Wie der Frühling so grün von Nugua ================================================================================ Wie der Frühling so grün ------------------------ Es ist ein hoher, heller Raum, ein Spiel aus Weiß und Gold, mit großen, lichtdurchfluteten Fenstern. In der Mitte des Raums steht ein großer Schreibtisch aus hellem Kischholz, fast vollständig begraben unter dem Computer, den Akten, dem Papier und den Schreibutensilien. Am Tisch sitzt ein Mann, jung an Jahren und alt an Erfahrung. Der Mann ist ein wenig zu klein für den Tisch, und dennoch passen sie gut zusammen, der Tisch und der Mann. Denn auch der Mann ist begraben unter einer schweren Last, einer Last aus Schuld und Bedauern. Die Kleidung des Mannes ist weiß, weiß wie der Großteil des Raums. In Japan ist Weiß die Farbe des Todes. Es ist ein hoher, heller Raum, ein Spiel aus Weiß und Gold, mit großen, lichtdurchfluteten Fenstern. Doch in dieser Helligkeit liegt keine Wärme, denn die Wärme wird erstickt von der Stille und der Schuld und dem Warten auf den Tod. --- „Du solltest eine Pause einlegen“, sagte sie. Er beachtete sie nicht. Er hatte keine Zeit, er musste arbeiten, und Arbeit gab es viel, wie immer. Sie schien mit jedem Tag zu wachsen statt zu schrumpfen, und mit der Arbeit wuchs auch die Sorge, dass er es nicht schaffen würde, sie rechzeitig vor seinem Todestag zu vollenden, dass er irgendetwas nicht bedacht hatte, dass irgendetwas schief gehen würde ... „Du solltest etwas essen“, sagte sie. Er beachtete sie nicht. Er hatte keinen Appetit, und überhaupt gab es im Moment wesentlich wichtigere Dinge, um die er sich kümmern musste, als Essen. Sie nahm das letzte Pizzastück aus dem Karton und hielt es ihm direkt vors Gesicht. Der Übelkeit erregende Geruch stieg ihm in die Nase; er versuchte, ihn zu ignorieren, wie er auch sie ignorierte, und nur auf den Bericht zu achten, den er gerade las. Er las die Wörter langsam und mit hoher Konzentration und er versuchte, den Sinn dahinter zu erkennen, aber es gelang ihm nicht, nicht solange er ihre Blicke in seinem Nacken spürte. „Du bist noch dünner als sonst“, sagte sie. „Wenn du so weitermachst, brichst du zusammen, bevor du deinen Plan vollenden kannst. Willst du das?“ Und da nahm er ihr das Pizzastück ab und begann, es zu essen, bevor es seine Unterlagen mit Fettflecken beschmutzen konnte. „Du musst das nicht tun“, sagte sie, als er aufgegessen hatte. „Das weißt du doch, nicht wahr? Noch ist es nicht zu spät, Zero Requiem abzubrechen. Du musst nicht unbedingt Lelouch, der Dämon sein. Du kannst ein gerechter Herrscher werden und den Menschen jenen Frieden schenken, den sich Nunnallly immer gewünscht hat. Dafür musst du dich nicht von Suzaku töten lassen. Es wäre nicht so schmerzhaft für Nunnally und die anderen.“ „Aber es muss sein“, entgegneter er. Sie zeigte keinerlei Überraschung, sie hatte bereits mit dieser Antwort gerechnet. „Es gibt nichts, was die Menschen mehr zusammenschweißt, als ein gemeinsamer Feind und ein gemeinsames Ziel, das es zu verfolgen gilt. Wenn ich jetzt aufhöre, den Tyrannen zu spielen, nehme ich den Menschen ihr Ziel. Es würde Frieden geben, aber dieser Frieden wäre niemals so endgültig und vollkommen wie der Frieden, den Zero Requiem erschafft. Ich muss Zero Requiem durchführen. Es gibt kein Zurück mehr. Die Menschheit braucht diesen Triumph. Und ich brauche eine Möglichkeit, um Buße zu tun. Es ist für alle das Beste.“ „Nur für Nunnally und deine Freunde nicht“, sagte sie, und er lächelte sein schiefes Lächeln. „Es ist auch für sie das Beste. Es ist bloß grausam“, erwiderte er. „Alles, was ich tue, ist grausam, ob ich es will oder nicht. Ich bin nicht in der Lage, die Menschen, die ich liebe, auf andere Weise zu schützen, das habe ich inzwischen akzeptiert. Ich bin nur in der Lage, ihnen Leid zuzufügen. So war es am Anfang und so wird es auch am Ende sein. Sie werden es verkraften. Ich weiß es. Ich vertraue darauf.