Soap Opera von Chimi-mimi ================================================================================ Kapitel 1: Exposition --------------------- Geduldig wartete Joey, während das Telefon klingelte. Und klingelte. Und klingelte. Dann meldete sich endlich eine weibliche Stimme: „Ja?“ „Hier ist Joey. Ist Tai gerade zu Hause?“ „Nein, er holt gerade Mimi vom Flughafen ab. Wusstest du das nicht?“ „Hm… er hat mir nichts davon gesagt.“ „Na dann…“ Unangenehmes Schweigen füllte die Leitung, keiner von beiden wusste so recht, ob er einfach auflegen oder noch etwas sagen sollte. Und wenn noch ein Gespräch, worüber dann? Nach ein paar Sekunden, die Joey jedoch wie eine Ewigkeit vorkamen, kam ihm endlich eine gute Frage in den Sinn: „Und wie geht es dir so, Sora?“ „Wie soll es mir schon gehen? Ist ja eh immer nur das Gleiche mit…“ Joey konnte sich denken, was die junge Frau sagen wollte, aber er würde sicherlich nicht darauf eingehen. „Ja, im Moment passiert ja einfach nichts.“ Ausweichtaktik eingeleitet. „Geht mir genauso.“ „Stimmt.“ Sora klang erleichtert, dass er nicht weiter auf ihr Fast-Geständnis eingegangen war. „Soll ich Tai denn etwas ausrichten?“ „Um… nein, nein. Ich versuch es einfach später nochmal“, Joey ergriff die Möglichkeit zur Flucht, die sich ihm hier gerade bot. „Wir sehen uns ja sicher demnächst mal wieder. Ich meine, wenn Mimi da ist. Also…“ „Ja, also dann. Ich muss jetzt auch los, ich treffe mich mit Kari.“ „Und Mimi?“ „Tai bringt sie nachher vorbei. Ähm… bis irgendwann dann.“ Und schon hatte Sora aufgelegt. Joey murmelte noch ein „Tschüß“, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht mehr hören konnte. Geahnt hatte er schon länger, dass zumindest Sora nicht zufrieden mit ihrer Beziehung zu Tai war, doch einmischen wollte er sich auch nicht. Was gingen ihn schon die Beziehungen von anderen Leuten an? Bevor er zum Ratgeber für Liebesdinge würde, wäre es vielleicht sinnvoll, sich selbst mal wieder eine Freundin zuzulegen. Aber, wenn Joey ganz ehrlich war, genau dies war ihm im Moment zu stressig – er hatte schon mit der Uni genug zu tun. Dann brauchte er ja auch mal Zeit für seine Freunde… wo sollte er denn da noch eine Freundin unterbringen? Und wenn er sich dann noch die Pärchen in seinem Freundeskreis ansah, konnte er sehr gut darauf verzichten. Ja, im Moment war Joey äußerst zufrieden mit seinem Leben – es konnte doch gar nicht besser laufen. ~~~ Gerade noch einmal gut gegangen – das zumindest redete Sora sich ein, während sie einen leichten Mantel überzog. Durch das Gespräch mit Joey war sie noch später dran, wobei es auf die paar Minuten dann wohl auch nicht mehr ankam. Seit die Beziehung mit Tai in einen zu regelmäßigen Alltag übergegangen war, konnte sie sich nicht mehr wirklich zu etwas aufraffen, dieser Trott raubte ihre gesamte Energie. Die anderen bemerkten zwar ihre nun regelmäßigen Verspätungen, aber bisher hatte sie es eigentlich ganz gut hingekriegt, zumindest ihre Verfassung zu verbergen. Laut krachte die Tür ins Schloss, doch Sora hastete schon das Treppenhaus hinunter. Zum Glück waren sie in der kleinen Eisdiele verabredet, die nur zwei Blocks entfernt war, und ebenfalls zum Glück hatte sie durch ihre Verspätung einen guten Laufstil und eine genauso gute Kondition aufgebaut. Das war aber auch so ziemlich der einzige Vorteil. „Sora!“ Aufgeregt winkte Mimi ihrer Freundin zu, die sie schon so lange nicht mehr gesehen hatte. „Tai hat mich gerade hier abgesetzt. Gutes Timing!“ Grinsend fielen die Freundinnen sich in die Arme, es war wirklich viel zu viel Zeit vergangen. Erst wollte Mimi sofort loslegen und ihrer Freundin alles erzählen, was ihr gerade in den Sinn kam, doch dann entdeckte sie Kari, die ihnen aus der Eisdiele zuwinkte. Wie ein geölter Blitz düste sie in den kleinen Laden und rannte ihre jüngere Freundin fast um. Sora folgte langsamer. Es dauerte eine Weile, bis sie sich begrüßt und bis sie bestellt hatten, bis Mimi von ihrem Flug und von Amerika erzählt hatte, bis Kari und Sora sie auf den aktuellsten Stand gebracht hatten. Die drei Freundinnen hatten sich viel zu erzählen, insbesondere Kari. „Also, erzähl mal von dieser ganzen Davis-Geschichte. Ich hab immer nur Bruchstücke mitbekommen, aber ich bin wirklich neugierig.“ Fordernd sah Mimi die Jüngere an. „Ich will Details, viele Details.“ Verlegen spielte Kari mit ihrem Strohhalm, doch nach einem Knuff von Mimi beschloss sie zumindest ein bisschen etwas zu erzählen: „Da gibt es nicht so viel zu erzählen. Es ist eigentlich genau das Gleiche wie früher.“ „Davis rennt dir wie ein junger Welpe hinterher?“ „Okay, es ist nicht ganz so wie früher. Er hat sich gesteigert.“ „Was denn? Ein erwachsenes Hündchen?“ „Ach, komm schon, Mimi. Man kann sagen, was man will, aber Davis ist lernfähig.“ Mit einem für Kari etwas untypischen Kichern nahm sie einen Schluck Eiskaffee und blinzelte zu Sora, die zufrieden grinsend Eis aß. „Dann mach es doch nicht so spannend. Wie gesagt: Ich will Details. Was hat unser Welpe denn alles gelernt?“ „Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber er ist ziemlich romantisch geworden.“ Sora nickte bestätigend: „Ob du es glaubst oder nicht, er hat ihr einen Monat lang jeden Tag eine rote Rose schicken lassen.“ „Davis? Seid ihr euch da sicher?“ „Ja, Davis. Ganz genau.“ „Was noch? Jetzt bin ich erst recht neugierig.“ Mimi hatte Blut geleckt, jetzt wollte sie noch mehr wissen. „Hm… zum Geburtstag hat er mir einen Tag im Spa geschenkt. Eine Woche vorher, als wir alle bei Tai und Sora waren, hatte ich gesagt, dass ich noch nie in einem Spa war und es gerne mal ausprobieren würde.“ „Also kann er zuhören.