Die Geflügelte Schlange - Aufstieg von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 1) ================================================================================ 18. Neue Aufgaben ----------------- Hamarem erwachte früh und und fühlte sich erholt wie schon lange nicht mehr. Derhan und Oremar waren noch in ihre Decken eingewickelt, nur Nefuts Lager war verlassen, obwohl es draußen gerade erst anfing, zu dämmern. Noch nicht einmal die Hühner waren zu hören, aber Nefut war wohl schon wieder mit seinen Waffenübungen beschäftigt, kaum daß es hell genug war, die Zelte erkennen zu können. Als Hamarem noch überlegte, ob er aufstehen sollte oder warten, bis Nefut sie alle weckte, schlich ein Osheyschatten in das Zelt, hin zu Nefuts Lager. Kopftuch, Schwert, Mantel und Gürtel legte er ab und kroch zwischen die Decken. Was sollte diese Heimlichkeit? Seine frühmorgendlichen Waffenübungen hielt Nefut normalerweise nicht in Mantel und Kopftuch ab. Und irgendetwas war geschehen - die Kräfte um Nefut hatten sich verändert. Einen Augenblick später spielte Nefut den Erwachenden, erhob sich geräuschvoll, hantierte mit dem Wassereimer und weckte damit erfolgreich Oremar und Derhan. Auch Hamarem stand nun auf. Dann hallte ein Signal durch das Lager und Hamarem wurde bewußt, daß nun die Belagerung von Tetraos beginnen sollte. Die Kräfte ließen nicht darauf schließen, daß der Kampf an diesem Tag ebenso verlustreich sein würde, wie vor zwei Tagen. Die Feuertaufe hatten die Mawati ja nun wie die anderen Wannimin der berittenen Hilfstruppen hinter sich, und angesichts Amemnas neu erwachter Fähigkeiten war ihre Wannim wohl sicher vor Todesfällen. Ohne weitere Gedanken an den Grund des Appells zu verschwenden, um nicht durch die eigene Panik doch noch gelähmt zu werden, machte Hamarem sich wie die anderen Mawati bereit. Nachdem Nefut Tyrima für eine sichere Rückkehr geopfert hatte, eilten sie zu den Pferdepferchen, und erst dort holte Amemna sie ein, die Kräfte um ihn ungewöhnlich stark in Bewegung. Aber jetzt war Hamarem hauptsächlich damit beschäftigt, sein Pferd aus dem Lager herauszuführen, aufzusitzen und die langsam aufsteigende Angst niederzuhalten, so gut es eben ging. * Es war die erste Musterung seit der Schlacht. Der Melack ritt, wie das erste Mal, die Reihen entlang. Sein gelber Federbusch war deutlich kleiner geworden, und er trug einen Verband am Unterschenkel. Außerdem begleitete ihn ein Schreiber, der bei jeder Wannim aus seinen Listen vorlas. Schließlich blieb der Melack auch vor Amemna Darashys arg dezimierter Wannim stehen. Der Schreiber verlas auf einen Wink seines Herrn: "Wannim des Wanack Darashy, sieben Gefallene." Der Melack zog eine Augenbraue hoch. "Wie das? Ich sehe noch vier Mann und einen Wanack." Der Schreiber hob nur ratlos die freie Hand. "Das ist, was in dieser Liste steht, Herr." "Darrf ich es euch errklären, Herrr", warf Amemna plötzlich ein. "Bitte?" "Dies hierr ist mein Wirrtschafterr", und Amemna wies auf Hamarem, der vor Erstaunen nicht protestierte. "Err wurrde nicht in die Listen eingetrragen, weil err ja kein Kämpferr ist." "Das sieht man", bestätigte der Melack und musterte verächtlich Hamarems linke Seite, an der dieser das Schwert trug. Hamarem war geneigt, dem Melack recht zu geben, hielt aber vorsichtshalber den Mund und senkte den Blick. Da bemerkte er, daß er in der Hektik des Aufbruchs das ungeliebte Schwert mit der Schneide