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Kurt das war's

von

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"Positiv" ist nicht immer gut

VIII – „Positiv“ ist nicht immer gut
 

Am übernächsten Tag war Kurts Mutter von dem Besuch bei ihren Eltern zurück.

„Du, das Krankenhaus hat vorhin für dich angerufen. Bist du krank?“, fragte sie besorgt. Sie wartete schon auf ihn, als er von der Arbeit kam.

Kurt sah sie erschrocken an und nahm den Notizzettel mit der Telefonnummer entgegen. „Haben die dir etwas erzählt!?“, fragte er mit unbeabsichtigt lauter Stimme.

„Quatsch. Ich hab wohl nachgefragt, aber ich bekam keinerlei Antwort.“, erwiderte sie. „Aber nach deiner Reaktion zu schließen ist da etwas, das ich vielleicht wissen sollte.“

„Ich hab nur eine Vorsorgeuntersuchung machen lassen, bei der das Ergebnis persönlich mit dem Arzt besprochen werden soll.“, behauptete er.

„Davon hab ich nichts bemerkt, Kurt.“, erwiderte sie. „Wenn...“

„Das liegt mit Sicherheit daran, dass ich den Termin hatte, als du nicht zu Hause warst.“, unterbrach er sie. „Und außerdem gibt es Sachen, Mama, die dich nichts angehen, ja? Ich muss dir nicht alles unter die Nase reiben.“ Er trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie seufzte. „Ich mach mir doch nur Sorgen um dich und deine Gesundheit, Kurt. Ich bin ja schon beruhigt, dass Frieda da ist, aber so geht das nicht. Was willst du denn so vehement vor mir geheim halten?“

Kurt seufzte leise. Sie durfte absolut nichts von diesem HIV-Test erfahren, den er hatte machen lassen. „Es geht dich nichts an, was ich für Untersuchungen mache. Warum mischst du dich immer in meine Sachen ein? Macht dir das etwa Spaß?“

„Ich mache mir wirklich nur Gedanken um dich, Kurt.“, erwiderte sie. „Bitte, erzähl mir, was du hast.“

Kurt merkte deutlich, wie die Diskussion an seinen Nerven zerrte. Seine Mutter tat ihm mit einem mal Leid und irgendwie schien sie es perfekt zu beherrschen, ihm genau diese Schuldgefühle zu bereiten. Meistens war hier der Punkt, an dem Kurt nachgab und ihr Antworten lieferte. Aber nicht dieses Mal. Er wollte sich nicht einmal vorstellen, wie sie auf den HIV-Test reagieren würde. Nein, er sollte so schnell wie möglich gehen.
 

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Verärgert ließ Kurt die Tür wieder hinter sich zufallen. Es war doch immer das Gleiche mit seiner Mutter. Immer steckte sie ihre Nase in Dinge, die sie nichts angingen. Der Anruf des Krankenhauses hatte ihn wieder unangenehm an diese Tatsache erinnert. Vor allem der Grund für den Anruf beunruhigte ihn, da es schließlich bedeutete, dass die Ergebnisse des HIV-Tests vorlagen. Was sollte er tun, wenn der Test tatsächlich ein positives Ergebnis zu Tage gefördert hatte? Aber Hanne hatte ja schließlich versprochen, ihn zu dem Gespräch zu begleiten.
 

Kurt kam sich inzwischen reichlich bescheuert vor, Hanne immer bei der Arbeit zu belästigen. Er machte sich bereits Sorgen, dass Hanne sich seinetwegen irgendwann einmal noch Ärger einhandeln würde.

Hanne hatte gerade noch einen Kunden. Er wandte sich allerdings zur Tür um, als Kurt eintrat. Er kam auf ihn zu. „Grüß dich.“, sagte er. „Willst du zu mir?“

Kurt lächelte verlegen. „Eigentlich schon. Ich muss kurz mit dir reden.“

„Ich hab gerade einen Kunden. Wenn du Zeit hast, kannst du dich aber gerne da drüben hinsetzen und warten.“

Kurt stimmte zu. Er zog seine leichte Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Dann setzte er sich auf einen Stuhl der Sitzgruppe in der Ecke und schlug die Beine übereinander. Um nicht ins Grübeln zu verfallen, nahm er sich noch eine der Zeitschriften.
 

