Der Blutmaler von Sky- ================================================================================ Kapitel 6: Pause ---------------- Steven half Naomi gerne und quartierte sie ins Gästezimmer ein und versprach, mal ein ernstes Wort mit Raye zu reden. Was seine Überängstlichkeit in Bezug auf ihr Leben und ihre Gesundheit anging, da stimmte er ihr vollkommen zu. So konnte eine Beziehung auf Dauer wirklich nicht auf Dauer weitergehen. Aber andererseits hatte er auch Verständnis für Rayes Bedenken, mit einem solch gefährlichen Serienmörder wie Beyond Birthday zusammenzuarbeiten. Naomi war froh, dass sie sich bei Steven mal so richtig aussprechen konnte. Er hatte ein Talent dafür, alles aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und beide Seiten sorgfältig abzuwägen. Naomi sah ja auch ein, dass so eine Zusammenarbeit mit Beyond Birthday nicht ungefährlich war, aber sie wünschte sich von Raye trotzdem mehr Vertrauen. So etwas war bei einer Partnerschaft unverzichtbar! Die Wohnung der Kazans war ziemlich groß und insgesamt bestand die Familie aus vier. Steven sowie seine Frau Janice, die bei der gleichen Bank wie Beyond Birthdays Opfer Backyard Bottomslash arbeitete und seine beiden 17-jährigen Söhne Curtis und Ryan. Die beiden Söhne waren wahre Computergenies und wollten Hacker werden, um für die Regierung Antivirenprogramme zu entwickeln und gegen die Cyberkriminalität kämpfen. Ein Bereich, von dem Kazan nicht viel verstand, aber die beiden waren Stevens ganzer Stolz. Während Janice bei der Arbeit und die beiden Söhne in der Schule waren, sprach Naomi mit ihrem besten Freund über den Fall in allen Einzelheiten. Aufmerksam hörte er zu und nickte. „Du bist wirklich eine hervorragende FBI Agentin Naomi, das sag ich dir immer wieder. Du kannst dich wunderbar in den Mörder hineinversetzen und du hast gute Ideen. Es stimmt zwar, dass man sich an Fakten zu halten hat, egal ob FBI oder Provinzpolizei, aber manchmal muss man eben verrückte Ideen haben, um überhaupt auf erste Fakten zu stoßen. Hat dein Partner dir schon neue Informationen gegeben?“ Naomi schüttelte den Kopf und kratzte sich am Kopf wobei sie schmerzhaft daran erinnert wurde, dass sie eine genähte Verletzung hatte. Von diesem blutigen Spiel, was zurzeit zwischen Beyond und dem Blutmaler ablief, sagte sie nichts. „Was meinst du dazu Steven?“ „Ich bin deiner Meinung. Es scheint so, als hätte der Blutmaler es wirklich nur auf die Köpfe seiner Opfer abgesehen, weil es in ihm etwas Bestimmtes auslöst. Nur deine Theorie, dass er die Medien benutzt um jemand bestimmten herauszufordern, ist ein wenig gewagt. Was glaubst du, an wen er sich wenden will?“ „An jemanden, der die Bedeutung seiner Morde versteht. Ich glaube nicht, dass der Mörder seine Macht zeigen will. Seine Vorgehensweise ist über alle Maße brutal und abartig, aber er will niemandem etwas beweisen oder demonstrieren. Dazu passt seine Vorgehensweise nicht. Er erledigt beinahe mechanisch seine Pflichtarbeit mit dem Hautabziehen und Blutabnehmen und geht erst dann wirklich zu Werke. Er geht viel zu emotional ran und interessiert sich nicht für andere.“ Dieser Mörder hatte diese Schmetterlingsbilder dazu benutzt, um in die Medien zu kommen und damit auch Beyonds Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber er musste eine Art geheime Botschaft an ihn gesendet haben und die Namen der Toten waren der Schlüssel. Das Rätsel war noch nicht ganz gelöst, das hatte Beyond notiert gehabt. Es musste noch etwas fehlen. „Was ich dir noch sagen wollte“, meinte Steven schließlich „wenn du dich mit Beyond Birthday treffen willst, dann bitte nicht in unserer Wohnung. Sonst kriegt Janice noch einen Herzinfarkt.“ „Ich bleibe auch nur solange, bis das zwischen mir und Raye geklärt ist.“ „Nimm dir ruhig die Zeit, die du brauchst. Ein Streit lässt sich nicht so einfach an einem Tag aus der Welt schaffen. Glaub mir, ich weiß wovon ich spreche.