Kurt das war's von Lotos ================================================================================ Kapitel 20: Das erste Mal ------------------------- XX – Das erste Mal Kurt war bereits schlafen gegangen, als Lukas zurückkam. Er hatte inzwischen ein wirklich schlechtes Gewissen, da er wegen seiner Schichtarbeitszeiten momentan nur so wenig Zeit mit Kurt verbringen konnte. Bald würde er sich ein paar Tage frei nehmen, um diese Versäumnisse wieder aufholen zu können. Lukas stieg aus der Dusche und rubbelte sich trocken. Er musste lächeln, als er Kurt schließlich im Schlafzimmer antraf. Sein Freund hatte nur einen Bademantel an, lag mit leicht gespreizten Beinen auf dem Rücken und schnarchte leise. Die feuchten Haare hatte er sich zu einem Zopf gebunden und über die Schulter gelegt. Lukas vermutete, dass er sich nur kurz hatte hinlegen wollen und dann eingeschlafen war, da er sich nicht mal zugedeckt hatte. Lukas schlug fürsorglich seinen Teil der Decke über Kurts Körper. Er zupfte sie zurecht und sie berührten sich kurz. Kurt war ganz ausgekühlt. Lukas legte sich dicht neben ihn und schlang seine Arme um Kurts Oberkörper. Langsam wurde Kurt wach und fühlte Lukas Atem auf der Haut. „Ist dir kalt?“, fragte Lukas leise. „Bisschen.“, murmelte Kurt im Halbschlaf und schloss die Augen wieder. Er legte nun auch von sich aus einen Arm über Lukas. „In Ordnung.“, erwiderte Lukas. „Ich wollte nur nicht, dass du dich erkältest. Hast du eigentlich schon gegessen? Ich hab uns etwas vom Griechen unten an der Kreuzung mitgenommen.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Nun war es eine Woche her, seit Kurt bei Hanne im Krankenhaus gewesen war. Kurt kam gerade von der Arbeit und hatte, wie jeden Samstag, noch früher aufstehen müssen als sonst. Er gähnte, als er plötzlich eine Stimme neben sich hörte. „Müde?“ Es war Hanne. Kurt nickte. „Und du? Hast du auch Wochenende?“ Hanne lachte. „Schon irgendwie. Aber ich war die ganze Woche über krankgeschrieben.“ „Ich habe dich gar nicht mehr gesehen seit letzten Samstag.“, stellte Kurt fest. „Ich hab meine Familie besucht. Ich war zwei Tage in Hamburg. Daran lag es vielleicht.“, erwiderte Hanne noch immer lächelnd. „War’s schön?“, wollte Kurt interessiert wissen. „Ja. Ich habe mich von meiner Mutter verabschiedet. Und mein Vater... da mache ich mir keine Illusionen mehr.“ „Oh, das hört sich nicht gut an. Habt ihr euch wieder gestritten, du und dein Vater?“ „Ja, das schon. Aber inzwischen macht es mir nicht mehr so viel aus wie noch letzte Woche. Ich hab einiges in den falschen Hals gekriegt, denke ich, und dann haben wir uns gegenseitig hochgeschaukelt. Na ja, aber das war auch schon früher so.“ Hanne lachte wieder. Es war ein schönes, helles, ehrliches und fröhliches Lachen. Ihm schien es wirklich gut zu gehen. Dann schaute er in Kurts Gesicht. „Und was ist mit dir? Du wirkst auch so verändert.“ Kurt errötete leicht. Sah man es ihm wirklich an, was zwischen ihm und Lukas geschehen war? Dass er mit seinem Freund geschlafen hatte? Es war zweifellos ein wundervolles Erstes Mal gewesen. Sie hatten gemeinsam gegessen, sich dann zusammen hingelegt. Zuerst waren es nur sanfte Berührungen und Küsse gewesen, dann hatten sie ganz spontan entschieden, dass es passieren würde. Kurt sah zu Boden und fühlte sich ertappt und irgendwie Hanne gegenüber schuldig. Es war gerade so, als wäre er ihm fremdgegangen. Dabei hatte Kurt Johannes gegenüber keinerlei Verpflichtungen. Doch trotzdem waren da jetzt diese hässlichen Schuldgefühle in seiner Brust. Doch jetzt, wo er selbst Ehrlichkeit von Johannes erwartete, sollte er unbedingt mit der Sprache herausrücken. „Ich hab mit Lukas geschlafen.“ Er wollte eigentlich noch eine Entschuldigung hinterher schieben, doch Hanne hatte bereits seinen Blick abgewandt. Kurts Worte hatten sich wie ein Messer in Johannes' Brustkorb gebohrt und auch der schuldbewusste Blick von Kurt, den er jetzt auf sich spürte, konnte das Brennen nicht aufhalten. „Das ist doch schön.“, meinte er. „Ich freue mich für dich.