“ Sie versuchte, ihre Taktik zu ändern. „Du kannst den Termin verschieben“, sagte sie. „Du musst es nicht schon in zwei Wochen tun. Du kannst dir etwas mehr Zeit lassen, dann musst du auch nicht so sehr mit deiner Arbeit hetzen.“ Er schüttelte nur den Kopf. „Mit jedem zusätzlichen Tag, den ich unnötig verstreichen lasse, leiden die Menschen etwas mehr. Außerdem ...“ Seine Stimme verlor sich, doch sie schien zu verstehen. „Hast du Angst, dass du den Mut verlierst, wenn du zu lange wartest? Hast du Angst vor dem Tod?“ Er schloss die Augen, als müsste er darüber nachdenken, obwohl er die Antwort längst kannte. „Ein wenig“, gab er zu, als er die Augen wieder öffnete und sie zum ersten Mal direkt ansah. „Obwohl ich gleichzeitig erleichtert bin, dass es bald soweit ist.“ Ein seltsamer Ausdruck trat in ihre Augen: Schmerz, gemischt mit Verständnis. Es war beinahe unerträglich für ihn, diese Emotionen an ihr zu sehen. „Wie fühlt es sich an, zu sterben?“, fragte er. „Ist es schmerzhaft?“ „Ein wenig“, gab sie zu. Ihre Wortwahl entlockte ihm ein ironisches Grinsen. Aber sie war noch nicht fertig: „Darum ist es wichtig, einen Freund in der Nähe zu haben, wenn es soweit ist. Dadurch wird es ein wenig leichter.“ Er verstand, was sie meinte, und es fiel ihm umso schwerer, ihr in die Augen zu sehen, aber er war es ihr schuldig, und es gab etwas, das er schon lange sagen wollte. „Es tut mir leid, dass ich dir deinen Wunsch nicht erfüllen konnte.“ „Ich weiß. Ich verzeihe dir.“ „Ich verdiene deine Vergebung nicht.“ Und sie schmunzelte und legte ihre Hand auf seine. „Vielleicht hast du recht. Aber es ist mir egal.“ „Aber-“ Und sie beugte sich nach vorn und küsste ihn auf die Wange. Es war verrückt – nein, er war verrückt – doch er konnte nicht verhindern, dass ein widerwilliges Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte. „Wofür war das?“ „Es ist ein Zauber, der dir Mut verleihen soll.“ Sie lächelte, und ihr Lächeln war warm wie die Sonne und ihre Augen grün wie der Frühling. „Ich weiß, dass ich deinen Tod nicht verhindern kann. Aber ich kann zumindest versuchen, dir beizustehen. Mehr hatte ich nie gewollt.“ „Mit wem redest du?“ C.C.s Stimme ließ ihn zusammenzucken und verdrängte Shirleys Bild aus seinen Gedanken. „Mit niemandem“, antwortete Lelouch nach einer kurzen Schrecksekunde. „Ich habe nur laut nachgedacht.“ Sie starrte ihn auf ihre typische unergründliche Weise an und angelte das letzte Stück Pizza aus dem Karton. „Worüber?“ Er dachte daran, dass er bald sterben würde. Und daran, dass er Angst vor dem Tod hatte. Und daran, dass er sich Sorgen machte, dass nicht alles nach Plan verlaufen würde. Und daran, wie schrecklich es sich anfühlte, die Verbitterung und Verachtung in den Gesichtern von Nunally und Kallen zu sehen. Und daran, dass er Suzaku zu einem Leben der Selbstkasteiung verdammte. Und daran, dass Euphie und Shirley tot waren. Und daran, dass es C.C.s Wunsch gewesen war, zu sterben. Und daran, dass er ihr diesen Wunsch nicht gewähren konnte, weil er wieder einmal ein Versprechen brach. Und daran, dass er kein Recht darauf hatte, Angst zu haben. Er lächelte und sagte „Es ist nicht wichtig.“ Und er sah den Zweifel und die Besorgnis in ihrem Blick, wohlwissend, dass seine Lügen schon einmal besser gewesen waren. Aber es spielte keine Rolle. Sie war seine Partnerin und sie hätte ihn auch durchschaut, wenn er überzeugender gelogen hätte. „Ich werde auf dich warten, Lulu“, flüsterte Shirleys Stimme in seinem Kopf, und er hatte nicht länger die Kraft, wegzuhören. Ich weiß, Shirley. Aber du wirst nicht mehr lange warten müssen. Ich bin bereit ... bald. 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