Keep smiling von Jeschi ================================================================================ Kapitel 1: I am losing you forever ---------------------------------- ”I am losing you forever I am lost in pain without you I am leaving ground forever” Dead by April – Losing you “Hey, Levi!”, ruft es irgendwo hinter mir und ich drehe mich rechtzeitig um, um noch zu sehen, wie Pascal die letzten Meter rennt, ehe er mich eingeholt hat. „Jetzt warte doch mal,“ beschwert er sich, weil ich derweil weitergelaufen bin und wirft sich mir um die Schultern. Unter seiner Last aufstöhnend, kann ich nicht anders, als zu fragen: „Man, Pascal! Sonst geht’s dir aber noch gut, ja?“ „Bestens,“ kichert er und hakte sich bei mir unter. „Was machst du Morgen Abend?“ Ich verdrehe die Augen. „Arbeiten. Wie jeden Samstag, Pascal.“ Das ich ihn daran immer wieder erinnern muss, hängt mir wirklich zum Hals raus. Er weiß genau, dass ich jeden Abend und fast jeden Samstag im Laden stehe, um mir mein Studium zu finanzieren. „Aber wenigstens einmal im Monat könnten sie dir ja freigeben, oder?“, will er wissen und ich seufze ungehalten. „Nein! Ich hab gesagt, ich arbeite jeden Samstag, damit ich unter der Woche nicht so viele Stunden habe,“ fauche ich. Auch etwas, was ich schon zigmal erklärt habe. Hört der Kerl mir eigentlich auch mal zu, wenn ich rede? Toller bester Freund, ehrlich! Es ist ja nicht so, dass ich gerne Arbeite… Ich hasse den Job! Aber was soll ich machen? Ich brauch das Geld nun mal. „So ein Dreck,“ schimpft Pascal. „Solche Sklaventreiber.“ Nein, er hört nicht zu. Ich habe doch gerade beteuert, das freiwillig zu machen. Ich gebe es auf. Soll er doch denken, was er will. „Es ist nämlich so,“ meint er, nachdem er einige Zeit ungehalten vor sich hin geflucht hat, „Anna gibt eine Party und ich soll dich einladen.“ „Ja… ich weiß. Anna gibt ja nun fast jedes Wochenende eine Party.“ Ehrlich gesagt macht das nicht mal mehr die Runde. Es geht einfach jeder von aus, dass Anna eine Party schmeißt. Deshalb wird es auch nur an die große Glocke gehängt, wenn Anna mal keine Party feiert. Anna ist übrigens Pascals Freundin, seit… schon immer! Und sie kann es sich auch leisten, jedes Wochenende eine Party zu machen. Keine Ahnung, was ihre Eltern eigentlich beruflich machen. Aber wahrscheinlich kann Anna in allen Punkten Paris Hilton Konkurrenz machen. Allerdings muss man Anna zu Gute halten, dass sie eigentlich ein sehr netter und gutmütiger Mensch ist, der nicht mit Geld prahlt und sich aufopferungsvoll für Andere einsetzt. Und das meine ich Ernst. Eigentlich hat Pascal sie gar nicht verdient! „Kannst du dir nicht einmal frei nehmen oder krank machen oder so?“, will dieser nun wissen und irgendwie reizt mich die Tatsache ja wirklich, einfach mal zu feiern, statt zu arbeiten. Aber alleine die Tatsache, dass der Vorschlag von Pascal kommt, lässt mich von de Idee Abstand gewinnen. Wenn man einmal tut, was er sagt, dann wird er immer wieder damit nerven, es noch mal zu tun. Also verdrehe ich die Augen, als wäre die Idee für’n Arsch und lehne ab. „Du weißt, ich brauch den Job. Im Gegensatz u deinen Eltern, haben meine nicht die Kohle, das Studium zu finanzieren.“ Das ich zu blöd bin, um ein Stipendium zu bekommen, lasse ich mal weg. Ich will ja nicht der neue Einstein werden. „Schon gut!“ Pascal hebt nun beschwichtigend die Hände und beschließt, das Thema – fürs erste? – gut sein zu lassen. Stattdessen erzählt er mir nun von einem Kommilitonen, der, wie es scheint, kein Hirn besitzt. „Der wusste keine Antwort – nicht mal auf die einfachsten Fragen! Und so was studier Politikwissenschaften. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn es immer weiter bergab geht, mit unserer Gesellschaft!