Run fast, breathe slow von abgemeldet ================================================================================ I started running but there's nowhere to run to ----------------------------------------------- So, da ist das erste Kapitel. Ich werde versuchen, möglichst jeden Mittwoch ein neues Kapitel online zu stellen, aber - wie gesagt - leider keine Garantie. Ich hab für den Rest des Semesters auch noch haufenweise Unizeug zu erledigen. Viel Spaß beim Lesen. ________________________________________________________________________ I started running but there’s nowhere to run to Warum war ich doch gleich direkt von meiner Mutter zur Uni gefahren, mit all meinem Zeug, anstatt noch einmal zu Hause vorbeizuschauen? Keine Ahnung. Geistige Umnachtung war meine Stärke. Vielleicht sollte ich beizeiten mal einen Ratgeber dazu verfassen — oder auch nicht. Ich wollte immerhin niemanden darin unterstützen, aber Abhilfe schaffen konnte ich auch nicht. Schnaufend und mit einem Tritt beförderte ich meine Reisetasche in den Spind, stopfte eilig meine Jacke hinterher und legte das Schloss an. Durch die Zugverspätung war ich spät dran. Mit einem Blick auf die Uhr verfluchte ich die offen-anonyme Bahngesellschaft, der ich meinen Zeitdruck zu verdanken hatte, und sprintete die Stufen zum Erdgeschoss des Unigebäudes hinauf. Halb auf dem Weg die Treppe hinauf wurde mir bewusst, dass ich sowohl Block als auch Kugelschreiber in der Reisetasche gelassen hatte. Ich fluchte auf die Bahn, auf meine schwache Entscheidungsleistung, auf einfach alles und jeden, während ich mich mitten auf der Treppe wieder umdrehte, um zurück zum Spind zu gehen. Dabei stieß ich allerdings frontal mit einem anderen Kerl zusammen, der direkt hinter mir gewesen war. Hastig trat ich einen Schritt von ihm zurück und hob entschuldigend die Hände. »Sorry«, sagte ich, bevor ich einen Blick auf mein unfreiwilliges Opfer warf. Ein nachsichtiges Grinsen lag auf seinen Lippen. Er zuckte nur kurz mit den Schultern. Für einen Moment vergaß ich, dass ich spät dran war, dass ich noch mein Zeug holen und dann in die Treppen in den vierten Stock rennen musste. Ich konnte das sichtliche Amüsement erkennen, das ihm im Gesicht geschrieben stand. Seine schwarzen Haare fielen ihm leicht in die Stirn und die ebenso dunklen Augen musterten mich neugierig. Ich konnte mich zusammenreißen, bevor ein Sabberfaden den Weg aus meinem Mundwinkel fand. Schnell huschte ich an ihm vorbei, um meinen Krempel zu holen, bevor ich mich schließlich und endlich ohne Zwischenfälle in den Seminarraum begab. »Alter«, begrüßte Julian mich augenrollend, während er gleichzeitig seine Tasche vom Stuhl neben sich nahm. »Wo bist du gewesen? Ich dachte schon, dass du mich sitzen lassen willst.« Nach Luft ringend ließ ich mich auf den frei gewordenen Platz fallen und knallte Block und Kugelschreiber auf den Tisch, bevor ich ihm einen angesäuerten Blick zuwarf. Er musterte mich mit gerunzelter Stirn, als wäre er sich nicht sicher, ob ich ansprechbar war oder nicht. Ich schnaubte. »Die verschissene Bahn hatte Verspätung«, sagte ich nur. Ungefragt griff ich nach Julians Wasserflasche, um mich reichlich zu bedienen. Wahrscheinlich war das sowieso eine von meinen, die er sich mal wieder geschnorrt hatte, weil er selbst zu faul war, welche zu kaufen. »Ich hab mich mit meiner Mutter verquatscht gestern und dann war es schon zu spät.« Julian schüttelte nur grinsend den Kopf. »Mann, was bei dir immer los ist. Wir haben gestern auf das Semester angestoßen und du WG-Trottel warst nicht da.