Shi Ans von Tei ================================================================================ Le Cantique de la Victoire -------------------------- @ hide_sama: Starr Yoshikitty lange genug an und stell dir vor, ein 4-jähriger versucht es zu malen – also so zumindest stell ich mir das Ergebnis vor (wobei der 4-jährige in dem Fall dann durch Yoshiki ersetzt wird) ;) @ Asmodina: Definitiv! @ -Shin-: Wenn es dich beruhigt, ich arbeite bereits an was neuem, auch wenn es bis zur Veröffentlichung noch etwas dauern wird, da ich immer erst fertig schreibe, ehe ich anfange eine Story hochzuladen. @ Astrido: Das GG jetzt nur als Digital Release raus kommt, stört mich weniger. Meistens kauf ich mir eh nur die Alben, weil ich nicht ganz einsehe, alle Songs doppelt und dreifach im Regal stehen zu haben. Singleauskopplungen, die mir gefallen, lade ich daher eh immer über iTunes oder Amazon herunter. @ Rockryu: Vor der Reunion hab ich das Last Live auch immer nur sehr ungern angeschaut. Seit 2008 geht es, aber ich brauch hinterher immer eine Reunionshow :) @ Kaoru: Yoshiki² - warum stand das nie in meinen Mathebüchern? Das wäre Mathe gewesen, die ich sogar verstanden hätte! @ all: Ich hoffe ihr seid alle gut ins neue Jahr gerutscht. Als Sicherheitsvorkehrung würde ich vor dem Lesen des Kapitels eine Packung Tempos bereit halten, da ich keine Haftung für plötzlich entstandene Indoor Swimmingpools übernehme ;) In diesem Sinne: Viel Spaß mit dem vorletzten Kapitel! •••••••••••••••••••• Lediglich die übliche Nachtbeleuchtung brannte, als Toshi ein paar Stockwerke tiefer bei Extasy Records und der JMA ankam. Auf der Suche nach Yoshiki ging er zunächst die Aufenthaltsräume, Besprechungszimmer und Büros durch, doch von dem Jüngeren war nirgendwo eine Spur zu sehen, sodass er schließlich zum Studio ging. Als er eintrat, konnte er bereits sehen, dass überall die Lichter brannten, und aus den Lautsprechern im Mischraum hörte er eine sanfte Klaviermelodie erklingen, die ihm unbekannt war. „Yocchan?!“ Er betrat den Mischraum und blickte sich suchend um, doch auch dort konnte er seinen besten Freund nirgendwo entdecken. Dafür registrierte er, dass die gesamte Technik hochgefahren war und auf dem Mischpult ein Satz Notenblätter lag, was ihn ein wenig verwunderte, weil normalerweise alle Unterlagen bei Arbeitsende weggeräumt wurden. Verwundert trat er an das Pult und hob die losen Blätter hoch, die ganz eindeutig Yoshikis Handschrift trugen. Als er genauer dem Klavierstück lauschte, musste er feststellen, dass es sich auch hierbei ganz eindeutig um den Stil seines besten Freundes handelte. Hatte er hier unten etwa einen Song aufgenommen? Er blickte wieder auf das oberste Blatt und las den Titel: „Ri no uta“ – Siegeslied. Allerdings stockte er, als er das erste Kanji sah… theoretisch konnte man die Überschrift auch als „Toshi no uta“ lesen – Toshis Lied. Was hatte Yoshiki hier unten wirklich getan? Kopfschüttelnd blickte er auf und starrte durch die Scheibe in den beleuchteten Aufnahmeraum, als er schließlich stockte. Ihm war als hätte er, verdeckt vom Kristallflügel und der Klavierbank, etwas ausmachen können. Noch mit den Notenblättern in der Hand lief er in das angrenzende Zimmer und konnte spüren, wie sein Herz für einen Augenblick aussetzte, als er am Boden seinen besten Freund liegen sah. Für einen Moment schien es, als könnte er sich nicht bewegen, als würde die gesamt Welt still stehen, ehe er zu ihm stürzte und sich neben ihn auf den Parkettboden fallen ließ, wobei die Notenblätter langsam herabsegelten. „Yocchan!!