Etwa eine Viertelstunde später setzte sich Hanne zu ihm. Auch er überkreuzte seine Beine. Kurt sah auf und legte seine inzwischen siebte Frauenzeitschrift, die er durchgeblättert hatte, zurück zu den anderen.

„Was gibt's?“, fragte Hanne und lächelte. „Wie geht’s dir?“

„Das Krankenhaus hat heute angerufen.“

Hanne schien zunächst nicht ganz zu verstehen, was Kurt von ihm wollte. Er zog die Brauen zusammen. „Oh...“, murmelte er dann. „Vielleicht gehen wir kurz nach nebenan.“
 

Hanne wandte sich Kurt wieder zu, nachdem er die Tür des Nebenraums hinter ihr geschlossen hatte. Er ließ sich gegen die Tischkante sinken. „Deine Ergebnisse sind also da.“, meinte er und klang wesentlich angespannter als vorher. „Hast du dann schon einen Termin vereinbart?“, fragte er.

„Ich selber war gar nicht da, als der Anruf kam. Meine Mutter hat es mir nur ausgerichtet.“

„Hast du die Nummer? Wenn du jetzt gleich anrufst, kriegst du vielleicht noch heute einen Termin. Manchmal sind die Ärzte recht flexibel.“ Hanne kramte sein Handy aus der Hosentasche. „Ich glaub, ich hab die Nummer von Dr. Müllers Abteilung sogar abgespeichert.“

Etwas zögernd nahm Kurt das Gerät schließlich entgegen und drückte auf den Hörer. Er wusste, dass Johannes im Grunde genommen recht hatte. Was brachte es ihm, wenn er bis morgen wartete und dann erst irgendwann in der nächsten Woche einen Termin und die Gewissheit über seinen HIV-Status bekam?

Zu seiner Verwunderung meldete sich sehr schnell jemand am anderen Ende der Leitung.

„Ich hab am Montag einen HIV-Test machen lassen und hab heute Vormittag erfahren, dass die Ergebnisse schon da seien. Wann kann ich mal vorbeikommen?“

„Hm, Moment bitte.“, antwortete die Arztassistentin und blätterte in irgendwelchen Unterlagen. „Wie war nochmal der Name und das Geburtsdatum?“

„Kurt Wellinger, fünfter März fünfundachtzig.“

„Ah, Ihre Ergebnisse haben wir heute bekommen. Wann könnten Sie denn vorbeikommen? Eher vormittags oder nachmittags?“

„Nachmittags ist besser für mich, der Wochentag ist egal. Geht es vielleicht sogar heute noch?“

„Heute ist noch ein Termin frei. Halb sechs?“

Kurt sagte zu. Er war unendlich erleichtert, auch diese unangenehme Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen zu können.
 

„Und? Wann musst du dort sein?“, fragte Johannes als Kurt ihm das Handy wieder zurückgab.

„Um halb sechs, also in zwei Stunden.“

„Gut. Ich sagte doch, dass du meistens recht schnell Termine bekommst. Du musst nur direkt fragen.“

„Kann sein.“ Kurt ließ jetzt wieder niedergeschlagen den Kopf hängen. Er machte sich unheimliche Sorgen um das, was er heute noch erfahren würde.

Hanne berührte wieder seine Hände. „Vielleicht hätte ich dich einfach nicht zu der Untersuchung drängen dürfen. Wolltest du das von dir aus eigentlich?“

„Wie meinst du das?“, fragte Kurt verwirrt nach und zog seine Hände aus denen von Johannes.

