Die Geflügelte Schlange - Aufstieg von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 1) ================================================================================ 26. Das Opfer (jugendfrei) -------------------------- Der Geruch von Essen weckte Hamarem. Wer mochte gekocht haben? Es roch nicht nach den Speisen, die die Mawati für gewöhnlich zubereiteten. Dann wurde ihm bewußt, daß er nackt auf seinen Decken lag. Hamarem riß die Augen auf und sah über sich ein Räuchergefäß hängen. Er befand sich noch immer im Zelt der Ama. "Habt ihr nicht Hunger?" fragte eine Frauenstimme. Es war die Amapriesterin, die mit einem runden Metalltablett voller Messingschüsseln in den Händen neben dem Lager kniete. Die andere Frau war verschwunden. "Wo ist...", begann Hamarem. "Ramilla? Sie hat noch andere Verpflichtungen." Die Priesterin stellte das Tablett ab. Hamarem sah neugierig in die Schalen und Schüsselchen. Sie enthielten Gemüse, Fleisch und Reis und einige Fruchtsaucen. Der Geruch war halbvertraut und doch fremdartig, offensichtlich waren viele Gewürze verwendet worden, die bei den Oshey nicht bekannt waren. Und er merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. "Ja, ich habe Hunger", sagte er also, griff nach einem Bröckchen aus einer Schüssel und kostete das Gemüse. Fremdartig, in der Tat, aber sehr schmackhaft. "Mir wurden Wunderdinge von euch berichtet", sagte die Priesterin, während Hamarem von jeder Speise etwas probierte. Hamarem schaute erstaunt auf, sah sich einem kritisch musternden Blick ausgesetzt, und er wurde sich seiner Nacktheit unangenehm bewußt. Hamarem war drauf und dran nach einem seiner Kleidungsstücke zu greifen und es über seine Blöße zu decken, aber dann verzichtete er darauf. Die Priesterin der Ama hatte sicherlich schon so manchen nackten Mann gesehen. "Was für Wunderdinge?" fragte er statt dessen zurück. Jetzt lächelte die Priesterin. "Eure überragende Fähigkeit, einer Frau Befriedigung zu schenken. Ihr müßt von Ama gesegnet sein." Hamarem dachte an Karits Übersetzung seines auf einen altertümlichen Dialekt zurückgehenden Namens - Diener der Ama. Als Kind hatte er sich seines für Oshey unüblichen Namens geschämt. Neben Orem war Tyrima die Göttin, die die Oshey verehrten, die Himmelskönigin mit der Krone aus Sonnenstrahlen. Ama wurde hauptsächlich von Schwangeren und Müttern kleiner Kinder angebetet. Hamarem hatte sich oft bei seinem Vater und seinen Großeltern über seinen Namen beklagt, doch sein Vater hatte immer wieder geantwortet, daß dieser Name der Wunsch seiner verstorbenen Mutter gewesen sei. Und er erinnerte sich auch an eine kleine Amastatue, die neben der Schlafstätte seines Vaters gestanden hatte. Es sei eine Erinnerung an Hamarems Mutter, hatte sein Vater gesagt. Bis jetzt hatte Hamarem stets gedacht, seine Mutter habe Ama während ihrer Schwangerschaft verehrt. Nun aber, mit dem neuen Wissen über sein unirdisches Erbe und angesichts der Erkenntnis, daß dieses unirdische Erbe anscheinend vor allem bei der Vereinigung zwischen Mann und Frau hilfreich und genußfördernd war, vermutete Hamarem, daß seine Mutter zumindest ihr ganzes erwachsenes Leben lang der Ama angehangen hatte. "Seid ihr gesättigt?" fragte die Priesterin. Während seiner Überlegungen hatte Hamarem, ohne es recht zu merken, eines der Schüsselchen mit einer