“ Der Jüngere lag halb auf der Seite, sodass er ihn auf den Rücken drehte und zu sich in die Arme zog. Was ihm Angst bereitete, war, dass der Jüngere flach lag, er aber keinerlei Atemgeräusche von ihm hören konnte, wie sonst immer. „Yocchan!!“ Er schüttelte ihn, während er mit zittrigen Fingern an dessen Hals nach einem Puls suchte, aber nicht wirklich einen fand. Nein, er konnte nicht…! Erneut rief er ihn beim Namen und diesmal flatterten die Augen des Jüngeren, sodass er sie einen kleinen Spalt öffnete und beinahe gleichzeitig röchelnd einen tiefen Atemzug nahm, so als hätte er gerade minutenlang die Luft angehalten. „Gott sei Dank!“ Erleichterung breitete sich in Toshi aus, als der andere ihn ansah. Als er dann kraftlos eine Hand anhob, um nach ihm zu greifen, kam er ihm mit seiner eigenen entgegen und umschloss sie. „Ich bin bei dir, Yocchan, alles wird gut!“, versprach er, während er mit der anderen fanatisch Yoshikis Hosentaschen auf der Suche nach seinem iPhone abklapperte, um einen Notarzt zu rufen. Er hatte keine Ahnung, was los war, schließlich schien es dem Jüngeren den ganzen Tag über richtig gut gegangen zu sein – er hatte sich nicht erbrochen, er hatte weder rasende Kopfschmerzen noch Fieber gehabt… und doch lag er hier nun völlig geschwächt auf dem Boden. „Yocchan, wo ist das Handy? Ich ruf einen Arzt und dann wird alles wieder gut, ich verspreche es!“ Er sah den anderen fragend an und strich mit der Hand über dessen blasse Wange, doch dieser blickte ihn lediglich unverwandt an und hob seinen anderen Arm zitternd hoch, um seine Finger auf Toshis Handrücken zu legen. Mehrmals öffnete er den Mund, so als wollte er etwas sagen, doch kein Ton kam über seine Lippen und als er es schließlich doch tat, war es ganz leise und wurde von der Klaviermusik, die anscheinend auf Dauerschleife lief, fast übertönt. „……… Tocchi………..“ „Ich bin hier, Yocchan, ich bin hier…“ Er musste etwas tun, er musste in den Mischraum und einen Notarzt rufen, weil er sein Handy nirgendwo bei dem Jüngeren finden konnte, aber er wollte ihn auch nicht alleine lasse. Aber irgendetwas musste er doch tun…! Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als das Röcheln plötzlich aufhörte, Yoshikis Finger aus seiner Hand rutschten, er die Augen schloss und sein Kopf zur Seite rollte, sodass er in Toshis Armbeuge zum Liegen kam. „Yocchan……?“ Erneut schüttelte er ihn, in der Hoffnung, dass er wie gerade eben reagierte, doch nichts geschah. „Yoshiki, mach die Augen auf!!“, flehte Toshi und klopfte ihm gegen die Wange, aber er erhielt nicht die gewünschte Reaktion. „Yocchan!!!“ Immer wieder schüttelte er den leblosen Körper, bekam jedoch keinerlei Regung. Er suchte wie zuvor am Hals nach einem Puls, doch er konnte keinen finden – weder dort, noch an der Brust, direkt über dem Herzen, oder am Handgelenk. „Bleib hier, Yocchan… bleib hier…“, bat er und Tränen rannen über seine Wangen, tropften auf seinen besten Freund hinab, während ihm ein raues Schluchzen über die Lippen kam. Er konnte nicht tot sein! Er konnte doch nicht einfach so gehen… nicht jetzt! Verglichen mit den Tagen zuvor, ging es ihm doch heute so gut. Sie wollten doch morgen zu Doktor Hiraishi, damit Yoshiki von Kopf bis Fuß durchgecheckt werden konnte, um noch eventuellen Möglichkeiten nachzugehen, wie sie vielleicht noch ein paar Tage mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Und anschließend wollten sie doch nach Refuge des Anges zurückkehren – Fatima, Ben und Lara warteten schließlich auf ihn. „Yoshiki…!!