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Kurt das war's

von

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Unerwarteter Besuch

XXIX – Unerwarteter Besuch
 

Knapp eine Woche nach seinem Zusammenbruch besuchte Kurt Hanne wieder im Krankenhaus. Er fühlte sich gut, während er den Flur nach hinten zu Johannes Zimmer ging.

Er klopfte an, schaute jedoch sofort vorsichtig ins Zimmer und trat schließlich ein. Johannes hatte Besuch, ein schlanker Mann saß auf seiner Bettkante.

Hanne setzte sich auf und schaute über dessen Schulter hinweg. „Kurt!“, rief er begeistert und sprang förmlich aus dem Bett auf.

Kurt fing ihn auf, als Hanne bei seinem letzten Schritt stolperte. „Hanne, grüß dich. Du bist ganz schön stürmisch, was?“

Hanne lachte. „Ich bin so froh, dass du wieder hier bist, Kurt. Du glaubst gar nicht, wie sehr.“

Kurt strich noch einmal über seinen Rücken und ließ sich dann von Johannes mitziehen. Er beobachtete, wie Johannes wieder aufs Bett kletterte und die Decke über sich schlug. Er war nach wie vor viel zu dürr und auch sein Fieber war noch nicht komplett zurückgegangen. Außerdem konnte man deutlich sehen, wie sich Hannes Skelett unter seiner Kleidung abzeichnete oder wie hager sein Gesicht war. Allerdings freute es Kurt ein klein wenig, dass Johannes nicht mehr dieses Krankenhaushemd trug, sondern wieder in eigener Kleidung herumlief. Im Moment hatte er eine hellgraue Schlafhose und ein blaues T-Shirt an.

„Das ist übrigens Sven.“, stellte Hanne dann seinen anderen Besucher vor. „Und das hier, Sven, ist Kurt. Ich hab euch ja schon ein bisschen voneinander erzählt.“

Sven lächelte Kurt an, erhob sich von der Bettkante und drückte seine Hand. „Freut mich. Ich glaube, wir können Du zueinander sagen.“

Kurt stimmte zu, wandte sich dann jedoch wieder an Hanne. Sein Zustand gefiel ihm nach wie vor nicht, da die gerade eben noch demonstrativ zur Schau gestellte Lebendigkeit sich wieder ins Gegenteil verkehrt hatte und Hanne genauso erschöpft im Bett lag, wie es schon letzte Woche der Fall gewesen war.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er dennoch, zog sich den Stuhl von der Wand heran und setzte sich zu Hanne ans Bett. „Hast du das Gefühl, das Antibiotikum schlägt an?“

Hanne schüttelte langsam den Kopf. „Mir wäre es lieber, du würdest nicht danach fragen. Mir geht es noch genauso wie letzte Woche.“ Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Aber wie geht es dir selbst? Mir hat das so schrecklich leid getan, dich mit meinem Blödsinn belastet zu haben. Du kannst es mir jederzeit sagen, wenn ich zu viel jammere.“ Hanne streckte eine Hand unter seiner Bettdecke hervor, legte sie vorsichtig auf Kurts Unterarm.

Kurt schüttelte den Kopf. „Du jammerst nicht, Hanne. Du bist krank und du brauchst eben jemanden, der dich ein bisschen stützt.“

Sven meldete sich wieder zu Wort. „Du kannst das gar nicht alles alleine bewältigen, Kurt. Manchmal wird dir das eben zu viel.“

Hanne nickte, schaute sehr gefasst zu Kurt und zog seine Hand wieder zurück. „Sven hat recht. Ich hab mich jetzt dafür entschieden, einmal mit einem Mann von der Klinikseelsorge zu sprechen. So geht das nicht auf die Dauer, dass du dich mehr oder weniger durch mich kaputt machst.“

Kurt wollte zunächst widersprechen, behaupten, dass er seine Besuche bei Johannes nicht als Belastung sehen würde, nickte jedoch stattdessen. Manchmal sah Hanne die Dinge verdammt klar und traf den Nagel exakt auf den Kopf. „Hast du das dann schon getan?“

„Heute früh war er hier. Es tut mir ziemlich gut, einfach mal mit jemandem zu reden, der absolut unbeteiligt ist und mich nicht persönlich kennt. Er sieht ziemlich viel bei seiner Arbeit, denke ich, und er hat auch gesagt, dass so etwas, wie ich es momentan an den Tag lege, nicht selten sei. Irgendwie habe ich begriffen, dass ich hier nicht mehr lebendig herauskomme. Und ich glaube auch, dass ich jetzt ein bisschen entspannter an die Sache herangehen kann.

