Heidenmond von Nightwatcher ================================================================================ Kapitel 2: Neue Wege -------------------- Wirklich aus dem Regen waren wir nicht herausgekommen und die Nacht war auch alles andere als angenehm gewesen, aber die große Eiche unter der wir uns zum Schlafen gelegt hatten bot zumindest einen dürftigen Schutz vor der Witterung. Ich fühlte mich wie gerädert, als ich noch immer klatschnass erwachte. Müde streckte ich meine schmerzenden Glieder. Johanna schlief noch. Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne ließ sich endlich wieder zwischen den Wolken blicken. Noch zeigte sie nicht ihre ganze Kraft, aber es sollte nicht mehr lange dauern. Ich schöpfte Hoffnung meine Sachen langsam trocknen lassen zu können. Allerdings musste ich dazu trockenen Boden finden. Bis der Waldboden trocken wurde konnten noch einige Stunden vergehen. Sachte schüttelte ich Johanna am Oberarm, damit sie erwachte. Ich ließ ihr Zeit den Schlaf abzuschütteln und öffnete vorsichtig meinen Rucksack. Wie ich schon in der Höhle geahnt hatte, war alles darin durchnässt. Sogar der gesamte Proviant. „Dann sparen wir wenigstens an Wasser!“, sagte ich gute Dinge zu Johanna und gab ihr Käse und aufgequollenes Brot. Sie beschwerte sich nicht, sondern fing an zu essen. Ich tat es ihr gleich. Kaum hatten wir unser karges Mahl verzehrt rappelte ich mich auf und hielt ihr eine Hand hin. Sie ignorierte mich und stand von allein auf. Mit finsterem Gesicht ging sie los. Schnell schulterte ich meinen Rucksack und folgte. „Wo müssen wir als nächstes hin?“, fragte sie. „Engelsborn!“, sagte ich „Den Ort wollte ich in einer Woche erreichen.“ Wieder schweigend machten wir uns auf den Weg. Die Zeit flog dahin. Es dauerte nicht lange und ich war dem schattenspendenden Wald dankbar, dass er uns vor der Mittagshitze schützte. Wir gingen noch eine Weile, bis der Wald von eine großflächigen wilden Wiese abgelöst wurde. Die Sonne hatte das Gras bereits getrocknet. Johanna wollte stur durch das Gras laufen und wieder im Wald verschwinden, aber ich hielt sie zurück. „Ich würde hier gern meine Sachen trocknen lassen!“. Die Kleidung, die wir am Leib trugen war zwar schon lange trocken, aber die Sachen in meinem Rucksack noch nicht. Sie nickte und half mir alles zum trockenen über das hohe Gras auszubreiten. Den ganzen tag hatte ich schon über eine Sache gebrütet. „Was wird Remius den Mönchen in Mittelbach schreiben?“, platzte es aus mir heraus. Der Gedanke, dass Pater Michelus von Remius erfuhr, was geschehen war behagte mir nicht besonders. Ich hatte das berechtigte Gefühl, dass Johannas Vater wenn überhaupt, nur Halbwahrheiten über unsere „Flucht“ schreiben würde. Ich bekam nur ein Achselzucken zur Antwort und mein Unbehagen steigerte sich. Ich hatte das dringende Bedürfnis Pater Michelus zu schreiben und alles ins rechte Licht zu rücken, doch dazu musste ich eine Ortschaft erreichen und einen Boten bezahlen. Allerdings hatte ich kein Geld, denn die Regeln besagten, dass man keines bei sich haben durfte. Bis vor zwei Tagen hatten sie mich keineswegs gestört, aber allmählich begannen mir die Regeln auf die Nerven zu gehen. Davon sie zu brechen war ich allerdings noch weit entfernt. Sie hatten alle einen Sinn. Bestimmt. Irgendwo... „Du machst dir viele Gedanken um die Mönche in Mittelbach, oder?“, fragte mich Johanna. Sie saß neben mir, mit zur Sonne gewandtem Gesicht. Ich zupfte ein paar Grashalme ab und spielte mit ihnen. „Hm... schon möglich!“. Sie wandte das Gesicht zu mir und öffnete die Augen. „Weil sie dich großgezogen haben?“ Ich nickte „Wenn man es genau nimmt mache ich mir vor allem Sorgen um Pater Michelus. Er hat sich um mich gekümmert wie... Ich würde jetzt sagen wie ein Vater, aber so ganz trifft das nicht zu. Schließlich ist er ja nicht mein Vater.“ „Darum sagtest du ja auch wie ein Vater.“, sie lächelte mich an. „Ja, nur weiß ich, wie ein Vater ist? Alles was ich darüber weiß ist, wie Remius ist und ich glaube, so sollte kein Vater sein.