nach hinten in den Gürtel geschoben hatte. "Als dein Wirtschafter hat er hier nichts zu suchen, Wanack Darashy. Oder will er unbedingt anstelle eines deiner toten Männer mitkämpfen?" Der Blick des Melack war herausfordernd, als er Hamarem musterte. Voller Unbehagen dachte Hamarem an die Gefallenen des Kampfes vor zwei Tagen, an den schwarzen Abgrund des Todes, den er wieder zu betreten fürchtete, wenn er ohne die Betäubung durch Stechapfelsud gegen andere Männer kämpfen mußten. Und diese abgrundtiefe Furcht mußte sich in Hamarems Augen widergespiegelt haben, denn plötzlich lachte der Melack schallend und rief: "Schaut euch an, wie das Männlein zittert! Nein, geh' du zu den Zelten, koch' das Essen für deinen Herrn, und laß die Männer kämpfen." Damit ritt er weiter zur nächsten Wannim. Hamarem war im Zweifel, was er von dem plötzlichen Wandel seines Geschicks halten sollte. Eben noch hatte er versucht, sich für einen drohenden Kampf zu wappnen, nun wurde er offiziell zum Nichtkämpfer erklärt. Amemna aber sah sehr zufrieden mit sich aus, lächelte Hamarem an und beugte sich ein Stück zu ihm. "Ich hoffe, es ist dirr rrecht, daß ich diese Gelegenheit genutzt habe", sagte er leise. "Ja, Herr", antwortete Hamarem und erst als er seine Stimme hörte, wurde ihm bewußt, wie erleichtert er darüber tatsächlich war, auch wenn die Beleidigung des Melack noch schmerzte. Aber was genau hatte Amemna gemeint? Hatte er nur geistesgegenwärtig einen Fehler des Schreibers ausgenutzt, oder mit seinen Kräften für Hamarem die Listen geändert? Während Hamarem noch versuchte, in dem Muster der Kräfte um Amemna eine Antwort darauf zu erhalten, klopfte Nefut seinem ehemaligen Zweiten auf die Schulter. "Die Götter sind offenbar mit dir", sagte Nefut ebenfalls lächelnd. Und die lächelnden Lippen Amemnas und Nefuts verschmolzen für einen Moment mit den Linien der Kräfte, die sie beide wie ein Geflecht umgaben. Was war in der vergangenen Nacht geschehen? Irgendetwas verband die beiden zu einer harmonischen Einheit, als wären sie Brüder. Konnte das sein? "Er wird für seine Beleidigung bezahlen!" ereiferte sich Oremar kampfeslustig neben Hamarem. "Laß uns..." doch dann verstummte er, als der Schreiber des Melack noch einmal zurückkam. "Ihr sorgt mit der Südlerwannim für die Bedeckung der Kriegsmaschinen, Wanack Darashy." Amemna nickte und winkte seiner Wannim, ihm zu der noch aus fünf Männern bestehenden Wannim der schwarzhäutigen Südmänner zu folgen. Nur Derhan verharrte einen Moment neben Hamarem. "Hamarem, nutze die Gelegenheit und besuche das Zelt der Ama", sagte er in gedämpfter Lautstärke. "Es ist nicht normal für dich, daß du jede Nacht deinen Stab polierst." "Du wirst mir nicht sagen wollen, daß ich damit die Götter verärgere, oder?" fragte Hamarem herausfordernd. Derhan zog seine Stirn in ernst aussehende Falten. "Ich bin in Versuchung, es zu tun." Und ohne ein weiteres Wort zog er sein Pferd herum und folgte den anderen fast im Galopp. Wieso maßte Derhan sich solche Ratschläge ihm gegenüber an? So viel älter als Hamarem war er auch nicht, und der Zweite der Wannim war er erst recht nicht. Außerdem konnte er sich nachts kaum gestört fühlen, denn Hamarem machte so gut wie keine Geräusche, wenn er sich selbst befriedigte. Es mochte schon sein, daß Derhan während ihrer Zeit in Ashans Bande nie mitbekommen hatte, wenn Hamarem sich 'den Stab polierte', wie Derhan es ausgedrückt hatte. Aber