Kurt das war's von Lotos ================================================================================ Kapitel 31: Eine neue Sicht der Dinge ------------------------------------- XXXI – Eine neue Sicht der Dinge Mittlerweile – seit Johannes' Tod waren zwei Tage vergangen – waren die Geschehnisse um ihm für Kurt ein wenig in den Hintergrund gerückt. Natürlich war ihm nach wie vor deutlich, dass Hanne gestorben war, aber er hatte einfach so viel zu tun, dass dieser Umstand und die damit verbundene Fassungslosigkeit in weite Ferne gerückt waren. Gerade eben hatte er den Telefonhörer aufgelegt. Er hatte Hannes Familie noch einmal die Sache mit der Bestattung erklärt. Dass Hanne hier eingeäschert und begraben werden wollte, fühlte sich für seinen Vater wie ein Schlag ins Gesicht an und er hätte die Leiche seines Sohnes am liebsten nach Hamburg geholt. Kurt konnte ihn sehr gut verstehen: es war nur natürlich, dass man das Grab eines geliebten Menschen - des leiblichen Sohnes - am liebsten in seiner Nähe wusste. Aber Hanne hatte sich nun einmal ausdrücklich gewünscht hier in Stuttgart seine Ruhe zu finden. Er hatte ja sogar selbst das meiste mit dem Bestatter geregelt, sodass Kurt nur noch die Unterlagen aus dem Umschlag, die für die Sterbeformalitäten nötig waren, hatte abgeben müssen. Hanne hatte wirklich an nahezu alles gedacht. Auch mit Sandra hatte Hanne wegen der Bestattung gesprochen. Er hatte sie einfach an einem Abend Mitte Dezember angerufen und sie gefragt, ob sie nicht Lust hätte, wieder einmal mit ihm zu essen. Sie war am nächsten Abend vorbeigekommen, sie hatten Pizza bestellt und irgendwann nach dem Essen und einer gemeinsamen Flasche Rotwein hatte Hanne einen Umschlag hervorgeholt. Sandra war schlagartig nüchtern geworden als sie verstanden hatte, auf was Hanne hinaus wollte. Doch dann hatten sie sich doch sehr lange über das Thema Tod unterhalten. Er hatte immer wieder betont, dass er nicht wollte, dass alles so überraschend kam. Und ihm war auch mehr als bewusst gewesen, wie sehr er seinem Vater mit dieser Entscheidung weh tun würde. „Aber ich hatte bis heute einfach eine tolle Zeit hier in Stuttgart, ich war und bin glücklich. Es ging mir hier bis vor einem guten halben Jahr gesundheitlich besser denn je. Gerade die fünf Jahre, die ich mit Heiko in der WG gelebt habe, waren wundervoll. Und auch das ganze letzte Jahr mit Kurt war wirklich schön. Für Ham­burg habe ich auch schöne Erinnerungen, aber... es sind auch viele unschöne Erlebnisse dabei.“ Kurt verstand immer mehr, dass Hanne sich gewaltig in seinem Vater geirrt hatte, denn dieser hatte Kurt auch von den schwierigen Familienverhältnissen erzählt. Es war keineswegs so, dass sein Sohn ihm gleichgültig gewesen wäre - vielmehr hatte er damals nicht die Kraft gehabt, sich um Hanne und dessen Schwester zu kümmern. Nach dem Tod von Hannes Mutter war er vollkommen mit der Situation des plötzlich allein erziehenden Vaters überfordert gewesen. Die ersten Wochen nach dem Unfall war er viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sein eigenes Leben in den Griff zu bekommen. Natürlich hatte es auch gestimmt, dass er viel und lange gearbeitet hatte und auch daher nicht ausreichend Zeit für seine Familie hatte. Sie hatten viel aneinander vorbeigelebt und geredet. Nur abends waren sie zusammen gekommen, doch auch niemals nah genug, um sich richtig wahrzunehmen. Insbesondere Hanne war sehr schnell selbstständig geworden und hatte kaum mehr von sich aus den Kontakt zu seinem Vater gesucht. „Das hat mich natürlich in erster Linie gefreut, weil es mir gezeigt hat, dass er gut in seinem Leben zurechtkommt. Aber hätte ich gewusst, weswegen er sich so von mir abkapselt, hätte ich natürlich etwas dagegen unternommen. Erst als ich ihn letztes Jahr besucht habe, hat er mir überhaupt gesagt, wie verlassen er sich manchmal vorkam. Dass er das Gefühl hatte, wegen der HIV-Infektion und seinem ganzen Dasein eine Belastung für mich zu sein. Das hat nie gestimmt. Es war einfach ein Fehler, dass ich so wenig auf ihn geachtet hab und so selten direkt auf ihn zugegangen bin.