drehte sich herum, so daß ihr Bauch zu sehen war. Drei Zeichen in der heiligen Schrift der Hawatpriesterinnen waren mit roter Tinte auf diesen Bauch geschrieben: Ha Wa Ta. Die Tinte glitzerte noch feucht, aber plötzlich wußte Hamarem, daß diese Zeichen mit dem Blut der Schlange geschrieben worden waren. Hamarem betrachtete die halb verhüllten Schönheit, die sich nun aufsetzte, und ihn ansah, aus sehr traurigen hellgrauen Augen. Zuerst dachte Hamarem, sie wäre eine Verwandte Amemnas, doch dann wußte er, es war Amemna selbst, mit schwarzen Haaren und im Körper einer jungen Frau. Jetzt standen sie sich beide nackt gegenüber und Hamarem sah, daß die feuchten Schriftzeichen verliefen und das Schlangenblut zu Amemnas Schoß und dann ihre Beine herunterrann, bis sich eine Pfütze unter ihr bildete. Und da erkannte Hamarem, daß die Schriftzeichen gar nicht aufgemalt, sondern in die Haut geschnitten waren und das Blut, das an Amemna der Frau herablief, folglich ihr eigenes war. "So heile dich doch", verlangte Hamarem, aber Amemna die Frau schüttelte den Kopf. "Ich kann mich nicht heilen, wenn ich nicht ganz bin", erklärte sie. "Du mußt mirr helfen." "Was kann ich denn tun?" fragte Hamarem verzweifelt, sah sich um, wo ihre Untergewänder geblieben waren, denn die hätte man als Verband nehmen können. Aber sie waren nirgends zu sehen. Amemna faßte sanft Hamarems Hände. "Mach mich ganz, Hamarrem. Nurr so kannst du mirr helfen." "Aber wie soll ich dich ganz machen? Soll ich die tote Schlange hierher holen?" Amemna schüttelte stumm den Kopf. "Mach du mich ganz, Hamarrem", sagte sie und sah hinunter auf Hamarems Glied, das schlaff herunter hing, trotz der Erregung, die ihn zunächst bei dem Anblick ihrer nackten Scham ergriffen hatte. Diese Schlange sollte in den nun blutigen Schoß der weiblichen Amemna kriechen? "Ja, du sollst mich nehmen", bestätigte Amemna Hamarems unausgesprochene Frage. "Aberr zuerrst mußt du eine Frrau finden, die meinen Platz hierr einnehmen kann. Schön muß sie sein, klug und gebildet, von edlerr Herrkunft und frruchtbarr, um einem Mann einen Sohn schenken zu können." "Wo soll ich eine solche Frau finden? Ich bin in einem Heerlager unter lauter Männern", begehrte Hamarem auf. "Und du liegst mitten in diesem Heerrlagerr mit einerr Frrau in deinem Arrm auf deinerr Schlafstätte", erinnerte Amemna ihn. Hamarem schrak durch einen Stoß an seine Schulter auf. Die Morgendämmerung hatte noch kaum begonnen. "Was ist mit dir, Hamarem?" fragte Ramilla besorgt. "Du hast meinen Namen gerufen", behauptete sie. "Das habe ich getan?" fragte Hamarem erstaunt. "Ja. Du schliefst so unruhig, daß du mich geweckt hast. Und ich habe deutlich gehört, wie du eben sagtest: 'Nicht Ramilla mein Liebling.' Da habe ich dich geweckt." "Du bist eine schöne Frau, klug und gebildet. Aber bist du auch von edler Herkunft und fruchtbar?" fragte Hamarem, der sich seinen Ausruf nicht anders erklären konnte, als daß er im Schlaf zu dem Schluß gekommen war, Ramilla solle Amemnas Platz einnehmen. Das Dämmerlicht reichte, um Ramillas Erstaunen zu erkennen. "Danke für deine Komplimente. Aber im Gegensatz zu meiner Priesterin bin ich wirklich nicht von edler Herkunft. Ich bin das Kind einer Sklavin aus dem Osten. Meine Priesterin zog mich auf wie eine eigene Tochter, bildete mich aus, schickte mich sogar nach Ma'ouwat in den großen Tempel der Hawat, um dort noch mehr zu lernen. Und was meine Fruchtbarkeit betrifft... das werden wir sehen. Zur Zeit diene ich der Ama nicht, weil ich empfangen könnte." Hamarem ließ die letzten Worte einen Moment auf sich wirken. "Das heißt... es könnte sein... daß du bald... mein Kind trägst?" fragte er mit stockender Stimme. Ramilla strich ihm liebevoll über den Bart. "Ja, es könnte sein, daß ich bald dein Kind trage, Hamarem." "Und", Hamarem schluckte, "deine Priesterin ist von edler Herkunft?" Da sie einen Sohn hatte war sie ohne Zweifel fruchtbar und an Bildung und Verstand stand sie Ramilla in nichts nach, da war Hamarem sicher. Ramilla umarmte Hamarem, küßte ihn federleicht auf die Wange. "Warum bist du so aufgeregt? Ja, sie ist