Kurt das war's von Lotos ================================================================================ Kapitel 5: Ein klärendes Gespräch --------------------------------- V – Ein klärendes Gespräch Kurt wachte erst gegen Mittag auf, nachdem er sich wieder nach Hause geschlichen hatte. Eigentlich war ihm schon gestern Abend klar gewesen, dass er heute zu Johannes ins Krankenhaus gehen würde. Müde schlurfte Kurt ins Badezimmer und erschrak über sein eigenes Gesicht, das wirklich total übernächtigt aussah. Er war blass, in seinen Augen war rote Äderchen zu sehen und außerdem hatte er Augenringe, die irgendwie an ein Gespenst erinnerten. Kurt stieg unter die Dusche und ließ kaltes Wasser über Kopf und Körper laufen. Er rubbelte sich trocken und schlüpfte anschließend in die Kleider, die er sich mitgenommen hatte. Seine nassen Haare kämmte er und föhnte sie schließlich trocken. Anschließend putzte er seine Zähne und rasierte sich. An der Tür zur Küche hing ein Zettel von seiner Mutter. „Bin bei Gerda. Küsschen, Mama“. Drunter war ein schiefes Herzchen gekritzelt. Lächerlich! Kurt machte sich Tee, auf ein richtiges Frühstück verzichtete er allerdings, da ihm ganz einfach der Appetit fehlte. Im Krankenhaus klopfte Kurt vorsichtig an die Tür zu Hannes Zimmer, dessen Nummer er sich an der Infotheke erfragt hatte. Als keine Antwort kam, ging er einfach rein. „Hallo.“ Hanne stellte sich weiterhin schlafend, obwohl er eher Lust dazu gehabt hatte, seinen Besucher wieder vor die Tür zu setzen. Seit dem Erlebnis von gestern Abend war er sich sicherer denn je, dass er nichts mit diesem Typen zu tun haben sollte. Er fragte sich inzwischen ernsthaft, weswegen er Kurt nicht abgesagt hatte, da er sich schon am Mittag unwohl gefühlt hatte und ihm schwindlig gewesen war. Aber nein, er hatte ja seinen Dickkopf durchsetzen müssen und hatte einmal mehr das eindeutige Krankheitsgefühl ignoriert. Schließlich hatte dieser blonde Trampel den Notarzt gerufen und ihm diesen Krankenhausaufenthalt beschert. Dass Kurt damit im Anbetracht seiner Diagnose eigentlich völlig richtig gehandelt hatte, wollte Johannes allerdings im Moment nicht wahrhaben. „Bist du wach?“. Kurt stand jetzt an seinem Bett und fasste ihm zögerlich von hinten an die Schulter. Hanne verspannte sich und spürte wieder die migräneartigen Kopfschmerzen. Auch die Übelkeit vom Morgen überkam ihn erneut und mit ihr der Brechreiz. Er presste die Hände vor den Mund und versuchte noch, irgendwie sein Inneres bei sich zu behalten. Er setzte sich auf und bemühte sich um eine gleichmäßige Atmung, doch es half nichts. Hanne spürte, wie ihm sein Mageninhalt hochkam und stürzte an Kurt vorbei zum Waschbecken - gerade noch rechtzeitig bevor er tatsächlich würgen musste und wohl auch noch den letzten Rest des Klinikessens aus seinem Magen beförderte. Hanne musste sich abstützen, um nicht zusammenzubrechen. Eine Weile blieb er so stehen, spülte sich den Mund aus, um den ekelhaften Geschmack der zum Teil hoch gewürgten Galle loszuwerden. Erschöpft ließ er den Kopf hängen und fragte sich, wie lange das wohl noch so weitergehen würde, dass er sich von dem neuen Medikament erbrach. Nach kurzer Zeit spürte er wieder Kurts Hände an seinen Schultern. „Leg dich wieder hin, Hanne, ja?“, schlug die zugehörige Stimme vor. Am liebsten hätte Johannes Kurt weggestoßen, doch in dieser Lage wäre es pure Dummheit gewesen und so ließ er sich zum Bett zurück bringen. Er ignorierte Kurt, aber das schien diesen nicht zu stören. Inzwischen war auch Hannes Ärger auf Kurt vom gestrigen Abend vollständig zurückgekehrt, als sich dieser so selbstherrlich in seine Angelegenheiten eingemischt hatte. Wenn ihm nicht derartig schlecht gewesen wäre, hätte er Kurt vermutlich persönlich vor die Tür gesetzt. „Ich hab mir gestern ziemliche Sorgen um dich gemacht.“, sagte Kurt, als er Hanne losließ und dieser auf der Bettkante saß. „Aber ich bin froh, dass man dir hier helfen kann. Dir geht’s doch schon wieder besser als gestern Abend, nicht wahr?““ Hanne gab zuerst gar keine Reaktion auf das Gesagte, dann nahm er die Beine nach oben und legte sich hin. Kurt fiel erst jetzt auf, dass Johannes nur ein Klinikhemd trug, da er keine eigene Kleidung hier im Krankenhaus hatte. Hanne schnaubte verächtlich. „Du bist wirklich nicht der Hellste, hab ich recht? Du siehst wohl echt nicht, wie beschissen ich mich fühle. Ich bin nicht umsonst hier.