Reis-Fleisch-Mischung geleert. "Ja, ich bin gesättigt", antwortete er und stellte das Gefäß zurück auf das Tablett. "Soll ich euch etwas zu trinken bringen?" fragte die Priesterin wieder. Hamarem nickte. "Das wäre sehr freundlich von euch." Die Priesterin verließ das Lager mit dem Tablett und kam gleich darauf mit einer Kanne und einem Becher zurück. Diese Kanne enthielt jedoch nur klares Wasser. "Ich würde gerne eine Probe eurer Kunst erleben", sagte die Priesterin dann, während Hamarem trank. Hamarem erschrak und verschluckte sich prompt. Das Husten gab ihm Zeit, sich eine Antwort zu überlegen. "Ich fühle mich geehrt", brachte er dann mühsam hervor. Die Frau mit den langen lockigen Haaren war begehrenwert, aber Hamarem fürchtete, ihren Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Sie war in den Dingen der Ama mindestens so erfahren, wie er in den Dingen Orems. Er würde nicht einfach ihren Körper erforschen und ihre gemeinsame Lust genießen können. Stets würde er sich fragen, wie sie ihn beurteilte. Vielleicht konnte er sich irgendwie Zeit verschaffen. Die Amapriesterin schien zu ahnen, wie er sich fühlte. "Soll ich euch etwas von dem Willkommenstrunk bringen?" fragte sie freundlich. Hamarem überlegte. Einerseits hätte er durch den Willkommenstrunk natürlich die Sicherheit, nicht gerade vor der Amapriesterin zu versagen, andererseits litt sein Selbstbewußtsein in dieser Angelegenheit vielleicht gerade daran, daß er bisher keiner Frau ohne die erregenden Drogen beigewohnt hatte. Auf die Frage der Priesterin schüttelte Hamarem schließlich den Kopf. "Nein", sagte er, obwohl es ihm in diesem Moment schwer fiel, in die richtige Stimmung zu kommen. Die ruhigen Linien der Kräfte um die Amapriesterin erinnerten ihn so sehr an Nefut das Kind, daß Hamarem für einen Augenblick meinte, den Knaben vor sich zu haben. Allerdings sollte es einer Priesterin der Ama auch unter widrigen Umständen gelingen, die Begierde in einem Mann zu wecken. Die Amapriesterin verstand offensichtlich, daß sie aktiv werden mußte. Sie streifte ihre langen, offenen Haare nach hinten und wickelte langsam ihr Kleid auf, entblößte ihre vollen Brüste, ihre runden Hüften und den mit roter Tinte beschriebenen Bauch, hielt jedoch ihre Scham unter einer Lage des durchscheinenden Stoffes ihres Kleides verborgen. Ihre Hüftbewegungen hatten Hamarems Blick magisch zu ihrem Schoß gezogen und hinter dem blaugrünen Gewebe war Amas Wunder zu erahnen. Dieser Anblick war außergewöhnlich stimulierend, stellte Hamarem fest. Allein das Wissen darum, an dieser Stelle Erregung erzeugen zu können und durch den Duft, der sich dann entfalten würde, selbst erregt zu werden, brachte ihn wieder in Stimmung. Er kniete sich vor die Priesterin, schob den Stoff langsam beiseite und nahm den Duft ihrer Lust bereits wahr. Ihr Aroma war mit dem Karits und der anderen Frau, die wohl eher ihre Schülerin als ihre Dienerin war, vergleichbar, doch auch wiederum ganz anders. Hamarem berührte sie mit der Zungenspitze und ließ zugleich die Kräfte an dieser Stelle erzittern. Ein zarter Seufzer entwich der Priesterin, die Kräfte um sie flackerten auf, was wiederum Hamarem entzündete. Hamarem versuchte, die Priesterin in ähnlicher Weise zu befriedigen, wie die andere Frau - Ramilla - aber während die Priesterin stand, erreichte er kaum