Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society von Frigg ================================================================================ Prolog: Leben und Tod --------------------- London zur Zeit von Königin Viktoria. Es war eine Zeit, wo der Unterschied zwischen Arm und Reich groß war. Entweder man lebte von der Hand in den Mund oder gönnte sich jeden Abend prunkvolle Feste mit leckerem Essen. Nur wenige der einfachen Schicht verdienten genug, um der Familie das Überleben zu sichern. Oft sah man Kinder auf der Straße betteln oder Lebensmittel stehlen. Die älteren Sprösslinge in der Familien wurden zur Arbeit in die Schmiede oder Webhäuser geschickt. Manch einer Frau blieb auch nichts anderes übrig, als ihren Körper in dem Stadtteil East End zu verkaufen. Es war ein gefährliches Unterfangen. In diesem Viertelt waren nicht nur Prostituierte unterwegs, sondern auch Diebe, Trunkenbolde und Mörder. Der Anblick einer Leiche war nichts Ungewöhnliches. Oft fand man einen Nachbarn oder Freund, mit dem man am Tag zuvor noch geplaudert hatte, am nächsten Morgen mit aufgeschnittener Kehle in der Gosse wieder. Niemanden kümmerte es. Sie wurden einfach unter die Erde gebracht. Es war ein rauer und kühler Herbsttag in London. Der Wind zog durch alle Ritzen und wer sich kein Holz zum Befeuern leisten konnte, musste sich mit dem wärmen, was er am Leibe trug, was in den meisten Fällen nicht sehr viel war. Oft trugen viele Leute nur einfache, abgetragene und geflickte Kleider, die nicht viel Wärme boten. Der Winter war die härteste Zeit. Dann starben die meisten Menschen wegen der Kälte. Emily Lyall führte ein solches, armes Leben. Sie war gerade Sechzehn Jahre alt und stand in der Blüte ihrer Jugend. Doch sie sah abgemagert aus. Ihre Haare waren strähnig, filzig und hatten mit Sicherheit auch Läuse. Um ihr linkes Auge hatte sie einen Verband gebunden. Ihre Eltern waren nie reich gewesen und es war ein ständiger Kampf, sie und ihre Geschwister zu ernähren. Die ganze Familie war immer froh gewesen, wenn sie es schafften, für eine Woche einen Laib Brot auf den Tisch zu bekommen. Fleisch gab es nur ganz selten. Oft gab es zu dem Brot nicht mehr als eine einfache Kohlsuppe, die ihre Mutter die ganze Woche mit immer mehr Wasser strecken musste. So etwas wie einen Apfel oder Weintrauben hatte Emily noch nie gegessen. Es war ein Traum von ihr, einmal in einen Apfel zu beißen. Sie hatte gehört, dass er sehr köstlich und süß schmecken würde. Weintrauben sollten sogar noch leckerer sein. Emily rannte durch die Straßen vom East End. Sie war keine Prostituierte, obwohl sie schon des Öfteren von einem Trunkenbold bedrängt worden war. Doch jedes Mal trat sie solch einem in seine Genitalien und rannte davon. In dem Schutz einer Hausecke hielt sie sich dann bedeckt und wartete ab. Auch jetzt versteckte sie sich wieder hinter einer Häuserecke vor solch einem Trunkenbold. Ihre Haut war bläulich angelaufen. Ein Zeichen dafür, dass sie fror. Das graue Kleid, welches sie trug, war schon mehrfach geflickt worden und schon von ihrer Mutter, Gott hab sie selig, und ihrer älteren Schwester getragen worden. Aus ihrem Ausschnitt zog sie einen Lederbeutel hervor. Diesen hatte sie erfolgreich einem Betrunkenen in einer Schenke abgenommen. Sie öffnete ihn und spähte hinein. Es waren drei 50 Pens drin. Eine gute Ausbeute. Dafür könnten sie sich zwei Laib Brot kaufen. Schnell schloss sie den Beutel und verstaute ihn wieder in ihrem Mieder zwischen ihren Brüsten. Sie kroch aus der Häuserecke hervor, sah sich um und rannte durch die Straßen. Emily wollte nur schnell nach Hause und das Geld ihrem Vater zeigen. Ihr Vater war seit dem Tod ihrer Mutter wie verändert. Das meiste Geld, was er verdiente, gab er für Alkohol aus. Emilys ältere Schwester musste hart arbeiten. Tagsüber