“ „Als ich krank war, hat er mir aus meinem Lieblingsrestaurant Nudelsuppe kommen lassen. Am nächsten Tag hat er mir selber welche gekocht, sein Spezialrezept.“ „Er will ja auch Nudelsuppenkoch werden, also…“ Eher zufällig sah Mimi aus dem Fenster. „Übrigens, wenn man vom Teufel spricht. Da draußen läuft dein Verehrer vorbei. Zusammen mit Ken.“ Schweigend beobachteten die drei Frauen ihre Freunde und jede hatte andere Gedanken. Sora fragte sich, warum Tai nicht halb so aufmerksam war wie Davis. Wenn sogar der ungestüme Junge von damals sich so entwickeln konnte, warum musste dann ausgerechnet ihr Freund ein solcher Langweiler sein. Das Leben war wirklich nicht fair. Kari hatte zwei Männer, die sich liebevoll um sie kümmerten, T.K., ihr offizieller Freund, und Davis, ihr nicht gerade heimlicher Verehrer. Irgendwie musste es doch möglich, dass Davis endlich kapierte, was Ken für ihn empfand. Während Kari beobachtete, die die beiden Freunde sich verabschiedeten und in verschiedene Richtungen gingen, überlegte sie hin und her, doch ihr fiel einfach nichts ein. Sie hatte schon längst gemerkt, was Ken für seinen eigentlich besten Freund empfand. Zwar würde sie Ken gerne helfen, nur war da immer noch das Problem, dass sie Davis‘ Aufmerksamkeit genoss – welcher Frau würde das auch nicht schmeicheln? Aha! Da musste etwas getan werden, das war Mimi sofort klar, als sie Kens Blick sah, als Davis in die andere Richtung ging. Hier war ein akuter Liebesnotfall und das Schicksal wollte es wohl so, dass sie, Mimi, gerade zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort war. Es war eindeutig: Davis und Ken waren das perfekte Paar, auch wenn Davis das vielleicht noch nicht klar war. Und sie musste auch nicht lange nachdenken, um einen Plan zu entwickeln, nein, das ging schnell. „Ähm, Leute, ich muss dann langsam mal los“, unterbrach Mimi das nachdenkliche Schweigen, das die kleine Runde ergriffen hatte. „Ich ruf euch an, ja?“ Sie umarmte ihre beiden Freundinnen kurz und stürmte dann zur Eisdiele raus. Glücklicherweise hatte Tai ihr Gepäck versorgt und so konnte sie ohne große Umstände oder Hindernisse direkt zu ihrem Ziel: Ken. ~~~ Ken war gerade zu Hause angekommen, als es an der Tür Sturm klingelte. Eigentlich war das Klingeln typisch Davis, doch der war gerade beim Training. „Wer ist da?“ „Ich bins, Mimi. Lass mich rein.“ Verblüfft drückte Ken den Türöffner und wartete dann in der Tür, bis Mimi aus dem Aufzug kam. „Was…“, wollte er fragen, doch er kam nicht weit, denn die junge Frau stürmte in seine Wohnung, zog ihn mit und drückte ihn dann auf einen Stuhl. „Seit wann bist du denn schon in ihn verliebt?“ Mimi zog sich einen weiteren Stuhl heran und ließ sich ihm gegenüber nieder. „In wen?“ „Na in wen wohl? In Davis natürlich.“ Augenblicklich setzte Ken ein Pokerface auf, doch die erschrockene Blässe konnte er nicht verbergen. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ „Ach, Junge, versuche nicht, mich zu täuschen. Wenn es etwas gibt, womit ich mich auskenne, ist es die Liebe.“ „Na dann…“ Ein Blickduell zwischen den beiden entwickelte sich. Keiner war bereit nachzugeben. „Ich habe euch vorhin zusammen gesehen.“ „Das kann vorkommen, wenn man befreundet ist.“ „Dein Blick war wohl eher der eines schmachtenden Mädchens.“ Kens Blässe entwickelte sich langsam zu tiefen Rotton. „…“ „Wie ein pubertierendes Mädchen, das heimlich seinen Schulschwarm oder seinen Lieblingsschauspieler betrachtet.“ Sofern das möglich war, wurde Ken noch röter, doch er hielt immerhin Mimis forschendem Blick stand. „Hast du vielleicht auch ein Poster von Davis an deiner Wand hängen? Oder gar ein Bild in deinem Geldbeutel?“ Entspannt lehnte Mimi sich zurück, ohne dabei den Blick von Ken zu lösen. Sie würde so oder so an ihr Ziel kommen, da war sie sich hundertprozentig sicher. „Tatsache, ich habe ein Foto von ihm in meinem Geldbeutel… von dir allerdings auch.“ So langsam gewann Ken seine Fassung wieder. Er sich sicher, so konnte er Mimi standhalten. „Ich verstehe.“ Zwei, drei Minuten starrten die zwei sich schweigend an, bevor Mimi die Stille erneut durchbrach. „Tut es nicht weh, wenn er Kari Rosen schenkt?“ „Was?“ „Na ja: Du liebst ihn. Er liebt Kari. Kari liebt ihn nicht und trotzdem tut sie nichts, um ihn von seinen romantischen Gesten abzuhalten. Schmerzt das etwa nicht?“ „Ich… ich weiß nicht, was du meinst“, erwiderte Ken sehr defensiv. „Doch, das weißt du. Das weißt du sehr genau. Lass mich raten, er fragt dich auch noch um Rat. Seien wir einmal ganz ehrlich: Schafft es Davis wirklich allein, diese ganzen Aktionen zu planen?“ Ein kurzes hartes Schlucken war Kens einzige Reaktion. „Ich frage mich nur, warum du ihm hilfst. Diese durchdachte, aufmerksame Romantik passt eher zu dir. Nicht, dass Davis nicht romantisch sein könnte, aber eher auf eine wilde, intensive und spontane Art, oder?“ „Möglich.“ Es verblüffte Ken, wie Mimi das Ganze scheinbar mühelos durchschauen konnte. „Dann bleibt doch wirklich nur noch die Frage zu klären, warum du dir das antust.“ Mit verschränkten Armen und entspannt zurückgelehnt saß Mimi da. Wie sie bereits gesagt hatte, Liebesdinge lagen ihr. „Warum wohl…“, murmelte Ken leise vor sich hin und senkte letztendlich den Blick. Diesen Sieg hatte Mimi errungen, er ging mit wehenden Fahnen unter. „Wer hört schon gerne ein Liebesgeständnis von seinem besten Freund, nicht wahr? Also spielst du einfach sein Spiel, egal, ob es dir weh tut oder nicht. Und dieser Esel, der sich dein bester Freund schimpft, merkt es nicht einmal.“ Ken versuchte ein Lächeln, doch es fiel ziemlich dünn aus. „Soll ich mich vor dir verbeugen? Immerhin bist du ja scheinbar die Meisterin der Liebe.