“ Hannes Ähnlichkeit zu seiner Mutter, der er die ganze Schuld an dem Drama gegeben hatte, hatte in Wirklichkeit nie eine Rolle gespielt. Sein Vater hatte sie fast nicht wahrgenommen. Dass Johannes die rötlichen Haare und die blaugrünen Augen seiner Mutter hatte, hatte er sogar immer positiv aufgefasst. Kurt konnte wirklich nur Verständnis für Hannes Vater aufbringen, obwohl er sich manchmal, wenn Hanne von seiner Familie erzählt hatte, gefragt hatte, was sein Vater für ein unangenehmer Mensch sein musste. Doch jetzt sah er den Mann anders, der einfach nur schrecklich um seinen Sohn trauerte. Obwohl es nie bei Hanne so angekommen war, hatte sein Vater ihn sehr gerne gehabt. Trotzdem konnte Kurt die Bestattung nicht mehr abblasen. Hanne hatte es sich ausdrücklich so gewünscht. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Kurt fürchtete sich insgeheim sehr vor der Bestattung an sich. Johannes hatte sich für eine Einäscherung entschieden, wollte jedoch nicht, dass man ihn bei der Trauerfeier noch betrachten konnte. Stattdessen hatte er sich gewünscht, direkt nach der Aussegnungsfeier als Urne beerdigt zu werden. Er hatte niemals gewollt, dass sein Umfeld ein kränkliches schwaches Bild von ihm im Kopf hatte, sondern ihn als gesunden jungen Mann in Erinnerung behielt. Die Tage vor seiner letztendlichen Einäscherung war Johannes' Leichnam in einem Kühlraum aufgebahrt gewesen. Kurt und Lukas waren nur einmal dort gewesen, um von Hanne Abschied zu nehmen. Die Leute vom Bestattungsunternehmen hatten sich wirklich Mühe gegeben, ihn schön herzurichten. Hanne war gewaschen worden und lag in ein weißes T-Shirt und seine mittelgrüne Kapuzenstrickjacke gekleidet in einem hellen Sarg. Er war bis knapp zur Brust zugedeckt und seine mageren Hände lagen schön gefaltet auf seinem Bauch. Außerdem hatte das Krankenhaus die Kanüle aus seiner Hand entfernt, den hässlichen Einstich hatte man durch einen Verband verborgen. Auf dem Gesicht trug Hanne ein leichtes Make-up, das seine Haut etwas gesünder aussehen ließ. Das Haar war aus der Stirn und zur Seite gestrichen worden. Kurt entdeckte außerdem die hellen Sommersprossen auf Hannes Nase und den Wangen wieder, die er bereits damals im Krankenhaus bemerkt hatte. Jetzt saß Kurt neben Lukas in der Trauerhalle des Friedhofs. Es war ein schöner heller Raum, mit vielen Kerzen und Tulpengebinden geschmückt. Vorne beim Rednerpult war Hannes Asche in einer hübschen Schmuckurne aufgestellt. Auch ein Photo von ihm stand dabei. Kurt kannte das Photo, Hanne hatte ihm im Krankenhaus in den letzten Tagen ebenfalls einen Abzug gegeben und erklärt, dass es im Mai des vergangenen Jahres gemacht worden und er und Sandra es als Geburtstagsgeschenk für seine Großmutter in ein Photobuch hatten drucken lassen. Sie hatte sich damals sehr über die Photos ihrer Enkelkinder gefreut. Hanne lächelte auf dem Photo. Es war ein insgesamt sehr schönes Bild. Er trug ein kurzärmliges weißes Hemd, seine blau-grünen Augen strahlten. Sein kurzes Haar war leicht zerzaust. Er wirkte entspannt und glücklich, wie er auf der Wiese des Schlossparks saß und in die Digitalkamera seiner Schwester schaute. Dieser junge Mann wirkte so gesund, dass es kaum vorstellbar war, dass er bereits knapp neun Monate später hatte sterben müssen. Kurts Brust zog sich schmerzhaft zusammen, wenn er an Johannes blasses schmerzverzerrtes Gesicht, die fiebrigen Augen und seine mageren Glieder vom Krankenhaus dachte. Er konnte gut verstehen, weswegen Hanne so vehement wollte, dass die Leute eben nicht dieses kränkliche schwache Bild von ihm in Erinnerung behielten. Hanne hatte sich die ganze Zeit über seine Lebenslust