sie hatten auch selten das Zelt geteilt. Eigentlich nur, wenn sowohl Farhan als auch Nefut als Schreiber mit der Lösegeldeinforderung beauftragt worden waren. Und bevor Amemna ihn mit seiner unirdischen Natur verrückt gemacht hatte, war es ja auch nicht allnächtlich zur Besänftigung von Hamarems Begierden notwendig gewesen. Derhan hätte es sicherlich noch viel weniger gutgeheißen, wenn Hamarem statt dessen regelmäßig den Stechapfelsud zu sich genommen hätte, den er immer noch nicht weggegossen hatte. Wenn er wieder bei den Zelten war, mußte er das als erstes tun. Und was war zwischen Nefut und Amemna geschehen? Wie war es so schnell zu dieser vertrauten Zuneigung gekommen? Hatten sie in der vergangenen Nacht endlich festgestellt, daß Amemnas Ziehvater und Nefuts Vater der selbe Murhan Darashy war? Als Hamarem sich umsah, stand er fast allein vor dem Lager der Hannaiim. Bis auf die Lagerwachen war das ganze Heer abgezogen, um den Tetraosi und ihren Bundesgenossen die Macht Hannais zu demonstrieren. Hamarem saß ab und führte sein Pferd zurück in das Lager, zu den Pferchen. Eigentlich brauchte das Tier Bewegung, aber als Amemnas 'Wirtschafter' hatte Hamarem sich in den Zelten der Mawati aufzuhalten oder zumindest innerhalb des Lagers. Immerhin war der Pferch für die Pferde der leichten Reiterei so leer, daß Hamarems Stute ein wenig Auslauf hatte. Hamarem kontrollierte noch einmal die inzwischen fast verheilte Wunde seines Pferdes, gab ihr und den übrigen Tieren der Mawati frisches Stroh und Futter und ging dann zurück zu den Zelten. * Der Unterschied zum Vortag war auffällig. An diesem Tag wirkte die Zeltstadt der Söldner wie in einem unheimlichen Traum. Bis auf die fünf Hühner in einem Weidenkäfig, die die Wannim neben den Mawati als Vorrat hielten, schien sie vollkommen verlassen. Am Vortag hatte Oremar ihren Nachbarn zwei dieser Hühner für das Nachtmahl abgeschwatzt. Dann stand Hamarem im leeren Mawatizelt vor der Asche des Herdfeuers, auf dem noch die verkohlten Reste der Getreidekörner von Nefuts Bittopfer an Tyrima lagen. Nun war er also Amemnas Wirtschafter, plötzlich aller Verpflichtungen zum Kampf enthoben, dem er sich an diesem Tag eigentlich gewachsen gefühlt hatte. Er legte das Schwert ab und das Fehlen dieser Last ließ ihn sich plötzlich sehr unsicher fühlen, als wäre die furchtbare Verpflichtung, an Amemnas und Nefuts Seite in den Kampf zu ziehen, sein einziger Antrieb gewesen. Hamarem mußte mit dem Wunsch kämpfen, sich einfach auf sein Lager sinken zu lassen und zu versuchen, von Amemna zu träumen. Doch er durfte sich nicht durch die Sehnsucht nach Amemna lähmen lassen. Natürlich war die Offenbarung seiner Gefühle keine Garantie für das Erreichen seines Zieles, aber wenn Hamarem sich Amemna nicht offenbarte, blieb der junge Unirdische auf immer unerreichbar für ihn. Und bis sich eine Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch ergab, konnte Hamarem zumindest versuchen, günstige Voraussetzungen für eine Erhörung zu schaffen und ein guter, ein unentbehrlicher Wirtschafter werden. Also raffte er sich auf und ging zu den Vorräten. Ein kritischer Blick zeigte ihm, daß die Vorräte reichten, um zu fünft drei Tage zurecht zu kommen. Aber er sollte sich rechtzeitig erkundigen, wann die Händler, die zum Troß des Heeres gehörten, den nächsten Markt abhielten. Also machte sich Hamarem nach den Vorbereitungen für das Nachtessen wieder auf den Weg