Shi Ans von Tei ================================================================================ Les Âmes Réunies ---------------- @ all: Wie heißt es? Alle schönen Dinge müssen einmal zu einem Ende kommen. In diesem Sinn wünsche ich euch viel Spaß beim letzten Kapitel von Shi Ans! •••••••••••••••••••• Als Toshi schließlich mit dem Privatjet erneut am Aéroport de Toulon-Hyères landete, waren zwei Wochen seit Yoshikis Tod vergangen. Okaa-san hatte ihm angeboten, mit ihr nach Tateyama zu kommen, doch er hatte abgelehnt. Seine eigene Familie dachte schließlich, dass sein bester Freund bereits vor Jahren verstorben war, da konnte er nicht den obligatorischen Standardbesuch abstatten und so tun, als wäre nichts gewesen wäre. Obwohl es ihn nicht wundern würde, wenn Yoshikis Mutter, seine eigene Mutter längst in alles eingeweiht hatte. Generell stellten hatte Kouki, der in Tokyo geblieben war, um sich um den Nachlass zu kümmern, durch die beiden Tode seines Bruders einige Hürden zu überwinden. Am Ende mussten zwar doch mehr Menschen als beabsichtigt eingeweiht werden, doch zumindest für die Öffentlichkeit konnte der Schein gewahrt werden und das war das wichtigste. In einer Pressemitteilung wurde bekanntgegeben, dass Toshi im Ausland auf die menschlichen Überreste des Bandleaders von X JAPAN gestoßen sei und sie in seine Heimat überführt hatte. Da man kein genaues Todesdatum wüsste, würde von nun an der Tag als Todestag gelten, an dem Yoshiki wieder auf heimischen Boden angekommen war. Es stimmte zwar hinten und vorne nicht, aber Toshi wusste aus Erfahrung zu gut, dass Statements gerne beschönigt wurden. Zudem hatte er Kouki gebeten, sicherzustellen, dass keine Details über das Leben des anderen in Frankreich bekannt würden. Es war ein Leben gewesen, in dem der Rockstar YOSHIKI schon lange nicht mehr existiert hatte, weswegen es auch niemanden etwas anging. Drei Tage nach dem Tod seines besten Freundes wurde dessen Testament eröffnet, doch Toshi ging nicht hin, sondern saß, wie so viele andere Tage auch, einfach nur auf dem Sofa im Penthouse und starrte ins Leere. Manchmal rollte er sich auch auf der Couch zusammen und weinte bittere Tränen, dann wiederum holte er aus Yoshikis Kleiderschrank ein Oberteil, legte sich damit aufs Bett und atmete den Geruch seines besten Freundes ein, solange er noch in den Stofffasern haftete. Er vermisste ihn und egal wie oft Heath, Pata, Sugizo und Kouki auch nach ihm sahen und ihm Gesellschaft leisteten, er hatte das Gefühl, alleine auf der Welt zu sein. Alles erschien ihm sinnlos und zum ersten Mal verstand er aus ganzem Herzen, was Yoshiki gemeint hatte, als er sagte, dass das Leben nicht fair sei. Er selbst hätte tot sein sollen, nicht der Jüngere! Als Kouki schließlich von den Anwälten zurückkam und ihm sowohl die Festplatten, mit den gesamten Werken des anderen, als auch die Notenblätter, auf denen Yoshiki den Zusatz zu seinem Testament geschrieben hatte, übergab, hatte er gedacht, er würde zumindest eine kleine Freude darüber spüren, dass keine rachgierigen Geschäftsleute seinen besten Freund würden ausschlachten können. Doch als er in sich hineinhorchte, war dort nichts außer Leere. Er hatte keine Ahnung, wie es mit dem restlichen Besitz von Yoshiki aussah, wer wie viel bekommen hatte, aber es interessierte ihn auch nicht wirklich. Stattdessen saß er lieber tagein tagaus auf dem Sofa und lauschte der letzten Komposition des Jüngeren. Es war ein leises Stück, das sanft dahinplätscherte und ihn an den Jungen erinnerte, der hinter dem Rockstar und dem Geschäftsmann gewesen war. Wenn er die Augen schloss, dann sah er das Gesicht seines besten Freundes wieder vor sich – ungeschminkt, nicht hinter einer Sonnenbrille versteckt, strahlte er ihn einfach nur an. Und jedes Mal, wenn er ihn erneut sah, brach er wieder weinend zusammen und schluchzte seinen Namen. Er würde ihn nie mehr anstrahlen… nie mehr! Mehr als einmal hatte ihn einer der anderen so vorgefunden und langsam begann er zu verstehen, warum Yoshiki damals vor vier Jahren untergetaucht war, als er gedacht hatte, er wäre tot. Ein Teil von ihm begriff, dass sie ihn trösten und ihm Beistand leisten wollten, doch der andere Teil von ihm wollte sie anschreien, wie denn bitte schön alles wieder gut werden würde, wenn Yoshiki tot war. Und er hatte keine Ahnung, wie lange er diesen zweiten Part noch unterdrücken konnte… Doch eine Lösung schien sich ihm aufzutun, als er eine Woche nach dem Tod seines besten Freundes sein neues Visum für Frankreich erhielt. Zu Beginn hatte er sich gefragt, was er mit der sechsmonatigen Aufenthaltsgenehmigung machen sollte, schließlich musste er nur noch einmal kurz zurück, um Ben und Lara ihre Ketten zu geben und um Fatima Yoshikis Scheck zu überreichen. Allerdings wusste er nicht wirklich, wann er das machen sollte… Er fühlte sich nicht danach, in der Weltgeschichte herumzufliegen. Lieber würde er sich in