Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Kapitel 6: Asyl --------------- Das waren ja großartige Aussichten für die kommende Woche. Zuerst zog Nakatsu in ihr Zimmer und jetzt auch noch ihr Mentor! Wenn das nicht vielversprechend klang, wusste Lily auch nicht mehr. So viel Glück konnte doch nur sie haben! Lily warf Nakatsu einen Seitenblick zu. Sie konnte deutlich merken, dass seine lockere Haltung einer Anspannung gewichen war. Als er ihren Seitenblick erwiderte, konnte sie sehen, dass er genauso begeistert war wie sie. Es passte ihm überhaupt nicht, dass Mr. Knox den Anstandswauwau spielen würde. Leise seufzte Lily und stand auf. Nervös verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken und spielte mit dem Saum ihres Oberteils. „Ähm…kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen, Mr. Knox?“ Ronald sah sich in dem Apartment um, fuhr sich durch die Haare und ließ sich zufrieden aufs Sofa fallen. „Gerne. Haben Sie Wasser da?“ Ihn schien es nicht im Geringsten aufzufallen, dass er sie beide nervös machte. Seine Stimmung war wie immer fröhlich, gut drauf und er genoss den Feierabend ohne Überstunden. „Ja, habe ich. Einen Moment bitte.“ Nervös und mit stark klopfendem Herzen ging sie zu der kleinen Küchenecke. „Nakatsu, möchtest du auch etwas trinken?“ „Nein, danke. Ich geh eben duschen.“, gab er zur Antwort und nur wenige Sekunden später konnte sie die Badezimmertür zugehen hören. Lily holte zwei Gläser aus dem Schrank und eine große Flasche Wasser. Noch immer sehr unruhig ging sie zurück zu dem Sofa, stellte die Gläser ab und füllte sie mit Wasser auf. „Mr. Knox, wieso sind Sie hier?“, fragte sie vorsichtig und saß viel zu verkrampft neben ihrem Mentor, „Ich meine, nur wenn ich den Grund wissen darf.“ Ronald trank das Glas in einem Zug leer und stellt es zurück auf den Tisch. Dann schlug er seine Beine übereinander und lehnte sich entspannt zurück. „Ich habe heute Mittag zufällig mitbekommen, wie ihr guter Freund, Mr. Shinamoto, mit dem Shinigami, der eigentlich hier sein sollte, zur Verwaltung gegangen ist, um das Zimmer zu tauschen. Ich hielt es daher nur für angebracht, wenn ich ein wenig auf Sie aufpasse.“ Was sollte sie dazu sagen? Ihr Mentor durfte nicht die Woche in ihrem Apartment verbringen! Es machte sie viel zu nervös und sie würde sich gar nicht mehr auf die Schularbeiten konzentrieren können. Es reichte außerdem schon, wenn Nakatsu sie von ihrer Arbeit ablenkte. „Mr. Knox, was macht es denn für einen Unterschied, welcher Shinigami in meinem Zimmer wohnt?“ „Gar keinen. Es geht ums Prinzip.“, sagte er und lächelte frech. Innerlich seufzte Lily, aber sie würde nicht aufgeben. Vielleicht schaffte sie es ja, ihn zu überreden, wieder auszuziehen und ihn ganz davon zu überzeugen, dass er nicht den Aufpasser spielen musste. Plötzlich kam ihr eine Idee. „Ich sag es auch nur ungern, aber ich habe nicht genug Schlafplätze. Auf dem Sofa kann nur eine Person schlafen und ich glaube kaum, dass Sie mit Nakatsu zusammen im Bett schlafen wollen, oder? Außerdem frage ich mich, wie ich mich unter den Männern in der Abteilung behaupten soll, wenn Sie auf mich aufpassen?“ Ronald Knox legte den Kopf leicht in den Nacken und einen Finger nachdenklich an die Lippen. Er ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen, während sein Finger gegen seinen Mund tippte. „Stimmt. Das würde ich wirklich nur ungern tun. Ich teile das Bett nur mit Frauen. Sie haben Recht. Wenn Sie selbstständig werden und sich behaupten wollen, sollte ich nicht noch auf Sie aufpassen. Ich werde dann wieder in mein Zimmer ziehen.