“ Schluchzend zog er ihn komplett zu sich in die Arme und drückte den zierlichen Körper an sich, während er seine Stirn gegen die des Jüngeren legte. „….. Yocchan…“ Zitternd wiegte er seinen besten Freund hin und her, wobei immer nur dessen Name über seine Lippen kam und er gleichzeitig zu verstehen versuchte, dass er von nun an alleine war. Aber wie sollte er es begreifen, wenn alles, was er kannte, ein Leben mit seinem besten Freund war? Wie war es nachvollziehbar, dass sein Telefon nie mehr mitten in der Nacht klingeln würde, weil Yoshiki die Zeitverschiebung zwischen Los Angeles und Tokyo einmal wieder nicht bedacht hatte? Wie war es nachvollziehbar, dass nie mehr ein einziger Telefonanruf genügen würde, um die Stimme seines besten Freundes zu hören? Wie war es nachvollziehbar, dass Yoshiki nie mehr mitten in der Nacht zu ihm ins Bett krabbeln würde, weil er sich alleine fühlte und Nähe brauchte? Wie war es nachvollziehbar, dass sie nie mehr miteinander Lachen und Weinen würden, dass sie sich nie mehr gegenseitig necken würden? Wie sollte er begreifen, dass es nun wirklich keinen Yoshiki mehr gab, nicht weil Kouki ihn für tot erklärt hatte, sondern weil er in seinen Armen gestorben war? Wie war es auch nur irgendwie erfassbar, dass er von nun nie mehr ganz sein würde, dass ein Teil von ihm stets fehlen würde? „…… Yocchan……!!“ Ob Platons Urmenschen einen ähnlichen Schmerz gespürt hatten, als Zeus sie in seinem Zorn entzwei gespalten hatte? Toshi hatte jegliches Zeitgefühl verloren, sodass er nicht sagen konnte, wie lange er schon mit seinem besten Freund im Arm auf dem kühlen Fußboden saß und weinte. Wie viele Tränen konnte man wohl um jemanden weinen, ehe die Seele ausgeblutet war? Er wusste es nicht, doch irgendwann fingen seine Wangen zu trocknen an und lediglich raue Schluchzer kamen über seine Lippen. Als er einmal für einen Moment aufblickte, registrierte er die Notenblätter seines Songs – Toshi no uta – die um sie verstreut herum lagen. Eine Seite, die direkt neben ihm gelandet war, war verkehrtherum und wie es aussah, hatte Yoshiki etwas auf die Rückseite geschrieben. Zitternd nahm Toshi sie in die Hand und begann die vertraute Schrift seines besten Freundes zu lesen. „Hiermit verfüge ich, Hayashi Yoshiki, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass nach meinem Tod sämtliche Rechte an meinen Werken, veröffentlicht wie unveröffentlicht, auf meinen besten Freund und Mitgründer von X JAPAN, Deyama Toshimitsu, übergehen.“ „Du…“, flüsterte er ungläubig und schüttelte den Kopf, wobei er nicht anders konnte, als weiterhin auf das Notenblatt zu starren, während er seine Schläfe gegen Yoshikis lehnte. Ganz unten am Papier registrierte er schließlich noch fünf kleine Hiraganazeichen, die zusammengelesen ein einziges Wort ergaben: Danke. „Yocchan…“ Erneut traten ihm Tränen in die Augen, als er den Jüngeren an sich drückte und das Blatt beiseitelegte. Toshi konnte nicht sagen, wann er schließlich mit Yoshiki im Arm aufstand, dabei auf dem Kristallflügel sein Handy und seine Schlüsselkarte entdeckte, jedoch nur letztere an sich nahm, und ihn dann nach oben ins Penthouse brachte, wo er ihn im Schlafzimmers aufs Bett legte, ihm die Schuhe auszog und ihn anschließend vorsichtig zudeckte, so als hätte er Angst, er könnte ihn aufwecken. Danach ging er noch einmal ins Studio hinunter, sammelte sein iPhone und die Notenblätter ein, ehe er sich ans Mischpult setzte und Yoshikis allerletzte Aufnahme vom Server zog und auf eine CD brannte, die er an sich nahm. Im Anschluss fuhr er alles herunter und schaltete die gesamte Technik wieder aus, sodass es aussah, als wäre nie jemand hier gewesen. Die ganze Zeit über waren ihm immer wieder Schluchzer über die Lippen