“, erwiderte er scharf. „Tut mir leid. Ich fühle mich schuldig wegen dem, was gestern passiert ist.“ Kurt schien es wirklich so zu meinen, wie er es sagte. „Ist dir noch schlecht? Brauchst du was?“, erkundigte er sich besorgt weiter. Er wusste nicht, wie er sich jetzt Hanne gegenüber verhalten sollte. Er wusste ja kaum etwas über ihn oder die Krankheit, die er hatte. Außerdem schien Hanne auch nach wie vor schlechte Laune zu haben. Hanne seufzte laut. Er war noch immer ziemlich gereizt. „Warum fragst du das? Ich vertrage meine Medikamente eben nicht. Jetzt hau schon ab! Zu was anderem bist du ja eh zu blöde. Geh endlich!“ Hanne war schon wieder dermaßen laut, dass Kurt richtiggehend zusammenzuckte. Außerdem waren Hannes Worte auch ganz schön verletzend. Er verstand einfach nicht, was mit Johannes los war, was es genau mit dieser Resistenz, von der der Arzt gestern gesprochen hatte, auf sich hatte und weswegen Johannes diese Medikamente, die sein Körper nicht vertrug, einnehmen musste. „Ich verstehe einfach gar nichts von dem, was hier gerade passiert. Warum schreist du so? Geh ich dir echt so auf die Nerven?“, fragte er Hanne schließlich, obwohl er kaum eine Antwort von ihm erwartete. Er hielt es nicht aus, wenn Hanne ihn anschrie und fragte sich nach dem Grund. Ihm fiel auf, dass es dieselbe Frage war, die ihm auch schon mal seine Mutter gestellt hat. Damals hatte er nicht geantwortet. Auch Hanne ließ sich Zeit mit der Antwort. Schließlich erwiderte er leise: „Nein, du gehst mir nicht auf die Nerven. Zumindest nicht so sehr, dass ich dich derartig anschreien müsste. Mir ist im Moment wirklich nicht gut. Kannst du bitte gehen? Du kannst ja morgen wieder vorbei schauen, wenn du willst. Ich würde mich wirklich freuen.“ Kurt schaute auf seine Füße hinab, nickte. „Okay, dann bis morgen, Hanne.“, meinte er und wandte sich wieder zur Türe um. Eigentlich hätte er sich über die letzten Sätze freuen sollen, aber er machte sich noch immer Sorgen um Hanne. Kurt fragte sich inzwischen ernsthaft, was ihn eigentlich dazu bewegte, den Bezug zu Johannes zu suchen. Der Kerl war scheinbar furchtbar launisch, wenn er nicht arbeitete und man ihn sozusagen privat erlebte. Irgendwie war ihm Johannes um vieles freundlicher und aufgeschlossener erschienen, als er ihn kennen gelernt hatte. Auch noch bei ihm zu Hause war er umgänglich gewesen bevor er zusammen gebrochen war. War es etwa nicht in Ordnung gewesen, dass er ihm einen Krankenwagen bestellt hatte? Er hatte schließlich derart hohes Fieber gehabt, dass sein Kreislauf ganz einfach zusammengebrochen war. Dennoch hatte er den Willen und die Kraft aufgebracht, sich gegen die Hilfe zu wehren. Er wollte anscheinend einfach keine Hilfe und war aber trotzdem völlig erschöpft im Krankenwagen gelegen und hatte sich letztendlich sogar sehr kooperativ verhalten, als ihn der Arzt untersucht hatte. Die Sache mit dieser Resistenz musste schon ganz schön akut sein und Johannes schien die Medikamente auch dringend zu benötigen, da sonst niemand so sehr darauf achten würde, dass die Wirkstoffe richtig in ihm arbeiten konnten. Weswegen also wehrte er sich so sehr dagegen? Andererseits war eben diese Reaktion auch verständlich für Kurt. Jeder würde erst einmal abwehren und verrückt spielen, wenn er so eine Diagnose gestellt bekam. Er musste auch wieder an sein Wiedersehen mit Lukas von letzter Nacht denken, das denkbar ungelegen kam. Auch hiermit kam er nicht so recht klar. Was hatte Lukas dazu bewegt, ihn dermaßen über den Tisch zu ziehen, indem er sich als seine Freundin ausgab? Was war nur in Lukas Kopf vorgegangen? Kurt fiel nur wieder die Erklärung ein, die ihm Lukas selbst gegeben hatte. Er war verliebt in ihn. Kurt fragte sich auch, weswegen er Lukas nicht einfach von sich aus zum Teufel gejagt hatte, sondern sich dazu bereit erklärt hatte, über die Sache nachzudenken. Weswegen war da noch immer ein Gefühl von Verbundenheit zu Lukas, obwohl ihn dieser derartig an der Nase herumgeführt hatte? Weswegen war da eine leise Freude darüber, dass Lukas