“ Johanna schaute betreten zu Boden. Mir wurde wieder schmerzlich bewusst, dass dies wohl kein leichtes Thema für sie war. „Verzeih!“, bat ich und Stille breitete sich zwischen uns aus. Nach einer Weile fragte Johanna: „Du weißt wirklich nichts von deinen Eltern?“ Ich schüttelte den Kopf „Außer, dass meine Mutter mich Tristan nennen wollte? Nein!“ „Dann weißt du immerhin, dass sie keine Anhängerin des neuen Glaubens war und ganz bestimmt kein Klosterleben für dich vorgesehen hat!“ Verächtlich schnaubte ich: „Und warum hat sie mich dann in einem Kloster des neuen Glaubens abgeschoben?“ „Vielleicht hatte sie keine Wahl!“, Johanna versuchte sie zu verteidigen. „Ja, genau!“, ich konnte die Ironie einfach nicht unterbinden. „Unterschätze nie die Liebe, die eine Mutter zu ihrem Kind empfindet!“ „Das weißt du, weil du eine Mutter hast?“, warf ich ihr in einem hässlichen Tonfall an den Kopf. Sofort bereute ich die Worte, sagte es aber nicht. Es war so gemeint, wie ich es gesagt hatte und darum wollte ich mich nicht entschuldigen. Vielleicht war ich auch einfach noch zu wütend, weil Johanna einen wunden Punt von mir gefunden hatte. Ich stand auf und weil meine Sachen nich nicht trocken waren stapfte ich einfach in irgendeine Richtung davon. Ich wollte jetzt nicht in der unmittelbaren Nähe von Johanna sein. Am Waldrand ließ ich mich wieder fallen und starrte finster zu den Wolken hoch. Ich tat zwar gerne so, als interessiere es mich nicht, wer meine Eltern waren und bis zu einem bestimmten Punkt stimme das auch, aber insgeheim wollte ich es eben doch wissen. In Momenten wie diesem ließ ich es zu, dass meine Gedanken einen solchen Weg einschlugen und tief in mir spürte ich dann die Zweifel über den neuen Glauben. Petarus möge mich dafür strafen. Ich versuchte stets diese Zweifel, von denen ich nicht wusste woher sie kamen, im Keim zu ersticken und bisweilen gelang es mir sogar. Doch mit dem neuen Wissen über die Bruderschafft konnten sie etwas weiter wachsen und ich ließ es zu. Erst nachdem ich eine Stunde so dagelegen und gegrübelt hatte, schüttelte ich die Gedanken ab. Ich setzte mich, fing wieder an mit Grashalmen zu spielen und dachte an nichts. Ich bat Petarus auch nicht um Verzeihung für meine Zweifel, dafür waren sie noch zu nah. Eine weitere halbe Stunde verging und Johanna schreckte mich auf. Ich hatte sie weder kommen hören noch sehen, sie stand ganz plötzlich vor mir, den trockenen Rucksack geschultert. „Wollen wir?“, fragte sie. Ich nickte und ließ mir von ihr aufhelfen. Wir verloren kein Wort über unsere vorige Unterhaltung. Eigentlich hatte er heute ausschlafen wollen, aber ein lautes Pochen an der Tür machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Vergeblich versuchte er es zu ignorieren und rollte sich auf die andere Seite, aber wer auch immer an der Tür stand blieb beharrlich. Schließlich kämpfte er sich doch aus dem Bett und warf sich nachlässig seinen grauen Umhang über. Nur einen spaltbreit öffnete er die Tür. Draußen stand ein ziemlich abgekämpfter Bote und reichte ihm eine Pergamentrolle herein. „Aus Nimmerthal!“, sagte der Bote, was überflüssig war. Er hatte das Siegel, welches die Rolle verschloss augenblicklich erkannt. Ohne ein Wort zu verlieren machte er die Tür zu. Der Bote war schon vom Absender bezahlt worden, sonst hätte er die Nachricht nicht einfach so ausgehändigt. Außerdem hatte er schlechte Laune, weil er so früh geweckt worden war und Nachrichten von diesem Absender bedeuteten nie etwas Gutes. Wann hatte er das letzte Mal das Vergnügen gehabt? War es nur ein Jahr her oder schon zwei? Auf jeden Fall nicht lang genug. Er hätte gern sein restliches Leben darauf verzichtet noch einmal von diesem Absender zu hören, gute Bezahlung hin oder her. Missmutig brach er das Siegel und las die Nachricht und was er erfuhr gefiel ihm ganz und gar nicht. Es stand nicht in seinem Sinn Maransburg schon wieder verlassen zu müssen und stattdessen irgendwo in der