dem Penthouse verkriechen und für immer schlafen, ohne jemals wieder die Augen zu öffnen. Aber dann begann er sich daran zu erinnern, was ihm Yoshiki über Refuge des Anges erzählt hatte, dass es der einzige Ort gewesen war, an dem er nach seinem Tod hatte Frieden schließen können. Vielleicht würde er dort auch mit seinem Leben wieder ins Reine komme und nicht mehr länger diese Leere verspüren. Toshi wusste, dass Kouki am nächsten Tag mit seiner kompletten Familie, die inzwischen auch eingeweiht war, nach Tateyama fahren würde, sodass er ihn bat, ihn mitzunehmen, da er ihm und seiner Mutter eine Bitte vortragen wollte, von der er nicht sicher war, ob es überhaupt an ihm war, diese zu stellen. Doch Yoshiki zuliebe wollte er es tun… Der Empfang von Okaa-san war herzlich und beim Tee erkundigte sie sich, wie er den Tod ihres Sohnes verkraftete. Er hatte keine Ahnung, was Kouki ihr alles erzählt hatte, aber er beschloss, dass dies wohl die beste Gelegenheit war, auf sein Anliegen zu sprechen zu kommen, da die Frage es geradezu anbot. Außerdem befanden sich ihre Enkelkinder, vor denen er diese Thematik nicht unbedingt diskutieren wollte, derzeiti m Obergeschoss, um zu spielen. „Um ehrlich zu sein, Okaa-san, ich wollte dich deshalb um etwas bitten“, begann er und rutschte seitlich von dem Teetisch weg und verbeugte sich tief. „Worum geht es, Toshimitsu?“ „Ich habe gestern mein neues Visum für Frankreich erhalten und beschlossen an jenen Ort zurückzukehren, wo Yoshiki die letzten Jahre über gelebt hat. Es ist ein kleines Fischerdorf an der Südküste Frankreichs und laut Yocchan war dies der einzige Ort, an dem er akzeptieren konnte, dass ich tot bin, und wo er wieder anfangen konnte zu leben“, erklärte Toshi mit leiser Stimme. Er hatte sich wieder aufgerichtet, hielt den Kopf jedoch gesenkt und konnte nicht verhindern, dass ihm bei den Erinnerungen an seinen besten Freund die Tränen kamen. „Er hat dort oben auf den Klippen in einem kleinen Cottage gelebt… ganz am Rand hat er zu meinem Gedenken eine Rose gepflanzt… Man hat von dort einen wunderschönen Blick über das Meer…“ „Du möchtest dort für längere Zeit bleiben?“ „Ja… Ich weiß nicht für wie lange… vielleicht ein paar Wochen oder die gesamte Dauer meines Visums… ich weiß es nicht, Okaa-san. Alles, was ich weiß, ist, dass ich nicht hier bleiben kann… ich… ich kann es einfach nicht… Ich weiß nicht warum, aber ich kann einfach nicht… Es ist… alles ist einfach…“ Immer mehr Tränen rannen ihm über seine Wangen und er biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschluchzen, doch der Schluchzer kam ihm trotz allem über die Lippe. „Es ist… es ist, als wäre meine Seele mit ihm gegangen… und… und nur mein Körper ist noch hier gefangen…! Es ist… es ist meine Schuld, dass er… wenn ich damals nicht den Unfall gehabt hätte… Ich hätte nicht nach Tokyo zurückkommen sollen… ich hätte bei ihm in LA bleiben müssen… dann… dann wäre er nicht…“ Er war vollends weinend zusammengebrochen und blickte überrascht aus verheulten Augen auf, als ihn jemand in die Arme nahm und an eine Brust drückte. Verschwommen konnte er das Gesicht von der Mutter seines besten Freundes wahrnehmen, die ihn leicht hin und her wiegte und durch seine Haare strich. „Du hoffst, dass du dort deinen Frieden finden kannst, so wie Yocchan es getan hat“, äußerte sie mit leiser, zitternder Stimme. „Ich… ich kann nicht hierbleiben, Okaa-san… ich kann… einfach nicht… Alle sagen… ‚Alles wird schon wieder gut‘… aber wie kann… kann alles wieder gut werden… wenn… wenn Yoshiki…?“ „Es wird besser werden, Toshi, das musst du mir glauben… es braucht Zeit und auch nach 30 oder 40 Jahren wirst du den Schmerz noch spüren, aber nach und nach werden die Momente kommen, in denen du auch wieder etwas anderes spürst als den Verlust… erst einzeln und selten, doch dann immer öfter. Und wenn du denkst, dass du es dort vielleicht leichter kannst, als hier, dann solltest du gehen…“ „Ich hoffe es“, entgegnete Toshi leise und löste sich aus ihrer Umarmung, um sich über die Augen zu wischen. „Aber versprich, dass du dich ab und an meldest, damit wir wissen, wie es dir geht… und deine Familie auch.“ „Mach ich“, versprach er und nickte leicht, wobei er erneut den Kopf gesenkt hielt. „Gib mir Bescheid, wann du fliegen möchtest und ich lass dir den Jet startklar machen“, äußerte Kouki leise, der mit seiner Frau bisher stumm am Tisch gesessen hatte. „Danke, Kouki…“ „Und wenn du wieder nach Hause willst, dann ruf an und ich lass dich abholen.“ „Danke…!“ „Du sagtest, du hättest eine Bitte, Toshimitsu…“, erinnerte sich Yoshikis Mutter und legte eine Hand auf die seine. „Ich… ich möchte dich und Kouki um Erlaubnis bitten, einen Teil von Yocchans Asche mit nach Frankreich nehmen zu dürfen, um sie dort unter der Rose auf der Klippe beizusetzen.