Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 14: Die Gedanken von William T. Spears ---------------------------------------------- Warmes Sonnenlicht fiel durch das Fenster und durch die Lücken des Rollos in das Büro von William T. Spears. Die warmen Strahlen erhitzten den Raum auf eine unnatürliche Temperatur. Obwohl das Fenster offen stand und ein lauer Wind hinein wehte, brachte dieser kaum Kühlung. Ein Seufzer entfuhr dem Leiter der Abteilung zur Entsendung der Shinigami und nachdenklich schwenkte er seine Tasse Kaffee. Die braune Flüssigkeit war inzwischen kalt geworden. Ein eklig aussehender Rand hatte sich an der Tasse gebildet. Was für ein Tag, fuhr es ihm durch den Kopf und er stürzte den kalten Kaffee in einem Zug hinunter. Sein Blick fiel auf den Stapel Hausaufgaben der Schüler, die er durchsehen musste und wozu er gar keine Lust hatte. Mit einem Gähnen auf den Lippen drehte er sich mit dem Stuhl zum Fenster herum. Die Sonnenstrahlen, die es durch die Lücken schafften, wärmten sein Gesicht und er schloss entspannt die Augen. Wenn nicht so viel Arbeit auf ihn warten würde sowie eine Befragung eines Shinigami, würde er sich sofort in sein Zimmer begeben und schlafen gehen. Aber bei dem Gedanken daran, wen die Verwaltung ihm als Zimmergenossen während der Bauarbeiten zugeteilt hatte, wurde ihm ganz flau im Magen und William überlegte ernsthaft, ob er nicht für die restliche Zeit in seinem Büro auf dem Sofa schlafen sollte. Allein diese aufdringliche Stimme trieb ihn schon während seiner Arbeitszeit in den Wahnsinn. Aber seine kleinen Lieblinge wollte und konnte er nicht einfach so diesem Objekt überlassen. Es blieb ihm wohl keine andere Wahl, als dass er sich dem stellte und so selten wie nur möglich Zeit in seinem Apartment verbrachte. William nahm seine Brille ab und rieb sich über die brennenden und müden Augen. Er starrte zu dem Fenster und durch eine Lücke in dem Rollo nach draußen. Was würde er jetzt nicht alles dafür geben, einfach Feierabend machen und schlafen zu können, ohne dass er darum fürchten musste, im Schlaf angesprungen zu werden. Der Bericht von seinem Auftrag in der vergangenen Nacht musste auch noch geschrieben werden. Ein weiterer Seufzer ließ sich nicht vermeiden. Manchmal wünschte er sich, er wäre wieder ein Schüler und hätte nur die Hausaufgaben zu erledigen und danach Freizeit. Der Abteilungsleiter wusste leider genau, dass dies schon vor langer Zeit geendet hatte, nachdem er die Abschlussprüfung bestanden und eine menschliche Seele abgeholt hatte. Aber all das Seufzen und Träumen brachte ihn nicht weiter. Er musste noch ein wenig seiner Arbeit nachgehen, egal wie müde er auch war. William drehte sich mit dem Stuhl wieder herum und nahm ein Blatt Papier aus einer Schublade. Er zog sich die Schreibmaschine näher heran und führte das Papier vorsichtig und gerade ein. Kurz überlegte er, dann fing er an den Bericht über den Auftrag zu schreiben. Monoton erklang das Geräusch der Tasten in dem Zimmer und das Geräusch ließ William erneut gähnen. Es war ein Bericht wie er ihn schon zigtausende Male geschrieben hatte und wo er schon gar nicht mehr darüber nachdachte, sondern es einfach nur noch aus dem Kopf schrieb. Selbst der Schultag hatte sich langsam dahin gezogen und William schallte sich selbst dafür, dass er heute so einschläfernd gewesen war. Der Gong war seine Rettung gewesen, sonst wäre er womöglich bei seinem eigenen Vortrag eingeschlafen. Ein Glück, dass die Schüler selbst am Träumen gewesen waren und seine Müdigkeit nicht bemerkt hatten. Nach zwanzig, sich zäh dahin ziehenden, Minuten war der Bericht fertig geschrieben und William musste nur noch seine Unterschrift darunter setzen, dann konnte das Blatt zur Akte gelegt werden und ins Archiv. Mit einer lockeren Bewegung seiner Hand führte er den Füller über das Blatt Papier und unterschrieb mit seiner geschwungenen Handschrift den Bericht. Es war geschafft. Eine Woge der Erleichterung überkam William. Er legte den Füller zur Seite und sah wieder auf die Uhr an der Wand. Kam es ihm nur so vor oder verging die Zeit an diesem Tag gar nicht? Zumindest hatte sich der Zeiger keinen Millimeter bewegt. William griff zur Tasse und wollte gerade ansetzen, um daraus zu trinken, als ihm einfiel, dass er den Kaffee bereits ausgetrunken hatte. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm. Er konnte doch nicht schon wieder zum Kaffeeautomaten gehen und sich eine Tasse holen. William wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie viel Kaffee er bereits heute getrunken hatte. Mehr als üblich auf alle Fälle. Erneut musste sich der Abteilungsleiter über die Augen reiben, die vor Müdigkeit brannten. Sein Blick fiel auf die Hausaufgaben der Lehrlinge. Er wollte sie nicht korrigieren, aber er hatte keine Wahl und so zog er das oberste Blatt vom Stapel. Das Papier raschelte kurz und war kurzzeitig das einzige Geräusch in dem Zimmer. Als es vor William auf dem Tisch lag war es wieder still. Sein Blick ging zur Ecke mit dem Namen. Lily McNeil. Wie passend, schoss es ihm durch den Kopf. Gerade die Person, mit der er noch ein Gespräch führen musste und die im Moment den meisten Ärger verursachte und bereits verursacht hatte, lag oben auf. Ein Gedanke kam ihm in den