“ Innerlich stieß Lily einen Freudenschrei aus. Es war nicht so, dass sie ihren Mentor nicht mochte und nicht gerne mit ihm arbeitete, aber als Zimmergenossen musste sie ihn nicht haben. Ronald stand gerade vom Sofa auf und wollte seine Sachen nehmen, als die Tür zum Badezimmer aufging. Sofort ging Lilys als auch Ronalds Blick zu Nakatsu, der jedoch alles andere als bekleidet im Wohnzimmer stand. Sein Oberkörper war nackt und um die Hüfte hatte er nur ein großes Handtuch gebunden. Kaum hatte Lily einen Blick auf ihn geworfen, drehte sie sich sofort mit dem Rücken zu ihm und lief rot an. „Lily, ich leih mir mal dein Shampoo. Meins ist leer. Erinnere mich bitte daran, dass ich mir Neues kaufe“, sagte Nakatsu und machte wieder die Tür zum Badezimmer zu. „Ja, ja!“, sagte sie nur zur Antwort und legte die Hand beschämt und verzweifelt über die Augen. So viel zu ihrem genialen Plan, ihren Mentor aus dem Zimmer zu bekommen. In Gedanken erwürgte sie Nakatsu gerade für dieses super Timing. Lily wusste genau, dass ihr Mentor Nakatsu ungläubig angestarrt hatte. Sicherlich würde er jetzt erst recht bleiben. „Nun“, begann er und stellte seine Tasche wieder auf den Boden ab, „Nach dieser kurzen Demonstration halte ich es für angebracht, doch zu bleiben. Wer weiß, was in er in der Nacht anstellt, wenn er schon halbnackt durch Ihr Apartment läuft.“ „Mr. Knox, das hat nichts zu bedeuten!“, versuchte sie schnell die Situation zu retten, „Nakatsu ist nur ein guter Freund und ich bin davon überzeugt, dass er das nicht dauerhaft macht, sondern dass es nur eine Ausnahme war! Es kommt nicht noch einmal vor!“ Mit einem kritischen und nicht überzeugten Blick wurde sie von ihrem Mentor gemustert. „Wirklich.“, fügte sie hinzu und hörte wie die Tür zum Bad aufging. Lily drehte sich um und wäre Nakatsu in diesem Moment am liebsten an die Kehle gesprungen. Er kam nur mit einem Handtuch bekleidet aus dem Bad! Dabei hatte sie gerade laut geschworen, dass es nur eine Ausnahme war und es nicht noch einmal vorkommen würde. Lily wollte nur noch im Boden versinken. „Was ist los, Lil? Du siehst so niedergeschlagen aus“, fragte Nakatsu besorgt und ahnungslos darüber, was er gerade angerichtet hatte. „Nichts…“, murmelte sie und legte ihre Hände an die Schläfe, „Es ist nichts…“ „Sehr überzeugend, Miss McNeil“, sagte Ronald und setzte sich wieder auf das Sofa, „Ich bleibe bei meinem Entschluss.“ „Habe ich etwas verpasst?“, fragte Nakatsu verwirrt. „Nein“, antwortete Lily schnell, ehe es Ronald tun konnte. „Zieh dich lieber an.“ „Na gut. Wenn keiner mit mir reden will…“, sagte er leicht schmollend und wühlte in seiner Tasche nach frischen Sachen, „Ach Lil, hast du Mr. Knox schon wegen den Extra-Stunden gefragt?“ Nun wurde ihr Mentor hellhörig und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Lily zu, während Nakatsu in ihr Schlafzimmer ging und sich umzog. „Extra-Stunden?“, fragte er und seine Stimme hatte einen leicht tadelnden Unterton. „Gibt es ein Problem, von dem ich wissen sollte? Worum geht es?“ Ergeben seufzte Lily und lehnte sich zurück. „Ja, wenn man es so nennen will, hab ich ein Problem.“ „Erzählen Sie.“, forderte er sie auf und beugte sich nach vorne. Ronald war ernst geworden, ganz in die Rolle des Mentors vertieft. „Na ja…“, fing sie an und überlegte, wie sie es sagen konnte, ohne dass es allzu unangenehm werden würde. „Sag doch wie es ist und drucks nicht rum!“, rief Nakatsu aus dem Schlafzimmer. „Ruhe auf den billigen Plätzen!“, gab sie als Antwort mit roten Wangen zurück. „Was ist los, Miss McNeil?“, fragte Ronald, Nakatsus Zwischenruf ignorierend. „Also…“ „Sag doch einfach, dass du heute im Schwimmunterricht fast abgesoffen wärest, ein Wiederbelebungsbussi brauchtest und nicht schwimmen kannst!“ „Ruhe hab ich gesagt!“, rief sie zurück und ihre Wangen fingen an zu glühen. „Sie können nicht schwimmen und mussten wiederbelebt werden?“, fragte Ronald dazwischen und klang besorgt. „Ja, ich kann es nicht und Mr. Spears sagte, Sie sollen mir Unterricht geben.