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Kurt das war's

von

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Der Bluttest

VII – Der Bluttest
 

Mittlerweile war es Ende März und Kurt musste langsam ans Ausziehen denken. Er bereute plötzlich, es seiner Mutter gesagt zu haben: sie hatte sich extra frei genommen, um ihm zu helfen. Sie war noch immer im Glauben, dass Frieda eine Frau war und mit in die Wohnung ziehen würde. Sie tat Kurt deswegen fast leid.

Um diesen Schein aufrechtzuerhalten, musste er seiner Mutter jedoch zustimmen und mit Lukas zusammenziehen.
 

Seine Mutter riss ihn aus seinen Gedanken: „Wollt ihr auch rosa Vorhänge oder nur weiße?“

„Bitte, Mama! Wie oft soll ich denn noch sagen, dass ich dich dazu nicht brauche? Und Frieda kann rosa auch nicht leiden.“, erwiderte Kurt. Sie standen mitten in der Vorhangabteilung des Baumarktes.

Enttäuscht steckte sie den geblümten rosa Stoff zurück. „Ich dachte, das mag sie.“

In diesem Moment kam Lukas. Er hatte die schwarzen Haare zu zwei Schwänzchen gebunden und eine hellblaue Bluse an. Kurt ging direkt auf ihn zu und flüsterte: „Komm mal mit. Ich muss mit dir reden.“ Dabei tat er so, als küsste er ihn. Dann zog er ihn weg von seiner Mutter.
 

„Ich hab’s mir überlegt. Ich vergebe dir. Aber jetzt pass auf: Mama weiß nicht, wer du bist, okay? Und um das aufrechtzuerhalten, ziehen wir zusammen. Als Pärchen.“, sagte Kurt leise.

Lukas nickte. „Was macht sie eigentlich hier?“, fragte er dann.

Kurt seufzte leise. „Ich konnte sie nicht abwimmeln.“

Lukas nickte wieder. Als Kurts Mutter sich ihnen näherte, zog er Kurt schnell an sich und küsste ihn. Kurt verstand und erwiderte.
 

„Ach, ihr seid so ein süßes Paar.“, sagte sie begeistert.

Kurt löste sich von Lukas und schob seine Mutter weg. „Du sollst doch nicht gucken, Mama!“, sagte er verlegen.

Er stellte sich so vor Lukas, dass dieser unbemerkt die Handtücher unter seiner Bluse zurecht schieben konnte. Kurt wusste inzwischen, dass Lukas einen Sport-BH trug, den er sich mit zusammen geknüllten kleinen Handtüchern ausfüllte.

„Ich wollte Ihnen eigentlich schon länger das Du anbieten.“, sagte Lukas dann lächelnd und schob sich an Kurt vorbei.

"Aber natürlich. Sag doch Gertrud zu mir, Frieda.“, gab Kurts Mutter lächelnd zurück.

„In Ordnung.“ Lukas nickte.

„Sag mal, magst du wirklich keine rosa Vorhänge haben?“, fragte sie dann hoffnungsvoll.

Lukas verdrehte innerlich die Augen. Er hatte die Diskussion von vorhin noch mitbekommen und schüttelte den Kopf.

Kurts Mutter schaute betroffen. „Schade eigentlich.“

Kurt musste sich eine entsprechende Bemerkung verkneifen, grinste aber zufrieden in sich hinein. Er hatte es ihr ja gesagt. „Also, wo waren wir stehen geblieben? Bei den Vorhängen, oder?“, fragte er stattdessen. Er wollte seine Mutter so wenig wie möglich mit Lukas Kontakt haben lassen. Sie würde den Schwindel sonst irgendwann bemerken.

„Ach ja, richtig! Vorhänge!“, fiel ihm Lukas ins Wort.