“ Steven war zehn Jahre älter als Naomi und mit Janice lange verheiratet. Sie hatten einmal einen so heftigen Streit gehabt, dass sie kurz vor der Scheidung standen. Der Grund dafür war wohl ein Eifersuchtsdrama gewesen. Naomi bedankte sich für die Hilfe und beschloss, sich erst einmal auszuruhen vom Stress des Tages. Außerdem schmerzte ihr der Kopf. Heute würde sie jedenfalls keine großen Taten mehr vollbringen können, so viel stand fest. Sie hoffte nur, dass Raye sich schnell wieder einkriegen würde und ernsthaft mal über sein Verhalten nachdachte. Beyond Birthday saß auf dem Dach eines Hochhauses und starrte in die Ferne. In seiner Hand hielt er ein Handy, auf dessen Display er starrte. Langsam wählte er eine Nummer, zögerte jedoch sie anzurufen. „Scheiße“, murmelte er und ließ den Kopf hängen. Es war alles seine Schuld. Er hätte diesen Wahnsinn schon viel früher beenden müssen. Aber damals… war er noch zu schwach gewesen und hatte noch nicht diese Kraft entwickelt, die er jetzt besaß. Das, was damals passierte, geschah wie eine schleichende Krankheit, die explosionsartig ausgebrochen war. Er hatte gewusst, dass diese Kette von Ereignissen unabsehbar war, aber damals war er noch so naiv gewesen und hatte geglaubt, es würde sich auch zum Besseren wenden können. Und jetzt stand er vor diesem Scherbenhaufen und er hatte keine andere Wahl. Der Stein von damals, der durch ein tragisches Ereignis ins Rollen gebracht wurde, hatte sich zu einer katastrophalen Lawine entwickelt, die unzählige Menschen in den Tod gerissen hatte. Er war nicht in der Lage, die Menschen vor dieser Lawine zu retten, das wusste er und wollte es deswegen auch gar nicht versuchen. Und alleine aufhalten konnte er sie auch nicht. Dazu war diese Lawine einfach zu stark. Nur mit Mühe gelang es ihm, selbst diese Kraft unter Kontrolle zu halten, um nicht auch noch eine Katastrophe herbeizuführen. Jeden Tag kämpfte er gegen diesen verlockenden Drang und oft gelang es ihm nicht, ihm zu widerstehen. Immer, wenn er sich an das Vergangene zurückerinnerte, schnürte sich in ihm die Brust zusammen und er versuchte dieses Gefühl abzutöten, indem er sich selbst einredete, er könne nicht anders. Er sei nun mal böse und klammere sich nur deshalb am Leben, weil er egoistisch und rücksichtslos war. Dabei belog er sich letzten Endes doch nur selbst. Es stimmte schon: Er war böse und konnte ohne Grund töten, aber er konnte seine Vergangenheit und auch seine Gefühle nicht verleugnen. Trotz allem, was er getan hatte, war er immer noch ein Mensch. Und solange er noch einer war, musste er diese Last auf seinen Schultern tragen. Gerade wollte er sein Handy wieder einstecken, da klingelte es und das Display zeigte eine unterdrückte Nummer an. Er nahm den Anruf an und sagte nur „Ja?“ „Es ist lange her…“ „Zu lange, ich weiß.“ „Du weißt, was du zu tun hast, oder?“ „Ja.“ „Falls du erneut Mist baust, dann wird Naomi Misora sterben. Ihr Kopf wird dann mir gehören.“ „Fass sie auch nur an und ich schlitz dich auf!“ „Das hoffe ich doch.“ Damit legte der Anrufer auf und in einem Anflug von Wut stand Beyond kurz davor, sein Handy vom Dach zu werfen und fluchte mit zusammengebissenen Zähnen. So hatte er sich das ganz sicher nicht vorgestellt. Dass dieses Monster schon solche Geschütze auffuhr, konnte nur bedeuten, dass dies die letzte Runde sein würde. Und wenn er es nicht schleunigst fand und ihm den Garaus machte, würde er noch teuer bezahlen müssen. Aber jetzt war nicht die Zeit, sich schwarz zu ärgern. Er musste sich beeilen und herausfinden, was sein Gegner als nächstes vorhatte und dazu würde er erst einmal mit Naomi Misora ein neues Treffen vereinbaren. Dieser so genannte Blutmaler hatte noch etwas ganz Bestimmtes vor. Jedes Drama hatte seinen Höhepunkt und der würde noch folgen. Aber er hatte nur eine Chance, nämlich indem er das Rätsel hinter den Opfern entschlüsselte. Vielleicht gelang es ihm dann, dieses furchtbare Spiel ein für alle Male zu beenden. Er wählte Naomi Misoras Nummer, bekam aber stattdessen ihren nervtötenden Versager von Verlobten an den Hörer. „Ist Frau Misora vielleicht zugegen?“ „Sind Sie es schon wieder?