“ Lily war es mehr als nur peinlich, ihren Mentor darum bitten zu müssen und Nakatsu war auch keine Hilfe dabei. Ronald nickte und legte ihr aufmunternd eine Hand auf die Schulter. „Wir fangen morgen an. Ich werde es Ihnen schon beibringen. Es gibt keinen Grund zu verzweifeln.“ „Danke“, sagte sie leise und war froh, es endlich hinter sich gebracht zu haben. Erneut merkte Lily, dass sie sehr viel Glück hatte mit ihrem Ausbilder. Er lachte nicht und riss auch keine Witze darüber. Er nahm seine Aufgabe ernst. „Hey, nachdem das geklärt ist, sollten wir mal klären, wer heute Nacht wo schläft“, sagte Nakatsu, als er aus dem Schlafzimmer kam und lehnte sich an die Rückenlehne des Sofas. „Es steht ganz außer Frage, dass ich neben meiner Schülerin schlafen werde. Nachdem Sie hier halbnackt durch ihr Apartment laufen, werde ich kein Risiko eingehen. Nachher beschuldigt mich William noch, nicht gut genug auf meine Schülerin aufgepasst zu haben.“ „Was soll denn das heißen?“, fragte Nakatsu aufgebracht, „Ich würde Lily nie weh tun. Außerdem bin ich ihr bester Freund, daher sollte ich besser neben ihr schlafen. Wenn Sie neben ihr liegen, kriegt sie ja kein Auge zu.“ Ronald stand aufgebracht auf. „Was?!“, stieß er empört aus, „Wie reden Sie mit mir? Und überhaupt, neben mir konnte bisher jede Frau schlafen.“ „Genau das macht mir Sorgen.“, sagte Nakatsu, „Sie sind ihr Mentor und sollten doch gerade deshalb nicht ein Bett mit ihr teilen.“ „Sie als ihr bester Freund sollten das dann auch nicht tun, wenn Sie weiterhin Freunde bleiben wollen. Es ist schon viel passiert, wenn Freunde das Bett geteilt haben.“ Lily schüttelte den Kopf. Genau das hatte sie vermeiden wollen. Das war einfach nur demütigend. Sie stand vom Sofa auf und musterte zuerst Ronald und dann Nakatsu. Beide sahen sich herausfordernd an und hatten sie vollkommen vergessen. „Hallo!“, warf sie in das Geplänkel der beiden Männer ein und stieß auf taube Ohren, „Ich kann ja auch auf dem Sofa schlafen und ihr beide in meinem Bett. Dann hat sich die Frage erledigt, wer neben mir schläft.“ „Abgelehnt!“, kam es direkt von beiden synchron. „Eine Frau sollte nie auf dem Sofa schlafen“, sagte ihr Mentor mit ernstem Gesicht. „Das hier ist deine Wohnung, Lil, da solltest du nicht das Sofa beziehen müssen“, meinte Nakatsu. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wenn jemand so über einen bestimmte und in diesem Fall waren es gleich zwei Personen, die über sie bestimmen wollten. Nakatsu als ihr Freund und Ronald als ihr Mentor. Es war schlimmer als bei ihrer Mutter und ihrem Vater, die sie ihr ganzes Leben behütet hatten. Was sollte sie nur tun? Ihre Meinung war einfach nicht gefragt und sie fühlte sich, als wäre sie wieder ein kleines Kind. Mit wachsender Neugier beobachtete Lily die Männer. Sie benahmen sich wie zwei kleine Kinder, die um ein Spielzeug stritten oder wie zwei Hunde, die um ein saftiges Stück Knochen kämpften. Keine dieser beiden Vergleiche gefiel ihr. Sie war weder ein Spielzeug noch ein Stück Knochen. „Ich stehe in der Society über Ihnen!“, kam es von Ronald, „Deshalb werden Sie tun, was ich sage!“ Nakatsu schnaubte. „Es geht aber nicht um Arbeit, sondern um einen Schlafplatz und als bester Freund sollte es mir zustehen, im Bett zu schlafen.“ „Sie haben Ihr eigenes Zimmer!“, gab Ronald zurück. „Sie doch auch.“, konterte Nakatsu. „Ich brauche Platz in der Nacht!“, kam das nächste Argument von ihrem Mentor. „Ich bin zu groß für das Sofa!“, kam es direkt danach von Nakatsu. „Unsinn! Sie haben genau die richtige Größe dafür.“, wehrte Ronald ab und musterte Nakatsus Größe und dann die Länge des Sofas. „Ich drehe mich oft in der Nacht und brauche Platz!“, versuchte es Nakatsu weiter. Lily rollte mit den Augen. So etwas konnte sie sich nicht weiter antun. „Hört mal, ich gehe jetzt. Wenn ihr euch entschieden habt, dann sagt mir Bescheid.