wieder hier war? War da etwa noch etwas von der Freundschaft übrig, die er bereits abgeschrieben hatte? Oder waren Lukas Gefühle nicht nur einseitig? Irgendwie war kaum mehr etwas von dem Ärger und der Wut oder Enttäuschung über Lukas zurückgeblieben. Hatte er ihm nicht schon unbewusst verziehen? Und was war mit seinem Interesse an Hannes weiterem Schicksal? Er kannte diesen launischen Kerl kaum, hatte aber trotzdem das Bedürfnis, in seiner Nähe zu sein und zu wissen, wie es ihm ging. Irgendwann nach dem er die Türe zugezogen hatte, wanderten seine Gedanken auch zu seiner Mutter. Wie fühlte sie sich wohl, wenn er sie so schlecht behandelte? Durch Hannes Verhalten waren ihm die Augen geöffnet worden und er beschloss, sich wenigstens ein bisschen zu ändern und ihr zumindest einen Schritt entgegen zu treten und netter zu ihr zu sein. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Noch am selben Abend wollte er seinen Vorsatz erfüllen. Erfahrungsgemäß wurde es immer spät, wenn sie ihre Freundin besuchte und so beschloss Kurt, für sich und seine Mutter zu kochen. Durch das gemeinsame Abendessen schaffte er zumindest eine angenehmere Grundlage für das Gespräch, das mittlerweile schon überfällig war. Er hielt es für angemessen, endlich einmal seinen geplanten Umzug ihr gegenüber zu erwähnen und sich auch noch einmal für die vielen gemeinen Sachen zu entschuldigen, die er ihr immer wieder an den Kopf warf. Während Kurt Zwiebeln und Knoblauch für die Tomatensoße anbriet, dachte er noch ein bisschen darüber nach, wie er das Thema seiner Mutter gegenüber am besten verpackte. Denn einfach so damit herauszuplatzen, würde bestimmt schief gehen. Sie bekam schnell etwas in den falschen Hals und auch er selbst hatte nicht besonders viel Talent dafür, sich richtig auszudrücken. Am besten wäre es wohl trotzdem, den Umzug möglichst direkt anzusprechen, allerdings keine Anschuldigungen zu machen, und dann abzuwarten, wie sie reagierte. „Oh, du machst Essen. Schön.“, sagte seine Mutter, als sie nach Hause kam. Sie ließ die üblichen Fragen nach seinem Tag bleiben, da sie wusste, dass dieser Frieden etwas Zerbrechliches war. „Und, wie war’s bei Gerda?“, fragte Kurt stattdessen, um die entstandene Pause zu überbrücken während er die Spaghetti in ein Sieb abschüttete. „In Ordnung. Bei der alten Labertasche gibt’s eh nichts Neues. Und bei dir?“, fragte sie vorsichtig. Sie verschwieg, dass sie ihre Freundin besucht hatte, weil sie mit ihr über Kurt und ihr schwieriges Verhältnis zu ihm reden wollte. „Ich hab einen Freund im Krankenhaus besucht. Ihm geht es schon wieder besser.“ Seine Mutter ahnte, dass da etwas im Busch war, doch sie sagte nichts deshalb. Ihr war klar, dass Kurt auf eine weitere Nachfrage mit seiner üblichen Abwehrreaktion kommen würde. Als sie gerade abspülten, rückte Kurt mit der Sprache raus. „Du, hör mal, Mama, ich werde ausziehen. Wahrscheinlich auf Ende Mai.“ Sie nickte. „Ich weiß. Oder ich hab’s mir viel mehr gedacht. Musste ja so kommen.“ Sie dachte an Gerdas Worte von heute Nachmittag und seufzte. „Wohin denn?“ Kurt war überrascht, wie gelassen sie das alles aufnahm. „Nicht weit. Drei Querstraßen weiter in einen der Blocks. Ich hab mir dort letztens eine Wohnung angeschaut, die mir ziemlich zusagt und ich hab auch schon dem Vermieter gesagt, dass ich sie gerne mieten würde. Ein Vertrag muss noch gemacht werden. Und noch was: wenn ich dich ab und zu anschreie, darfst du das nicht so hundertprozentig sehen.“ „Schon okay. Ich gehe dir eben auf die Nerven. Wir sind beide eben eigen.“ Kurt wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Sie nahm das alles einfach so hin, als sei es das Normalste der Welt. Sie konnte wirklich toll sein. „Na ja, du bist immerhin zwanzig Jahre alt. Da ist es klar, dass man raus will.“, sagte sie, als habe sie seine Gedanken gelesen. Er nickte. „Da ist noch was...“, fing er an. „Ja? Was denn?“, fragte sie interessiert und trocknete vorsichtig ein Messer ab. „Ach, vergiss es.“, sagte er dann schnell. Nein, das mit Hanne und Lukas konnte er nicht sagen. Nicht jetzt, wo alles so friedlich war und er sich seinem Verhältnis zu den beiden noch nicht einmal sicher war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)