“ „Die Verbeugung ist dann fällig, wenn ich meine Mission erfüllt habe.“ Mit einer dumpfen Vorahnung fragte Ken nach: „Was für eine Mission?“ „Ich sage dir, Davis weiß es zwar noch nicht, aber du bist sein optimaler Partner, also, was denkst du wohl, ist unsere Mission?“ „Oh Gott.“ „Mimi reicht vollkommen. Wir haben eine Woche Zeit, danach fliege ich zurück. Bist du bereit?“ „Und wenn ich es nicht bin?“ Die Antwort auf diese Frage kannte Ken zwar schon, aber sicherheitshalber fragte er lieber noch einmal nach. „Du bist bereit. Ich auch. Und ich habe bereits eine Idee.“ ~~~ Auch Sora war in der Zwischenzeit in ihre gemeinsame Wohnung mit Tai zurückgekehrt. Noch immer dachte sie über Davis, Kari und T.K. nach und eines war sicher: Sie war nicht glücklich. Sie war nicht ruhig. Nein, sie war sogar ziemlich wütend. „Schatz, bist du das?“, ertönte Tais Stimme aus dem kleinen Wohnzimmer. Wer denn auch sonst. Vielleicht die Zahnfee? Zähneknirschend beschloss Sora sich zusammenreißen. Sie hatte einen Plan… zugegebenermaßen keinen sehr guten Plan, aber etwas Besseres war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen. „Ja, ich bin wieder da“, erwiderte sie knapp. Zusammenreißen bedeutete ja nicht vor Freude zu sprudeln. Nachdem sie die Schuhe ausgezogen hatte, ging sie in Richtung Wohnzimmer. „Hey, wie war es?“ Wie sie vermutet hatte, saß Tai an seinem Computer, spielte sein Lieblingsspiel und hatte eine Cola neben sich stehen. Alles wie immer, alles vorhersehbar. „Es war schön. Und stell dir vor, was Kari erzählt hat. Sie war doch letzte Woche krank, das weißt du ja, oder?“ „Klar, es hatte sie ganz schön erwischt, die Arme.“ Immerhin hatte Tai mal das Spiel auf Pause gestellt, es gab doch auch mal Fortschritte, wenn auch nur kleine. „Davis hat ihr diese Suppe von ihrem Lieblingsrestaurant vorbeigebracht. Und dann hat er ihr noch sein Spezialrezept gekocht, süß, oder?“ Hoffentlich verstand Tai diesen Wink mit dem Zaunpfahl, denn als Sora das letzte Mal krank war, war er für drei Tage zu Matt gezogen, damit er sich nicht ansteckte. Nicht sehr romantisch. „Ich wünschte wirklich, Kari würde mit dem armen Kerl endlich mal Klartext reden.“ Tais Gesicht verdüsterte sich, so sehr er seine Schwester liebte, diese Spielerei mit Davis nervte ihn wirklich. „Sie ist doch mit T.K. glücklich, muss denn das noch sein?“ „Wo ist das Problem? Ist doch süß. Und irgendwann wird Davis jemanden finden, dann wird er schon von alleine aufhören.“ „Ich finde es nur nicht richtig. Kari macht ihm falsche Hoffnungen, sie sollte ihm wirklich klar machen, dass sie und er niemals zusammen kommen. Ich liebe sie wirklich, aber diesen Zug an ihr mag ich einfach gar nicht.“ „Wenigstens bemühen sich die Jungs um sie und geben sich Mühe. Ganz im Gegenteil zu dir!“ Mühsam unterdrückte Sora die Tränen. „Ich glaube, ich ziehe ein paar Tage aus, ich brauche Abstand.“ „Sora, was soll das?“ Während sie eine kleine Reisetasche packte, lief Tai um sie herum, redete auf sie ein, doch sie hatte sich entschlossen, kein Wort mehr zu sagen. So ging es einfach nicht weiter und wie es weitergehen sollte, wusste sie auch noch nicht. Bis sie eine Lösung fand, würde sie ausziehen. ~~~ Auch bei Kari lief im Moment nicht alles so, wie sie es sich wünschte. Nachdem sie von der Eisdiele zurückgekehrt war, wurde sie zwar von T.K. herzlich begrüßt, doch das änderte sich ziemlich schnell. „Übrigens sind Davis und Ken vorbeigekommen. Wir sollten uns wirklich alle mal wieder treffen, so lange Mimi in Tokio ist.“ „Kann sein.“ Obwohl T.K. vorher noch so fröhlich erschien, kühlte sich seine Laune merklich ab. Kari wusste, dass er in Bezug auf Davis ziemlich empfindlich reagierte, sie hätte jedoch nicht gedacht, dass dies auch bei einer bloßen Erwähnung passierte. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, dass sie Davis einen Korb verpasste. Doch wie stellte sie das am besten an? Während sie nachdenklich eine ihre Pflanzen anstarrte, bekam sie eine SMS von Sora. „Sag mal…“, fing sie an, wurde jedoch von einem kühlen Blick unterbrochen. „Was ist?“ Scheinbar war Davis wirklich ein rotes Tuch für T.K., ein ziemlich rotes Tuch. „Kann Sora für ein paar Tage hier übernachten? Sie und Tai hatten wohl einen Streit und jetzt braucht sie Abstand.“ „Vielleicht sollte ich dann einfach auch ein paar Tage zu Tai gehen. Sonst ist es hier zu eng.“ Kari musste ziemlich schlucken, nickte dann aber notgedrungen. Vielleicht half es T.K., und sie hatte ein paar Tage Zeit, um die Sache mit Davis zu klären. Es war wirklich an der Zeit, etwas zu ändern. Die Schmeicheleien würden ihr dann zwar fehlen, aber sie liebte ja schließlich T.K. und nicht Davis. „In Ordnung. Aber bitte komm zurück, ja?“, bat sie ihn leise, mit gesenktem Kopf. „Wenn Sora und Tai sich versöhnen. Ich geh jetzt packen.“ T.K.s Stimme klang schon etwas sanfter, aber immer noch hatte sie diesen kühlen Unterton. „Mach das…“, erwiderte sie leise und als er das Zimmer verlassen hatte, schickte sie noch ein geflüstertes, kaum hörbares „Ich liebe dich“ hinterher. Jetzt stellte sich nur noch eine Frage: Wie wurde sie Davis am schnellsten los? Eine SMS von Mimi bot ihr die perfekte Lösung: Morgen auf dem Picknick. Davis war da, T.K. war da, und in der Öffentlichkeit konnte Davis keine Szene machen. Einfach perfekt. An diesem Tag wäre sie so oder so nicht dazu gekommen, da Sora jetzt erst einmal vorging. Kapitel 2: Steigerung --------------------- Mimi hatte ihre Basis in Kens Wohnung aufgeschlagen, sehr zum Unmut von genau diesem. Und von diesem Standpunkt aus, begann sie zu planen. Das Picknick am nächsten Tag war ein guter Anfang. Oder eigentlich ein gutes Mittelstück. Doch man musste jeden Tag nutzen und dieser Tag war noch lange nicht zu Ende. Im Moment gerade telefonierte sie mit Davis. Ihr Ziel: Ein Date (auch wenn Davis davon nichts wusste) mit Ken. Für sich selbst würde sie einfach Joey hinzubeordern, der würde nicht merken, was sie plante und war somit der perfekte Begleiter. „Also, kommst du mit?