Kurts Mutter schüttelte den Kopf. „Nein, das hat sich ja jetzt erledigt. Teppiche brauchen wir noch. Irgendwelche hübsche Läufer. Ich hab neulich welche mit buntem Streifenmuster gesehen.“

„Nein, Mama, bitte nicht.“, widersprach Kurt. „Ich denke, da guck ich mal mit ihr alleine. Und außerdem wolltest du doch sowieso nicht so viel Zeit vertrödeln.“

Seine Mutter seufzte und machte ein unglückliches Gesicht. „Ich hab doch versprochen, dass ich euch helfe. Ich möchte einfach nicht, dass ihr irgendetwas vergesst. Ich freue mich so für euch beide, dass ihr schon zusammen ziehen wollt.“ Sie schaute zwischen ihrem Sohn und dessen scheinbarer Freundin hin und her.

„Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ich noch einmal mit ihm herkomme.“, meinte jetzt auch Lukas. „Ich denke, Kurt hat recht.“

Gertrud schaute ihn enttäuscht an. „Seid ihr euch wirklich sicher?“

Kurt ignorierte bewusst ihre Frage. „Na dann wäre das doch auch klar.“ Er schob seine Mutter und Lukas zum Ausgang. „Mama, ich denke, wir machen das so, wie Frieda sagt, ja?“
 

„Danke noch mal wegen dem Angebot mit dem Zusammenziehen. Das ist echt nicht selbstverständlich. Was ich dich fragen wollte: Kann ich dir eigentlich irgendetwas mit der Wohnung helfen?“, fragte Lukas draußen vor dem Gebäude. Sie standen etwas abseits vom Eingang, während sich Kurts Mutter noch mit einer Bekannten im Markt unterhielt.

Kurt war nicht auf so etwas gefasst gewesen und musste erst überlegen. „Wenn du willst, kannst du dich um die Lampen kümmern. Und streichen sollten wir vielleicht auch zusammen, wenn du es dir einrichten kannst.“

Lukas nickte. „Klar, das geht schon irgendwie.“

Eine Pause entstand.

„Was ist eigentlich mit diesem Hanne?“, wollte Lukas dann wissen.

Kurt biss sich auf die Lippen und fragte sich einmal mehr, was Lukas eigentlich dazu bewegte, ihn so gezielt auf Hanne anzusprechen. Schon letztens hatte er von diesem rotblonden Kerl gesprochen und ihn als Auslöser dafür genommen, sich wieder zu melden. Lukas schien ihn irgendwoher zu kennen oder bildete es sich zumindest ein. Nur zu gerne hätte er Lukas danach gefragt, .zögerte allerdings noch, da ihm ebenso bewusst war, dass Lukas nicht antworten würde. „Ich weiß nicht. Wir kennen uns erst seit Kurzem. Warum fragst du?“

Wie vermutet überging Lukas mehr oder weniger seine Frage und strich sich über sein glattrasiertes Kinn. „So? Weißt du, ich kannte mal jemanden, der ihm ziemlich ähnlich sah. Na ja, der Kerl war auf jeden Fall ein ziemliches Arschloch. Aber ich hab diesen Johannes ja nur ganz kurz von hinten gesehen. Muss ja nicht unbedingt der gleiche Typ sein.“

„Wie?“, fragte Kurt. Er kannte es kaum von Lukas, dass dieser dermaßen unwillig das Gesicht verzog, wie er es im Moment tat. „Was willst du damit sagen?“

Lukas winkte ab. „Ist egal, Kurt. Vielleicht stellst du ihn mir einfach mal vor?“

Kurt schaute immer noch misstrauisch zu Lukas, stimmte dann jedoch zu, als er sah, wie seine Mutter auf sie zukam. Er würde sich später noch einmal mit dem Thema befassen müssen, wenn er wirklich wissen wollte, was Lukas' Andeutung von eben für eine Bedeutung gehabt hatte.
 