gekommen, sodass er sich darauf biss, bis er den metallenen Geschmack von Blut im Mund hatte. Schließlich kehrte er ins Penthouse zurück und legte sich zu seinem besten Freund, an welchen er sich kuschelte, und weinte sich in den Schlaf. Als er am nächsten Morgen schließlich wach wurde, strahlte bereits die Sonne durch die Fensterfront, doch das registrierte er gar nicht wirklich. Er sah lediglich Yoshiki im Bett liegen, der sich keinen Millimeter bewegt hatte. Sicherlich eine Stunde lang saß er einfach nur neben ihm, während neue Tränen über seine Wangen rannen und studierte das Gesicht des Jüngeren, das so friedlich aussah, als würde er lediglich schlafen. Genau genommen tat er das schließlich auch, er würde nur nie mehr aufwachen, die Augen öffnen und Toshi anstrahlen. Schließlich griff er zum Handy und wählte Koukis Nummer, der kurz darauf abnahm. Ehe er die Nachricht überbrachte, bat er den Jüngeren seine Mutter dazu zu holen, da er nicht wusste, wie oft er dieselben drei Worte würde wiederholen können. Als keine zwei Minuten später beide am Apparat waren und darauf warteten, dass er sprach, biss er sich auf die Unterlippe und griff nach der Hand des anderen, so als würde es ihm die nötige Kraft geben, doch die Totenstarre hatte bereits Besitz von ihr ergriffen, sodass er stattdessen kurz zärtlich über die kühle Wange strich. „Toshimitsu…?“ „…… Yocchan ist…“ Statt dem letzten Wort kam ihm nur ein Schluchzen über die Lippen, doch die beiden anderen verstanden auch so und er konnte hören, wie Okaa-san in Tränen ausbrach, während Kouki lange Zeit nur schwieg, ehe er versprach mit seiner Mutter zu kommen und Heath, Pata und Sugizo zu informieren. Wie in Trance erlebte Toshi mit, wie nach und nach alle ins Penthouse kamen. Er hörte Weinen, aber er konnte nicht sagen, von wem es kam. Vielleicht war es auch er selbst… Menschen umarmten ihn, drückten ihn an sich, doch keiner der Körper fühlte sich so an wie Yoshiki, keiner roch so wie er. Menschen wollten ihn von seinem besten Freund wegführen, ihn dazu zu bringen, etwas zu essen, sich auszuruhen, doch er verharrte an der Seite des Jüngeren, schließlich hatte er ihm versprochen, bei ihm zu bleiben. Wenn er sich hinlegte, dann nur neben seinen besten Freund, der mittlerweile gewaschen und in ein weißes Totengewandt gekleidet, nach Norden hin auf einem Futon aufgebahrt worden war. Unzählige rote Rosen waren um ihn herum aufgestellt worden und ein buddhistischer Mönch war gekommen, um Sutren zu verlesen und Räucherstäbchen zu verbrennen. Die ganze Zeit über harrte Toshi an Yoshikis Seite aus und hielt die Ketten von Ben und Lara in seiner Hand fest umschlossen, die er dem Jüngeren abgenommen hatte. Er hatte das Gefühl, dass sich alles um ihn herum in Slow Motion und doch gleichzeitig in Fast Motion abspielte. Alles wirkte so surreal wie in einem schlechten Traum, der nicht enden wollte. Schneller als erwartet wurde es dunkel und die Totenwache begann, doch Toshi registrierte es nicht wirklich, schließlich war er schon seit der letzten Nacht bei Yoshiki und wachte über ihn. Es musste eine wirklich seltsame Laune des Schicksals sein, dass der Jüngere genau vier Jahre später an dem Tag verstarb, an dem dieser gedacht hatte, dass er selbst verstorben sei. Mit der Zeit begann es ihn zu nerven, dass immer wieder jemand versuchte, ihn zu überreden, etwas zu sich zu nehmen, oder sich doch für ein paar Stunden in einem der Gästezimmer auszuruhen. Wann würden sie verstehen, dass er solche nichtigen Sachen nicht brauchte? Das einzige, was er benötigte, war sein bester Freund! Alles andere war nebensächlich und