“ Erneut hatte er sich tief verbeugt und die Augen geschlossen, während er ihr Urteil abwartete. „Ich denke, dass das nach einem Ort klingt, an dem Yoyo glücklich wäre“, entgegnete Kouki, wobei man aus seiner Stimme ein leichtes Lächeln heraushören konnte. „Du hast unseren Segen dazu, Toshi“, fügte Yoshikis Mutter hinzu und legte einen Finger unter sein Kinn um es anzuheben und ihn anzulächeln, als er die Augen wieder aufschlug. Ein paar Tage später kehrte er dann erneut nach Tateyama zurück, um der kleinen Zeremonie beizuwohnen, in der Yoshikis Urne noch einmal geöffnet wurde und einige seiner Knochen in das kleinere Gefäß gelegt wurden, welches Toshi mit sich gebracht hatte. Als er sich am Abend von Okaa-san verabschiedete, um am nächsten Nachmittag zurück nach Frankreich zu fliegen, vertraute er ihr die Festplatten mit Yoshikis Werken an und sie versprach, sie gut für ihn in Verwahrung zu halten. Gepackt hatte er am Morgen darauf relativ schnell, da es eigentlich nur vier Dinge gab, auf die er Wert legte, dass er sie dabei hatte: die Knochen seines besten Freundes, die beiden Ketten von Ben und Lara sowie den Umschlag für Fatima. Der Rest bestand aus wahllos hineingeworfenen Klamotten, zwischen denen er sorgfältig die CD mit Toshi no uta sowie einige Bilder verstaute. Insofern war er früher als geplant am Flughafen, wo er überrascht feststellen musste, dass nicht nur Heath, Pata und Sugizo gekommen waren, um ihn zu verabschieden, sondern auch Yoshikis Familie sowie seine eigene. Er sagte ihnen allen Lebewohl und versprach, sich zu melden, doch während die anderen sein Gehen wohl ziemlich schwer nahmen, glaubte er, zum ersten Mal seit Yoshikis Tod, etwas anderes als Schmerz zu spüren. Zwar konnte er das Gefühl nicht beim Namen nennen, doch es erinnerte ihn an Glück und Vorfreude… Und so stand er nun erneut am Aéroport de Toulon-Hyères und wartete darauf, dass er seinen Mietwagen in Empfang nehmen konnte, um zurück nach Refuges des Anges zu fahren. Wenig später befand er sich auf der Straße und fuhr denselben Weg zurück, den er erst vor wenigen Wochen genommen hatte. Die Urne mit Yoshikis Knochen hatte er gut gepolstert in einer Tasche verstaut, die sich nun angeschnallt auf dem Beifahrersitz befand. „Du bist wieder zuhause, Yocchan“, flüsterte er und blickte kurz zu seinem besten Freund, als er das Ortsschild des Dorfes passierte, „ich hatte dir doch versprochen, dass ich dich zurückbringen würde…“ Langsam lenkte er den Wagen durch die schmalen Straßen, ehe er schließlich den Ort selbst hinter sich ließ und die steile Küstenstraße hochfuhr. Er erkannte jene Stelle wieder, an der er gehalten hatte, um einen weinenden Yoshiki zu fragen, ob er hier bleiben wolle und er alleine nach Japan zurückfliegen solle. Insgeheim war er froh, dass der Jüngere damals den Kopf geschüttelt hatte und mit ihm gekommen war. Schließlich bog er in den geschotterten Privatweg ein und folgte ihm bis zum Haupthaus, wo er den Wagen neben Fatimas Geländewagen und Yoshikis Twingo abgestellte. Vorsichtig schnallte er die Urne ab, nahm die Tasche an sich und stieg dann aus, um zur Haustür zu gehen und zu klingeln. Seit er mit dem kleinen Gefäß aus Tateyama zurückgekehrt war, hatte er es praktisch keine Sekunde aus den Augen gelassen und stets bei sich gehabt. Oft genug hatte er sich dabei ertappt, wie er mit den Knochen sprach, so als würde noch immer sein bester Freund neben ihm sitzen. Er musste nicht lange warten, ehe ihm Fatima die Tür öffnete und ihn überrascht ansah, ihn dann aber herzlich begrüßte und ihm ganz Französisch ein Küsschen links und ein Küsschen rechts auf die Wange drückte. „Toshi, ça me fait plaisir de vous voir! Entrez!“ „Tout le plaisir est à moi, Fatima!“, entgegnete er und rang sich ein kleines Lächeln ab, ehe er ihrer Aufforderung nachkam und eintrat. Seit Yoshikis Tod war ihm eigentlich nicht mehr zum Lachen zumute, allerdings wollte er auch nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen. Doch anscheinend brauchte er das auch nicht, denn Fatima blickte kurz zur Tür hinaus, sah sich suchend um und wandte sich dann ihm zu, wobei ihre Lippen einen schmalen Strich bildeten. „Yoshi… il est…“ „Oui“, bestätigte er leise und drückte die Urne fest an sich. „Es… tut mir leid, Fatima…“ „Nein, mir tut es leid“, äußerte sie leise und legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter, „Sie hatten ihn gerade erst wieder gefunden….“ Für einen Moment sah sie ihn an und Toshi konnte den Schmerz in ihren Augen sehen, ehe sie ihn aufforderte mitzukommen und sie ihn ins Wohnzimmer führte, wo Ben und Lara sich über einem Playstationspiel geschwisterlich zofften, jedoch direkt auf Pause drückten, als sie Toshi sahen. „Wo ist Yoshi?