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In den folgenden Wochen hatte Kurt eine Menge zu tun: er musste viel in der Wohnung machen und hatte dann auch noch die Arbeit und seine Doppelbelastung mit Hanne und Lukas. Zumindest war Hanne nicht mehr so abweisend, lag ihm aber ständig in den Ohren mit diesem blöden Bluttest, den man aber erst einige Wochen nach Virenkontakt machen lassen konnte. Er war inzwischen auch wieder nach insgesamt drei Wochen im Krankenhaus zu Hause. Eigentlich waren nur zehn Tage Klinikaufenthalt geplant gewesen, doch Johannes hatte sich wegen des Klinikhemdes eine Blasenentzündung zugezogen, die er zuerst verschwiegen und mit dem warmen Getreidekissen behandelt hatte. Irgendwann hatte er es vor Schmerzen kaum mehr ausgehalten und Dr. Müller dann doch darauf angesprochen. Zu diesem Zeitpunkt war die Entzündung bereits so ausgereift gewesen, dass sie schon seine Nieren angriff und die Behandlung sich ewig lange hinzog. Die Entlassung war eine unheimliche Erleichterung für ihn selbst und auch für Kurt, weil dieser ihn auch einfach so besuchen konnte. Der Kontakt zu Johannes tat Kurt einfach gut.

Und Lukas war noch immer komisch. Er war offenbar stinkig wegen Hanne, weil dieser ihn wohl wirklich stark an seinen merkwürdigen Bekannten erinnerte. Aber wenn Kurt ihn darauf ansprach, stritt er alles ab und auch nähere Nachfragen, was er mit diesem Typen zu tun gehabt hätte, ignorierte Lukas.
 

Irgendwann war endlich der Montag gekommen, ab welchem er diesen Bluttest machen lassen konnte. Hanne war nicht davon abzuhalten, ebenfalls mitzukommen und so gingen sie gemeinsam zum Krankenhaus. Einerseits war Kurt gar nicht begeistert davon, dass er mitkam, andererseits aber sehr erleichtert. Denn wenn sie tatsächlich eine Infektion feststellen würden, hatte er immer noch Hanne neben sich, der ja bereits Erfahrungen damit gesammelt hatte.

Die Schwester bat Kurt in ein Behandlungszimmer, um ihm eine Spritze Blut aus der Armbeuge zu nehmen. Johannes drückte ihm kurz die Hand und lächelte ihm aufmunternd zu. Allerdings blieb er sitzen.

Kurt folgte der Frau in den Raum und ließ sich auf die Behandlungsliege nieder. Er stülpte seinen Ärmel zurück und sah dann zur Seite, um die Nadel nicht sehen zu müssen. Dann spürte der das leichte Brennen des Einstichs und das unangenehme Ziehen, als sie ihm ein Proberöhrchen Blut entzog.

„So.“, sagte sie schließlich, zog die Nadel zurück und drückte einen feuchten Tupfer auf den Einstich, den Kurt dann festhalten sollte. „Die Ergebnisse für Ihren HIV-Test werden uns voraussichtlich Ende der Woche vorliegen. Wir werden uns dann noch einmal telefonisch bei Ihnen melden, damit ein Termin vereinbart werden kann.“

„Weswegen ein Termin? Ich dachte, dass die Ergebnisse mit der Post zugeschickt werden würden.“, erwiderte Kurt und sah die Schwester misstrauisch an.

„Das ist immer so. Die Tests laufen im Labor anonym, erst hier werden die Ergebnisse zugeordnet. Da die Tests sehr sensibel sind, werden sie immer persönlich mit den Patienten besprochen.“, erklärte sie.

Kurt nickte und gab der Schwester schließlich die Telefonnummer. Er verabschiedete sich von der Schwester als sie ihn nach draußen begleitete. Ihm wurde plötzlich schlecht, als er wieder vor Hanne stand und dieser sich erhob und ihn anlächelte. Er hatte auf einmal dasselbe Gefühl, mit dem Rücken zur Wand zu stehen und gleichzeitig beim nächsten Schritt in einen tiefen Abgrund zu stürzen, wie er es nach diesem ersten aufklärenden Gespräch mit Hanne und dem Arzt vor gut sechs Wochen hatte.
 

„Du bist so still.“, bemerkte Hanne draußen. „Ist irgendetwas?“

„Nein, nein.“, wehrte Kurt ab. „Es ist nichts.“

„Du brauchst dich nicht zu verstellen. Ich kenne das alles. Diese Angst, die Ungewissheit und die Verunsicherung. Als ich mich angesteckt habe, war ich fünf Jahre alt. Es war ebenfalls durch Blut. Interessiert dich das eigentlich?“, fragte er dann, als keine Reaktion kam.