“ „Ja, ich bin es schon wieder. Und ich mag Sie immer noch nicht. Ist Frau Misora da?“ „Halten Sie sich von ihr fern, oder ich bringe Sie persönlich hinter Gittern.“ Meine Güte, der kleine Ray-Ray war ja richtig mies drauf. Entweder gab’s schlechten Sex oder Streit. Na egal, dieser Schwachkopf interessierte ihn nicht im Geringsten. Der einzige Grund, warum er ihn überhaupt noch am Leben ließ lag einzig und allein daran, dass er es sich nicht mit Naomi Misora verscherzen wollte. „Ich kann also davon ausgehen, dass Ihre Verlobte nicht da ist. Gut, dann werde ich sie einfach auf ihrem Handy anrufen.“ „Fahren Sie zur Hölle. Und ich sage Ihnen nur eines: Wenn Sie ihr auch nur ein Haar krümmen, bringe ich Sie um.“ „Einen Dollar für jedes Mal, wenn ich das zu hören kriege…“ Damit legte Beyond auf und wählte direkt Naomis Handynummer. Die rauszukriegen war nicht schwer. Man musste nur unbemerkt zu Werke gehen und ein hervorragendes Gedächtnis besitzen. Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er schon mal in ihre Wohnung eingestiegen ist. Dann würde sie ja noch auf diesen seltsamen Trip kommen, dass das eine Verletzung der Privatsphäre sei. Pah, was kümmerte ihn schon so eine Bagatelle? Der Zweck heiligte eben auch so manch illegale Mittel. Wenn es zum Ziel führte, war ihm auch ein Mord recht. Es dauerte eine Weile, bis endlich jemand den Hörer abnahm aber es war nicht Naomi. „Wer zum Teufel ist da?“ „Ich bin ein Freund von Naomi und wer sind Sie?“ „Beyond Birthday, ich wollte sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen.“ Soso, sie war also bei einem Freund. Also handelte es sich um einen so genannten Beziehungsstreit. Er hatte schon mal darüber in Romanen gelesen und wenn sich Mann und Frau wegen irgendetwas uneinig waren und sich dermaßen stritten, dass sie sich fast die Augen auskratzten, packte die Frau ihre Koffer und kam erst mal eine Zeit lang bei Freunden unter. Tja, da hatte Ray-Ray wohl Mist gebaut. So ein Idiot. „Es tut mir leid, aber im Moment fühlt sie sich nicht gut und ruht sich aus. Soll ich ihr etwas ausrichten?“ „Sagen Sie ihr, ich warte morgen um 14 Uhr wieder im Lovely Evening auf sie. Es gibt da ein paar Dinge zu besprechen.“ „Keine Sorge, ich werde es ihr schon ausrichten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Damit war das Gespräch beendet und Beyond steckte sein Handy ein. Dann sah er hinauf zum wolkenverhangenen Himmel und seufzte. Heute wird es noch ein heftiges Gewitter geben. „Vielleicht sollte ich die Nacht im Hotel verbringen…“ Naomi wachte knapp drei Stunden später auf und schlurfte in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Dabei traf sie auf Janice, die gerade von der Arbeit kam und einen Heidenschreck bekam. „Naomi, du siehst furchtbar aus!“ „So ungefähr in diese Richtung fühl ich mich auch. Ich hatte Streit mit Raye und hab mir bei einem Sturz den Kopf aufgeschlagen.“ „Ich hoffe dein Sturz geschah nicht während des Streits…“ Naomi und Steven hatten beschlossen, Janice über den Fall lieber im Unklaren zu lassen und auch, dass sie mit Beyond Birthday zusammenarbeitete. Die Bankkauffrau besaß nicht gerade die stärksten Nerven und würde nur unnötig Angst bekommen. Die FBI Agentin brauchte eine Weile, um wieder richtig nachdenken zu können und kramte in ihrer Handtasche herum, wo sie den Umschlag mit den Fotos aufbewahrte. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, als wären die jetzigen Morde noch nicht alles. Bestimmt würde noch etwas ganz Schlimmes folgen, das spürte sie bis in ihre Knochen. Oder konnte es an dem Gewitter liegen, was sich draußen anbahnte? Ein lautes Donnern bestätigte ihren Verdacht und sie überkam eine Gänsehaut. Innerlich fröstelte es sie und nicht einmal eine heiße Dusche konnte daran etwas ändern. Die Verletzung schmerzte kaum noch, aber trotzdem würde sie den Rest des Tages keine großen Heldentaten mehr vollbringen. Trotzdem sah sie sich die Bilder noch mal an und dachte nach. Irgendetwas an einem Bild war ihr seltsam vorgekommen. Sie konnte sich nicht erklären was es war, aber da war etwas, das sie vorher noch nicht bemerkt hatte. Auf dem Tisch breitete sie noch mal alle Fotos aus und sah sich jedes einzelne genau durch. Doch was immer sie da gesehen hatte, sie sah es nicht mehr. Irgendwann kam Curtis herein und warf einen neugierigen Blick darauf. „Ist das nicht das Werk des Blutmalers?