“, fragte Lara und blickte sich suchend um, „Ich habe mit einem neuen Song angefangen, er muss ihn sich unbedingt mal anhören! Und mir an ein paar Stellen mit dem Fingersatz helfen, meiner ist irgendwie nicht so gut…“ Toshi sah zu der 17-Jährigen und anschließend zu ihrem älteren Bruder, wobei er glaubte, bei ihm bereits so etwas wie Erkenntnis zu sehen, so als wüsste er bereits, was Sache war. Hatte er etwa die Pressemitteilung gelesen, die auf Japanisch und Englisch veröffentlicht worden war? Schließlich wusste er über Yoshikis Vergangenheit Bescheid… Alles in ihm wollte den beiden sagen, dass ihr Freund nicht mehr zurückkommen würde, doch bereits als er sich die französischen Worte im Kopf zurecht legte, konnte er spüren, wie ihm die Tränen in die Augen schossen, sodass er nur stillschweigend in die Tasche seiner Jeans griff, die Ketten der beiden hervorholte und sie ihnen hinhielt. „…….. Nein…“ Für einen Moment starrte Lara auf die Anhänger, die von Toshis Finger baumelten, ehe sie aufsprang, sich weinend gegen ihn warf und die Arme um ihn schlang. Überrumpelt stand er zunächst da, hielt sie dann aber fest, während er gleichzeitig die Tasche an sich drückte. Unterdessen war Ben aufgestanden und zu ihm gekommen, hatte die Ketten an sich genommen und seine kleine Schwester zu sich gezogen. „Danke, dass Sie die Ketten zurückgebracht haben…“ „Yocchan hatte es euch versprochen“, entgegnete Toshi leise und wischte sich rasch über die Augen, ehe er Fatimas Aufforderung nachkam und sich hinsetzte, wobei sie neben ihm Platz nahm, während ihre Kinder sich erneut auf die Couch setzten, auf der sie zuvor schon gesessen hatten. „Wann ist Yoshi…?“ „Heute vor zwei Wochen“, antwortete Toshi auf Fatimas Frage, „genau an dem Tag, an dem er vor vier Jahren dachte, dass ich gestorben wäre…“ Er biss sich auf die Unterlippe und langte dann in die Innentasche seiner Lederjacke, aus welcher er den Umschlag zog, den Yoshiki ihm anvertraut hatte, und gab ihn Fatima, die ihn verwirrt ansah. „Was ist das?“ „Yocchan hat mich geben, Ihnen diesen Brief zu geben“, erklärte er leise und wartete darauf, dass sie ihn öffnete und dessen Inhalt zu Tage förderte. Als erstes fiel ihr der Scheck in die Hand und ihre Augen weiteten sich geschockt, als sie den Betrag darauf las. „Das… das ist…“ „Was ist, Maman?“, wollte Ben wissen, woraufhin ihm seine Mutter nur den Scheck reichte, sodass er und seine Schwester einen Blick darauf warfen. „Heilige Scheiße…!“, entfuhr es dem 19-Jährigen und er reichte das kleine Stück Papier zurück, während seine Schwester nur murmelte, dass sie noch nie so viele Nullen auf einmal gesehen hätte. „Das… das kann ich unmöglich annehmen, Toshi!“, äußerte Fatima und wollte ihm schon den Scheck geben, als er ihre Hand zurückdrückte und sie bat, den Brief zu lesen, der mit dabei war, sodass sie diesen nahm, auseinanderfaltete und dann laut vorlas, doch statt ihrer Stimme konnte Toshi die seines besten Freundes hören. „Liebe Fatima, wenn du diesen Brief liest, dann bin ich bereits tot und du hast den Umschlag mit diesem Brief und dem Scheck gefunden. Es gibt vieles, das ich dir und den Kindern nie über mich erzählt habe, weil ich es als irrelevant ansah. Dass ich früher einmal Geschäftsmann war, war nur die halbe Wahrheit… in erster Linie war ich ein erfolgreicher Musiker. Doch nach dem Tod meines besten Freundes war dieses alles nichtig. Ich hatte das Gefühl, mit ihm gestorben zu sein… Ohne ihn erschien mir mein bisheriges Leben nicht mehr lebenswert… Und so bin ich nach Frankreich gekommen, ohne wirklich zu wissen, was ich hier eigentlich wollte… was ich suchte. Vielleicht war es Schicksal, dass du mich damals aufgelesen hast, ich weiß es nicht. Doch was ich weiß, ist, dass ich hier das erste Mal seit langem das Gefühl hatte, dass tief in mir drin vielleicht doch noch Leben sein könnte, dass nicht meine komplette Seele ins Jenseits gegangen ist. Weißt du, mein bester Freund und ich, wir kannten uns von klein auf… Wir sind miteinander aufgewachsen, sind zusammen nach Tokyo gegangen und gemeinsam erfolgreich geworden. Die Welt, die so viele Jahre lang mein Zuhause war, ist rau, doch wann immer ich mich umdrehte, war da mein bester Freund und hat mich angelächelt, sodass ich wusste, alles würde gut werden, egal was war. Wann immer du mich in den vergangenen Jahren angelächelt hast, hatte ich ein ähnliches Gefühl… Ich konnte ernsthaft daran glauben, dass es doch irgendwie möglich sein konnte, in einer Welt ohne meinen besten Freund zu überleben. Fatima, ich weiß nicht, wie ich dir für alles danken kann, außer dass ich dir diesen Scheck ausstelle, der diesem Brief beiliegt. Ich kenne mich mit Pferden nicht wirklich aus – das einzige, von dem ich wirklich Ahnung habe, ist Musik – aber ich hoffe, dass der Betrag ausreicht, damit du deine Zucht wieder aufbauen kannst und dann noch genügend Geld übrig ist, um ein paar Hilfskräfte anzuheuern. Wenn es zu wenig ist, dann hoffe ich, dass es wenigstens dafür reicht, Ben und Lara wieder ihre eigenen Pferde zu kaufen. Ich danke dir und den Kindern für alles, doch für mich ist es nun an der Zeit, meinen besten Freund endlich wieder in die Arme zu schließen. In Liebe Yoshi“ Tief durchatmend legte Fatima den Brief beiseite und blickte dann zu Toshi, der sich rasch über die Augen wischte. Yoshiki hatte sich ohne ihn genauso leer und tot gefühlt, wie er jetzt… „Wussten Sie, was…?