die Opferstätte Amas. "Bitte... setzt euch", flüsterte er, erschrak über den heiseren, keuchenden Klang seiner Stimme. In einer anmutigen Bewegung ließ sich die Priesterin auf den Kissen des Lagers nieder, öffnete ihren Schoß für ihn, wie Ramilla es getan hatte, ähnlich und doch so anders. Einen Moment mußte Hamarem verweilen, dieses Wunder der Göttin zu bestaunen, ... Auch sie reagierte auf das Berühren der Kräfte mit verstärkter Erregung, seufzte. Hamarem ließ sich von den Linien der Kräfte leiten aber versuchte außerdem, die Gleichartigkeit und die Verschiedenheit zwischen der Priesterin und ihrer Schülerin zu erforschen. Dort wo die Kräfte sich bündelten setzte er gezielt die von seiner Mutter ererbten unirdischen Fähigkeiten ein, um die Kräfte um die Priesterin in Schwingungen zu halten, sie zum Entflammen zu bringen. Er konnte ihre zunehmende Lust auf eine Vereinigung fühlen, als wäre es seine eigene und er machte sie zu seiner eigenen, merkte, daß er so bereit war wie sie. Die Priesterin faßte seinen Kopf zärtlich mit beiden Händen, zwang Hamarem so sanft, wieder den Blick zu ihr zu erheben, zu ihrem Gesicht, das aus dieser Perspektive zwischen ihren schönen Brüsten lag. Und sie lächelte ihn in bezaubernder Weise an. "Laßt uns der Göttin opfern", sagte sie leise, mit so glockenklarer Stimme, daß Hamarem allein dieser Klang einen Schauder über den Rücken jagte. ... Und viel zu plötzlich trugen ihn die Kräfte davon, er hatte wahrhaftig das Gefühl zu fliegen und fiel dann in die Arme der Amapriesterin. Die Frau lächelte ihn glücklich an, ihr Herz pochte noch heftig, aber die Kräfte um sie wurden langsam wieder etwa dunkler, ohne wirklich entflammt worden zu sein. Hamarem strich ihr die feuchten Locken aus dem erhitzten Gesicht, bemerkte, daß er selbst in Schweiß geraten war und wischte sich mit der Hand die Stirn trocken. Dann versuchte er, sich an das Muster der Kräfte zu erinnern, das Ramilla umgeben hatte, als sie die Göttin erkannte und es auf die Priesterin zu übertragen. Anscheinend gelang es ihm, denn die Priesterin stöhnte plötzlich auf,... "Karit und Ramilla hatten recht", sagte die Priesterin. "Ihr seid ein wahrhaftes Geschenk der Ama." Hamarem ging plötzlich der Gedanke durch den Kopf, daß er vielleicht selbst die geflügelte Schlange sein könnte. Aber wieso war der Traum dann mit Amemna verbunden? Sollte Amemna eine Frau sein? Das würde aber erklären, wie er die heiligen Zeichen der Hawatpriesterinnen hatte lernen können, und warum er mit siebzehn Jahren noch bartlos war. Aber er hatte die Stimme und die Statur eines Mannes, außerdem - wie er erzählte - eine Frau bei den Darashy und ein Kind mit ihr. Und was war mit der Verbindung zu Nefut? Nefut als Liebhaber eines Mannes war für Hamarem trotz seines Wissens darum noch immer schwer vorstellbar, so sehr wie Nefut ansonsten darauf achtete, sein Leben nach dem Wahren Weg auszurichten. Wenn Amemna jedoch eine Frau war, erklärte das Nefuts anscheinend bereitwilliges Eingehen auf die unirdischen Verführungskünste Amemnas. "Was quält euch?" fragte die Amapriesterin plötzlich. Hamarem seufzte. "Sowohl Mann als auch Frau, kann es das geben?" stellte er der Priesterin sein Rätsel. Die Priesterin schüttelte lächelnd den Kopf. "Kennt ihr Darstellungen der Hawat?" "Ich kenne die Amastatuen", warf Hamarem ein. "Ama