Sinn. Wenn er jetzt ihre Aufgaben kontrollieren würde, hätte er für nachher eine sehr gute Gesprächsbasis. Bisher war ihm noch kein plausibler Grund eingefallen, weshalb er das Mädchen zu sich rufen sollte. Natürlich gab das Mobbing einen perfekten Grund, aber er hatte schon in der Schulstunde sehen können, wie unwohl sie sich fühlte und ihr zusätzlichen Ballast aufwerfen wollte er in keinem Fall. Er hatte auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, sie zu sich zu rufen, um mit ihr über ihre Gesundheit zu sprechen. Natürlich war ihm am ersten Tag ihre Reaktion aufgefallen. Kaum hatte er den Raum betreten und sich vorgestellt, war sie blass geworden und sah aus, als wäre ihr schlecht. Zuerst hatte er gedacht, es wäre einfach nur die Nervosität, doch später hatte sie genauso in der Mensa reagiert, bei Alan Humphries und Eric Slingby. So eine Reaktion hatte er bisher nur bei wenigen Shinigami gesehen. Doch um sie nicht bloßzustellen und vielleicht über zu reagieren, wollte er lieber abwarten, ob sich sein Verdacht bestätigte. Bisher war alles normal gewesen. Das Training hatte sie gut mitgemacht und keinerlei Anzeichen gezeigt, dass sie krank war. Also fiel das Thema als Gesprächsgrund auch weg. Ein Seufzer entfuhr ihm. Es war nicht leicht Abteilungsleiter zu sein und er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er sich gefühlt hatte, als er vor dem damaligen Ausbilder stand und später vor den Mentoren. Er war nervös gewesen und wäre am liebsten zurück ins Bett geflüchtet. All die prüfenden und musternden Blicke auf sich zu spüren war ein Horror damals gewesen. Natürlich war es kein Vergleich wie es sich für eine Frau anfühlen musste, aber selbst für ihn war es nicht immer leicht gewesen. Oft hatte er bis nach Mitternacht gelernt und war auch früh aufgestanden, um zu trainieren. Ein paar Mal war es ihm auch passiert, dass er am Schreibtisch über den offenen Büchern eingeschlafen war. Ein wehmütiger Seufzer entfuhr ihm, während er versuchte, seine Aufmerksamkeit wieder auf das Blatt zu lenken. Er betrachtete die erste Aufgabe und ihre geschriebene Antwort. Das Thema der Hausaufgabe war das menschliche Leben und eine andere Hausaufgabe über die verschiedenen Meditationsarten. Es erstaunte ihn, wie gut sie für einen jungen Shinigami das Leben als Mensch beschreiben und auch begründen konnte. Sowohl das der ärmeren als auch der reicheren Bevölkerung. Viel zu gut für seinen Geschmack. Der Text klang, als würde sie selbst einmal so ein Leben geführt haben. William runzelte die Stirn und ihm kam ein absurder Gedanke. Doch anstatt ihn zu verwerfen, behielt er ihn im Hinterkopf und sagte sich selbst, dass er diesen Shinigami im Auge behalten musste. Irgendwie erinnerte ihn die Beschreibung an seinen ersten großen Fall als Abteilungsleiter. Damals war er noch jünger gewesen und Alan Humphries hatte gerade seine Ausbildung beendet. Eric Slingby als sein Mentor war mit dabei gewesen. William konnte sich noch gut an die Mordserie erinnern und an das Menschenmädchen, das in einer verfallenen Hütte gesessen hatte, umgeben war von den Toten. Dieses Mädchen hatte sie gefunden, als sie sich auf dem Dach versteckten. Wie sich herausgestellt hatte, war ihre Seele die eines Shinigami gewesen. Es war also kein Wunder gewesen, dass dieses Mädchen sie wahrgenommen hatte. Unwillkürlich fragte sich William, was aus ihrer Seele geworden war. War sie schon wiedergeboren worden als Shinigami? War sie vielleicht sogar schon in der Society? Es war wirklich traurig gewesen, als sie gestorben war. Ihre Erinnerungen waren zwar nicht in ihn eingedrungen, wie bei seiner Abschlussprüfung, aber hatten ihn dennoch auf eine Weise berührt, wie es nur wenige Lebensaufzeichnungen tun konnten. Vielleicht hatten ihn diese Aufzeichnungen auch nur so mitgenommen, weil es doch in gewisser Weise ein Shinigami war, der gestorben war. William seufzte. Kam es ihm nur so vor oder war es tatsächlich wärmer geworden in dem Zimmer trotz offenem Fenster und heruntergezogenen Rollos? Das Rascheln des Stoffes war zu hören, als der Shinigami sein Jackett auszog und unordentlich über seine Stuhllehne hing. Dann widmete er sich wieder der Hausaufgabe vor ihm. Es war gut geschrieben und nichts daran auszusetzten. Eine gute und ordentliche Abgabe. Es ärgerte ihn ein wenig, dass er die Hausaufgabe nicht als Gesprächsgrund nehmen konnte, aber er sollte sich nicht beschweren. Immerhin hatte er schon schlimmere Abgaben in seiner Shinigami-Zeit erlebt. Schwungvoll setzte er eine Note darunter, dazu seine Unterschrift und legte das Blatt zur Seite. Kleine Schweißperlen hatten sich auf seine Stirn gebildet. Er musste aus diesem Büro heraus und ins Bett. Die Hitze und der Schlafmangel vertrugen sich in keinster Weise. Ein lautes Klopfen unterbrach seine Gedanken und die Müdigkeit war mit einem Schlag verschwunden. Sofort setzte er sich kerzengerade in den Stuhl und richtete seine Brille. Schnell richtete er noch seine Krawatte und eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte. Tief atmete er ein und aus und setzte sein strenges Gesicht auf, um sich den nötigen Respekt bei seinem Besucher zu verschaffen. „Herein“, sagte er mit kühler Stimme und räumte McNeils Hausaufgabe in seine Arbeitstasche. Die