“ „Hm… ich…“ „Super! Das wird ein Spaß, ich war schon ewig nicht mehr in einem richtig schönen japanischen Gruselhaus. Ken und Joey kommen auch mit. Lass mich also nicht hängen. Wir treffen uns in einer Stunde dort, ja?“ Mit diesen Worten legte sie auf und war sich eigentlich ziemlich sicher, dass Davis kommen würde. Nun musste nur noch Joey angerufen werden, dann war die Sache geklärt. Und tatsächlich, keine fünf Minuten später, hatte ihr alter Freund zugesagt – ohne richtig zu wissen, was mit ihm geschah. Ken saß während der ganzen Zeit schweigsam auf seinem Stuhl und wurde von Mimis Initiative und Energie überrollt. Er wusste nicht wirklich, was mit ihm geschah, und darüber war er sogar froh. „Bist du bereit?“ „Darüber kann man streiten.“ „Operation Davis startet jetzt. Du weißt, was du zu tun hast?“ Schweigen war Kens einzige Antwort. Mimis Plan war eindeutig auf ein Mädchen zugeschnitten und er hatte nicht vor, sich in Panik an Davis zu klammern. So gruselig waren diese Horrorhäuser auch wieder nicht. „Du weißt, was du zu tun hast?“ Mimi gab so schnell nicht auf, ihr Ton wurde eine Nuance schärfer, ihr Blick wurde strenger. Aber auch Ken wollte dieses Mal nicht aufgeben, denn dieser Plan passte ihm absolut nicht. Er war doch kein Mädchen. „Ken?“ „Mimi.“ „Ken?“ „Mimi.“ „Ken?!“ „Wie lange willst du das noch spielen?“ „So lange, bis ich deine Zustimmung habe.“ Mimi grinste zufrieden vor sich hin. Ihr Plan war gut, ihr Plan würde gelingen, ganz genau. „Ich werde nicht wie ein Mädchen kreischen.“ „Du Idiot, das sollst du ja auch gar nicht.“ Kopfschüttelnd betrachtete sie Ken. „Ich sprach von Körperkontakt und nicht von einer Ganzkörperumklammerung. Unauffällig seine Hand streichen oder auch mal seinen Rücken. Vielleicht mal zu ihm beugen, ihm etwas in das Ohr flüstern. Sende einfach Signale aus.“ Als ob das so einfach wäre… Aber immerhin klang dieser Plan schon besser als der erste. Nicht gut, aber besser. „Sei kein Feigling. Willst du wirklich ewig hinter Davis herlaufen und seine romantischen Aktionen organisieren?“ Nicht unbedingt, also nickte Ken und beschloss bei sich, dass es im Spukhaus dunkel genug sein würde. Mimi konnte also gar nicht mitkriegen, ob er ihre Anweisungen ausführte oder nicht. Aber vielleicht konnte er es auch einmal… Nein. Oder doch? Auf dem ganzen Weg zum Horrorhaus gab Mimi Ken Tipps, die dieser jedoch gar nicht wahrnahm, da er in Gedanken hin- und herüberlegte. Sollte er oder sollte er nicht? Also gut, einmal konnte er ja testen. Was war schon dabei? Als Kinder in der Digiwelt hatten sie immerhin Händchen gehalten und ihre Herzen hatten im Einklang geschlagen. Eine zufällige Berührung der Hand konnte gar nicht so dramatisch sein. Wahrscheinlich würde Davis es nicht einmal kapieren. Es war nichts dabei, wirklich nichts. „Ken? Hallo Ken?“ Ohne, dass er es gemerkt hatte, waren sie auf Davis und Joey getroffen. Erst als Davis‘ Hand vor seinem Gesicht rumwedelte, kehrte er langsam in normale Sphären zurück. Und lief prompt tomatenrot an. „Sag mal, hast du Fieber?“ Davis‘ Hand, die nun auf seiner Stirn lag, half ihm nicht unbedingt dabei, wieder normale Farbe anzunehmen, ganz im Gegenteil. Ken wurde noch röter und schwitzte immer mehr. „Du wirst doch nicht etwa krank?“ „Dann könntest du ihm ja deine Spezialsuppe kochen, nicht wahr?“ Mimi grinste Davis frech an, woraufhin dieser sofort von Ken zurückwich. „Entspann dich, Davis, ich frier auch nicht gerade. Und wenn du deine heiße Hand auf ihn legst, ist ja klar, dass Ken kocht.“ „Das… das stimmt“, nutzte Ken die Möglichkeit, die Mimi ihm bot. „Ist halt heiß heute.“ „Nachdem wir das geklärt haben, lasst uns reingehen! Ich freu mich schon wahnsinnig, in Amerika gibt es zwar Ähnliches, aber das hier ist immer noch am besten.“ Nachdem sich jeder der vier eine Karte besorgt hatte (Mimi hatte sich von Ken eine bezahlen lassen), standen sie nun vor dem Eingang. „Oh, ich freu mich schon.“ Und mit Schwung schmiss sich Mimi an Joey. „Wir gehen zusammen rein, dass das klar ist.“ Ohne große Chance, sich zu wehren, wurde Joey von Mimi mitgezogen und die beiden verschwanden ziemlich schnell. „Gehen wir dann zusammen?“, fragte Ken fast schüchtern und stellte im gleichen Moment fest, dass das eigentlich eine ziemliche blöde Frage war. Doch glücklicherweise schien Davis das nicht mal zu merken, sondern nickte einfach nur zustimmend. „Na dann…“ Gemeinsam betraten sie das Gruselhaus und liefen schweigend hindurch. Richtig schocken konnte Ken nichts, dazu waren seine Gedanken viel zu sehr auf Mimis Plan fixiert. Zum Glück war es hier dunkel, so dass Davis nicht sehen konnte, wie er schon wie rot anlief. Also gut, ein Versuch war es wert. Vorsichtig näherte er sich an und streifte Davis Oberarm. „Entschuldige bitte.“ Wie peinlich. Aber immerhin hatte er es versucht. Wenn er jetzt schon dabei war, konnte er vielleicht auch noch mehr ausprobieren. Eine super Erklärung hinterher wäre ein Hitzschlag. Ein bisschen mit dem Arm schlenkern, ein bisschen die Hand streifen, einmal, zweimal. Erledigt. Was hatte Mimi noch gesagt? Ein Schrei ertönte und brachte Ken zum Grinsen. Nach Mimis Auftrag beugte er sich zu Davis und flüsterte ihm zu (zumindest hoffte er, dass er in Davis‘ Ohr flüsterte): „Ich hätte eher nicht erwartet, dass Joey so kreischt.