hat unbekleidete Brüste, aber einen bekleideten Unterleib. Hawat dagegen hat ihr Gewand geöffnet. Man sieht ihre Brüste und die Schlange, die aus ihrem Schoß kriecht. Hawat ist zweigeschlechtlich, sowohl Frau als auch Mann", erklärte die Priesterin. Hawat war allerdings kein Mensch. Konnte es sein, daß Hamarem gespürt, daß er gerochen hatte, daß Amemna eigentlich eine Frau war? Hatte er sich deshalb so zu ihm hingezogen gefühlt? Er mußte irgendwie herausbekommen, wie es sich mit Amemnas Geschlecht verhielt. Das Klingeln von Ramillas Schmuck näherte sich. "Herrin, die Tetraosi haben geantwortet", sagte sie zur Amapriesterin, dann entdeckte sie Hamarem und bedachte ihn mit einem zärtlichen Lächeln, das er aus vollem Herzen erwiderte. "Wir besprechen das woanders", antwortete die Amapriesterin Ramilla und wandte sich dann wieder an Hamarem. "Wollt ihr hier bleiben oder für die Nacht zu euren eigenen Leuten zurückkehren?" War es schon so spät? "Laßt mich überlegen", begann Hamarem langsam. "Überlegt in Ruhe. Um durch die Gänge zu finden, folgt dem weißen Band unter dem Dach", erklärte die Priesterin und wies nach oben. Sie wickelte ihr Kleid wieder um die Hüften, Bauch und Bürste und ließ den Rest über die Schulter auf den Rücken hängen, dann folgte sie Ramilla in das Labyrinth. Die Vorstellung, hier inmitten der Frauen zu übernachten, war verlockend. Vielleicht durfte er der einen oder anderen noch beweisen, daß ihre Priesterin der Meinung war, er sei ein Geschenk der Ama. Andererseits merkte Hamarem nun, daß er erschöpft war. Es war wohl zu viel der ungewohnten Betätigung gewesen. Ruhe über Nacht würde ihm gut tun. Also kleidete er sich an und folgte dem weißen Band, das unter dem Zeltdach von Strebe zu Strebe gespannt war, bis er endlich am Hinterausgang des nun von einer gewissen Unruhe erfüllten Zeltes stand. Tatsächlich waren die Schatten schon lang geworden. Er hatte den ganzen Tag bei den Frauen verbracht. Nun wäre noch ein abschließender Besuch im Badezelt angenehm, und Hamarem drehte sich in die betreffende Richtung, während einige Frauen aus dem Amazelt an ihm vorbeieilten. Tatsächlich war überall zwischen den Zelten, die den Göttern geweiht waren, plötzlich eine ungewöhnlich hektische Betriebsamkeit zu bemerken: Priester und Priesterinnen, ihre Bediensteten und Sklaven, eilten durch die Lagergänge, trugen Bündel und Kästen mit sich, tatsächlich nahmen sie anscheinend fast alle den Weg zum Lagerausgang. Karit lief dicht an ihm vorbei und Hamarem versuchte, mit ihr zu sprechen. Offensichtlich unwillig, aufgehalten zu werden, schnappte sie: "Die Tetraosi lassen uns gehen, aber ihr Söldner müßt im Lager bleiben. Ich werde nicht bleiben, bis sich euer Unwillen über diese Ungleichbehandlung entläd." Hamarem ließ sie verblüfft los, sah ihr nach, wie sie davonlief. Inmitten der fliehenden Priesterschaft entdeckte er Berittene, schwarze Südmänner wie die, die Hamarem während der Schlacht das Leben gerettet hatten. Sie schienen zu kontrollieren, ob die Zelte alle verlassen wurden, oder sie suchten jemanden. Ob auch die Mawati hier irgendwo waren? "Oh, Göttin hilf! Mein Sohn, mein Augenstern!" hörte Hamarem da plötzlich eine Frau rufen. Es klang nach der Stimme der Amapriesterin. Er eilte zur Quelle des klagenden Schreis, zurück zum Hinterausgang des Amazeltes. Die