von edler Herkunft. Ihr Vater ist ein Fürst aus Berresh, soweit ich weiß. Ihr Götter, wie dein Herz rast", flüsterte sie Hamarem ins Ohr. Aber es war Panik und nicht Lust, die von Hamarem Besitz ergriffen hatte. Was immer sein ungewöhnlicher Traum von Amemna zu bedeuten hatte, er konnte diesen Hilferuf nicht ignorieren. Dieser Traum war wie ein wahrhaftes Gespräch gewesen, und Hamarem hatte eine große Schuld an Amemna zu begleichen. "Ich muß zu deiner Priesterin, Ramilla", sagte er im Aufspringen und zog sich rasch an. "Sie wird noch schlafen. Warum ist es so eilig?" wollte Ramilla wissen. "Ich hatte einen beängstigenden Traum. Und vielleicht kann deine Priesterin meinem Birh-Melack helfen", versuchte Hamarem zu erklären und zog die Decken beiseite, um das Zelt zu verlassen. "Warte, ich komme mit", rief Ramilla ihm nach, aber Hamarem hatte das Gefühl, daß er sich keinen Augenblick des Verweilens erlaubten durfte. Er eilte durch das Lager zum Schlafzelt der Priesterin und ihres Sohnes und erst dort holte Ramilla ihn mit laut klingelndem Schmuck ein. "Laß mich sie wecken", keuchte sie atemlos. Hamarem nickte stumm und Ramilla verschwand hinter dem Sichtschutz. Hamarem hörte Ramillas Stimme und die der Priesterin. Sie sprachen sehr leise, aber Hamarem hörte, daß die Priesterin von Ramilla eine Erklärung für die frühe Störung verlangte, und Ramilla von einem Notfall sprach. Und er hörte eine der beiden Frauen gähnen. Auch Hamarem pflegte für gewöhnlich nicht, sich so früh vor Sonnenaufgang von seinem Lager zu erheben, aber dies war in der Tat ein Notfall. Ramilla kam wieder hervor und führte Hamarem in das Innere des Zeltes hinein. Die Priesterin saß auf ihrem Lager, hatte nur eine Decke um sich gewickelt. Daneben befand sich das Lager Nefuts, der allerdings noch friedlich schlief und wie das unschuldige Kind wirkte, als das Hamarem ihn vor einigen Tagen kennengelernt hatte. "Was für ein Notfall führt euch her?" fragte die Priesterin mit einer gewissen Schärfe in der jedoch gedämpft gehaltenen Stimme. Hamarem versuchte, sich die Worte aus dem Traum wieder genau in Erinnerung zu rufen, auch wenn ihm dann ebenso Amemnas blutiger weiblicher Schoß wieder vor Augen stand und ihn die Verzweiflung seines Herrn im Frauenkörper erneut erschaudern ließ. "Mir träumte von meinem Herrn, dem Birh-Melack Amemna Darashy, der euren Sohn vor dem Tod rettete und gestern von ihm verletzt wurde. Er sagte mir im Traum: 'Du mußt eine Frau finden, die schön ist, klug und gebildet, von edler Herkunft und fruchtbar, um einem Mann einen Sohn schenken zu können.'" Die Amapriesterin sah zweifelnd zwischen Hamarem und Ramilla hin und her. Ramilla kniete sich neben ihre Priesterin. "Er ist ein Orempriester. Wenn er soetwas träumt, hat das bestimmt etwas zu sagen." "Aber ich verstehe nicht, wieso das ein Notfall sein sollte", widersprach die Amapriesterin. "Ich fürchte, meinem Herrn droht der Tod oder Verstümmelung, wenn ich seinen Wunsch nicht erfülle", sagte Hamarem, versuchte seine Stimme trotz der Dringlichkeit der Botschaft zu dämpfen. Gerade jetzt wollte er um keinen Preis Nefut aufwecken und noch mit ihm konfrontiert werden. "Und was erwartet ihr von mir, Orempriester?" fragte die Priesterin mit forschendem Blick. Hamarem hob schon an, gegen die Bezeichnung als Orempriester zu protestieren, hielt sich dann jedoch zurück. Es würde seiner Sache nicht von Vorteil gereichen, wenn er als gewöhnlicher Mann mit seinem Anliegen vor die Priesterin trat. "Ich denke, ihr solltet mit meinem Herrn sprechen. Zumindest entsprecht ihr wohl allen Kriterien. Was er genau wünscht, weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, daß euch Gefahr droht - anders als meinem Herrn." "Könnt ihr sichergehen, daß mir keine Gefahr droht, wenn ich eurem Wunsch nachkomme und mit eurem Herrn spreche?" fragte die Priesterin. "Immerhin seid ihr ein Orempriester und verfügt damit doch über die Mittel, Vorhersagen zu machen, oder?" Die Priesterin sah aus, als erwarte sie von Hamarem jetzt einen Rückzieher. Hamarem nickte ergeben und zog zwei Blätter des Traumkrauts aus der