“ Oh ja, Pascal bildet sich übrigens mächtig etwas darauf ein, Politikwissenschaften zu studieren. Obwohl er das eigentlich nur tut, weil sein Vater das so will und er Geld in Überfluss bekommt, solange der nur mächtig stolz auf ihn sein kann. Ich habe ja bereits erwähnt, dass Pascals Eltern ebenfalls gut betucht sind. Das liegt daran, dass sein Vater ebenfalls in der Politik sein Unwesen treibt. „Ich hätte wohl auch keine Ahnung von dem Kram,“ gebe ich zu. „Ja… Aber du studierst es nicht!“ Da hat er Recht. Ich studiere Medienwissenschaften. Das liegt mir nämlich eindeutig mehr. Wir sind übrigens auf den Weg zur Uni und erreichen das Gelände nun. Ich sehe mich und bin erstaunt, was viele für eine komische Miene aufgesetzt haben. Ich runzle die Stirn und wende mich an Pascal: „Was ist denn hier los?“ Er sieht mich nur erstaunt an. „Du weißt es nicht?“ „Was weiß ich nicht?“ Ich runzle die Stirn. Warum erfahre ich von den Neuigkeiten eigentlich immer als Letztes? „Liest du keine Zeitung?“ „Doch, Pascal. Zwischen Uni, Lernen, Job und Hausarbeit, nehme ich mir immer eine Stunde, um Zeitung zu lesen…“ „Schon gut… Jedenfalls… Du musst doch von dem Unfall an der Kreuzung unten gehört haben?!“ Ich nicke, denn davon habe sogar ich gehört. Und wenn ich mich recht erinnere, sogar flüchtig etwas gelesen. „Und warum wirft das alle so aus der Bahn?“, frage ich. „Mein Gott, du weißt es nicht!“ Hatte er das nicht gerade schon herausgefunden? Er schüttelt den Kopf. „Man, Levi. Wo bist du nur, wenn alle anderen Neuigkeiten erfahren?“ Ich verenge die Augen. „Pascal! Magst du mich nun aufklären, oder willst du dich och ein wenig länger über mich lustig machen. Weil wenn, dann kann ich auch jemand anderen fragen, der mir bereitwilliger Auskunft gibt, als du!“ Er seufzt auf, als wäre ich es, der die Nerven seiner Mitmenschen strapaziert! „Der Unfall… Ein LKW ist bei rot über die Kreuzung gefahren und hat einen PKW mit voller Wucht mitgenommen. Der Junge darin war sofort tot.“ Ich beiße mir auf die Lippen. Das klingt schrecklich. „Und lass mich raten,“ meine ich dann, „Er war hier an der Uni?“ „Ja. Er hießt Jamie Wagenknecht oder so… er hat das gleiche studiert, wie ich. Ich hab ihn öfters gesehen. Du sicher auch. Dieser eine Emo.“ Ja. Hier laufen ja auch so wenig von der Sorte herum… Manchmal glaube ich, alle Emos des Landes gehen auf unsere Uni! „Ist ein ziemlicher Hammer für alle hier. Er war sehr beliebt.“ Ich nicke und kann es mir gut vorstellen. Irgendwie nimmt mich so was immer mit, obwohl ich ihn ja gar nicht gekannt habe. Wer rechnet denn schon mit so was? Aber wenn man sich vorstellt, wie schnell es vorbei sein kann… Und wenn man darüber nachdenkt, dass auch jeder andere in dem Wagen hätte sitzen können - vielleicht auch man selbst… Über meine Gedanken hinweg merke ich gar nicht, dass Pascal schon weitererzählt: „Sie haben gesagt, sie mussten seinen Freund ins Krankenhaus einliefern, als er es erfahren hat. Der konnte sich wohl kaum beruhigen. Jamie war schwul, weißt du.“ „Ich konnt’s mir denken,“ murmle ich. „Er hat mit seinem Freund im Studentenwohnheim gewohnt.“ „Sagt mir nichts,“ gebe ich ehrlich zu. Ich kenne hier kaum Leute. Eigentlich kenne ich nur Pascal und Anna wirklich gut, seit ich sie an meinem ersten Tag hier kennen gelernt habe. Ich sinniere noch ein wenig darüber nach. Ich kann mir vorstellen, was es für ein Schock für seinen Freund gewesen sein muss. Wenn ich mir vorstelle, das Mädchen zu verlieren, dass ich liebe… damit käme ich wohl kaum klar. Gut, dass ich momentan single bin! „Du wohnst doch gegenüber vom Wohnheim!“ „Muss ich ihn deswegen kennen?“ Ich sehe Pascal mürrisch an. Mal ehrlich. Das Wohnheim ist riesig und das Gebäude, in dem meine winzige Mietwohnung liegt, auch. Wie soll ich da alle kennen? Ich bin ja schon froh, dass ich meine Nachbarn kenne! Meine kleine Wohnung finanziert übrigens meine Oma. Ist zum Glück relativ billig – dafür aber auch klein und schäbig -, aber sie reicht aus. „Man… wenn ich dort wohnen würde, würde ich hoffentlich mehr mitkriegen, als du!