“ Lily öffnete die Zimmertür und wartete noch einen kurzen Moment, doch weder Nakatsu noch Ronald hielten sie auf oder unterbrachen ihre Streiterei. Bei diesem Anblick konnte sie nur noch mit dem Kopf schütteln und zog die Tür zu. Ein erleichterter Seufzer entfuhr ihr. Die Ruhe im Flur war eindeutig eine Wohltat. Niemand stritt und versuchte, den anderen zu übertrumpfen. Lily überlegte, ob sie in die Gartenanlage gehen und dort die Stille genießen sollte. Ein kleiner Imbiss in der Mensa klang aber auch gut. „Na, wenn das nicht Ronalds Schülerin ist!“, hörte sie plötzlich und sah auf. Am Treppenabsatz standen Alan und Eric und beide lächelte sie freundlich an. „Hallo.“, sagte sie und hoffte, sie klang nicht allzu niedergeschlagen. „Was für eine Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?“, fragte Eric und wirkte besorgt. „Sie sehen wirklich nicht gut aus. Gibt es ein Problem?“ Lily musterte die beiden Shinigami und überlegte, ob sie sich ihnen anvertrauen oder lieber schweigen und ein angenehmes Bad nehmen sollte. Wortfetzen der noch immer angehenden Diskussion von Nakatsu und Ronald drangen an ihr Ohr und sie entschied sich, dass Alan und Eric als Gesellschaft eine gute Ablenkung waren. Vielleicht konnten die beiden Shinigami die beiden Streithähne in ihrem Zimmer zur Vernunft bringen oder hatten eine Lösung für sie. „Na ja“, fing sie an und deutete auf ihre Zimmertür, „Ich hab da drin zwei Streithähne.“ Erics Augen weiteten sich neugierig und Alan schaute sie überrascht an. „Kommen Sie mit in mein Zimmer. Dann reden wir in Ruhe darüber“, sagte Alan und ging zu seiner Zimmertür, schloss sie auf und winkte Lily herein. Ohne groß zu zögern folgte sie den beiden in das Apartment. Neugierig sah sie sich um. Alans Wohnung war nicht anders aufgebaut als ihre. Es standen nur wenige persönliche Dinge in den Schränken und dennoch konnte sie sagen, dass sie Alan gehörte. Eric hatte es sich breitbeinig auf dem Sofa bequem gemacht, sich entspannt zurückgelehnt und öffnete gerade eine Bierflasche. „Es geht doch nichts über ein kleines Feierabendbierchen“, sagte er, als er ihren Blick bemerkte. „Setzen Sie sich“, sagte Alan und stellte ihr ein Glas mit Orangensanft auf den Tisch. Er wandte sich Eric zu. „Übertreib es nicht mit dem Bier. Ich kenne dich, Eric, und ich will dich hier nicht betrunken erleben.“ „Keine Sorge“, sagte Eric und nahm einen Schluck aus der Flasche. Lily ließ sich neben Eric auf das Sofa nieder und nahm einen Schluck aus dem Glas. Als sie die beiden Shinigami musterte, fiel ihr wieder auf, wie unterschiedlich die beiden doch waren. Alan wirkte manchmal so feminin und zierlich mit seiner glatten Haut, auf der niemals ein Bartstoppel oder eine Unebenheit zu sehen war. Oder mit seinen schmalen Schultern, seiner schmalen Hüfte und den gepflegten Händen und Nägeln. Seine vollen, rosa Lippen, die auch bei einem ernsten Ausdruck den Hauch eines Lächelns hatten und sich zu einem spitzen Mund bildeten, trugen ebenfalls zu seinem leicht weiblich wirkenden Aussehen bei. Auch seine Augen waren größer als die von manch einem anderen Mann und strahlten Freundlichkeit und Erfahrung aus. Seine Stimme war auch nicht ganz so tief wie bei den meisten Männern. Gleichzeitig aber hatte er die eindeutigen Züge eines Mannes, wie das kantige Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen oder den deutlich sichtbaren Adamsapfel. Aber auch sein Blick war manchmal sehr durchdringend und kritisch, der einen dann glauben ließ, Alan könnte mit ihm direkt in die Seele sehen. Lily konnte jedoch nicht sagen, wie trainiert sein Körper war, denn die Kleidung verbarg jeden möglichen Muskel. Eric dagegen war durch und durch ein Mann. An ihm gab es nichts, was auch nur annähernd weiblich wirkte. Seine Haut glänzte