Tür wurde geöffnet und ein blonder Shinigami kam schüchtern herein. William musterte ihn kurz mit kühlen Augen und schenkte ihm seine Aufmerksamkeit. Fieberhaft überlegte er nach dem Namen des Mannes, aber er wollte ihm einfach nicht einfallen. Er wusste nur, dass der Name schottisch klang, oder war es doch irisch? Innerlich schüttelte William den Kopf, um den Gedanken zu verdrängen. Wichtiger als der Name war sein Anliegen. „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er. Der Shinigami mit den blonden Haaren stand mit einer Mappe und Klemmbrett vor ihm. Zitterte er wirklich vor ihm, weil er so nervös war? „Mr. Spears…“, begann er zögerlich. William erinnerte sich, dass er erst vor wenigen Jahren seine Ausbildung in der Verwaltung beendet hatte. „Hier sind die Monatsberichte über die eingesammelten Seelen. Sie müssen Sie nur unterschreiben.“ Während er sprach festigte sich seine Stimme. „Legen Sie die Mappe auf den Tisch.“ Er wies mit einer lockeren Handbewegung auf eine freie Stelle. Der Shinigami tat wie ihm geheißen. „Noch etwas?“ „Ja und zwar sind das hier die Anträge für Urlaube, die von Überstunden abgebaut werden müssen, da die Verwaltung sie nicht im Gehalt auszahlen möchte.“ Das Klemmbrett wurde mit auf die Mappe gelegt. William nickte. Er würde sich einiges davon mit auf sein Zimmer nehmen müssen und versuchen, nach seiner Pause die Mappen abzuarbeiten. Er griff nach beiden Sachen und verstaute sie in seiner Tasche, sowie die Hausaufgaben, die noch unerledigt auf dem Tisch lagen. „Die Krankenstation wünscht Sie im Übrigen zu sehen, Mr. Spears. Ein Shinigami liegt schwer verletzt dort.“ „Gut“, gab er zur Antwort. „Ähm…das war es dann…“, sagte der Shinigami und schien zu überlegen, wie er gehen sollte. Er entschied sich für ein einfaches Nicken. Nachdem der Shinigami gegangen war, stand William vom Stuhl auf und schloss das Fenster. Er nahm sein Jackett und zog es sich über. Während er es richtete, wählte er mit der einen Hand am Telefon die Nummer der Krankenstation und gab Bescheid, dass er auf dem Weg war. Mit einer flüssigen und eleganten Bewegung griff er nach seiner Tasche und noch schnell in eine Schublade. Dann verließ er sein Büro und schloss die Tür ab. An seine Tür hing er ein Schild, dass er heute eher gehen würde und erst am nächsten Tag wieder da sei. Mit schnellen und gezielten Schritten ging er durch die Flure und das Treppenhaus der Society. Die Kühle des Treppenhauses tat gut. Noch länger in dem warmen Zimmer hätte er es nicht ausgehalten. Entschlossenen Schrittes ging er durch die Society und dachte dabei unwillkürlich an seine Jungend zurück. Er war der jüngste Sohn seiner Familie und von ihm wurde immer viel erwartet. Sowohl gute Noten als auch im Beruf, aber auch die Behauptung gegen seine älteren Brüder. Ein alter Zeitungsartikel fiel ihm ein, in dem etwas über Ängste geschrieben worden war. In diesem Artikel stand, dass die meisten Angst davor hatten, öffentlich eine Rede zu halten, direkt gefolgt von der Angst vor Spinnen und als letzter Stelle die Angst davor, zu Versagen. William fragte sich, ob er jemals wirklich Angst davor gehabt hatte, gegenüber seinen Brüdern zu versagen. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. Für ihn war das, was er tat, selbstverständlich. Natürlich bekam man den Posten als Abteilungsleiter nicht umsonst. Selbst er hatte dafür hart arbeiten müssen. Aber er hatte alles, was er erreichen wollte, erreicht. Es hatte nur wenige Umwege gegeben. William betrat die Krankenstation und schob sich seine Brille zurecht, wie er es so oft tat, wenn er eine Situation analysierte. Mehrere Assistentinnen liefen in blutigen Op-Kitteln und Mundschutz umher. Sie entsorgten blutige Leinenbinden und brachten warmes Wasser. „Ich brauche einen Mundschutz, einen Kittel, Schutzbrille. Die ganze Ausrüstung!“, rief der stationierte Arzt und organisierte die jungen Damen. William versuchte einen Blick auf den Shinigami zu werfen, doch sein Anblick wurde von einem Vorhang verborgen. Unwillkürlich fuhr er sich mit den Händen über die Haare und richtete seine Krawatte. Noch ehe er näher treten konnte, wurde er von einer Dame aufgehalten und in einen weißen Kittel gekleidet. Ein Mundschutz wurde ihm umgelegt und erst dann durfte er näher an den Shinigami heran treten. Vorsichtig schob William den Vorhang zur Seite und er stockte. Die Betrachtung des Shinigami versetzte ihn doch mehr in Schrecken als er erwartet hatte. Der Anblick von Blut machte ihm natürlich als Shinigami nichts aus, aber in diesem Fall war es die Menge an Blut, die ihn zurück schrecken ließ. Das ganze Bett, mitsamt den Laken, hatte sich mit der roten Flüssigkeit getränkt und der Shinigami war entsetzlich zugerichtet worden. Seine Brust war durchlöchert worden und sein Bein stand in einem unnatürlichen Winkel ab, während es so aussah, als wäre ihm ein Teil der Haut mit Gewalt abgerissen worden, so dass man den blutig roten Knochen erkennen konnte. Sein Arm hing lose an ihm herab, während der andere gänzlich fehlte. Es schien als währen auch mehrere Finger gebrochen worden. Der Kiefer war aus dem Gelenk gerissen worden und hing nur noch an vereinzelten Sehnen an der anderen Seite am Kopf fest. Mehrere Zähne fehlten. Eine Augenhöhle war gequetscht und das Auge fehlte mitsamt Sehnerven. Das andere Auge hatte die grün-gelbe Farbe, die einen Shinigami auszeichnete, fast verloren. Es war nur noch blass. Der Shinigami war blind. Er röchelte und würgte Blut hervor. Sein Brustkorb hob und senkte sich sehr stark. „Was ist passiert?