« »Ihr habt es überlebt«, gab ich leicht genervt zurück. »Ist doch nichts dabei.« Julian hob die Augenbrauen. »Es wär trotzdem cool gewesen, wenn du dabei gewesen wärst. Duniel war auch schon ziemlich gespannt. Na ja, dann seht ihr euch heute Abend.« Duniel. Richtig. Der Zwischenmieter von Olivers Zimmer. Den hatte ich fast vergessen. Als ich zuletzt in der WG gewesen war, hatte Duniel sein neues Quartier noch nicht bezogen. Fast bereute ich es, dass ich die Nacht über bei meiner Mutter geblieben war. Aber daran war jetzt auch nichts mehr zu ändern und ich hatte immerhin noch sechs Monate, um wohngesellschaftliche Zeit mit unserem vorübergehenden Neuzugang zu verbringen. »Übrigens haben wir etwas beschlossen«, eröffnete Julian mir schließlich. Ich konnte ihm ansehen, dass er sich diebisch darüber freute. Zweifelnd zog ich die Augenbrauen zusammen. Jetzt kommt’s, dachte ich. »Duniel hat angeboten, dass er das Putzen übernimmt, wenn jemand für ihn kocht. Das Angebot haben wir angenommen, aber du bist Chefkoch, daher bist du für das Kochen zuständig, Maître.« Ich schnaubte empört. Bitte? »Und das habt ihr einfach mal so über meinen Kopf hinweg entschieden?«, fragte ich pampig. »Schön, dass Elisa und du dann fein raus seid.« »Kein Grund sackig zu werden«, meinte Julian gelassen. »Elisa und ich kümmern uns ums Wäsche waschen und Geschirr spülen. Außerdem ist die Sache mit dem Kochen für dich doch sowieso kein Problem. Das machst du doch eh immer.« »Es wäre trotzdem nett gewesen, wenn ihr mich vorher gefragt hättet«, sagte ich. Julian boxte mir gegen den Oberarm. »Stell dich nicht so an, Joris«, erwiderte er munter. »Verlangt ja niemand etwas Unmögliches von dir. Wir haben nur ein bisschen die Arbeitsbereiche verschoben, mehr nicht. Und wir hätten dich auch gefragt, wenn es etwas Großes gewesen wäre. Immerhin kennen Elisa und ich dich gut genug, um einschätzen zu können, womit du einverstanden wärst und womit nicht. Mal abgesehen davon: Denk doch mal nach. Sechs Monate lang sind wir befreit vom Putzen! Das ist doch nur fair.« Da hatte Julian nicht ganz Unrecht. Julian und ich hatten uns zwar inzwischen mit unserem leidigen Schicksal, dass wir im Wechsel mit Elisa und Oliver die Wohnung putzen mussten — und auf unserer Etage auch das Treppenhaus — aber es war ausgesprochen verlockend, dass ich mich ein halbes Jahr lang nicht mit Reinigungsmitteln, ranzigen Lappen und nach Latex riechenden Handschuhen herumschlagen musste. »Wo du Recht hast…«, murmelte ich mit einem versöhnlichen Grinsen. Julian hielt mir seine Faust entgegen, die ich mit meiner eigenen anstieß. »Und, wie ist dieser Duniel so?«, fragte ich Julian schließlich, nachdem ich neugierig auf unseren neuen Mitbewohner geworden war. Wer übernahm denn bitte freiwillig den Putzdienst? Ich hätte das unter keinen Umständen gemacht. Mir reichte es schon, dass ich das alle zwei Wochen mit Julian zusammen machen musste. Julian zuckte mit den Schultern. »Sympathischer Typ«, antwortete er. »Elisa ist bereits Feuer und Flamme für ihn. Mit Kiki hat er sich auch gut gestellt. Ich mag ihn sowieso. Er putzt die Bude. Damit hat er mein Herz gewonnen.