„Doch, doch. Erzähl weiter.“

„Wir hatten einen ziemlich heftigen Verkehrsunfall gehabt. Ein Lastwagen ist auf der nassen Autobahn ins Schlingern geraten, umgekippt und mehrere Autos sind mehr oder weniger ungebremst ineinander gefahren. Eine richtige Massenkarambolage also. Nur mein Vater und ich überlebten; meine Mutter starb sofort. Ich selbst hatte eine tiefe Verletzung am Bauch und wurde durch den Aufprall auf die Straße geschleudert. Ich hatte ziemlich viel Blut verloren. Der Mann, von dem eine meiner Blutkonserven gekommen war, war HIV-positiv. Er wusste selbst nichts davon und nach einem HIV-Test hatte damals niemand gefragt, die Krankheit war ja noch recht unbekannt. Ich habe mich später einmal mit ihm getroffen und mich für mein Leben bedankt. Er hat sich während meines Besuches auch sehr oft für meine Infektion entschuldigt und hat tausendmal beteuert, nichts davon gewusst zu haben. Kurz danach ist er, glaube ich, gestorben. Er war schrecklich krank.“ Hanne war immer leiser geworden und zum Schluss hatte er mehr mit sich selbst gesprochen. Er hatte Mühe damit, seine Tränen zurückzuhalten.

Kurt wagte es kaum zu sprechen. „Wo ist dein Vater jetzt?“

„Er lebt in Hamburg. Vor acht Jahren bin ich von dort weggezogen. Zuerst hatte ich noch regelmäßigen Kontakt zu ihm, der aber immer weniger wurde. Mittlerweile sprechen wir eigentlich kaum mehr mitein­ander, höch­stens mal zum Geburtstag telefonieren wir. Ich hab ihn auch schon ein paar Jahre nicht mehr persönlich gesehen. Ich glaube, dass ich ihm sowieso egal wäre. Vielleicht ist es deshalb auch besser, wenn wir gar nicht so viel miteinander zu tun haben.“

„Du bist ihm... egal?“

„Vielleicht schon. Ich bin erwachsen, habe mein eigenes Leben und ich hatte sowieso nie eine besondere Bindung zu ihm. Wir haben schon immer viel aneinander vorbei geredet. Mir persönlich lag auch einfach irgendwann nichts mehr an unserem Kontakt. Klar, ich bin freundlich zu ihm, wenn wir telefonieren, aber wenn wir es nicht tun, vermisse ich es nicht.“ In Hannes scheinbarer Gleichgültigkeit schwang etwas Traurigkeit mit.

„Aber... Ich war sicherlich ebenfalls nie der Traumsohn, den meine Eltern gewollt hätten. Ich hab mir auch schon mehr als genug Ausrutscher geleistet.“

„Das ist völlig unerheblich, Kurt.“, widersprach Hanne. „Er hat mich nicht wegen der Infektion verurteilt. Wir haben uns einfach voneinander entfernt. Da gab es keinen Punkt, an dem wir uns nicht mehr verstehen wollten, sondern es war eher schleichend. Er hat immer viel gearbeitet und irgendwann lernt man eben, selbst zurechtzukommen. Vielleicht kommt dir das komisch vor, aber ich kam an einen Punkt, an dem ich von mir aus kaum mehr etwas von ihm brauchte. Ich komme auch heute sehr gut ohne ihn klar. Aber an der HIV-Infektion lag es mit Sicherheit nicht.

Entdeckt wurde meine Infektion sowieso nur zufällig, weißt du? Eigentlich haben wir uns gar nichts bei der Bluttransfusion gedacht. Es wäre im Leben keiner auf die Idee gekommen, dass sie HIV-verseucht sein könnte und ich hatte eigentlich auch keine gesundheitlichen Probleme. Diese typischen Symptome nach der Infektion waren bei mir so lachhaft, dass sie als leichte Sommergrippe durchgegangen sind.