“, stieß William mühsam hervor. „Dämonenangriff“, gab der Arzt knapp zurück und schien nicht recht zu wissen, um welche Wunde er sich zuerst kümmern sollte. „Die Seele?“ Er konnte spüren, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich und sich in seinem Mund mehr Speichel bildete. „Natürlich entwischt. Die Überreste seiner Death Scythe liegen dort drüben.“ Mit einem Kopfnicken deutete der Arzt in eine andere Ecke der Station. „Wer hat ihn gefunden?“, fragte William kühl und schluckte den Speichel hinunter. „Ein anderer Shinigami. Er hatte ihn gerade so retten können. Meine Kollegin untersucht ihn gerade und beruhigt ihn. Er liegt am anderen Ende der Station.“ William starrte auf den Körper vor ihm und es schien. als wüsste der Shinigami genau, dass er da war, und als könne ihn das blinde Auge doch sehen. Er fragte sich, wie er noch leben konnte. „Mr. Spears? Mr. Spears, hören Sie mir zu?“, fragte der Arzt lauter und William erwachte aus seinen Gedanken. „Natürlich höre ich Ihnen zu“, antwortete er kalt und rückte die Brille zurecht. „Sie können ihn nicht mehr retten. Ich verstehe.“ Der Arzt nickte. „Seine Verletzungen sind zu viel und zu schwer. Sein Leben wäre eine einzige Qual, selbst wenn er die Operation überleben würde. Er würde nie wieder arbeiten können.“ William nickte. „Ist er bei Bewusstsein?“ „Ja, der Dämon hat es geschafft ihn bei Bewusstsein zu halten.“ William trat näher an den Shinigami heran und beugte sich ein Stück zu ihm herunter. Seine Augen suchten nach einem Anzeichen von Leben. „Dann soll er selbst entscheiden, was mit ihm geschehen soll.“ Er wandte sich dem Mann auf dem Bett zu. „Hören Sie mich?“ Ein zaghaftes Nicken oder war es Einbildung? „Wollen Sie weiterleben?“ Der Kopf bewegte sich schwach zur Seite. „Sollen wir Sie von Ihrem Schmerz erlösen?“ Ein Röcheln entkam der Kehle und der Kopf nickte, während der Kiefer aussah als würde er gleich von der letzten Sehne abfallen. William richtete sich wieder auf. „Schwester, die Spritze!“, rief er und nur wenige Sekunden später wurde ihm eine große Spritze mit einer langen und dünnen Nadel gereicht. „Wir spritzen ihm jetzt eine Überdosis eines Narkosemittels. Es wird gleich wirken und er wird dann friedlich einschlafen“, erklärte der Arzt an William gerichtet und führte die Nadel langsam in den verbliebenen Arm. Die Vene war getroffen und er spritzte das Mittel in den Blutkreislauf hinein. William wartete zusammen mit dem Arzt bis der Shinigami aufgehört hatte zu atmen, ehe eine der Assistentinnen ein Tuch über ihn legte. Sofort wandte er sich ab und entledigte sich dem lästigen Mundschutz und Kittel. Aus irgendeinem Grund war Blut an Letzteres gekommen, aber das war nun nicht mehr wichtig. Er musste jetzt wie eine Maschine funktionieren und sich um den verbliebenen Shinigami kümmern. Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und fand in einem der hintersten Betten einen älteren Shinigami vor. Anders als der eben Verstorbene war er nur halb so schlimm zugerichtet worden. Lediglich ein paar Kratzer zierten seine Haut. Er war also noch glimpflich davongekommen. Der Mann war bei Bewusstsein und William zog sich einen Stuhl heran. Er ließ sich darauf nieder und überschlug die Beine. „Was ist passiert?“, fragte er und bekam von dem Verletzten geschildert, was geschehen war. Es war ein kurzer Bericht und es schien dem Mann Mühe zu kosten, ihm alles zu erzählen. „Sobald Sie sich erholt haben, werden Sie einen Rechenschaftsbericht abgeben müssen. Ebenso einen Bericht über den Angriff.“ Langsam erhob sich William. „Ich werde Sie für die nächsten drei Monate von der Arbeit befreien lassen.“ „Verstanden“, war die leise Antwort. „Gute Besserung“, sagte William, aber der Mann hatte bereits die Augen geschlossen und schlief. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ der Shinigami die Station und ging zielstrebig auf die nächste Toilette zu. Mit einem kräftigen Schwung riss er die Tür auf und ging hinein. Kurz sah er sich um, schob die Brille höher und ging in eine Kabine. Sorgfältig schloss William ab und lehnte sich dagegen. Ein lauter Seufzer entfuhr ihm und er war froh, dass niemand dort war. Sein Magen rumorte und er konnte den Geschmack von Galle auf der Zunge schmecken. Es war einfach nur widerlich! Der Anblick des verstümmelten Shinigami hatte ihn an den Rand seiner Nerven getrieben. So etwas hatte er noch nie gesehen und er hatte Mühe gehabt, sich nicht vor dem Arzt und den Assistentinnen zu übergeben. Er brauchte dringend eine Auszeit und etwas Schlaf. Vielleicht würde das helfen, den Anblick vergessen zu können. Langsam legte er den Kopf in den Nacken und atmete tief ein und aus. William versuchte, sich andere Bilder in den Kopf zu rufen, um seinen Magen zu beruhigen. Bedingt und nur langsam beruhigte sich sein Magen, während der Gallengeschmack immer noch auf seiner Zunge lag. Was hatte er während seiner Ausbildung gelernt? Wie verstanden die Menschen den