“ Also gut, das war wirklich eine peinliche Aktion gewesen, sowohl von Joey als auch von ihm. Und zum Glück war der Ausgang praktisch vor ihnen. Andererseits war das auch Unglück, denn jetzt musste Ken in Davis‘ Augen sehen und davor hatte er doch ein bisschen Schiss. „Und wie wars?“ Mimi wirkte leicht genervt, vielleicht störte sie Joey, der immer noch ihren Arm umklammert hielt. „Gruselig“, erwiderte Ken, bezog sich dabei aber nicht auf das Horrorhaus, sondern eher auf seine eher kindisch wirkenden Aktionen. „Hm…“, fügte Davis äußerst kreativ hinzu. Ken war so mit sich selbst beschäftigt, dass er nicht einmal merkte, wie sein Freund nachdachte. Zuerst hatte sich Davis ja überlegt, dass das eigentlich eine fantastische Idee wäre, um mit Kari dort hinzugehen: Ein bisschen Gruseln, ein bisschen Horror und vielleicht würde sie ihm verfallen. Aber dann… „So, Jungs, wir zwei verlassen euch jetzt.“ Mimi versuchte, Joey abzuschütteln, aber dessen Hand schien magnetisch an ihr festzukleben. „Ich muss noch ein paar Sachen für morgen besorgen. Und Joey hilft mir dabei. Ihr solltet vielleicht etwas trinken gehen. Ihr seht ein bisschen blass um die Nase aus.“ Lächelnd zog sie Joey hinter sich her und entschied für sich, dass es gar nicht so schlecht gelaufen war. „Davis muss nur ein bisschen aufgerüttelt werden, dann klappt das schon“, murmelte sie leise vor sich hin. „Was hast du gesagt?“ „Ich sagte nur, dass Davis und Ken ein süßes Pärchen sind.“ Fröhlich vor sich hin summend lief Mimi voran, Joey, der inzwischen ihren Arm freigegeben hatte, immer einen Schritt hinterher. „Wie bitte?“ „Na, die beiden sind ein niedliches Paar. Findest du das etwa nicht?“ „Ähm.“ Als Mimi abrupt stehen blieb und sich umdrehte, lief Joey fast in sie hinein, konnte jedoch gerade noch stoppen. „Joey, ich brauche deine Hilfe.“ Mit ihren großen Augen sah sie ihn bittend an, wohlwissend, dass dieser Trick bei ihrem Freund immer funktionierte. „Also gut…“, gab Joey dann auch relativ schnell nach, bevor ihm einfiel, dass er noch gar nicht wusste, wobei er helfen sollte. „Wir werden Davis und Ken verkuppeln. Gut, dass du mir hilfst!“ Faszinierte beobachtete Mimi, wie Joey sich von einem Fragezeichen zu einem „Hilfe-wo-bin-ich-da-reingeraten“ bis hin zu einem „Ich-verstehe-einfach-gar-nichts-mehr“ verwandelte. „Willst du die Kurzzusammenfassung?“ Heftiges Nicken war die Antwort. „Also: Ken ist in Davis verliebte, Davis wird sich bald zu Ken hingezogen fühlen, die beiden passen perfekt zusammen. Und das Ganze ergibt eine Kuppelaktion!“ Wirklich schlauer war Joey jetzt nicht, aber eines hatte er schon früh gelernt: Wenn Mimi sich einmal zu etwas entschlossen hatte, dann zog sie es auch durch. Und wenn einer überhaupt keine Chance gegen Mimi hatte, dann war er das. Joey war zwar immer noch der Ansicht, dass er nicht unbedingt der Experte für Liebe war und sich deshalb raushalten sollte, aber gegen Mimi kam er einfach nicht an. „Morgen auf dem Picknick sorgen wir dafür, dass Kari Davis abserviert. Dann ist er traurig und fertig und wütend und Ken hat seinen Einsatz. Alles klar?“ „Alles klar.“ Und selbst wenn nicht, was sollte er schon groß anderes sagen? „Lass uns ein paar Sachen für das Picknick besorgen, okay? Jeder bringt was mit, aber wir müssen für die romantische Stimmung sorgen.“ Denn was Mimi Joey verschwiegen hatte, war die nur kleine Tatsache, dass sie ausschließliche Paare (und zukünftige Paare) informiert hatte. Den Rest würde sie danach treffen. Und Joey war morgen ihr Partner, wenn auch nur ein Scheinpartner. Trotzdem hatte sie sich dazu entschlossen, dass er auch nicht alles wissen musste. ~~~ „Wollen wir nicht wirklich etwas trinken?“, fragte Ken, immer noch ziemlich verlegen. „Okay.“ Beide waren so in ihre Gedanken vertieft, dass sie nicht merkten, dass der jeweils andere sich etwas seltsam verhielt. Davis fragte sich immer noch, ob er das nur geträumt hatte oder ob diese Gefühle, die in ihm aufkamen, als Ken ihm etwas in das Ohr flüsterte, real waren. Andererseits hatte er vorhin an Kari gedacht und die beiden waren sich so ähnlich, dass das vielleicht nur eine Täuschung war. Ja, genau das war es, Davis hatte Ken mit Kari verwechselt, definitiv. Das war nur die Schuld dieser Situation, der Dunkelheit, dieser Charakterähnlichkeit und seiner Gedanken an Kari. Fast schon erleichtert riskierte er einen Blick auf Ken. Dabei nahm er dessen leicht geröteten Wangen, die etwas unordentlich gewordenen Haare und die glänzenden Augen war und für einen Moment schlug sein Herz etwas schneller. „Oh Gott!“ „Was ist los? Alles okay?“ Besorgt betrachtete Ken seinen Freund, der leichenblass stehen geblieben war. „Davis? Alles klar?“ Nichts war klar. Immerhin hatte er sich vermutlich in seinen besten Freund verknallt. Oder verliebt? Aber konnte das überhaupt sein? Es war doch sein bester Freund. Sein bester männlicher Freund. Davis‘ Gedanken fuhren Karussell und Achterbahn zugleich. „Davis?