durch das Lager, in den Teil, in dem der Troß seine Zelte hatte, in dem die das Heer begleitenden Händler, Ärzte, Ingenieure und Priester mit ihren Familien lebten. Der Weg führte ihn aus einem wie ausgestorbenen Lagerviertel in ein höchst lebendiges, mit lachenden und schreienden Kindern, redenden und arbeitenden Frauen und allen Anzeichen des Lebens, das auch die Zelte der Temhaly und anderer Stämme erfüllt hatte. Es war so seltsam vertraut, die Kinder im Staub der Zeltgassen spielen zu sehen, die Frauen beim Waschen und Kochen, daß es ein beklemmendes Gefühl des Verlustes in Hamarems Eingeweiden auslöste und ihm wider Willen die Tränen in die Augen trieb, obwohl er schon vor so vielen Jahren die Zelte der Temhaly hinter sich gelassen hatte. Schnell wischte Hamarem die Tränen weg, aber das Gefühl konnte er nicht so einfach wegwischen. "Dai tasch'ekt!" schrie eine schwarzhäutige Frau. Die Worte verstand Hamarem nicht, aber es klang zornig. Höhnisches Kinderlachen war die Antwort. Der Ausruf der Frau jedoch hatte ganz plötzlich das Gefühl des Verlustes vertrieben. Hamarem befand sich nicht zwischen den Zelten eines Stammes, sondern zwischen des Zelten des Trosses der Hannaiim, in dem Menschen aus allen Teilen der Welt lebten. Händlerkarren fand Hamarem keine, nur einen freien Platz, an dessen Rand im Schatten eines Zeltes zwei Jungen ein Würfelspiel spielten. Hamarem trat näher, begrüßte die Jungen und fragte: "Wißt ihr, wann der nächste Markt abgehalten wird?" "Seid ihr ein Tarrek oder ein Oshey?" fragte der ältere der beiden statt einer Antwort zurück und musterte Hamarem von oben bis unten. Unter dem prüfenden Blick des Städterjungen wurde Hamarem sich seiner osheytypischen Erscheinung überbewußt, des einfach geschnittenen dunklen Mantels und der geschwärzten Augenlider. Nur die Fransen des nachlässig gebundenen Ma'ouwati-Tuches kitzelten ungewohnt im Nacken. "Warum diese Frage?" "Wegen des Turbans. Dann seid ihr wohl ein Oshey mit einer außergewöhnlichen Kopfbedeckung", und der Junge verzog sein schmales Gesicht zu einem bemerkenswert breiten Grinsen. "Ich bin einer der Mawati des Wanack Darashy", entgegnete Hamarem, bevor ihm einfiel, daß Amemna ihn ja zum Wirtschafter befördert oder degradiert hatte. "Also, wann ist der Markt?" "Morgen follen die Wagen wieder eintreffen", lispelte nun der andere Junge. "Mein Papa ift einer von den Händlern." Er hatte eine von den nachwachsenden Zähnen bisher erst halb gefüllte Lücke in der oberen Zahnreihe. "Mein Vater gehört zu Reiterei", beeilte sich der größere Junge herauszustreichen. "Ich war schon fast überall auf der Welt." "Ich habe keine Luft mehr auf das Würfelfpiel, Nefut", sagte der Jüngere nun wieder. "Dann geh doch mit den Kindern spielen", war Nefuts gehässige Antwort, und er sammelte seine vier Würfel ein. "Er ist selbst noch ein Kind", erklärte der kindliche Nefut abfällig und wies mit dem Kinn auf den leichtfüßig davonlaufenden Jungen, der nur mit einem schon etwas ausgefransten Untergewand bekleidet war, das gerade noch über Knie und Ellbogen reichte. Nefut selbst war ebenfalls barfuß und ähnlich einfach gekleidet, aber sein Untergewand schien noch neu und paßte. Wie viele Jungen mit dem Namen 'Nefut', 'der Sohn', mochten so aufgewachsen sein? Von seinem Nefut wußte Hamarem, daß er nach dem frühen Tod seiner Mutter seinen Vater auf dessen Heerzügen begleitet hatte. "Ich kenne auch einen Nefut, der