beibehalten und war eigentlich immer sehr lebensbejahend und mutig seinen Weg gegangen. Natürlich hatte er während der Verschlechterung seines Zustandes Angst gehabt und war auch manchmal richtiggehend verzweifelt gewesen, doch aufgegeben hatte er sich nie. Er hatte die ganzen Wochen über tapfer gekämpft. Kurt schaute auf, als sich Sandra mit Johannes Vater und seiner Großmutter zu ihnen setzten. Sandra stellte ihn und Lukas vor. Kurt drückte Hannes Vater und seiner Oma die Hand, was Lukas schließlich wiederholte. Sie alle waren allerdings absolut nicht bei der Sache und viel zu sehr damit beschäftigt, nicht selbst die Fassung zu verlieren. Das Gesicht von Hannes Vater war ganz fahl und seine Augen waren gerötet, er trauerte schrecklich um seinen Sohn und schien seinen Tod noch gar nicht ganz begriffen zu haben. Auch die alte Frau wirkte sehr aufgewühlt. Während der Trauerrede des Pfarrers griff Lukas schließlich nach Kurts Hand. Kurt wusste, dass Sandra für diese Rede mit dem Pfarrer gesprochen hatte - er selbst war ja auch daneben gesessen, weil Sandra dachte, er könne vielleicht auch etwas beisteuern. Es tat ihm gut zu wissen, dass sein Freund für ihn da war. Der Pfarrer sprach von Hannes Leben. Seiner Kindheit, dem Unfalltod seiner Mutter und der HIV-Infektion durch die Blutkonserve. Er erzählte von Hannes Jugend, seinem Leben hier in Stuttgart und schließlich von der immer schneller fortschreitenden HIV-Infektion und ihren Folgen. Angst, Folgeinfektionen und immer wieder neue Klinikaufenthalte, nach denen sich Hanne tapfer wieder aufgerappelt hatte. In Kurt kamen wieder Erinnerungen an Johannes hoch. Wie sie sich kennen gelernt hatten. Wie er von der HIV-Infektion erfahren hatte und den bewusstlosen Hanne ins Krankenhaus begleitet hatte. Wie sehr Lukas Hanne zunächst misstraut hatte und wie er selbst Hanne immer besser kennen lernte. Wie Hanne ebenfalls mehr und mehr Vertrauen in ihn gewann. Wie Hannes Krankheit auch für Kurt selbst zur Realität wurde und wie sie sich wieder und wieder gestritten hatten. Wie Hanne eines Abends schluchzend in seinen Armen gelegen war, nachdem er diesen Hautkrebs auf seiner Hüfte entdeckt hatte. Wie viel Angst Johannes vor der Einsamkeit gehabt hatte und der Vorstellung, dass ihn niemand mehr im Krankenhaus besuchen kam. Wie ihm ein weiteres Mal diese schrecklich dicken Tränen nach der Diagnose der Lungenentzündung über die Wangen gerollt waren. Wie mager und schwach er in den darauf folgenden Wochen geworden war und wie seine Energie immer mehr abhanden kam. Wie er dennoch die ganze Zeit über voller Entschlossenheit gekämpft hatte. Oh ja, er hatte in den letzten vier oder fünf Wochen wirklich um sein Leben gekämpft, obwohl es oft so gewirkt hatte, als habe er sich bereits aufgegeben. Nach der Trauerrede standen Sandra, Johannes Vater und die Großmutter auf und gingen zu Johannes' Urne nach vorne, um sich vollends zu verabschieden bevor die Urne endgültig der Erde übergeben wurde. Als die drei sich wieder setzten, erhoben sich auch Kurt und Lukas. Kurt kamen beim Anblick des Photos und der Urne wieder die Tränen und er war froh, als Lukas einen Arm um ihn legte und ihn wieder zu ihren Plätzen führte. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die Wochen und Monate nach Johannes Beisetzung sollten sich sehr schwierig für Kurt und seinen Freund gestalten. Obwohl Kurt schon ein paar Tage nach der Bestattung zu einem scheinbar normalen Tagesablauf zurückgefunden hatte, trauerte er schrecklich. Es fiel Lukas vor allem in solchen Momenten auf, in denen Kurt still war und er keinen Mucks von sich gab, sondern nur auf der Couch saß und in den stillen Raum starrte, wenn er von der Arbeit kam. Er nahm Kurt dann in den Arm und hielt in einfach nur so fest er konnte. Obwohl Kurt Lukas Arme als tröstlich empfand, löste er sich meistens recht schnell wieder von ihm