manchmal fettig und zeigte etwas größere Poren, dennoch sah sie fest und gespannt aus. Oft genug waren Bartstoppeln an den Wangen und dem Kiefer zu erkennen, während sein Kinnbart erhalten blieb. An seinem Hals erkannte man gut seinen Adamsapfel, der seiner Stimme die Tiefe verlieh. Die Schultern waren breit und er hatte eine ausgeprägte Muskulatur. Seine Hände waren größer und breiter. Wenn er lächelte, bildeten sich um seinen Mund herum markante Lachfalten. Aber oft genug war der schmale Mund zu einem leichten, selbstsicheren Lächeln verzogen, das man schnell übersehen konnte, sah man nicht ganz genau hin. Erics Augen sprachen von Erfahrung, Offenheit, einer leichten Strenge und einem unbeugsamen Geist, der gerne die Oberhand hatte und die Herausforderung liebte, sowie das Spiel mit dem Gegner. Sie sprachen auch von Erhabenheit, die man mit Überheblichkeit verwechseln konnte. Obwohl Alan und Eric sich wie ein altes Ehepaar benahmen, fühlte Lily sich zwischen den beiden sehr wohl. Diese Art von Streit war anders als der, der bei ihr gerade im Zimmer stattfand. Er war nicht ernst gemeint und blieb freundschaftlich. „Was ist los, Miss McNeil? Gibt es Probleme mit dem Shinigami aus der zehnten Etage?“, fragte Alan und unterbrach ihre Gedanken. Er setzte sich in den kleinen Sessel, die Beine zusammen und nur die Füße überschlagen. Lily schnaubte abfällig. „Ich glaube, der würde mir weniger Probleme bereiten.“ Eric war hellhörig geworden, genauso wie Alan. „Wer ist dann in Ihrem Zimmer?“ „Nakatsu Shinamoto und Ronald Knox.“ „Ronald und Mr. Shinamoto?“, fragte Alan und zog die Stirn nachdenklich in Falten. „Aber die beiden haben doch ihre Zimmer auf dieser Etage“, merkte Eric an. „Ich weiß“, gab Lily zur Antwort, „Nakatsu hat mit dem Shinigami getauscht, so dass er in meinem Zimmer ist und der andere Shinigami seins dafür belegen kann. Mr. Knox hat wohl Wind davon bekommen und spielt jetzt den Aufpasser.“ Alan konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und Eric lachte laut auf. „Oje“, entfuhr es Alan, „Da haben Sie ja das Glückslos gezogen.“ „Und jetzt streiten Ronald und ihr Freund Nakatsu?“, fragte Eric. Lily nickte. „Sie streiten darum, wer heute Nacht neben mir schlafen darf.“ Jetzt, wo sie mit jemanden darüber reden konnte, fühlte sie sich einfach nur noch gedemütigt. „Was?“, entfuhr es Alan, der sie mit entgeistertem und verständnislosem Blick anstarrte, „Warum? Die beiden könnten doch in einem Bett schlafen und Sie auf dem Sofa.“ „Ich weiß.“ „Und wo ist dann das Problem?“, fragte Alan verwirrt. „Dieser Vorschlag wurde abgelehnt“, seufzte sie. Daraufhin schwieg Alan und Eric konnte einen Lachanfall nicht mehr unterdrücken, trotz des mahnenden Blickes seines Freundes. „Ist schon gut“, wehrte Lily ab und trank einen weiteren Schluck Orangensaft, „Wenn ich nicht mitten drin stecken würde, würde ich sogar selbst darüber lachen.“ „Mhm“, kam es von Alan und er schien eine Idee zu haben, „Vielleicht hilft Ihnen das ja. Es wäre nur für eine Nacht, aber vielleicht haben sich die beiden bis dahin eingekriegt.“ „Was denn?“ Ein Hoffnungsschimmer keimte in Lily auf. Konnte es sein, dass Alan eine Lösung hatte? „Sie könnten ja heute Nacht hier schlafen. Eric kann zu mir ins Bett. Dann haben Sie das Sofa für sich.“ „Wirklich?“ „Ja!“, sagte Alan und lächelte sie aufmunternd an. „Sie kann doch auch bei dir im Bett schlafen, Alan“, kam es von Eric und Lily kam es vor, als wäre sie vom Regen in die Taufe gekommen. Wenn es zwischen Alan und Eric jetzt auch eine Diskussion geben würde, würde sie draußen im Garten übernachten. Das schwor sie sich. „Wenn Sie nichts dagegen haben, soll es mir recht sein.“, sagte Alan und wartete auf ihre Antwort. Lily war in Gedanken, weshalb sie die kurze Unterhaltung nicht ganz mitbekommen hatte. „Wie Sie wollen. Hauptsache ich habe Ruhe. Mir ist gerade alles recht.