zeitweilig in einem Heer aufgewachsen ist", sagte Hamarem ganz in Gedanken. "Und jetzt ist er ein großer Krieger?" fragte der jüngere Nefut interessiert nach. Hamarem überlegte eine Weile. "Ja, jetzt ist er ein großer Krieger. Er ist der Zweite meines Wanack." Und natürlich hatte der vor fürstlichen Tugenden nur so strotzende Nefut, der große Krieger, Amemnas brüderliche Liebe gewonnen, ohne tatsächlich mit ihm aufzuwachsen, während Hamarem für seinen Wanack offenbar nur als Wirtschafter taugte. Vielleicht hätte er vor dem Melack gegen Amemnas Behauptung, er sei der Wirtschafter, protestieren sollen, um Amemna zu zeigen, daß auch er nun bereit war, in Amemnas Wannim zu kämpfen. "Kennt ihr das Bohnenspiel?" fragte der Junge plötzlich. "Das hilft gegen düstere Gedanken." Das Bohnenspiel war in den Stämmen ebenso wie in den Städten am Rande der Wüste verbreitet. Im Oremheiligtum hatte Hamarem es oft mit seinen Mitschülern und später mit den anderen Priestern gespielt. Und Hamarem mochte es, obwohl es eigentlich einen Krieg oder eine Schlacht simulierte. Also nickte Hamarem. "Ja, ich kenne das Bohnenspiel." "Dann spielt mit mir eine Partie!" forderte Nefut. Der Junge hatte vielleicht Recht und es lenkte Hamarem von den düsteren Gedanken um eine verlorene Chance ab. Und obwohl Hamarem das Bohnenspiel in Ashans Bande nie gespielt hatte, waren ihm die einfachen Regeln noch im Gedächtnis, auch wenn er vielleicht seine strategischen Fähigkeiten mangels Übung eingebüßt hatte. Also nickte er ein weiteres Mal. "Dann kommt mit!" rief Nefut eifrig und sprang behende auf, lief schon los, bevor er noch einmal innehielt und sich umwandte um zu sehen, ob sein Spielpartner auch mitkam. Etwas langsamer gingen sie dann gemeinsam zu einem auffällig prächtig geschmückten Zelt, das wie das eines Fürsten wirkte. Bewohner oder Bedienstete waren allerdings nicht zu sehen. Nefut bat seinen Gast, sich unter einer der schattenspendend aufgestellten Zeltbahnen auf einem dicken Teppich niederzulassen und lief weiter in das Zelt hinein, hinter die quergespannte dichte Stoffbahn, die den Blick in den hinteren Teil des Zeltes verwehrte. Er kam gleich darauf mit einem Stück Stoff und einem Säckchen wieder. Auf den Stoff war ein Spielplan gemalt und das Säckchen enthielt natürlich die Bohnen, je hundert weiße und getupfte. Sie knobelten aus, wer beginnen sollte und so legte Hamarem als erster eine der getupften Bohnen auf den Spielplan. Es ging schnell voran, und für einen vielleicht Zehnjährigen spielte der Junge sehr durchdacht und erstaunlich aggressiv. Schon nach ein paar Zügen hatte er die erste Bohne von Hamarem gefangen genommen. Aber Hamarem setzte zum Gegenangriff an, umschloß eine unklug plazierte Stellung Nefuts und gewann gleich fünf Gefangene. Doch Hamarems Vorsprung währte nicht lange, und am Ende hatte Hamarem dreißig Punkte und der Junge neunundzwanzig. Und das Spiel hatte Hamarem so viel Spaß gemacht wie schon lange nichts anderes mehr. "Laß uns noch einmal spielen. Ich will Vergeltung!" forderte Nefut und Hamarem willigte nur zu gerne ein. * Als Nefut über einem Zug grübelte, fiel Hamarems Blick auf sein abgelegtes Ma'ouwati-Tuch und er erinnerte sich an Nefuts Frage, ob er ein 'Tarrek' sei. Als Nefut seinen Zug gemacht hatte, fragte Hamarem: "Was ist eigentlich ein 'Tarrek'?" Nefut sah überrascht vom Spielplan auf, auf dem er schon nach einer günstigen Stelle für einen weiteren Vorstoß zu suchen schien. "Die Männer von den Westlichen Inseln nennen sich so. 