Suicide Circus von totenlaerm (Der Faden und Taka) ================================================================================ Kapitel 1: Justiz starb ----------------------- „Ich gehe anmutig und auf sanften Sohlen. Balanciere auf dem Seil des Lebens. Heute ist von diesem Seil nur noch ein Faden übrig geblieben. Ich knie auf ihm nieder, flehe den Tod an. Einmal noch. Doch nichts. Ich bin gezwungen weiter zu tanzen, meine Füße, sie schmerzen, sind feucht vom Schweiß. Ich bin müde und möchte schlafen. Doch ich fürchte mich vor dem Erwachen. Das Seil, mit einem kurzen Augenschlag wird es nicht vergehen. Mit einem längeren schon eher. Es ist ein langsamer Prozess. Das Auflösen dieses Seiles. Es wäre zu schön, wenn es halten würde. Dann wär ich gezwungen weiter zu tanzen. Für immer, und nie mag ich aufhören. Denn ich liebe es gezwungen zu werden. Meine Freiheit liegt nicht in dieser Welt, und in eine andere Welt zu kommen gelingt mir nicht, und von dieser Welt aus zu treten ist mir verboten, bis der Faden reißt. Ich hab eigentlich gelernt mit dem Schicksal zu leben. Aber nun, wo das Schicksal sich verändert verstehe ich nichts mehr. Ich tanze ohne Musik, aber ich weiß, dass jeder mir zu schaut. Mein Kostüm ist nichts mehr als das Blut auf meiner Haut. Das Kostüm im Suizid Zirkus. Wie ich geboren bin, von Anfang an beschmutzt mit Blut, beschmutzt mit Schuld, am Ende ertränkt in Blut, verreckt in der Schuld. Das Rot auf der weißen Haut. Der Sinn für Ästhetik im Suizid Zirkus. Ich wage einen Blick nach unten, in den Abgrund, nach oben, in das weite Nichts, zur Seite in die unendliche Dunkelheit. Auch wenn ich um mich herum nichts sehe außer schwarze Leere, spüre ich dass mir alle zuschauen. Fühle ihre Blicke auf mir. Denn alles Licht geht hier von mir aus. Alles, wie mein Kopf sich neigt, wie sich meine Zehen anspannen, wenn sie den zarten Faden streifen, die Schweißperlen auf meiner Stirn, glitzernd wie geschliffene Diamanten, das Blut an mir, wie Rosenblätter im Schnee. Es ist als würden Fakten verdreht werden. Schwarz ist hell und weiß ist düster. Meine Erinnerungen erzeugen positive Gefühle. Wo auch immer ich hier bin, es ist nicht die Erde. Es ist nicht die Hölle. Nicht das Paradies. Wie ein Warteraum zwischen Leben und Tod.“ Ich lächle Taka, den Falken freundlich zu. „Eine schöne Geschichte.“ Sagt er. „Das ist keine Geschichte. Geschichten sind erfunden.“ Berichtige ich ihn, und der Falke dreht sein kleines Köpfchen zur Seite, und pickt sich seine Federn zurecht. Als wäre er beleidigt. Es schien mir so, als hätte ich vergessen, dass er ein Tier ist, und schämte mich etwas für meine Unterlegenheit, die doch eigentlich eine Überlegenheit sein sollte. Einem Tier gegenüber, nicht wahr? Das war der Grund wieso ich Taka wegschickte. Er breitete seine gewaltigen Flügel aus, und sah mich traurig an. Soweit Vögel traurig blicken können. Aber das ist nicht wichtig, da ich Taka immer verstehe. „Lebe wohl, Nori“ sagte er zu mir und glitt vom Fensterbrett aus hinaus in die kalte Luft. Drehte unentschlossen einige Kreise, aber nur ein ermahnender Blick meinerseits brachte ihn dazu sich in der dichten Wolkendecke zu verstecken. Es war natürlich unartig von mir ihn so zu verletzten. Aber was soll ich tun? Am liebsten hätte ich mich jetzt auf ein Bett gesetzt, und verzweifelt meinen Kopf mit den Händen gestützt. Aber ich hatte kein Bett, also setzte ich mich auf den Boden und dachte nach. Bei mir gibt es nicht viel zu denken. Meine Kreativität reicht einfach nicht aus. Ich zupfte einen Faden von meiner zerschlissenen Jeans, und hielt ihn ans Licht. Im Raum gab es nur natürliches Licht, daher war es dämmerig wenn die Sonne wie heute von Wolken verhangen war. In Gedanken tanzte ich über diesen Faden. Ich hatte mich in Gedanken wieder