« Ich musste mir ein lautes Auflachen verkneifen. Wenn ich schon kein Fan vom Putzen war, dann konnte man sagen, dass Julian sogar lieber Geld aufbringen würde, um jemanden fürs Putzen zu bezahlen. Das hatte er bei mir tatsächlich auch schon ein paar Mal versucht, aber das war es mir nicht wert gewesen. »Also hat Oliver eine gute Wahl getroffen«, fasste ich belustigt zusammen. Julian nickte. »Absolut«, versicherte er begeistert. Ich stützte den Kopf auf meine Hand. Dann musste ich mir wohl keine Sorgen machen. Julian und ich, so stellte ich fest, als wir nach Hause kamen, hatten montags am längsten Uni. Elisa saß und lag halb auf der Couch, rührte in ihrem Kefir und studierte dabei höchst konzentriert die Fernsehzeitung der Woche. Allerdings ließ ihr beinahe mürrischer Blick erkennen, dass wohl nichts Anständiges an den Abenden lief. Sie hob den Kopf, nachdem sie umgeblättert hatte, und augenblicklich erhellte sich ihre Mimik. »Hey, hey«, sagte sie und schwang die Beine vom Sofa. »Alles paletti?« Elisa strich sich die blonden Haare aus dem Gesicht, als sie aufstand. Leichtfüßig kam sie zu uns herübergelaufen und umarmte mich kurz. »Ich wollte schon fast eine Vermisstenanzeige aufgeben«, witzelte sie und kniff in meine Seite. Ich verdrehte die Augen. »Du wusstest doch, dass ich Daheim war.« »Ich hab aber früher mit dir gerechnet«, meinte sie amüsiert, während sie an mir vorbei in die Küche ging und dabei mit großen Schlucken aus dem Becher trank. »Es war gestern niemand da, der für uns gekocht hat. Ich bin fast verhungert!« »Also bitte«, schnaufte ich, während ich meine Zimmertür öffnete und meine Reisetasche achtlos hineinwarf. »Es ist ja nun nicht so, dass du nicht kochen kannst. Und wenn Julian sich sehr konzentriert und anstrengt, dann kriegt er auch Nudeln hin.« Julian drückte sich in diesem Moment an uns vorbei und verschwand in der Küche. Ich hörte, wie er den Kühlschrank öffnete. Elisa verdrehte nur die Augen, bevor wir Julian in die Küche folgten und uns an den Tisch setzten. »Du weißt genauso gut wie ich, dass Julian für so gut wie nichts zu haben ist, dass mit Anstrengung und Konzentration zu tun hat«, sagte Elisa und sah Julian dabei zu, wie er sich eine Salamischeibe nach der anderen aus der Packung nahm und in sich hineinschob. Ich kam nicht umhin, ihr zuzustimmen. Julian mochte es lieber gemütlich, unkompliziert und stressfrei. Einmal ganz abgesehen davon, dass er ein halb ausgegorenes Aufmerksamkeitsdefizit zu haben schien in manchen Bereichen… kochen zum Beispiel. »Hey!«, sagte er. Es sollte wohl so klingen, als wäre er empört, aber dadurch, dass er sich zwei Salamischeiben auf einmal in seine Luke schob, ging der Effekt total daneben. »Ich stehe direkt neben euch!« Elisa und ich warfen ihm zweifelnde Blicke zu. »Volleyball!«, maulte Julian kauend. Das war bis her sein einziges Argument, wenn wir seinen Hang zum Zurück-lehnen-und-machen-lassen diskutierten. Bisher schien ihm noch nichts anderes eingefallen zu sein, außer uns immer wieder vorzuhalten, dass er ja aktiv Volleyball spiele und das sehr wohl Anstrengung und Konzentration bedurfte. Elisa und ich verdrehten beinahe zeitgleich die Augen. »Wo ist eigentlich meine Geliebte?«, fragte ich dann, um vom Thema abzulenken — um Julians willen. »Und Duniel?« »Duniel ist mit ihr raus«, antwortete Elisa gelassen, trank die Reste ihres Kefirs und beförderte den leeren Becher mit einem gezielten Wurf in den gelben Sack. »Die beiden haben sich ausgesprochen schnell angefreundet. Immer schwirrt er um sie herum. Kiki hat sogar bei ihm im Zimmer geschlafen die ganze Zeit.« Ich staunte nicht schlecht. Offenbar hatte Kiki mich gar nicht vermisst und hatte Ersatz gefunden in meiner Abwesenheit. Dass sie offenbar dennoch so gut mit Duniel auskam, wunderte mich nach der kurzen Zeit, die er in der Wohnung war, doch. Kiki war zwar nicht scheu, aber so richtig treuherzig wurde sie erst nach einer gewissen Gewöhnungsphase. Elisa nahm Julian die fast leere Salamipackung aus der Hand. »Geh dich fertig machen, du Scheunendrescher, wir müssen gleich los.