'Fischer' heißt es einfach, denke ich. Sie tragen diese bunten Tücher als Turbane, daher werden die Turbane ja auch 'Tarra'kt' genannt." "Sind diese Männer nicht eigentlich schwarzhäutig?" wollte Hamarem wissen. Schließlich lagen die Westlichen Inseln, trotz ihres Namens, im äußersten Süden. "Die, die ich gesehen habe, schon", antwortete Nefut. "Aber es gibt so viel verrückte Dinge auf der Welt, warum nicht einen hellhäutigen Tarrek, wenn es auch Oshey mit einem Fischerturban gibt." Nefut grinste wieder von einem Ohr zum anderen. "Bei den Oshey tragen Frauen diese Tücher", bemerkte Hamarem. "Ich weiß", entgegnete Nefut. "Ich habe auch schon Osheyfrauen gesehen." "Es gibt nicht viel, was du noch nicht gesehen hast, oder?" fragte Hamarem ein wenig provozierend. Nefut schüttelte den Kopf. "Nein. Ich habe doch gesagt, ich war schon fast überall auf der Welt." Und dann klopfte er ungeduldig zwei seiner Bohnen aneinander. "Macht endlich euren Zug." Der Junge war bemerkenswert. Anscheinend hatte er in seinem jungen Leben wirklich schon genug gesehen, um eine Ahnung der Erkenntnis zu gewinnen, daß es noch viel mehr gab. Darauf ließen auch die für sein Alter erstaunlich gleichmäßigen Wellen der Kräfte um ihn schließen. Und trotzdem legte er diese kindliche Überheblichkeit an den Tag, 'fast alles' zu kennen und zu wissen. Nun, vom Bohnenspiel verstand er tatsächlich etwas. Er hatte Hamarem in eine ausweglose Situation gebracht. Halbherzig versuchte Hamarem einen neuen Vorstoß, doch wie schon erwartet, nahm ihn Nefut in die Zange und drei weitere von Hamarems Bohnen landeten bei den Gefangenen des Jungen auf dem Teppich. Diese Partie würde Hamarem turmhoch verlieren. Nefut nahm eine weitere seiner eigenen Bohnen, um sie auf den Spielplan zu legen, als er plötzlich in der Bewegung innehielt und zum hinteren Teil des Zeltes schaute, von wo sich das Klingeln von Schmuck näherte. Hamarem erkannte eine sehr hellhäutige junge Frau mit zahllosen silbernen Arm- und Fußreifen, die zu ihnen kam. Sie trug weder einen Schleier noch ein Schultertuch, nur ein ärmelloses knöchellanges Kleid aus einfachem hellblauen Stoff. Vermutlich war sie eine Sklavin. "Nefut, deine Mutter verlangt nach dir", sagte sie freundlich, ohne Hamarem auch nur eines Blickes zu würdigen. "Ich will nur diese Partie zuende spielen", begehrte Nefut auf. "Die Rückkehr des Heeres ist zu erwarten. Du mußt dich bereit machen", entgegnete die Sklavin jedoch bestimmt. Nefut senkte schicksalergeben seinen Kopf. "Entschuldigt bitte, aber leider können wir das Spiel nicht beenden", sagte er leise zu Hamarem, dann verneigte er sich nach Osheysitte. Hamarem tat es ihm nach. "Wenn es dir recht ist, kann ich später wiederkommen", sagte er, denn zuletzt hatte er sich im Heiligtum zu Harna so unbeschwert gefühlt. Das zauberte ein kleines Lächeln auf Nefuts Gesicht. "Oh ja! Also bis morgen". Er ließ sich von Hamarem beim Zusammenpacken der Bohnen helfen und folgte dann der Sklavin in den rückwärtigen Teil des Zeltes. Hamarem nahm sein Ma'ouwati-Tuch wieder an sich und band es wie ein Oshey-Kopftuch um seinen Kopf, dann erhob er sich, um zum Mawatizelt zurückzukehren. Die Sonne begann bereits, wieder zu sinken und für Hamarem wurde es Zeit, das Nachtmahl für die heimkehrenden Krieger zuzubereiten.

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