mit Taka zusammen geschlossen. Wir waren wieder eins. Gar keine schlechte Lösung, eigentlich. Aber nun war einmal weg, und ich weiß nicht wann er mir verzeihen würde und wiederkommen würde. Aber allzu lange würde es wohl nicht dauern. Immerhin hat er das selbe Gefühl wie ich, nach einer Trennung. Es ist immer so, als würden wir ein Stück von uns selbst verlieren. Letztendlich ist er ein Stück von mir. Ein Stück welches ich nicht mehr ertragen konnte, und so abgetrennt hab von mir. Seelisch und metaphysisch natürlich. Offiziell war ich noch immer Takanori, aber das spielt keine Rolle, da ich den Menschen eh egal bin. Nur wenn ich mich im Winter mal wo unterstelle nicht. Aber ich hab ja jetzt diesen Raum. Den leeren Raum, ohne Fensterscheiben. Die Seele, Taka kann ein und aus fliegen. Oder auch bei mir bleiben. Jetzt wo er weg ist sehne ich mich nach ihm, wie ein Kind nach seiner Mutter. Auch wenn ich ihn nicht physisch berühren kann, so berührt er mich psychisch jedes mal mit seinem Auftreten. Ich Rufe ihn. Rufe „Taka!“ in die eisige Stille. Doch nichts. Es ist wie in meinen Gedanken. Ich flehe den Tod an. Es war schon Nacht, und ich habe etwas auf dem Boden geschlafen, da kam Taka wieder. Ich wurde sofort wach, und fragte ihn. Der Falke legte seinen Kopf schief, als würde er überlegen. Er war so menschlich. Zum Glück kann ihn keiner Sehen, denn dann wär er schon längst Verkauft worden. An einen Zirkus. Aber er gehört zu meinem Zirkus, dem Suizid Zirkus. Kämpfe, Kraftmessungen, Messerwerfen, Akrobatik mit dem Tod. Gegen den Tod. Wer bin ich schon, dass ich mich mit dem Tod messen kann? Zwei Jahre später ist mein kleiner Zirkus weltbekannt. Ich wurde, nachdem ich mich mit Taka vereinigt hatte, und wieder eine komplette Identität war, von meinem Bruder gefunden, und er hat mich unterstützt. Finanziell natürlich nur. Schon längst hab ich ihm alles zurückgezahlt. Man sieht mein Gesicht nicht nur in der Zirkusmanege, sondern auch im Fernsehen. „Selbst der Tod ist von und gegangen“ sage ich in meiner Werbung. Mit Hilfe von meinem Bruder hab ich mir meinen Traum, ein eigenes Laboratorium, ermöglicht. Ich sah es als ein positives Zeichen an, dass der Himmel damals an einer Stelle aufriss und auf mein Labor schien. Nach dem ich mehrere Medikamente hervorgebracht hab ist mir vor einer Woche das Unmögliche gelungen. Ich hab ein Medikament gegen den Tod hergestellt. Mein Seil ist wieder so fest wie am Anfang. Ich mach Luftsprünge auf ihm, schneide dem Schicksal und dem Tod provozierende Grimassen. „Ruki, der Ritter der den Tod bezwang“ hieß es auf den Titelseiten der Weltpressen. Nie zuvor war mein Leben besser. Bis ich jenen Anruf bekam. Ein Unbekannter sagte mir, ich habe wohl vergessen, dass wenn keiner mehr stirbt, bald kein Platz mehr für neue Menschen ist. Wütend hab ich aufgelegt, und seine Worte verdrängt. Es hat äußerst gut funktioniert, mein Leben war so gut wie zuvor auch. Bis es in Japan neue Wahlen gab. Ein mir unbekannter Herr Suzuki wurde gewählt. Das heißt, eigentlich kannte ich ihn schon, denn ich kannte seine Stimme. Es war jener Mann, der bei mir angerufen hat. Er schrieb ein Gesetz, dass das erzeugen von Kindern verboten wird. Er schrieb Gesetzte, dass alle Kinder die trotzdem zur Welt kommen ermordet werden müssen. Ich bekam aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gewissen. Mein Suizid Zirkus ist zum Zirkus des Lebens geworden, in dem man nicht sich selbst, sondern unschuldige tötet. Aber Mitleid hatte ich nicht. Nur mich selbst stellte ich infrage, und das war schrecklich. „Wo ist das Ende des Seils, und wo der Anfang? Vorsichtig drehe ich mich um und gehe zurück, dort hin, wo ich herkomme. Das Seil schwankt. Es fällt mir schwer stehen zu bleiben. Pfeile fliegen an mir vorbei, kommend aus der Schwärze. Ich hocke mich hin, mache mich klein. Keiner der Pfeile würde mich treffen. Nur mein eigener Dolch kann das Herz erreichen.