irrelevant! Er hatte keine Ahnung, wie die anderen Yoshikis Tod verkrafteten, doch wenn er ehrlich war, dann interessierte es ihn gar nicht wirklich. Der Schmerz über den Verlust hatte sich wie eine Hülle um ihn gelegt, die keinen anderen Gedanken zuließ, als den an seinen besten Freund. Vor seinem inneren Auge spielte er immer und immer wieder ihre Geschichte ab – wie sie sich im Kindergarten kennenlernten und beste Freunde wurden, wie sich Yoshiki nach dem Tod seines Vaters veränderte, wie sie X gründeten und schließlich nach Tokyo zogen, um erfolgreich zu werden, wie sie sich bis nach ganz nach oben hocharbeitet und dann fielen, wie sie immer weniger redeten, er schließlich ausstieg und sie sich zerstritten, wie sie sich bei hides Beerdigung das erste Mal nach einem Jahr abseits der Bühne wiedersahen, aber kein Wort miteinander wechselten, wie sie sich zehn lange Jahre lang anschwiegen, ehe sie wieder zueinander fanden, wie sie X JAPAN wiedervereinten und die Welt eroberten, wie er seine Stimme verlor und sich von HOH trennte, wobei Yoshiki die ganze Zeit über zu ihm hiel. Und zu guter Letzt: sein Unfall, das Verschwinden des Jüngeren und wie er ihn schließlich fand – zurückgezogen in einem kleinen Dorf in Frankreich, das auf kaum einer Karte verzeichnet war. Doch egal, wie oft er ihre Geschichte auch wiederholte, sie endete jedes Mal damit, dass Yoshiki in seinen Armen starb und er nun an seiner Seite Wache hielt. Aber irgendwann musste er an einem Punkt angelangt sein, dass er ihre Geschichte so oft wiederholt hatte, dass sie sich änderte, denn als er die Augen aufschlug, blickte er direkt in die braunen Augen seines besten Freundes, der ihn aufforderte, aufzustehen. „Yocchan!“ Also war alles doch nur ein böser Traum gewesen, der nun endlich vorbei war! „Toshi, ich bin es… Kouki!“ Der Angesprochene blinzelte verwirrt und so schnell wie die Freude, die er eben noch gespürt hatte, gekommen war, so schnell wich sie auch schon wieder dem Schmerz, der ihn für einen Moment lang nur die Gemeinsamkeiten zwischen den Brüdern hatte sehen lassen, aber nicht die zahllosen Unterschiede. „Wo… wo bin ich? Wo ist Yoshiki?!“ Hektisch blickte er sich um, konnte jedoch nur sein Schlafzimmer ausmachen. „Du bist heute Nacht während der Wache eingeschlafen, wir haben dich ins Bett gebracht“, erklärte Kouki, „Ich habe dir bereits einen schwarzen Anzug rausgelegt. Mach dich frisch und zieh dich um, Yoshiki wird in einer Stunde eingesargt und dann zum Krematorium gebracht.“ Damit ging der andere wieder und Toshi hatte nur am Rande mitbekommen, wie blass der Jüngere aussah und wie rot und geschwollen seine Augen waren. Mechanisch tat er, wie Kouki ihn angewiesen hatten, steckte zum Schluss noch die Ketten von Ben und Lara in seine Hosentasche und trat dann nach draußen, wo Yoshikis Mutter, dessen Bruder sowie Heath, Pata und Sugizo noch immer Wache hielten. Sie alle trugen mittlerweile Schwarz und sahen auf, als sie seine Anwesenheit bemerkten. Er glaubte zu hören, dass sie irgendetwas zu ihm sagten, doch es machte nicht wirklich Sinn für ihn. Stattdessen nahm er einfach wieder seinen Platz an Yoshikis Seite ein und verharrte dort, bis der einfache Holzsarg kam, in den der Jüngere schließlich gebettet wurde. Eine einzelne rote Rose wurde ihm mitgegeben und auf seine Brust gelegt, ehe der Sarg verschlossen wurde. Schluchzer kamen über Toshis Lippen als er seinen besten Freund nicht mehr länger sehen konnte und nur verschwommen nahm er den Nagel wahr, auf welchen er symbolisch mit einem einfachen Stein klopfte, den er von Kouki in Empfang genommen hatte, und