im Webhaus und abends verkaufte sie ihren Körper, damit etwas Geld in die Haushaltskasse floss. Wenn ihr Vater wieder mal zu viel getrunken hatte, kam es durchaus vor, dass ihre Schwester auch ihn als Freier hatte. Sie hörte dann immer wie er sie schlug und ihre unterdrückten Schreie, wenn er sich an ihr verging. Es kam auch nicht selten vor, dass er auch sie oder ihre jüngeren Geschwister schlug. Erst gestern war er wieder ihr gegenüber handgreiflich geworden und hatte ihr ein blaues Auge verpasst. Aus diesem Grund trug sie einen Verband um ihr linkes Auge. Jede Nacht fürchtete sich Emily, dass ihr Vater sich auch an ihr vergehen würde. Oft genug warf er ihr einen solchen Blick zu, wie es nur Freier bei den Huren taten oder er ließ Kommentare hören, dass sie doch auch ihren Körper verkaufen sollte. Als sie sich weigerte, hatte er sie fast zu Tode geprügelt. Noch Wochen später hatten Blutergüsse und Schrammen ihren Körper gezierten und jede Bewegung zur Qual gemacht. Einige der Narben waren schon älter und erinnerten sie täglich an das, was ihr Vater tat. Schließlich hatte sie nachgegeben und ging mit ihrer Schwester jeden Abend zum East End, aus Furcht, er würde wieder schlagen. Doch verkaufen würde sie ihren Körper nie. Egal, wie wenig sie zu Essen hatte. Erfolgreich hatte sie ihren Vater bisher täuschen können, indem sie jede Nacht ein paar Pens von einem Betrunkenen auf der Straße stahl, der sie bedrängte oder wie eben in der Kneipe. Doch es war auch nicht ungefährlich. Die Strafe für Diebstahl war im East End das Ausstechen des Auges oder Handabschlagen. Das Gesetz bestrafte so etwas mit dem Tode durch den Strang. Sie rannte so schnell sie konnte. Sie wollte nur nach Hause. Auch, wenn es dort so kalt wie hier draußen war. Geschickt wich sie den Kutschen mit den Pferden aus, Trunkenbolden und anderen zwielichtigen Gestalten. Als sie das heruntergekommene, kleine Häuschen, was mehr die Bezeichnung Hütte verdient hätte, sah, machte ihr Herz einen Hüpfer. Schon bald würde sie dort sein. Vielleicht würde ihr Vater sie diese Nacht nicht schlagen. Immerhin hatte sie eine gute Ausbeute gemacht. Mit klopfendem Herzen und völlig außer Atem betrat sie die Hütte. Eine einzelne brennende Kerze spendete spärliches Licht. In der linken Ecke war die Schlafstätte von ihren Geschwistern, ihrem Vater und ihr. Es gab keine richtigen Betten. Es war ein Lager aus altem Stroh, in dem mehr Flöhe und andere Parasiten hausten als bei einem Hund, und zwei alten Decken. Ihre jüngeren Geschwister schliefen. Zumindest lagen sie auf ihren Lagern. In der anderen Ecke des Hauses gab es eine kleine Feuerstelle zum Kochen und einen kleinen Tisch mit Stühlen. Ihr Vater lag mit dem Kopf auf dem Tisch. Am Boden lag eine zerbrochene Flasche. Die Scherben hatten sich über den Boden verteilt. Der zerlaufene Alkohol war in dem Boden eingesickert und der Geruch verteilte sich bereits im ganzen Haus. Erst als sie zum Herd blickte, sah sie, wie ihre Schwester am Boden lag. Panisch stürzte sie zu ihr. Schüttelte ihren leblosen Leib. Ihr Körper war eingefallen, hatte eine gräulich blaue Farbe angenommen und war kalt. Erschrocken wich sie zurück, als sie das Blut auf der Brust ihrer Schwester sah. Mitten drin ein klaffendes Loch. Auf dem Boden unter ihr hatte sich eine riesige Blutlache gebildet. Emily unterdrückte einen Schrei. Sie rannte zu ihrem Vater und schüttelte auch ihn. Er gab keine Regung von sich. Sein Hemd war blutgetränkt. Auch wenn Emily wusste, dass es nichts brachte, rannte sie zur Lagerstätte ihrer jüngeren Geschwister und versuchte auch dort ein Lebenszeichen zu bekommen. Sie erreichte nichts, als dass sie mit leerem Blick aus weit geöffneten Augen angestarrt wurde. Es gab kein Lebenszeichen mehr. Jedoch waren diese Körper noch schlimmer