“ „Okay. Dann ist es abgemacht. Sie schlafen bei Alan und ich auf dem Sofa und wenn sich die beiden bis morgen nicht beruhigt haben, reden wir mal mit ihnen“, sagte Eric. „Danke!“, brachte sie hervor und ein Stein fiel ihr vom Herzen. Wieso konnten Nakatsu und Ronald nicht so wie Alan und Eric sein? Immerhin hatten die beiden es geschafft, sich in wenigen Sekunden zu einigen. Es gab keine endlose Diskussion und niemand versuchte den anderen mit Argumenten zu übertrumpfen. Plötzlich klopfte es an der Tür und in ihrem Magen machte sich ein ungutes Gefühl breit. Lily wusste nicht wieso, aber das schnelle und laute Klopfen klang nicht gut. Ihr Herz schlug schneller. Alan stand auf und öffnete die Tür. Das ungute Gefühl wuchs zu einem Geschwür heran, das ihren Magen verknotete und einen Kloß im Hals bildete. Am liebsten wäre sie mit dem Sofa verschmolzen oder unsichtbar. Ihr Mentor stand in der Tür, den Blick fest auf sie gerichtet und er sah nicht begeistert aus. „Wieso haben Sie nicht gesagt, dass Sie weggehen?“, fragte er und trat in das Wohnzimmer ein, ohne Alan oder Eric zu begrüßen. „Ich habe es gesagt.“ Wut stieg in ihr auf und sie hatte Mühe, ihre Stimme ruhig zu halten. Langsam war es Lily leid. Er war zwar ihr Mentor, aber einen Babysitter brauchte sie garantiert nicht. „Aber Sie und Nakatsu waren so sehr in ihrem Gespräch vertieft, dass weder Sie noch er es mitbekommen haben.“ Alan warf Eric einen vielsagenden Blick zu, woraufhin er nur nickte. „Wie dem auch sei. Kommen Sie mit.“, sagte er nur und stemmte die Hände in die Hüften, „Ich habe extra Ihretwegen mein Date heute Abend abgesagt.“ „Nein“, sagte Lily trotzig und blieb auf dem Sofa sitzen. „Was?“, kam es ungläubig von Ronald. „Ich bleibe heute Nacht hier, bis Sie sich mit Nakatsu einigen können.“ „Oh nein. Das kommt gar nicht in Frage!“ „Ronald, beruhige dich doch mal!“, sagte nun Eric und stand auf. Er legte dem Jüngeren eine Hand auf die Schulter. „Genau!“, sagte Alan, „So kennt man dich gar nicht.“ „Mr. Knox, solange Sie sich nicht einigen können, werde ich keinen Fuß in mein Zimmer setzen.“ „Sie hat Recht. Die Diskussion ist völlig unnötig. Lass sie heute Nacht hier schlafen, neben mir im Bett und Eric schläft auf dem Sofa, dann könnt ihr zwei euch einigen“, pflichtete Alan bei. „Eric schläft auch hier?“, rief er überrascht aus, „Dann erst recht nicht. Eric ist ja ein noch schlimmerer Frauenheld als ich!“ „Hey!“, sagte Eric mit einem leichten Warnton in der Stimme. „Schlimm genug, dass du mit meiner letzten Beute abgezogen bist, da wirst du dich erst recht nicht an meiner Schülerin vergreifen! Wenn ich sie hier lasse, ist ihre Unschuld schneller weg, als wenn ich bis drei gezählt habe!“ Bei diesen Worten musste Eric grinsen. „Wenn du nicht aufpasst, kann ich doch nichts dafür, wenn das Mädel lieber mit mir mitgeht. Aber um deine Schülerin brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Sie ist mir viel zu jung, obwohl sie gar nicht so schlecht aussieht. Da könnte ich sogar eine Ausnahme machen.“ Eric zwinkerte Lily verschwörerisch zu, während Ronald mit den Zähnen knirschte und Alan ihn mit dem Ellenbogen in die Seite boxte. „Ronald, du nimmst die ganze Sache viel zu ernst“, sagte Alan beschwichtigend und deutete ihm, dass er sich beruhigen sollte, „Du sollst deine Schülerin nicht in Watte packen!“ „William überwacht meine Arbeit. Wenn auch nur eine Sache schiefgeht, entzieht er mir die Ausbildung sofort.“ „William ist zwar streng, aber doch nicht so sehr!“, merkte Eric an. „Versuch, ein bisschen lockerer zu werden in dieser Aufgabe. Du sollst sie ausbilden und nicht Babysitter spielen. Lass McNeil heute Nacht hier bei uns und du kannst dich dann mit Shinamoto einigen.