Na ja, und dann hat man mir einmal Blut abnehmen müssen, ganz normal beim Hausarzt für eine Untersuchung. Der HIV-Test lief nur so nebenbei, weil es zu der Zeit eben aktuell war, die gesamte Bevölkerung zu ‚scannen‘ und vor allem eben die, die nach einem gewissen Datum eine Blutspende erhalten haben. Man musste, wenn ich mich recht erinnere, etwas unterschreiben. Mein Vater hat es blindlings getan ohne sich den Zettel durchzulesen. So ist es dann herausgekommen. Wir haben einen Anruf vom Gesundheitsamt bekommen, dass mir noch einmal Blut abgenommen werden sollte. Der Test bestätigte das erste positive Ergebnis und dann kam der Stein mit der Therapie ins Rollen. Das war ungefähr ein Jahr nach dem Unfall.

Weißt du, ich frage mich manchmal, wie mein Leben gelaufen wäre, wenn der Kerl mich damals nicht angesteckt hätte und ich nicht HIV-positiv wäre. Vielleicht wäre dann vieles anders gekommen, vielleicht wäre ich auch gar nicht hier. Ab und zu hätte ich schon gerne, dass ich aufwache und dann sehe, dass ich alles bloß geträumt habe, auch wenn es jetzt schon ein irre langer Traum wäre.“ Hanne schlug für einen kurzen Moment die Augen nieder.

„Na ja, sicher hättest du sogar sehr viele Sachen anders gemacht. Aber ich finde es sogar gut, dass du jetzt hier bist, Hanne.“, erwiderte Kurt. Er war noch immer etwas überrascht darüber, wie gesprächig Johannes sein konnte.

„Danke. Jedenfalls ist es gefährlich, nichts von seiner HIV-Infektion zu wissen. Kapierst du jetzt endlich, wieso ich so darauf dränge, dass du dich testen lässt?“

Kurt nickte. Ihm wurde wieder einmal bewusst, wie unterschiedlich Hanne dachte. Für ihn zählten völlig andere Dinge im Leben. Bei ihm schien sich so vieles um diese Krankheitserreger zu drehen. Kurt schluckte, weil wieder Tränen in ihm aufsteigen wollten und er diese zurückhalten wollte, doch es half nichts.

Hanne blieb stehen und nahm ihn in den Arm, ohne auch nur ein Wort zu sagen und strich ihm beruhigend über den Rücken.

„Ich hab solche Angst.“, schluchzte Kurt.

„Ich weiß. Ich bin immer da, wenn du mal reden musst. Wenn du deinen Gesprächstermin vereinbart hast, darfst du mir gerne Bescheid geben. Ich begleite dich gerne und höre mir mit dir zusammen das Ergebnis an, wenn du das möchtest. Wenn ich schon mal Schuld habe, dann lass ich dich wenigstens nicht alleine damit.“

„Ich bin doch selbst schuld daran.“

„Nein. Ich hätte dich nicht dermaßen provozieren dürfen.“
 

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Am Tag nach dem Bluttest fühlte sich Kurt elend. Er konnte eigentlich nur noch an diesen verdammten Test denken und an die Medikamente, die er vorsorglich eingenommen hatte. Auch die Gespräche mit Johannes gingen ihm kaum mehr aus dem Kopf. Er hatte ihn so oft beschworen, sich testen zu lassen und hatte mit ihm auch sehr viel über seine Krankheit gesprochen.

Es kam ihm daher gerade recht, dass seine Mutter zu ihren Eltern gefahren war. So hatte er zumindest seine Ruhe vor ihr. Sie würde ohnehin nur glauben, er habe mit Frieda Streit, aber die Wahrheit konnte er ihr unmöglich erzählen. Dann müsste er auch von Hanne erzählen und letzten Endes auch von der Sache mit Lukas, der ja Frieda war. Das wäre zu viel für sie. Er würde es ihr Stückchenweise beibringen müssen. Zuerst das, dass er eben Männer mochte, dann das mit Lukas und dann, wenn er wollte, noch die Sache mit Hanne.