“ „Nicht den genauen Wortlaut… Yocchan hat mir nur grob erzählt, was in etwa drin steht und dass er möchte, dass Sie das Geld bekommen.“ „Das ist so viel“, äußerte Fatima kopfschüttelnd und nahm wieder den Scheck in die Hand, um den Betrag anzustarren. „Yoshiki hat Geld nie eine große Bedeutung zugeschrieben“, erklärte Toshi, „er hat immer gesagt, wenn er die Wahl hätte zwischen allem Geld der Welt und einem einzigen Freund, auf den er vertrauen kann, dann würde er immer den Freund wählen…“ „… Ich kann einfach nicht glauben, dass er...“ Immer wieder schüttelte Fatima ungläubig den Kopf, ehe sie ihn einfach kurz umarmte, „Danke, dass Sie hergekommen sind, Toshi.“ „Ich hatte ihm geschworen, Ihnen den Brief zu geben und außerdem hatte er schließlich versprochen, die Ketten zurückzubringen. Allerdings… allerdings hätte ich auch noch zwei Anliegen…“ „Natürlich…!“ „Ich würde gerne für eine Weile oben in Yoshikis Cottage bleiben, wenn das in Ordnung ginge… Ich zahle natürlich Miete und wenn Lara möchte, kann ich ihr weiter Klavierstunden geben.“ „Das ist kein Problem“, erklärte Fatima lächelnd und blickte kurz zu ihrer Tochter, die ebenfalls nickte. „Und dann… dann wollte ich fragen, ob es möglich wäre, einen Teil von Yocchans Asche oben an den Klippen zu begraben, dort wo er für mich eine Gedenkstelle errichtet hat…?“ „Einen Teil von Yoshis Asche?“, wiederholte Ben irritiert. „Er wollte die ganze Zeit über hierher zurück… ich hatte ihm versprochen, mit ihm so schnell wie möglich wieder herzukommen…“, antwortete Toshi und drückte die Urne an sich. „Ich denke, ihm würde es dort oben gefallen“, äußerte Fatima nachdenklich, „er hat so oft dort oben gesessen und aufs Meer hinaus gestarrt… Ich werde ein paar Männer aus dem Dorf anrufen, damit sie beim Graben mithelfen! Der Boden ist sehr hart und steinig… Und Henri könnte den Gedenkstein gravieren… Er hat in seiner Werkstatt die entsprechenden Geräte dazu und hat schon das ein oder andere kleine Kunstwerk aus bloßem Stein geschaffen!“ „Danke…!“ Zwei Tage später hatte sich am Abend sicherlich das ganze Dorf oben an den Klippen eingefunden, um sich von Yoshiki zu verabschieden. Die Nachricht von seinem Tod musste sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet haben und so zurückgezogen, wie er gelebt hatte, hätte Toshi es nicht verwundert, wenn kaum einer von seiner Existenz gewusst hätte, doch anscheinend hatte jeder einmal irgendwann mit ihm Kontakt gehabt. Nachdem er die Urne langsam in das gegrabene Loch hatte gleiten lassen, schaufelten er und Fatima es wieder zu und mehrere Männer aus dem Ort setzten den Gedenkstein schließlich darüber ab. Toshi hatte keine Ahnung, was dieser Henri letztendlich wirklich genau machte – eigentlich war er wohl Mechaniker – aber er hatte ein kleines Wunder mit dem Stein vollbracht. Zuerst hatte er ja gedacht, alleine den Namen einzugravieren, wäre schon zu viel von dem alten, rundlichen Mann verlangt gewesen, doch er hatte von sich aus vorgeschlagen, noch eine einzelne Rose hinzuzufügen, weil Yoshi schließlich so vernarrt in diese Pflanze war und sie dank ihm nun überall auf der Klippe wuchs. Zögernd hatte Toshi dem zugestimmt und war positiv von dem Resultat überrascht gewesen. Er konnte sich vorstellen, dass es Yoshiki gefallen hätte. Als der Stein nun auf der Grabstelle lag, stand er etwas abseits und lauschte den Anekdoten, die die Menschen über seinen besten Freund erzählten und dann nach und nach eine einzelne Rose auf dem Gedenkstein ablegten. Toshi war der letzte, der herantrat, doch er stand nur schweigend davor, während ihm Tränen über die Wangen rannen und er auf den Strauch blickte, der noch immer blutrote Blüten hervorbrachte, obwohl es mittlerweile Herbst war. Schließlich ging er in die Hocke und legte eine Hand auf den Stein. Zärtlich strich er die Gravur nach und biss sich auf die Unterlippe. Er vermisste ihn so sehr! Entfernt konnte er wahrnehmen, wie die anderen leise in Richtung Haupthaus hinunter gingen und Fatima ihm kurz eine Hand auf die Schulter legte, nur um ihn dann ebenfalls mit seinem besten Freund alleine zu lassen. „Ich hoffe, du bist glücklich, Yocchan… wo immer du jetzt auch sein magst…“, schluchzte er leise, „Ich hoffe, du bist jetzt wieder mit hide und deinem Vater vereint…“ Er wischte sich über die Augen, doch es brachte nicht wirklich viel, da direkt neue Tränen nachkamen. „Ich vermisse dich, Yocchan… jeden Tag… jede Minute… Es tut so weh zu wissen, dass ich nie mehr neben dir aufwachen werde… dass ich dich nie mehr im Arm halten kann… dass ich nie mehr für dich singen kann… Ich fühl mich ohne dich so tot… so leer… so als wäre meine Seele bereits bei dir… Am liebsten würde ich dir einfach folgen, sodass wir wieder zusammen sind… aber… aber ich verspreche dir… ich werde versuchen zu leben… ich verspreche es… ich versuche es…!