Amapriesterin war in Tränen aufgelöst, als er sie erreichte, eine andere Frau hielt sie umarmt. "Was ist passiert?" fragte Hamarem, aber die Amapriesterin konnte vor Tränen nicht sprechen, hielt die Hände vor den Mund und schluchzte. Die andere Frau sah ebenfalls zutiefst erschrocken aus, war aber noch des Sprechens mächtig: "Ihr Sohn ist allein im Schlafzelt, dort wo der Troß auch lagert", sagte sie. "Aber sie suchen dort nach dem Sohn des Feldherrn, weil allgemein bekannt ist, daß er sich oft beim Sohn meiner Herrin aufgehalten hat." "Priesterin, euer Sohn heißt Nefut, nicht wahr?" fragte Hamarem, um seine Vermutung bestätigen zu lassen. Die Amapriesterin nickte. "Ich hatte schon Ramilla zu ihm geschickt, bevor ich hörte, wo sie den jungen Prinzen vermuten", sagte sie mit halberstickter Stimme. "Ich werde hinlaufen, und sie beide herholen", versprach Hamarem und lief los, bevor er sich fragte, wer denn den Prinzen suchte. Es konnten doch nur die von dem Vater des Prinzen verratenen Söldner sein. Wie sollte Hamarem anders als durch List eine Chance gegen eine kampferprobte Meute haben? Trotzdem lief er weiter. Er hatte es der Amapriesterin versprochen und er würde alles tun, sein Versprechen wahr zu machen. Er lief zwischen den Rückseiten der Zelte hindurch, anstatt die Wege zu nehmen. Immer wieder sah er durch die Gänge zwischen den Zelten Reiter der berittenen Hilfstruppen, die Zivilisten aufforderten, das Lager zu verlassen. Doch je näher er dem Bereich kam, in dem der Troß lagerte, desto mehr Unruhe lag in der Luft. Er hörte sogar Schwerter klirren. Das dort auf dem Pferd war der Melack, neben ihm zwei seiner Leibwächter, und sie kämpften gegen fünf oder sechs Söldner zu Fuß, schützten anscheinend einen Händler und seine Familie. Einer der Kämpfer zu Fuß wurde niedergestreckt, die anderen zogen sich ein Stück zurück. Hamarem verbarg sich in den Schatten und wartete darauf, daß der Kampfeslärm sich von ihm entfernte. Nach einer Weile riskierte er wieder einen Blick, der Weg war frei, er eilte weiter und sah schon das Schlafzelt der Amapriesterin und ihres Sohnes vor sich. Als Hamarem es erreichte, war alles totenstill. Der Sichtschutz vor dem inneren Bereich des Zeltes war zerfetzt, unter der herabgefallenen Zeltbahn ragten zwei Kinderbeine mit nackten Füßen heraus. Hamarems Herz setzte einen Schlag aus, dann lief er, ohne an mögliche Gefahren zu denken, in das Zelt hinein, raffte die Zeltbahn beiseite. Es war ein Kind in einem einfachen Untergewand das hier lag, anscheinend von einem Schwert durchbohrt. Das Gesicht des toten Jungen kam Hamarem zwar bekannt vor, aber es war nicht Nefut. Ramilla lag ebenfalls am Boden, über dem linken Auge hatte sie eine Wunde, die anscheinend stark geblutet hatte. Hamarem stellte fest, daß sie noch atmete, aber bewußtlos war. Auf seine Berührung, ein leichtes Schütteln ihrer Schulter, reagierte sie nicht und Hamarem sah sich um. Ein Wasserkrug lag zerschlagen auf dem Boden, in einer größeren Scherbe hatte sich noch etwas Wasser gehalten. Hamarem wickelte seinen Turban auf, benetzte eine Ecke mit Wasser und reinigte Ramillas Gesicht von dem Blut. Davon erwachte sie tatsächlich. "Wo ist Nefut?" fragte sie und sah sich hektisch um. "Ich habe ihn nicht gefunden. Hier liegt nur ein anderer Junge", antwortete Hamarem. Ramilla