“ Jetzt stehe ich wieder in diesem Raum. Möchte mich auf ein Bett setzen, welches es nicht gibt. Möchte wieder mit früher tauschen. „In meiner Geschichte bin ich selbst die Schuld. In meiner Geschichte gibt es keinen Wendepunkt, denn sie ist ein Kreislauf. In meiner Geschichte gibt es nur ein Seil, Schwärze und mich. Es gibt nicht mal einen Anfang und ein Ende auch nicht. In meiner Geschichte bin ich genauso wichtig wie das Seil, denn das Seil herrscht über mich, und ich über die Zeit welche das Seil zusammenhält. Der Kreislauf eben.“ Plötzlich steht jemand neben mir ihm Raum. Ich dachte erst es wär Taka, aber das geht ja nicht, denn er ist in mir. Es war Herr Suzuki. „Was machst du hier?“ frage ich in boshaft, doch er lachte nur, und legte seinen Arm um mich. „Ich wollte dich sehen.“ Ich schaute ihn sprachlos an. „Der Vogel hat mir damals gesagt wo du immer bist.“ Erklärt er, und verschränkt wegen der Kälte seine Arme. „Du meinst Taka?“ frage ich mehr als verwundert. „Den Falken. Er heißt Taka?“ Ich nicke. „So wie du? Takanori?“ Ich nicke abermals und füge hinzu: „Er ist nicht er selbst. Er ist ichselbt.“ Herr Suzuki lachte. „Er ist also du? Oder du bist er?“ „Ich weiß nicht.“ Murmel ich und stoße Herrn Suzuki leicht an. „Wieso siehst du ihn?“ „Ich weiß nicht.“ Ich war sprachlos. Absolut. Aber Herr Suzuki nicht, denn er fragte mich ob ich mal mit ihm reden könnte. Er fragte mich, wieso ich diese Tablette geschaffen hab. „Ich wollte den Tod bezwingen. Ich hasse Abschiede. Ich musste am Grab meines eigenen Vaters stehen und weinen als ich 5 war, und an dem meiner Mutter zwei Jahre später.“ Erkläre ich, und versuche nicht abzuschweifen. „Und das ist dir wichtiger als die Leben der Kinder?“ „Mir ist es egal. Was andere mit meiner Erfindung machen, damit hab ich nichts zu tun. Ich hab diese Tablette nicht genommen, und trotzdem ist das Seil stärker geworden.“ „Welches Seil?“ „Ein Metapher für mein Leben.“ „Ach so. Wieso hast du die Tablette nicht genommen?“ „Ich lebe auf einem Seil, das keinen Anfang hat, deswegen soll es ein Ende haben, irgendwann.“ „Ich verstehe dich.“ Meinte Suzuki und ich bedankte mich. Wir standen dann noch etwas dort und redeten. Wir verstanden uns blendend, und trotzdem ging er schon bald, da ihm kalt war. Auch ich zog mich zurück. “Taka, können wir uns wieder trennen?“ frage ich ihn, und schon sitzt der Falke auf meinem Kleiderschrank. „Flieg weg, und verbreite dich dort draußen als der schwarze Tod. Ich mag dem Tod in die Arme rennen, wenn du es bist. Wenn nicht, dann würde ich vorher nieder knien.“ „Lebe wohl.“ Sagte der Falke, und ich öffne das Fenster, und sehe ihn nur noch wegfliegen. Keine Unentschlossenheit. Wie Perfekt. „Ich habe mich auf das Seil gelegt. Versucht zu schlafen. Aber immer wieder wurde ich gestochen, damit ich weiter tanze. Das Seil ist nur noch fein wie ein Garnfaden. Er schneidet sich in meine nackten Füße, dass es schmerzt. ,Ist es so zu sterben?’ frage ich den Tod. Und er lacht nur. Aber den letzten Kampf gegen ihn, hier auf dem Seil, werde ich gewinnen. Bevor das Seil reißen kann bin hab ich mich fallen gelassen. Falle durch das schwarze Nichts und warte, dass ich aufschlage und mein Körper zerschellt an meiner Schuld. Warte bis mein Blut verdunstet ist. Warte, bis mich selbst der letzter Atemzug verlassen hat.“ Der Falke fliegt über mir, seine Federn fallen auf mich hinab. Er wird mit mir sterben. Neben mich tritt Herr Suzuki. „Die Person die Abschiede hasst zwingt mich dazu erneut Abschied zu nehmen. In Taka war noch ein Stück von mir, mein kleiner Bruder. Deswegen konnte ich ihn sehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)