Das Telefon klingelte. Maike wollte ihm ihren Sohn zeigen, der letzte Nacht zur Welt gekommen war. Kurt war jede Ablenkung recht und so besuchte er sie.
 

Maike hatte das Kind, wie Sara auch, zu Hause geboren. Krankenhäuser empfand sie als unpassend, das Licht der Welt zu erblicken. Sie lag im Bett und hielt den Kleinen im Arm. Sie sah noch ganz fertig aus von der Geburt. Der Kleine schlief oder hatte zumindest die Augen zugekniffen.

Als Kurt sich näherte, setzte sie sich auf. „Uah, du rauchst ja immer noch. Hör doch endlich auf damit.“, sagte sie, bevor sie noch „Hallo“ sagte.

„Hallo erst mal.“, erwiderte er. „Riecht man das echt so schlimm?“

„Ja. Nimm dir ein paar Klamotten vom Bernd. Du weißt ja, wo das Bad ist.“

„Ist ja gut.“, murrte er. Was musste sie sich aber auch immer so aufregen? Zu gerne wäre er sofort wieder gegangen, doch dann wäre er wieder alleine und hätte zu viel Zeit zum Grübeln.

Nach fünf Minuten war er wieder da. Sie warf ihm gleich ein Päckchen Nikotinpflaster entgegen. „Die sind noch vom Bernd übrig. Er hat kurz vor Saras Geburt aufgehört. Wenn du so weitermachst, kannst du übrigens ganz draußen bleiben. Meine Kinder sollen nicht geräuchert werden.“

„Ich hör ja auf.“, murmelte er und schaute sich das Päckchen genauer an. „Wo macht man das hin?“

„Ist egal. Da, wo es dich nicht stört.“

„Und, wie geht’s so?“, wechselte er plötzlich das Thema und verschwieg ihr so die Tatsache, dass er Bernd schon ab und zu eine von seinen Kippen gegeben hatte.

„Wir sind alle gesund so weit. Der Kleine schläft viel. Ich hoffe, du bist mit Markus als Namen einverstanden.“

„Das ist eure Sache. Ich halt mich da raus.“

Maike machte die obersten Knöpfe ihres Nachthemds auf, um den Kleinen zu stillen. „Ich wollte dir nur noch sagen, dass wir dich wieder als Paten für die Taufe im Auge haben. Ist dir das recht?“

Kurt stöhnte. „Ich habe es jetzt so lange ohne Kirche ausgehalten. Du weißt genau, wie ich dazu stehe.“

„Deshalb kannst du ja auch mit deinem kleinen Freundchen so unbekümmert vögeln.", meinte sie gehässig. „Und übrigens gehört die Taufe für uns einfach dazu. Sowohl Bernd als auch ich rennen bestimmt nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber so etwas ist ganz einfach Tradition!“

Kurt hatte gewusst, dass da noch etwas zu diesem Thema folgen würde. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante. "Bevor du jetzt anfängst zu schimpfen, will ich dir noch ein paar Sachen sagen."

"Und die wären?", fragte Maike.

"Ich habe mir das Ganze sicher nicht selber ausgesucht. Und ich weiß auch nach wie vor nicht, wieso es jetzt kommt, wo ich doch schon eine Freundin hatte. Und was ich selbst nicht so ganz verstehe, ist, wie ich überhaupt auf Lukas hereingefallen bin. Ich meine, ich hätte es doch sehen sollen, oder? Aber irgendwie habe ich das eben nicht getan und jetzt bin ich gerade dabei, mich wieder mit ihm auf neutralen Boden zu stellen. Dass ich ihn jetzt so einfach in den Wind schieße, kann ich schließlich kaum machen. Er war immerhin mein bester Freund und Fehler können jedem passieren.", erklärte er.

"Komm zum Punkt.", drängte sie.

"Ich hab vor Kurzem auch noch einen anderen Mann kennen gelernt. Hanne. Er ist krank, hat HIV. Ich mag ihn sehr gerne, muss ich sagen und je besser ich ihn kennen lerne, je mehr kann ich ihn verstehen. Er ist ein völlig anderer Typ als Lukas, aber wie schon gesagt – er ist mir sehr sympathisch."