“ Pascal hat es gut. Sein Vater hat ihm ein Appartement gemietet, in dem er mit Anna wohnt. Es ist riesig, modern und schick. „Ich bin da ja nicht so oft. Nur zum schlafen, essen und lernen,“ rechtfertige ich mich und zucke mit den Schultern. „Egal. Meine Lesung beginnt um halb Zehn, ich muss los.“ Und schon bin ich weg. Endlich! Diese Infos am Morgen, haben schon wieder gereicht, mir den Tag noch mehr zu versauen, als eh schon! Sie legen eine Schweigeminute für Jamie ein, was eine wirklich nette Geste ist. Danach erst beginnt die Lesung. Aber darauf kann ich mich nicht mehr konzentrieren. Immer wieder muss ich daran denken, dass es jeden von uns jederzeit treffen kann. Vielleicht gehe ich heute nach Hause oder zur Arbeit und werde angefahren. Dann bin ich tot, einfach weg. Plötzlich ist einfach alles vorbei… Ich schüttle kaum merklich den Kopf. Über so was will ich gar nicht nachdenken! Das deprimiert mich einfach zu sehr. Kaum ist die Lesung zu Ende, stehe ich auf und verlasse den Saal. Ich brauche ein wenig Ablenkung und hoffe, diese in der Cafeteria zu finden. Dort entdecke ich Pascal und Anna und lasse mich bei ihnen am Tisch nieder. „Na, ihr,“ begrüße ich sie. „Hab ihr auch eine Schweigeminute eingelegt?“, fragt Pascal mich sofort und ich nicke. Eigentlich würde ich gerne von was anderem reden, aber ehe ich das vorschlagen kann, legt Anna los. „Keine schöne Sache, was?“, wendet sie sich an mich und seufzt, rührt dann in ihrem Becher Kaffee. Sie trinkt ihn immer schwarz, aber mit so viel Zucker, dass der sich gar nicht ganz auflöst, sondern am Boden einen eklig-süßen Brei ergibt. „Ich kannte Jamie. Er hat gegenüber von Svenja gewohnt.“ Ich reiße die Augen auf und weiß endlich, wen sie alle meinen. Zwar war ich nur einmal kurz mit Anna bei Svenja, aber ich meine, Jamie und seinem Freund dort begegnet zu sein. Svenja ist übrigens die beste Freundin von Anna. Sie wohnt im Studentenwohnheim und wann immer Anna nicht bei Pascal ist, ist sie bei Svenja. Zu ihr verzieht sie sich auch, wenn sie mal Streit mit Pascal hat oder alleine zu Hause wäre und davor Angst hat. Es gibt nämlich nichts, was Anna mehr hasst, als alleine zu sein. „Wir haben öfters miteinander geredet,“ erklärt mir Anna und zuckt mit den Schultern. „Zwar nie wirklich tiefsinnige Sachen, aber trotzdem… er war sehr nett. Einmal hat er uns mit unseren Einkäufen geholfen und sie die Treppen hoch getragen, als der Aufzug kaputt war. - Du glaubst nicht, wie schwer die waren! Da waren massenhaft Flaschen für eine Party drin! – Und so manches mal konnte er mir sagen, wo Svenja ist, wenn sie nicht zu Hause war.“ Nun verliert sie sich in ihren Erinnerungen an Jamie und blickt an die Decke der Cafeteria, während sie weitererzählt: „Als Svenja einmal im Krankenhaus war – ihr wisst schon, wegen ihrer starken Grippe da neulich – da hat er ihre Blumen gegossen und sich um die Post gekümmert, damit niemand extra zum Wohnheim fahren musste.“ „Kanntest du auch seinen Freund?“ Ich sehe sie fragend an und kann nicht umhin zu denken, dass dieser Jamie wirklich ein toller Kerl gewesen sein muss. Es ist schön, dass es so viele gute Erinnerungen an ihn gibt. Anna grinst nun. „Natürlich kann ich ihn. Sie waren so süß zusammen. Man hatte immer das Gefühl, dass Jamie ihn auf Händen trägt.“ Ich nicke und blicke auf meinen eigenen Kaffee, rühre mit einem kleinen Holzstäbchen darin herum. „Wie schnell doch alles vorbei sein kann.“ „Da hast du Recht,“ meint Pascal und Anna nickt: „Und meistens trifft es die Menschen, die es am wenigsten verdient haben!