Tod? Gab es nicht ein paar Philosophen, die sich damit beschäftigt hatten? Materie konnte nicht vernichtet werden, sie ging nur in einen anderen Zustand über. Er hatte damals unzählige Sätze lernen müssen, die sein damaliger Ausbilder ihn immer wieder abgefragt hatte. Der Tod war der Beginn von etwas Neuem und das Ende von etwas Altem. Die meisten Menschen hielten den Tod nur für das Ende. Das Ende des Lebens, der guten Zeit also. Aber was wussten schon Menschen? Noch einmal atmete William tief ein und schloss die Tür auf. Am Waschbecken spritzte er sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und betrachtete sein Spiegelbild. Er sah noch immer sehr blass aus, aber immerhin wollte sein Magen sich nicht mehr entleeren. Auf dem Weg zum Wohngebäude begegnete er niemanden mehr und so konnte er endlich Feierabend machen. Einen sehr frühen Feierabend. Aus seiner Hosentasche zog er seinen Schlüssel und schloss die Tür auf, aber noch ehe sie auf war, hört er schon eine freudige Stimme, die ungeduldig auf ihn gewartet hatte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Ich bin ja gleich da“, flüsterte er und innerlich freute er sich schon sehr auf seine Lieblinge. Er öffnete die Tür und ging in seine Wohnung. Von unten sahen zwei Paar große Augen zu ihm herauf und gaben freudige Laute von sich. „Hallo ihr Süßen“, sagte er mit einem leichten Lachen in der Stimme, während er versuchte, sich einen Weg zu seinem Schreibtisch zu bahnen, wobei seine Beine umspielt wurden. Immer wieder gaben seine Lieblinge laute und freudige Mauzer von sich. Er legte seine Tasche auf den Schreibtisch ab und sofort sprang ein weiß-braunes Fellknäuel darauf und mauzte protestierend, da es nicht die Aufmerksamkeit bekam, die es zustand. William zog seine Handschuhe aus und strich sofort über das weiche Fell der weißen Katze mit den braunen Flecken. Die Katze schloss genießerisch die Augen und lief auf der Tasche herum, während sie tief und zufrieden schnurrte. Sie reckte den Hals, so dass er auch dort streicheln konnte. Ihre Krallen gruben sich in den Stoff der Tasche und sie drückte ein wenig darauf herum, ehe sie sich zufrieden darauf niederließ und weiter schnurrte. William beugte sich herunter und stupste mit seiner Nase gegen die der Katze. Er gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn und konnte für einen kurzen Augenblick den angenehmen Geruch des Felles riechen. Zu seinen Füßen verlangte aber noch jemand nach Aufmerksamkeit und schnurrte bereits, ehe er überhaupt dazu kam, über das tiefschwarze Fell zu streichen. „Wart ihr denn artig?“, fragte er und sah sich kurz im Zimmer um. Die Katze schnurrte zur Antwort. „Natürlich wart ihr das.“ Nur widerwillig hörte er auf, die zweite Katze zu streicheln und ging zu dem großen Käfig hinüber, in den er hinein spähte. Das Heu lag unordentlich herum und die Möhren waren gänzlich verschwunden. Dafür sahen ihn zwei Hasen neugierig an als schienen sie auf Nachschub zu warten. Das Schlappohr mümmelte gerade ein wenig an dem Heu herum. Sein Fell war bunt gesprenkelt als hätte er sich nicht entscheiden könne, welche Farbe er haben wollte. Sein Bauch war weiß, während der Rest des Körpers braun, schwarz und weiß getupft war. Das zweite Häschen mit dem weißen Fell machte Männchen und schaute ihn neugierig an. Die schwarzen Ohren stellten sich auf. William öffnete den Käfig und streichelte den beiden Hasen kurz übers Fell und hinter den Ohren, während aus dem großen Aquarium mit den bunten Fischen ein Gluckern kam von dem Filter, der das Wasser sauber hielt. Das Schlappohr ließ sich abrupt auf die Seite fallen und schloss die Augen. William musste grinsen. „Eine gute Idee, Samy. Ein wenig Schlaf tut gut.“ Sorgfältig verschloss er wieder den Hasenkäfig und ging ins Schlafzimmer. Zum Glück war das Objekt Grell Sutcliffe noch auf der Arbeit und so hatte er wenigstens etwas Ruhe. Mit einer fließenden Bewegung lockerte er seine Krawatte und hängte sie über einen Bügel für Krawatten. Dann entledigte er sich dem Jackett und der Weste. Er streifte die Hosenträger ab und zog die Hose aus. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel erregte seine Aufmerksamkeit und sein Herz setzte für einen Moment aus. Doch es war nur die weiße Katze, die auf das Bett gesprungen war und sich ein Kissen zu eigen gemacht hatte. William atmete erleichtert aus. Er dachte schon Grelle hätte ihn beobachtet, dabei war es nur Jess gewesen. Er strich der Katze über den Kopf und knöpfte sein weißes Hemd auf. Ordentlich hängte er seine Sachen auf einen Kleiderbügel. Der Shinigami streckte sich und ließ sich ins Bett fallen. Er verzichtete ausnahmsweise mal auf den Pyjama oder einem anderen Oberteil. Die Müdigkeit war einfach zu viel. Grelle war ja zum Glück nicht in der Nähe und die Einzigen, die ihn nur in seiner Unterhose sehen konnten, waren seine Tiere. William zog sich die Decke über und spürte dann ein Gewicht auf seinen Beinen, dass langsam und bedächtig höher schlich. „Maisy, zieh deine Krallen ein“, nuschelte er während die schwarze Katze höher schlich und sich neben ihm nieder ließ. Ihr warmer Körper schmiegte sich an ihn heran und begann zu schnurren. Er konnte die Vibration spüren, die den ganzen Körper erfüllte. Seine Hand begann die Katze