“ Ronald musterte Eric lange und dann Alan kurz. Auf seinem Gesicht zeichnete sich deutlich ab, dass er sich mehr Sorgen darum machte, dass Eric eher etwas mit ihr anstellen würde als Alan. Er wog auch kurz ab, ob er wirklich Alans Angebot annehmen sollte, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein. Nettes Angebot, Alan, aber Miss McNeil kommt zurück in ihr Zimmer.“ Unsanft packte Ronald Lily am Handgelenk und zog sie vom Sofa hoch, dann beugte er sich kurz nach vorne und zog sie über seine Schulter. Seine Arme umfassten ihre Oberschenkel. Erschrocken keuchte Lily auf. „Mr. Knox, was soll denn das? Lass Sie mich sofort runter!“, schrie sie und versuchte, von seiner Schulter herunterzurutschen, doch er hielt sie eisern an den Oberschenkeln fest. Alan und Eric sahen Ronald ebenfalls erschrocken an. „Mr. Humphries!“, flehte sie, „Mr. Slinby! Helfen Sie mir!“ „Tut mir leid, Miss McNeil, aber mit Ronald möchte ich mich jetzt nicht anlegen“, sagte Alan entschuldigend und warf ihr auch einen verzeihenden, mitleidigen Blick zu. „Ronald, lass sie runter!“, mischte sich wenigstens Eric ein. „Nein.“, sagte er stur, wandte sich um und verließ Alans Apartment. Lily konnte beim Hinausgehen noch Erics und Alans Blicke sehen, die ihr sagten, dass sie es schon schaffen würde, auch wenn es nicht leicht war. Es waren einfach nur aufmunternde und mitleidige Blicke. „Mr. Knox, lassen Sie mich runter!“, protestierte sie erneut. „Das Ganze ist doch lächerlich!“ Wenn ihr schon niemand half, würde sie sich eben selbst helfen. Mit oder ohne Erfolg. Kampflos würde sie nicht aufgeben! Sie strampelte mit den Beinen und flehte ihn immer wieder an, sie runterzulassen. Doch Ronald achtete nicht auf ihre Worte. Es war ein Wunder, dass niemand die Tür öffnete und sie so gedemütigt sah. Ihr Mentor stieß mit dem Fuß die angelehnte Zimmertür auf. „Hab sie gefunden“, sagte er nur zu Nakatsu, machte aber keine Anstalten, sie runterzulassen. Nakatsu stand neben der Tür und schloss diese. Als sie ihn vorwurfsvoll ansah, da er ihr nicht half, stemmte er nur die Hände in die Hüfte. „Du kannst doch nicht einfach so abhauen!“, meinte er und schüttelte seinerseits missbilligend den Kopf. Lily traute ihren Ohren nicht. Jetzt sollte sie das böse Mädchen sein, was abgehauen war und Ärger verursachte. Das war ja wohl die absolute Höhe! Ronald stieß erneut eine Tür mit dem Fuß auf und nur kurze Zeit später kam die Erlösung aus dieser unangenehmen Situation. Er ließ sie herunter. Er beugte sich einfach nach vorne und ließ sie fallen. Hart landete Lily auf ihrem Bett und richtete sich sofort auf, um lautstark mit ihrem Mentor zu streiten, doch dieser hatte sich abgewandt und stand in der Tür. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und seine Aufmerksamkeit galt Nakatsu. „Ich wünsche eine gute Nacht“, sagte er zu ihm und schloss die Tür. Lily hörte, wie er den Schlüssel herumdrehte und im nächsten Augenblick, wie Nakatsu an der Tür klopfte. „Machen Sie die Tür auf!“, rief er und drückte die Klinke mehrmals herunter. „Damit hätten wir das Problem gelöst!“, sagte Ronald, wandte sich ihr zu und grinste zufrieden. Lily schaute ihren Mentor nicht begeistert an. Diese Aktion hatte sie nun nicht von ihm erwartet. Doch es schien ihn nicht zu stören oder gar zu interessieren, was sie dachte. Er war mit sich und der Lösung des Problems zufrieden. „Musste das sein?“, fragte sie mit einem Vorwurf in der Stimme. „Besser, als wenn wir weiter diskutiert hätten“, antwortete er und zog sich das Jackett aus. Lily wandte schnell den Blick ab, als sich ihr Mentor entkleidete und erst als sie das Rascheln der Decke hörte, wagte sie es, ihn wieder anzusehen. Er hatte es sich unter der Decke bequem gemacht und lag auf der Seite. Sein Blick war auf sie gerichtet. Kurz ließ Lily den Blick durch den Raum schweifen und ihr fiel auf, dass er keine Sachen von sich hier im Zimmer hatte, außer denen, die er gerade ausgezogen hatte. Weder sein Kissen oder seine Decke noch andere Kleidung war hier. Lily wurde rot und sie schluckte schwer. „Mr. Knox, bitte sagen Sie mir, dass Sie mehr als nur Ihre Unterhose anhaben!