den er anschließend an Pata weiterreichte, sodass dieser denselben Ritus vollziehen konnte. Anschließend fuhren sie mit dem Sarg in die Tiefgarage, wo er in den Leichenwagen geladen wurde, um ins Krematorium überführt zu werden. Heath, Pata und Sugizo verabschiedeten sich unter Tränen von Yoshiki und traten dann respektvoll mehrere Schritte von dem Auto zurück, damit Toshi Lebewohl sagen konnte, denn die Einäscherung und die anschließende Kotsuage – das Auflesen der Knochen – war etwas, das nur dem engsten Familienkreis, also Okaa-san und Kouki, vorbehalten war. Er würde sich nun ebenfalls verabschieden müssen… Für immer… oder zumindest für so lange, bis sie im Tod wieder vereint waren… Doch er war noch gar nicht wirklich zum Wagen getreten, als ihm Yoshikis kleiner Bruder eine Hand auf die Schulter legte. „Komm“, forderte dieser ihn auf und dirigierte ihn stattdessen zu dem Minivan, der bereitstand, um dem Leichenwagen zu folgen. Es war derselbe, der ihn und Yoshiki vom Flughafen abgeholt hatte. „Wohin?“ Weshalb brachte Kouki ihn vom Sarg weg? „Zum Krematorium…“ „Aber ich bin nicht…“ „Yoshiki hätte es so gewollt“, antwortete der Jüngere mit brüchiger Stimme, während Toshi ihn aus verweinten Augen einen Moment lang überrascht anstarrte, dann aber dankbar nickte und in das Auto einstieg, das, wie bereits ein paar Tagen zuvor, von Dan gefahren wurde. Die Fahrt und die eigentliche Einäscherung kamen ihm wie ein einziger Strudel vor, der ihn einfach mitriss und in dem er keinerlei Kraft hatte, dagegen anzukommen. Mechanisch folgte er sämtlichen Schritten, die Kouki und dessen Mutter taten und wusste dabei nie so wirklich, was er eigentlich machte. Das einzige dessen er sich wirklich bewusst war, war, dass er gedanklich alle ihm bekannten Götter anflehte, dass dies nicht wahr sein konnte, dass dies lediglich ein Albtraum war… doch nichts geschah und so imitierte er lediglich das Verhalten von Yoshikis Familie, da er zuvor noch nie bei einer Einäscherung, geschweige denn einer Kotsuage dabei gewesen war. Als seine Großeltern verstorben waren, war er zu jung gewesen, als dass seine Eltern erlaubt hätten, dass er mit dabei war, und als sein Vater vor einigen Jahren gestorben war, hatte er keinerlei Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt, sodass er erst Wochen später überhaupt erst von dessen Dahinscheiden erfahren hatte. So betrat er nach der Einäscherung hinter Yoshikis Mutter und dessen Bruder die Halle, in der sich nun die Asche und die nichtverbrannten Knochen seines besten Freundes befanden. Als er jene sah, traf ihn die Realität mit ihrer ganzen Härte und er konnte das Schluchzen, das er die ganze Zeit versucht hatte zu unterdrücken, nicht mehr länger zurück halten. Yoshiki war tot… Sein bester Freund war tot… Nun, da die Knochen und die Asche vor ihm lagen, gab es daran keinen Zweifel mehr. Yoshiki war fort… seine Seele würde ins Jenseits übergehen und dort mit der seines Vaters und mit hides vereinigt sein, während er selbst in der harschen Realität, alleine, gefangen war. „Komm…“, forderte Okaa-san ihn leise auf und hatte ihm eine Hand auf den Rücken gelegt, die beruhigende Kreise fuhr, während sie ihm ein leichtes, aufmunterndes Lächeln schenkte, obwohl er in ihren Augen die Tränen sah. Er musste sich zusammenreißen! Schließlich hatte er nur seinen besten Freund verloren, während sie bereits ihren Ehemann hatte begraben müssen und nun auch ihren ältesten Sohn. Doch das mit dem „sich zusammenreißen“ war leichter gesagt als getan, aber er versuchte es zumindest so gut wie möglich, wischte sich über die Augen, biss sich auf die