“ Schluchzend legte er die einzelne, rote Rose auf den Stein, als er plötzlich verwirrt aufsah, da er glaubte, gehört zu haben, wie ihn jemand rief. Aber das war schließlich unmöglich…! Das konnte nicht sein…! Doch er würde diese eine Stimme jederzeit, überall erkennen…! „…Tocchi!“ „Yocchan?“ Seine Stimme war vom Weinen ganz brüchig. „Bist du das?“ „… Tocchi!“ Wie war das möglich? Spielten ihm seine Ohren einen Streich? Halluzinierte er? „Yocchan!!“ „… Tocchi!“ Es war ganz eindeutig die Stimme seines besten Freundes. Doch woher kam sie? Wo war er? Suchend blickte er sich mit tränenverschleierten Augen um, konnte jedoch nichts sehen. Dafür machte er den Fehler und blickte direkt in die untergehende Sonne, die als roter Feuerball im Meer versank, sodass er seine Lider für einen Moment schließen musste. Als er sie gleich darauf wieder öffnete, nahm er nicht war, dass er nicht mehr länger an der Mittelmeerküste war, sondern sich in einem klimatisierten Büro an der Westküste der USA befand und auf einer schwarzen, ledernen Couch lag. Das einzige, das er sah, war Yoshiki, der sich über ihn gebeugt hatte und ihn mit Sorgenfalten auf der Stirn ansah. Mehrmals blinzelte er, nur um sich ganz sicher zu sein, dass es nicht doch Kouki war, aber die Person, die er erblickte, blieb dieselbe: sein bester Freund! „Na endlich, Toshi!“ „Yocchan!!“ Überglücklich hatte er sich aufgesetzt und sich mit einer solchen Wucht gegen den anderen geworfen, dass dieser aus dem Gleichgewicht kam, nach hinten wegkippte, und schließlich am Boden lag. Da Toshi nicht einmal im Traum daran dachte, ihn loszulassen, wurde er einfach mit von dem Sofa gezogen und kam auf dem anderen zum Liegen, um den er so fest wie nur irgend möglich die Arme geschlungen hatte. Es war ihm gerade völlig egal, wie es dazu gekommen war, dass er seinen besten Freund wieder hatte. Hauptsache war, dass er ihn zurück hatte und er kerngesund aussah. Alles andere war Nebensache, solange er nur Yoshiki wieder in die Arme schließen konnte und es ihm gut ging. Er verbarg sein Gesicht in der Halsbeuge des Jüngeren, als Freudentränen über seine Wangen rannen und seine Schultern bebten. „Ich bin so froh, dich wieder zu haben, Yocchan… ich hab dich so vermisst…!“ „Äh… Tocchi… alles okay?“, hakte Yoshiki vorsichtig nach, der ziemlich bewegungsunfähig am Boden lag und nicht wirklich nachvollziehen konnte, weshalb sein bester Freund gerade so aufgelöst war. Es war natürlich schön zu wissen, dass er vermisst wurde, aber etwas übertrieben war das schließlich schon, da er ja nur ein paar Räume weiter im Aufnahmestudio gewesen war. In der Hoffnung, den Älteren zu beruhigen und dann in Erfahrung bringen zu können, was überhaupt los war, strich er beruhigend über den bebenden Rücken über sich, was jedoch nur darin resultierte, dass der andere ihn noch stärker festhielt und er doch begann, sich ein wenig um seine Rippen zu sorgen. „Es ist mir egal, dass wir jetzt beide tot sind… solange ich dich nur wieder habe…“, flüsterte Toshi unter Tränen und drückte sich an den Jüngeren. Er würde ihn nie mehr loslassen! Nie mehr! Zwar hatte er keinerlei Ahnung, weshalb er nun auch plötzlich gestorben war, aber das war letztendlich auch egal. Hauptsache er hatte den anderen wieder! „Tot?“, wiederholte Yoshiki skeptisch und zog eine gebleichte Augenbraue nach oben. Was für einen Unsinn hatte sein bester Freund denn da zusammengeträumt? Da war er mit seinem Reismonster ja noch harmlos! Ob Toshi überhaupt schon realisiert hatte, dass er wieder in der Realität war? Besser er ging auf Nummer sicher und zwickte ihn mal in die empfindliche Haut am Hals! „Au!“ Irritiert richtete sich der Ältere auf, als sich die Fingernägel des anderen plötzlich in seine Haut bohrten, und sah zu dem Jüngeren, der sich aufsetzte, nun da er selbst nicht mehr auf dessen Oberkörper lag. Zum ersten Mal nahm er seine Umgebung wirklich wahr und er musste feststellen, dass das Jenseits irgendwie verdächtig nachh Yoshikis Büro in LA aussah…! „Denkst du, das würde weh tun, wenn du tot wärst?“, fragte der Jüngere und wischte mit dem Daumen sanft die Tränen aus Toshis Gesicht, während er ihn anlächelte. „Keine Ahnung, du bist länger tot als ich!“ „Warum sollte ich tot sein?!“ „Weil… weil du in meinen Armen gestorben bist!“ „Also mein letzter Stand der Dinge war, dass ich quietschlebendig bin – abgesehen von den ganzen Wehwehchen, aber das ist ja nun nicht wirklich wichtig – und du auch! Heath, Pata und Sugi jammern zwar herum sie wären tot, weil ich sie seit zwei Tagen im Studio gefangen halte, damit wir mit den Aufnahmen am neuen Album vorankommen, aber so lautstark wie sie nach Pausen fordern, können die nicht wirklich tot sein. Somit sind wir alle quietschlebendig!“, endete Yoshiki mit seiner ausführlichen Erklärung und strahlte den Älteren an, der nur verwirrt dreinblickte. „Neues Album?