Und du, Kurt, solltest das vielleicht auch so sehen. Du bemühst dich sehr, meinetwegen stark zu sein und die Augen nicht zuzumachen, wenn es mir schlechter geht, aber es ist noch ganz schön hart für dich, nicht wahr? Aber zumindest machst du dir nichts mehr vor in dieser Hinsicht. Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn du wieder ab und an vorbeischaust.“

Kurt lächelte und drückte kurz seinen Arm. „Ich denke schon, dass ich regelmäßig hier sein werde. Und ich hab Lukas überredet, dass er mich auch manchmal begleitet. Ihm passt das ganze wohl nicht so wirklich in den Kram mit den Besuchen, aber er ist zumindest schon ein bisschen weniger angespannt.“

„Hanne?“ Sven hatte sich vom Bett erhoben. „Ich glaub, ich muss mich heute ein bisschen früher von dir verabschieden.“

Johannes setzte sich wieder auf. „Dein Freund, oder?“

„Richtig. Ich hab ihm versprochen, dass wir heute bevor wir morgen wegfahren noch dieses Musical besuchen, über das wir uns neulich unterhalten haben. Ich hab vorgestern noch Karten bekommen. Er freut sich riesig.“ Sven lächelte und ging um Kurt herum zu Hanne. „Ich schaue morgen früh noch einmal kurz vorbei.“

Hanne ließ sich von ihm drücken. „In Ordnung. Und pass auf dich auf, ja?“

Sven lächelte noch einmal, dann wandte er sich an Kurt. „Ich denke, wir sehen uns nicht mehr, oder? Na ja, dann wünsche ich dir alles Gute, Kurt. Und lass das ganze nicht mehr so nah an dich heran. Ich weiß, das ist schwer, aber nach fast drei Jahren Beziehung zu Hanne und zwei überstandenen Chemos spreche ich aus Erfahrung. Halt die Ohren steif.“

Kurt erwiderte den Händedruck und stand ebenfalls auf. „Danke, Sven. Und dir auch alles Gute.“

Sven ging zur Tür, nahm seine Jacke vom Haken und zog sie sich über, dann wandte er sich noch einmal um, lächelte und verschwand schließlich.
 

„Chemo? Er sieht mir aber nicht so aus, als sei er krebskrank.“

„Sven hat mit sechzehn eine Diagnose auf Leukämie bekommen. Nach der Chemo musste er das neunte Schuljahr wiederholen und ist dann in meine Klasse gekommen. Kurz nach den Prüfungen in der Zehnten musste dann eine zweite Chemotherapie mit einer Knochenmarkspende nachgeschoben werden. Ihm ging es echt beschissen, aber soweit ich weiß hatte er seitdem keinen Rückfall mehr.

Aber bei diesen drei Jahren Beziehung hat er übertrieben. Nachdem wir uns kennen gelernt hatten, hatten wir in Hamburg knapp drei Jahre zusammen bis ich weggezogen bin. Das ist richtig, ja. Aber so richtig zusammen waren wir grob geschätzt ungefähr eineinhalb Jahre.“

Kurt schluckte und warf Johannes einen mitfühlenden Blick zu. „Das war sicher schwer für dich, oder? Das mit seinem Rückfall, meine ich.“

Hanne überging Kurts Bemerkung. „Sven lebt ja noch in Hamburg, weißt du? Es war ein ziemlicher Zufall, dass er jetzt nach Stuttgart gefahren ist. Es hing wohl auch ein bisschen mit seinem Freund zusammen, der auch hier aus der Gegend kommt. Aber es war schön, ihn wiederzusehen. Schon als wir uns bei meinem letzten Hamburgbesuch über den Weg gelaufen sind, hat er gemeint, dass er mich mal besuchen kommen müsse. Er war recht besorgt, nachdem ich ihm von meinen miesen Werten und dieser Isolation, auf die mich Dr. Müller damals angesprochen hat, erzählt habe. Ich hab eigentlich gar nicht so viel darauf gegeben, dass Sven kommt. Aber... jetzt war er ja hier.“
 

Hanne bekam wieder einen seiner krampfhaften Hustenanfälle. Er krümmte sich zusammen und presste sich schließlich eine Hand auf die Brust.

„Geht es?“, fragte Kurt besorgt.