"Habt ihr etwa...?", fragte Maike lauter als gewollt.

"Ich war nicht mit ihm im Bett, falls du darauf anspielst, aber ich hab’s vielleicht auch.", sagte er gefasst. „Gestern habe ich mir Blut für einen HIV-Test abnehmen lassen. Hanne achtet sehr darauf und er hat mich auch schon gedrängt, vorsorglich Medikamente einzunehmen. Und seitdem hab ich immer mehr das Gefühl, dass ich in ihn verliebt bin. Ich weiß echt nicht, was du denkst, Maike, aber wir verstehen uns einfach blendend.“

Sie sah ihn erschrocken an. Sie hatte keine Ahnung, über was sie zuerst geschockt sein sollte. Dann schrie sie ihn an: "Aber... Du kannst doch nicht einfach stockschwul werden! Denk doch mal an mich und den Rest der Familie!! Das ist doch widersinnig! Abnormal!" Sie weinte beinahe vor Verzweiflung. Schon mit dem Gedanken alleine daran, dass er schwul sein sollte, vielleicht sogar noch HIV-positiv war, konnte sie sich nicht anfreunden.

"Abnormal? Was glaubst du denn, wie ich mich gefühlt hab, als Lukas mit einem Mal wieder aufgetaucht ist und mir ganz langsam klar wurde, dass er mich die letzten paar Wochen verarscht hat? Aber inzwischen fühle ich mich sogar ganz wohl dabei und außerdem ist und bleibt Lukas ein netter Kerl. Hör endlich auf, mir in meine Angelegenheiten pfuschen zu wollen. Du und Mama, ihr seid doch beide gleich und nur daran interessiert, mich einzuengen!" Kurt schnaubte verächtlich.

„Jetzt mach aber mal halblang, ja? Ich habe dich nie zu etwas gezwungen. Mama wollte immer nur dein Bestes und dass du nicht irgendwann aufwachst und alles bereuen musst.“

„Ach ja? Nur wenn man selber merkt, dass es halt scheiße war, was man gemacht hat, wird man schlauer. Ich bin auch schon oft auf die Schnauze gefallen und heute weiß ich es besser.“

„Nein, du täuschst dich.“, beharrte sie.

Kurt schüttelte den Kopf. "Und ich Blödmann dachte, du verstehst mich." Er machte Anstalten, als wolle er gehen, doch Maike hielt ihn auf.

"Lass mich los!", sagte er und löste ihre Finger. „Dir ist doch echt nicht zu helfen.“ Dann stand er auf und ging sich wieder umziehen. Die Kleidung von Maikes Mann passte ihm ohnehin nicht richtig.

Maike legte das schlafende Baby vorsichtig beiseite und folgte ihm.
 

"Keine Sorge.", murmelte er, als er sie hinter sich bemerkte, "Die Kleider kriegst du morgen gewaschen wieder."

"Das meinte ich nicht.", erwiderte sie und lehnte im Türrahmen.

"Ich brauche keine Familie, die mich nicht so akzeptieren kann, wie ich bin. Lass mich in Frieden.", sagte er, ohne sie anzusehen. Er zog sich ein hellgraues T-Shirt über den Kopf.

"So?", schrie Maike fast, "Bedenk doch mal meine Lage! Ich sorge mich nur um dich! Und was glaubst du, ist das für ein Schock für mich? Du Egoist! Immer nur du! Die Gefühle anderer bedeuten dir nichts, was?"

"Doch, das tun sie.", flüsterte er und ordnete seine wirren Haare ein wenig.

"Du kannst doch nicht ewig wegrennen! Das ist doch feige!! Immer, wenn ich dir die Meinung puste, läufst du weg. Schon seit Jahren." Sie hatte ihn nicht gehört, als er sich verteidigt hatte.