Unterlippe und nickte Yoshikis Mutter schließlich kurz zu. Sie erwiderte die Geste sanft und reichte ihm dann zwei Bambusstäbchen, ehe sie ihn zur Bahre mit der Asche ihres Sohnes führte. Als Toshi sich dann an erster Stelle vorfand, die demjenigen vorbehalten war, der dem Verstorbenen am nächsten war und dem somit auch die Ehre zuteilwurde, die Knochen mit den Stäbchen aufzuheben und weiterzureichen, hielt er es zunächst für einen Fehler. Fragend sah er zu Yoshikis Mutter und dessen Bruder, wollte mit ihnen schon die Plätze tauschen, doch beide gaben ihm zu verstehen, dass er den ersten Knochen auflesen sollte. Er schluckte schwer und hob dann zitternd den ersten auf, reichte ihn an Okaa-san weiter, die ihn mit ihren eigenen Stäbchen aufnahm, an Kouki weitergab, welcher ihn schließlich sanft in die bereitstehende Urne legte. Mit zusammengepressten Lippen beobachtete Toshi, wie der Jüngere einen Knochen nach dem anderen in dem Gefäß verschwinden ließ, wobei ihm nicht entging, dass Koukis Hand mindestens genauso stark zitterte, wie seine eigene. Als das Ritual der Kotsuage beendet war, wurden sie alle drei symbolisch mit Salz gereinigt und verließen dann das Krematorium, wobei Yoshikis Mutter die Asche ihres Sohnes trug. Auf der Rückfahrt zum Penthouse herrschte einvernehmliches Schweigen im Wagen, wobei Toshi aus dem getönten Fenster auf die vorbeihuschende Skyline blickte, während stumme Tränen über seine Wangen rannen. Erst wenige Tage vorher war er genau dieselbe Strecke gefahren, doch damals hatte noch sein bester Freund in seinen Armen gelegen und geschlafen. Er erkannte die Stelle, an der er ihn geweckt hatte, um ihm den Fuji-yama zu zeigen, damit er sah, dass sie zuhause waren. Aber wo war zuhause überhaupt? Er wusste es nicht mehr… Er hatte das Gefühl zu schweben, losgelöst von allem zu sein, ohne zu wissen, wie er wieder Halt unter den Füßen bekommen sollte. Nichts war mehr so, wie es einmal war und es würde auch nie mehr so sein, denn sein bester Freund war nicht mehr länger da… Yoshiki war tot. Wie würde es nun weitergehen? Was sollte er tun? Einfach so zu seinem Leben zurückkehren? Aber was war überhaupt sein Leben? Die letzten drei Jahre hatte er immerhin damit verbracht, nach Yoshiki zu suchen. Doch das wäre nun sinnlos… Er wusste, dass Okaa-san am Nachmittag nach Tateyama zurückkehren und dort die weiteren Totenriten durchführen würde. Wenn schließlich sieben mal sieben Tage vergangen wären, würde Yoshikis Urne dem Familiengrab beigefügt werden. Der Weg seines besten Freundes war durch uralte Traditionen vorgezeichnet, doch wie sah sein eigener Weg nun aus? •••••••••••••••••••• *vorsichtig in die Runde lug* Habt ihr das Kapitel alle überstanden? Falls es euch beruhigt, ich hab beim Schreiben auch zwei Tempopackungen gekillt. Wenn ihr allerdings aufmerksam gelesen habt, dann werdet ihr einen klitzekleinen Vorverweis entdeckt haben, der bereits verrät, wie alles im letzten Kapitel aufgelöst wird :) Wer sich ein wenig mit japanischen Totenriten auskennt, wird vermutlich schon bemerkt haben, dass ich mich da im Rahmen des Möglichen an die Tradition gehalten habe (empfehlen kann ich hierzu auch „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“). Ansonsten war von der Storyline her alles fiktiv – bis auf die Namensgebung von „Ri no uta“. Toshis Vorname wird in Kanji利三 geschrieben. Das erste Kanji利, das in seinem Namen als „Toshi“ gelesen wird, wird eigentlich „ri“ gelesen und bedeutet u.a. Sieg, Vorteil, Gewinn. P.S.: Wie klingt denn "Toshi no uta" in eurer Vorstellung? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)