Hanne bejahte und legte sich dann wieder bequemer hin. „Mach dir keine Gedanken. Aber um nochmal auf unser Thema von vorhin zurückzukommen: Lukas will dich ab und zu begleiten? Hast du ihn gefragt?“

„Ja. Er denkt, dass es für mich vielleicht angenehmer wäre, wenn er auch noch hier ist.“

„Wieso angenehmer?“

„Hanne, versteh mich nicht falsch. Er meint nur, dass es für mich vielleicht leichter wird, mit deinem Kranksein klar zu kommen, wenn er bei mir ist. Er macht sich nach wie vor Sorgen um mich. Gerade nach diesem blöden Zwischenfall.“

„Und damit hat er auch recht, finde ich. Du solltest die Sache echt nicht auf die leichte Schulter nehmen, Kurt. Das war ein deutliches Alarmsignal.“

Kurt schlug die Augen nieder. Er sah ein, dass Johannes im Recht war. Auch Lukas gegenüber hatte er schon genau das einsehen müssen. „In Ordnung. Sollen wir noch ein bisschen auf dem Flur auf und ab gehen? Dann siehst du auch mal wieder etwas anderes.“

Hanne verneinte. „Ich bleibe lieber hier im Bett. Aber ich muss dir noch deine Tasche von letzter Woche zurückgeben. Die hast du bei mir vergessen.“ Hanne setzte sich wieder auf und öffnete dann eine Schublade seines Nachtschränkchens. „Hier, bitte.“

Kurt nahm die zusammengefaltete Baumwolltasche an sich. „Konntest du die Bananen alle essen? Oder hab ich es ein bisschen übertrieben?“

Hanne lachte. „Na, es waren schon ganz schön viele, aber nach drei Tagen waren sie alle weg.“

Kurt lächelte und freute sich, dass er Hanne eine Freude hatte machen können.
 

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Sven. Irgendwie fühlte sich das Wissen, dass der Kerl tatsächlich Hanne besucht hatte, unangenehm an. Hanne schien sich ohne jeden Zweifel ziemlich über den Besuch gefreut zu haben und so, wie die beiden miteinander geredet hatten, war Sven schon einige Tage in Folge auf Hannes Bettkante gesessen.
 

Kurt musste schlucken. Der Kerl war nett. Sogar verdammt nett, freundlich, aufgeschlossen. Ohne jeden Zweifel war es eine ziemlich gute Partie, wenn man mit ihm zusammen war. Ein Kerl, der total liebevoll war und Verständnis für so ziemlich jede Laune von Hanne aufbringen konnte.

Nein, von dem Verhalten dieses Mannes konnte sich wohl jeder eine dicke Scheibe abschneiden.
 

Kurt kam sich mit einem Mal wieder vor wie der allerletzte Tollpatsch, der seinen kranken Freund ständig verunsicherte. Denn gerade dieser Zusammenbruch seinerseits hatte Johannes ja wohl ziemlich zu denken gegeben.
 

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Hannes Zustand verschlechterte sich in den folgenden Tagen weiter. Die Lungenentzündung verschlimmerte sich und die brennenden Schmerzen in seinen Armen ließen ihm auch kaum mehr Ruhe. Er schlief viel und so bekam er kaum mehr mit, was eigentlich für ein Tag war.

Daher staunte er auch nicht schlecht, als ihm Kurt und Lukas mit einem Mal zum Geburtstag gratulierten. Er hatte die Nacht über kaum geschlafen und hatte die Nachtschwester wegen der Schmerzen rufen müssen, die ihm schließlich wieder eine Infusion angehängt hatte.

„Du wirst heute siebenundzwanzig, Johannes.“, klärte Kurt ihn schließlich auf und lachte. Er half Hanne auf und umarmte ihn fest.

Hanne lächelte und bedankte sich bei ihm. Dann ließ er sich auch noch von Lukas umarmen und nahm anschließend eine Flasche entgegen, die in rotem Geschenkpapier eingewickelt war. Vorsichtig löste er die Klebstreifen ab und hielt schließlich eine Flasche Saft in der Hand.

„Magst du Traubensaft? Wir waren uns nicht ganz sicher, was dir schmeckt.“, meinte Lukas, als Hanne die Flasche beäugte.

„Das ist gut so.“, erwiderte Hanne. „Ich hab nur gerade einen entzündeten Rachen, aber ich werde mal versuchen, ein bisschen davon zu trinken. Danke, wirklich, ihr beiden.“ Vorsichtig stellte er die Flasche auf den Nachttisch.
 