« Julian schaffte es gerade noch, sich eine weitere Scheibe aus der Packung zu fischen, bevor er lachend in sein Zimmer ging. Die beiden gingen immer zusammen zum Volleyball spielen. Daher wusste ich auch, dass Julian beim Volleyball tatsächlich Einsatz zeigte und nicht wie sonst eher alles gemütlich anging. »Kannst du heute Abend wieder deinen leckeren Salat für uns machen?«, fragte Elisa und lächelte mich zuckersüß an. Ich seufzte theatralisch, willigte aber ein. Keine fünf Minuten später hörte ich Elisa und Julian im Flur über Salami und Käse diskutieren, als die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Unter die Stimmen meiner altbekannten Mitbewohner mischte sich eine neue. Ich lauschte kurz, bevor ich schließlich aufstand und Duniel ebenfalls begrüßen ging. Julian und Elisa warfen noch ein »Tschö!« in die Bude, ehe sie verschwanden. Duniel stand mit dem Rücken zu mir, zog sich Jacke und Schuhe aus. Kiki, meine Cocker Spaniel Hündin tänzelte um seine Füße herum. Sie schien mich nicht einmal zu bemerken, auch dann nicht, als ich in die Hocke ging. »Kiki«, rief ich sie beinahe ein wenig bockig. Sie wandte mir zwar den Kopf zu, bewegte sich aber kein Stück auf mich zu. In diesem Moment drehte auch Duniel sich um und beugte sich zu Kiki, um ihr einmal der Länge nach über Kopf und Rücken zu streicheln. Erst danach kam sie auf mich zugelaufen. Ich konnte mir ein beleidigtes Schnauben nicht verkneifen. Ach, da hatte Madame also einen neuen Anbeter gefunden und ich war weg vom Fenster. Kiki stimmt mich versöhnlicher, als sie ihren Kopf in meine Hand schmiegte. Ihre Rute schwang energisch von einer Seite auf die andere. Ich nahm meine zweite Hand zum Streicheln und Kraulen dazu. Erst dann sah ich auf, um Duniel genauer zu betrachten. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, dass er mir bekannt vorkam, bis die Erkenntnis mich ziemlich unvorhergesehen traf: Der Kerl, den ich heute Morgen beinahe umgerannt hätte, war Duniel gewesen. Er grinste mich amüsiert an und schien wenig überrascht, was aber auch eventuell daran gelegen haben konnte, dass er mich nicht als den ungewollten Pöbler von heute Vormittag erkannte. Ich starrte ihn ein wenig perplex an. »Hallo«, gaben meine Stimmbänder schließlich ohne mein großes Zutun von sich. Duniels Grinsen wurde ein bisschen breiter. »Hi«, erwiderte er schlicht. Ich erhob mich und reichte ihm zusätzlich die Hand. »Joris«, stellte ich mich vor. Er griff nach meiner Hand. Duniels Händedruck war angenehm kräftig. Das verbuchte ich als positiven Punkt auf seinem Konto. Ich kannte zu viele Leute, die keinen ordentlichen Händedruck hatten. »Duniel«, sagte er. »Wir sind uns ja heute Morgen schon mal begegnet.« Er konnte mich also doch zuordnen. »Ja. Sorry noch mal. Ich war in Eile«, entschuldigte ich mich. Duniel winkte nur ab. Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Für peinliche Stillen bei sozialer Interaktion war ich sowieso immer zu haben, wenn ich jemanden nicht kannte und keine Gesprächsthemen hatte. Smalltalk war auch etwas, das nicht in meinem Kompetenzbereich lag. Daran sollte ich wohl mal arbeiten, aber irgendwie… »Danke, dass du mit Kiki draußen warst«, fiel mir dann noch ein, als ich einen Blick auf meine Geliebte warf. Sie saß neben mir und schaute mich aus dunklen Augen heraus an. Ich beugte mich noch einmal zu ihr und strich liebevoll über ihren Kopf. Duniel trat ebenfalls an sie heran, ging in die Hocke und fuhr mit gespreizten Fingern durch Kikis Fell unterhalb ihrer Schnauze. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie es sich gut gehen ließ. Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. »Kein Thema«, erwiderte Duniel und sah mich an, Kikis Streicheleinheit nicht unterbrechend. »Es ist wirklich schön, wieder ein Tier um sich zu haben. Ich hab das sehr vermisst. Deswegen war ich umso begeisterter, als Oliver erzählt hat, dass es einen Hund in der WG gibt.« Er lächelte mich aufrichtig an. »Wie alt ist sie?« »Zwei Jahre«, antwortete ich, bevor ich mich wieder aufrichtete und Kiki mit mir in die Küche winkte. Duniel folgte uns, nachdem er auch aufgestanden war. »Ich hab sie einige Monate vor meinem ersten Semester bekommen.« Ich holte in der Küche aus einem der Schränke eine Tüte mit Hundeleckerlis, um eins davon Kiki zu geben. Vorsichtig nahm sie es zwischen die Zähne, als ich es ihr hinhielt, dann lief sie davon, um es in Ruhe zu fressen. »Ist das nicht stressig? Ich meine, so ein Hund braucht ja auch viel Zeit und Aufmerksamkeit«, meinte Duniel. Er hatte sich an den Tisch gesetzt und schaute mich abwartend an. Ich blieb an der Anrichte stehen und stützte mich mit den Händen seitlich ab. »Ja, schon. Als ich die WG hier gegründet habe, war es mir sehr wichtig, dass die Leute, mit denen ich einziehe, nichts gegen einen Hund haben und eventuell auch bereit wären, sich hin und wieder ein bisschen um das Tier zu kümmern«, erzählte ich nachdenklich. Ich hatte die Verantwortung für Kiki natürlich nicht abschieben wollen, aber ich wollte sicher sein, dass sie rechtzeitig ihr Futter bekam, wenn ich mal nicht pünktlich zu Hause sein konnte. »Elisa, Julian und Oliver waren da sehr entgegenkommend. Inzwischen ist es schon so, dass sie ungefragt auch selbst mal mit Kiki raus gehen, sie füttern oder mit ihr spielen oder so, auch wenn ich hier bin. Das ist echt sehr hilfreich, nicht nur für mich, sondern auch für Kiki selbst. So bekommt sie immer genug Aufmerksamkeit geschenkt.« »Ich finds echt cool, dass ihr hier solche Verhältnisse habt«, sagte Duniel mit Bewunderung in der Stimme. »So was ist nicht selbstverständlich.« Ich nickte zustimmend. »Es gab damals viele unter den Leuten, die ebenfalls hier mit rein wollten, genug, die mir ’nen Vogel gezeigt haben, als ich von Kiki erzählt habe.« »Aber du hast ja glücklicherweise Elisa, Julian und Oliver gefunden… und Oliver mich«, meinte Duniel grinsend. Er zwinkerte mir amüsiert zu. Das Zwinkern hätte er wohl lassen sollen. Jetzt, wo der Überraschungseffekt abgeklungen war, fühlte ich mich in meinen Gefühlszustand von heute Morgen zurückversetzt, als ich beinahe vergessen hatte, dass ich schleunigst zum Seminar musste. Da saß er nun, der feuchte Traum von einem Kerl, und sah gut aus. Ich seufzte innerlich. »Hast du eigentlich einen Freund?«, fragte Duniel mich unvermittelt. Für einen Augenblick war ich überrascht, aber dann fiel mir ein, dass Toleranz ja ein Aufnahmekriterium war. Wer mit Kiki damals bei der WG-Gründung einverstanden gewesen war, den hatte nicht selten meine Homosexualität in die Flucht geschlagen. Mehr oder weniger zumindest. Die wenigsten von den Leuten, die hier gewesen waren, hatten ein astreines Pokerface gehabt. Das hatte für mich schon gereicht, um den Namen direkt von der Liste zu streichen. Ich konnte mich noch gut erinnern, dass Elisas, Julians und Olivers Reaktionen die gewesen waren, die mich im Endeffekt auch dazu getrieben hatten, ihnen zuzusagen. Es war also kein Wunder, dass Duniel wusste, dass ich schwul war. Ich hatte Oliver explizit darum gebeten, jedem der Bewerber davon zu erzählen, immerhin wollte niemand von uns böse Überraschungen. Das hätte alles nur komplizierter gemacht, als es eigentlich war. Was mich allerdings ein wenig wunderte war, dass Duniel mich so offen ansprach. Das machten die wenigsten. »Nein«, erwiderte ich mit gerunzelter Stirn. »Momentan nicht.