Weltgeschichte nach einem entflohenen Mönch und einem Mädchen zu suchen. Doch es nützte nichts. Es war seine Pflicht zu dienen, so sehr es ihm auch missfiel. Unauffällig sah er sich um und als er sicher war nicht beobachtet zu werden, so unwahrscheinlich das auch gewesen wäre, ließ er das Pergament von allein in Flammen aufgehen. Die verkohlten Überreste ließ er auf den Boden rieseln. Er brauchte keine fünf Minuten um sein Hab und Gut zusammenzusuchen und sich richtig anzukleiden. Mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze verließ er das gemietete Zimmer und ging hinunter zum Tresen. Da stand Miranda. „Wie viel schulde ich dir?“, fragte er. „Wie du gehst schon? Da hat der Bote dir anscheinend eine dringende Nachricht gebracht!“, stellte sie lächelnd fest. Er ging nicht darauf ein. „Hast du wieder eine Laune!“, sie griff über den Tresen und ließ ihren Finger sanft über seine Hand wandern, dabei beugte sie sich so vor, dass er ihren üppigen Vorbau nicht übersehen konnte. „Ich wüsste da was...“, sagte sie. Daraufhin schüttelte er ihre Hand ab und wiederholte seine Frage: „Wie viel?“. Gespielt genervt stellte sie sich wieder aufrecht hin und schaute auf eine Abrechnung. „Wenn ich die Schulden der letzten beiden Male mitzähle, dann vier Silbertaler.“. Jegliche Freundlichkeit war aus ihrer Stimme gewichen. Wortlos kramte er das Geld aus seinem Beutel und legte sie auf den Tresen. Einer der Taler kreiselte noch, als er schon fast die Tür hinaus war. „Raziel! Wann kommst du wieder?“, rief Miranda ihm hinterher. Kurz bevor er die Tür vollends schloss, sagte er: „Ich werde eine ganze Weile weg sein!“. Bevor Miranda ihn noch weiter aufhalten konnte. Unauffällig bahnte er sich einen Weg durch die Gassen des heruntergekommenen Stadtviertels. Eigentlich war ganz Maransburg heruntergekommen, mit wenigen ausgenommenen Vierteln natürlich, aber wie sonst sollte man sich eine Stadt mit diesem Ruf auch vorstellen? Wirklich ehrliche Bürger suchte man in diesem Drecksloch vergebens. Er brauchte eine viertel Stunde um die Stadtmauer zu erreichen und von da aus zehn Minuten bis zum Stadttor. Die Wachposten beäugten ihn misstrauisch, wagten es aber nicht das Wort an ihn zu richten. Er gab ihnen auch keinen Grund es doch noch zu tun. Die Wache stand auch eigentlich nur proforma da, also nicht mit der wirklichen Absicht das Verbrechen zu bekämpfen. Da hätten sie auch auf verlorenem Posten gekämpft. Er verließ also die Stadt, vierzig Minuten nach Erhalt der Nachricht. Deswegen hatte er einen so guten Ruf, er war schnell. Proviant wollte er unterwegs besorgen, nicht in der Stadt, wo die Preise fast an Wucher grenzten. Abgesehen davon hatte er auch keine große Lust so viel Gepäck zu schleppen. Fast alles, was er brauchte trug er am Leib, der Rest war bei seinem Pferd, das er bei einer Bauernfamilie nicht unweit der Stadt in Pflege gelassen hatte. Natürlich bezahlte er dafür ein nicht ganz unbeträchtliches Sümmchen. Dennoch war die Verpflegung für sein Pferd da besser, als in der Stadt. Raziel traute es den Stümpern dort nicht zu, ordentlich mit seinem Pferd umzugehen. Nach einer Stunde erreichte er den Hof. Wie erwartet herrschte dort schon reger Betrieb. Der jüngste Sohn erkannte ihn schon von Weitem und lief ihm entgegen. Der kleine Tor hatte einen Narren an ihm gefressen. Die Eltern wussten, welchen Beruf er nachging und störten sich daran, dass der Sohn so begeistert von ihm war, aber solange nichts geschah sagten sie auch nichts, sondern beließen es bei bösen Blicken, die er auch jetzt schon aus der Ferne spürte. Kurz bevor der kleine Mann in ihn hineinrannte bremste er ab und wäre auch beinahe gestürzt. Nicht darauf achtend rappelte sich der Junge wieder auf und grinste ihn aus seinem schmutzigen Gesicht an „Da bist du ja schon wieder! Wusste doch, dass du es ohne mich nicht lange aushältst!