Am frühen Abend kamen auch Sandra und sein Vater vorbei. Sandra hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen, weil sie ihn überhaupt noch nicht besucht hatte, sondern nur ein- oder zweimal auf seinem Handy angerufen hatte. Hanne wehrte allerdings ab.

Als Sandra schließlich zur Seite trat und sich sein Vater auf seinem Bett niederließ, wurde ihm wesentlich flauer im Magen. Er bedankte sich für die Glückwünsche und ließ es zu, dass sein Vater seine Hand drückte.

„Wie geht es dir im Moment, Hanne? Was sagt dein Arzt?“, erkundigte er sich, als Johannes wieder in seinem Kissen lag.

Hanne zog vorsichtig seine Hand aus der seines Vaters. „Es ist noch genauso wie bei unserem Telefonat.“, antwortete er dann. „Ich fühle mich schrecklich müde.“ Hanne schluckte, sah kurz an seinem Vater vorbei zu seiner Schwester. „Ich hab auch so immer wieder kleinere Infektionen, auch Ausschläge. Dr. Müller hat mir außerdem eine Lungenentzündung diagnostiziert. Ich bekomme deswegen wohl Spritzen mit Antibiotika verabreicht, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das Mittel anschlägt.“

Sein Vater nickte und sah besorgt auf ihn herab. Behutsam streichelte er die Stirn seines Sohnes, die sich viel zu heiß anfühlte. „Du fühlst dich fiebrig an. Soll ich dir etwas zum Kühlen bringen?“, bot er an.

Hanne verneinte. „ Im Moment geht es.“, sagte er nur. Dann erzählte er noch von dem Brennen in seinen Armen, dem gelegentlichen Taubheitsgefühl. Er war dankbar dafür, dass sein Vater ihm einfach nur zuhörte und nur selten genauer nachfragte. Er schien instinktiv verstanden zu haben, was im Moment in seinem Körper vor sich ging, wie das Immunsystem immer schwächer wurde.

Hanne schloss die Augen, als sein Vater ihm wieder über die Stirn strich, die Finger sanft durch sein Haar gleiten ließ und schließlich seine kühlende Hand auf der Stirn ablegte, wie er es schon getan hatte, als Johannes noch ein Kind gewesen war. Hanne entspannte sich mehr und mehr unter diesen regelmäßigen Bewegungen bis er letztendlich einschlief.
 

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In den folgenden Tagen wurde der Husten noch ein bisschen stärker und oft löste sich Schleim mit. Hanne glühte vor Fieber und wusste manchmal fast nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Wenn Kurt oder Lukas zu ihm kamen, sprach er kaum noch, sondern hatte meistens die Augen geschlossen. Stattdessen hatte er es am liebsten, wenn seine Besucher ihn an der Hand nahmen, damit er einfach spürte, dass jemand da war.

Auch das Essen wurde immer mehr zu einer lästigen Pflicht. Ihm fehlte es an Appetit und ganz einfach auch an Kraft. Kurt gefiel es nicht, wenn Johannes kaum noch etwas anrührte und so brachte er ihm oft Bananen oder anderes Obst mit, das er Hanne mit einem mitgebrachten Messer kleinschneiden konnte. Auch wenn Hanne nichts essen wollte, nahm er meistens doch noch das Angebot an und aß zum Beispiel einen halben Apfel.

Um Kurt und Lukas zumindest eine kleine Freude zu machen, brach Hanne schon bald die Saftflasche an, die die beiden ihm zum Geburtstag mitgebracht hatten. Der Saft war angenehm mild und schmeckte ihm wirklich.
 

Nachdem Hanne wieder einen neuen Ausschlag am linken Schulterblatt bekommen hatte, den er sich blutig aufgekratzt hatte, musste er wieder ein Krankenhaushemd tragen, da die Schwester so besser seinen Rücken erreichte und die Verletzung versorgen konnte. Mehrmals am Tag musste die Stelle eingecremt und mit einer neuen Wundkompresse abgedeckt werden.

Durch die gute Pflege dauerte es nicht lange, bis sich der Ausschlag wieder zurückgebildet hatte und die Haut abgeheilt war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  kmolcki
2012-09-14T18:20:04+00:00 14.09.2012 20:20
Boa wieder ein traurig schönes Kapitel, ich verschlinge jede und muss mich auch entschuldigen, dass ich nie Kommies hierzu schreibe..es bewegt mich eínfach zu sehr !
LG Kmolcki


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