zugerichtet. Das ganze Lager war voller Blut und die Brustkörbe zertrümmert, wie von einer Bestie. Die Bäuche waren aufgeschlitzt und die Eingeweide hingen heraus und bildeten nur noch eine größere Blutlache. Panisch wich Emily in eine der hintersten Ecken der Hütte zurück, sank zu Boden und zitterte. Wer war das gewesen? Wie konnte jemand nur so grausam sein!? Nun hatte sie niemanden mehr. Sie war nun ganz allein. Bei dem Gedanken fing ihr Körper an zu zittern und ihre Schultern bebten. Ein Schluchzen entkam ihrer Kehle. Ihre Nase triefte und ihr Blick verschleierte sich. Die Tränen bahnten sich einen Weg über ihr schmutziges Gesicht. Sie zog die Knie an sich und legte ihren Kopf darauf. Ohne es zu merken begann sie hin und her zu wiegen. Wie sollte es nur weiter gehen? Sie war minderjährig. Man würde sie garantiert in ein Frauenhaus schicken, auf der Straße verwahrlosen lassen, in ein Arbeitshaus schicken oder sogar schlimmer noch, man würde sie selbst des Mordes an ihrer Familie bezichtigen. Egal, ob sie zu einer solchen Tat körperlich im Stande wäre, der Richter würde sie für schuldig befinden. Sie würde lebenslang in einem Gefängnis sitzen oder sogar durch den Strang sterben. Diese Vorstellung bereitete Emily noch mehr Angst und sie kroch, wenn möglich noch tiefer in den Schatten der Ecke hinein. Plötzlich ging die Tür auf. Emilys Nackenhaare stellten sich auf. Sie zitterte. Was, wenn es der Mörder war, der nun zurückkam, um auch sie zu töten? Sie durfte jetzt keinen Mucks mehr machen. Der Schein der Kerze ließ sie die drei Männer erkennen, die in die Hütte kamen. Ihre Stirn zog sich in Falten. Es waren Männer, die gut aussahen. Niemand, der im East End lebte, würde so gut gekleidet sein. Der erste Mann, der herein kam, trug einen schwarzen Anzug und ein blütenweißes Hemd. Seine Hände verdeckten schwarze Handschuhe. Seine Haare waren gewaschen, ordentlich gekämmt und frisiert. Unter dem einen Arm trug er eine Mappe und in der anderen Hand hielt er einen langen Stab. Als er sich umsah, konnte Emily das Profil erkennen. Auf seiner Nase saß eine graue Brille mit breitem Rahmen. Der Blick war kühl und was war das?! Seine Augen waren stechend grün-gelblich. So eine Farbe hatte sie bei einem Menschen noch nie gesehen. Sein Auftritt erinnerte sie an einen reichen Bankier. Dieser Mann ging zu ihrem Vater hinüber und sah etwas in seiner Mappe nach und untersuchte ihn. Der zweite Mann, der herein kam, hatte ebenfalls einen schwarzen Anzug an. Er war etwas kleiner und zierlicher als der Erste. Sein Haar war braun und auch er trug eine Brille. In seinen Händen hielt er etwas, das aussah wie ein übergroßes Messer. Der letzte Mann, der in die Hütte kam, wirkte älter als die ersten Beiden. Sein Haar war blond und an der rechten Seite schwarz. Seine Kleidung war wie die der anderen Männer und seine Brille war ein kleines Modell und recht dünn. In der Hand hatte er eine Säge. Sein Gang war lässig und locker. Emily hatte so etwas noch nie gesehen. Wer waren diese Männer und was machten sie da? Alle drei verteilten sich im Raum und untersuchten ihre Familie. „Nichts“, sagte der Braunhaarige. „Hier auch nichts.“ Der erste Mann nickte nur. „Wie ich es erwartet habe. Keine Cinematic Records. Wir müssen weiter und denjenigen finden, der sie stiehlt.“ Emily beobachtete die drei Männer genau. Alle hatten die gleiche Kleidung an und die gleichen grünen Augen und alle drei trugen eine Brille. War das so etwas wie ein Geheimbund? Und wovon redeten sie bloß? Cinematic Records? Was sollte das sein? Was wollten sie von ihrer Familie? Hatten sie womöglich sogar mit deren Tod zu tun? Emily rutschte ein Stückchen weiter. Ihr Blick war noch immer durch Tränen verschleiert. „Au! Verdammt!