« »Warum nicht?«, fragte er gleich weiter. Ich zog die Augenbrauen hoch. Was war das denn für eine Frage? Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann mich nicht zwischen all den Typen, die bei mir Schlange stehen, nicht entscheiden«, antwortete ich und hob noch einmal kurz die Schultern. Duniel lachte ausgelassen. Na, schön, dass einer von uns seinen Spaß hatte. Ich schnaubte gedanklich ein wenig genervt. Verarschen konnte ich mich allein, aber ich brauchte keine Diskussion gleich bei meinem ersten Treffen mit meinem neuen Mitbewohner. Duniel feixte mich breit an. »Besteht die Chance, dass du dich für mich entscheidest, wenn ich mich in diese Schlange einreihe?« Ich starrte ihn fassungslos an. Mir war nicht ganz klar, ob er sich weiter über mich lustig machen wollte oder ob das sein Ernst war. Der schelmische Ausdruck auf seinem Gesicht ließ mich stutzen. Fieberhaft versuchte ich festzustellen, wie er diese Frage meinte. »Hast du ein Problem mit mir?«, fragte ich gereizt zurück. Der erheiterten Züge verschwanden aus Duniels Gesicht. Er lehnte sich ein wenig zurück und musterte mich abschätzend. Offenbar wurde ihm jetzt klar, dass ich mir ein wenig verscheißert vorkam. »Nein«, sagte er schlicht, aber aufrichtig. »Das war eine ernstgemeinte Frage und es wäre schön, wenn ich eine ebenso ernstgemeinte, ehrliche Antwort kriegen würde.« Ich beäugte ihn skeptisch, während mir langsam dämmerte, dass er wohl auch schwul war… oder zumindest bi. Aber wenn dem tatsächlich so war und seine Frage kein Witz gewesen war, dann bedeutete das… Dann bedeutete das, dass er gerade Interesse bekundet hatte. Oder nicht? Auf gewisse Art und Weise verunsicherte mich diese Situation, was ich nur sehr ungern zugeben musste. Der Gründe waren eigentlich schlicht: Duniels gelassene Offenheit; die Tatsache, dass ich mir immer noch nicht hundertprozentig sicher war, ob er mich nicht doch auf den Arm nehmen wollte; und allem voran auch weil ich ihn sehr anziehend fand. Da wäre der Fall wohl umso härter gewesen. Ich entschied mich schließlich, ihm zu glauben. Entspannend holte ich tief Luft und atmete aus. »Wer weiß«, antwortete ich vage. Ich kannte ihn zu wenig, um wirklich ja oder nein sagen zu können. Wäre es nach der Optik gegangen, wäre es ein klares Ja, aber da hinter der schönsten Fassade ein hässliches Innenleben liegen konnte, gab es im Moment für mich keine eindeutige Antwort. Duniel lächelte undurchsichtig. »Ich bin mir sicher, dass ich eine Chance bei dir habe«, sagte er dann. Anmaßend, überheblich und ein übergroßes Ego — eindeutig keine erstrebenswerten Eigenschaften. Ich musste angesichts dieser Aussage wieder schnauben. Offenbar war ich in Duniels Augen leichte Beute. Gerade tendierte ich mit einer Antwort zweifelsohne in Richtung nein. Wenn er dachte, er könnte mich so einfach um den Finger wickeln, dann litt er an grenzenloser Selbstüberschätzung. »Ich wette, dass du keine Chance bei mir hast«, sagte ich giftig und verschränkte die Arme vor der Brust. »Du könntest die Richtung der Erdumdrehung ändern und ich würde dir nicht verfallen.« Duniel betrachtete mich abwägend, dann zog sich sein linker Mundwinkel nach oben und er streckte mir seine Hand hin. »Ich wette dagegen.