“ Als Ken seine Hand leicht auf Davis‘ Schulter legte, zuckte dieser erschrocken zusammen. „Ich… also… ich… Genau, ich muss nach Hause. Richtig, da ist noch etwas, das ich machen muss. Wir sehen uns ja morgen. Bis dann also…“ Mit diesen Worten spurtete Davis davon und ließ einen verwirrten Ken zurück. Hatte es etwa funktioniert? Nein, das konnte nicht sein, das war zu einfach, da war Ken sich sicher. Als ob diese Dinge so einfach klappen würden. Er war ja nicht in einer dieser furchtbaren Seifenopern, die dauernd im Fernsehen liefen. Und schon gar nicht einem Shoujo-Manga oder gar in einem Shonen-Ai-Anime. Das hier war reale Welt und die war deutlich komplizierter. Kopfschüttelnd stapfte er in Richtung seines Apartments. Alles, was er jetzt brauchte, war ein langer Schlaf, um wieder klar im Kopf zu werden. Und morgen früh… würde sicher alles besser aussehen. Hoffentlich. Kapitel 3: Peripetie -------------------- Der nächste Tag kam schneller, als Ken sich das erträumt hätte. Obwohl er sofort, nachdem er in seiner Wohnung ankam, ins Bett schlüpfte, fühlte er sich am Morgen wie gerädert. Eine unruhige Nacht, immer wieder schlechte Träume, dauernd war er aufgewacht – und das alles dank Mimi. Vielleicht war er nicht glücklich gewesen, aber zumindest war sein Leben friedlich verlaufen. Was wollte der Mensch mehr? Grundsätzlich war Mimis Idee und vor allem ihr Ziel zwar gut, aber der Weg dorthin war schlimmer als gedacht. Doch lange hatte Ken keine Zeit, sich in Selbstmitleid zu ergehen, denn er war mit Sora und Kari verabredet. Kari hatte ihn dazu überredet, mit ihnen zusammen zum Picknick zu laufen. Irgendwie wurde er in letzter Zeit dauernd von Frauen zu etwas überzeugt. Schnell war er gerichtet, ebenso wie sein Beitrag zu dem Picknick (er sollte nur zwei Decken mitbringen, Mimi hatte beschlossen, dass er sich lieber auf Davis konzentrieren sollte). Es konnte also losgehen – zumindest theoretisch. Bereit war er zwar nicht, aber er wollte die anderen auch nicht warten lassen. „Ken!“, rief Kari ihn herbei und begrüßte ihn lächelnd. Nicht ohne Grund hatte sie ihn heute treffen wollen, bevor sie zu dem Picknick gingen. Schon länger ahnte sie, dass Ken in Davis verliebt war und heute musste sie ihm auf den Zahn fühlen und ihn in die richtige Richtung lenken, wenn sie auch noch wusste, wie genau das gehen sollte. Am Tag zuvor war sie zu nichts mehr gekommen, da Sora ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht hatte, ihrer Freundin ging es wirklich nicht gut. Auch momentan grübelte sie noch und überlegte, was sie tun sollte. Kari selbst konnte sie nur trösten, aber einen Rat geben, das ging nicht, Tai war immer noch ihr Bruder. Sora musste das mit sich selbst ausmachen. „Also, Ken, erzähl, wie war das gestern?“ Als sie anrief, war er gerade auf dem Weg zu einem Horrorhaus gewesen und wollte sich dort mit Davis treffen. Dass auch Joey und Mimi dabei waren, ignorierte sie einfach mal. Hier ging es schließlich nicht um sie. „Es war…“ Wie drückte er das jetzt am besten aus, ohne zu viel seiner Gedanken zu verraten und ohne zu wenig zu erzählen? „Es war interessant. Wirklich. Gruselig zwar auch, aber na ja, du kennst das ja.“ „Hm, das ist mir zwar peinlich, aber immer, wenn ich in so etwas bin, krieg ich Angst. Zum Glück ist T.K. gut zum Festhalten.“ Das war nur ein bisschen gelogen, nur ein winzig kleines bisschen. „Joey hat wohl auch Panik gekriegt und sich an Mimi gekrallt.“ „Ah, dann warst du mit Davis drin?“ „Ja“, erwiderte Ken betont gleichmütig. „Aha.“ Vielleicht lief es für Kari ja besser als gedacht. „Hey! Sora! Kari!“, ertönte plötzlich Tais Stimme und er eilte zu ihnen. „Sora, ist alles in Ordnung?“ Seine Freundin warf ihm nur einen vielsagenden Blick zu und wandte sich dann ab. „Schatz, bitte rede mit mir. Wenn du mir sagst, was los ist, kann ich es doch ändern.“ Kari hingegen sah bittend zu T.K., der Tai begleitet hatte, und sie ebenfalls schweigend betrachtete. Eine unangenehme Atmosphäre entstand, als die beiden zerstrittenen Paare nebeneinander her wanderten. Sora schwieg vehement, ebenso wie Kari und T.K., während Tai versuchte, auf seine Freundin einzureden. Ken, der sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlte, dachte zum ersten Mal seit Mimis Besuch bei ihm nicht mehr über seine Situation nach, sondern hoffte einfach nur, möglichst bald im Park anzukommen. ~~~ Joey, der gestern noch den Auftrag bekommen hatte, Davis abzuholen, stand nun vor dessen Tür und klingelte. „Wer is‘ da?“ Wie Mimi vermutet hatte, war Davis noch im Halbschlaf und alles andere als gerichtet. „Joey. Lass mich hoch.“ „‘kay“, kam eine leise Erwiderung. Seufzend machte sich Joey auf den Weg in die chaotische Wohnung und wurde von einem noch Boxershorts tragenden Davis erwartet. „Was is‘ denn los?“ Wie Ken hatte auch Davis eine unruhige Nacht und war erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen. „Das Picknick?“ Mit einem „Oh verdammt“ stürmte der nun vollkommen wache Davis an seinen Kleiderschrank und zog sich im Eilverfahren an. Unterdessen wollte Joey in der Küche ein paar Sachen für das Picknick zusammen richten, stellte aber überrascht fest, dass eine Kiste mit lauter selbstgekochten Leckereien schon bereit stand. Was Joey nicht wusste, war, dass Davis seine schlaflose Nacht zum Kochen genutzt hatte und dabei jede Menge Zeug zusammengekommen war, wirklich jede Menge. „Ich hatte Lust, ein bisschen zu kochen.“ Verlegen stand Davis in der Küchentür und betrachtete das Ergebnis seiner Kochattacke. „Ein bisschen?“ „Ja.“ „Also gut, dann lass uns mal gehen.“ Zusammen trugen sie die Kiste, die dank ihres Inhalts nicht gerade leicht war, und machten sich auf dem Weg zum Picknick. Als sie schon ein paar Minuten gegangen waren, kam Joey das Ganze etwas komisch vor: Davis war an diesem Tag ausgesprochen schweigsam. „Alles klar bei dir?“, fühlte er sich schließlich gezwungen zu fragen, denn das war mehr als nur außergewöhnlich, es war geradezu unwahrscheinlich. „Hm…“, war Davis‘ äußerst informative Erwiderung, denn er dachte wieder angestrengt nach. „Können beste Freunde auch mehr sein?