“, entfuhr es ihr. Sie zog eine Glasscherbe aus ihrer Hand. Es war eine der Scherben, die sich von der zerbrochenen Alkoholflasche über den Boden verteilt hatten. Das Blut lief über ihre Handfläche und sie ballte die Hand nur zur Faust. Emily merkte sofort, dass das ein großer Fehler gewesen war, laut zu fluchen. Sie schlug sich die gesunde Hand vor den Mund, doch es war zu spät. Die drei Männer hatten sie entdeckt und kamen auf sie zu. Schnell sprang sie auf und machte sich bereit, wenn nötig irgendwie zu fliehen. „Wer sind…Sie? Was….wollen…Sie hier?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Sie versuchte sich ihre Angst nicht allzu sehr anmerken zu lassen. „Hey, hast du denjenigen gesehen, der hier dieses Massaker veranstaltet hat? Oder warst du es am Ende sogar selbst?“, fragte der Blonde. Der Mann mit den schwarzen Haaren musterte sie kalt mit den grün-gelben Augen. Emily schüttelte energisch den Kopf. „Was fällt Ihnen ein, mir das zu unterstellen?! Ich würde nie, niemals meine Familie töten!“, rief sie zornig. „Mr. Spears, was meinen Sie?“, fragte der Brünette. Der Angesprochene mit den schwarzen Haaren, der offenbar Spears mit Nachnamen hieß, blätterte in der Mappe herum. „Wie ist Ihr Name?“, fragte er nur ungerührt. „Denken Sie, ich sag Ihnen das?! Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie hier?“ „Ah da“, sagte Spears ohne auf ihre Worte zu achten. „Und?“, fragten die beiden anderen wie aus einem Munde. „Für heute war der Tod von keinem dieser Leute vorgesehen. Wieder jemand, der nicht auf der Liste stand. Sie ist auch nicht die Person, die wir suchen. Wir haben hier nichts mehr verloren. Gehen wir.“ Die Beiden anderen nickten. Alle Drei verließen ohne weitere Worte das Haus. Emily stürmte ohne groß nachzudenken hinterher. „Wartet! Wer seid ihr?! Was meint ihr damit, sie standen nicht auf der Liste?! Soll das heißen, meine Familie sollte nicht sterben?!!“, schrie sie, doch als sie nach draußen blickte, war keiner der Drei zu sehen. Nach allen Seiten sah sie sich um. Die Nachbarn schauten sie an, doch blickten gleich wieder fort. Sie war für die Anderen nichts weiter als ein betrunkenes Mädchen, das irgendetwas vor sich hin faselte. Emily sah, aus irgendeinem inneren Impuls, nach oben und entdeckte die drei Personen auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses. Es war ihr schleierhaft, wie sie da oben hinkamen. Doch kaum hatte sie diese entdeckt, sprangen sie wie Dämonen von Dach zu Dach. Emily rannte ihnen hinterher. Die Kälte und der Tod waren vergessen. „Wartet!“, schrie sie und rannte keuchend hinterher. Sie hatte Mühe Schritt zu halten. Einer der drei Männer, sie glaubte, es war der Schwarzhaarige, Spears, sah zu ihr herunter. Sie rannte dennoch weiter. Plötzlich blieb sie schlitternd stehen. Spears stand vor ihr. Emilys Herz klopfte hart gegen ihre Brust und sie konnte nur noch keuchend atmen. Ihre Lunge schmerzte. Spears sah sie unverwandt an. Seine grün-gelben Augen blickten tief in ihre blau-grünen Augen. „Interessant“, meinte er und sah in seine Mappe. Er fand offenbar die Seite, die er suchte, zückte einen Stift aus der Innenseite seines Jacketts und notierte sich etwas. „Geh nach Hause“, sagte er nur und war in der nächsten Sekunde verschwunden. Emily blieb verwirrt an der Stelle stehen. Nach Hause. Das war leichter gesagt als getan, wenn sie daran dachte, was dort auf sie warten würde. Nein, sie würde nicht dorthin zurückkehren. Die Gefahr, dass man sie verurteilte war zu groß. Sie ging in eine andere Richtung als in die, aus der sie gekommen war. Weg. Das war ihr einziger Gedanke. Sie wollte nur so viel Distanz zu diesem grausamen Ort bringen wie es nur möglich war. Ihre Schritte beschleunigten sich und sie rannte blind vor Tränen. Emily war einfach zu verwirrt. Zuerst der Tod ihrer Familie und dann diese drei merkwürdigen Männer. Ohne auf den Weg und den