zu streicheln, während Jess ihn mit der kalten Nase an die Hand stupste. Irgendwie schaffte sie es, sich unter seine Hand zu legen, während er langsam einschlief und das Schnurren der beiden genoss. William wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber er fühlte sich alles andere als ausgeruht, als er aufwachte. Seine Beine lagen in einem merkwürdigen Winkel und er konnte spüren, dass Jess oder Maisy zwischen ihnen lag und der Grund war, weshalb er so breitbeinig schlief. Eine kalte Nase berührte seine Wange und Schnurrhaare kitzelten ihn. Er gab ein leises Stöhnen von sich und strich der Katze über den Kopf und versuchte weiter zu schlafen. „Miau“, hörte er und spürte, wie sich eine der beiden an ihn schmiegte. Blind fuhr er über den Kopf und hörte wieder ein „Miau“. Wieso fühlte er sich beobachtet und wieso klangen Jess und Maisy beim Mauzen mit einem Mal so schrill? Verschlafen öffnete er die Augen und erkannte verschwommen grüne Augen und eine in Rot gekleidete Person. „Endlich bist du wach, mein William!“, kam es direkt schrill von Grelle Sutcliffe, der sich sofort an ihn schmiegte wie eine Katze. William schreckte zurück und zog sofort seine Hand von Grelles Kopf, den er versehentlich getätschelt hatte. „Oh mein Will, du siehst ja so süß aus, wenn du schläfst!“, trällerte Grelle fröhlich und schlang die Arme um den sich noch im Halbschlaf befindenden Shinigami. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, wie sich Jess aufrichtete und mit einem mürrischen Mauzen vom Bett sprang. Den Schwanz in die Höhe gestreckt stolzierte sie aus dem Zimmer und reckte sich erst ausgiebig am Kratzbaum. William versuchte sich gegen Grelle zu wehren und stieß ihn von sich. „Aber Will“, schmollte Grelle und schaute ihn aus traurigen Augen an. „Eben hast du mich noch zärtlich gestreichelt. Miau. Zu deinen Tieren bist du viel netter als zu mir.“ William richtete sich auf und tastete nach seiner Brille. Er setzte sie auf und schenkte Grelle einen kühlen Blick. Aus großen und traurigen Augen schaute der rothaarige Shinigami ihn an und sein Blick ging gierig über Williams freien Oberkörper. „Oh William, dein Körper ist einfach nur zum Anbeißen!“ Ohne weitere Vorwarnung sprang Grelle ihn an und warf ihn zurück ins Bett. Seine Finger zogen vorsichtige und leichte Kreise auf seiner Brust. Genervt seufzte er auf und versuchte damit seine Gänsehaut zu überspielen, die diese Berührung verursacht hatte. Eher würde er sterben als vor Grelle zuzugeben, dass er so etwas bei ihm ausgelöst hatte. „Nehmen Sie sofort Ihre Hände von mir, Grelle Sutcliffe!“, befahl er in kaltem Ton und umfasste Grelles Handgelenk. „Miau“, machte Grelle und legte seinen Kopf auf die nackte Brust. „Dabei bin ich schon wie eine deiner geliebten Katzen und du weist mich immer noch ab.“ „Aus gutem Grund!“, sagte William und stieß Grelle erneut von sich. „Jess und Maisy sind nicht so aufdringlich und laut! Und überhaupt, wer hat Ihnen überhaupt erlaubt in mein Schlafzimmer zu kommen? Wir hatten eine Vereinbarung, als Sie hier mit einquartiert wurden!“ Grelle seufzte und ließ von ihm ab. Dafür legte er sich auf das Bett und sah William erwartungsvoll an. Seine Beine hingen in der Luft und wippten hin und her. „Deine kühle Art gefällt mir sogar noch besser!“, seufzte er wehmütig. „Was wollen Sie?“, fragte William genervt. „Ich möchte mit dir einkaufen gehen!“, trällerte Grelle. „Ich möchte unbedingt mit dir shoppen gehen!“ Williams Augen verengten sich zu Schlitzen. „Sie verlassen sofort mein Schlafzimmer!“ „Aber…“, setzte Grelle wehmütig an. „Kein aber! Ich hatte die ganze Nacht gearbeitet und bin jetzt erst ins Bett gekommen! Ich will schlafen!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um, legte die Brille ab und zog die Decke höher. Er konnte spüren, wie sich die Matratze bewegte und er betete darum, dass Grelle sich verziehen würde. Doch er wurde mit einem Mal herumgerissen und Grelle schwang sich auf seine Hüfte, so dass er auf ihm saß und auf ihn herab sah. Die langen roten Haarspitzen kitzelten ihn dort, wo sie ihn berührten. Grelles Finger strichen über den Brustkorb. „Ich mache dir ein Angebot, William.“ „Egal, was es ist: abgelehnt! Ich will schlafen!“ William drückte Grelle von sich. „Hör es dir doch wenigstens an“, schmollte er. Resigniert seufzte er. „Wenn du jetzt mit mir in die Stadt einkaufen gehst, werde ich für die restliche Zeit nicht mehr versuchen, nachts heimlich in dein Bett zu schleichen.“ „Mir wäre es lieber, wenn Sie gänzlich aufhören könnten, mich an zu graben!“ Grelle seufzte. „Das fällt mir aber bei einem so heißen Mann wie dir schwer! Na gut, ich schleiche mich nicht mehr ins Bett und werde auch nicht mehr versuchen, mit unter die Dusche zu kommen!“ „Und das nur, wenn ich jetzt mit Ihnen in die Stadt gehe?“ Irgendwo war ein Haken. Niemals würde Grelle so ein Versprechen einhalten können. Selbst die Vereinbarung, die sie getroffen hatten, dass Grelle auf dem Sofa schlief und er in seinem Bett, missachtete er gänzlich. Bisher hatten sie jeden Abend diskutiert und jede Nacht schmiss er das Objekt aus dem Zimmer! Grelle nickte und sein Gesicht hellte sich auf. „Du kommst also mit?“ „Wo ist der Haken?