und entschuldigte sich, obwohl Lukas schon oft beteuert hatte, dass es ihm nicht leid tun musste. Lukas hatte es außerdem nur sehr widerstrebend zugelassen, dass Kurt Hannes Vater dabei half, die ehemalige Wohnung auszuräumen. Hannes Kleidung war insgesamt zur Kleidersammlung des Roten Kreuzes gewandert. Auch seine Möbel, die Bücher und das Geschirr aus der Küche waren auf ähnliche Weise gespendet worden. Doch besonders hier hatte Hannes Vater die Dinge für sich behalten, mit denen er Erinnerungen an seinen Sohn verband. Dinge, die er ihm einmal geschenkt hatte oder auch die Yucca-Palme, die schon in Hamburg in Hannes Zimmer gestanden hatte und ihn bis jetzt bei jedem Umzug begleitet hatte. So, wie Hannes Vater erzählt hatte, hatte Hanne die Pflanze einmal in einer Gärtnerei gesehen, als er noch nicht einmal richtig laufen konnte und hatte sie unbedingt haben wollen. Seitdem hatte er die inzwischen riesige Grünpflanze immer gepflegt. Im Schlafzimmer waren sie auf viele sehr persönliche Dinge von Johannes gestoßen. Die Photos von der Kommode ließen Hannes Vater still werden und schließlich nahm er auch diese drei Rahmen an sich. In der Kommode selbst befand sich neben Bettzeug, Unterwäsche und Socken auch ein Ordner mit schmalem Rücken. Kurt sank neben Hannes Vater auf den Fußboden als dieser den Inhalt der Ordners studierte. Kurt schüttelte den Kopf, während er die abgehefteten ärztlichen Bescheinigungen überflog, alle samt Kopien der Krankenscheine für Hannes Krankenkasse, auf denen Hanne auch ab und zu etwas ergänzt hatte, meistens irgendwelche Diagnosen. Hanne hatte außerdem eine handgeschriebene Auflistung seiner Medikamente mit Dosierung in den Ordner gelegt. Kurt erkannte die Namen einiger Präparate wieder, da Johannes ab und zu eine solche Bezeichnung erwähnt hatte. Es waren Medikamente der Kombitherapie, ein Kopfschmerzmittel und ein homöopathischer Appetitanreger, den Hanne oft geschluckt hatte. Kurt vermutete, dass Johannes den Ordner vor allem für sich selbst geführt hatte, um sich einen Überblick über seine Medikamente zu verschaffen und über das, was ihm der Arzt diagnostiziert hatte, seinen Krankheitsverlauf im Allgemeinen. Vielleicht hatte Hanne die Unterlagen auch für irgendwelche Klinikaufenthalte gesammelt, damit sich ein ihm fremder Arzt ein besseres Bild von ihm machen konnte. Auch diesen Ordner nahm Hannes Vater zu sich. Er machte sich schreckliche Vorwürfe während dieser gesamten Zeit niemals für Hanne dagewesen zu sein. Ihm wurde außerdem schmerzhaft klar, dass Hanne eigentlich bereits ziemlich allein mit der Krankheit gewesen war, als sie noch unter einem Dach gelebt hatten. Wie oft war Hanne allein zur Blutuntersuchung gegangen? Er selbst hatte die Krankheit seines Sohnes doch erst richtig wahrgenommen, als sich bei ihm diese erste Resistenz gebildet hatte und der damalige Arzt ihn ausdrücklich zur Besprechung der Blutwerte dazugeholt hatte. Danach war Hanne in die Klinik eingewiesen worden. Nachdem Hannes Wohnung aufgelöst worden war, kehrte Hannes Vater wieder zurück nach Hamburg. Er hatte außerdem die vielen mit dem Tod verbundenen Formalitäten erledigt: mit seiner Versicherung, der Bank, mit der Krankenkasse und anderen Sozialversicherungsträgern hatte er Kontakt aufgenommen. Er hatte Hannes Telefonanschluss gekündigt und seinen Jahresfahrschein für den Bus hatte er aufgelöst. Die Rückgabe der Wohnung an Hannes Vermieter war das letzte, was sein Vater für ihn tat. Auch bei ihm hatte Johannes scheinbar vor allem einen sehr gesunden Eindruck hinterlassen, wenn sie sich ab und zu persönlich begegnet waren, sodass auch er Hannes Tod fast nicht glauben konnte. Kurt bewunderte Hannes Vater sehr dafür, dass er all das für seinen Sohn erledigte. Doch nur so, das hatte er oft betont, konnte er beruhigt von Hanne Abschied nehmen. Für Kurt selbst war diese Art der Trauerbewältigung allerdings sehr schwer. Er fühlte sich sehr schlecht dabei und es fiel ihm nicht leicht, in alten Erinnerungen an Hanne zu graben nur um sich wieder daran erinnern zu müssen, dass er gestorben war. Lukas hatte ihm daher oft vorgeschlagen, sich zurückzuziehen und Hannes Vater die Aufgabe alleine erledigen zu lassen, doch Kurt wollte es nicht. Lukas war ehrlich erleichtert, als Hannes Vater nach zehn Tagen abreiste und so Hannes Großmutter folgte, die sofort nach der Beisetzung der Urne nach Hamburg zurückgefahren war. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Erst im Spätherbst, als Lukas eigentlich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, sollte der Knoten platzen. Schon davor hatte es immer wieder kleine Zeichen gegeben, dass Kurt sich besser fühlte und sich langsam aus seiner Trauer schälte. Eines dieser Zeichen war zum Beispiel, dass er wieder öfters nach draußen ging, auch mit Lukas zusammen, kleine Zärtlichkeiten erwiderte. Außerdem hatte er zusammen mit Lukas einige Erinnerungen an Johannes in eine Schachtel gelegt und diese in den Schrank gestellt. Einige Monate später hatte Kurt sie dann sogar in den Keller getragen. Auch die viele dunkle Kleidung hatte er bereits abgelegt. Doch dann am nächsten Tag hatte Lukas wieder die Spuren von Tränen auf Kurts Wangen erkannt, die geröteten Augen oder einige verheulte Taschentücher im Müll vorgefunden. Gerade in solchen Momenten hatte sich Lukas gefragt, ob Kurt jemals wieder komplett in ein normales Leben zurückfinden würde. Ob er nicht doch für immer Johannes nachtrauern würde. Natürlich war es nicht schön, dass Hanne so früh hatte sterben müssen und dass er so krank gewesen war. Doch auch Johannes hatte sich immer gewünscht, dass Kurt nach vorne schaute und dass er sein Leben genoss anstatt um ihn zu trauern. Man konnte sich schließlich nicht ewig vergraben. Lukas hatte wegen seinem Freund auch oft mit seiner Mutter gesprochen. Er wusste wirklich nicht mehr, wie er Kurt anfassen sollte, wenn er weinte oder trüben Gedanken nachhing. Oder ob er ihm überhaupt helfen konnte. Sie hatte immer wieder gesagt, er solle seinem Freund noch Zeit geben und ihm das Gefühl vermitteln, bei ihm zu sein und Verständnis für die Tränen zu haben. Dass er bereits erwogen hatte, sich von Kurt zu trennen, da es einfach auch eine sehr belastende Situation für ihn selbst war, hatte Lukas seiner Mutter nie gesagt, da er es ohnehin nicht über sich gebracht hätte. Er liebte Kurt viel zu sehr, als dass er ihn so fallen lassen könnte. Lukas war daher an jenem Abend im Spätherbst überrascht, als er einmal nicht von Stille empfangen wurde, sondern leise das Radio murmeln hörte. „Kurt?“, rief er nach drinnen. „Ich bin wieder zu Hause.“ „Kommst du in die Küche?“, antwortete Kurt sofort. „Hey, du kochst ja.“, freute sich Lukas und umarmte Kurt von hinten. „Wie war dein Tag?“ Kurt lehnte seinen Kopf kurz gegen Lukas Schulter und lächelte. „Schön. Ich war arbeiten, dann einkaufen. Ich hab uns Chili con carne gemacht. Das magst du doch, ja?“ „Ich freue mich, Kurt.“, antwortete Lukas nur und drückte Kurt noch einmal an sich, gab ihn einen Kuss auf die Halsbeuge. „Du solltest mich jetzt vielleicht doch loslassen, Lukas, sonst brennt uns noch das Essen an.“ Kurt lachte. „Du klammerst ziemlich.“ Lukas lachte ebenfalls. „Ich decke dann den Tisch.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Auf diesen ersten Schritt in die Normalität nach der Trauer sollten noch viele solche folgen, obwohl sich natürlich noch immer ab und zu Gedanken an Hanne einschlichen. Doch mit der Zeit waren die Erinnerungen an ihn schön und ließen ihn nicht mehr zusammenzucken. Kurt lachte wieder insgesamt mehr, genoss das Leben und seine Beziehung zu Lukas, die unter der Trauerphase gelitten hatte. Auch Lukas spürte genau diese Veränderungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)