Verkehr zu achten, rannte sie weiter. Sie hörte Hufe über die Straße galoppieren. Ein Pferd wieherte ganz in ihrer Nähe. Das Knarren einer Kutsche war ganz nah bei ihr. Als sie stehen blieb und sich die Tränen aus den Augen wischte, sah sie sich um. Ihre Pupillen weiteten sich. Der Herzschlag blieb für Sekunden aus. Adrenalin wurde in ihren Körper gepumpt, doch sie war zu perplex, um auch nur einen Finger zu krümmen, geschweige denn daran zu denken, aus dem Weg zu springen. Die Kutsche mit den Pferden raste ungehindert auf sie zu. Der Kutscher rief: „Aus dem Weg, Schlampe!“ Doch Emily konnte sich noch immer nicht rühren und der Kutscher war nicht mehr in der Lage, die Kutsche um sie herum zu lenken. Die Pferde trafen sie mit voller Wucht und warfen sie zur Seite. Die Räder rollten über ihren Leib drüber. Der Kutscher drehte sich um. „Elendes Weibsstück!“, rief er erzürnt und trieb die Pferde an. Emily lag auf dem Boden. Blut tränkte das Straßenpflaster und ihre Kleidung rot. Ihre Atmung war flach. Ihre Augen noch immer weit geöffnet. Plötzlich erschienen die drei Leute wieder um sie herum. Spears hob sie vorsichtig hoch. „Was haben Sie vor?“, fragte der Brünette. „Sie mitnehmen“, antwortete Spears. „Ist sie…?“ Emily hätte gerne gewusst, was sie war, dass dieser Spears sie mitnahm. „Ich weiß jetzt, wer ihr seid…“, flüsterte sie kaum hörbar. Es fiel ihr schwer den Blick auf Spears zu halten. „Ihr seid die Todesgötter…oder?“ Sie konnte es fühlen. Der Tod war da und würde nicht von ihrer Seite weichen, wenn sich ihre Seele vom Körper löste. Er würde ihr beistehen und sie nicht alleine lassen. Emily hatte nie groß über den Tod nachgedacht. Die Kirche sagte immer, dass die Engel des Herren jemanden holen würden, doch nun sah sie mit ihren Augen die Wahrheit. Sie würde es nur nie jemanden erzählen können. Ein Schwall Blut ergoss sich aus ihrem Mund und auf ihr Kleid. Spears nickte kaum merklich. „Sag mir jetzt deinen Namen…“ „….E..m…“, setzte sie an, doch es fiel ihr unglaublich schwer. Ihr Herz schlug schnell. Dann verschwamm das Bild vor ihren Augen. Sie fühlte nicht mehr die Kälte. Im Gegenteil. Es war warm. Ihre letzten Gedanken kreisten um ihre tote Familie. Es war besser, wenn sie tot waren. Ihr Vater konnte niemanden mehr im Rausch schlagen, er würde sich nicht an ihr vergehen und erst recht nicht mehr an ihrer Schwester. Ihre Schwester musste sich nicht mehr verkaufen und hart in dem Webhaus arbeiten. Sie wurde nicht mehr geschlagen oder vom Vater vergewaltigt. Auch ihre kleineren Geschwister hatten es jetzt sicherlich besser. Sie mussten nicht mehr Hunger leiden, betteln und Prügel ertragen. Es gab nichts mehr, wovor sie Angst haben mussten. Vielleicht würde sie sogar ihre Mutter nach all der Zeit wieder sehen? Bestand die Möglichkeit, dass sie alle im Tod wieder vereint waren? Ihr Herz tat einen letzten Schlag. Sie atmete noch einmal flach ein und aus, dann hörte der Brustkorb auf sich zu bewegen. Lily McNeil war schlagartig wach. Verwirrt fasste sie sich an die kalte Stirn. Was zum Henker war das für ein Traum? Sie hatte keine Ahnung, woher er kam oder was er zu bedeuten hatte oder wer das Mädchen war. Lily wusste nur, dass sie mit Tränen in den Augen, klopfendem Herzen und schweißnass wach geworden war. Genervt und mürrisch stand sie auf. Sie ging direkt in das angrenzende Badezimmer und duschte. Das warme Wasser tat gut und lenkte ihre Gedanken vom Traum ab. Heute würde sie ihr Semesterjahr anfangen in der Shinigami Dispatch Society und wenn sie Glück hatte und gut war, würde sie am Ende an der Abschlussprüfung teilnehmen und dann offiziell als Shinigami in die Zunft aufgenommen werden. Bei dem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie war schon sehr aufgeregt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)