“ „Aber mein lieber William“, seufzte Grelle. „Du solltest wissen, dass ich Versprechen immer einhalte, auch wenn mir dieses sehr, sehr schwer fallen wird. Immerhin bist du ein Wahnsinns Mann.“ Gierig wanderte sein Blick über William und es schien als müsste er sich verkneifen zu sabbern. „Einverstanden. Aber wehe, wenn Sie noch einmal versuchen, nachts ins Bett zu kommen oder mit unter die Dusche, dann können Sie im Garten übernachten! Und jetzt gehen Sie runter von mir!“ Grelle gab einen Freudenschrei von sich, der William in den Ohren weh tat. Er drückte den Shinigami an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange! „Hach, William, du bist der Beste!“ Freudig hüpfte er vom Bett und aus dem Zimmer, nicht aber, ohne William noch vorher zuzuzwinkern. „Wir sehen uns dann unten! Ich warte auf dich!“ William stöhnte und setzte sich auf. Er stützte den Kopf auf die Hand. Worauf hatte er sich da in seiner geistigen Umnachtung und in seiner Verzweiflung nur eingelassen? Er bereute es, aber wollte er wissen, mit was Grelle ihn sonst noch gequält hätte? Angewidert wischte er sich über die Wange und ein kalter Schauer glitt ihm über den Rücken. Ein Stupser an der Hand ließ ihn aufsehen und Maisy sah ihn auffordernd an. „Ihr würdet das sicherlich nie von mir verlangen“, seufzte er und kraulte kurz die Ohren der Katze ehe er aufstand und sich anzog. Laute Stimmen drangen an seine Ohren, während er in dem Raum, in dem er sich befand, auf einem weichen Polster saß. Es war hell und es herrschte eine angenehme Kühle. Die Stimmen wurden lauter und er konnte heraus hören, dass es sich um Verkaufsgespräche handelte, Gespräche unter Freunden und Familien. Ein Kind lief laut lachend an ihm vorbei. William spürte den Windzug, den das Kind hinterließ. Wo war er nur? Wie war er dort hingekommen? Was war geschehen? Langsam öffnete William die Augen und befand sich mitten in einem Kaufhaus. Frauen mit Kindern liefen an ihm vorbei, bepackt mit Einkaufstüten. Mehrere junge Mädchen kicherten in einer Gruppe und begutachteten die Waren in den Schaufenstern. Ein paar Mitarbeiter räumten ein paar Abfälle aus dem Weg, die Besucher achtlos dorthin geworfen hatten. Eine Familie ging die Treppe zur nächsten Etage hoch. Nachdenklich schob er sich seine Brille hoch und versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Er erinnerte sich daran, dass er mit Grelle Sutcliffe einen Handel abgeschlossen hatte und er war mit ihm zum Einkaufen gegangen. Langsam kam auch die Erinnerung, dass der rothaarige Shinigami ihn in unendlich viele Geschäfte gezerrt hatte, um dort alles Mögliche an Kleidung anzuprobieren, sowohl die für Herren als auch für Damen. William konnte sich kaum daran erinnern, so viele Kleidungsstücke gesehen zu haben und so viele Taschen. Seine Augen huschten umher und überflogen die Schilder. Langsam stand er auf und ging zu einem Informationsschild. Kurz sah er sich um und fand auf der Karte in welcher Etage er war. Von Grelle war weit und breit keine Spur zu sehen oder gar zu hören. William zuckte mit den Schultern und machte sich auf den Weg ins Erdgeschoss. Es war seine eigene Schuld, wenn er sich einfach so aus dem Staub machte. Mit schnellen Schritten ging er die Stufen hinunter. Es war nie vereinbart worden, wie lange er mit Grelle einkaufen gehen sollte. Er griff in die Tasche seines Hemdes und die seiner Hose. Sein Herz setzte aus. Wo war sein Geldbeutel? William war sich absolut sicher, dass er ihn eingesteckt hatte, als er losgegangen war. Ein Knurren entfuhr ihm. Wenn Grelle ihm den Geldbeutel abgenommen hatte und sein Geld ausgab, würde er für nichts garantieren! William bekam einen Stoß gegen die Hüfte und drehte sich um. „Entschuldigung!“, kam es von einer Kinderstimme, doch als das Kind Williams Blick begegnete, schreckte es sofort zurück. Sein Blick war eiskalt und sprach Bände. „Oh! Mr. Spears, hallo.“ William drehte sich herum, während das Kind die Chance ergriff und zurück zu seiner Mama lief. Williams Blick wanderte über das Gesicht einer vertrauten Person. Lily McNeil. Hinter ihr tauchte Nakatsu Shinamoto auf. Sein rechtes Ohr war gerötet und geschwollen. Es war auch nicht schwer zu erkennen, was der Grund dafür war. Ein frisch gestochener Ohrring blitzte auf. Nachdenklich betrachtete William T. Spears die beiden Auszubildenden. „Miss McNeil, wie viel Geld haben Sie dabei?“, fragte er tonlos und war wieder ganz der kühle Abteilungsleiter. Das Mädchen zuckte zusammen. „Hallo, Mr. Spears“, sagte ihr Freund und wandte sich aber direkt an Lily. „Wollen wir jetzt zum Café gehen?“ William nickte dem Jungen zur Begrüßung zu. „Ja, einen Moment, Natsu“, sagte Miss McNeil. „Haben Sie Ihre Geldbörse verloren, Mr. Spears?“ Leise und unbemerkt stieß William einen Seufzer aus und erklärte den beiden die Situation. Denn, wenn er nach Hause wollte, musste er es ihnen erklären und kam nicht drum herum. „Mr. Sutcliffe wird Ihnen das Dreifache zurück geben. Keine Sorge“, schloss er seine Erklärung ab und ballte bei dem Gedanken, dass dieses Subjekt irgendwo in diesem Haus sein Geld ausgab die Hände zu Fäusten. „Ähm…ja, natürlich kann ich Ihnen aushelfen“, sagte sie und griff in ihre Tasche, doch noch ehe sie ihre eigene Börse heraus nehmen konnte, erklang ein Signalton. „Achtung, Achtung! Eine wichtige Durchsage! Ich wiederhole: eine wichtige Durchsage!