„Ach, egal. Ich dachte nur, dass es besser gewesen wäre, wenn du den Test auch gewollt hättest.“, erwiderte Hanne. Er war ebenso angespannt wie Kurt. „Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn dir etwas passiert wäre.“

Kurt schüttelte den Kopf. „Daran denkst du besser gar nicht.“

„Soll ich mitkommen?“, erkundigte sich Hanne dann. „Oder möchtest du lieber alleine hingehen? Das ist immerhin ein sehr sensibles Thema.“

„Du kannst gerne mitkommen. Aber geht das denn von der Arbeit her? Ich will nicht, dass du Ärger kriegst.“

„Ich kann gleich mal meine Chefin fragen.“
 

Kurt folgte Hanne wieder aus dem Raum. Er setzte sich noch einmal auf die Sitzgruppe während Hanne mit seiner Chefin sprach. Er fragte sich ernsthaft, was Hanne ihr jetzt wohl erzählte, denn die Wahrheit mit dem HIV-Test würde er bestimmt niemandem unter die Nase reiben.

Sehr schnell kehrte Hanne zu ihm zurück. „Das klappt.“, sagte er und beugte sich zu Kurt runter. „Sollen wir uns direkt in der Klinik treffen oder willst du vorher nochmal herkommen, damit wir zusammen hinfahren können?“

„Wir können uns ja vor der Klinik treffen.“, schlug Kurt vor.

„In Ordnung. Dann treffen wir uns zehn Minuten vorher am Hauptgebäude.“
 

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Wenig später saß Kurt im Wartebereich der HIV-Ambulanz des Krankenhauses. Neben ihm saß Hanne, der die Beine übereinander geschlagen hatte und in einer Zeitschrift blätterte. Kurt musste inzwischen wirklich zugeben, Hanne zu bewundern. Obwohl er es garantiert nicht einfach gehabt hatte, war er bisher immer sehr mutig und lebensbejahend seinen Weg gegangen. Er war außerdem dankbar dafür, ihn jetzt ganz einfach neben sich zu haben. Nur seinetwegen hatte Hanne über eine Stunde früher Feierabend gemacht.
 

Eine Arztassistentin rief ihn schließlich auf und Johannes ging mit ihm zu dem Sprechzimmer, in dem sie bereits vor knapp zwei Monaten zusammen gesessen waren und Kurt die prophylaktische Therapie verordnet bekommen hatte.

Das Zimmer war unverändert sauber. Gegenüber des hellen Schreibtisches standen zwei mittelgrüne Besucherstühle. An der Wand waren dicke Fachbücher in einem Regal aufgereiht. Begriffe wie Anatomie, HIV, Aids, Hepatitis waren auf den Buchrücken zu lesen.
 

Dr. Müller betrat den Raum und reichte erst Kurt, dann Johannes die Hand.

„Wie geht es Ihnen, Herr Wellinger?“, fragte der Arzt nachdem er sich auf seiner Seite des Tisches niedergelassen hatte.

„Gut.“, antwortete Kurt. „Die Medikamente habe ich wie besprochen vier Wochen lang genommen und hatte auch dabei kaum Probleme.“

Der Arzt nickte und schlug dann die Patientenmappe auf, in der Kurts Testergebnisse lagen. „Sehr gut. Wie ging es Ihnen insgesamt mit der Einnahme?“

Kurt zögerte kurz und schaute unruhig zu Hanne, der seinen Ellbogen auf der Armlehne des Stuhls aufgestützt und das Kinn in seine Hand gelegt hatte. Aus dieser Position sah auch er zu seinem Arzt. Nein, diese Nachfrage zu seinen Erlebnissen mit den Medikamenten konnte nichts Gutes bedeuten. „Na ja, ein bisschen belastend war die Sache schon.“

„In welcher Hinsicht?“, fragte Dr. Müller nach.