“, flehte sie und verkrampfte sich auf dem Rand des Bettes, wo sie saß. Das Herz in ihrer Brust schlug laut und schnell. „Nein, habe ich nicht.“, gab er zur Antwort. „Okay…“, stieß Lily schnell hervor und sprang vom Rand des Bettes auf, „Ich hole Ihnen eben was zum Anziehen!“ „Wozu?“, fragte er verwirrt, ehe sie die Tür aufschließen konnte. Nakatsu schien es inzwischen aufgegeben zu haben, denn es war ruhig auf der anderen Seite der Tür. „Sie können doch nicht nur in Ihrer Unterhose schlafen!“, protestierte Lily, wagte nicht ihren Mentor anzusehen und wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie er nur in Unterwäsche aussah. „Ich schlafe aber immer so. Ist das ein Problem für Sie? Drehen Sie sich bitte um, wenn Sie mit mir reden. Es ist unhöflich, den Gesprächspartner nicht anzusehen.“ Lily seufzte und drehte sich widerwillig um. Natürlich war es ein Problem für sie! Fieberhaft suchte sie nach den richtigen Worten, um ihren Ausbilder nicht in Verlegenheit zu bringen. „Na ja“, fing sie an und merkte, wie das Blut in ihre Wangen schoss. Es gab keine passenden Worte, also blieb ihr nur übrig, es direkt zu sagen. „Eigentlich schon…“ „Verstehe“, sagte Ronald und richtete sich etwas auf. Die Decke fiel ein Stück herunter und sie hatte freie Sicht auf seinen nackten Oberkörper. Ronalds Oberarme waren nicht stark trainiert, aber sie konnte deutlich den Bizeps erkennen. Seine Brust war unbehaart und auf seinem Bauch zeichnete sich ganz leicht die Partie feiner Muskeln ab, auch wenn es wirklich nicht viel war und kaum zu erkennen. Er war nicht übertrainiert und sein Oberkörper hatte eine normale Statur. Lily sah schnell aus dem Fenster, bevor Ronald Knox bemerken konnte, wie sie ihn anstarrte. Ihr Gesicht nahm an Röte zu, wenn es möglich war. „Aber ich fürchte, wenn ich jetzt rausgehe und mich umziehe, wird Ihr Freund wieder anfangen zu diskutieren und ich glaube kaum, dass Sie das wollen, oder? Denn auch ich bin diese Unterhaltung leid.“ „Stimmt.“ Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie war froh, dass diese Streitigkeit aufgehört hatte und wollte alles Mögliche tun, damit es nicht erneut dazu kam, zumindest für den Rest des Abends nicht. Ergeben seufzte Lily leise. „Drehen Sie sich bitte um.“, bat sie. „Wozu?“ „Ich will mich umziehen.“ „Oh, natürlich.“ Ronald drehte sich im Bett herum, so dass er mit dem Rücken zu ihr lag. „Und wehe Sie gucken!“ Lily zog schnell ihre Sachen aus und schlüpfte in die kurze Hose und das kurze Oberteil, welche sie immer zum Schlafen trug. „Bin fertig“, sagte sie und stieg in das Bett. Es gab wohl keine andere Möglichkeit, als dass sie neben ihren halbnackten Mentor schlief. Zumindest für die eine Nacht. Irgendwie würde sie das schon überleben. Sie drehte sich schnell zur Seite, so dass sie mit dem Rücken zu Mr. Knox lag und schlang die Decke um ihren Körper, während sie vor Nervosität zitterte und ihr kalt wurde. Lily presste die Zähne aufeinander, damit sie nicht klapperten. „Ist Ihnen kalt?“, fragte die Stimme von Ronald Knox. „…Etwas…“, brachte sie hervor und schloss die Augen, „Mir wird gleich warm.“ „Okay“, sagte ihr Mentor und sie spürte, wie sich die Matratze bewegte und hörte die Decke rascheln, als er sich bewegte, „Miss McNeil…“, ein leises Seufzen, „…schlafen Sie gut.“ „Gute Nacht“, flüsterte sie und winkelte die Beine an, so dass sie dalag wie ein Fötus im Mutterleib, während ihr Körper zitterte und ihr Herz schlug, als hätte sie einen Marathon gelaufen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)