“ Seine Stimme klang aber nicht nach dem, was er sagte. Sie war dünn, brüchig und ungewöhnlich steif. Tatsächlich war es eine Beschwörungsformel, die, wenn er sie oft genug wiederholte, ihm das Gefühl geben sollte, dass es ihm wirklich egal war und dass er sich freute, dass Kurt Lukas so sehr liebte und ihm derartig vertraute. In Wirklichkeit aber tat es verdammt weh, obwohl dieser einfache Satz doch nur das bestätigte, was Johannes schon seit Wochen spüren konnte: Kurt und Lukas waren ein Paar. Hanne bemühte sich, die aufsteigende Enttäuschung bei sich zu behalten. Er sollte doch eigentlich froh sein, dass Kurt einen Mann gefunden hatte, den er lieben konnte und der auch ihn liebte, nicht wahr? Einen, der besser dazu geeignet war, als er selbst. „Es tut mir leid, Hanne, echt.“, beteuerte Kurt nun doch. „Das muss es nicht, Kurt. Du musst dich für nichts entschuldigen.“, wehrte Hanne ab. „Ich hab’s doch selber gewollt. Lukas ist unschuldig.“ „Das weiß ich, Kurt. Ich sehe niemanden als schuldig an.“ Hanne hob den Kopf wieder und seufzte. „Vielleicht solltest du dich wirklich eher an Lukas halten.“ Hanne schluckte schwerfällig. Lukas stellte das blühende Leben dar und er selber war schon auf dem Abstiegsweg. Hanne fühlte, wie Kurt seinen Arm berührte. „Vielleicht stimmt das sogar, Hanne.“, meinte dieser. „Aber wir bleiben trotzdem Freunde, hörst du? Natürlich liebe ich Lukas und will mit ihm zusammen sein. Aber ich möchte dich auch weiterhin so oft es geht sehen und dich so gut wie möglich unterstützen. Dann ist es vielleicht auch einfacher für dich, oder? Das, was du zu schleppen hast, kann kaum jemand ganz alleine bewältigen.“ Kurt lächelte. „Aber natürlich nur, wenn du das auch willst, Hanne. Aufdrängen werde ich mich nämlich nicht.“ Hanne sah wieder auf, lächelte dann und legte seine Arme um Kurt. „Weißt du was?“, sagte er dabei. „Das ist wirklich unheimlich nett von dir, Kurt. Danke.“ Kurt rieb jetzt auch Johannes Rücken. Zu seiner Beruhigung fühlte er sich nicht mehr ganz so ungesund dürr an, was allerdings auch an seiner Kleidung und dem Wollpulli liegen konnte. „Du musst dich nicht bedanken, Hanne. Es reicht, wenn ich dir nicht alles aus der Nase ziehen muss in Zukunft.“ Hanne musste lächeln. „Ich hatte irrsinnige Angst davor, irgendwann mal komplett alleine da zu stehen. Aber das scheint ja jetzt nicht mehr gerechtfertigt zu sein.“ „Wie meinst du das?“, fragte Kurt nach und ließ Johannes wieder zurückweichen. Hanne sah kurz zu Boden und erzählte nun auch Kurt von seinem Gespräch mit Dr. Müller und von seiner Befürchtung, sich durch seine eigenen Ängste tatsächlich vollkommen ins soziale Abseits zu drängen. Obwohl er Kurt schon seine Angst vor der Einsamkeit gestanden hatte, empfand er es als befreiend, auch noch dieses Detail loszuwerden. Kurt schwieg die ganze Zeit über. Er musste erneut an das Versprechen denken, das er Hanne vergangene Woche in der Klinik gegeben hatte. Allerdings schienen Hannes Befürchtungen jetzt eine völlig neue Ebene erreicht zu haben, was wohl auch an den Worten seines Arztes lag, die erst jetzt in sein Bewusstsein eingedrungen waren. Eventuell war der Grund für Hannes jetzige Gedan­kengänge auch, dass er sich bei seinem Besuch in Hamburg erneut mit seinem Vater auseinandergesetzt hatte und ihm dieses Gespräch auch noch die letzte Hoffnung geraubt hatte, sich wieder ein besseres Verhältnis zu ihm aufzubauen. Andererseits schien ihm gerade diese emotionale Distanz zu seinem Vater nicht besonders viel auszumachen. Johannes fuhr fort, klang aber noch immer sehr ernst. „In Hamburg bin ich zufällig auch Sven in der U-Bahn begegnet und bin noch kurz mit zu ihm nach Hause gegangen. Er hat sich unheimlich gefreut, mich nach so langer Zeit wiederzusehen. Unser Gespräch hat mir auch wieder einmal gezeigt, wie wichtig ich ihm nach wie vor bin. Wir haben gerade auch über meinen aktuellen Gesundheitszustand geredet, er hat sich mehrere Male versichert, dass ich auch wirklich klar komme. Er macht sich noch immer schreckliche Gedanken um mich. Gerade auch in Bezug auf meinen Vater sind mir durch Sven ziemlich die Augen aufgegangen. Es geht einfach nicht mehr, dass ich mir selbst vorlüge, dass ich ihn gar nicht nötig habe oder dass er mir egal ist. Sicher haben wir kein gutes Verhältnis und es gibt viele Missverständnisse zwischen uns, aber ich hätte gerne wieder ganz normalen Kontakt zu ihm. Auch wegen Lukas und dir habe ich einiges eingesehen. Es tut mir einfach gut, wenn ich mit dir zusammen bin, Kurt. Unser Kontakt ist etwas, das auch meine Gesundheit in gewisser Weise fördert. Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie wohl ich mich fühle seitdem wir uns ausgesprochen haben. Ich bin die letzten paar Jahre ziemlich gut alleine klar gekommen, aber jetzt brauche ich einfach jemanden, auf den ich mich stützen kann.“ Kurt schaute nachdenklich zu Hanne. Gerade der letzte Satz traf ihn hart und bestätigte auch den Eindruck, den er in der letzten Zeit von Hanne bekommen hatte. Johannes war scheinbar tatsächlich viel alleine gewesen und hatte selbst mit seinen Problemen klar kommen müssen. Er hatte, so wie es aussah, wirklich kaum einen Bezug zu seinem Vater gehabt, als er noch in Hamburg gelebt hatte. Und allem Anschein nach hatte er dadurch gelernt, alleine zurechtzukommen und sich mit seiner Krankheit zu arrangieren. Dadurch hatte er sich wohl auch seine abweisende und manchmal verletzende Art angewöhnt, die ihm als Schutzmechanismus diente. Kurt schüttelte leicht den Kopf. „Hanne, es ist nur natürlich, dass du jemanden zum Reden brauchst. Du bist krank. Und es ist bestimmt nicht förderlich, wenn du deine Probleme in dich hineinfrisst. Du kannst wirklich immer zu mir kommen, wenn du jemanden brauchst, der dir zuhört.“ Hanne musste lächeln. „Das erinnert mich an Sven.“, sagte er. Kurt war erstaunt. Bisher hatte Hanne ihn nie mit seinem Ex-Freund in Verbindung gebracht. „Wie meinst du das?“ „Sven hat, als wir uns kennen gelernt haben, mehr oder weniger das gleiche gesagt wie du jetzt.“, erklärte Hanne. „Während unserer Beziehung habe ich eine Menge Selbstwertgefühl entwickelt, weil er einfach immer für mich da war und mir gezeigt hat, dass ich etwas Besonderes für ihn war. Ich hab mit ihm wirklich gelernt, mir etwas zuzutrauen und die HIV-Infektion auszuklammern. Schüchtern war ich eigentlich nie, aber mir hat es einfach immer an Festigkeit und einem Gewissen Vertrauen in mich selbst gefehlt.“ Kurt nickte nachdenklich. Er musste zugeben, dass Johannes' Geschichte einleuchtend war. Natürlich interessierte er sich für alles, was Johannes erzählte, aber er mochte es nicht, wenn dieser von Sven sprach. Lag die Beziehung der beiden nicht schon sieben oder acht Jahre in der Vergangenheit? War es nicht ungesund oder schmerzhaft für Hanne, sich an seinen Ex-Freund zu erinnern? Vermutlich nicht, da Hanne sehr gerne von ihm erzählte. Die beiden mussten sich schrecklich geliebt haben und Johannes war inzwischen auch über die Trennung hinweg, obwohl er ziemlich gelitten hatte. Hatte Hanne nicht sogar einmal erwähnt, dass er und Sven sich kurz vor seinem Umzug ausgesprochen hatten und er seinem Ex-Freund seine Fehler verziehen hatte? Hanne hatte wohl noch immer ein gutes Verhältnis zu Sven, obwohl sie schon so lange getrennt waren und über die Jahre hinweg eigentlich keinen Kontakt mehr zueinander gepflegt hatten. „Ich halte dich auf, oder? Und wahrscheinlich rede ich viel zu viel.“ Hanne lächelte verlegen und steckte seine Hände wieder in die Hosentaschen. „Nein, nein. Bestimmt nicht.“, wehrte Kurt ab und musste unwillkürlich lächeln. „Aber ich sollte wirklich langsam gehen. Wir sehen uns, Hanne, ja?“ „Ja. Bis dann, Kurt.“ Damit wandte sich Hanne seinem Briefkasten zu und öffnete ihn. ________________________________________________ Anmerkung: Diesmal nur ein kurzes "Überleitungskapitel", das vor allem die Entwicklung der Beziehung zwischen Kurt und Lukas weiterbringt und Kurt's erste klare Entscheidung zeigt - Lukas: Beziehung - und Hanne: Freundschaft. Das nächste Kapitel wird wieder etwas "mehr", auch inhaltlich. Ich wäre übrigens sehr dankbar über Rückmeldungen. Denn von schweigenden Lesern "lernt" man ja nichts ;-). Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)