Er steckte sich das T-Shirt in die Hose und machte sie zu. Dann drehte er sich ganz zu ihr um. "Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was du machst. Geschweige denn mit deinem Erziehungsstil. Deine Kinder sehen doch gar nichts anderes, als heile Welt, glückliche Familie und Mann und Frau zusammen. Bei euch läuft doch alles wie am Schnürchen. Glücklich verheiratet seit Jahren, Ehemann raucht nicht, trinkt nicht, hat keine abartigen Neigungen... Klar, dass das gut bei den Nachbarn kommt. Mir hat es auch nicht gefallen, als Mama und Papa damals ständig Streit hatten. Aber heute weiß ich, dass es besser so war, als wie wenn die beiden krampfhaft zusammengeblieben wären und immer unterschwellig etwas gebrodelt hätte. Ich will nicht, dass deine Kinder ein Brett vor dem Kopf haben und so störrisch wie du werden. Du akzeptierst doch mein Schwulsein bloß nicht, weil es anders ist.", erwiderte er.

"Ach ja!?", brüllte sie, "Du solltest dich wohl besser um deinen eigenen Dreck kümmern, bevor du deine Nase in meine Angelegenheiten steckst! Geh erstmal selber zum Psychiater." Sie bemerkte nicht, dass Markus weinte.

"Zum Psychiater? Du könntest selber mal beim Nervenarzt vorbeischauen. Was ist denn so furchtbar falsch daran, wenn die beiden mal was anderes mitbekommen? Übrigens schreit der Kleine.", erwiderte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Raus!", brüllte sie ihn an, entriss ihm den Klamottenhaufen von Bernd, den er die ganze Diskussion über im Arm gehalten hatte und schob ihn wütend zur Türe hinaus. "Du brauchst gar nicht wiederzukommen!" Dann knallte sie die Tür ins Schloss.
 

Im Treppenhaus begegnete Kurt Bernd und Sara. "Was ist denn passiert? Ich hab Maike bis hierher schreien hören.", fragte Bernd.

"Wir hatten, sagen wir, unterschiedliche Ansichten."

"Über?"

"Über das Übliche, denke ich."

Bernd nickte. "Dann will ich mal nach ihr sehen.", seufzte er. "Ich verstehe echt nicht, weswegen ihr euch immer gleich derartig streitet."

„Ich denke, da weiß dir Maike eine Menge Antworten drauf.“

Sara griff nach seiner Hand. „Du darfst dich nicht streiten!“, meinte sie.

„Da hast du recht, Sara. Aber manchmal ist man so ärgerlich aufeinander, dass man Sachen sagt, die man gar nicht so meint. Und dann, wenn man sich wieder beruhigt hat, sagt man Entschuldigung zueinander.“, erklärte er ihr und lächelte. „Keine Sorge, Sara. Ich vertrag mich wieder mit deiner Mama.“

Bernd musste ebenfalls lächeln und nahm Sara wieder an die Hand. „Kurt hat recht, Schätzchen.“, sagte auch er zu Sara und hob sie nun auf seinen Arm.

Kurt verabschiedete sich nun auch von Bernd und Sara und kehrte nach Hause zurück.

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Anmerkung:

Die Angabe, dass man sich bereits sechs Wochen nach Viruskontakt zuverlässig auf HIV testen lassen kann, stimmt so nicht!!

Such-Tests auf HIV-Antikörper im Blut ("ELISA-Verfahren") funktionieren erst ab 12 (!!) Wochen nach Viruskontakt, also drei Monate. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob Kurts HIV-PEP (Postexpositionsprophylaxe, also die medikamentöse Vorsorgebehandlung) diesen Zeitraum nicht sogar noch weiter verlängert hätte.

Jedenfalls hätte ich eine so lange Wartezeit nicht in der Story untergebracht, daher der verkürzte Zeitraum.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  funeral
2012-02-01T22:35:43+00:00 01.02.2012 23:35
Drei kapis an einem tag ? Was verschaft uns die ehre ^.^ ? Aber fiess :o wie fällt der test aus wie is die beziehung zws. Kurt und hanne und kurt und lukas oder hanne und lukas ? :o hihi ^.^ freu mich auf das nächste kapitel.
Lg


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