“ „Okay, ich gebe zu, so neu ist es nun auch wieder nicht mehr, weil wir schon seit etlichen Jahren daran arbeiten, aber…“ Er unterbrach sich selbst, als er praktisch die imaginären Fragezeichen sehen konnte, die um Toshis Kopf herumschwirrten. „Du hast geträumt, Tocchi“, versuchte er stattdessen einen neuen Ansatz und zog seinen besten Freund zu sich in die Arme. „Wir haben die ganze letzte Nacht durch die Vocals für den neuen Song aufgenommen. Als wir fertig waren – vor so ca. vier Stunden – meintest du, du würdest dich in meinem Büro etwas hinlegen und schlafen. Vor etwa zehn Minuten oder so ist Amy zu mir ins Studio gekommen, um mich an meinen Arzttermin in zwei Stunde zu erinnern und meinte, ich sollte vielleicht mal nach dir sehen, weil du ziemlich unruhig schlafen würdest. Also bin ich hergekommen und du hast im Schlaf geweint und meinen Namen geschrien… Ich hab ewig lange gebraucht, um dich endlich wach zu bekommen und dann bist du direkt über mich hergefallen, sodass wir jetzt hier auf dem Boden sitzen“, erklärte Yoshiki und strich durch die Haare seines besten Freundes, der die Arme um ihn geschlungen hatte und sich an ihn schmiegte, während er ihn völlig irritiert ansah. „Die… die vier Jahre waren nur ein Traum?“ „Du hast über einen Zeitraum von vier Jahren geträumt?“ „Es war alles so real… die Emotionen… einfach alles…“ Das hieß, er hatte nie den Unfall gehabt, Yoshiki war nie verschwunden, er hatte nie drei Jahre lang nach ihm gesucht, nur um ihn dann kurz darauf sterben zu sehen? „Es war nur ein Traum, Tocchi“, sprach der Jüngere beruhigend auf ihn ein und hielt ihn fest, „nichts davon war echt… keiner von uns ist tot, wir sind beide am Leben!“ Wie intensiv musste der Traum gewesen sein, dass der andere im Schlaf weinte, nach ihm rief und selbst im Wachzustand noch glaubte, dass es real gewesen war? „Es war so echt…“, murmelte Toshi und versuchte so nah wie möglich bei dem Jüngeren zu sein. Er konnte noch immer den Schmerz und die Leere spüren, die er über Yoshikis Verlust gefühlt hatte. Und wenn er daran dachte, wie sein bester Freund in seinen Armen gestorben war, dann schossen ihm erneut die Tränen in die Augen, sodass er sich nur fester im Hemd des anderen verkrallte. „Shhh, alles okay“, murmelte Yoshiki und wiegte den Älteren leicht hin und her, als er sah, dass er erneut zu weinen anfing. „Ich geh nirgendwo hin, versprochen! Ich bleibe hier bei dir… ich halte dich solange im Arm, wie du willst…“ Er hoffte nur, dass Heath, Pata und Sugizo nicht die Gunst der Stunde nutzten und stiften gingen, sodass er dann später ohne Bassist und ohne Gitarristen war. „Ich werde den Arzttermin absagen und bei dir bleiben, versprochen!“ „……. Arzttermin?“, nuschelte Toshi gegen Yoshikis Oberteil und blickte fragend auf. „Ja, dieser dämliche Kontrolltermin wegen der Schilddrüse“, antwortete der Jüngere, „aber ich verschieb den einfach auf irgendwann anders. Ist ja auch egal, ob ich da heute hin geh oder nächste Woche!“ „Nein… nein!“ Toshi riss sich los und blickte dem anderen direkt in die Augen, wobei Yoshiki glaubte, fast so etwas wie Angst darin zu erkennen. Er würde nach und nach schon noch erfahren, was genau sein bester Freund geträumt hatte. Jetzt war erst einmal wichtig, dass er sich wieder beruhigte und realisierte, dass das alles nur ein Traum gewesen war und absolut rein gar nichts davon der Realität entsprach. „Du musst dahin gehen! Du musst…!!“ „Toshi, das ist nur ein Arzttermin, davon geht die Welt nicht unter. Eigentlich hätte ich da eh schon vor zwei Wochen hingemusst, aber dann war ich so im Stress, das es nicht geklappt hat und wie du siehst, dreht sich die Welt noch immer um die Sonne und daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich den noch einmal um eine Woche oder so verschiebe.“ „Nein, du musst hingehen!!“, beharrte der Ältere und musste an seinen Traum zurückdenken. Er durfte sich auf keinen Fall auch nur in irgendeiner Weise wiederholen, das musste er verhindern! „Es ist nur ein Arzttermin, Tocchi“, entgegnete Yoshiki und zog ihn wieder an sich. „Du musst hingehen, Yocchan! Du musst!!“ Flehend sah er ihn an. „Okay, wenn es dir so viel bedeutet, geh ich eben hin“, gab sich der Jüngeren geschlagen und ließ sich nach hinten fallen, sodass er erneut auf dem Boden lag und Toshi auf ihm drauf. „Gut“, nuschelte der Ältere und kuschelte sich an die Brust des anderen. Es tat so gut, ihn endlich wieder zu haben, auch wenn er ihn offensichtlich nie verloren hatte, doch für ihn fühlte es sich trotz allem so an. „Willst du mitkommen?“ „Gerne…“ „Dann müssen wir Heath, Pata und Sugizo nur im Studio einsperren. Nicht dass die meinen, sie könnten mir noch entkommen…“, überlegte Yoshiki und strich in unregelmäßigen Mustern über Toshis Rücken, der sich an ihn drückte und ein Bein zwischen die seinen geschoben hatte. „Gönn ihnen ein paar Stunden Pause, dann meutern sie auch nicht die ganze Zeit…“ „So werden wir aber nie fertig…“ „Die paar Stunden…“ „Ich hab einen Vorschlag: wir machen alle für heute Schluss, wenn du mir dafür später erzählst, was du genau geträumt hast, dass du so durch den Wind bist.