Manteltasche. Er sah sich um nach etwas, das er zur Versenkung verwenden konnte, aber außer der flackernden Lampenflamme fand sich nichts. Er setzte sich also auf die Teppiche, stellte die Lampe vor sich und begann, die Blätter zu kauen. Bitter das Traumkraut, süß der Geschmack von Honig auf seiner Zunge, Fenchel und Kreuzkümmel: das war Hochzeitsgebäck, das er schmeckte. Und in der Flamme sah er die Priesterin, geschmückt wie eine Braut neben einem noch sehr jungen Mann, der kostbare Gewänder trug. "Meine Vision zeigt eine Hochzeit", sagte Hamarem langsam, "ich kann keine Gefahr für euch feststellen." Die Priesterin zog die Augenbrauen hoch. "Was für eine Hochzeit? Der einzige, von dem ich weiß, daß er bald heiraten soll, ist der junge König von Tetraos. Soll ich den Segen über sein Ehebett sprechen?" Hamarem schüttelte den Kopf. "Es sieht eher so aus, als solltet ihr ihn heiraten." Jetzt schien die Priesterin plötzlich sehr neugierig. "Ich hatte schon beinahe die Ehre, seine Braut kennenzulernen. Wieso sagt ihr, ich solle seine Frau werden? Bei den Tetraosi ist es meines Wissens nicht üblich, mehrere Frauen zu haben." "Ich fürche, das müßt ihr im Gespräch mit meinem Herrn herausfinden", gab Hamarem zurück. "Und ich glaube es wäre ratsam, in einer unauffälligen Verkleidung nach Tetraos zu reiten", auch wenn Hamarem nicht hätte sagen können, worauf diese Überzeugung beruhte. Die Priesterin nickte. "Ich werde mit eurem Birh-Melack sprechen. Er war gestern sehr freundlich zu mir und ich stehe tief in seiner Schuld, da er verhinderte, daß Nefut für seinen Angriff gestern getötet wurde. Was empfehlt ihr mir als unauffällige Verkleidung?" "Männerkleidung", schlug Ramilla vor und im gleichen Moment antwortete Hamarem: "Geht als einer der Mawati zu meinem Herrn." Die Priesterin nickte. "Versuchen wir das. Aber dann müßt ihr euch, so lange ich bei eurem Birh-Melack bin, um Nefut kümmern", verlangte sie von Hamarem. "Und mir natürlich entsprechende Kleidung überlassen, um euren Birh-Melack als ein 'Mawati' zu besuchen." Hamarem nickte, auch wenn es ihn große Überwindung kostete, Nefut wieder im Mawatizelt willkommen zu heißen. Doch wenn der Besuch der Priesterin Amemna rettete sollte es so sein. * Die Sonne stand schon am Himmel, als die Priesterin endlich mit Oremar nach Tetraos aufbrach, gekleidet in die in aller Eile gekürzten Gewänder des toten Doshan. Sein Mantel aus gutem, festen Stoff kaschierte die prächtigen Brüste der Priesterin, und die nach Osheyart geschminkten Augen veränderten ihr Aussehen so stark, daß selbst Ramilla sie kaum wiedererkannte. Nefut war sehr still, als seine verkleidete Mutter mit Oremar zu den Pferchen ging, wich Hamarems Blick schuldbewußt aus, und die Kräfte um ihn wirkten sehr matt. Hamarem faßte sich endlich ein Herz und fragte: "Nefut, warum hast du das getan?" Hamarem mußte die Tat nicht genauer in Worte fassen, Nefut wußte sicher, was er meinte. Nefut starrte auf seine bloßen Füße, scharrte ein wenig in der steinigen Erde mit ihnen. "Ich dachte, ich müßte ihn dem Ungenannten opfern, weil er verhindert hatte, daß ich geopfert werde. Ich wollte..." Nefuts Stimme versagte in einem Schluchzer, aber er fing sich wieder, "... ich wollte verhüten, daß der Zorn des Ungenannten dich oder meine Mutter trifft." Es sah nicht aus, als habe der Junge diese Reihenfolge der Personen aus Berechnung gewählt und es schmerzte Hamarem, das zu hören, denn er war dennoch nicht bereit, dem Jungen seine Tat zu verzeihen. "Du kannst mir nicht verzeihen, nicht wahr?" fragte Nefut mit überraschender Einsicht. Hamarem nickte. "Noch fällt es mir sehr schwer, denn mein Birh-Melack wurde nicht nur durch die Tat sondern auch durch ihre Nachwirkungen sehr verletzt." Nefut nickte verständig wie ein Erwachsener. "Vielleicht kannst du mir später einmal verzeihen." Hamarem sah ihn an, sah den aufgeweckten, klugen Jungen in ihm und zugleich den durchtriebenen Attentäter, der für seine Tat die Zuneigung Hamarems schamlos ausgenutzt hatte. "Ich kann es dir nicht versprechen", gab er zurück. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)