“ Warum ausgerechnet ich? So ungefähr lauteten Joeys Gedanken in genau diesem Moment. Kurz darauf bewunderte er Mimis Vorhersagefähigkeit. „Hm…“, erwiderte er schließlich, genauso informativ wie Davis zuvor. Glücklicherweise war er nicht gezwungen, mehr zu sagen, denn genau in diesem Moment erreichten sie den Park und wurden von einer strahlenden Mimi erwartet. Joey dankte allen überirdischen Mächten, die angebetet wurden – Glück musste der Mensch haben. „Hey Jungs! Wie ihr seht… wow, was habt ihr denn alles dabei?“ Mit großen Augen bestaunte Mimi die Kiste voller Leckereien. „Davis hatte Lust zu kochen“, Joey versuchte so vieldeutig zu klingen, wie ihm nur möglich war – also gar nicht. „Wow. Also, es lohnt sich wirklich, jemanden zu kennen, der Koch werden will.“ „Hm“, kommentierte Davis das Ganze. Seine Gesprächigkeit hielt sich an diesem Tag wirklich in Grenzen, zu viel beschäftigte ihn. „Na dann, stellt mal ab und lasst uns auspacken. Da kriege ich ja richtig Hunger.“ Auch wenn Joeys Versuch, Mimi etwas mitzuteilen, nicht ankam, hatte sie doch selbst Augen im Kopf und frohlockte insgeheim. Ihre Versuche hatten wohl gefruchtet. Zusammen mit einer dunklen Wolke betraten die anderen fünf noch Fehlenden den Park. In der Zwischenzeit hing jeder von ihnen ziemlich trübseligen Gedanken nach, auch Ken hatte sich wieder seinen eigenen Problemen zugewandt. „Okay…“ Mimi sah Joey mit hochgezogenen Augenbrauen an. Seit sie die anderen gestern getroffen hatte, schien sich die Stimmung leicht verändert zu haben, geringfügig. Das konnte ja heiter werden. „Hallo Leute! Schaut mal, was Davis gezaubert hat.“ Essen war immer eine gute Ablenkung. Das hoffte sie zumindest. „Ist das nicht toll? Schönes Wetter, gutes Essen, wir alle zusammen. Was gibt es Besseres?“ Siebenfaches Schweigen gab ihr die Antwort: Vielleicht ein Aufenthalt in der Hölle, da war es wenigstens warm. Aber da musste sie jetzt durch. „Joey, lass uns Decken und so richten.“ Tai zog seinen Freund mit sich zu dem Baum, den auch Mimi sich schon ausgesucht hatte. „Sora macht mich wahnsinnig. Kann ich etwa hellsehen?“ Wütend schmiss er die Decken auf den Boden, während Joey (aus sicherer Entfernung) zusah. „Ganz ehrlich, in einer Beziehung sollte man doch reden können. Aber sie antwortet mir nicht einmal. Wie soll ich so rausfinden, was ihr Problem ist?“ „Hm.“ Die Antwort hatte sich schon bei Davis als nützlich erwiesen, warum nicht auch jetzt mal testen? Aber so wie es schien, wollte Tai auch keine Antwort, denn er stürmte schon wieder weg. Statt Tai tauchte nun T.K. auf, der zwar nicht vor Wut kochte, aber auch nicht unbedingt friedlich gestimmt war. „Hier sind noch Kissen.“ Er hielt sie Joey unter die Nase, während er Davis mit seinen Blicken zu töten versuchte. „Kari ist meine Freundin, nicht wahr? Warum kann er es nicht akzeptieren?“ „Hm.“ Aller guten Dinge waren drei – also startete Joey einen weiteren Versuch. Und er kam wieder damit durch. „Ich muss nachdenken.“ T.K. ließ sich auf einem der Kissen nieder, verschränkte die Arme und dachte nach. Joey hingegen entfernte sich ziemlich schnell in Richtung Mimi, im Moment erschien sie ihm als die sicherste Zuflucht. ~~~ „Kari! Wir müssen reden.“ Ziemlich genervt zog Tai seine Schwester mit sich und weg von Sora und Mimi. „Irgendwie scheint Sora wegen dir durchzudrehen, kannst du mir sagen, warum?“ „Du bist echt ein Idiot. Merkst du eigentlich gar nichts mehr?“ „Was meinst du? Ich würde es ja gerne verstehen, aber ich kann nun mal keine Gedanken lesen.“ „Das ist ausgesprochen schade. Aber denk mal nach. Wie läuft eure Beziehung?“ Mehr als einen Hinweis zu geben, konnte Kari nicht, das hatte sie Sora versprochen. „Wie soll sie schon laufen? Gut, wir haben uns endlich in den Alltag eingelebt, alles läuft seinen Gang.“ „Ganz genau.“ „Wie? Ganz genau? Soras Problem ist also, dass wir eine normal funktionierende Beziehung haben?“ Kari schwieg, denn mehr konnte sie Tai wirklich nicht sagen, er musste selbst herausfinden, was das Problem war. Mit einem Schulterzucken wollte sie sich abwenden, als ihr Bruder sie zurückhielt: „Was ist mit Davis? Wann sagst du ihm endlich, dass du mit T.K. glücklich bist?“ „Das ist immer noch meine Entscheidung. Aber danke für dein Interesse.“ Sanft entfernte Kari die Hand ihres Bruders und versuchte erneut, sich abzuwenden, als dieser einfach weitersprach: „Ist es nicht auch Davis‘ Entscheidung? Und T.K.s? Du bist die einzige von euch, die da positiv bei rauskommt. Und dann sagst du, es ist allein deine Entscheidung? Nein, Kari, das ist es nicht. Ganz im Gegenteil.“ Endlich ließ Tai sie los, und Kari rannte praktisch davon, weg von den anderen, sie brauchte einen Moment für sich. Zwar hatte sie sich schon dafür entschieden, dass Davis heute eine Abfuhr bekommen würde, aber trotzdem trafen die Worte ihres Bruders sie tief. ~~~ „Oh je, Geschwisterstreit.“ Mimi sah zu den beiden rüber, konzentrierte sich dann aber lieber auf Ken, den sie geraden am Wickel hatte. „Also, erzähl.“ „Es gibt nichts zu erzählen.“ „Gestern ist nichts passiert?“ „Ich hab gemacht, was du gesagt hast und Davis ist abgehauen. Das war es auch schon.“ „Aha.“ „Nichts aha. Nur eine blöde Idee.“ „Abwarten.“ „Du hast gut reden. Hier steht mein bester Freund auf dem Spiel und nicht deiner. Es ist meine Beziehung, die du da gerade ruinierst.“ „Dazu müsstest du erst einmal eine Beziehung haben, die du ruinieren kannst. Oh, Joey. Was hat Davis so gesagt?“ Neugierig sah Mimi hoch, sie wollte alles erfahren. „Nicht viel. Eigentlich war er sogar ungewohnt schweigsam.“ Langsam ließ Joey sich nieder. Ob er wohl verraten sollte, was Davis ihn gefragt hatte? Er warf einen Blick zu Davis, der sich in der Zwischenzeit zu Sora gesetzt hatte und gemeinsam mit ihr das Gras betrachtete. Vielleicht würde er noch ein bisschen warten. Jetzt schien nicht gerade der geeignetste Moment zu sein. „Oho!