sprang auf, schwankte und ließ sich zu Boden plumpsen. Langsamer und mit Hamarems Hilfe stand sie erneut auf. Als sie den Jungen mit dem blutgetränkten Untergewand sah, schrie sie auf: "Oh ihr Götter, das ist der Spielgefährte Nefuts! Und Nefut trug die Kleider des Prinzen! Schnell, wir müssen zum Zelt des Ungenannten. Die Männer sagten, sie wollten den Prinz als Opfer darbringen." Der Lagerplatz des Trosses war nun menschenleer und auch auf dem Weg zurück ins Zentrum des Lagers war niemand mehr zu sehen. Aber auf dem Platz vor dem Zelt des Ungenannten standen dicht an dicht die Männer, dazwischen und an den Rändern der Menge Reiter der berittenen Hilfstruppen. Einer der Reiter erblickte Ramilla. "Frau, verlaß das Lager!" rief er. Hilfesuchend sah Ramilla zu Hamarem, der nun selbst von einem dichter stehenden Reiter mit dem stumpfen Ende der Lanze angestoßen wurde. "Ich gehöre zu Wanack Darashy", empörte Hamarem sich und legte das Ma'ouwati-Tuch, das er in der Eile nur in die Hand genommen hatte, auf seinen Scheitel. Ramilla flüsterte er zu. "Ich kümmere mich um Nefut." "Dort drüben ist dein Wanack, Mawati", sagte der Reiter, zeigte zur Mitte des Platzes, und stieß nun Ramilla weg in Richtung Lagerausgang. Sie ließ es mit sich geschehen, sah sich noch einmal um, dann lief sie den Weg hinunter und war bald zwischen den Zelten verschwunden. Hamarem bahnte sich seinen Weg in die angegebene Richtung durch die Menge. In der Nähe waren tatsächlich zwei Reiter mit Osheymänteln und bunten Turbanen zu sehen, einer war Amemna. Am Ende des Platzes war der Podest, auf dem die Priester des Ungenannten jeden Morgen opferten, und auf dem Podest stand ein Mann in dem weißen Gewand eines Priesters des Ungenannten, neben sich eine kleine, prinzlich gekleidete Gestalt. Allein der Wille verlieh Hamarem ungeahnte Kräfte. Er erreichte in wenigen Augenblicken Amemnas Pferd. "Herr!" versuchte Hamarem die Aufmerksamkeit seines Wanack zu erregen. "Was ist?" fragte der Wanack ungeduldig, sah nach unten und erkannte Hamarem. "Wo warrst du? Ich hatte Derrhan geschickt, dich zu suchen, aberr..." "Herr, wir haben keine Zeit. Bitte, rettet den kleinen Jungen dort, den sie dem Ungenannten opfern wollen." Hamarem umklammerte Amemnas Bein und küßte seinen Fuß um der Bitte Nachdruck zu verleihen. Vor den Träumen hatte er nun keine Angst mehr, er würde sein Begehren von nun an selbst lenken können. "Wie soll ich das machen, Hamarrem? Wie denkst du..." "Ihr seid ein Unirdischer, Herr. Ihr werdet einen Weg finden. Aber bitte beeilt euch!" Flehend sah Hamarem Amemna in die fremdartig hellgrauen Augen. Amemna sah zu Hamarem hinunter. "Ich werrde es versuchen, Hamarrem. Fürr dich werrde ich es verrsuchen." Dann trieb er sein Pferd an, ritt durch die Menge, die sich zögernd vor ihm teilte. "Komm hoch zu mir", bot Derhan an, der Mawati, der neben Amemna gestanden hatte. Er reichte Hamarem die Hand und zog ihn hinauf aufs Pferd, hinter seinen Sattel. Und Hamarem sah, daß Amemna den Podest errreicht hatte. Er sprach mit einem anderen Reiter, stieg hinauf auf den Podest. "Was liegt dir an dem Jungen?" fragte Derhan flüsternd. "Die Fußtruppen haben darauf bestanden, daß er dem Ungenannten geopfert wird, weil er der Sohn des Feldherrn sei. Unser Birh-Melack hat eingewilligt, um die Lage zu beruhigen." "Er ist nicht