“ „Die Besten sterben jung,“ nickt Pascal und hebt sein Glas. „Die besten sterben jung,“ fallen wir ein und trinken auf Jamie. Ein kurzer Augenblick und nichts ist mehr, wie es war. Das Leben… es ist so vergänglich. Nur ein kurzer Augenblick und nichts ist mehr, wie es war… Nach meinem morgendlichen Kaffee packe ich schnell meine Schulsachen zusammen. Ich würde immer noch gerne zu Hause bleiben, aber Jamie hat natürlich Recht, wenn er sagt, Schule ist wichtig. Also packe ich meinen Kram, schlüpfe in meine Sweatshirtjacke – weil es früh immer noch frisch ist, ist ja erst Anfang April – und verlasse dann unser kleines Zimmer im Wohnheim. Die Flure sind wie ausgestorben, was daran liegt, dass die Meisten entweder noch schlafen oder bereits ausgeflogen sind. Ich versuche, leise zu sein, während ich nach unten laufe. Die Wände sind hier nämlich nicht besondern dicke. Als ich das Gebäude verlasse, fröstelt es mich. Es wäre komfortabler, wenn Jamie mich mit dem Auto mitnehmen könnte. Aber oft fängt seine Lesung viel später an, als die Schule oder – an Tagen wie heute- beginnt die Schule später, als seine Lesungen. Folglich ist es nicht all zu oft möglich. Ich laufe das kleine Stück zur großen Kreuzung, an welcher es rechts zur Uni abgeht und link ein zehnminütiger Fußweg zu meinem Gymnasium führt. Die Kreuzung ist viel befahren und meist hört man den Krach schon von weitem. Heute ist es aber ungewöhnlich still und als ich näher komme, weiß ich auch, warum. Sie ist gesperrt und das einzige, was zu hören sind, sind Sirenen und viele Rufe. Hier gibt es des Öfteren kleine oder große Unfälle. Als ich nun näher komme, bemerke ich, dass es diesmal ziemlich übel aussieht. Scheint, als hätte ein LKW einen PKW mitgenommen. Das Teil ist jedenfalls nur noch ein Haufen Schrott. Plötzlich steigt in mir ein unangenehmes Gefühl auf und ich laufe schneller, bis ich endlich Details erkennen kann. Und darunter ist eines, dass mich augenblicklich erstarren lässt. Ich sehe auf den geschrotteten schwarzen VW, auf dessen zerbeultes Nummernschild, auf dem es mir stumm entgegen schreit: JD – 609 Ich weiß, was das bedeutet: Jamie Darian – Juni 2009 Plötzlich ist mir eiskalt, als mir klar wird, was mir das sagt. „Nein,“ stoße ich atemlos hervor. „Nein, nein, nein…“ Und das weiß ich nichts mehr. Ich fühle, wie ich mich in Bewegung setze, losrenne. Ich höre sie schreien, dass ich nicht in den abgesicherten Bereich darf. Und ich höre mich schreien. Immer wieder das Gleiche, immer wieder seinen Namen. „Die Beerdigung ist erst am Montag,“ klärt mich Levi auf, als er an die Kasse tritt. Er sieht mich abwartend an. „Gehst du hin?“, will ich wissen und scanne die vielen Schnapsflaschen ein. Wohl für Annas Party. „Ich weiß es noch nicht,“ gibt er zu, „Aber wahrscheinlich schon. Ich kannte ihn ja und Anna will da auf jeden Fall hin!“ Ich nicke und meine: „Ich werde nicht hingehen.“ Ich kannte ihn ja kaum und irgendwie finde ich es nicht gut, dort aufzutauchen. Ich würde mich fühlen, als wäre ich ein Schaulustiger. „Klar,“ nickt auch Pascal und bezahlt sein Zeug, winkt mir zu. „Sicher, dass du am Samstag nicht kannst?“, reitet er dann wieder auf seinem Lieblingsthema herum. Er hebt eine der Flaschen hoch: „Du verpasst was!“ „Tut mir Leid, Pascal,“ meine ich nur und er zuckt mit den Schultern, nimmt sein Zeug und macht sich auf den Weg. „Wie du meinst,“ ruft er mir noch zu. Ich bleibe alleine na meiner Kasse zurück und seufze. Wenn ich abends Dienst habe – was meistens der Fall ist –, geht meinen Schicht bis zweiundzwanzig Uhr. Ich weiß nicht, warum so ein kleiner Tante-Emma-Laden so lange offen hat, weil um die späte Zeit kaum noch Kunden kommen, aber ich gehe einfach davon aus, dass sich die Besitzer schon was dabei gedacht haben. Meistens bin ich dann alleine in dem kleinen Laden, räume