« Misstrauisch beäugte ich ihn. Er wollte ernsthaft mit mir darum wetten, dass er mich rumkriegen würde? Das gesamte positive Bild, das ich mir durch Julians und Elisas schwärmerische Berichte aufgebaut hatte, riss Duniel gerade hingebungsvoll mit dem Arsch ein. Das war alles andere als wünschenswert, nicht zuletzt weil ich sechs Monate mit ihm klar kommen musste. Ich belächelte spöttisch Duniels mir hingestreckte Hand. »Ich wette doch nicht wirklich mit dir um so etwas.« Duniel ließ seine Hand sinken. »Natürlich nicht«, sagte er übertrieben gelassen und zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja offensichtlich selbst, dass du verlieren würdest. Unter den Umständen würde ich auch nicht wetten.« Bitte? »Entschuldige mal. Ich denke ganz und gar nicht, dass ich die Wette verlieren würde. Ich denke einfach nur, dass es wahnsinnig albern und kindisch wäre, so eine Wette einzugehen, schon gar nicht so eine!«, zischte ich ihn gereizt an. Er hielt sich wohl für wahnsinnig unwiderstehlich. Oh Gott, was für einer Katastrophe hatte Oliver da nur sein Zimmer überlassen? »Klar«, meinte Duniel lässig und zuckte wieder gelangweilt mit den Schultern. Er lehnte sich zurück. »Du hältst dich wirklich für so toll, dass du überzeugt davon bist, dass was zwischen uns laufen könnte?«, fragte ich sauer. Es war unglaublich, wie sehr er meinen Ärger mit seiner gespielten Gelassenheit anfachte. Duniel grinste mir dreist entgegen. »Auf jeden Fall«, meinte er und setzte sich wieder gerade hin. Seine ganze Haltung hatte auf einmal etwas Herausforderndes. Ich fuhr mir mit beiden Händen über das Gesicht und atmete tief durch, um nicht auszurasten. Warum musste ich eigentlich ständig an sich selbst überschätzende Idioten geraten, die dachten, sie würden alles mit einem Fingerschnippen bekommen? Dahin ging jegliche Begeisterung, die ich bis vorhin noch empfunden hatte. »Schön«, meinte ich schließlich ruhig. Duniel reichte mir wieder grinsend seine Hand und ich schlug ein. Doch, als ich ihn wieder loslassen wollte, hielt er mich fest. Amüsiert schaute er zu mir auf. »Wir sollten vielleicht ein paar Regeln festsetzen«, meinte er, während seine Finger fest um meine Hand lagen. Nicht schmerzhaft, aber bestimmend. »Anmachen ist erlaubt, aber Zwang oder die Ausnutzung von unvorteilhaften Situationen gilt nicht. Und es muss freiwillig sein. Das muss von dir ausgehen.« Ich war beinahe perplex, dass diese Regel von ihm kam, wenn sie eigentlich seinem Vorteil gedient hätten. Aber das brachte ihm einen von seinen zahlreich verloren gegangen Sympathiepunkten zurück. »Okay. Die Wette gilt für die nächsten sechs Monate. Bis das Semester vorbei ist«, legte ich fest. Duniel benickte dies lediglich. »Was gilt genau gilt denn als ›verfallen‹? Küssen? Rummachen? Sex?« »Rummachen, mindestens. Aber dir steht frei auch alles, was darüber hinausgeht, zu tun«, erwiderte er mit einem dreckigen Grinsen auf den Lippen, das ich ihm am liebsten aus dem Gesicht gewischt hätte. »Schön«, sagte ich wieder und als ich diesmal versuchte, meine Hand loszumachen, ließ Duniel mich los. »Schön«, meinte er mit einem zuversichtlichen Lächeln. Ich funkelte ihn an, dann rief ich nach Kiki und stampfte sauer in mein Zimmer. Das war doch wohl die Höhe…! Dieser Bastard! Was dachte der sich eigentlich? Als ich die Tür hinter mir schloss, bereute ich es schon, diese Wette eingegangen zu sein. Ich konnte nicht fassen, dass ich darauf hineingefallen war, dass ich mich von Duniel soweit hatte treiben lassen. Aber schließlich musste ich mir auch keine Gedanken machen, denn Duniel hatte ja alle seine Vorzüge bereits verloren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)