“. Raziel wuschelte ihm kurz durch das Haar, ignorierte ihn aber ansonsten, was ihn aber nicht davon abhielt auf und ab hüpfend neben ihm her zu gehen. „Warum bist du denn nun wirklich wieder hier? Gehst du wieder auf Reisen? Nimmst du mich mit? Bitte! Ich will auch die Welt entdecken! Je mehr ich davon sehe, desto besser...“ Weitestgehend hörte Raziel nicht auf das Geplapper des Jungen, aber hinter seinem gutmütigen Lächeln brodelte es böse. Endlich erreichte er den Hof. Der älteste Sohn hatte aufgehört Holz zu hacken und musterte ihn mit einem finsteren Blick. Der kleine Bruder fing sich einen noch Finstereren ein, was ihn dazu veranlasste sich hinter Raziels Beine zu verstecken. Der Blick folgte ihm jedoch und so trollte sich der Kleine und verschwand hinter dem Haus. „Ich brauche mein Pferd wieder.“, begann er schlicht die Unterhaltung. Der älteste Sohn nickte „Ist zwar etwas früher als Ihr angekündigt habt, aber in Ordnung. Mit meinem Vater hattet Ihr ja alles geklärt?!“. Das war eine Feststellung und keine Frage, darum überging Raziel diese Bemerkung. „Ich weiß nicht, wann ich wieder kommen werde, aber ich gedenke mein Pferd wieder hier unterzustellen. Sag das deinem Vater. Den Stall finde ich alleine.“, sagte er und war auch schon auf dem Weg. Er hörte noch eine Bemerkung, die wie „Hoffentlich sehen wir uns nicht mehr“ klang, aber auch das ignorierte er. Warum sollte er sich mit Bauerngesindel anlegen? Sein Tag war auch so schon mies genug. Sein Weg führt ihn um das Haus und wie er erwartet hatte, saß der kleine Junge vor der Box seines Pferdes. Kaum sah er Raziel den Stall betreten sprang er auf und lief zu ihm. „Kann ich dir helfen? Ich kann gut mit Pferden umgehen!“, fragte er begeistert. „Du kannst mir in der Tat helfen.“, sagte Raziel „Geh bitte zu deiner Mutter und frag, ob sie mir ein paar Vorräte für die Reise verkaufen will.“. Ohne sich davon zu überzeugen, ob der Junge tat, was er gesagt hatte ging er zur Box und schaute hinein. Da stand ein schlankes schwarzes Pferd mit leicht nach innen gebogenen Ohren, Tamar, der einzige Freund, dem er wirklich vertraute. Sofort bemerkte Tamar die Anwesenheit seines Besitzers, ohne das dieser auch nur etwas gesagt hätte. Mit einem freudigen Schnauben drehte er sich um und begrüßte Raziel mit einem Nasenstupser. Raziel graulte ihm im Gegenzug die Stirn. Dann ging er in die Kammer, in der der Bauer Tamars Sattel aufbewahrte. Raziel kramte in der Satteltasche und förderte einen Striegel und eine Kardätsche zu Tage. Er verließ gerade wieder die Kammer, als der Junge wieder angerannt kam. „Mama fragt, ob du wieder das übliche brauchst und wenn ja, wie viel davon!“ „Ja, das wie immer und das doppelte wie das letzte Mal. Ich hole es mir, wenn ich mit Tamar fertig bin.“. Blitzschnell zog der Junge wieder ab. Das musste er dem Jungen lassen, wenn er einmal seine Hilfe zusagte, dann erfüllte er seine kleinen Aufträge schnell und gewissenhaft. Raziel betrat wieder Tamars Box und fing an ihn zu putzen. Er war nicht großartig schmutzig und darum war er fertig noch bevor der Junge wieder da war um ihn zu sagen, dass seine Mutter einverstanden war. Er ließ sich noch von dem Jungen helfen seine Habseligkeiten aus der Kammer zu holen und sattelte sein Pferd. Tamar schien es ungemein zu freuen, dass sein Herr wieder auf Reisen mit ihm ging, auch wen die Letzte noch nicht lange her war. Doch dem Pferd reichte die kurze Pause von zwei Tagen vollauf. Über den Hof führte er Tamar am Zügel. Die Bäuerin wartete am Eingang des Wohnhauses auf ihn. Sie war eine kleine, nicht gerade wohl genährte Frau, aber stets freundlich. Sogar für ihn hatte sie ein schmallippiges Lächeln übrig. Sie reichte ihm seinen bestellten Proviant und ein paar Münzen wechselten den Besitzer. Raziel bezahlte großzügig. In der Stadt wäre der Preis allerdings höher gewesen. Nicht, dass sie einen solchen bekommen hätte, in der Stadt wohnten eben nur Gauner. Ohne großartige Abschiedsworte schwang Raziel sich in den Sattel und hob noch ein letztes Mal die Hand in Richtung des kleinen Jungen. Dann war er weg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)