“ „Ja und irgendwie ist mir etwas ganz wichtiges entgangen. Vielleicht ist es irgendetwas total simples und nebensächliches und trotzdem komme ich nicht drauf.“ „Manchmal ist es schwierig die Dinge zu sehen, die direkt vor einem liegen. Zumindest sagt Dad das immer. Hast du eigentlich schon herausgefunden, ob es ein Mann oder eine Frau war?“ Eine sehr interessante Frage. Bis jetzt hatte sich Naomi noch nie mit dieser Frage beschäftigt aber vielleicht war es ja das, was sie unterbewusst beschäftigt hatte. Sie ging noch mal die Fotos durch und wurde fündig: Ein blutiger Fußabdruck. Anscheinend war der Blutmaler direkt in die Blutlache seines Opfers getreten und hatte einen Abdruck hinterlassen. „Das ist es“, murmelte sie und zeigte es Curtis. „Hier ist ein Fußabdruck. Nun gilt es nur noch herauszufinden, wie groß der Fuß eigentlich ist.“ Naomi begann nachzurechnen und stellte fest, dass der Fuß ungewöhnlich groß war. Schuhgröße 44 bis 45 schätzte sie. Es musste sich also um eine sehr große Person handeln. Raye hatte die gleiche Größe und war 181cm groß. Der Kraft und der Brutalität nach zu urteilen musste es sich außerdem um jemanden handeln, der körperlich stark war. Eine Frau schied da eher aus. Es war also eher wahrscheinlich, dass ein Mann dafür verantwortlich war. Und Beyond Birthday konnte es auch nicht gewesen sein, denn der zog es lieber vor, barfuß zu bleiben und seine Füße waren kleiner. Wenn er überhaupt Schuhe trug, dann Sneakers, die so abgenutzt waren, dass sie kaum noch Profil hatten. „Ach übrigens“, sagte Curtis schließlich, der zum Kühlschrank ging, um sich eine Limonade herauszuholen. „Dad bat mich dir auszurichten, dass dein seltsamer Kollege dich morgen um 14 Uhr im Lovely Evening erwartet.“ Vielleicht sollte sie da mal ihre Theorie ansprechen, was das Geschlecht des Mörders betraf. Es interessierte sie nämlich sehr, ob Beyond Birthday genauso dachte, oder ob er eine andere Idee hatte. Aus ihrer Tasche holte sie ihren Notizblock und Kugelschreiber und schrieb alles in eine Pro- und Contraspalte. Für einen Mann sprach der ungewöhnlich große Fuß, diese Kraft, die an den Tag gelegt wurde und die Grausamkeit. Zwar gab es auch Frauen, die entsetzliche Morde begangen hatten, aber sie waren vielmehr darauf ausgerichtet, ihre Opfer zu quälen. Meistens waren es Männer, die so etwas anrichteten. Und Naomi glaubte kaum, dass es Frauen gab, egal ob sie verrückt waren oder nicht, ihrem Opfer einfach so die Haut abzogen, um daraus eine Leinwand zu machen. Solche Fälle waren extrem selten und wenn, dann waren es Soziopathen. Und um einen Soziopathen konnte es sich hier nicht handeln, denn diese konnten menschliche Gefühle nicht empfinden und imitierten sie nur. Sie besaßen weder Gewissen noch Moral oder im Ansatz auch nur Empathie. Diese Mörder hier war gewiss kein Soziopath. Auch geistige Verwirrung war nur sehr schwer zu erkennen, dazu passte diese Präzision zu Anfang seiner Arbeit nicht. Wenn er psychisch derart instabil war, wie konnte er dann mit beinahe fachmännisch die Rückenhaut entfernen? Irgendwie steckte Naomi in einer Sackgasse und betrachtete ihre Liste. Kaum ein Punkt sprach dafür, dass eine Frau dahinterstecken konnte. Aber wenn sie an die Sache mit dem Kopf dachte, konnte es auch eine Frau sein. Immerhin hatte er nicht die nötige Kraft besessen, um seinem Opfer mit einem Messer den Kopf abzutrennen, sondern musste ihn vorher das Genick brechen. Zu dumm, dass Steven jetzt Dienst hatte, er hätte ihr vielleicht Antwort geben können. Naja, sie traf sich ja sowieso morgen mit Beyond Birthday und da konnte sie diesen Punkt auch ansprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)