“ „….. okay“, stimmte Toshi zu und hob kurz den Kopf an, um Yoshiki ins Gesicht zu sehen, ehe er ihn wieder auf seine Brust legte und dem beständigen, ruhigen Herzschlag des anderen lauschte. Nur zu deutlich konnte er sich noch daran erinnern, wie er bei dem reglosen Körper seines besten Freundes im Bett gelegen und vergebens darauf gehofft hatte, noch einmal sein Herz zu hören. Doch das war alles nur ein Traum gewesen, nichts davon war real gewesen… Sein Unterbewusstsein hatte lediglich aus seinen Ängsten eine glaubwürdige Geschichte zusammengesponnen, die jedoch auch nur dies war: eine Geschichte, Fiktion… „Ne… Yocchan…“ „Was ist, Tocchi?“, fragte der Angesprochene leise und hob den Kopf an. „Hast du jemals Platons Symposium gelesen?“ „Willst du jetzt Literatur mit mir diskutieren?“ „Hast du?“ „Vor Jahren mal… war aber ziemlich schwerer Stoff, sodass ich mich nicht wirklich mehr an die Handlung erinnere… lediglich eine Stelle: Platons Theorie des Urmenschen…“ „ Vier Arme…“ „… vier Beine…“ „… und zwei Gesichter…“ „So in etwa komm ich mir gerade vor“, schmunzelte Yoshiki und schlang ein Bein um Toshi, während er seine Umarmung verstärkte. „Ne… Yocchan…“ „Ja?“ „… ich denke, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich nur vier Jahre meines Lebens mit der Suche zubringen musste, ehe ich damals im Kindergarten diesen kleinen, zierlichen Jungen weinend in einer Ecke habe sitzen sehen…“ ENDE •••••••••••••••••••• Und wieder ist eine Monsterstory zu Ende. In diesem Sinne vielen, vielen Dank, dass ihr der FF ein Jahr lang die Treue gehalten habt! Ein dickes Dankeschön geht auch an meine lieber Betaleserin , dass sie sich mal wieder durch über 100 Seiten Tei’sches Deutsch gekämpft hat und sich dazu auch noch mein Französisch angetan hat. Ich weiß, ich bin nicht immer die einfachste und trotzdem gibst du seit ca. fünf Jahren jeder meiner Stories den letzten Schliff. Ein zweites dickes Dankeschön geht an , dass sie mir so lange in den Ohren gelegen hat, die Story zu beenden und sie immer als Versuchskaninchen hergehalten hat, ob es denn auch wirklich traurig genug ist. Ich verspreche, sollte ich jemals wieder was in der Art schreiben, schicke ich dir die Heulstellen erst nach Feierabend! Zum Ende von Shi Ans muss ich gestehen, dass die Story eigentlich nie so enden sollte. Ursprünglich (d.h. irgendwann Anfang 2011) hatte ich die Idee zu einer FF, in der einmal wieder die Freundschaft zwischen Yoshiki und Toshi im Mittelpunkt stehen sollte. Im Grunde war der Storyverlauf so geplant gewesen, wie er auch stattgefunden hat, mit dem Unterschied, dass Yoshiki in Refuge niemals krank wurde. Toshi hat ihn dort gefunden, sie verbrachten ein paar nette Tage und Toshi kehrte dann alleine nach Japan zurück, nachdem er Yoshiki versprochen hatte, nie ein Wort darüber zu verlieren, dass er ihn gefunden hatte. Als ich alles soweit durchgeplant hatte, hatte ich die Idee mit besprochen – fand sie nicht schlecht, nur das Ende sollte anders sein. Irgendwann kam dann von ihr der Vorschlag „Lass ihn sterben, dann macht das Ende mehr Sinn.“ …… Ich musste zustimmen, die Idee war gut und gefiel mir besser als meine eigene (siehst du, Kao, ich hör doch auf dich ^.^). Also fing ich an, die Story mit neuem Ende zu planen und kam dabei schnell zu dem Ergebnis: Ich kann zwar ohne mit der Wimper zu zucken den gesamten GacktJOB abmurksen (kleiner Insider), aber Yoshiki kann ich beim besten Willen nicht sterben lassen. Damit hatte ich die Story dann begraben, denn ich hatte mich mittlerweile so sehr mit Kaorus Idee angefreundet, dass ich zu meiner ursprünglichen Idee nicht mehr zurückkehren wollte. Somit lag die Story dann monatelang auf Eis, bis mich LunaLee dazu brachte, sie erneut auszukramen und noch einmal darüber nachzudenken… während einer dieser schlaflosen Nächte, in denen ich für gewöhnlich ganze Romane durchplane, hatte ich den Geistesblitz, Kaorus Idee beizubehalten, sie aber zu erweiter: Yoshiki würde sterben, aber nur in Toshis Traum – das war eine Möglichkeit mit der ich leben und die ich auch schreiben konnte. Et voilà Shi Ans was born! Nun bin ich natürlich gespannt, was ihr von diesem Ende haltet oder ob ihr euch vielleicht ein anderes gewünscht hättet. Und ist euch eigentlich aufgefallen, dass die Schlussszene mit Platons Symposium genau spiegelverkehrt zu genau derselben Szene ist, die Toshi zuvor geträumt hat? Was das wohl wieder zu bedeuten hat? In diesem Sinne, vielen Dank für eure Treue, die unzähligen Kommentare und die vielen Favoriteneinträge! Ich bin mir sicher wir lesen uns früher oder später wieder. LG - Tei Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)