“, erklang es aus den Lautsprechern. „William T. Spears aus der Shinigami Dispatch Society wird vermisst! Sein Betreuer und Begleiter Grelle Sutcliffe wartet am Informationsstand im ersten Stock. William ist etwa ein Meter Zweiundachtzig groß, trägt eine Brille und hat schwarze Haare. Er trägt ein grünes Hemd und eine blaue Hose. Grelle ist in großer Sorge und bittet alle Kunden und Angestellten dringend um Hilfe bei der Suche! Zuletzt wurde er in der ersten Etage gesehen!“ Ein Schauer lief über Williams Körper und er begann vor Wut zu zittern. Deutlich konnte er die Blicke der Kunden und Mitarbeiter auf sich spüren. So musste sich also Miss McNeil die ganze Zeit fühlen, seit Mr. Knox fort war und es die Gerüchte gab. Leises Tuscheln machte sich breit. Ein paar Kinder deuteten heimlich mit den Fingern auf ihn. „Das Problem löst sich jetzt von selbst“, sagte er zu Lily und versuchte eine aufrechte Haltung zu bewahren. „Aber vielen Dank.“ Das junge Mädchen nickte. „Gut, dann noch einen schönen Tag“, verabschiedete sie sich. „Einen Moment noch, Miss McNeil“, sagte William. „Wenn ich Sie einmal sehe, möchte ich Sie doch bitten, dass Sie heute Abend um Neunzehn Uhr auf mein Zimmer kommen. Ich muss mit Ihnen über Ihre Hausaufgabe sprechen.“ Sie nickte und er konnte ihr deutlich ansehen, dass sie sich fragte, ob sie so schlecht war. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht, aber darum konnte er sich jetzt nicht kümmern. Außerdem hatte sie jemanden zur Begleitung dabei. William verabschiedete sich von ihr und von Nakatsu. Ohne auf eine Antwort von den Beiden zu warten, ging er zurück in den ersten Stock und begab sich zum Informationsstand. Noch ehe er überhaupt den roten Haarschopf erkennen konnte, konnte er ihn aber sehr deutlich hören. „William!“, kreischte es ihm entgegen und ein sehr erleichtert aussehender Grelle lief auf ihn zu. Mit offenen Armen rannte er ihm entgegen, doch William trat zur Seite und ließ ihn ins Leere laufen. „William, wieso…?“, fragte er traurig. „Ich habe mir doch solche Sorgen um dich gemacht!“ Leise knurrte er und sah den Shinigami mit tödlichen Blicken an. „Mr. Grell Sutcliffe, was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht!?“ Es kostete ihn mehr Mühe als erwartet, seine Stimme ruhig zu halten. „Aber William…“, begann Grelle mit zittriger Stimme. „Du warst eingeschlafen und ich wollte dich nicht wecken! Es sah einfach nur hinreißend aus, wie du dort gesessen und geschlafen hast!“ William verdrehte die Augen und packte Grelle an den Haaren, als er ihn erneut umarmen wollte. „Sie haben sich heimlich mit meinem Geld aus dem Staub gemacht!“ „Aber das stimmt doch gar nicht!“, jammerte Grelle und hielt William seine Geldbörse entgegen. „Ich habe nur darauf aufgepasst, während du geschlafen hast!“ Unsanft entriss er ihm den Gegenstand und spähte hinein. Es war wirklich alles noch an Ort und Stelle. Sofort schob er die Börse in seine Hemdtasche, während er noch mit einer Hand Grelle an den Haaren gepackt hielt. Vielleicht schätzte er dieses Subjekt ein wenig falsch ein? „Jetzt guck doch nicht so als würdest du mich hassen, William“, jammerte der rothaarige Wirbelwind. „Ich wollte nur Danke sagen“, gab William kalt zur Antwort und schob seine Brille zurecht. „Der Einkauf ist trotzdem beendet!“ „Aber William…“ Die Hoffnung, die in den Augen von Grelle aufgekeimt war, erlosch wieder. „Du kümmerst dich gar nicht um mich…“ „Ich bin auch nicht Ihr Unterhalter.“ „Dabei habe ich es sogar geschafft, dass wir als Zimmergenossen etwas gemeinsam unternehmen. Nach den zwei Wochen sehe ich bestimmt aus, wie deine Zimmerpflanzen oder wie die armen Pflanzen in deinem Büro!“ Grelle zog die Unterlippe zu einem Schmollen vor. William seufzte leise. „Etwas, was ich nachher sofort ändern werde.“ Es stimmte. Er hatte in den letzten Tagen wirklich ein paar kleine Dinge vernachlässigt, wie die Pflanzen in seinem Apartment oder Büro. Die Orchideen, der Efeu und das Katzengras sahen wirklich ein wenig verkümmert aus. Es gab sogar schon braune Blätter. Dabei standen sie extra in den Zimmern, um etwas Farbe und gute Atmosphäre in die sonst so trostlosen Räume zu bringen. Er würde es sofort nachholen, wenn er zu Hause war. Immerhin fraßen Jess und Maisy am Katzengras und sollten sich nicht den Magen verderben. Es roch immer widerlich, wenn sich eine von beiden übergab. Aber als Besitzer musste er damit leben. „Und Sie?“, fragte er. Grelle sah ihn fragend an. „Soll ich Sie nachher auch mit Wasser gießen und beschneiden, wenn Sie sich schon beschweren?“ William verzog keine Miene, musste aber innerlich lächeln. Grelle sah seinen Gegenüber überrascht und sprachlos an. „Natürlich nicht! Ich bin doch keine Topfpflanze!“, empörte er sich. William zog die Schultern hoch. „Dann nicht, aber dann beschweren Sie sich auch nicht. Ich weiß auch nicht, was die sich von der Wohngenossenschaft dabei gedacht haben Sie in mein Zimmer mit einzuquartieren.“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog er Grelle an den Haaren hinter sich her. Der Rothaarige konnte noch schnell seine Einkaufstaschen greife ehe er von William zurück zur Society gezerrt wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)