“ Begeistert klatschte Mimi in die Hände. „Das läuft doch alles hervorragend.“ „Daran habe ich meine Zweifel“, erwiderte Joey und zeigte auf T.K., der wohl endlich den Entschluss gefasst hatte, was zu tun war. Mit ziemlich gemischten Gefühlen beobachteten sie, wie der Blonde in Richtung Sora und Davis lief – und dabei sehr entschlossen wirkte. „Was glaubst du, was er machen will?“ Mimi legte den Kopf schief, irgendwie lief eindeutig alles aus dem Ruder. „Davis umbringen?“ „Ja, irgendwie ziemlich wahrscheinlich.“ „Sollten wir etwas unternehmen?“ „Ja, eigentlich schon.“ Die zwei sahen sich an. Eigentlich wollte sich keiner so richtig vor den wütenden T.K. stellen, denn wenn dieser tatsächlich mal so drauf war, ließ man ihn lieber in Ruhe. Davis hingegen hatte wohl keine Chance, ihm auszuweichen. Zwar wollte er gerade aufstehen, doch er hatte seinen Angreifer zu spät gesehen und lag prompt wieder auf dem Boden – von einem festen Fausthieb niedergestreckt. Ein kurzer Kampf folgte, bevor Ken und Tai die beiden auseinander rissen, Ken hielt den knallroten Davis fest, während Tai mit dem schwer atmenden T.K. zu kämpfen hatte. „Komm schon, Kleiner. Wir gehen jetzt mal ein Stückchen zur Seite, okay?“ ~~~ Zunehmend genervt betrachtete Joey die Szenerie: Den wütenden T.K., den ahnungslosen Tai, die deprimierte Sora, die nachdenkliche Kari, Ken und Davis. So langsam war sein Geduldsfaden ziemlich am Ende. Jeder kochte hier sein eigenes Süppchen und alle redeten aneinander vorbei. Dabei sollte das nur ein Zusammentreffen von alten Freunden sein, auf dem man Spaß hatte und sich vielleicht auch an alte Geschichten erinnerte. Aber das hier war, kurz gesagt, ein Desaster. Und Joey reichte es. Ganz genau, es reichte ihm. „Ich glaube es einfach nicht“, murmelte er kaum hörbar, um kurz darauf mit deutlich kräftiger Stimme fortzufahren, „Mir reicht es.“ Erstaunt sah Mimi ihren Freund an. So entschlossen und aufgebracht kannte sie ihn nicht. Und wenn sie ihn so ansah, war sie auch ganz froh darüber. „Äh, Joey, was hast du vor?“ „Ich schaffe Klarheit.“ Wütend stapfte er auf seine Freunde und die desaströse Szenerie, die sie bildeten zu. Mit verschränkten Armen baute er sich vor ihnen auf. „Ihr hört mir jetzt alle mal gut zu, verstanden?“ Mit einem „Oh je…“ tauchte Mimi hinter ihm auf und versuchte ihn aufzuhalten – ohne Erfolg. „Also gut. Ist das denn alles so schwer zu verstehen? Tai, du langweilst Sora. Eure Beziehung ist furchtbar öde, das sehe ja sogar ich. Und du, Kari, solltest Davis endlich die Wahrheit sagen. Junge, kapierst du es nicht? Kari liebt dich nicht, hat dich nie geliebt und wird dich nie lieben. Du bist ein Schub für ihr Ego, mehr nicht. Sie liebt alleine T.K., was der auch so langsam mal kapieren könnte.“ Schnaufend holte Joey Luft und sah seine Freunde über die Brille hinweg eindringlich an. Tai saß mit offenem Mund da und blickte immer wieder zu Sora rüber, er sollte langweilig sein? Ihre Beziehung lief doch perfekt, was wollte man da mehr? Seine kleine Schwester hingegen war rot angelaufen, Joey hatte schließlich genau ins Schwarze getroffen: Sie nutzte Davis für ihr Ego. Wann war sie so geworden? „Und Davis. Da wäre noch etwas!“ „Oh je…“, kam es ein weiteres Mal von Mimi, die immer noch vor Joey auf und ab hüpfte, doch es brachte ihr nicht viel. Auch Ken ahnte nichts Gutes und versuchte, sich unsichtbar zu machen. „Du bist schwul. Ken ist schwul. Ihr seid verliebt. Kapiert ihr es? Davis liebt Ken. Ken liebt Davis. Ihr liebt euch untereinander. Ihr seid keine besten Freunde. Ihr seid verliebt.“ Während der weibliche Teil der Gruppe dies schon geahnt und gewusst hatte, schnappten T.K. und Tai nun nach Luft. Das übertraf ihre Probleme ja noch bei Weitem. „Ahahahaha… was redest du denn da?“ Kens Versuch, sich darüber lustig zu machen, scheiterte kläglich. Sein Lachen war so unglaublich falsch, dass er schließlich selbst aufgab und betreten auf das Gras zu seinen Füßen blickte. „Ken liebt mich?“ „Was? Also.. ich…“ Noch immer traute er sich nicht, seinen Blick zu heben. So eine Ameise hatte doch ein gutes Leben, sie musste nur für ihre Königin schuften. Liebesprobleme gab es da nicht. „Du liebst mich.“ Dieses Mal war es keine Frage, sondern eine Feststellung. Darauf folgte ein langes Schweigen, bis Ken schließlich kaum sichtbar nickte. „Ich… das… das ist gut.“ Mit einem „Was?“ riss Ken seinen Kopf hoch und starrte Davis an. Hochrot war dieser angelaufen, erwiderte den Blick seines Freundes allerdings fast schon trotzig. „Ich sagte, das ist gut. Ich glaube, ich… na ja. Ich dich auch.“ Zufrieden seufzend ließ Joey sich auf die Picknickdecke fallend und sah Mimi herausfordernd an: „Ganz ehrlich: Wäre es so nicht einfacher gewesen?“ „Joey.“ Sie beugte sich zu ihm und verpasste ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange. „Du bist einfach ein Original.“ Als sie aufstehen und zu den anderen zum Schlichten gehen wollte, hielt er sie an der Hand fest. „Lernst du es eigentlich nie? Lass sie es alleine regeln. Wir haben damit nichts zu tun, okay?“ Eher widerstrebend setzte Mimi sich zu ihm. Aber er hatte Recht, das wusste sie. So sehr sie ihnen helfen wollte, ihre Freunde mussten alleine damit klar kommen und das würden sie auch. „Du, Joey…“ „Was?“ „Bist du eigentlich verliebt?“ Laut lachend ließ sie sich rücklings auf ein Kissen fallen, als sie Joeys entsetzten Blick sah. „Entspann dich. Selbst wenn, das geht mich nichts an. Oder nur ein bisschen was.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)