Kurt biss sich auf Lippen und endlich setzte sich auch Hanne wieder aufrecht hin. „Davon, dass ich Medikamente nehme, wissen eigentlich nur Sie und er.“ Kurt wies auf Hanne. „Gerade diese ganze Geheimhaltung und den Druck, der insgesamt hinter der Einnahme stand, fand ich schon ziemlich belastend. Und auch die Angst, dass ich mich tatsächlich infiziert hab, war mir immer im Hinterkopf.“

Der Arzt nickte und machte sich eine Notiz auf die Innenseite der aufgeklappten Mappe. „Sie hatten letzten Montag eine Blutabnahme zum HIV-Test.“, sagte er dann und nahm die Seite komplett aus der Mappe heraus. „Eine HIV-Infektion konnte bei Ihnen nicht festgestellt werden. Antikörper gegen HIV wurden keine herausgebildet, Sie sind also HIV-negativ.“ Er sah von dem Blatt auf.

Kurt verstand nur sehr langsam die Aussage des Arztes. Er war HIV-negativ, also nicht krank. „Danke.“ Er lächelte erleichtert.
 

Hanne, der die ganze Zeit über stumm neben Kurt gesessen war, fiel ihm jetzt, wo sie auf dem Flur standen, vor Freude um den Hals. „Das ist doch toll, oder?“ Er lächelte strahlend.

„Sicher ist es das, Hanne.“, antwortete Kurt und hielt Hanne vorsichtig auf Abstand. Es war ihm nicht ganz geheuer, dass dieser plötzlich förmlich an ihm hing.

„Ja!! Du hast nichts! Gar nichts! Keine Antikörper! Kein gar nichts!“, rief Hanne fröhlich. „Du weißt gar nicht, wie erleichtert ich jetzt bin.“ Er drückte Kurt vor Freude einen dicken Kuss auf die Wange, wozu er sich auf Zehenspitzen stellen musste.

„Warum freust du dich denn nicht?“, fragte Hanne dann enttäuscht und sank zurück auf die Fußsohlen.

„Natürlich bin ich genauso erleichtert wie du, aber das ist nicht das einzige, was mich beschäftigt, verstehst du?“, antwortete Kurt distanziert. „Es ist einfach blöde im Moment. Meine Familie sorgt sich um mich und macht mir ständig Vorwürfe, ein Egoist zu sein. Meine Schwester hat mich vorgestern rausgeworfen. Und meine Mutter freut sich sicher auch nicht über einen schwulen Sohn. Mit meinem Vater hab ich noch gar nicht gesprochen. Ich weiß so langsam wirklich nicht mehr, was ich machen soll. Ist es denn so falsch, in einen Kerl verknallt zu sein?“

Hannes Stimmung sackte augenblicklich ab. „Das tut mir leid, Kurt.“, erwiderte er nach kurzem Zögern. „Was ist dann aber mit deiner Freundin? Seid ihr noch zusammen?“ Er war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt angebracht war, sich zu diesem Thema zu äußern. Außerdem kam es völlig unverhofft für ihn, dass Kurt scheinbar auch an Männern interessiert war. Dass er vielleicht sogar Interesse an ihm hatte, hatte Johannes nicht einmal geahnt.

„Frieda weiß alles. Sie unterstützt mich auch und wir ziehen zusammen, aber es ist einfach ein völlig anderes Gefühl, wenn deine Familie hinter dir steht.“, antwortete Kurt schließlich

„Ihr zieht zusammen? Wohin denn?“, fragte Hanne.

„In die Wohnung unter dir. Hab ich das noch nie erzählt?“

„Nein, ich dachte, dass du alleine kommst.“, sagte er überrascht.

Kurt lächelte. „Wenn du Lust hast, kannst du ja morgen mal kurz vorbeischauen. Dann lernst du Frieda auch gleich kennen. Okay?“

„Sicherlich.“, meinte Hanne nur.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  funeral
2012-02-09T16:14:06+00:00 09.02.2012 17:14
o gott :D das wird ja was wenn sich "Frida" und hanne kennenlernen xD bijn gespannt :D


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