der Sohn des Feldherrn", entgegnete Hamarem ebenso leise. Wie gebannt sah er hinüber zum Podest, wo Amemna inzwischen neben dem Priester stand und seinen Turban abnahm. Die weißen Haare strahlten in der beginnenden Dämmerung weithin. Sofort ging ein Raunen durch die Menge. "Ein Unirdischer", konnte Hamarem in Wellen über den Platz flüstern hören. "Das ist der Wanack der Mawati", lief in einer anderen Richtung durch die Reihen. Während dessen wurden auf dem Podest die Lampen an den hohen Ständern entzündet und Amemna ließ sich von dem Priester das Opfermesser geben. Dann ging er zu Nefut dem Jungen, der gefesselt und am Opferaltar angebunden dastand, vor Schreck oder Drogen erstarrt. "Ihrr werrdet sehen, daß mein Grroßvaterr dieses Opferr nicht annimmt!" rief Amemna über das Flüstern auf dem Platz. Als Sohn eines Unirdischen war er wohl der Enkel des Ungenannten. Zu dieser Erkenntnis kamen auch die Söldner, denn die meisten von ihnen stammten aus den Städten am Nordrand der Wüste und waren wohlvertraut mit den Erzählungen über die Kinder des Ungenannten, die dem Nächtlichen Träumer dienten. Amemna ergriff den Schopf des Jungen, bog den schlanken Hals des Kindes zur Seite und schnitt kurz unter seinem Ohr tief in das Fleisch. Hamarem zuckte zusammen, als das Blut des Knaben die weißen Ärmel Amemnas und das Gewand des Priesters besudelte. "Orem hilf!" entfuhr ihm. Er mochte sich nicht vorstellen, daß Amemna die Heilung des Jungen nicht gelang. "Das Kind verliert viel zu viel Blut", ließ Derhan sich vernehmen, als spräche er zu sich selbst. "Das wird nicht einmal unser unirdischer Wanack schaffen." Aber Amemna bündelte die entweichenden Kräfte um Nefut, stoppte den Blutstrom und heilte die Wunde. Der Junge schwankte nur einen Moment, dann starrte er seinen Retter an. Wellen zogen sich durch die gewöhnlich ruhigen Kräfte um Nefut, flachten wieder ab. Kein Wunder, daß die Erlebnisse der letzten Augenblicke ihn erschütterten. "Seht ihrr, derr Junge lebt noch! Derr Ungenannte will dieses Opferr nicht!" rief Amemna nun. Er durchschnitt mit dem Opfermesser die Fesseln des Jungen und winkte einen der Mawati heran, den Jungen in seine Obhut zu nehmen. Das Messer gab er dem Priester zurück, der sich beeilte, den Podest ebenfalls zu verlassen. "Belästigt die Götterr nicht mit eurren kleinlichen Rrachegelüsten!" mahnte Amemna die Menge. In Hamarems Nähe wurden Amemnas Worte anscheinend in die Südlersprache übersetzt. "Sei du unser Birh-Melack, Amemna Darashy!" schrie einer der Männer nahe des Podestes und sofort wurde der Ruf von den Söldnern aufgenommen. Hamarems Ohren klingelten, als die knapp sechshundert Männer auf dem Platz mit zunehmender Lautstärke skandierten: "Sei unser Birh-Melack!" Mit Zeichen versuchte Amemna, die Menge zum Verstummen zu bringen. Als das nicht gelang, bedeutete er durch eine Verbeugung, daß er die Akklamation annahm. Ein Mann, anscheinend der Melack der berittenen Hilfstruppen, reichte ihm einen Helm mit gelbem Federbusch hinauf und Amemna setzte ihn auf und nun gab die Menge endlich Ruhe. "Ja, ich werrde euerr Birrh-Melack sein. Alle Befehlshaberr und meine Mawati kommen soforrt in das Zelt des Ungenannten, um sich mit mirr zu berraten." Dann sprang Amemna vom Podest und verschwand in der Menge. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)