die Regale neu ein und wische den Boden. Ab und an kassiere ich die Leute ab, die sich so spät noch hier her verirren. Eigentlich ganz chillig, aber auf Dauer ein einsamer und eintöniger Job. Mein Chef sitzt eine Etage höher in seinem Büro und lässt sie nie blicken. Irgendwann kommt er und rechnet mit mir die Kasse ab, dann kann ich gehen. Bis zu diesem Zeitpunkt bin ich wie gesagt alleine und kann die Zeit wenigstens ab und an fürs Lernen nutzen, auch, wenn’s im großen Verschwendung davon ist. Aber immerhin: Ich krieg’s bezahlt! Ein bisschen habe ich zwar Angst, mal überfallen werden zu können, aber ich denke mal, ein Einbrecher ist so schlau, es lieber an der Tanke, ne Straße weiter, zu versuchen. Dort gibt es sicher mehr zu holen, als hier. Wäre ich ein Räuber, würde ich hier sicher nicht aufkreuzen. Da lohnt sich die Mühe gar nicht. Wahrscheinlich sind das wertvollste hier die Kaugummipäckchen. Und ohne es beschreien zu wollen, muss ich auch sagen, dass das wohl nicht nur ich so sehe: Der Laden hat nämlich noch nie einen Überfall erlebt! Was eigentlich alles sagt, oder? „Schluss für heute,“ meint mein Chef in dem Moment und taucht hinter mir auf. Ich zucke zusammen. Was muss der mich auch so erschrecken! Er schließt ab - wir werden später den Hinterausgang nehmen, wenn wir fertig sind -, während ich meine Kasse schnappe und hoch zum Büro gehe. „Wie war die Party,“ will ich am Montag wissen und lehne mich gegen den Kaffeeautomanten, an dem Anna steht und auf ihre heiße Schokolade wartet. Die trinkt sie fast so gerne, wie ihren Kaffee mit 3 kg Zucker. Von Pascal ist nichts zu sehen. „Ging so… Eigentlich war die Stimmung ganz cool, aber ständig hat man über den Unfall geredet.“ Sie seufzt. „Man kann nach so was einfach nicht richtig feiern. Ich fühle mich ein wenig taktlos, dass ich die Party nicht abgesagt habe!“ Ich würde ihr ja gerne sagen, dass sie sich auch genauso fühlen kann und das es wohl wirklich besser gewesen wäre, mal darauf zu verzichten, aber ich will sie nicht runterziehen. Also sage ich: „Das brauchst du nicht. Du kanntest Jamie ja nur flüchtig, so wie die meisten anderen auf der Party. Und die, die ihn näher kannten, waren sicher nicht dort.“ Und das stimmt ja auch, nicht? Ich lege ihr tröstend die Hand die Schulter und sie nickt langsam. „würden wir immer innehalten, wenn jemand stirbt, kämen wir gar nicht voran. Immerhin stirbt ständig irgendwer.“ „Ja. Aber Jamie war nicht irgendwer…“ Sie seufzt wieder. „Viele mochten ihn gar nicht. Einige haben immer über ihn hergezogen. Emo und so… Aber jetzt, wo er tot ist… da reden alle nur noch gut von ihm!“ „So ist das eben manchmal,“ nicke ich und nehme ihre Schokolade aus der Fassung, reiche sie ihr. „So lange du lebst, hassen und verletzten die Menschen dich. Aber wenn du tot bist, dann lieben und vermissen dich alle.“ „Du hättest Psychologie studieren sollen. Oder gleich Philosophie,“ kichert sie. Ich muss lachen. „Nein, ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem, was ich habe.“ Sie schenkt mir eines ihrer bezaubernden Lächeln. „Es ist aber echt spannend!“ Da spricht sie aus Erfahrung. Sie studiert nämlich Psychologie. „Das glaube ich dir sogar,“ meine ich und in dem Moment entdecke ich Pascal und winke ihn zu mir. „So kennt man dar nicht,“ meine ich dann anerkennend. Er trägt einen schwarzen Anzug und hat seine kurzen blonden Haare streng zurück gekämmt und sie nicht in ihrer typischen Igelform gelassen. „Ungewohnt, was?“, seufzt er. „Aber ich kann ja nicht so lässig bei einer Beerdigung aufkreuzen.“ Die hätte ich echt fast vergessen, wie konnte ich nur? Ich sehe zu Anna, die in einem schwarzen Kleid vor mir steht, wie ich jetzt erst merke, und frage: „Wann geht’s los?“ „Um Drei.“ Ich nicke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)